See other formatsMünchen, 6. Januar 1943 i 48. Jahrgang / Nummer 1 30 Pfennig SimPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN Was dem einen sein Darlan, ist dem andern sein de Gaulle (Wilhelm Schulz) „Nun beruhige dich, Gaullechen, daß dich Onkel Roosevelt nicht mit Nordafrika spielen läßt, du bekommst dafür Madagaskar!“ Tanto vale per l"uno Darlan quanto per l’altro de Gaulle: “Non inquietarti, Gaulluccio, se zio Roosevelt non ti lascia giocare coll’ Africa del nord; in compenso tu ricevi l’isola di Madagascar, Stilleben eines Bildhauers - “Natura morta,, d'uno scultore DIE BLAMAGE VON WALTER FOITZICK Der Mensch Ist nicht nur ein gewöhnlicher Mensch, er muß auch ein Stammkunde sein. Ich habe mich bisher für einen ehrenwerten Stammkunden gehal- ten trotz vieler menschlicher Schwächen, die Ich besitze, ja sogar für einen von reinstem Wasser oder echtem Schrot und Korn. Zum Stammkunden ‚gehört die Mangelware, wie das Huhn im Topf zum König Heinrich. Ohne Mangelware kein Stamm- kunde, da liegt der Hund begraben. Als die Vor- sehung Im Weltenplane die Mangelware schuf, kam Ihr auch/sofort die vorzügliche Idee vom Stamm- kunden, eine großartige Ideel Ich bin also Stammkunde in dem Laden, und Ich kaufte die Ware dort schon, als sie vorne noch kel- nen Mangel hatte. Ich wandte mich daher an den Herrn des Ladens, und der schrieb mir, ich solle königlich belohnt werden, wenigstens dem Sinne nach, Eines Tages begab ich mich In den Laden, die Brust geschwellt mit der Sicherheit, wie sie nur ein Stammkunde haben kann, erfüllt von reinem Ge- wissen, wie ich es selten in meinem Leben habe. Da stand auch das Fräulein, welches mich schon seit Jahren bedient hatte, Freundlich und immer sachlich, sehr sachlich. © ich war die Leutsellgkelt selber, Ich war sozu- sagen wie ein Filmstar In selner Lieblingsrolle als Stammkunde, wie Ich Ihn mir denke. Ich sagte: „So Fräulein, da bin Ich, Ich komme wegen meiner Sachen.“ „Was für Sachen“, fragte das Fräulein, und dann SCHADENFREUDE Pointen oder Spiten hab’ ich für's Leben gern. Man- kann fie nicht erfiten, fie müften ohne Schroigen fpontan geboren wern. Es if nicht auszufprechen, mie mich’s zufrieden macht, menn fie fich dann erfrechen, den krummen Hund zu ftechen, dem Ich fie zugedacht. Oft merkt der Dummulore gar nicht, um was es Seht. Des freut fich der Autore, und mit ihm lacht Im Chore, wer font fich drauf verfteht. Ratatöskr (X. Rönsing) fragte sie noch: „Für wen?“ Wenn Ich such nicht erwartet hatte, daß das durchaus korrekte Fräulein gleich an meine Stammkundenbrust geflogen wäre, so war Ich doch etwas enttäuscht. Ich gab mich zu erkennen. Doch da geschah etwas Schreckliches. „Ach so“, sagte das Fräulein, „Jawohl die Sachen liegen für Sie bereit, aber Stammkunde sind Sie nie gewesen.“ Nochmal: „Stammkunde sind Sie nie ge- wesen.“ Grausige Wortel Noch scherzte Ich, ver- suchte zu scherzen, ich versuchte ihrem Gedächtnis nachzuhelfen, ich zeigte mich von vorne und im Profil. „Nein“, sagte das Fräulein, „Ich kenne Sie nicht.” Ich stammelte von zwanzig Jahren, die ich hier hereinkomme. Das Fräulein schüttelte nur immer wieder den Kopf und sagte: „Nein Ich kenne Sie nicht, aber hier sind ihre Sachen.” Ich weiß, jetzt hätte es meine Ehre erfordert, daß Ich die Mangelware von mir stieß. Ach, Ich bin auch nur ein schwacher Mensch und ein entthronter Stammkunde, ich stieß nicht. Ich nahm die Mangel- ware und schlich von hinnen und weinete sozusa- gen bitterlich. Ich möchte hoffen, daß mir dereinst Gerechtigkeit widerfahre. Dann müßte mir das Fräulein im jen- seitigen Laden zujubeln: „Ja, ich erkenne dich jetzt, du bist mein alter Stammkunde, an dem ich mein Wohlgefallen habe.” Und dazu müßten die Posau- nen schmeitern und alle himmlischen Ladenkassen klingeln. Der Yankee im Himmel 2 (9. Gutbransson) Sur zunmantıe n 4 „Sechs Tage hat Euer Chef zur Erschaffung der Welt gebraucht. Lächerlich! - Das hätte unser Produktionsminister leicht in ein bis zwei Tagen geschafft!‘ Il Yankee in cielo: “Di sei giorni abbisognava il Vostro principale per creare il mondo. " Cosa ridicola! II nostro Ministro delle:produzioni I" avrebbe creato fagilmente In uno, due giorni!,, 3 Macht der Gewohnheit ak) „Eine merkwürdige Art spazieren zu gehen haben diese amerikanischen Soldaten! „Das sind die Freiwilligen aus Sing-Sing, die sind das so gewöhnt!" Forza d’ abitudine: "Questi soldati americani hanno un modo curioso d’ andare a spasso!,, "Sono I volontari di Sing-Sing che hanno quest'abitudine!,, 4 DIENSTLICHER BESUCH Du, lieber Leser, bist mit der Vollendung der Ge- burt für das BGB. „der Mensch”, für den Pfarrer „die unsterbliche Seele” und für Regierungsrat Krause „das Publikum”. Also Masculinum, Femi- ninum und Neutrum zugleich. Mit den Jahren gibt sich das. Und es bleiben als Neutra Pensions- inhaberinnen und Statistiker übrig. Und für Re- glerungsrat Krause: das Publikum. Die Anderen teilen sich In die beiden ewig feindlichen Ar- meen, verfolgen sich, verwunden sich, besiegen sich, nehmen sich gefangen, lassen sich frei, ver- folgen sich usw. ad infinitum. * Es war ein früher Frühlingstag, wo der Himmel hellblau und weiß ist wie Porzellan, und wo man die Fenster halboffen läßt und daran glaubt, daß etwas ganz Neues passieren könnte. Es war rich- tig Mousseux in der Luft. Im Hof der Behörde saß ein kleiner Vogel auf noch kahlem Ast und pro- bierte, wie laut er singen könnte, Da klopfte es bei Regierungsrat Julius. „Vor- herige Anmeldung in Zimmer 176a“, steht erst beim Abteilungsleiter. Später kommt dann das Vorzimmer. Und zuletzt hat man einen ständigen Sekretär, der ständig bedauert, daß man gerade heute so überlastet sel. Nach dem Klopfen fragten sich zwei Augen her- ein. Das rechtsuchende Publikum trug einen klei- nen Hut (so zwischen Tattersall und Teestunde) mit einem festanliegenden Schleier, der die pi- kante Linie des kleinen Gesichts fein heraus- arbeitete, Hinter diesem seidenen Gitter der Ko- ketterle leuchteten die dunkelsten Augen und lächelten die weißesten Zähne. Sie wäre die Frau des Facharztes Dr.Schneider, sagte sie, und möchte um eine kleine Auskunft bitten. „Sind Sie auch zuständig? — Mein Mann sagt, das müßte ich fragen, um nicht unnötig aufzuhalten.” Panisches Spiel Aus einsam Unfaßbarem taucht das spiegelnd schwanke Du und Ich und sinkt einander schauernd zu. Und dachtest du Entzücken nur, es überhaucht dein Lächeln sich jäh fremd betört und grell. Welch brennend wilder Schwell bebt, aufgestört von sternher nahendem Orkan? Schon zuckt die Brandung über dich; in deine letzte Gegenwehr schlägt ungeheuerlich die Pranke Pan. HANS LEIP VON SCHLEHDORN „Ja“, erwiderte er mit Überzeugung und ohne Rechtsirrtum. Denn für das, was bisher an dem Sachverhalt klar war: eine schöne fragende Frau, eine Dame, die Beistand braucht, ist Jeder Mann zuständig. „Selbstverständlich”, sagte er. Sie sah Ihn dankbar an. Es waren Augen voll überlegener Hilflosigkeit, mit jenem Vertrauen, das sich dir ganz in die Hand gibt, wenn auch in zwei Meter Abstand. Und es war das Lächeln, das gar nicht sachlich sein will, und mit dem man ganze Behörden ver- rückt machen könnte. Lächeln und Rauchen verboten! würde Regie- tungsrat Krause anschlagen lassen, dem beides nicht bekam, „Darf man eine Zigarette rauchen?” fragte sie, strich den Schleier hoch, bediente sich aus dem kleinen goldenen Etul, ließ sich Feuer geben und begann ihren Fall vorzutragen mit leise fragen- dem Heben der Stimme, bei jedem juristischen Ausdruck — sagt man so? „Es handelt sich um meine Schwester in Bra- silien und ihr Indigenat, — sagt man so?" „Brasilien, ach daher.” „Nein, wir sind aus Perleberg. Aber ursprünglich Refugiös.” Ach, daher, Richtig, erinnerte sich Julius, Frago- nard hat sie schon vor sechs Generationen ge- malt, hängt im Louvre, im Raum der Watteaus, rechts am Fenster. Dann sprachen sie den Fall durch, eingehend. Nicht ohne auf Brasilien selbst zu kommen, wo sie beide noch nicht gewesen waren. Und auf Taormina, Parls und Stockholm, die gar nicht in Brasilien liegen. Er erklärte ihr alles und ließ sich alles von dem schönen Echo ihrer Stimme wieder- holen, Ach ja, Brasilien. „Also, gnädige Frau, da bedarf es eines schrift- lichen Antrags.” Er stellte sich ihre Schrift vor; bei einer so klel- nen Hand natürlich Balken von Buchstaben, die Tinte natürlich violett. „Schriftlich, — ach, ich drücke mich sicher falsch aus. Medizinisch ist schon schwer, aber juristisch, wo man gar nicht ahnt, was einem fehlt... Kann ich nicht selbst kommen? Ich erreiche es dann eher...” Beamtenbestechung, ging ihm durch den Sinn. Und er wurde mißtrauisch gegen sich selbst, Die Menschen denken bei Bestechung Immer an Geld — was hat erst das ungemünzte Gold des weib- lichen Löchelns angerichtet, das in einem Augen- blick verschenkt, gewechselt, für wertlos erklärt, eingeschmolzen und schöner wieder verschenkt wird, Und schon rollte in seinem Gewissen eine Lawine heran: seine Befassung mit Staatsangehö- rigkeltssachen war Eingriff in ein fremdes Re- ferat, obendrein in das von Regierungsrat Krause, Also Zuständigkeitsüberschreitung, beinahe Amts- anmaßung. Die Lawine begann unter ihrem Lächeln zu schmelzen, der Fall war ja eine Frage wert. Die Behörden sind Diener des Publikums, — ja, auch wenn es reizend ist. Aber was sollte er mit der Frau des Facharztes Dr. Schneider; ob sie wohl Desir6e hieß oder Aime? — Regierungsrat Julius stand auf und schloß das Fenster. Dabei sagte er ein wenig zu kurz: „Münd- licher Antrag ist unzulässig.” Sie lächelte wie die Dame des Hauses, wenn Jemand bei Tisch etwas umwirft, was keine Flecke macht. „Außerdem bin ich für den Fall unzuständig”, suchte er sich zu entschuldigen. „Um so freundlicher, daß Sie mich aufklärten — 5 oder war das auch unzulässig?“ Sie hatte offen- bar Freude an dem Wort, das klingt, wie eine Schranke, die zufällt und die mit Stacheldraht umwickelt ist. „Ich melde Sie jetzt telefonisch bei Herrn Re- glerungsrat Krause an.” Der stellte anhelm, die Erschlenene In sein Dienstzimmer zu verweisen. Sie zog den Schleier übers Kinn, drehte unten daran, öffnete ein paarmal das Mäulchen, blies gegen den Schleier (der die pikante Linie ihres Gesichts fein hervortreten ließ): „also jetzt Re- gierungsrat Krause“, ließ sich die kleine, dunkle Hand küssen, dankte, lächelte und ging. ‚Jetzt Regierungsrat Krause,“ Dies „jetzt” machte aus einem Erlebnis eine Vorbareitung, und aus Julius einen von vielen Regierungsräten gleicher Ärt und Güte. Naja, was sonst? Aber. Krause, würde der diesen Besuch würdigen? Wenn Krause statt Adam im Paradies gewesen wäre, der hätte den Apfel als Asservat zu den „Ermittlungsakten gegen Schlange” an die Kriminalpolizei gegeben, wo er ungegessen vertrocknet wäre, — Regierungsrat Krause stellte später fest, die Er schienene habe sich wohlinformiert erwiesen, ihr Ehemann sei ein geachteter Facharzt. Er, Krause, habe den Antrag gleich zu Protokoll genommen, damit die Erschienene nicht zu schreiben brauchte. Und, fügte er zu Julius‘ maßlosem Erstaunen hin- zu, das Parfüm, das sie zurückgelassen, sei beim Publikum nicht immer so gut. — — Inzwischen sagte die reizende Frau zu ihrer Freundin, die solange draußen hatte warten dür- fen: „Sag mal, müssen Männer Im Dienst eigent- lich stets dümmer tun, als sie In Wirklichkeit sind?” „Laß gut sein, Frauen, die flirten, tun das auch.” „Aber ich war ganz sachlich und habe gefragt, ob sie zuständig wären, und habe keinen auf- gehalten.” — Ja, so ist das Publikum. Traumland Ich denk mir irgendwo ein Land, dort lieg ich unter einem Baum; aus meinem Munde wächst ein Band und darauf steht ein schöner Traum. Das Ganze aber ist gemalt vor vielen hundert Jahren schon; ich bin nicht jung und bin nicht alt und bin mein Vater und mein Sohn. Der Himmel wölbt sich über mir, ich bin nicht traurig und nicht froh, doch manchmal sehn’ ich mich nach dir fort aus dem Lande Irgendwo. Dann will ich wieder arm und klein und ob es noch so schmerzlich ist, hier, wo ich bin, auch wirklich sein, weil du ja dann doch bei mir bist. PETER SCHER Der Vielgeliebte - Il tanto amato „B’sinnst dl" no", Allst? Des Hemderl hab I als Jungs Mad trag'n!" — „Mel, da müßt I mi auf viel Hemderl b'sinna könnal" (Magon) N es "TI rammentl, Luigl, della camicluola che portavo da ragazza!,, — "Eh Dio, di quante camicivole dovrei rammentarmit,, DAS SCHAUKELPFERD VON ERNST HEYDA Weiß der Kuckuck, wer mir am Dienstag abend jenes mottenzerfressene, dämliche, dreibeinige Schaukelpferd vor die Vorplatztüre gestellt hat... Jedenfalls stand es da, Ich merkte es, als ich vor dem Aufschließen darüberstolperte und mit ‚dem Nasenbein auf die Türklinke schlug. Ich packte das Biest und brachte es mühsam ins Zimmer. Zum Glück schlief Adele schon. Ja, da stand also das Blest. Kinder hatten wir keine. Was machte ich bloß? Jedenfalls warf Ich es erst einmal um und schleifte es unter das Sofa. Dann ging ich schlafen. ‚Am Morgen, nach dem Frühstück — Ich war ge- rade dabei, nachzusehen, welche Temperatur draußen war, brachte Adele das Schaukelpferd angeschleppt. Sie sah mich fragend an. 'schrak und murmelte etwas von einer später einmal beabsichtigten Weihnachtsüberraschung. Adele grinte und meinte, Ich hätte es wohl beim Preisschießen gewonnen. Schließlich erklärte Ich es ihr. Ob sie es allerdings glaubte, weiß ich heute noch nicht. Dann überlegte ich. Drei Beine hatte das Biest, keinen Schweif, eines von den dicken Glasaugen hing zwanzig Zentimeter an einem Draht aus der Augenhöhle herab, — ein tierischer Anblick. „Ich werde es reparieren!” sagte ich mutig, „dann können wir es gelegentlich verschenken — irgendwohin, wo Kinder sind...” Ich zog mich an und ging In die Stadt. Um Ma- terial zu holen, Leim, Farbe, ein Stück Fell, Draht, welches Schnitzholz und eine ganze Menge an- derer Dinge, die man eben nur zur Wiederher- stellung eines versehrten Schaukelpferdes brau- chen kann. Um neun Uhr abends kam ich nach Hause. Ich gebe unumwunden zu, daß ich einige Stunden eher hätte da sein können. Ich schlich mich mit den Paketen vorsichtig hoch, nein, diesmal stand kein Schaukelpferd vor der Türe. So wütend hatte mich allerdings Adele noch nie empfangen. „Jetzt kommst du“, tobte sie, „für vier Uhr hatte ich das Ding schon dem Herrn versprochen, der in der Zeitung stand...” „Ding... Herr... Zeitung ...!” stammelte ich ver- wirrt. Es war so: In der Zeitung stand eine Anzeige, es habe jemand einen elektrischen Kocher über, er suche dagegen ein Schaukelpferd zu tauschen. Adele schluchzte. cn wußte, ein elektrischer Kocher war ihr Traum, Ich wurde gerührt. jein liebes Mädchen”, sagte Ich und streichelte sie, „verlasse dich ganz auf mich, du bekommst deinen Kocher" Ich raste zum Telefon, wählte die Nummer aus der Zeitungsanzeige, erwischte endlich den Kochermann. Also, hier sei das Schaukelpferd, was? Nein, nicht persönlich natürlich. Wegen dem Kocher, Jawohl... Wir verabredeten, Ich solle am nächsten Morgen das Schaukelpferd hinbringen. Adresse da und da. Adele band mir eine Schürze um, und ich be- gann die Reparatur. Adele ging schlafen. Als sie mir um ein Uhr heißen Kaffee und eine Stulle brachte, hatte ich mit Leim, Draht und Nägeln das Glasauge wundervoll verstaut. Jedenfalls machte das Tier längst nicht mehr einen so erbärmlichen Eindruck. Um drei Uhr hatte ich einen Schwanz gebaut, zwei Stunden später aus einem maskier- ten Besenstiel ein viertes Pferdebein. Um sieben Uhr, als Adele aufstand, wusch Ich schon den Leim und die Farbe aus dem Teppich. Jedenfalls war alles in tadelloser Verfassung. Um dreiviertel zehn brachte Ich einen wunder- vollen Kocher an — Adele strahlte... Wir schlossen ihn gleich an. Fünf Minuten später waren alle Hausbewohner oben, well nirgends mehr ein Licht brannte. Die Sicherungen waren zum Teufel, eine merkwürdige glühende Draht- spirale war plötzlich aus dem Kocher und In die Gardinen gesprungen. Ich setzte meinen Luft- schutzstahlhelm auf und begann zu löschen. Vor- sichtshalber löschte ich gleich in den anderen Stuben mit. Bis an die Knöchel stand ich im Was: es erfrischte herrlich. Dann rief ich den ehemaligen Kochermann an. Ich hatte kaum etwas gesagt, da fing er schon an, Ob ich vielleicht einen Besenstiel als Pferde- bein bezeichnen könne? Und alle fünf Minuten hänge dem Biest das Glasauge bis auf die Erde, Nachdem wiı beide sechzehn Minuten lang gegen- seitig geschimpft hatten, hängte Ich ein. Ich ging zur Zeitung und ließ eine Anzeige los: „Tausche elektrischen Kocher gegen Schreib- maschine... Es kam tatsächlich einer. Er brachte am Nachmit- tag eine Maschine an und nahm den Kocher mit, Die Spiralfeder hatte ich wieder eingebaut. Zwei Stunden später hatte Ich die Maschine schon wieder gegen eine Standuhr vertauscht. Es war herrlich. Ich tauschte acht Tage lang alles gegen alles. Adele und ich waren wie im Rausch. So oft wir eine Zeitung aufschlugen, fanden wir einen Artikel, den wir brauchen konnten. Ich tauschte mein Fahrrad gegen eine Luftbüchse, einen alten linken Lederhandschuh gegen eine Marmorplatte, Adele bekam für ihre Pelzboa eine Taschenlampe. Am neunten Tage tauschte ich die Standuhr ge- gen ein Schaukelpferd. Ich wußte es gleich, es war mein Schaukelpferd.. Es hatte jetzt ein schwarzes und ein hellblaues Glasauge, einen wundervollen Schwanz — aus Adeles Pelzboa und ein herrliches, künstlerisch geschnitztes viertes Bein. Unser Schaukelpferd. Wir standen lange davor, dann holte Ich ein Beil und hieb das neue Bein ab. Mit einem Stemm- eisen entfernte ich das hellblaue Glasauge und Adeles Pelzboa hing ich wieder in den Kleider- schrank. In der Nacht packte Ich das Schaukelpferd und schleppte es auf den unteren Vorplatz, vor die Türe unseres Hauswirtes. - Als der Mann nach Hause kam, hörte ich ihn fürchterlich fluchen, Er,war mit der Nase auf die Türklinke aufgeschlagen. Am nächsten Nachmittag stand in der Zeitung: „Tausche Schaukelpferd gegen elektrischen Kocher..." Zünftigen (K. Helligenstaeat) „Den hab ich auch schon gezeichnet, das ist der mit der Blinddarmnarbel* Consorti di maestranza: “L' ho glä disegnato anch’ Io costul; & quegli dalla cIcatrice d’ appendicitel,, BEGEGNUNG MIT ARTEMIS VON A. WISBECK Brigitte habe ich in jener Nacht zum letztenmal gesehen und keinen Versuch unternommen, mit ihr wieder in Verbindung zu treten. Weshalb auch? Hätte ich ihr vielleicht schreiben sollen „Wie geht es Ihnen, mein Fräulein? Haben Sie den Sommer gut verbracht? Kleiden Sie sich noch immer In Schwarz? Tragen Sie noch das Schnür- chen ziegelroter Korallen um Ihren Hals?