Ab welchem Gehalt lohnt es sich zu arbeiten

Ob staatliche Leistungen gezahlt werden, hängt von diversen Faktoren ab: Größe und Kosten der Wohnung etwa, aber auch der Wohnort oder die Anzahl der Familienmitglieder spielen eine Rolle. Grundsätzlich haben in Deutschland Berufstätige mehr Geld zur Verfügung als heutige Hartz-IV- und künftige Bürgergeld-Empfänger – wenn sie die Leistungen, die ihnen zustehen, auch in Anspruch nehmen.

Hinzu kommt: Wer lange Bürgergeld oder Hartz IV bezieht, wird auch im Alter die Folgen spüren: Beim Bürgergeld werden keine Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt. Das schmälert künftige Rentenzahlungen.

Dass Arbeitnehmer finanziell immer besser dastehen, unterstreicht auch Johannes Steffen im Gespräch mit dem MDR. Er hat lange Jahre in der Arbeitnehmerkammer Bremen gearbeitet, bezeichnet sich selbst als "gewerkschaftsnah" und betreibt das Portal Sozialpolitik.

"Der Sozialstaat ist so konstruiert, dass er dem SGB II vorgelagerte Sozialtransfers kennt. Das Kindergeld etwa. Das wird in den Berechnungen oft noch berücksichtigt. Aber zum Beispiel nicht der Unterhaltsvorschuss bei Alleinerziehenden oder der Kinderzuschlag. Die werden oft außen vorgelassen. Und vor allem wird in den Beispielrechnungen oft außen vorgelassen, dass ein Wohngeld-Plus-Gesetz in der Pipeline ist, das enorme Verbesserungen für Erwerbstätige bringt, für Rentner, für alle, die nicht gleich Hartz IV bekommen oder das kommende Bürgergeld", sagt der Experte. Berücksichtige man die Beträge aus dem SGB II, sehe das Ergebnis anders aus.

In den sozialen Medien kursiert ein Rechenbeispiel zum neuen Bürgergeld. Demnach bekommen Bürgergeld-Empfänger mit einem Minijob genauso viel Geld wie Geringverdiener in Vollzeit. Experten stellen in der Rechnung aber Fehler fest.

Von David Zajonz

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Das geplante Bürgergeld ist im Bundesrat vorerst gescheitert. Schon seit Wochen wird darüber diskutiert, ob sich Arbeit für Geringverdiener noch lohnt, wenn es das Bürgergeld gibt.

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Dazu machte dieses Rechenbeispiel die Runde: Ein Arbeitnehmer in Vollzeit arbeitet 160 Stunden pro Monat, ein Bürgergeld-Bezieher mit Minijob kommt auf monatlich 37 Stunden. Nach Abzug von Steuern, Abgaben, Miete und Nebenkosten landen beide bei dem gleichen verfügbaren Einkommen - 780 Euro.

Auf den ersten Blick wirkt das für viele Nutzerinnen und Nutzer so ungerecht, dass sich das Schaubild schnell verbreitet und bei Instagram, Facebook und TikTok geteilt wird. Tatsächlich aber verdient der Vollzeit-Beschäftigte deutlich mehr als die andere Person. Die Schweriner Regionalzeitung, von der die Grafik ursprünglich erstellt wurde, hat sie inzwischen von ihrem Instagram-Kanal gelöscht.

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Bringen Bürgergeld und Vollzeitjob gleich viel Geld? Nein, sagen Experten. Die Grafik wurde mittlerweile gelöscht.

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Größere Abzüge beim Minijob

Das Rechenbeispiel enthalte "sachliche Fehler", stellt Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln fest. In der Rechnung bekommt der Bürgergeld-Bezieher 280 Euro netto aus einem 450-Euro-Job. In Wirklichkeit seien die Abzüge aber höher, sagt Schäfer. Abzugsfrei seien nur die ersten 100 Euro Zuverdienst. Vom restlichen Teil seines Minijobs bekomme der Betroffene nur 20 Prozent und lande damit bei insgesamt 170 Euro Zuverdienst.

Gleichzeitig dürfte das Netto-Einkommen des Vollzeit-Beschäftigten in der Realität höher liegen als in der Grafik. IW-Ökonom Schäfer kommt in seiner eigenen Berechnung bei 2.060 Euro brutto auf 1.482 Euro netto (in der Grafik 1.410 Euro). Allein dadurch ergibt sich also ein deutlicher Einkommensunterschied zwischen den beiden Personen. Außerdem sei zu prüfen, ob der Vollzeit-Berufstätige Anspruch auf ergänzende Transfers, wie zum Beispiel Wohngeld, habe, gibt Schäfer zu bedenken.

