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Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist von einem Moment auf den anderen alles anders. Das eigene Leben bleibt plötzlich stehen, ist aus den Fugen gehoben. Und wenige wissen wirklich, wie sie mit der Trauer umgehen sollen. Viele Jahre lang waren Phasenmodelle die Standardantwort auf diese Frage. Das bekannteste Modell kommt von der Schweizer Psychotherapeutin Elisabeth Kübler-Ross. Demnach durchlaufe ein trauernder Mensch fünf Phasen, wenn auch nicht in genau dieser Reihenfolge: Nicht-Wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depression und schließlich Akzeptanz. Solche Phasenmodelle versprechen einen Anfang und vor allem ein klares Ende von Trauer. Doch viele Experten sagen heute: Sie stimmen nicht und sind auch nicht hilfreich in der Begleitung eines Trauerfalls. Patrick O'Malley gehört zu dieser Gruppe Psychotherapeuten. Er selbst hat seinen Sohn, der als Frühchen zur Welt kam, einige Monate nach der Geburt verloren.
Patrick O'Malley, Psychotherapeut und verwaister Vater, Texas Trauer ist genau die passende Emotion bei VerlustDie Psychotherapeutin und Buchautorin Megan Devine ärgert es, dass Trauernden oft unterstellt wird, sie trauerten zu lang oder zu intensiv. Sie selbst hat ihren langjährigen Partner nach einem Unfall verloren und beschäftigt sich seitdem intensiv mit dem Thema Trauer. Ihre wichtigste Erkenntnis: Manches kann man nicht lösen. Man kann es nur gemeinsam tragen. Sie sagt: Trauer ist genau das passende Gefühl, wenn man einen schweren Verlust erlebt. Die einzige Aufgabe, die jemand dann hat, ist: Trauern. Je größer der Verlust, desto größer wird auch die Trauer sein.
Megan Devine, Psychotherapeutin und Buchautorin Menschen in der Trauer zu begleiten bedeute dann, so Megan Devine, bei ihnen zu sein, ihnen die Möglichkeit zu geben, zu trauern. Sie nicht mit Plattitüden aufzumuntern oder ihre Trauer klein zu reden. Trauer hat demnach auch kein Ablaufdatum und seine ganz eigene Zeit. Die Psychotherapeutin sagt: "Der Krater, der sich in einem Leben auftut, wird nie verschwinden. Er wird auch nicht kleiner werden. Aber es wird sich ein anderes Leben rund um den Krater ansiedeln, wenn getrauert werden darf." Doch eines sei klar: Der Verlust eines geliebten Menschen bleibe bestehen. Fortgeführte Beziehungen - continuing bondsRobert Neimeyer beschreibt diesen Zugang zum Trauern mit dem Fachbegriff "continuing bonds", fortgeführte Beziehungen. Er ist Professor für Klinische Psychotherapie an der Universität von Memphis in den USA. Seit dem Jahr 1996 taucht dieser Begriff in der wissenschaftlichen Literatur auf, doch erst langsam setzt er sich in der Öffentlichkeit durch. Demnach gehört es zum Trauern nicht dazu, den verlorenen gegangenen Menschen "loszulassen" und mit dem Verlust abzuschließen, wie Phasenmodelle das vorschlagen. Sondern trauernde Menschen finden weiterhin einen Platz für die Toten in ihrem Leben und ihren Gemeinschaften.
Robert Neimeyer, Psychiotherapeut, Uni Memphis Ursprünge der Phasenmodelle liegen in der Geschichte und bei Sigmund FreudDie Annahme, dass ein Trauernder mit dem Verlust abschließen und sich auf "das Leben" ausrichten muss, hängt mit den Kriegserfahrungen in Europa des Ersten Weltkriegs zusammen, sagt Robert Neimeyer. Vorher trauerten die Menschen anders, es war Platz für die Erinnerung an die Toten mitten im Leben. Aber im Winter 1914/15, so der Psychotherapeut, begann der brutale Stellungskrieg in Frankreich. Jeden Tag starben 6.000 Soldaten auf beiden Seiten. Doppelt so viele Menschen, wie in den USA am 11. September gestorben sind, sagt Robert Neimeyer, und das monatelang.