‘ Oder hätte ich sie um ihre letzte Aufnahme bitten sollen, das enttäuschende Bild einer gealterten Frau? Denn schon damals, vor vielen Jahren, als ich sie kennen lernte, dürfte sie im Anfang der Dreißiger gestanden haben. Heute mag sie wohl in irgend einem verschneiten Städtchen des Nor- dens sitzen, ihre Strümpfe stopfen und einen schnurrenden Kater in ihrem Schoße kraulen. Was geht es mich an? Wir haben uns nicht geliebt, und niemals kam auch dieses Wort über unsere Lippen. Doch denke ich oft an Brigitte, ich muß es gestehen, ich denke oft an sie. War es ein ‚Abenteuer nur, das Erlebnis flüchtiger Stunden? Im üblichen Sinne könnte man es wohl so nen- nen. Doch suche ich nach einem anderen Wort, einem, das die Nacht von der gläsernen Kuppel des südlichen Himmels über das Meer und durch Olivenhaine trägt, das den tausendfältigen Duft unbekannter Blüten verströmt und im Geflimmer der Sterne die Lippen weißer Götterbilder um- spielt. Ich finde es nicht, dieses Wort, und auch Brigitte würde es wohl vergeblich suchen. „Wie war es doch nur?" möchte sie sagen, „ein rosig betupfter Nachtfalter taumelte über uns durch das Weinlaub, Herden von Sternen zogen ihre silber- bestäubte Bahn, der heiße Atem des Meeres hauchte uns an. Und wissen Sie noch, mein Herr, hinter einer vermorschten Säule der Loggia hielt sich Pan verborgen. Während das Wachs der Kerze langsam zerrann, schwebte sein verliebtes Bedenken - Riflessione Hirtenlied durch die Sternennacht,” — „Ihre Schil- derung stimmt vollkommen“, antwortete ich, „und auch die Tatsache, daß ein Schnürchen ziegel- roter Korallen Ihren Hals umwand, blieb in mel- nem Gedächtnis haften. Komisch, wie man über den großen Dingen des Lebens solcher belang- loser Kleinigkeiten nicht vergißtl” „Ja, es Ist höchst komisch”, bestätigte Brigitte mit dem müden Lä- cheln ihrer welk gewordenen Lippen und krault dabei das gelbe Fell ihrer Katze. — — Zu jener Zeit verlebte ich einen Sommer in Posi- tano, dem Städtchen der Fischer und Maler, das sich zwischen Sorrent und Amalfi über weiße Klip- pen geisterhaft den Berg hinauf windet. Ein Hei- ligtum des Poseidon soll hier gestanden haben, und es ist wohl glaubhaft, daß der Gott des Dreizackes an dieser schmalen, von Fels und Gischt umsäumten Bucht an Land stieg, um nach den Mühen des Meeraufwühlens ein Schläfchen zu halten. Später besiedelten Griechen, Saraze- nen und latinische Völker den schützenden Ha- fen, und dann kamen die Schwabinger Maler. Seht nur, wie sie in Schwärmen an Land stoßen, ein leichtes Bündel in der einen, eine schwere Rolle Leinewand in der anderen Handi Jawohl, Ihr siebengescheiten Reiseführer, wir Schwabin- ger haben diese kostbare Perle der Schaum- geborenen für die Menschheit entdeckt, und ihren Ruhm bis zum Nordkap getragen! Manch einer von uns konnte sich von diesem Gestade der Seligkeit nie mehr trennen. Kobalt und Oxydgrün versteinten auf der Palette, die Staffelei zerfiel — an der Marina sitzt ein Greis und blinzelt ver- sonnen in das schwarze Blut des Chiantl, — Wo es Maler gibt, da fehlt es nicht an Frauen, und wo es Frauen gibt, da fehlt es nicht an Liebe. Ein Rudel von mehr oder weniger Schönen folgte der Spur der bildenden Kunst in die Gefilde zeit- (Hanna Nagel) „Das Ist eben das Schwierige: wenn ich vom Wuschelkopf zum Madonnen- scheitel übergehe, müßte ich mich auch seelisch umstellen!“ "Qui appunto sta la difficoltä: se dalla esta arruffala passo alla diseriminatura di Madonna, anche Ia mia anima dovrebbe mutar rotta!,, loser Freude. Da saßen sie nun Abend für Abend vor der kleinen Taverne am Meer und verschenk- ten im Rausch der weinseligen Stunde ihr po- chendes Herz. Da saß die stupsnasige Trudl, die am Kopf des ungetreuen Buhlen eine Amphora zerschmettert halte, es saß Lizzi da, vor deren ungestümen Leidenschaft der Kunsimaler Wein- zierl flüchtig geworden war, die rassige Nelly, die dem Maler Heimerl alltäglich mit einer Schein- todpistole bedrohte — es gab viel Liebe In Po- sitanal Doch was war mit Brigitte? Hatte sie denn nicht auch Anspruch auf einen von uns? Weshalb lockerte nie eine Regung der Sinne diese edel geformten, zu Marmor erstarrten Züge? Warum hielt sie sich abseits unseres weinfrohen Kreises, überhörte sogar unsere anständigen Witze und saß schweigsam in ihrer Ecke? „Wer ist diese Brigitte?” frug ich meinen Freund Schmälzle, denn er durfte als Auskunftei über alle Fremdlinge gel- ten, die hier ihren Fuß an Land gesetzt hatten. „Man weiß es nicht”, antwortete er mißlaunig, „sie dürfte aus dem Holsteinischen stammen und ist ein hochnäsiges Frauenzimmer. Wir nennen sie ‚Artemis‘, denn sie hat die straffen Beine, die schmale Hüfte, die schwach gewölbten Äpfelchen, den federnden Schritt der göttlichen Jägerin. Dazu trägt sie das Haar antik geknotet und will von Männern so wenig wissen, wie ihr olympi- sches Vorbild. Hol's der Teufel, man müßte schon die Verwandlungsgabe des Zeus besitzen, um sich diesem Mannweib vielleicht als Taschenkrebs ‚oder Tintenfisch zu nähern!” In der Tat, die Schil- derung meines Freundes schien das Richtige zu treffen: eine marmorne Schönheit, die nur als Kunstwerk zu werten war, und der bloß noch die Etikette eines Museums fehlte. — Eines Tages stehe ich oben, in der citta morte, der toten Stadt, an meiner Staffelei, Unheimlich, aus leeren Fensterhöhlen, starren dich hier die Häuser an, denn das Viertel wurde vor langen Jahren schon von den Einwohnern verlassen, Sie hatten in Amerika Ihr Glück gesucht. Ein leichter Schritt klingt in der leichenhaften Stille auf: Bri- gittel Sie erwidert meinen Gruß schweigend mit kaum merklichem Nicken, will an mir vorüber eilen, Nun, ich liebe es im allgemeinen nicht, bei meiner Arbeit beobachtet zu werden — das war aber denn doch ein starkes Stück! „Das gnädige Fräulein interessieren sich wohl nicht für Malerei?” rufe Ich ein wenig grob der göttlichen Jägerin nach, Sie wendet sich sofort um, tritt neben mich und betrachtet wortlos das Bild. „Wie gefällt Ihnen meine Patzerei?” fragte ich spöttisch. „Ich verstehe nichts von Malerei”, erwiderte Brigitte schlicht, „und wenn Ich sagte, das Bild geliele mir, so könnte Sie das nicht befriedigen.” Nun, das war nichtübel gesagt, und wir kommen etwas in das Plaudern. Plötzlich fällt ein Schatten über das Bild. Von rasch aufkommendem Wind getrie- ben zieht gelbliches Gewölke über die Bucht. Gewitter zählen in dieser Gegend zu Seltenhei- ten. Entlädt sich aber die aufgespeicherte Kraft, dann durchjagen Dämonen, in flammende Fetzen gehüllt, die Luft, die Erde windet sich unter den Stößen der Blitze, heulend zerschlägt sich der Gott des Meeres an Fels und Klippe die zot- telige Brust. „Was Ist?” frägt Brigitte verwundert und blickt nun auch zum verdüsterten Himmel auf. „Poseidon ist von seinem Schläfchen er- wacht” sage ich und raffe meine Farben zusam- men. „Nun springt er gröhlend in das Meer. Seine blanken Schultern triefen von Algen, das schwarze Gekräusel seines Bartes ist mit Schnecken ver- klebt — heioh — heloh — schon schmettern die Muschelhörner der Tritonen, schon gräbt sich der Dreizack in den felsigen Grund! „Was sollen wir tun?” frägt Brigitte und erstaunt vernehme ich die Stimme eines verängstigten Kindes. Artemis? Göttliche Jägerin? Wo ist dein kühner Schritt, die gestraffte Kraft deiner Beine? — Bündel von Blit- zen zucken aus zerfransten Wolkenballen, der Sturm peitscht klumpigen Regen durch die engen, verfallenen Gassen. Ich ergreife die Erstarrte am Arm, geleite sie unter eine schützende Beda- chung. Hier sitzt sie auf einem Mauerbrocken, blickt schweigend vor sich hin. — Immer weiter hat sich der Dreizack durch die Bucht in das offene Meer gewühlt. Dort flockt die schöäumende Gischt aus tiefen Furchen über das zu Wie sollich Pfeilring Haut-Creme verwenden? Die Schönheitspflege muß heute zurückstehen. Jetzt muß man Pfeilring-Haut- Creme sparsam einteilen, damit sie dann zur Hand ist, wenn sie am notwen- digsten gebraucht wird: Für das Jüngste, um seine zarte Haut zu schützen, für die Mutter, um die von der Arbeit spröde oder rissig gewordenen Hände wieder glatt und ge schmeidig zu machen, IE Fü jede Has di Se er Aber nl treten ervendes ATeelöfet vol gnägs! Keine Sorge wenn einmol Comelia nicht über- ist. Es handelt sich nur rübergehende Störung, Juktion von Domen- binden ist nicht etwa. sondern noch ge all zu habeı Denken Sie daran. wieviele Krankheiten mit Hilfe von BAYER- Arzneimitteln geheilt wurden, wieviele Lei- den gelindert! SEIT 35 JAHREN Cap > |DARMOL-WERK DrAsLSCHMIDGALL ERHOHTE LEISTUNG UND LÄNGERE LEBENSDAUER ı. Nicht ie Mange, du Güte entscheidet j= _Emweka” ‚die transportable ‚Antenne, ohne Noel an jedes Minute anbringber bringt laut Keine Hochantenne erforderlich. Über 10.000 {m Gebrauch, Anerkennungen aus allen Gauen. RM. 4.65, Nachn. 50 Pig. mehr, Pros Gut hören, richtig verstehen! Dieser Wunsch wird Schwerhörigen erfüllt durch den ärztlich anerkannten „Original-Akustik“ der sich durch klarste Sprachwiedergabe oiesoernbähiien naar auszeichnet. 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Mit kühlem Händedruck ver- abschleden wir uns. — — Weinlaub rankt sich um die vermorschenden Säu- len der kleinen Loggia, tief unten ruht, vom Kup- fer der Abendsonne zart Überhaucht, das Meer. Wir sitzen bei einem Mahl, das Erde und See freigebig spenden, der Rubin des Chianti funkelt durch altertümliche Kelche. Bei Brigitte deutet nichts auf die Erregung des Tages. Die marmorne Ruhe unnahbarer Gottheit lagert wieder auf der edien Wölbung der Stimme, auf den sanft ge- schwungenen, schweigsamen Lippen. Ich muß mit Freude an Toni’s niederen Hirnkasten, an Ihre breiten Backenknochen, ihr aufgefärbtes, nußgro- Bes Mäulchen denken. Nun Ja, später — später — es ist noch Zeit! — Nun breitet sich Veilchen- bläue über die Bucht, flimmert an der hohen Kup- pel des Himmels der erste Stern. Rasch sinkt die Nacht auf Stadt und Meer. Kein Hauch kräuselt das steile Licht der Kerze, Ihr Schein wirkt ein goldenes Neiz über das dunkle Rankenwerk des Weinlaubes. Ein Nachtfalter mit rosig betupften Flügeln taumelt durch die Maschen. Wir sind an die Brüstung der Loggia getreten. Nun funkeln allüberall die Sterne auf, sammeln sich zu unüber- sehbaren Schwärmen und ziehen still ihre ewige Bahn. „Hören Sie nicht die Schalmei des Pan?” flüstert mir Brigitte zu. Lauschend neigt sie ihren Kopf gegen eine dunkle Ecke der Loggia. „Ich höre nichts” sage ich, „Vielleicht ist es die Gul- [0 Liebe „Rosotlont“-Benutzer | tt, 1. Zahnbürste nur wenig an- feuchten; 2. leicht über reichen; &. Dauerdose aufheben u.nur Nachfülluiück verlangen. So helfen bars Rohstoffe zu sparen, A-H-A-BERGMANN WALDREIM (SA) tarre eines Fischers.“ „Nein, es Ist ein Hirtenlied des Pan”, kommt eskaum hörbar zurück. Verwundert wende ich mich der Frau zu. Ihre Augen sind geschlossen, der Mund bebt, sie atmet tief. Ich greife nach Ihrer Hand, die sie mir willenlos überläßt. „Es ist Pan”, höre ich Brigitte nochmals flüstern, und glaube nun selbst, die lockenden. liebesseligen Weisen einer Schalmel zu verneh- men. Ein Kopf sinkt mir zu, Lippen öffnen sich. — Der Docht der Kerze ist verschwelt, schon tasten der Eos zarte Finger über das dämmerige Meer, kränzt sich der Nimbus des Morgenlichtes um das tragende Kap. „Morgen— wieder beiDir?'frageich, als wir uns verabschleden. Brigitte antwortet nicht, ihre Hand Ist kühl und widerstrebt meinem Druck. Um die Mittagszeit des nächsten Tages wird mir ein Brief überbracht: „Leben Sie wohl! Ich bin abgereist und werde nicht mehr zurückkehren. Vergessen Sie so rasch, wie Ich zu vergessen suchel Brigitte.” Ein jäher Schmerz durchfuhr mich, ein Schmerz, Mimosa beachten Sie: „Rorodont" it, k Di © Marke ‚für photographische Spitzenleistungen Briefmarken- sommler, verlangt kostenlos „HANSA-POST" &ı. schrift, Freude macht und Werte schaff Max Herbat,Markenht.,Hamburg36/813 Ankauf von Sammlungen — Oforpoorlon ( EIFRITKORI \ Fal bei AsthmauBronchilis FASIHMA:TUDDEH m Einnehmen ınfallbeseitigend - lösend « beruhigend - guter Nachtschlaf. utachtot - langlähr. erprobt + begel Überzeugen Siesich von der Wirkung + Packg. RM 1,19 In A; 'empeihof2) R Rumeyplanı Auskünfte ‚| über jedermann In jedem Ort Beobachtungen, Nachforschungen Detektei Wittlake, ge\ Hamburg 3/30, Colon: . Anerkennung: schreibe man an Hersteller Befreien Sie sich von - Hühneraugen 7 und Hornhaut! MULCUTO DIAMON Aueinchneider/ Normalschn Honsehiisemane = tkerbe Nr. 3 D.R.P. zur mühe- en Unterscheidung beider Schneiden oeı 30jähr. Raslerproblam "000% a "gelöst! 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Damals glaubte ich es, und es war mir, als hätte ich in wenigen Stunden das Kostbarste gefunden und wieder verloren, was mir das leben zu geben hatte, Heute denke ich wesentlich kühler über den Fall und sage mir: Brigitte war eben doch das hochnäsige Frauenzimmer, wie es Schmälzle beschrieben hatte. Die göttliche Arte- mis, und ein armseliger Schwabinger Malerl Schande — Schandel — „Wo Ist unsere schöne Olympierin?” frägt Schmälzle, als Abends Briglitens Platz in der Taverne frei bleibı. „Eine Depesche der kranken Mutter rief sie nach Hause”, lüge ich, „Sie wird nicht wiederkommen.” „Der Verlust ist schwer”, schmunzelt mein Freund, „laßt uns zum Trost eine Flasche trinken!” „So viel Ihr wollt!“ lache ich In den Kreis hinein, werfe eine Handvoll Lire- Scheine auf den Tisch und gehe LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Grat Bobby hatte Freunde zum Abendessen ein- geladen. Am Nachmittag rief sein Freund Rudi an „Bobby, machts dir was aus, wenn Ich einen gu- ten Freund mitbringe?" „Aber gar nicht! Wen willst denn mitbringen?” „Einen bekannten Aftikaforscherl Stell dir vor, et hat zehn Jahre mit Menschentressern gelebt!” Graf Bobby erschrack: „Zu dumm! Und wir haben ausgerechnet heute Fisch!“ 3.H.R. * Ich traf einen. Er sah von den Jahren recht mit- genommen aus „Wie alt sind Sie denn, Väterchen?“ fragte ich voll Mitgefühl „Bald neunzig Jahrel” „Haben Sie Kinder?” Und er: „Nein. Noch nicht.” * Zum Obermedizinalrat Dr. L. In Stuttgart kam eln Patient und sagte schlicht und gottesfürchtig: „Oh, Herr Doktor, sehet Se, ich möcht‘ halt gern amol so sterbe: Kei langs Krankelager, bloß so @ Schlägle, daß mer nix meh von sich weiß!” „Gelt Sie Schleckerl“ war die Antwort. 3.H.R. ER. Warum muß die Schürze noch drei Tage reichen? Ella soll die Schürze noch drei Tage tragen, well sie „nach nicht schmutzig genug" ist. Auch die Küchenhändtücher sollen bei Frau R. richtig dunkel sein. che sie in die Wäsche kommen. Frau R. will nänlich Wasch- pulver sparen; deshalb wäscht sie so selten. Spart sie damit aber wirklich Waschpulver? Im Gegen- teil: doppelt schmutzige Wäsche kostet nicht nur doppelt. MEDOPHARM | Arzneimittel sind treue Helfer Ihrer Gesundheitl Medopharm-Arzneimittel sind nur In Apotheken erhältlich, MEDOPHARM Pharmazeutische Präporate ‚Gesellschaft m.b.H. München 3 Köpfe & $ Bezugsauellen-Nachweis durch NAERA-GESELLSCHAFT für diätet Getränke mbH München 2BS GUSTAV Das Gütezeichen für Wunderfam ee 8 Kossack u, Ältere Kosmetik-Fabrik Düsseldorf Ein Buch für reife Menschen LIEBE UND EHE won Prol, 1. H. Schultz BUCHVERSAND HERMES Berlin-Charloitenburg 1, Postfach Sa sondern oft dreimal soviel Waschpulver. Denken Sie nur daran, wie schwer man überfettete Küchenhandtücher sau- ber bekommt — oder wie schwierig es ist, Schweiß- und Schmutzränder an Kragen und Manschetten von Oberhem- den zu entfernen. Die Schmutzstellen müssen dann stark gerieben und gekocht werden. Die Wäsche geht dadurch sehr rasch entzwei. Lassen Sie also Ihre Wäsche nicht so schmutzig werden. Wäsche hält länger und erfordert weniger Waschpulver, wenn man sie häufiger wäscht. Vor allem aber: Weichen Sie heute im Kriege gründ- licher ein! Mindestens eine ganze Nacht soll die Wäsche in BIOLAVAN ist der patentamıl. Wortschurz das eingeir. Fabrikschurzzeichen für die biologische Körperpflege Dr. Behre & Co. Bremen 11, was wir stets'zu beherzigen bitten VorbeugunggegenAn- steckung bei Erkältun- gen und Grippe. Auch diesem Ziel dient un- ablässigunsere Arbeit, BAUER «CIE SANATOGEN-WERKE Foreschrirr baur auf Fortscheiet auf Jugendlich schlanke Es ‚ohne dberriitiun elfter, : it Hilfe von lanffermin. chlant ormin bat in 4 Sahrzehn. ten jeine »ute Wirkung vewiefen. Es wird äufier- air IE eantiert unfchä ). Yro- Bode M.6.40, Dauerdoie Le MARGARETE LAUN Schöndeltepftene felt 1896 München2, Kaufingerfi.35e 11 Briefmarken- 5J]| Wolter Behrens der Einweichlösung liegen, Vor allem schwenke man die Wäsche im Einweichwasser öfter hin und her. Wenn sie besonders schmutzig ist. kann man einen Wäschestampfer zu Hilfe nchmen oder die Wäsche in der Waschmaschine kurz schlagen. Das unterstützt die Lockerung des Schmutzes und Sie kommen auch mit weniger Einweichmitteln zurecht, Nadı dem Einweichen darf man das Ausspülen in klarem Wasser nicht vergessen, Der gelöste Schmutz würde das Waschpulver ganz unnötig verbrauchen, Nehmen Sie diese kleine Mehrarbelt im Kriege mit in Kauf: sie spart Ein- weichmittel und Waschpulver und schont Ihre Wäsche, die sich heute schwerer ersetzen läßt als in Friedenszeiten. Handlung Braunfchweig Wie wird Wein zu Sekt? Zunächst werden junge und feurige Weine harmonisch mit ausgeglichenen alten Jahr- güngen gemischt, Nach langer Ruhe wird feinster Zucker KRONEN- KRAWATTEN-FABRIK Frite M.TFibke& BERLIN Ca und Reinzuchthefe zugesetzt. Der Wein beginnt zu gären Aber erst das besondere Rezept und wird zum Sekt. gibt „Wagner Privat“ die pikante Eigenart! WAGNER PRIVAT | Mochr Volksschödliane wehrlos durch EN gl = Diesa unsichtbare Watte zur sIcheren Selbstverteidigung schützt Sie vorGe- In ric Grift, und Gegne ul Erich Kahn brloflich. Für 3 Ihı td heilt Alles-Kitt Alles-Kitt mit Alubronze oder Gips oder Kreide zu einer honigdicken Masse vermengt gibt zum Behelf ein vorzügl. Dicitungsmittel für defekte Kochtöpfe usw. DIE KANINCHEN VON ERIK STOCKMARR Mein Freund Henry und ich machten in unserer grünen Jugend allerlei Narrenstreiche, über die wir uns köstlich amüsierten, Eine unserer liebsten Vergnügungen war es, an verschiedene Bekannte in Kopenhagen zu telefonieren. Einer unserer Freunde, Christian Hansen, der da- mals Jura studierte, wohnte bei einer alten Dame, Fräulein Mortensen, bei der er ein kleines Zim- mer ihrer Wohnung im vierten Stock gemietet hatte. Eines Tages, als wir wußten, daß Christian nicht zu Hause war, telefonierten wir an die alte Dame. Henry, der seine Stimme fabelhaft ver- ändern konnte, führte das Gespräch in tiefem Baß. „Hallo“, sagte er, „ich möchte gerne mit Herrn Christian Hansen sprechen.” „Herr Hansen ist leider nicht zu Hause, aber viel- leicht kann ich ihm etwas ausrichten? Hler ist Fräulein Mortensen, die Wirtin von Herrn Hansen.