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Bürgergeld deutlich höher als Hartz IV

Hintergrund der Diskussionen ist die von der Bundesregierung geplante Einführung des Bürgergelds, mit dem ab kommendem Jahr das bisherige Hartz IV abgelöst werden soll. Nach jetzigem Stand soll das Bürgergeld 502 Euro im Monat betragen. Damit wäre es knapp zwölf Prozent höher als der derzeitige Hartz IV Regelsatz von 449 Euro.

Allerdings bekommen dann auch berufstätige Geringverdiener deutlich mehr Geld als jetzt. Denn im Oktober steigt der Mindestlohn von aktuell 10,45 auf 12 Euro pro Stunde. Mit rund 15 Prozent fällt die Erhöhung hier noch deutlicher aus als beim Bürgergeld, eigentlich müsste der Abstand also größer werden.

Was ändern die steigenden Energiekosten?

Nach Einschätzung von Eric Seils vom gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) sind in der Grafik die Wohn- und Nebenkosten deutlich zu hoch angesetzt. Unter Berufung auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vom Mai rechnet er mit 337 Euro, die in Schwerin für einen Alleinstehenden durchschnittlich übernommen werden. Das wären fast 300 Euro weniger als in der Grafik angenommen. Selbst wenn sich die Heizkosten durch die Energiekrise verfünffachen sollten, lägen die Gesamtkosten demnach noch immer unter dem in der Grafik angenommenen Niveau.

Am Beispiel der steigenden Energiepreise wird dennoch eine Problematik deutlich, von der insbesondere Geringverdiener betroffen sind, die keine staatliche Unterstützung erhalten. Während die Heizkosten von Bürgergeld-Empfängern (anders als ihre Stromkosten) in der Regel vollständig vom Staat übernommen werden und Wohngeld-Empfänger einen Heizkostenzuschuss bekommen, könnten einige Geringverdiener leer ausgehen.

Fazit: Berufstätige verdienen mehr

Die Berechnung der Differenz zwischen Bürgergeld-Empfängern und Vollzeit-Beschäftigten ist aufgrund des Zusammenwirkens verschiedener staatlicher Leistungen und Abzüge hochkomplex. Der Wohnort oder die Art der Heizung können eine erhebliche Rolle spielen.

Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass Berufstätige in Deutschland mehr Geld zur Verfügung haben als Menschen, die ausschließlich von staatlichen Leistungen und Minijobs leben. Unter bestimmten Umständen kann der Einkommensunterschied allerdings so gering sein, dass manche Ökonomen Zweifel haben, ob er einen wirklichen Arbeitsanreiz bietet. Das aber ist eine Diskussion, die sehr viel älter ist als das Bürgergeld.

Bis wann gilt man als Geringverdiener?

Verdienen Sie zwischen 450,01 und bis 2.000 Euro, sind Sie Geringverdiener und Ihr Einkommen ist in der sogenannten Gleitzone. Häufig spricht man auch von einem Midijob. Auszubildende, Praktikantinnen und Praktikanten gelten nicht als Geringverdiener.

Was ist besser Bürgergeld oder arbeiten?

Ergebnis: In sieben der acht von uns errechneten Szenarien kommen arbeitende Menschen finanziell besser weg als Bürgergeld-Empfänger.

Ist Bürgergeld mehr als Hartz 4?

Prinzipiell unterscheiden sich die Berechnungen der Regelsätze für Hartz IV und Bürgergeld nicht. Beim Bürgergeld kommt aber ein Inflationsausgleich dazu, der den Regelsatz für Alleinstehende ab dem 1. Januar 2023 von aktuell 449 Euro auf 502 Euro steigen lässt, also knapp 50 Euro mehr im Monat.

Ist das Bürgergeld für alle?

Wer bisher Anspruch auf Arbeitslosengeld II hatte, wird künftig einen Anspruch auf Bürgergeld haben. Dafür müssen keine neuen Anträge gestellt werden. Infrage kommt das Bürgergeld auch für Menschen, deren Arbeitseinkommen nicht zum Lebensunterhalt reicht. Sie können ergänzende Unterstützung erhalten.