Robert Neimeyer, Psychiotherapeut, Uni Memphis Er beschreibt die Reaktion, die sich daraus ergibt als "posttraumatischen Zustand des Vermeidens", aber nicht als Trauer. Und in diese Zeit hinein kommt der Erfinder der Psychoanalyse Sigmund Freud mit seiner Einschätzung von Trauer im Jahr 1917: Er verfasst seinen heute klassischen Text über Trauer und Melancholie. Darin schreibt er, Trauernde sollten ihre psychische Energie vom Toten zurückziehen und sie in jemanden Anderen neu investieren. Also: den Verstorbenen loslassen. Das bleibt die nächsten 100 Jahre mehr oder weniger das vorherrschende Modell des Trauerns im industrialisierten Westen. Die Sorge, beim Trauern etwas falsch zu machenAuch Patrick O’Malley versuchte mit seinem Verlust abzuschließen, mit kleinen und großen Ritualen, schrieb Briefe an seinen verstorbenen kleinen Sohn, sprach in der Therapie mit einem leeren Stuhl, der für seinen Sohn stand, und ließ ihn symbolisch los. Alles, um endlich den Verlust annehmen und weiter machen zu können. Doch loslassen, das ging einfach nicht. Immer noch, über Monate hinweg, dachte er täglich an sein Kind. Er war traurig, konnte es nicht fassen, dass sein Sohn gestorben war, dass er ihm kein Vater mehr sein konnte. Zusätzlich zu diesem Schmerz hatte er auch noch das Gefühl, irgendetwas falsch zu machen beim Trauern. Weil er ja gelernt hatte, dass man beim Trauern, nachdem man die verschiedenen Phasen durchlaufen habe, irgendwann durch sein müsste mit all den heftigen Emotionen. Trauer bezeugen und die Trauernden begleitenTrauern ist individuell und lässt sich nicht in Phasenmodelle einsortieren. Patrick O’Malley lässt die Menschen, die heute zu ihm in die Praxis kommen, ihre Geschichte erzählen. Es gibt drei wesentliche Teile in der Geschichte: das Davor, den Moment des Verlusts und das Danach. Wenn ein alter Mensch stirbt, dann gibt es ein langes "Davor". Wenn ein junger Mensch stirbt, vor allem viele Momente "Danach", ein ganzes Leben, das man nicht mehr miteinander teilt, so der Psychotherapeut. Beides sei schmerzhaft.
Patrick O'Malley, Psychotherapeut und verwaister Vater, Texas Doch das fällt vielen schwer, sagt Megan Devine. Wir wollen gerne, dass es ihnen bald wieder besser geht. Dass sie wieder lachen und so sind, wie wir sie von früher kennen. Doch für trauernde Menschen ist es nicht mehr so wie vorher und wird es nie wieder sein. Da ist eine Lücke in ihrem Leben, die nicht wieder gefüllt werden kann. Viele Menschen sind nach Wochen oder Monaten zwar äußerlich "wie vorher", doch innerlich ist die Trauer weiterhin da. Sie zeigen sie nur nicht mehr, weil wir in einer Welt leben, die vor Trauer Angst hat, betont Megan Devine. Trauer kann erschreckenViele Menschen haben Angst vor Trauer. Sie kann überwältigend sein und wir haben nicht gelernt, mit ihr umzugehen. Und es gibt ein Phänomen, dass viele Trauernde erleben: dass der Schmerz zu verschiedenen Momenten im Leben wieder hochkommt. Manchmal Jahre nach einem Tod, und überraschend heftig. Viele erschreckt das.
Patrick O'Malley, Psychotherapeut und verwaister Vater, Texas Diese Reaktion bedeutet vor allem nicht, dass man etwas falsch gemacht hat. Im Gegenteil, sie zeigt, wie wichtig einem die Person gewesen ist, die man verloren hat. Dass ein Geruch oder ein Musikstück uns an den Menschen erinnert, dass wir bedauern, dass er nicht mehr da ist und diesen Moment mit uns teilen kann. Diesen Moment wahrzunehmen, inne zu halten und zu betrauern, das ist etwas, das wir tun können, sagt der Psychotherapeut. Sigmund Freud hat auch sein Leben lang getrauertÜbrigens hat auch Sigmund Freud am Ende seines Lebens so gefühlt. Eine seiner Töchter, Sophie, starb im Jahr 1920 überraschend, mit nicht einmal 27 Jahren. Fast zehn Jahre später schrieb Sigmund Freud in einem Brief an einen Freund: "Man weiß, dass die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will." Wie lange trauert man um die Mutter?Das meint auch Roland Kachler, Diplom-Psychologe und Experte in Trauerarbeit: "In schweren Verlusten dauert es ungefähr zwei bis drei Jahre, bis ein junger Mensch die Trauer über ein Elternteil loslassen kann."
Wie fühlt man sich nach dem Tod der Mutter?Im ersten Moment bewirkt der Tod des geliebten Menschen oft eine Art Schockzustand, der stunden- oder tagelang anhalten kann. Der Trauernde kann nicht fassen, was geschehen ist, und fühlt sich wie erstarrt. In dieser Phase braucht er womöglich jemanden, der ihm ganz praktisch beim Erledigen alltäglicher Aufgaben hilft.
Kann den Tod meiner Mutter nicht überwinden?Über den Tod der Eltern hinwegzukommen braucht Zeit
Häufig ziehen sich die trauernden Söhne oder Töchter eine Zeit lang zurück, brauchen den Raum und die Zeit für sich selbst: um den Tod zu begreifen, um mit ihren Eltern innerlich Zwiesprache zu halten, um ihre Trauer zu verarbeiten.
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