“ „Ach so. Ausgezeichnet! Sie sprechen mit Tisch- ler Petersen aus Hellerup. Wollen Sie, bitte, Herrn Hansen sagen, daß ich heute Vormittag komme, um den Kaninchenstall in seinem Zimmer aufzu- stellen. Um zehn Uhr bin ich da.” „Was sagen Sie? Kaninchenstall?? In meiner Woh- nung?“ „Ja. Zehn Kaninchenställe sollen wir bauen, an den Wänden entlang, und dann noch einen oben auf dem Kleiderschrank. Das wird wohl vorläufig genug sein. » „Aber Menschl Was ist das für eine Komödie? Kaninchenställe wollen Sie aufbauen? In meiner Wohnung? Und oben auf dem Kleiderschrank auch einen?" „Jawohl, in Ihrer Wohnung. Herr Hansen wohnt doch bei Ihnen, nicht wahr?” „Ja, gewiß.” „Herr Christian Hansen?” „Ja, Herr Christian Hansen.” „Gut, dann ist alles in Ordnung.” „Aber was'sind das für Kaninchen, von denen Sie reden?“ „Das weiß ich nicht bestimmt, ich glaube aber, es sind Angorakaninchen. Jedenfalls will Herr Hansen mit der Kaninchenzucht anfangen. Er hat mich beauftragt, die Ställe in seinem Zimmer schnell aufzustellen, und ich muß wissen, ob ich heute Vormittag kommen kann?” „Heute Vormittag?” rief die alte Dame erschrocken. „Ach so, das paßt Ihnen nicht, merke ich. Gut, dann komme ich heute Nachmittag. Also auf Wie- dersehn, und viel Glück mit den Kaninchen.” Eine halbe Stunde später telefonierten wir wie- der an Fräulein Mortensen. Diesmal führte ich das Gespräch, während Henry daneben stand und Tränen lachte, — „Hallo, ich möchte gerne mit Herrn Christian Hansen sprechen.” „Herr Hansen ist leider nicht zu Hause.” „Und mit wem habe ich das Vergnügen zu spre- chen?“ „Hier ist Fräulein Mortensen, die Wirtin von Herrn Hansen,” „Aha, Guten Tag Fräulein Tierhändler Petermann aus ich Herrn Hansen treffen?” „Das ist schwer zu sagen, ich glaube aber, er kommt erst heute Abend nach Hause.’ „So spät! Er hat mir gesagt, er wäre am Vormittag zu treffen. Ich soll ihm doch heute seine Kaninchen bringen. Na, das macht ja sowieso nichts, wenn ich nur in sein Zimmer hereinkommen kann.” „Was sollen Sie ihm bringen?” „Seine Kaninchen, Fräulein Mortensen; 37 Kanin- chen hat er doch bestellt. Und was für Kaninchen das sind! Prachtvolle Tiere, sage ich Ihnen, herr- liche Tierel Drei sollen sogar Junge bekommen, niedliche kleine Kaninchenjunge. Darüber werden Sie sich riesig freuen.” „Aber ich verstehe nicht..." „Ich auch nicht, denn Herr Hansen hat gesagt, Mortensen. Hier ist Söborg. Wann kann er wäre bestimmt heute vormittag zu Hause. Merkwürdig Ist das. Na, das wird schon alles ge- hen, wenn Sie nur den Schlüssel zu seinem Zim- mer haben.” „Ich? Ich habe doch keinen Schlüssel. Und übri- gens verstehe Ich überhaupt nicht... ich kann doch keine Kaninchen in meiner Wohnung haben.” „Nein, nein, Fräulein Mortensen nicht in Ihrer Wohnung, sondern im Zimmer des Herm Hansen werden wir sie installieren.” „So? Und wo denn?” „In den Ställen längs den Wänden.” „Es sind aber keine Ställe da.” „Was sagen Sie? Es sind keine Ställe da? Hat denn der Tischler sie noch nicht aufgestellt? Der verdammte Kaninchentischlerl” Fräulein Mortensen weinte ins Telefon. „Heute Nachmittag wollte er kommen... gesagt... Ach Gott im Himmel!” „Heute Nachmittag? Das Ist aber viel zu spät. Hier stehe ich mit 37 Kaninchen und kann sie nicht abliefern. Ich muß sie aber sofort los werden, denn ich brauche den Wagen für andere Transporte.” „Schrecklich ist das... schrecklichl” hat er „Ach nee. Das ist alles nicht so schlimm. Weinen Sie doch nicht, Fräulein Mortensen, wir werden die Kaninchen bis heute Abend in Ihrer Woh- nung aufheben, bis der Tischler kommt.” „In meiner Stube sollen die Tiere sein? „Ja, wo soll ich sie denn sonst unterbringen? In den Taschen kann ich doch nicht 37 Kaninchen haben und den ganzen Tag mit ihnen herumlau- ten, nee...“ „Aber lieber Herr Kaninchenmann, ich kann doch nicht...” „Aber natürlich, Fräulein Mortensen. Wir werden sie in Ihren Kleiderschrank einsperren, oder in Ihrem Schlafzimmer oder sonst irgendwo. Das ist gar nicht so schlimm. Und denken Sie einmal, wie viele schöne Sachen Sie aus der Wolle strik- ken können.” „Aber sie riechen doch, Herr Petermann.” „Ich??" „Nein, die Kaninchen.” „Ach wo. Also auf Wiedersehen, Fräulein Mor- tensen und leben Sie recht wohl. Herrliche Tiere sind das. Guten Morgen, guten Morgen!” Im Telefon erklang ein Schluchzen, als wir einhängten! DIE DOPPELTE STASI VON KARL SPRINGENSCHMID Uber das Bachleitenwiesi geht er geschwind voran, der Gefreite Michl Hollenzer, wie er es von draußen, vom Eismeer, gewohnt ist, schaut ein wenig links, schaut rechts, man kann nicht wissen! schaut achtsam voraus; denn das Ge- lände hinterm Dort ist ihm schier fremd gewor- den, so lang war er nicht mehr auf Urlaub, und führt die Seinige, die Stratzlinger Stasi, wie es in der Tundra Brauch ist, zwei Schritt hinter seiner. „Kimm, Stasi”, sagt er, „da sein mier eing’sehn!” Aber es ist alles ruhig, nichts Feindseligs rundum. Bloß der alte Hansenbichiknecht dangelt noch die Sangsee. Das Dörfl rückt hinter die Apfelbäum, bloß der Kirchturm spitzt noch drüber. Aber der sagt nichts; denn er hat schon genug Liebsleut hinterm Dorf verschwinden sehen, die siebenhundertneunund- dreißig Jahr, die er steht. Jetzt sind die Birken da und das Wegl biegt tiefer hinein in den Hollauer Wald. „So, Stasi“, sagt: der Michi hinter dem Holz, „da sein mier hiez guet in Deckung!” Die Stasi hängt sich ihm in den Arm. Aber er tut nichts mehr dergleichen. Ein Urlauber, gar einer vom Eismeer, Ist halt eln seltsamer Mensch. Jedes grüne Blatt! schaut er eigens an und zupft die roten Nagerln ab am Wegrand und horcht dem Nachtvogerl nach, der über die Lärchenwipfel fliegt, als wär er bloß wegen Wiesen, Bäum und Vögel auf Urlaub gefahren um die halbe Welt. „Wissen möcht i schun,. wia ös da am Eismeer tuet”, hebt die Stasi an, „soviel Mannerne bei- nand und koa Weiberne nit in der ganzen Gegendl” Aber der Michl hört gar nicht hin. Er loost bloß wie schön der Nachtvogel schreit drin im Holl- auer Wald. „Irgends wo mueß ja die Kraft hin”, setzt die Stasi fort, „wann ah der Bolschewik viel braucht, aber die richtige Kraft, die inwendige, die bleibt enk dö übrig!” Spitzt der Mich! bloß den Schnabel und pfeift dem Nachtvogel drein in seinen Tanz. Da fahrt die Stasi auf: „Wo tüet ös denn die ganze Mannskraft hin, oben am Eismeer, und die Liab?" „Liab?” wacht da der Michl auf, „recht hascht, Stasi. Der Mensch, und gar der Mensch oben am Eismeer, braucht was für sei LiabI!” „Na, alsdann“, meint die Stasi zufrieden. „Ja, so ischt es, Stasi: Um so armseliger die Gegend ischt, um so mehr bleibt für die Liab übrig. Wann i da oben unter Fels und Eis nit was Lebendigs hätt für mei Liab...” 12 „Was Lebendigs sagst?” „Ja, was Lebendigs, wann i nit mei Stasi hätt... „Stasi? „Ja, Stasi, grad so hoaßts wia du und liab Ischt sie, wia halt grad a Stasi liab sein kann!" Da bleibt die Stasi stehn und faßt ihn fest beim Arm. „Dös ischt ja Intressant, daß du am Eismeer ah so a Stasi hascht. Wie alt ischt sie denn nacher?'“ „Alt? Jung ischt sie, jung und sauber. So was Saubers gibt's nit wieder hinterm Polarkreis, wis mein Stasi ischt, die andere, die nördliche Stasi, moan I.” Jetzt ist es aus. Keinen Schritt geht sie mehr, die Stasi, die richtige mit so einem, der überall in der Welt, wo er hinkommt, seine Stasi hat. „Etwa bringst sie nacher gar amol hoam ins Zillertal, die ander, die vom Eismeer, die kalte, bal der Krlag aus Ischt?" „Nix liaber wia dös”, lacht der Michl, „so guet wia mier zsammpassen, mier zwoa. Dös dritt Jahr leben mier schun mitnand, ob’s stürmt oder schneibt, allweil ischt sie bei mir, die Stasi, den Tag und die Nacht...” „So, die Nacht ah?” „J8, die Nacht ah und dö gibt besser aus als die Nacht dahoam, Siebzehn Wochen dauert die Nacht am Eismeer oben...” „Du bischt Ja ganz a Schlacher, du”, schluchzt die Stasi, „slebzehn Wochen allweil mit der andern!" „Und mueß i amol auf Posten, da freu I mi die ganze Zeit, wann i wieder zu meiner Stasi kimm, ‚Stasi‘, sag I, ‚hlez bin i dal‘ und pack sie um den Hals, weil sie ja ah Stasi hoaßt wia du...“ „Urschl kannst sie hosßen von mir aus oder Trampl oder..." „Na, na, Stasi hoaßt sie. So ischt es Brauch bei uns Tragtierführer oben am Eismeer. Jeder hoaßt die Seinige so, wla die Richtige dahoam hoaßt und du hoaßt bei mir Stasil” Da erst schlagt es ein bei ihr, auf springt sie und packt ihren Urlauber um den Hals: „So Ischt die ander Stasi bloß a Gaul?” „Mei Stasi ischt nit bloß a Gaul, wia du sagst, dös ischt a Roß oder, wann du es genau wissen willst, a Mull. Aber a feins Muli, a liabs..." „A Muli”, jauchzt die Stasi, „dös kann so liab sein, als es grad will. Aber weiberne Stasi hascht bloß oane, gell?” „Bloß di”, lacht der Michi und haltet sie fest mit beiden Händen, als hätt er jetzt erst begriffen, für was er auf Urlaub gefahren war um die halbe Welt. Wohltätigkeitsfest in Washington a {Erich Schilling) w 'E [ F T — u TEE Dig a — er > a x 4; EEE je u auge -. =. 4 „Wie findest du dieses marokkanische Kostüm, Frank?‘ — „Ausgezeichnet, so gefällst du mir am besten!‘ Festa di Beneficenza a Washington: “Come trovi, Frank, questo costume maroccano?,, — “Magnifico! Cosi mi piaci di piü che in ogni altro!,, 13 AUFRUHR ÜBER GENF Einmal an einem frühen Sommermorgen führte uns der bunte Weg dieses Krieges unversehens auf die Höhe des französischen Jura und drüben halben Weges zum Genfer Seeboden so welt hinab und auch so rechtzeitig vor unser neues Quartier, daß wir alle, noch im Ablegen des Ge- pöckes begriffen, Zeugen eines ungewöhnlichen Vorganges wurden. Vordem, noch auf dem Scheitel der Paßstraße, hatte uns trocken und kalt treibender Nebel um- fangen, und auch die vielgewundene Paßstraße hinab waren die schwarzen Fichtenwände noch im dichten Nebelrauch vorübergeschwommen. Nun aber ward der grau fließende Vorhang plötz- lich von wehenden Händen aufgetan, ein heftiger weißer Glanz von unten her machte uns für lange glückselige Augenblicke blenden und dann be- griffen wir mählich das vollkommenste Landschafts- bild dieser Erde: einen im hellodernden Morgen- lichte weithin schimmernden Seespiegel, zwischen blauen Vorgebirgen und grünen Buchten und den sanftesten Halbinseln ausgebreitet und unter dem Aufstiege der Sonne fern und grünlicht sich ver- schlelernd, und Gebirge dahinter, kühn über- einander gestellt bis unter die Kuppe des höch- sten Horlzontes, im Antlitze des Morgens golden erstrahlend, In den schattigen Rücken kühl schauernd, und ein Gürtel rosenfarbener Wolken- bänder darüber, und noch einmal über diesem In einsamer unfaßbarer Hoheit, von blauschattendem Grat emporgehoben, die reine Gipfelschneide des Montblanc! Neben dem beharrte als ein liebliches Lockung - Adescamento VON WALTER PAUSE Menschenwerk die berühmte Stadt Genf, zu un- serer Rechten den Busen des ausgehenden Sees säumend, mit hellen Häuserfronten in den Morgen blickend, und als äußeres Zeichen Ihrer Friedsam- keit einen prächtig niederrauschenden Spring- brunnen vor den Toren. Betroffen standen wir vor diesem Bilde, unfähig des lauten Lobes und auch nicht mächtig, es ganz zu begreifen. Doch nicht genug damit, hob Jetzt ein Schauspiel an, das uns tiefer noch ergriff und für Stunden erschüttert und fromm auf unseren grünen Feldherrnhügel am Jurahang bannte. Un- vergeßlich für sein Leben sah ein jeder von uns diese merkwürdigen Erscheinungen: In die weite Senke zwischen unserem hohen Range und dem Hochgebirge gegenüber trieben plötzlich von rechts her um den Bug des schwarz- waldigen Jurarückens schwere düstere Wolken- züge, auf grauen Bleigründen hochgeballten regen- schweren Troß tragend. Bald füllten sie westwärts das breite französische Rhonetal aus und warfen erste dunkle Schatten auf das morgenselige Hügelland zwischen den Bergen Und achteten noch nicht des Sonnenballes, der unverzagt dem kühlen Zackenkranze des östlichen Hochgebirges entstieg. Bis zum Ufer des Sees drangen die schwarzen Kolosse vor, Immer zormiger sich ver- färbend und immer Üüppiger sich aufblasend, doch geschah noch nichts, was an eine schlimme Wendung hätte denken lassen. Kaum aber war das Seeufer erreicht und die Grenze der Eid- genossen überschritten, da fielen die feindlichen (€. Sturtzkopf) „Wissen Sie, der Mann, den Ich liebe, muß nicht reich — aber klug sein!" „Na, und wenn ich sage, daß ich noch drei Büchsen Friedens-Sardinen besitze?!“ “Badate che I" uomo ch’ io amo, non occorre sia ricco, ma Intelligent‘ "Ebbene „..se VI dico ch’ lo possiedo tuttora Ire scatole di sardine prebelliche?!,, Gewalten erbittert übereinander her und stritten in einer Schlacht ohnegleichen um den Vortritt. Die feuchten Haufen der westlichen Mächte, auch sie eines Segens gewiß und so nicht ohne Ehre und Einsatz kämpfend, stellten sich sofort in brei- teren Fronten auf und stießen dann In blindem Eifer tief auf die schwarz splegelnden und vom Entsetzen wildbewegten Wasserflächen nieder. Dergestalt suchten sie die Fluten der Sonne zu- rückzutrelben und ihnen das Vorandringen zu sperren. Der strahlende Stern im Osten aber, seines endlichen Sieges jetzt schon gewiß, dachte nicht daran, das Spiel vorzeitig aufzugeben und schäumte in einem erhöhten Glanz über das Land und die Gebirge hin. Dies verdroß die Regen- kolosse gleich so sehr, daß sich die schwersten und schwärzesten unter Ihnen nicht enthalten konnten, sich vorzeitig und wütend über dem leuchtenden Lande auszugleßen. Mit dicht nieder- setzenden Wassergüssen peltschten sie den See- spiegel auf und überschwemmten das Land, und nicht genug damit, spien sie giftige Blitze voraus und drohten entsetzlich mit grollenden rollenden Donnerschlägen. Mit solchem Ungestüm war nun freilich keine Schlacht zu gewinnen, und es sollte sich auch rasch herausstellen, daß es nur unbe- dachte Vorhuten des Westens waren, die sich hier so eifrig 'opferten. Sie wurden zunächst gründlich geschlagen und erfochten gar nichts, bald regneten sie immer schwächer und dünner hernieder und in einem waren sie nur noch strei- fige windschiefe Regenschleier, mit letzter Kraft an die Fronten geschleppt. Dahinter aber und zwischen ihnen flammten nun Bündel um Bündel der feurigsten Sonnenstrahlen auf und narrten Ihren Feind In schiliernden Regenbögen und leuchteten nur noch festlicher und feierlicher In den Tag hinein. So wäre dies alles noch ein Gewitter gewesen, einem jeden anderen über flachem Lande vergleichbar. Da wir aber auf der Höhe des nördlichen Bergzuges standen, vermochten wir die Ordnungen dieses Schlachtwesens auf eine besondere Weise zu Übersehen und zuzelten sogar teilzunehmen an den schlimmsten Wendun- gen. Denn ein äußerster Flügel der zu einem neuen Male heranströmenden Westmächte ergriff mit kalt treibenden Armen auch unseren Hügel und schob eine Haube des dichtesten Gewölkes darüber. Regenböen und wirre Schneeschauer schlugen über uns zusammen, In den Tobeln zu Selten unseres erhabenen Planes begann es zu schluchzen und rauschen, aber noch bevor wir uns abwenden konnten, durchstach ein fremder Hauch die trübe Welt und öffnete tlef unter uns eine klaffende Fuge im Gewölk: und In unwirk- lich gestelgertem Glanze, vom Scheine der milde- sten Sonne überflutet, lacht ein Stück holden Uferlandes zu uns herauf, mit blitzendem Gewäs- ser und dunkel bewaldeter Kuppe. Dann zog sich der Vorhang mit schwerer Hand wieder zu. Für eine Weile schienen nun die Wolken gesiegt zu haben und sie bliesen mit feuchten Fahnen frech gegen uns her, Aber da stellte sich abermals ein guter Wind ein und streifte die grauen Horden beiseite, und eine neue Szene des berückenden Welttheaters hub an: Das weite Land samt der guten Stadt Genf, die wir längst versoffen und verloren geglaubt hatten, lag nun wieder vor uns, frischer und blan- ker gespült von den Schauern des ersten Kamp- fes und mit dem Lächeln der kräftigsten Strahlen geziert. Während sich ein Haufen der Wolken in die breiten Täler jenseits des Sees aufgemacht hatte, verharrte ihrer eine einzige noch über dem Stadtrande, in rosiger Schwellung träumend und Vergessen suchend, vielleicht auch In Trauer wallend, denn nun begann sie leise zu regnen und ihre zarten Schleier, dem sonnigen Hinter- Vorantwortl, Schrift! alle Buchhandlunges gültig ab 15. Okt. 194 schäfte und Postanstälten entgegen jangte Einsendungen werden nur zurückgesa, Einzeinur rto beilleg ugspreise ındt, wenn Po Bestellungen nehmen nach Preisliste Nr. 7 ttüllungsort München. Das Gerücht - La vociferazione (A. Paul Weber) grunde wehrend, stellten bleiche felerliche Kulissen... Während sich dieses kindlich unkriegerlsche Ge- schöpf bald genug in Trauer verzehrte, trieben es verschlagene Banden Ihres Herkommens grau- samer denn je. Blasend und qualmend drangen sie durch die weiten Gründe über dem See, machten sich hinterhältig über die sonnigsten Matten her und scheuchten auch sonst die Sonne auf, wo sie nur anzutreffen war, Später mühten sie sich lüstern die höheren Felsen und Gletscher- becken hinauf, wohin wir sie Ja nun alle für diese Stunde verwünschten. Denn es war Sonntagmorgen und der göttlichen Drohung schien uns genug. Was aber wissen wir Ameisen von den höheren Mächten! Diese dachten ihrerseits, es sel nun ganz und gar nicht genug und schickten auf ein Neues ihre schwerlastenden Verbände um die dunkle Waldkante. In unabsehbarer Menge stie- ßen sie noch einmal hemieder auf Stadt und Land, daß die Wälder sich zitternd bogen und die Wasser des Sees In der äußersten Erregung wild und schaumig an die Ufer schlugen. Aber da verbündete sich der Wind diesmal, leichten Sinnes, wie es nun einmal seines Wesens Ist, der Sonne, vielleicht ihren nahen Sieg erahnend, kurz und gut, er stand um und blies nun plötzlich falsch und teuflisch gegen eben dieselben Wol- kenbänke an, die er selber vorhin noch wild Jjohlend und pfeifend angeführt hatte. Daß diese sich dadurch teilen und voneinander lösen muß- ten, sollte zur glänzendsten Entfaltung unseres Schauspieles führen, denn nun gab ein Jeder der Streitenden seine ganze Macht ohne Zögern her: der hoch am Mittag stehende Feuerball warf Garbe um Garbe glühender Lichtbahnen zwischen den Feind und lichtete siegreich dessen Reihen und sog an ihrer feuchten Kraft, daß man sie ver- zweifelt sich winden und da und dort schon ohn- mächtig verflüchtigen sah. Die nachsetzende Haupt- macht des Westens freilich hatte die entschel- dende Stunde begriffen und schüttete sich so- gleich mit Ubermacht aus, wo sie auch gerade stand. So regnete und goß und sprühte es dies- mal an vielen Orten zugleich auf das In Licht und Schatten zerfetzte Land herab, und da und dort, und einmal unter, ein andermal über uns tobte der Kampf in zahlreichen Gewittern. Freute man sich heimlich eines Einbruches der Sonne, wenn sie sich zwischen den düstersten Regenwänden auf ein fernes Kirchlein senkte und es In seinem lieblichen Almgarten sogleich zur heitersten NEUE LIEBE Der neue Schnee fällt auf den alten. Das freut den Fuchs: verborgen feine Spurl Und morgen? Nur Wer nicht füchfifch, wird fich darum forgen! Sich, wie's die weißen Flocken niedermeht - Und nichts von geftern fcheint zurück geblieben! Im Dunkel aber, unfichtbar, da fteht Es unterm Schnee gefchrieben. GeorgBritting 15 Farbentafel verzauberte, heilig friedsamen Schel- nes der schaurigen Unruhe trotzend, so mußte man gleich daneben um ein hellblühendes Wald- stück sorgen, das hilflos von der nassen Flut über- mannt wurde. Gegen den frühen Nachmittag hin siegten die Sonne und der Sonntag. Endlich erlahmten die Kräfte des ungestümen Angreifers aus dem Westen und bald hingen seine Nachhuten nur noch als dünne verzerrte Regenwände vor dem überall kräftig durchbrechenden Lichte. Der eben noch wild aufgerührte Seespiegel verlor seine kalkweißen Wellenkämme über dem schwarzen Lack und glättete sich In goldenen Flüssen. Uber seine Mitte gegen Evian-les-Bains zu lagerten noch letzte Fetzen Wolken, gleich weißen zer- rissenen Schleiern, oder wie Segel ohne Wind, unfähig mehr sich zu erheben. Auch das Almen- land gegenüber im tieferen Gefälle des Hoch- gebirges hatte noch für eine Zelt die Last ver sprengter Schwaden zu tragen, aber da es des herben Streites gewöhnter war als das Tlefland, so mochte es sich nicht viel daraus machen. Aus der Immer stilleren Walstatt über dem See hob sich Jetzt ein Schwall des frischesten Atems zu uns herauf, von den ersten beständigen Strahlen der Sonne süß und wohlig durchglüht, Am späteren Nachmittag, als die Sonne sich des Kampfes und aller Verschwendung müde hinter das Gebirge begeben wollte, meldeten sich die Wolken noch einmal an, aber siehe: als fromme friedliebende Schäfchen schwebten sie hoch über dem verlassenen Palaste des Völkerbundes dahin. Daran mochten die Eidgenossen ihre besondere Freude gehabt haben. Erfahrung (R. Kriosch) „Das ist das Schöne am Wintersport: er bindet sozusagen für die ganze Saison. Was man aber im Sommer so im Schwimmbad kennenlernt, hält nicht lange!" Esperienza: ‘ll bello dello sport invernale si &: che esso, per cosl dire, lega per tulta la stagione. Le conoscenze invece che si fanno In estate al nuoto, non durano a.lungo!,, 16 München, 13. Januar 1943 fenni enni 48. Jahrgang / Nummer 2 30 r g SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Dr cd u | san uQ Ir 2 = = - = : ze = „Glaube mir, Winston, der Hut paßt dir vorzüglich, du mußt dich nur allmählich daran gewöhnen, von mir geführt zu werden!" Il protettore: “Credimi, Wiston, il cappello ti sta a meraviglia; solo devi un po’ per volta abituarti ad essere guidato da me!,, Dr. Owlglaß zum 70. Geburtstag = Al Dott. Owiglaß, nel suo 70° compleanno (0. Gulbransson) — STARKES MATROSENSTÜCK VON HEINZ SCHARPF Kennen Sie die Geschichte des norwegischen Matrosen, der bei einer Theatervorstellung In Japan zum Glück nicht mehr verlor als seine Mütze? Ich hörte sie in einer Münchner Hafenschenke und sie Ist rasch erzählt. Das war damals, als die Meere noch allen Schif- ten offen standen und ein norwegischer Frachter noch nicht mit dem Kurs Meeresgrund aus einem ‚amerikanischen Hafen auslief. Da stieg eines Tages Sven Classen in Hakodate an Land. Er besichtigte die Stadt und fand sie recht hübsch an ihrem "Platze, aber als der Abend kam, wußte er nicht techt, wie er ihn verbringen sollte, Da erblickte er auf einer Anschlagsäule einen Theaterzettel: „Das Weib des Samurai”, In zehn verschiedenen Sprachen reihten sich die Titel neben der Japanisch gepinselten Schrift. Gut, dachte Sven Classen, das werde ich mir mal ansehen. Weibergeschichten sieht ein alter Fahrensmann immer gern, davon wird einem oft recht warm unter der blauen Jacke, Die Ausstattung war sehr bunt, als hätte ein Wald von Papageien darin gemausert, aber was ge- spielt wurde, davon verstand der Matrose nicht viel. Das Weib des Samurai wurde von einem Mann dargestellt, was durchaus nicht nach dem Geschmack Sven Classens, aber allgemeine Lan- dessitte war, Trotzdem’ ging der erste Akt rasch vorüber. Im zweiten schürzte sich der Knoten, doch ohne viel Tamtam und Geschrei, so daß der Matrose in seinem Schlaf nicht weiter gestört wurde. Aber im dritten kam Leben in die Bude. Da zog der Samurai wutschnaubend sein Schwert und ging auf den Drachen los, der ihm sein Weib streitig machen wollte. Der Drache spie Feuer und Schwefel, daß es nur so rauchte und die Nase kitzelte. Das Theater pfiff vor Vergnügen. Aber nicht genug an dem. Mit einmal erzitterte ‘der Erdboden, zwar nicht von den sehenswerten Sprüngen des Ritters oder den wilden Schwanz- schlägen des Drachen, sondern von einem ein- setzenden Erdbeben, wie sie Japan immer wieder heimzusuchen pflegen. Mit einem ungeheuren Krach stürzte die Galerie ein, so daß der Matrose ohne weitere Aufzahlung sich plötzlich in der 18 Avromansson un ersten Parterrereihe vorfand. Nur mit Mühe konnte er aus Schutt und Verwirrung den Ausgang ge- winnen. Ohne Mütze und mit starker Schlagseite torkelte er auf sein Schiff zurück. Jahre verstrichen. Sven Classen war Inzwischen dreimal um die Welt gefahren und eines Tages landete er wieder in Hakodate. Diesmal schlen- derte er mit einem Freund durch die Straßen der Stadt, Da erblickte er ganz wie damals auf einer Anschlagsäule: „Das Weib des Samurai“, „Halt, Olaf“, blieb er stehen, „dies Stück kenne ich, das müssen wir uns ansehen,‘ Und sofort er- stand er zwei Plätze auf der Galerie, Der erste Akt ging vorüber, der Freund des Matrosen langweilte sich zu Tode, „Wart’s nur ab“, blinzelte Sven vielsagend. Der zweite Akt ging zu Ende, der Freund wollte aufbrechen. „Wart’s nur ab“, hlelt ihn Sven zurück. Der Vorhang zum dritten Akt ging in die Höhe und Sven Classen wurde sichtlich unruhig. Es war alles wie damals. Der Samurai zog sein Schwert, der Drache fing an, Feuer und Schwefel zu speien, daß es nur so rauchte — Da packte der Matrose seinen Freund aufgeregt am Arm und raunte ihm zu: „Jetzt halt’ deine Mütze fest, Mensch, jetzt kommt’si” Erfahrung (8. Kiic) „Aber Frau Ameisl, der Herrenbesuch von gestern Abend war doch ganz harmlos!“ „Ausgeschlossen — bal es ein Herr bei nix als wia Hagebuttentee so lang aushalt', ist er nie nicht harmlos!‘ Esperienza: "Ma, signora Formicuccia, la visita del signore di lersera & stata affatto Ingenual,, “Escluso! — Quando un signore resiste tanto tempo soltanto con una tazza di t& di rosa canina, allora essa non & mal ingenval,, 19 Die Anti-U-Boot-Kommission brütet (Wilhelm Schulz) „Spüren Sie schon was, Herr Kollege?“ — „Den Drang habe Ich wohl, aber ich glaube, es kommt dabel nichts heraus‘ La Commissione “Antisommergibili, sta covando: “Signor collega, sentite glä qualcosa?,, — “Ne sento glä lo stImolo; ma credo che non venga fuorl nullal,, 20 DER SCHERZARTIKEL Acht Wochen alt war er, als Ich Ihn kaufte, ein kleines Kerichen mit schwarzen Flecken auf dem Rücken, einem braun und weißen Kopf und einer weißen Spitze an seinem schwarzen Schwänzchen, das er stell nach oben trug. „Stummel”, sagte Ich, als ich die weiße Schwanz- spitze sah, und so hieß er denn auch von da ab: Stummel, Er hatte einen Stammbaum mit erlauch- ten Ahnen. Seine Manieren Jedoch waren schlecht, ausgesprochen und eindeutig schlecht, ja gerade- zu ordinär, Ich nehme an, Sie verstehen, worauf ich ziele, Wann und wo er es für nötig hielt, traf er seine Entscheidungen. Ließ Wasserkünste spie- len oder betätigte sich ornamentarisch. Ich kaufte mehrere Bücher über Hundeerziehung. In allen hieß es, nur mit Geduld könne man da etwas erreichen. Nie hätte ich gedacht, daß ich so viel Geduld aufbringen, würde. Mit meiner Geduld schaffte Stummel es schließ- lich, Ja, Ich brachte es sowelt, daß er rechtzeitig beilte, wenn er das Stadtreinigungsamt in An- spruch nehmen mußte. Aus einem Hundekind wurde er ein HundeJüngling. Man konnte ihn ohne Folgen in fremde Wohnungen mitnehmen. Er hatte ja gelernt, rechtzeitig zu bellen. Immerhin, daß ich mir überhaupt einen Hund an- schaffte, war bedenklich. Ich war dreißig Jahre alt und nicht verheiratet. Viele Mütter heiratsfähiger Töchter luden mich ein zu kleineren und größe- ten Gesellschaften, auch zu ganz kleinen und In- timen. Ich hatte einige Vorzüge, die mich in den Augen dieser Mütter angenehm machten. Ich war sollde. Und ich war Beamter. Aber dann schaffte ich mir den Hund an. Wenn das Bild oder der Vergleich gestattet ist, der Hund war die kalte Dusche. Er wirkte in weiten Kreisen ernüchternd. Ich wurde als hoffnungsloser Fall abgetan, Wei- tere Einladungen zum Essen oder zu, Geselligkei- ten wurden als nutzlose Verschwendung ange- sehen. Nur von Lehmkuhls wurde ich weiterhin eingeladen. Amalle Lehmkuhl. Sie war das einunddreißigjäh- tige Töchterlein der Familie Lehmkuhl. Amalie, Malchen, Malle, Amy, welch eine Fülle liebreizen- der Wortbildungen erlaubte doch dieser Name. Und so war das ganze Mädchen, Frau Lehmkuhl hatte mir des öfteren Malchens vielfache Tugen- den in direkten oder diesbezüglichen Schilderun- gen nahegebracht. „Die heutige Welt“, sagte Frau Lehmkuhl einmal, „die heutige Männerwelt vornehmlich, hat leider so gar kein Verständnis mehr für die Tugend eines Jungen Mädchens. Was gilt diesen Männern schon die Unschuld? Aber Sie, lieber Freund, Sie sind anders als so viele andere, Ihnen würde ich ein unschuldiges Junges Mädchen wohl anvertrauen.” „Wirklich?“ sagte Ich und fühlte mich in keiner Weise geschmeichelt. „Nun Ja”, meinte ich, „so eine gewisse Art verruchter Unschuld oder un- schuldiger Verderbtheit, als Synthese gleichsam von..." Frau Lehmkuhl ließ mich nicht ausreden. „Sie scher- zen", sagte sie und blies die Luft heftig aus der Nase. Bel Lehmkuhls also wurde Ich auch noch eingela- den, als Stummel schon meinen Teppich fraß. Sil- vester nahte. Und Lehmkuhls gaben sich die Ehre. Amalie war nicht häßlich, wenn ich es recht über- legte. Sie war eigentlich auch besser, als ihre Mutter sie machte. Zudem ist ein Hund doch nicht die rechte Gesellschaft an langen Winterabenden. Es wurde eine nette und gemütliche Silvesterfeler. Amalie goß Blel, Leider hatte Amalie auch einen Bruder, einen kleineren Bruder, einen dreizehn: jährigen Bruder, Egon, Geschäfte für Scherzartikel haben die sinnigsten VON WERNER STELLY Dinge für Siivesterfelern. Auch überraschende. Sie kennen sicher den Tintenfieck aus schwarz glän- zender Pappe. Die Tinte läuft gerade aus der Flasche, man stürzt darauf zu, und dann ist’ es gar keine Tinte. Etwas derartig Banales hatte Egon nicht erstanden. Amalie goß Blei. Frau Lehmkuhl ging aus dem Zimmer, um nach der Bowle zu sehen. Da hörten wir einen Schrei. Amalle und ich liefen auf den Flur. Da stand Frau Lehmkuhl und starrte in eine Ecke. In der Ecke lag... Ersparen Sie mir die ge- naue Schilderung dessen, was dort lag. „Amalie, die Schaufel“, rief Frau Lehmkuhl und blies die Luft heftig aus der Nase. Amalie brachte die Schaufel. Und dann war es aus Pappe, aus brauner Pappe. Es war wirklich verblüffend ähn- lich. Egon wurde ins Bett geschickt. Trotzdem war es eine nette Silvesterfeler. Amalle und ich waren uns doch beträchtlich näher gekommen. Anderentags machte ich zur Mittagszeit Lehm- kuhls meinen Besuch, um mich noch einmal für den gelungenen Abend zu bedanken. Amalie war nicht zu Hause. Ich hatte Stummel mitgenommen. Er blieb auf dem Flur. Wir plauderten, Mir schien Kindheit des Herkules - Infanzia di Ercole 21 es, als wenn Frau Lehmkuhl von mir etwas Be- stimmtes erwarte. Da bellte Stummel, „Egon ist wirklich zu ungezogen”, sagte Frau Lehmkuhl. „Gestern diese unerfreuliche Sache und Jetzt ärgert er Ihren Hund. Egon“, rlef Frau Lehm- kuhl, „laß den Hund.“ Stummel bellte noch ein paar Mal, dann war er ruhig. „Ich möchte doch einmal nachsehen”, sagte Ich. Frau Lehmkuhl kam mit auf den Flur. In der Ecke lag genau wie am Abend vorher... Frau Lehm- kuhl bückte sich und hob die braune Pappe auf. Die braune Pappe? Ach nein, es war echt, gold- echt hätte Ich fast gesagt. Ich sah es, als sie es in der Hand hielt, Sie blies die Luft heftig aus der Nase, Wen wundert es, daß ich auch. bei Lehmkuhls nicht mehr eingeladen wurde? Nach einiger Zeit wurde Ich versetzt In der neuen Stadt lernte ich meine Frau kennen, Als ich ihr die Geschichte erzählte, und daß ich beinahe Amalie geheiratet hätte, wenn nicht der Hund,.,, da sagte 5! „Ich habe immer daran geglaubt, daß es Glück bringt, wenn man da hinein tritt.“ „Tritt ist gut”, sagte Ich, (A. Kubin) DAS MÄRCHEN VON DER SCHÖNHEIT Frau Dorette wollte wieder mal ein Märchen hören, und Regierungsrat Jullus mußte erzählen. Also: Die Schönheit ging Über die Erde, und ein Leuchten ging mit ihr. Und als der König erfuhr, daß die Schönheit im Lande sel, sandte er seine Diener mit Musik und Kränzen, und sie sollten die Schönheit nicht über die Grenze lassen, so ihnen Ihr Leben lieb wäre. Und die Kunsthistoriker soll- ten hernach die Geschichte seiner Reglerung schreiben. Die Knechte zogen aus. Aber als sie das Leuchten von ferne sahn, da huben die Kränze ein Duften an, und die Saiten klangen von selber so süß, und die Knechte meinten, sie selen auf einmal Im Paradies, und lachten und weinten. Die Sache war eben nicht ordentlich durchorganisiert, Und als sie sich an ihre dummen Schädel griffen, ging die Schönheit schon weit dahinten und ein Leuch- ten ging mit ihr, Sie traten vor den Thron mit Zittern: „Wie sah sie denn aus?“ forschte der König. „Sie glich“, platzte der Pferdejunge vom Marstall heraus, „sie glich der Liese Im Kuhstall, sie schielte auch so schön.” „Dummer Kerl‘, stieß ihn der Fourier beiseite, der auch mitgegangen war, „sie glich der Theres‘, der zweiten Tochter des Sattelmachers.” „Aber nein”, berichtete der Kammerherr, der die Leute geführt, „sie sah genau aus wie Comtesse Blondhllde, die Jüngste unter den Damen der Königin.“ „Halten zu Gnaden, sie war doch dunkel von Haar”, beschwor sein Knappe. Und der dicke Kanzler, der das alles aufzuzeich- nen hatte, begann an dem Wert der Zeugenaus- sagen zu zweifeln. ” Des Königs Jüngster Bruder stand hinter dem Thron. Der besaß kein Reich, aber aller Leute Herzen. Der hätte die Schönheit gar zu gern ge- sehen. Er hatte ein Roß, das stampfte im Stall und hieß „der Gedanke” und war gleich überall. Und er hatte eine unwiderstehliche Waffe, die hieß „Jugend”. Und als Drittes, wie es im Märchen Ist, hatte er ein Zaubermittel, womit er alle Welt be- törte, das hieß „die Vornehmheit”. So zog er aus. Er mochte eine kleine Weile geritten sein, Immer in der Richtung, die sein Roß angab (in diesem Fall war das angebracht), da kam Ihm ein Mensch entgegen, der tanzte wie toll und strich sich selbst die Fiedel dazu und sang noch obendrein. Sah ihn, fiel dem Roß um den Hals und rief, — Dem Haltigen Von Alf Bachmann Du Tor, der du von der Natur Durch Haft die Zeit zu ftehlen glaubteft Und fo, dich felbft betrügend, nur Dir felber Ruh’ und Muße raubteft. Du fühl es nicht, mie balde du Der Sklave diefer Zeit geworden: Sie wird dir graufam Zug um Zug Gericht und Maß der Seele morden. So wird durch eig'ne Unnatur Dies fchöne Leben dir zur Bürde: Vom Manne ohne Harmonie Wirkt du zum Greife ohne Würde. VON SCHLEHDORN denn Freude bei sich behalten ist menschen- unmöglich — „weißt du herzlieber Mitmensch, Ich bin der Schönheit begegnet.” — „Wie sah sie denn aus?” — „Wie sie aussah? O...” Er ver- stummte mit Jauchzenden Augen, — „Das hast du hübsch beschrieben”, sagte der Königssohn; aber der andere war schon vorüber, und die Heer- straße hatte knapp Raum für all seine Lustigkelt. Eine kleine Zeit darauf kam ein Mensch daher, der sah keinen Weg und keinen Himmel. Der Königssohn rief ihn an: „Hast du die Schönheit gesehen?” — „O Jal’’ — „Wie sah sie aus?” — „Unerreichbar schön.” — „Und wohin Ist sie ge- gangen?‘ — „Vorüber.” — Dann fielen seine Träume wieder über ihn her, noch ehe sich der Könlgssohn für die wertvolle Auskunft bedanken konnte. Der wird nun lebenslänglich Iyrische Ge- dichte machen, dachte er, und ihn schauderte, Ach ja, natürlich begegnete ihm auch ein äußerst greulicher Drache, der war ganz gelb und hieß der Neid (den Drachen gibt es im Märchen noch), und war noch gelber geworden, seit er die Schön- heit gesehen. Als der Königssohn sein Schwert zog, sagte der Drache voll schielender Angst: „Lassen Sie stecken, Königliche Hoheit, mich krie- gen Sie am wenigsten klein. Außerdem, je klei- ner ich werde umso größer werde ich, und wenn ich ganz klein bin, bin ich ganz groß. Ihr Zauber- mittel ist für mich nur ein Reizmittel... Und was die Schönheit angeht: ihre Fehler hat die sicher auch, wenn man sie genauer kennt.” Der Königssohn riit weiter... „Entschuldige”, unterbrach Frau Dorette, „hat er. denn nun die Schönheit gefunden oder nicht?” „Tja“ erwiderte Jullus, „man sagt, er sel ihr be- gegnet. Aber er sprach später nicht davon. Denn es war damals eine romantische Zeit und sehr diskret. Das Roß ‚Gedanke’ ist noch heute neben ande- ten Pferdekräften in der Industrie tätig. Die un- widerstehliche Waffe Jugend’ ist umgeschmie- det durch die Generationen von Hand zu Hand gegangen, Und an der Massenherstellung des Zaubermittels arbeitet die Chemie fieberhaft.” „Weiter“, sagte Frau Dorette. * Ein paar Jahrhunderte später hieß es wieder, die Schönheit ginge durchs Land. Begreiflicherweise wollte man sie halten. Und der Bürgermeister selbst nahm die Sache In die Hand, Man schrieb ihr also einen Brief: „An Frau / Fräulein / Firma Schönheit, Hotel Für- stenhof. Portopflichtige Dienstsachel — Sie wer- den gebeten, in wichtiger Angelegenheit bei dem Herrm Bürgermeister vorzusprechen.”“ Der versammelte nachher den Rat in demselben dunkelgetäfelten Raum und gestand mit Stolz: „Ja, Ich habe ihr — die ganze Stadt geschenkt.” „Sie sind wohl irr-“, fuhr eln Ratsherr auf, „-tümlich zu einer falschen Auslegung Ihrer Kompetenzen gelangt?!” Aber der Stadtsyndikus beruhigte ihn: Schenkung von Immobilien hätte der Beurkundung bedurft, und der Bürgermeister obendrein der Zu- stimmung des Rats. — Die Schönheit ist auch später nicht auf die Sache zurückgekommen. — Pfitfiger glaubte sich ein Kreissekretär, der den Landrat vertrat. Er ließ sie kommen: „Haben Sie überhaupt einen Wandergewerbeschein?” Nachher sagte er zu seiner Frau, er hätte ge- dacht, schöne Frauen, die so in der Gegend her- umzögen, wären doch bestenfalls beim Variete. — Nun kam das Finanzamt. Uns entgeht keiner, sag- ten die. Vielleicht hat sie doppelten steuerlichen Wohnsitz, oder sie ist Steuerausländerin oder vielleicht noch gar nicht veranlagt... Sie wurde zu 11 Uhr bestellt. Um die gleiche Stunde kamen Hunderte, die wollten Steuern voraus bezahlen. Einer sogar für 5 Quartale. Die Schönheit erschien 22 zwar, aber angesichts der Akten, der Steuertarlfe und der unendlichen Ausführungsbestimmungen dazu, verlor sie den Mut zu sich selber und zer- rann... Und nachher saß ein altes Fräulein da, mit Schmuck behängt, und hieß Puwelka, und sie wäre zu 11 Uhr bestellt. Auch bei der Fremdenpolizei fehlten die Vor- gänge. Einen Personalausweis ließ sie sich auf Erfordern ausstellen: Größe; mittel. Nase: gewöhnlich. Besondere Kennzeichen: keine. „Nanu, keine? Die Schönheit?” fragte man den aufnehmenden Beamten, — „| wo’, sagte der, „besondere Kennzeichen sind Muttermal, Wasser- kopf, Kropf und so was Reelles.” — Nun behaupteten die Künstler, für die Schönhelt zuständig zu sein. Dichter hatten sie von ferne gesehen. Aber sie äußerten sich unklar. — Die Maler erklärten sie für ein noch nie dagewesenes Sujet. Nur ein Vertreter der realistischen Richtung meinte: „Ich kann mir nicht helfen, ich finde die Schönheit einfach häßlich.” — Und ein märchen- haft eleganter Filmstar sagte verärgert: „Nun Ja, schön war sie, und eine Frau war sie auch, also alles da, aber gar nicht beachtet hat sie mich. Die ist anscheinend nie in größeren Filmen ge- wesen.” — Aber die alten Klatschen, die für alles zuständig sind, erzählten sich beim Kolonialwarenhändler Käsebein Schauergeschichten, was die schon für Unglück zum Nachteil junger Männer und älterer Damen, aber auch Junger Damen und älterer Her- ren angerichtet hätte. „Nee, nee, nee, mit der wollen wir nichts zu tun haben!” Und sie haben Wort gehalten bis auf den heutigen Tag. * Abends hat die Schönheit dann bei einem Ehe- paar geklingelt. Die saßen bei Tisch und sie strich Ihm die reizendsten Butterbrote und nach- her wollte sie ihm noch was Reizendes vorsin- gen oder vorlesen. „Ach“, sagte die Schönheit, als Frau Dorette ihr öffnete, „Ich bin heute soviel angesehen und aus- gefragt worden. Ich brauche kein Bett und kein Gedeck —, darf ich nicht hierbleiben?“ Sie sarık auf einen Sessel und legte etwas Rouge auf... Und wenn sie nicht vergangen ist, Ist sie heute noch da — so schloß Reglerungsrat Jullus dies- mal sein Märchen, — aber du darfst es keinem weitersagen. An eine tote Pappel Von Erich Veidl (im Felde) Der letste Winter hat Dein Mark erftarrt, Vergebens rechft zur Sonne Du die kahlen Afte, Der kalte Tod, er blieb Dir nicht erfpart - Nur düftre Krähen fuchen Dich ale Gäfte. Bald mwirft Du umgelegt und klein gefpalten, Nimmft knifternd Abfchied von der Welt; Man könnt’ Dein Schichfal für recht traurig halten Und meinen, daß für unerfüllt man's hält. Jedoch, ich möcht es gerne leiden: Du haft gesrünt, geblüht und warft geliebt. Und ohne Zieifel I da zu beneiden, Der nach dem Tode anderen noch Wärme gibt. Aussichtslos (X. Holligenstaedt) „Ist es deinem Mann noch nicht aufgefallen, wie schmal du geworden bist?‘ „Wenn der nach Hause kommt, liege ich ja meist schon im Bett!‘ Senza speranza: “Non s’& ancora accorto tuo marito che sei divenuta sl affilata?,, — "Quando egli rincasa, io giaccio per lo plü gla & lettol,, 23 HOPPE IST GENERALDIREKTOR VON BRUNO Als der Oberverwalter Riepl aus dem Büro nach Hause kam, zog er nach seiner Gewohnheit so- fort die Schuhe aus und nahm die gestickten Hausschuhe mit dem sinnigen Blumenmuster: Ver- gißmeinnicht, Dann setzte er sich auf das rote Sofa und seufzte. Seine Frau, die Im Nebenzim- mer bügelte, hörte den Seufzer wohl, beantwor- tete Ihn aber nur mit einem ärgerlichen: „Ah wasl' Sie wußte genau, daß ihr Mann nur seufzte, um zu beweisen, wie überanstrengt er sel. Sie hatte aber vor dem bißchen Büro nicht die mindeste Hochachtung, Er hatte ab fünf Uhr nichts mehr zu leisten. Ihre Arbeitszeit dauerte aber bis tief in die Nacht. Er hatte die Aussicht nach Zu- rücklegung der vollen Dienstzeit ein arbeitsloses Penslonistendasein zu führen, während ihre Dienst- zeit so lange dauerte wie das Leben. Sie hatte nicht einmal Zeit, zu seufzen. Als sie die Wäsche fertiggebügelt hatte, kam sie Ins Zimmer und setzte sich nieder. Eine Weile schwiegen sie beide. Dann aber gerieten sie aus Gewohnheit von selbst ins Gespräch. „Hoppe ist Generaldirektor geworden”, Herr Riepl. — „Wer?” „Hoppe, mein ehemaliger Kollege, der manchmal mit uns Ausflüge machte, als wir noch nicht ver- heiratet waren. Er ist dann später zur Industrie übergetreten, und Jetzt ist er Generaldirektor. In der Zeitung steht es.” „Generaldirektor?” Frau Riepl sank langsam in dem Stuhl zurück und starrte vor sich hin, Er be- merkte es nicht und fuhr fort: „Ja, wer hätte das gedacht? Er war, weiß Gott, kein Kirchenlicht. Und er war der Bequemste von uns allen, um nicht zu sagen, der Faulste. Schon um halb drel begann er, sich die Hände zu sagte Schwierige Verständigung - Difficile accordo WOLFGANG waschen, die Nägel zu putzen und auf die Uhr zu sehen. Und dabei war er so klein und unan- sehnlich, eigentlich häßlich, muß ich schon sagen... aber was hast du, Emilie?” Frau Riepl saß mit leicht geröteten Wangen selt- sam versunken da und murmelte: „Ach Gott... nein... wer das geahnt hätte... wenn ich be- denke...” „Was bedenkst du?” „Daß ich jetzt Generaldirektorin sein könnte.” „Du?” „Ja. Es hätte mich nur ein Wort gekostet. Hoppe war schon vor dir mein Verehrer. Ich hätte nur mit dem kleinen Finger zu winken gebraucht. Es ist zum Verzweifeln. Hättest du mir lieber nichts erzählt!” „Du hättest dich ja lächerlich gemacht. Er Ist um einen Kopf kleiner als du.” „Ach was, bei einem Generaldirektor kommt es auf einen Kopf mehr oder weniger nicht an.” „Und seine Häßlichkeit...“ „Laß gut sein, so schön wie andere war er auch. Wo ist er denn Generaldirektor?" „In Konstentinopel.” „Auch das noch! Und wie viel Gehalt kann er haben?” Herrn Riepl ärgerten diese Fragen sehr, und da er das Feuer nicht löschen konnte, beschloß er, wenigstens Ol hinein zu gießen. Er sagte: „Nach unserem Geld mindestens Dreißigtausend." „Im Jahr?” „Nein. Im Monat, selbstverständlich.” „Mein Gott das ist etwas anderes als dein Jam- mergehalt.” „Nun habe ich es aber bald satt. Du glaubst doch nicht Im Ernst, daß er nur einen Augenblick dar- IF. Bloyer) „Bal i jetzt nur wüßt", was auf Russisch ‚Du Himmihergottsakramentsgoaß, du traurige‘ hoaß'n tat! I" “Se mai sapesi adesso come si dice in ruso: ‘Cha Dio Hi mandi un aceidente, schifosa d' una capra... 24 an gedacht hat, dich zu heiraten?“ „Nicht? Also da kann ich dich beruhigen. Ich war mit Ihm verlobt. Glaubst du es Jetzt?” „Das sagst du mir ein wenig spät. Hättest du mir das rechtzeitig mitgeteilt, hätte ich gewiß ver- zichtet. Übrigens wird es mit der Verlobung nicht so gefährlich gewesen sein.” „Nicht gefährlich? Ist es vielleicht keine Ver- lobung, wenn man Ringe wechselt und sich Ge- schenke gibt? Erst als ich ihm deinetwegen den Laufpaß gab, tauschten wir die Geschenke wie- der aus. Ich gab Ihm ein Armband und eine Halskette zurück, und von ihm bekam ich ein Paar Hausschuhe zurück, die ich ihm gestickt hatte. Und wenn du es noch immer nicht glaubst: es sind gerade diese Hausschuhe, die du eben an hast und die Uhrkette, die da an deiner Westentasche hängt.” Das war zu viel. Herr Riepl streifte die Haus- schuhe mit einer Gebärde des Abscheues von den Füßen und warf die Uhrkette auf den Tisch. Dann zog er sich in sein Zimmer zurück, Das Leben war mit einemmale anders geworden. Er ging nun öfters ins Kaffeehaus und kleidete sich sorgfältiger, als wäre er wieder Junggeselle. Seine häusliche Stellung war in Ihren Grundfesten erschüttert, In der ganzen Haltung seiner Frau lag etwas aufreizend Vorwurfsvolles. Sie hatte sich in eine Art Generaldirektorswitwe verwan- delt. Unablässig kreiste ihre Phantasie um den Generaldirektor, an dem sie Immer neue gute Eigenschaften entdeckte, Herr Hoppe In Konstan- tinopel entwickelte sich allmählich zu einem regel- rechten Nebenbuhler, zu einem Hausfreund, der gefährlicher war als ein wirklicher, weil er un- ängreifbar blieb wie ein Gespenst. Eine dauernde Entfremdung der beiden Ehegatten wäre vielleicht unvermeidlich geworden, wenn nicht Herr Riepl eines Tages nach Hause gekom- men wäre und mit eigenartiger Betonung gesagt hätte: „Ich habe heute Hoppe getroffen.” Frau Riepl mußte sich niedersetzen: „Hoppe?... Ihn selbst? ...“ ‚Ja, Ihn selbst.” „Du hast mit ihm gesprochen? Hat er das Auto halten lassen?” „Gesprochen, Ja. Aber das Auto hat er nicht hal- ten lassen. Er war zu Fuß.“ „Hast du ihn eingeladen? Ach Gott, wir sind so schlecht eingerichtet. An der Zuckerdose ist der Rand abgeschlagen...” „Tut nichts“ erwiderte Herr Riepl gütig, „Hoppe hat viel Verständnis für Schäbigkeit.” „Was hat er gesagt? Hat er nach mir gefragt?" Herr Riepl genoß mit tiefer Befriedigung ihre Auf- regung, dann sagte er langsam und ließ jedes Wort auf der Zunge zergehen wie türkischen Honig: „Er hat mich angepumpt.” „Was sagst du?" „Ja, er hat mich um drei Mark gebeten, und Ich habe sie Ihm gegeben.” „Entsetzlich. Ist er nicht mehr Generaldirektor?" „Er war es nie. Uns ist ein kleiner Irrtum unter- laufen. Generaldirektor ist sein Vetter gleichen Namens. Er selbst Ist ein kleiner Beamter bei einer Speditionsfirma gewesen. Jetzt Ist er ab- gebaut. Wenn du willst, daß Ich ihn einlade...” Frau Riepl verzichtete und schwieg den Rest die- des Tages. Und nun wurde der arme Hoppe auch in ihrer Seele von seinem luftigen Gene- raldirektorsposten abgebaut, Sie fand nun, daß er doch recht klein und unansehnlich gewesen sei. Von einer ernstlichen Verlobung konnte nie die Rede sein. „Denn wir beide waren doch nun ein- mal für einander bestimmt”, sagte sie voll Über- zeugung zu ihrem Manne. Es war ein großer Sieg, Herr Riepl fühlte sich wieder als Herr des Hauses, geliebt und nach Verdienst geschätzt. Nach einiger Zeit trug er wieder die Uhrkette und noch etwas später auch die gestickten Hausschuhe. Er trug sle sogar mit einem gewissen Stolz, wie ein Ritter, der sich nichts vergibt, wenn er die Rüstung des über- wundenen Feindes anlegt. S S S S = = E & S Ss S S S S S S S S S S S S S S S S S < S S S Ss S s Dirndi-, Trachten-, Dekorations-, Bezugs-Stoffe PN 1a genügt! ı Eine dünne Schicht Aadikleca -Zahnpasta 2) reicht aus, die Zähne gut zu pflegen. Also 5 nicht unbekümmert viel nehmen. Immer denken: Die Hälfte genügt auch! ULLA AKA ‚Aus eigener Erzeugung Bäuerlicher Hausrat München an der Hauptpost, Residenzstraße 3, Tetefon 24305 MDDIDIDDDM EITTLLLALLRELLERERLERRLALLLFLZ S Auf alle kleinen Wunden gehört sofort ein Backpulver wird 3. E, unnöfig viel verbraudt, weil die Hausfrauen mehr nehmen Wundpflaster, dann heilen sie meist von selbst. Mit Bißwunden und Verletzungen, die durch Gartenerde oder Pferdedung verunreinigt sind, geht man nach Anlegung eines Traumaplast-Notverbandes besser zum Arzt! v Manches RUHMESBLATT in der Geschichte der Me- dizin gehört den BAYER- ‚Arzneimitleln. Viele früher als im Rezept vorgefdhrieben. Das Üit falfdh! €s fehlt dann nur wor anders, Derlaffen Sie fidh ruhig auf Biertischstrategen wissen ebenso alles besser, wie jene Patienten, die dem Arzt Behandlung und Medizin vor- schreiben. Sie machen sich ebenso lächerlich. TrEBoN — ein Gebot der Stundel die „Zeitgemähen Rezepte” mit oO Rn Ücdker- Barkpulver,Backin! 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Sein Sinnen und Trachten schwillt von Minute zu Minute, Nachdem er angestrengt gegrübelt hat ver- schwindet er, sucht den Schaffner und fragt: „Verzeihungl Ist das der Zug nach Drontheim?” „Jawohll” erwidert der Schaffner und fährt fort, die Karten zu prüfen. Nagel weicht ihm nicht von der Pelle. „Verzeihungl!” beginnt er nach einer Weile. „Ist das der Zug nach Drontheim?” „Jawohll” entgegnet der Schaffner und faßt den lästigen Menschen scharf ins Auge. Hausfrau - was fehlt hier? geht die Hausfrau im Lauf des Morgens an den W Bitte, schen Sie sich dieses Bild an. Die Wäsche wandert nach dem Einweichen direkt in den Waschkessel. Das Ist In vielen Haushaltungen so. Aber es fehlt etwas dazwischen. Können Sie raten. was cs Ist? Das ist es: die Wäsche sollte nach dem Einweichen erst in klarem Wasser geschwenkt oder durchgestampft werden damit der beim Einweichen gelockerte Schmutz die Wasch- laug& nicht ganz unnötigerweise verbraucht. UND DAS SIEBENECK @ SIND WELTMARKEN FOR hinter denen eine mehr als 30jähr.wissenschaftliche und praktische Erfahrung steht. MERZ & CO, CHEM. FABR. FRANKFURT A.M. Warum SS} „diese Anstrengung! Diese unsichtbare Wale zur sIche Solbstvertoldigung fahr) Ein richtiger Griff, und stärkste Gegner Ist, wehrlog] L zu f Kursgeld aufgorechni tden) er halten Sie den illustt Prospekt vor H. Zickert, München 22. Postt 12:d! DochmachDirklar, KHASANA KOSMETISCHE WELTMARKEN Zwei Minuten später fragt Nagel zum drittenmal. Der Schaffner murmelt etwas in seinen Bart. Un mittelbar darauf erkundigt sich Nagel zum vierten Male, wartet die Antwort gar nicht erst ab, son- dern setzt sich neben den dicken Carlsen und entrüstet sich über die Unhöflichkelt der norwe- gischen Beamten. Der Personalchef widerspricht Nagel besteht auf seiner Behauptung. Der Personalchef geht in den Saft, „Machen wir die Probe aufs Exempell” schlägt Nagel vor. „Ausnahmen gibt es nicht. Auch unser Schaffner Ist bestimmt ein Flaps.” „Er wird zuvorkommend sein sämtliche „Da wie Schaffner“, ereifert sich der Personalchet, wette Ich Kopf und Kragen.” „Wollen wir nicht lieber um die Gans wetten?” „Einverstanden!” Sache sicher Ist. bestätigt Carlsen, der seiner Heute im Kriege gcht es darum, Einweichmittel und Waschpulver sorgfältig einzutellen. Daran sollten Sie schon beim Gebrauch der Wäsche denken. Also gar nicht soviel Wäsche erst schmutzig machen. Da sind z. B. die Geschirr- und Küchenhandtücher. Bein Waschen machen sie mit ihrem fertigen Schmutz die meiste Arbeit. Müssen sie aber so schmutzig werden? Oft wird das Geschirr im Aufwasch- wasser noch nicht so richtig sauber. Fett- und Speiserestchen werden dann einfach am Tuch abgeputzt. Heißes Nachspül- wasser würde die Tücher sauberhalten. ja sogar ganz ein- sparep. denn das heiß nachgespülte Geschirr trocknet von selbst an der Luft. Und die Küchenhandtücher? Wie oft sammier, verlangt kostenlos die 0 Eine Werbe: „HANSA-POST" 4” schritt, die Freude machı und Werte schafft Max Horbst,Markenhr.,Hamburg36/813 Ankauf von Sammlungen KRONEN- KRAWATTEN-FABRIK | Hritz M. Tibkeg | BERLIN Ca Sie sind wieder auf Draht .... ek mı Lezithin-Silber|| machen. Bei Nervosität, Überan- strengung bestens bewährt. Eine Nervennahrung1.Ranges. Packung 250 Stck. RM. 4. inkl.Nachnahme. Werner Hedeibarth, Drogen, Merseburg a. $. | Beieel PAULST! Stottern, Sprechangst beseltig! naturgemäß CARL MOSER, München 5 Fraunhofl Auskunft gegen Porio . ..3'Köpfe } Das Gütezeichen für Wunderfam ee ®& Kossack d. Ältere Kosmetik-Fabrik Düsseldorf Der Schaffner betritt das Abtell. „Verzeihung!” sagt Nagel „Ist das der Zug nach Drontheim?” „Rutschen Sie mir den Buckel langl’ faucht der Schaffner und knallt die Tür zu. Und Nagel bekam die Gans. Hans Reimann Schwank-Autoren Schwänke schreibt man selten allein. Kürzlich kam einer zu mir, „Meister, wollen wir einen Schwank zusammen schreiben?” „Haben Sie eine Idee?” „Eine fabelhafte, funkelnagelneue Ideel” „Erzählen Siel” — Er erzählte. Nach zehn Minuten unterbrach Ich ihn. „Das ist haargenau der Schwank, den Ich soeben = haho, um die angeschmutzten Hände zu reinigen. Das muß schnell gehen. Sie läßt flüchtig Wasser darüberlaufen, braucht vielleicht aucı etwas Seife und — putzt den nun losen, aber nicht ‚abgespülten Schmutz mitsamt der Seife ans Tuch. Beim Wäschewaschen muß sie dann viel Wasch- pulver aufwenden, um den Schmutz wicder aus dem Hand- tuch zu bekommen. Vielleicht fallen Ihnen noch mehr solcher „Gewohnhelts- sünden“ ein. Achten Sie einmal darauf. Sie werden er- staunt sein, wie der große Wäscheberg zusammenschrumpft und wieviel welter Einweich- und Waschmitte! reichen. Für Ihren Füllhalter: ‚schwarz und farbig GERA » GEGR.1EN? Mandel beschrhak heferbar. Schon wenig Wind wirken viel rade 9 BeiBedart nur 1 Tablette & Gummiwaren weltruf Auch Öllocak Ist heute rar Drum bitte spar‘ Mit Helfmitteln fol man immer fparfam fein — und beute erit recht. Mfo nicht m ehr nehmen und nidt Oft Er , als €8 bie Woridhrilt verlangt! Bor allem aber; DicliG nuc bana; wenn es unbebingt mot tut. br Das gilt auch für Wenn alle bieß ernflich bedenten, befommt jeder@itphod« ealin, ber ed braudıt, Cari Bühler, Konstanz, Fabrik der pharm. Präpa- rate Silphoscalin und Thyllal, beendet habe!” rief ich. Er starrte mich an. „Wirklich? „Wie traurig!” „Mein Pech!” So sagte er und ging seiner Wege Aber er kam wieder. „Ich habe einen neuen Originaleinfalll” „Erzählen Siel" — Er erzählte. Und wiederum, diesmal schon nach fünf Minuten, stoppte ich ab, „Um Gottes willen! Diesen Stoff habe ich ja ge- rade als Film begonnen!” „Tatsache?“ „Ich kann Ihnen das Manuskript zeigen.” „Schadel Schadel” „Was für ein trauriger Zufalll‘” Er reichte mir resigniert die Hand. „Ich sehe schon, aus uns beiden wird nichts“, sagte er, „wir haben anscheinend dieselben Quel len und die gleichen Bücher daheim.“ Rösler LIEBER SIMPLICISSIMUS (0, Nückel) Johannes wollte abends ausgehen. Johannes suchte seine schwarzen Strümpfe, Verzweifelt wühlte er in der Kommode, „O Kitiyl Kitty” „Wo fehlt es, Johannes?” ein Paar ganze Strümpfel” „Du Üübertreibstl” „Alle haben ein Loch!” Kitty trällerte: „Verlaß dich auf mich, Johannesl’ „Du willst sie stopfen?” „Nein. Aber dir einen guten Rat geben.” „Einen Rat?" „Ja. Zieh zwei Paar übereinander. Die Löcher sind an verschiedenen Stellen!” ).H.R. * Ich saß im Wiener Werkel. Auf der Bühne saß Rosel Dorena als nacktes Weib In der Badewanne. Wir sahen nur Ihre herrlichen Arme und Ihre mar- mornen Schultern. Der hohe Rand der Wanne verdeckte uns Im Parkett die angenehmen Bel- lagen des Lebens. Neben mir am Tisch saßen zwei Fronturlauber. Und Ich hörte, wie der eine den andern anstieß und knurrte: . „Siehst jetzt ein, wie dumm wir waren, uns hier unten hin zu setzen? Oben auf dem Rang müßte man jetzt sitzen, nachher wärs richtig für unser Geldl” 2.H.R. CREME ar Bezugsquellen-Nachweis durch NAERA-GESELLSCHAFT 7° für diätet Getränkemb.H £ München 2B5 BRILLANTEN SILBER 2%... raus MUNCHEN STRASSE IO ‚Ank-Nr. ©. 40/1215 Größer werden ‚th ‚auch Erwachene) 9, 10, une zum 11 cm Erfolg wurden gemeldeı marke Ärztl, bearbeit. Auftrieb". Methode RM 2,85. Ausführliche: Pro ıpekı diikrei und kostenlor Fa. 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Nach dem mod. „A-O-BE“-Verfahren können, Sie ohne 'remde Hilfe ‚diese Korrektur In tünt Minuten vollkommen unauffällig an sich selbst vornehmen Prospekte kosienlos von fa A-0-BE, Essen 108, Schliedl. 327 Die Versorgung mit Damenbinden Ist nach wie vor gesichert, Denken Sie bitte daran, doß nur vorübergehende Schwierigkeiten daran schuld sein können, 1zdem einmal Comelio nicht überall erhalten. &@- Bass et Klingen sparen, nicht verschwenden- also oft Sonnal verwenden! heilt Alles-Kitt Alles-Kitt mit Alabronse oderGipsoder Kreide zo einer honigdicken Masse yermengt gibt zum Behell ein vorzögl. Dichtungsmittel für defekte Koctöpfe ur. „ICH DANKE DIR - MARTINA...“ Der Mann, der gestern gestorben ist, hieß Kaspar. Warum eigentlich, weiß niemand; vielleicht hatte seine Mutter gedacht, es sei ein besonders schö- ner Name, Jedenfalls, indem er auf die Welt kam, eignete sich Kaspar diesen Namen zu und trug ihn sein ganzes Leben mit sich herum, dankbar dem Schöpfer, der ihn erschaffen und seiner Mut- ter, die auch dazu beigetragen hatte. Kaspar be- schritt den Weg ins Leben mit so krummen Bel- nen, daß alle Gevattern sagten: „Es wäre ein Wunder, wenn die Jemals gerade würden.” Und seine Mutter: „Aber Ja, so krumm sind sie doch nicht.“ Die Gevattern: „Wie ein Dackel sieht er aus," Trotzdem, die Beine wurden mit der Zelt gerade — wenn auch nicht ganz — und die Mut- ter sagte: „Seht Ihr, Ich habe es doch immer ge- sagt.” Da schwiegen die Gevattern. Als es für Kaspar Zeit war, In die Schule zu ge- hen, nahm er das nicht so tragisch wie die ande- ten, er ging eben hin. Oft schlief er, eine Wange auf die Schulbank gepreßt: die Wange rötete sich, und die Bank wurde feucht von seinem Atem. Daß er lernte, dafür sorgte seine Mutter: „Zehn- mal mußt du es wiederholen, wenn du ein Wort falsch machst; man fängt beim Daumen an.” Denn sie zählte diese zehn Male an den Fingern ab. Auf solche Weise wußte Kaspar immer seine Auf- gabe. Später ging er wegen ein wenig Latein zum Pfarrer und wegen des übrigen zu Martina. Er war sechzehnjährig, als sie, er und die Martina, eines Abends Ins Gebirge mußten, um den Hirten die neue Gemeindeverordnung zu bringen. Die Hirten aber waren nicht da, sie waren höher hinauf, auf die große Alm gezogen, wo die Kä- serel war. Martina setzte sich, kaum ‚angekommen, auf eines der Hirtenlager und sagte: „Ich bin müde, weiter hinauf gehe ich nicht.” Kaspar meinte: „Da gehe Ich eben.” „Aber Ich will hier nicht allein blei- ben. Ich fürchte mich vor der Gespensterkuh mit den fünf Hörnern, die wie ein Mensch brüllt. Wir können morgen früh auf die Alm gehen.” Und sie fing an, ein Stück harten Käse zu knabbern. Kaspar setzte sich auf einen mit Schaf- fellen bedeckten Stein, von wo aus er durch das kleine Fenster ein Stückchen des sanften sternenbesäten Him- mels gewährte. Er fühlte etwas Sonderbares in sei- nem Herzen aufsteigen, und eine Angst ließ ihn er- schauern: es war nicht die Angst vor der Nacht oder der fünfhörnigen Kuh. Mar- tina sagte: „Ich schlafe auf diesem Lager und du auf dem anderen dort.” Martina, achtzehnjährig und mit sonnenfarbenen nack- ten Armen, legte Ihren kastanienbraunen Kopf aul das rohe Kissen und tat, als ob sie schlafe. Kaspar streckte sich auf die krat- zige Decke und fuhr fort, die Sterne durch das Fen- VON CIANNA ARICO sterchen zu betrachten. Drei konnte er sehen, sie zitterten: auch sein Herz zitterte und die Schlä- fen klopften ihm wild. Schweigen — und draußen mußte es frisch sein. Aber das lager war heiß von trockenem Laub und Stroh und den überein- ander geschichteten Fellen, die durch die Löcher im Dach die Sonnenglut aufgesaugt hatten. Die Sterne zitterten immer mehr. Martina fragte: „Schläfst du?“ Der Knabe antwortete nicht. Angst und Begehren preßten ihm die Kehle zusammen, er starrte das Stückchen Himmel an. Im fahlen Licht der Nacht sah Kaspar zwei nackte Arme sich ihm entgegenstrecken, und eine hauchdünne Stimme sagte: „Komm!“ Er richtete sich auf und fiel sogleich wieder zurück, die Zähne in die tauhe Decke schlagend. Kaspar sprang auf und torkelte zum anderen Lager... Am Morgen sagte er zu Martina: „Ich danke dir!" Seit jener Nacht fühlte sich Kaspar verpflichtet, zu allen Menschen gut zu sein, well Martina es zu Ihm gewesen war. Er wurde gesprächiger, streichelte die kleinen Kinder und fragte die grö- Beren, in welche Klasse sie gingen und wie sie heißen. Oh, wie schön war es, zu leben und freundlich zu sein! Dann, als einige Jahre vergan- gen waren und bevor er den Ort verließ, schenkte er Martina einen Geldschein und sagte: „Ich danke dir!" Er ging in eine Stadt und wurde Schuldiener einer Starkes Verlangen - Forte pretesa „So, Meister Petz, und nu singe uns noch recht deutlich das Lied vor: ‚Oh, wie wohl'ist mir am A-a-bend'!“ “Cosi, mastro Pelz... ed ora cantaci anche in modo assal chiaro la canzone: "Oh. come ben mi tento.n «es Ponte ra 28 höheren Schule. Und wenn die Professoren und Studenten vorübergingen, legte er die Hand an die Dienstmütze und antwortete stets: „Jawohl.” Er läutete immer zur rechten Zeit die Glocke und hielt auf Ordnung in der Schule. Und wenn er an den Kreuzungen der engen Korridore einem Leh- ter begegnete, trat er einige Schritte zurück, legte die Hand an die Mütze und bat um Ver- zeihung. Die Studentinnen beteten Ihn an, denn bevor sie das Gebäude verließen, huschten sie in seine Loge, um sich rasch zu pudern und etwas Rot aufzulegen. Kaspar tat, als bemerkte er das nicht und grüßte dann höflich. Mit einem „gnödiges Fräulein” zog er die Dienstmütze von dem einst schwarzen Schopf, der nun leicht grau schimmerte, und öff- nete das Portal. Wieviele Jahre brachte er in seiner Portlerloge zul Und Weihnachten und Ostern gab es schöne Trinkgelder, die er in ein Kästchen legte, auf dem etwas geschrieben stand. Auf der Straße machte er öllen Platz und öffnete den Damen, die mit Päckchen beladen waren, die Türen der Läden Zuweilen blieb er vor den eleganten Auslagen der Friseure stehen und bewunderte die wäch- sernen Hände und die leuchtenden, sonnenfarbe- nen Arme, die Ihn erschütterten und betrübten. An den langen Winterabenden machte er sich vor den Theatern nützlich. Er rief die Autos heran und öffnete den schönen Frauen die Wagenschläge, wofür er reichliche Trinkgelder bekam. Manchmal geschah es auch, daß er in die Höhe schaute, und wenn er die Sterne zittern sah, wurde Ihm weh ums Herz... Gestern abend, am Schluß elnerGalavorstellung,schien es Ihm, als sähe er hinter den Fenstern eines Autos zwei sonnenfarbene Arme, die sich ihm entgegen- streckten, und als hätte er eine Stimme von ir gendwoher flüstern gehört: „Komm! Wie zitterten da die Sterne! Er hatte sich getäuscht. Ingend etwas brüllte auf Ihn ein, warf ihn zu Boden. Er stürzte zwischen die Räder der Autos, neigte seinen Kopf zur Seite, als wollte er noch etwas sagen, dann strich Kaspars Seele an der sauberen Matte seines Gewissens die Füße ab und entfloh in die Ewigkeit. In dem Kästchen, auf dem ein Frauenname geschrie- ben stand, fand man neben einem nicht unbe- trächtlichen Vermögen das notariell beglaubigte Testa- ment vor, in dem er alles der Tochter des Gemeinde- dieners seines Heimatortes 0 Hegenbarth) hinterließ. Er schloß mit den Worten: „Ich danke dir, Martinal” (Berechtigte deutsche Übersetzung von Thea Weide) Sparmaßnahme in USA. (£. thönv) „Früher haben Frau Präsident für 2000 Dollar fünfzehn Minuten gesprochen, jetzt nur noch zehn!" — „Ja, ja, mein Lieber, wir müssen eben überall sparen!" Misura di risparmio negli USA.: “Prima, signora Presidentessa, Vol parlavate quindicl minutl per 2000 dollarl, adesso dieci soltantol,, — “Ah sl, mio caro: dobblamo appunto risparmlare dappertutto!,, 29 DER NEUE ANZUG VON HANS FRANCK Alle meine Kameraden — die gleichaltrigen Jun- gen des Bäckers und des Goldschmieds, des Tischlers und des Zimmermanns, des Töpfers und des Pferdehändlers, des Schusters und des Bött- chers — alle meine Kameraden tragen Anzüge, die beim Zeugkaufmann um Geld erstanden wur- den, Braun und grün und blau sind sie und hübsch gemustert. Die Hosen reichen bis zu den Fußknö- cheln hinab. Denn für Zehnjährige sind lange Hosen das unentbehrliche Zeichen der beginnen- den Männlichkeit. Meine Hosen aber sind weder lang noch kurz, Die Mutter näht sie; und zwar, da das Geld zu einer Tretmaschine nicht reichte, auf Ihrer flitzenden Handmaschine, Aber so ge- nau sie jedes Mal Maß nimmt, nach einigen Wo- chen passen meine Hosen nicht mehr, Denn Ich bin größer als alle meine gleichaltrigen Kame- taden, wachse ungebührlich und mein Vater nennt mich oft einen langen Lulatsch. So steige ich zwar wie meine Kameraden, allmorgendlich mit meinen Beinen oben in lange Hosen hinein, aber Ich als Einziger stelge Im nächsten Augenblick unten wieder hinaus. Das möchte hingehen, wenn meine Anzüge, gleich den Anzügen der Kame- raden, beim Zeugkaufmann gekauft und farbig wären, Ich aber trage Anzüge aus farblosem, dik- kem, grauem wollenem Stoff, der vom Weber geholt wird. Jeden Herbst nämlich bringt Mutters Vater, der auf einem Rittergut Schäfer ist, eine Unmenge Wolle, aus der sein Lohn besteht, zu uns. Jeden Herbst fragt Vater: Was er dafür schuldig sel? Und die Antwort lautet; „Nix, Hinnick.” Jeden Herbst fragt meine Mutter ihren Vater: Ob er einen besonderen Wunsch wegen Verwendung der Wolle habe? Und die Antwort lautet: „Han- nis sall'n nigen Antog dorvon hebb’n.” Wenn ich des andern Morgens erwache, Ist der Schäfer- Großvater längst fort: ohne seine Wolle, die in unserm Hause blieb; ohne seine zweielnhalbhun- dert Schafe, die er mit „Wasser“ allein in die Stadt zum Schlachter brachte; begleitet von dem zottigen, vierbeinigen unzertrennlichen Gefähr- ten seiner Tage und Nächte, gestützt von dem Haselstock, der — doppelt gebogen — auf der einen Seite In einen Haken zum Lämmerfan- gen ausläuft, auf der andern in eine Flöte zum „Wasserl"-Pfeifen. Großvaters Wolle wird von Mutter gewaschen, getrocknet, gewaschen, getrocknet, gewaschen, gewaschen, gezupft, gesäubert, gesponnen, ge- haspelt und zum Weber gebracht. Der macht Warp daraus: dickes, kratzendes, breitern. graues Tuch. Das tauscht Mutter ein gegen weiße Leinenbolzen für Tischwäsche und Bettzeug, ge- gen Köper für Vorhänge und Säcke, gegen blau- gestreiftes Halbleinen für Vaters sommerliche Arbeitskittel, Aus dem Großvater-Warp werden meine Anzüge von Mutter zurechtgeschneidert. Sie sitzen gut. Denn Mutter Ist eine geschickte Frau. Aber den grauen, dicken, unschmiegsamen Großvaterstoff kann selbst Mutter durch keine Geschicklichkeit zum Gegenteil verwandeln. Meine Hosen umste- hen die Beine wie fichtene Rohre. Meine Röcke sitzen wie vom Tischler angemessen. Jahr für Jahr bekomme ich nach Großvaters Wunsch einen bretternen grauen Anzug. Dann erscheint das Mutter eines Tages unsinnig. Der Warp ist selbst von einem unachtsamen Bengel nicht kaputt zu kriegen. Wüchse Ich nicht unterwärts und ober- wärts aus meinen sorgsam abgemessenen Hosen heraus, so daß man sie wohl oder Übel an Ar- menschulkinder verschenken mußte, brauchte Ich bis zu meiner Konfirmation keinen neuen Anzug mehr. Jedes Jahr? Großvaterunsinn! Wie wäre es, wenn man einJahr Überschlüge? Der Vater braucht viele Sommerblusen, Vor allem aber hat die Mut- ter viel Leinen nötig. Denn die Schwester ist schon neun Jahre alt. Da wird es Zeit, daß sie an die Aussteuer denkt und Bolzen auf Bolzen in der totgestrichenen Eichenlade verschwinden läßt. Mithin bekomme Ich in einem Jahr trotz Groß- vaters Wunsch keinen neuen grauen Anzug. Der vorjährige wird geschont und auch im zweiten Jahr nicht vom Sonntagsanzug zum Schulanzug, dieser nicht vom Schulanzug zum Straßenanzug, der nicht vom Straßenanzug zum Feldanzug— alle vom ‚selben Warp, alle vom selben Grau, alle von der selben Bretternheit — herabgesetzt. Da Großvater im Herbst mit der Wolle kommt, sieht er mich lange an. Mutter rutscht auf dem Stuhl hin und her, als fürchte sie festzukleben. Großvater sieht abermals mich, die Mutter, den Vater, zum Schluß wieder mich an und fragt plötz- lich: „Wann is dei Antog, den'n Hannis anhett, makı?“ Mutter sagt: Vor einem Jahr, wie ers bestimmt habe. Jahr für Jahr kriege ich von seiner Wolle einen neuen Anzug. Vater nickt zustimmend. Er kennt sich zwischen meinen immergrauen Anzügen nicht aus. Ich werde rot wie ein Krebs. „Is del Antog door, den'n Hannis hüt anhett, letzten Harwst makt, Doris?" fragt Großvater mit erhobener Stimme, Ich blicke zu Boden. Zum ersten Male in meinem Leben höre ich mein Herz hämmern. Vor meinen IN MANCHEN NÄCHTEN Wenn die Nacht zu uns kommt, dann missen mir nicht, Ob wir den Morgen nodı einmal sehen — Schlaflos unter dem Sternznlicht Verworrenen Weg die Gedanken gehen. Sie gehen für sich und lassen den Leib, Den müden und grauen, teilnahmslos liegen, Es ist ihr einziger Zeitvertreib, Auf- und davonzufliegen ... Fragt nidıt: wohin —?! Wir fassen selber nidıt Ziel nodı Sinn — Und wollen audı gar nidıts ahnen und wissen! Da unten blutet die Erde zerrisseı Genug! Genug! Die Sterne kreisen Wie sprühende Funken um den leisen, Schmerelosen Gedankenflug. vo Vorantworti. Schrift t: Walter Foltzick, München. Ve gültig ab 15. Okt 1941 Nur meiter, immer nur weiter so Wiegen und mwogen und schattenhaft gleiten, Nidıt traurig mehr und audı nidıt mehr froh — Und irgendwo dann ein Lager bereiten Inmitten der Sterne — und näher dem Mond, Als unter den Menschen der Erde, Vielleicht, wenn dort oben die Seele wohnt, Daft Frieden in ihr werde —? Fragt nidıt: warum — ?! Wir sind‘vor den eigenen Fragen stumm — Und mollen nicdıt Antwort hören nodı geben, Wir grauen Soldaten aus Bunkern und Gräben— Genug! Genug! Die Sterne kreisen Wie sprühende Funken um den leisen Irren und wirren Gedankenflug. Herbert Lestiboudois Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal, nt im Monat RM. 1,20. Augen hängen schwarze Schleier, Die werden dichter, immer dichter, In melnem Kopf saust es, als ob Oktobersturm von Ohr zu Ohr quer durch mich hinfegte, Auf Ehr und Gewissen fragt Groß- vater die Sünderin. Bei Namen nennt er Mutter. Das hat er nie getan in all den Jahren, die ich erdenken kann. Jetzt wird Mutter die Wahrheit bekennen. Aber sie antwortet: Jawohl, im letzten Herbst gemacht. Warum sies zweimal sagen müsse? „Hannis!” kommt es aus dem zahnlosen Mund des Siebzigjährigen, Ich springe vom Stuhl hoch, Das Ist nicht mehr die Stimme eines Schöfers, Aus dem Herzen eines Propheten steigt sie auf. Ich wage nicht, ihm in die zornzückenden Augen zu blicken. „Hannis!” mahnt die übermenschliche Stimme. Ich weiß, was sie von mir will, gehorche und sehe einen Kopf vor mir, wie ich keinen sah: Das Flackerfeuer der langen, noch Immer nicht völlig gebleichten halbroten Haare Üüberzüngelt den Schädel. Wie ein Kranz liegt der schlohweiße Bart um das Antlitz, Das Gesicht einem Acker- gebreite gleich, auf dem die Furchen kreuz und quer, zufällig und sinnlos gezogen scheinen, wenn man es als Ganzes betrachtet; das aber, wenn man es Stück für Stück ansieht — Ihre Lage im Tal auf der Kuppe, am Hang —, sinnvoll be- stellt Ist bis ins Allerkleinste, Der Mund schmal und eingesunken. Die Lippen kaum zu sehen. Die Augen so weit hervorbrechend, daß man den buschigen Brauen dankbar ist, die sie über- wölben. „Wann is din Antog makt?” höre ich es über mir grollen. „Segg del Wohrheet, Hannisl" „Vor zwei Jahren”, sage ich hell und klar und ohne Besinnen. Hochdeutsch antworte Ich auf eine plattdeutsche Frage. Denn die mich anrief, war nicht des Großvaters, war Gottes Stimme. Und Im selben Augenblick, da Ich „Gott“ denke, bin ich gewiß, daß Ungeheures geschehen wird, Etwas, das nie zuvor in der Stadt geschah; wohl aber, wie das Buch der Bücher berichtet, hun- dertfältig im Volke Gottes. Es geschieht aber nichts. Wir — auch Ich, der wieder auf seinen Stuhl hin- abgesunken Ist — sitzen um den Tisch, erzählen, essen, trinken und gebärden uns, als ob alles genau so wäre wle in Jedem Herbst, wenn der Großvater seine schlachtreifen Schafe in die Stadt trieb, seine Jahreslohn-Wolle der Mutter schenkte, meinen Anzug besah, betastete, feststellte, daß doch nichts über handgewebtes Warp gehe und enordnete, daß Ich, obwohl der vorjährige An- zug noch makellos sel, doch einen neuen Anzug haben soll. Keiner läßt schauen, was sein Inneres aufwühlt. Nur Vater schüttelt bin und wieder ohne Jeden Anlaß seinen Kopf. Aber eine Gewitterwolke hängt über meinem Haupte, nur eine Frage der Zeit, daß sie sich entlädt. Am andern Mittag, als Ich aus der Schule nach Hause komme, Ist diese Stunde da. Groß- vater hat wie stets mit dem vierbeinigen Wasser seinen Heimweg angetreten, während ich noch schlief. Vater, der es alljährlich so einrichtet, daß er am Großvater-Tag in der Stadt arbeiter und des Mittags beim Kalfee, des Abends mit dem Alten sich aussprechen kann, Ist für den Rest der Woche überland gegangen. Kaum habe ich mit meinen Schulbüchern die Stube betreten, da pras- selt es auf mich nieder: Was für ein nichtsnutzi- ger Jung Ich doch wärl Die eigne Mutter schmäh- lich im Stich gelassen wie ein gefühlloser Bam- buse, der nicht wisse, zu wem er gehörel Die Mutter redet sich in Wut hinein, in Immer hef- tigere Wut, Sie reißt mich an den Ohren um mich selbst herum, Sie packt mich bei den Haaren und rüttelt mich wie einen ungefügen Sack, In den hinein muß, was doch nicht hinein will. Und der Kehrreim zu allem lautet: Seine eigne Mutter verraten! Ich weine nicht. Aber ich schöme mich, wie ich mich noch niemals in meinem Leben schämte. Ich selber habe hundertfach gelogen. Wo Ist ein Junge, welcher nicht lügt? Aber Mutter. Wie kann, wie darf die Mutter lügen! Denn während ag und Druck: Knorr & Hirih Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fomrut 1296). Briefanschrift: München 2 8Z, Brioftach. 'wortl, Anzeigenleiter Gustav Schoeror, München. — D allo Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Postanstöllen enigegan. Bazugspreise: Einzelnummer 30 Pf.; Abonner 1. — Unverlangte Einsendungen werden nut zutückgesandt, wenn Porto beillegt — Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. Erlü jollungen nehmen ch Preisliste Nr. 7 — Anzeigenpreise Jungsort München Die späte Blüte - La tarda fiorltura sie mich schilt und zaust und schlägt, welß ich Plötzlich; Ich liebe meine Mutter. Liebe sie über alles auf der Welt. Vater steht so hoch, daß Meine Liebe oder Unliebe nicht bis zu Ihm hin- @ufreichen. Ich achte, ich verehre, ich bewun- dere ihn. Aber lieben? Ich liebe nur die Mutter. Und plötzlich bricht es wie aus einem Krater aus Mir hervor: „Mut—terl” Die Mutter hat den Schrei der Liebe vernommen. Sie hält mit dem Schla- ‚gen inne. Sie nimmt mich auf den Schoß, um- schlingt mich mit den Armen, legt Ihren Kopf an Meine Wange und weint. Ich umschlinge sie hef- ig, presse mein Gesicht an Ihre Wange und Weine, Am übernächsten Sonntag fahren wir mit einem gemieteten Kullerwägelchen zu Großvater. Ich "age einen neuen Anzug. Großvater sieht es. Da will ich sagen: Es sei bei uns im Hause alles ein Irrtum gewesen. Diesen Anzug besäße ich schon ein ganzes Jahr lang. Ich hatte an dem Tag, da Großvater in der Stadt war, den verkehrten Zug angezogen, Aber Mutter schneidet mir das Wort ab. Ihre Hand Jedoch streckt sie mir zu heimlichem Dank entgegen, Im nächsten Jahr kommt Großvater ohne Wolle zu uns ins Haus. Die Mutter begreift nicht. Der Vater ist verärgert, Schließlich sagt Mutter wie beiläufig zu dem Alten: Er habe hoffentlich ge- sehn, daß ich bei unserm Wagenbesuch einen neuen Anzug angehabt hätt. „Dat weer dei Antog von dei vörvörjährig Wull“, stellt Großvater fest und eröffnet der Mutter: solange die Sache mit Hannis seinem vorjährigen Anzug nicht in Ord- nung wär, gäb's keine neue Wolle, Oh, er behalte nichts für sich! Dabei zieht er ein knallblaues Büchlein aus der Tasche, ein Einlagebuch der Städtischen Sparkasse. Das übergibt er dem Va- ter. Der sieht zu seinem Staunen, daß Großvater die Jahreswolle veräußert und den Erlös mir hat zuschreiben lassen. Vater ist mit dieser Form der großväterlichen Zuwendung einverstanden. Seinetwegen kann der dickköpfige Alte es Jahr für Jahr so machen. Aber Mutter will ihre Wolle. Was soll sie während der langen Winterabende 31 (Fr. Bilek) anfangen, wenn nichts zum Spinnen da ist? Vom Lichtanstecken bis zum Zeugausziehen lesen? Dann schläft sie noch schlechter als ohnehin schon. So fahren wir ein paar Wochen später wieder mit unserm gemieteten Kullerwägelchen zum Groß- vater. Ich habe einen neuen grauen Anzug an, obwohl die großväterliche Wolle ausblieb, „Dat is del Antog von dei vörjährig Wulll” stellt Groß- väter sachkundig fest, „Nu hedd dei Sak ehr Richtigkeit.“ Im nächsten Jahr bekommt Mutter, weil der Han- del seine Richtigkeit hat, wieder ihre Wolle. Und ich kriege, solang ich zur Schule gehe, Jahr für Jahr einen Anzug, der nicht wie die Anzüge mei- ner Kameraden beim Zeugkaufmann gekauft, son- dern vom Weber gewebt, von der Mutter ge- schneidert wird; der nicht braun oder grün oder blau ist, auch nicht gemustert, sondern grämlich grau; der sich nicht anschmiegt und streichelt, sondern mich breitern umsteht und, wenn ich ge- schlossenen Auges mit der Hand darüber gleite, sich anfühlt wie ungehobeltes Fichtenholz. Im Botanischen Garten von Washington So herrl (Erich Schilling) ich hat die Korruption noch nie geblüht! Nell’ Orto Botanico di Washington: Giammai la corruzione ebbe una sl splendida fioritura! 32 München, 20. Januar 1943 30 i 48. Jahrgang , Nummer 3 Pfennig SimPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Roosevelts Weißbuch „Verdammt schwer ist es, meine schmutzige Wäsche wieder weiß zu waschen !,, U "Libro bianco, di Roosevelt: “E maledettamente difficile di lavar via Il sudiciume dalla mia biancherial.. Mondscheinsonate - Sonata al chiaro di luna ee LESEZEICHEN VON WALTER FOITZICK Es gibt Gedächtniskünstler unter den Lesern, die schauen sich die Seitenzahl des Buches an, bis zu der sie gelesen haben, klappen zu und schla- "gen es nach Tagen wieder an der richtigen Stelle auf. Die haben’s leicht! Wir andern brauchen Lese- zeichen. In meiner Schulzeit gabs „Hauchblätter” als Lesezeichen. Sie hatten den Vorteil, nicht nur zur Anmerkung einer Stelle im Buch benutzt wer- den zu können, sondern man legte sie auf die Hand, und dann krümmten sie sich, oder man hauchte sie an und dann krümmten sie sich auch, aber nach der anderen Seite, Dabei verging schon ein guter Teil der Unterrichtstunde. Außer- dem standen da noch in Goldschrift ermahnende und erbauende Sprüchlein drauf, die krümmten sich dann Immer mit, wenn man sie anhauchte, wie ein getretener Wurm. Heute habe ich keine Hauchblätter mehr, wenn ich mir eine Seite im Buch bezeichnen will, Ich nehme das, was gerade zur Hand ist. Merkwür- digerweise ist nie etwas Passendes zur Hand, außer abgebrannten Streichhölzern, Zetteln mit wichtigen Notizen und dringend zu beantworten- den oder lieben Briefen. Die wichtigen Notizen und die dringenden und lieben Briefe entgehen auf diese Weise der Erledigung und Beantwor- tung, während es den abgebrannten Streichhöl- zern nichts schadet. Diese sehen aber gar nicht schön als Lesezeichen aus, und bibliophil sind sie auch nicht, Ich habe einmal in einer berühmten Bibliothek ein großes Tafelwerk durcharbeiten müssen. Als ich nach Jahren mir dieses Buch wieder geben ließ, fand ich an einer bestimmten Seite meine Brille von damals als Lesezeichen. Ich bekam dadurch die Gewißheit, daß niemand inzwischen bis zu dieser Stelle vorgedrungen war und somit noch Immer wissenschaftliches Neuland zur Be- ABRUSTUNG Wo find der Würde Silberlocken? Der Abend naht auf grauen Socken: »Freund, mache deinen Laden zul Du fchabteft allzu lang fchon Rübchen. Verzieh' dich jest ins Hinterftübchen, leg’ Patiencen, gönn’ dir Ruhl Sei’s noch um eine kurze Weile, dann wird fie dir komplett zuteile, Ein Schild aus Pappe macht fich breit. Steigt wer die abgetret'nen Stufen herauf, fo liert er: ‚Einberufen!‘ und fpricht: ‚Es ı8ar auch höchfte Zeitl'« Ratatöskr 34 (Fr. Bllk) arbeitung vor mir lag. Natürlich hat man nicht genug Brillen, um sie in allen Fällen als Lesezei- chen bei wissenschaftlichen Arbeiten verwenden zu können. Größere Mappenwerke von quadrat- metergroßem Flächeninhalt leiden übrigens kaum durch diese Methode, Ich vermisse selt Jahren ein Brillenetui, das muß auch an einer wichtigen Stelle eines großen Buches als Einmerkl liegen. Ich bitte den ehrlichen Finder, das Lesezeichen nicht zu entfernen. Es ist nämlich. sehr unange- nehm, wenn so ein Lesezeichen ‚an andere Stelie . gelegt wird. Da sitzt man eines Abends und liest und liest, und plötzlich kommt es einem so vor, als habe man das schon einmal irgendwo gele- sen. Nun kommt so etwas allerdings öfter vor, aber man hat es doch lieber, wenn der Autor daran schuld ist und nicht ein verschobenes Lese- zeichen, das einen gezwungen hat, eine Sache zweimal zu lesen. Namentlich bei Romanen und Kurzgeschichten merkt mans oft recht spät, daß diesmal nur das Lesezeichen zu den erstaunlichen Anklängen an schon Bekanntes geführt hat. Robuste Leute machen als Lesezeichen einfach ein Eselsohr, sie kniffen die Ecke einer Seite um. Wir zarter Besaiteten haben gelernt, daß sich solches für einen Bücherfreund nicht schickt. Ist halt auch so eine Sitte wie das Verbot, den Fisch mit dem Messer zu essen. Sehr empfehlenswert ist es, größere Geldscheine als Lesezeichen zu benutzen. Man freut sich nach Jahren immer über das Wiedersehen, nur darf in- zwischen keine Inflation eingetreten sein. Truppen für Nigeria „Mohr, tu" deine Schuldigkeit und geh’! Truppe in Nigeria: “Ehi, Moro ... fa il tuo dovere e vattene!, 35 Der Yankee In der Narkose (E. Thöny) N Bi. FREE „Vier Millionen, fünf Millionen, sechs Millionen ..."" — „Er kann nur in Millionen zählen, er ist im Produktionsministerium angestellt!‘ Il Yankee nella narcosi: “Quattro milioni, cinque milioni, sel millonl ...... “Egli non puö contare che o milioni; & addetto al Ministero delle Produzloni!,. 36 KLEINE BUNKERLAMPE Einft haft du wohl die Stube fanft durchdrungen, Um deinen Schimmer fcharte man fich dicht. Du fahft die Alten Ipinnen und die Jungen, Warft Sterbenden vielleicht das letite Licht. Nun hängt du fen Im Bunker an der Krampe, In deinem Scheine Ichreiben wir nach Haus, Und ift der Krieg zu End’, o kleine Lampe, Wie zärtlich puften wir dich dann wohl aus! Du kleine, blakende Petroleumlampe, Wir fanden dich in einem Bauernhaus, Verftaubt lagft du auf einer Bodenrampe, In deiner Gloche niftete die Maus. Heinz Friedrich Kameche ERLEBNIS IN NANKING In Nanking begleitete ich meinen Freund Ander- sen in das Bankhaus Bah6 Fröres, wo er sich einen seiner gewichtigen Reiseschecks auszahlen ließ. Er stand am Schalter und betrachtete den blaß- wangigen Kassier, der mit fahrkgen Bewegungen längliche Dollarscheine auf die Platte warf. „Stimmt was nicht bel diesem ‚Schein-Werfer‘, ent- weder bei seiner Leber oder In der Kassa”, brummte er, als wir durch die Schwingtür in die dampfendheiße Sanpallou-Straße traten. Ich sah ihn von der Seite an. Die humorvoll zwinkernden Augen in seinem hageren Gesicht blickten zu- weilen tiefer, als man Ihrer sorglosen blauen Fär- bung zugetraut hätte. Am Abend schleppte er mich in den Lawendelklub, dessen Inhaber ein Wiener war, ein Etablissement, halb Bar und halb Kaffeehaus, in dem berühmt gute Schnäpse aus- geschenkt wurden. Andersen trank wie gewöhn- lich mehr als Jeder andere im Lokal, nur am Ne- bentisch sah Ich einen Mann sitzen, tief und düster über seinem Glas gebückt, der durch seinen Trinkhalm noch größere Quantitäten in sich hin- elnzusaugen schien, Andersen wurde aufmerksam und, war es blasser Neid oder fachliches Inter- esse an diesem trunkfesten Kumpan, er stand auf und setzte sich zu Ihm, „Was gibt's, Alter, he?“ fragte er auf seine unverblümte Art. Als der Mann erschreckt den Kopf hob, sah ich, daß es der Bankkassier war. In seinen vernebelten Augen blitzte es zornig auf, er jegnete jedoch dem gewissen jungenhaften Grinsen, mit dem Ander- sen, wie mir zur Genüge bekannt war, Jedermann auf der Stelle entwaffnete. Das Gesicht des Kas- wurde plötzlich hilflos und zu meinem Ent- setzen wuchsen zwei dicke Tränen aus seinen Augenwinkeln, Er begann hemmungslos zu er- zählen, Er hieße Charles Demille, wäre seit zehn Jahren Kassierer bei Bah6 Fröres und genösse dort unbeschränktes Vertrauen. Er hätte sich, auf einen totsicheren Tip hin, auf eine Spekulation eingelassen und die Sache wäre natürlich schief gegangen. Am übernächsten Tag würde die üb- liche Bücherrevision stattfinden und da wäre das Manko von fünftausend Dollar und... kurz und gut, er würde sich noch heute eine Kugel in den Kopf schiel Andersen nahm seine Pfeife aus dem Mund. „Loch im Kopf ist Blödsinn, M’sieur Scheinwerfer, pfeift bloß der Wind durch”, brummte er. „Gibt's ein anderes Mittel?" Demille sah Ihn be- gierig an. „Sie müssen noch sechstausend Dollar unter- schlagen, mein Guter Die gel Sie mir, werde die Sache prompt erledigen...” Mehr hörte ich nicht. Andersens taktlose Späße waren mir hin- teichend bekannt. Ich ließ Ihn sitzen und ging In mein Hotel schlafen. Am nächsten Tag war ich emsig tätig und machte mich erst nachts auf die Suche nach meinem Freund Ich traf ihn natürlich Wieder im Lawendelklub. Er rauchte eine Ziga- rette, ein sicheres Zeichen, daß er sich wieder einmal übernommen hatte, denn im Stadium des vorgeschrittenen Zungenschlags pflegte er die übelrlechende zerschrammte Pfeife seinen Zähnen nicht mehr anzuvertrauen. „Eine Schande, wie Sie sich vollsaugen, Andersen!” begann ich. „Ich muß Ihnen einmal...“ Da war wieder sein verdamm- tes Lächeln. Ich stockte, grinste mit und bestellte auch etwas. „Na, schön‘ ıgte ich achselzuckend VON LUDWIG C. VON TÖTH „Und was ist mit Charles Demille?“ Andersen staunte mich mit hochgezogenen Brauen an. Dann nickt ‚Weiß schon, hab's komplett vergessen, kenne ihn bloß als M'sieur Scheinwerfer! Oh, Ist prompt erledigt. Bin heute zu M'sieur Bahe mit Ri.. Rl.. na, wird's bald, mit Rikscha gefahren. Er kennt mich und liebt mich, weil ich dicken Kreditbrief habe. Ist ein kleiner Glatzenkerl mit Walroßbart, der alte Bah6, lacht bloß so um den Bart rum, Augen lachen nicht mit, Böser Bursche.” Andersen zog den Mund breit. „Hat das Walroß ein Gesicht gemacht, nö, wie Ich so sage, daß sein Scheinwerfer elltausend Dollar unterschlagen hat! Hoho, Habe gesagt: Bin ein alter Freund von Charles, zahle bar fünftausend Dollar, wenn er keine Anzeige macht und Ihn weiter als Kassierer Die Pirouette - La piroletta behält. Habe Ihm die Banknoten gleich zum Schnuppern hingelegt. Sage Ihm, wenn er sie nicht nimmt, verliert er elftausend Dollar, well Charles kelnen Nickel hat, No, kurzlang, hat mehr wollen, habe nein gesagt, hat geschimpft, ge- flucht, gebeten, habe nein gesagt, und so hin und her. Dann Vertrag, schriftlich mit Konsular- stempel, Stempel hat Bah@ bezahlt. Charles bleibt Scheinwerfer, kriegt gleichen Gehalt und Bahe verliert bloß sechstausend Dollar. Aus... Walroß wär dann noch gerührt, hat gesagt, ich sei ein - guter Mensch und daher auch ein verdammter Narr, Bin ich auch, viel zu gut bin Ich!” Andersen begafin erschütternd falsch einen Marschtakt zu pfeifen. Ich war starr. Da hatte doch wer tausend Dollar verdient?l... (Magon) „Sehr geschickt, die Kleine — aber sie dreht sich zu schnell!" “E molto destra la picelna ... ma gira troppo rapidamente!,. 37 An der Straße nach Woronesch - Sulla strada verso Woronesch (Toni Bich! Im Felde) BLATTSCHUSS - HERR WINDELBAND! Morgennebel verhängte die Landschaft. Er hatte den Großgrundbesitzer Windelband nicht hindern können, die umfangreichen Feldarbeiten zu Pferde zu besichtigen. Nun ritt er ganz gemächlich heim. Sein Leibroß Adam, ein Gewichtsträger mit Bel- nen wie Tempelsäulen und einem Rücken aus federndem Stahl, schnoberte plötzlich und spitzte die Ohren. DerReiter sah auf und parlerte das Pferd, Was war denn das?! Mitten im freien Felde — auf dem Wege — ein Hirsch? Ein guter sogar, einer, der etwas drauf hatte, ein Vierzehnender. Donnerwetter, wenn er jetzt seine Büchse hätte, vom Pferde herunter, würde er dem Hirsch eins aufs Blatt geben! Der Hirsch sicherte. Windelband verhielt den Atem, konnte aber nicht verhindern, daß sich Adam — ausgerechnet jetzt — erhobenen Schweifes geräuschvoll erleichterte. Der Hirsch setzte sich in Bewegung. Windelband folgte. Der Hirsch blieb auf dem Wege. zum Gutshof, ver- schörfte aber die Gangart, Windelband brachte ‚Adam in Trab. Der Hirsch ging zu raumgreifenden Sprüngen Über. Windelband gab Adam die Spo- ten. Die Jagdpassion war über ihn gekommen. Konnte er den Hirsch nicht schießen, wollte er Ihn hetzen. Einer Güterlokomotive gleich preßte der galoppierende Adam den Atem heraus; der weit über zwel Zentner schwere Großgrundbesit- zer keuchte asthmatisch. Immer noch war der Hirsch auf dem Wege zum Gut. „Hussa — hussa”, wollte der Jäger laut Hals geben, aber seine Stimme klppte über und es klang nur wie das heisere Bellfern eines wütenden Teckels. Adam war schließlich der Klügere, er fiel in Schritt; der Hirsch verschwand Im Nebel. Der riesige Gutshof war menschenleer. Nur gegen- über dem uralten gewaltigen Burgtor, das noch aus der Raubritterzeit sein unverwüstliches Da- sein fristete, kamen aus der Kellertür eines breiten Wirtschaftsgebäudes gedämpfte Stimmen. Sie rührten von zwei alten Frauen her, die im Keller Kartoffeln verlasen. „Un, das sa’ ch dr, Meinek- ken, wo doch nu alles sparen soll, muß da die Inädche Frau... Rrırr — rummmi „Herrjesses, Herrjesses —" Die Stallaterne war klirrend umgefallen und ver- löscht. Ein schreckliches Keuchen, sonst Toten- stille im Keller. VON CHRISTIAN GUTENBERG „WilRen, Herrjessesi" jammerte nach geraumer Zelt eine klägliche Stimme, „Hilfe, Herrjessesi” „Ruff, ruff“, krächzte die andere. Oben an der Kellertür, elf Stufen hoch, schien ein wenig Tageslicht. Die Frauen retteten sich die Treppe herauf. Dem Hof zurückgegeben, began- nen sie erneut zu schreien. Alles lief zusammen. „Es spukt, es spukt”, wimmerte die Meinecken. Der Kuhfütterer höhnte: „Am hellichten Tage spuken! Im Kopfe spukt's euch ahlen Weibern!” „Nee, nee, im Kartoffelkeller spukt's, da ist der Leibhaftche ungen.” Der Hofverwalter kam hinzu: „Ach was spuken, anstatt Kartoffeln auszulesen, werdet Ihr euch wieder soviel Räubergeschichten erzählt haben, daß ihr an euren nen Mumpitz glaubt. Nun mal wieder ran an die Arbeit.” „Nee, nee, Herr Verwalter, ums Verrecken nich jehe ich da noch mal runger”, barmte die Wilken. Die verstörten Gesichter der beiden Frauen ver- anlaßten den Beamten, diesem vermeintlichen Spuk einen schnellen Garaus zu bereiten. Er stieg die Kellertreppe hinunter, kam jedoch schnell wieder hoch. „Da scheint wirklich etwas unten zu sein“, sagt ein wenig betreten und verheimlichte seinen Schreck über das entsetz- liche Fauchen, das er da unten wahrgenommen hatte. In diesem Augenblick ritt Windelband durchs Burgtor ein. Adam war schweißbedeckt. Sein Reiter hatte ebenfalls keinen trockenen Faden mehr am Leibe. Der Gutsbesitzer erblickte mit Späherauge die nichtstuerische Ansammlung vor dem Kartoffelkeller und rief gereizt: „Leute, habt Ihr nichts zu tun, was ist denn da losI” Der Verwalter kam ellfertig entgegen und berich- tete verlegen. Kutscher Willi setzte sich in Trab und half seinem Herrn aus dem Sattel „Lampe herl” kommandierte der Hofherr. Mit gezückter Reitpeltsche stieg er die Keller- treppe hinab. Gespannt lauschten oben seine Leute. „Hahaha — hohoho”, dröhnte ein gewaltiges Lachen aus dem dunklen Verließ, „hahaho — ha- haho der Hirsch, der Hirschl“ Der König der Wälder stak ‘im Kartoffelkeller, elf Stufen tief, ohne, wie es schien, sich verletzt zu haben. ‚Er war wohl auf der Flucht im Nebel die Straße entlang durch das Burgtor gejagt und 38 blindlings die Treppe hinunter in den Kartoffel- keller geprasselt. Am Mittag war die Sonne durchgebrochen und erfüllte auf das glücklichste die erste Vorbe- dingung für das geplante Unternehmen, Der Verwalter, der Kutscher, der Gärtner, der Flurhüter, der Kuhfütterer und der alte Schäfer wurden zum Kartoffelkeller beordert. Daselbst erschlen auch im Jagddreß mit Büchse Herr Win- delband und hielt Musterung ab. „Was wollen Sie denn da mit dem Riesenmessar?” fauchte er den alten Schäfer an, „Nu, ich denke, mer woll'n jetzt den Hersch schlachten, „Schlachten! — Sie sind wohl verrückt.“ Das Wort „schlachten” hatte Windelbands Jägerseele auf das tiefste getroffen, „Nu Ja”, brummelte der Schäfer, „mer kann Ihn ja ooch vorher dotschießen, aber hingerher muß der Hersch allemal ausgeschlächtet werden,” \ufgebrochen”, verbesserte Windelband kopl- schüttelnd und fuhr dann zackig fort; „Mal her- hören, Leutel” Nun wurde der Schlachtplan — Verzeihung — der Jagdplan verkündet. Erstens: Der Hirsch wird un- ter Anführung des Verwalters vom Kutscher, Gärt- ner, Kuhfütterer und Schäfer aus dem Keller be- fördert. Zweitens: Oben angelangt, wird der Hirsch in Freiheit gesetzt, Drittens: Ein Pfiff des Kutschers auf den Fingern benachrichtigt den Jagdherrn von der Freilassung des Hirsches. Vier- tens: Der Flurhüter postiert sich zweihundert Mo- ter außerhalb des Gehöfts auf der Straße zwacks ‚Absperrung gegen Passanten. Fünftens’und letz- tens: Der Jagdherr selbst wird ebenfalls außer- halb des Hofes unweit des Burgtors Aufstellung nehmen und dem Hirsch mit einer Kugel das einzigmögliche ehrenvolle Ende bereiten. An die Gewehrel Im Keller stand wie aus Erz gegossen der Hirsch. Vorsichtig näherte sich das Transportkommando, Der schlaue Kuhfütterer hatte einen dicken Strick mitgebracht und warf ihn lassoähnlich über das Geweih. „Zwei Mann vorne ziehen“, kommandierte der Verwalter. Es fand sich Jedoch angesichts des drohenden Geweihs kein Freiwilliger für dieses gefährliche Unternehmen, So mußte der Verwalter Am Treffpunkt de decch „Kalte Hände und eisige Füße — damit wird er fertig; aber wie er meinen Schnupfen in seine Leidenschaft einbauen wird, darauf bin ich gespannt!‘ All’ appuntamento: “Mani fredde e piedi gelati ... eh, se ne sbrigherä; ma sono curiosa di vedere come Innesterä il mio raffreddore nella sua passione!,, 39 schließlich selbst zum Strick greiten, worauf der Kutscher und der Kuhfütterer eine heroische An- wandlung bekamen und ebenfalls zu ziehen be- sannen, hingegen der Gärtner und der Schäfer von hinten schlebend nachhalfen. Der Hirsch machte, scheinbar in unnahbarer Hal- tung, aber innerlich zu Tode geängstigt, ein paar vorsichtige Schritte, Programmäßig ging es weiter bis zur Mitte der Treppe. Hier besann sich der Hirsch eines anderen und wich und wankte nicht. „Hätten mer man das dämliche Viech abjestochen”, schimpfte der schwitzende Schäfer. „Quatsch“, sagte in Vertretung des Jagdherrm der Jagdkundige Kutscher, „ein Hirsch kann nur durch eine Kugel fallen.” „Du Döskopp, dann treck ihn man alleene ruffl” „Ruhe, Leute”, beschwichtigte der Verwalter, „wir machen eine Atempause."” Es verging eine Weile, Trotz erneuter Anstrengung tührte sich der Hirsch nicht von der Stelle, „Wor missen den Strick verlängern und & Paar Pfärde holen, die von oven das Biest raustrecken”, meinte der Gärtner, „Da brechen ihm die schenen Hörner wech un der Alte macht eenen Mordsschpektakel”, er- widerte der Kuhfütt« „Ein Hirsch hat keine Hörner, sondern ein Geweih“, gab vornehm der Kutscher zum zweiten Male solne Jagdlichen Kenntnisse zum besten, „Horn is-Horn, und Rindviecher jibts ooch ohne Hörner”, trumpfte patzig der Kuhfütterer auf. „Laßt doch das Gequatsche. Paßt mal uff, wie das Luder jetzt Boene macht“, sagte der beim Appell gemaßregelte Schäfer giftig und pikte dem Hirsch mit der Spitze des Schlachtmessers ein ganz klein wenig In die Hinterkeule. Die Wirkung blieb nicht aus, der Hirsch stieg wieder Stufe um Stufe. Oben angelangt, stand er, von der Helligkeit ge- blendet, einen Augenblick regungsios. Dann legte er das Geweih an; ein Ruck — die haltenden Männer fielen durcheinander, dem Schäfer, der auf den Strick trat, wurden die Beine unter dem Leibe weggerissen. Geistesgegenwärtig und pflichten- treu zugleich legte der sich am Boden wälzende Kutscher noch die Finger in den Mund und pfiff. Windelband ging, vom Jagdiieber geschüttel aber sich selbst zur Ruhe mahnend, in Anschlag. Auf dreißig Schritte würde er den Hirsch auch in voller Flucht nicht verfehlen. Er hörte Schreien auf dem Hof, Hühnergackern, Kuhgebrüll. Jetzt vor- nahm er auf dem Pflaster im Burgtor, karacho, karacho den flüchtigen Hirsch. Bautz — fiel der Schuß. Im Feuer brach — eine Kuh zusammen. Der Hirsch aber Jagte, den Strick um den Hals, karacho, karacho dem Walde zu. Windelband setzte das Gewehr ab, äugte und wurde bleich. Dann stampfte er zum Tor. Auch die Leute vom Hof eilten herbel, Der unglückliche Schütze fühlte, daß Irgend etwas geschehen mußte, So brüllte er, daß der alte Burgturm wackelte: „Wie kommt die Kuh zum Tor hinaus?1” Der Herr Verwalter faßte Mut und berichtete, daß der Hirsch nach seiner wiedergewonnenen Frel- heit entgegen aller Erwartung In den Mistring ge- sprungen sei und unter den dort befindlichen Kühen eine derartige Verwirrung angerichtet habe, daß ein Rind mit ihm gleichzeitig über die Barriere ausgebrochen und ihm auf der Flucht gefolgt wäre. Windelband zitterte vor Wut und Scham zugleich. ‚Auf den flüchtigen Hirsch gezielt und die dahinter rasende Kuh getroffen, er hätte In den Boden sinken mögen, — Ein finsterer Blick machte die Runde, dann warf er das Gewehr über die Schul- ter und ging — ein geschlagener Mann — wort- los davon. „Das scheene Stick“, jammerte der Kuhfütterer, als die Luft rein war. Der treue Kutscher versäumte nicht, eine leise Ent- schuldigung seines Herrn anzubringen: „Alles was recht Ist, aber ein sauberer Blattschuß ist es doch.” „Dafir gannste dir nischt koofen”, brammelte der alte Schäfer, „hätten mer den Hersch Jeschlacht', brauchten mer die Kuh nich’ uffzubrechen!” BIERSSIIEBERIN ET EOÖFFFEEILE VON STRY ZU EULENBURG Sie lebten In der gleichen Stadt. Seit zehn Jahren lebten Hans und Heinrich in der gleichen, aller- dings sehr großen Stadt und hatten sich In dieser langen Zeit nicht ein einzigesmal gesehen, waren einander nicht einmal zufällig In die Hände ge- laufen. Genau so gut hätten sie auf verschiedenen Erdteilen wohnen können und nicht im gleichen Viertel in zwei, gar nicht so welt voneinander entfernten Straßen, wie es sich herausstellte, als sie eines Tages dann doch plötzlich un- versehens aufeinander stießen. War das eine Wiedersehensfreudel Kindheitserinnerungen wur- den auf der Stelle ausgetauscht, waren doch Hans und Heinrich als Jungen die Unzertrenn- lichen gewesen und auch heute, so schien es ihnen, je länger sie einander gegenüber standen, würden sie sich Immer noch gut verstehen, präch- tig zueinander passe: „Ich bin unverheiratet”, sagte Hans. „Auch ich bin noch Junggeselle”, gestand Heinrich, „Dann Ist es also ziemlich gleichgültig, wo wir unser Wiedersehen felern, bel dir oder bei mir zu Hause”, meinte Hans. „Gleichgültig, Ja, nur mit dem Unterschied, daß Ich dich doch zuerst zu mir einladen möchte”, erwiderte Heinrich mit den Augen blinzelnd, „denn ich habe, im Vertrauen gesagt, noch eine kleine Reserve von ein paar Flaschen Wein zu Hause, die Ich mit Freuden opfern will” Hans war gerührt und sagte zu. Und dann kam der Abend, an dem sich Hans bel Heinrich in dessen möbliertem Zimmer einfand, wo die wiedererstandene Freundschaft begossen werden sollte.Heinrich hatte ein kleines Abendessen beschafft, hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, um alles manierlich und nett herzurichten, hatte das melste, was dazu an Gegenständen nötig war, von seiner Wirtin entliehen. Das Essen schmeckte den Freunden ausgezeichnet, der Wein mundete Ihnen vorzüglich. Immer später wurde es über den Gesprächen der Freunde, Immer mehr Glöser wurden geleert, Immer lauter und dröhnender wurde ihr Lachen über frühere gemeinsame Scherze und neue, die sie Jetzt trieben. Mitternacht war schon vorbei, als Hans endlich nach einem rührseligen Abschled und erneuten Freundschaftsschwüren aus dem Zimmer wankte, Der nöchste Morgen war, wie fast alle dieser Gemütliches Beisammensein Placevole compagnla 40 Morgen nach verrauschten Festen, grau und eln- tönig. Eine der ersten Tätigkeiten, die Heinrich nach dem Aufstehen ausführte, war das Zusam- menstellen der von der Wirtin entliehenen Dinge, da er wußte, wie ängstlich die Verleiherin bei solchen Gelegenheiten auf die vollzählige Rück- gabe ihrer Kostbarkeiten zu warten pflegte. Und schon, kaum hatte Heinrich die Silbersachen zu zählen begonnen, mußte er feststellen, daß ein großer schwerer Löffel fehlte. Eine volle Stunde lang durchsuchte er vergeblich sein Zimmer nach allen Richtungen, In allen Ecken und Winkeln, dann zweifelte er nicht mehr daran, daß der Löf- fel abhanden gekommen war, daß Ihn nur Hans mitgenommen haben konnte. Es blieb für ihn nur noch die Frage bestehen, ob Hans den vermißten Gegenstand aus Versehen, im Ubermut oder gar in der Absicht, ihn sich anzueignen, eingesteckt hatte. Letzteres wollte Heinrich zuerst auf keinen Fall wahrhaben, aber als ihm die Inzwischen auf den Plan getretene Jammernde Wirtin darüber Vor- haltungen machte, daß er seinen sogenannten Freund nach so langer Trennung dpch unmöglich ıoch genau kennen konnte, mußte er auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Er entschloß sich, Hans sofort ein Stadttelegramm zu schicken. Er überlegte lange, wie er den Text abfassen sollte, um Hans nicht dirakt vor den Kopf zu stoßen, Ihm aber trotzdem die Dringlich- keit der ganzen Angelegenheit bewußt werden zu lassen, und kam zu der folgenden, Ihm als die geeignetste erscheinenden Formulierung: „Ein silberner Löffel fehlt. Schöme dich, Hansi” Als Hans das Telegramm erhielt, war er zunächst ratlos. Doch je eindringlicher er sich den gestrl- gen Abend Ins Gedächtnis zurückrief, um so klarer erstand vor Ihm das Bild des Waschtisches In Heinrichs Zimmer mit dem Krug, in dem sich das Wasser für Heinrichs allmorgendliche Reinigung befand. Lächelnd stellte Hans dann noch fest, daß es fası schon Mittag gewesen war, als Heinrich das Telegramm aufgegeben hatte, Und er antwortete dem Freund sofort triumphie- rend. Sein Telegramm lautete: „Habe gestern Löffel in gehobener Stimmung im Waschkrug versenkt. Schäme dich, Heinrich!“ Ob die Freundschaft zwischen Hans und Heinrich der Belastung durch diesen Telegrammwechsel standhielt, ist leider nicht bekannt. 0. Hagenbarth) \ RN FE gar? nur 5 9: D- an ir Tinte v.Ausziehtusche KlebAll wasserfest klebtu.repariert Alleswasesgibt! + * tempelkissen v.Siegellacke aller Art PARFÜMERIE UND FEINSEIFENFABRIK GEORG DRALLE HAMBURG Strümpfe München Neunauser Str. 15 Welnstr. 14 AmStachus Dachauer Straße 2 Millionen sparen bei der Postsparkasse. Täglich werden es mehr. Man erkennt die vielen Vorteile, die gerade das Postsparen bietet Einfach und bequem steht an allen Orten Großdeutschlands die Postsparkasse zur Verfügung. 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Es fallt halt um so mehr auf, Halt - hier ist zweierlei gefährlich! Hier schen Sie einen Un- glücksfalt, wie er unter norma- len Verhältnissen nur selten vorkommt, Keine gute Hausfrau wird — auch wenn sie eilig ist — beim Abtrocknen mit der Gabelspitze in das Wischtuch stechen. Und wenn es früher wirklich mal passierte, war es nicht so schlimm. denn unbrauchbar gewordene Wischtücher ließen sich ersetzen. Heute im Kriege Ist das anders. Die Hausfrau muß mit wla schön als das Madl is, wann’s mit aner so schlachen Person spazieren geht!” Worauf Herr Oberdalek beistimmend hinzufügte: „Wissen S’, es Is ja nur deshalb, weil mei Alte jetzt gar so wenig Zeit hat; früher ıs sie immer mit dem Madi ausgangen!” Bremische Anekdote VonKarllerbs In einem jener überaus vornehmen Geschäfte, deren mit dunklem Samt ausgeschlagene Schau- fenster mit einem einzigen aus einer Kristallvase quellenden Seidenhemd, zwei Krawatten, einem Paar Handschuhe, einer Parfümflasche und einem ebenso kostbaren wie winzigen Blumenstrauß ge- schmückt sind, und in denen durchaus nur Die- jenigen Welche Ihre anspruchsvollen Einkäufe machen dürfen — in einem dieser überaus vor- nehmen Geschäfte unterfing ich mich, eine Kra- watle erstehen zu wollen. Es ist das eine Zerreiß- ihrem Aufwasch rascher fertig werden als sonst. Da müssen die Kinder beim Abtrocknen helfen. Die ungeübten Kinder- hände stechen dann manchmal die Gabelzinken in das Wisch- tuch — oft bleibt das Wischtuch auch dort hängen, wo die Glasur an Geschirr oder Töpfen abgesprungen ist. Oder das Geschirr ist noch nicht richtig sauber und wird nun ein- fach am Tuch abgeputzt. Die Wischtücher sind dann schmut- ziger als sonst — bis eines Tages die Hausfrau staunt: so viel Wischtücher habe ich doch im Frieden gar nicht ver- braucht! Hier ein Weg. wie Sie mit der Hälfte der Wischtücher auskommen: Spülen Sie jedes Geschirr vor dem Abtrock- probe, für die man vorher üben sollte — etwa indem man beim Hallenkellner in Hillmanns Hotel ein Glas Wasser bestellt und es dann zurück- schickt, weil es zu warm sel. Die Dame, deren leicht geistesabwesender Zurück- haltung ich das mir mögliche Höchstmaß an un- gezwungener Selbstverständlichkeit entgegen- setzte, ließ vor meinem Irunkenen Blick eine An- zahl jener seidenen Wunder aufblühen, wie sie in so vollendet diskreter Musterung nur als gebän- digte Farbkompositionen auf wahrhaft patrizischer Kleidung gedeihen. Es wäre verfehlt gewesen, Bewunderung zu zeigen: Also ließ ich einen Ken- nerblick über die edlen Seidengebilde hinweg- gleiten und sah zu einem anderen Kasten hinüber, in dem es beträchtlich farbiger zu leuchten schien. „Was haben Sie denn da drüben noch?“ fragte ich. Die Dame verwies den Kasten mit einer müden Bewegung der schön beringten Hand ins Reich des Unbeträchtlichen. „Die kommen für Sie nicht in Frage”, sagte sie. „Das ist etwas für auswärtige Herren.” nen noch einmal kurz in heißem Wasser! Da wird es von allen Speiseresten gesäubert, die vom Aufwaschwasser noch dranhängen. Es ist genug. wenn Sie sich einmal die Arbeit mit dem Aufwaschen machen. Warum wollen Sie noch ein zweites Mal später den Speiseschmutz aus den Wischtüchern waschen? Wissen Sie auch, daß viele Hausfrauen über- haupt keine Wischtücher brauchen, weil sie das gründlich ge- säuberte Geschirr an der Luft trocknen? Vielleicht kommen wir überhaupt mit der Hälfte der Küchenwäsche aus? Denken wir nur daran, wie oft man in Gedanken die fettigen oder leicht angeschmutzten Hände einfach am Küchenhandtuch abwischt! Beheraigen Sie haus, da Euhunl nur ber wchrönkt baferbar nt, nech mehr alı höher unseren Ratschlag: Sergfaltig und haudh« dünn sulrogen. Nicht die Menge, di Güte enticheidet die hochteine Kätezubereltung aus dem Allgäu mird nach wie vor mit edlem Chefterhäte her« geftelle und mit Milchzucher, Milchalbumtnen und Milchmie nerallen angereichert, Butter zart, wie Der VELVETA if, reiche man Ihn mei ohne Guter aufe Brot. Das macht ihn beiondero ausgiebig. KRONEN- KRAWATTEN-FABRIK BERLIN Ca elne Seesand für sehr Empfndliche Sie reinigt uod pfegı die Haut. Stets zu dünnen Hreı verrühren! ATerlögel voll genäat! Den Forderungen der Zeit entsprechend kann man sich frisch u. leistungsfähig erhalten, wennmandurchdasregelmäßige Einnehmen von Adolf Justs Lu- vos-Heilerde für eine gründliche Entschlackung und Reinigung seines Innern und dadurch gleich- zeitig für eine geregelto Verdau- ung sorgt. Außerdem enthält die Luvos-Heilerde wertvolle Mine- | ralstoffe, die der Organismus fi | Frite M. Täbko&| irn Auen wgleh rucht Adolf Justs Luvos-Hellerde in Apotheken, Drogerien und Reformhllusern! seinen Aufbau täglich braucht. | dasFarbband a #0 muß vor allem die Schreibmas schine in Ordnung sein. Achten Sie dorasl, doß die wichrigen Teile/Forbbondumacholtun, \romıport, Wolzen unw) sen ein“ wondfrei orbeiten. Sie schreiben dom noch lönger mit dem larb- konzenirieten und dadurch be- vonder ergiebigen Forbbond Gehe EDELKLASSE BEHA-WERKE- HANNOVER 20, Nr. 339.697 und 118608 IN dte felt mehr ele 20 Jahren eingeführte Martenbegeithmung für da6 von. Haderbrän Münden unter Batenıfchup (DORP. Nr. 348960) hergefeilie eltopolarme, diätetifehe Mündpener Malygettänt Badpulver fragen oft an, ob fie jetst micht mehr Bassist spa jr. LEETEFIASCHEN Das wäre falja! „Badin“ ift fo gut wie immer. Derlaffen Sie fit} ruhig auf | die „Zeitgemäßen Rezepte“ von | Rn, Üelkor! 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J.Bieger * Im Anschluß an die prachtvoll gerittene Fuchs- jagd, bei der die blutjunge Komtesse Götz von Ueberlingen Siegerin geblieben war, fand eine Jagdtafel Im Schloß statt. Sämtliche Teilnehmer der Jagd, Damen und Her- ren, wurden von der Schloßbesitzerin mit einem Eichenbruch geschmückt, der an einem roten Bändchen befestigt war. Beim darauffolgenden Tanz verlor die Komtesse von Ueberlingen ihr Schleifchen. Mit einmal ertönte ihre helle Stimme im Saal: „Heilige Barbara, jetzt habe ich mein Bruchbänd- chen verloren.” —pf Es sitzt ein Angler an der Havel und starr un- entwegt auf seine Angel. Schlendert ein Spazier- gänger heran und gesellt sich zu ihm, „Womit angeln Sie denn da, Herr Nachbar?“ „Mit n’er Angel. Sehn Se det nich?" „Ich meine, was Sie an dem Haken haben?‘ „Käse.“ „Käse? Solln sie darauf beißen?” „Ick hab se nich jefragt.” „Warum nehmen Sie denn Käse und keine Würmer an den Haken?” „Weil ick in Tierschutzverein bin und unnötiger- weise keen Tier quälen will.” „Keinen Fisch?” „Ne, keenen Wurm.” „Ja, wenn der Fisch in den Haken beißt, das Ist doch auch Tierquälerei. Oder meinen Sie, das tut dem Fisch nicht weh?" „Den Fisch, den eß ick ja,” P.M. Niahande I: zgm Pollen Tropfen entnehmen Sie avi dem in jeder Loge standfesten | UMU:GIas die für Ihran Föllhalter so geeignete, leicht — (NS (@) cıH = G 4, A RW Alm Ka IKAILADIDIE IRDIA IKAD SMILEITIN RS En regelmäßig morgens wenn sie vorüber, abgelegt wird Uhr leidet = _ „Emweka" | die transoortable | ‚Antenne ahme | Draht in. sedes Netzgerät, einer Minute anpringbar, bringt I ‚eine Hochanteı m Gebrauch, Anrkennunn 5, Nach. 0 Bir, mehr, Prost rei schont und pfle: Max Wunde in 45 ||| ont und pflegt Max Wunderlioh, Köln 5 hat sie noch länger MULCUTO DIAMON ” FÜR DEN STARKSTEN BART Gebtauchsanweoisun Nach derVorrasur mitSchnelde den Schutzkamm dos Apparatı durch Drehen des Griltes etwas !ösen, den Schaum abspülen, Griff wloder anschrauben und mit der SchneldeNr.2 sauber nachtasleren erhältlich, täglich 724 morgen Beistehendem Uhrwerk verdickt das Öl leicht. 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Dem alten Sepp lief, wenn er mit selnem ewigen Rucksack auf dem Rücken vorüberkam, beim Anblick dieses Reich- tums jedesmai das Wasser im Mund zusammen, so daß er sich hastig den borstigen Schnurrbart wischen mußte, wobei seine gutmütigen Äuglein vor Aufregung einige Tropfen in die — wie prak- tischl — von der Natur darunter angebrachten Tränensäcke gleiten ließen. Auch mußte er zum Tabakfläschchen greifen und ein Niesgebirge auf den Handballen häufen, das unter bedeutendem Schnüffelgeräusch in die Nase emporbefördert wurde. Danach war die Seelen- ruhe wieder sowelt hergestellt, daß er kopf- schüttelnd unter Selbstgesprächen weiterschreiten konnte. Der Sepp hegte Im Grunde seines Herzens eine nahezu franziskanische Liebe zur Tierwelt, nur — Im Gegensatz zu dem Heiligen — mit der Ab- wandlung, daß er sie sich auch gern und voller Zärtlichkeit In der Pfanne vorstellte. Ihm schien im Prutzeln und Schmoren ebenfalls etwas vom Lobgesang der Kreatur zur höheren Ehre Ihres Schöpfers enthalten zu sein, und besonders von so einem Truthahn, der ja schon lebend durch seine fabelweltliche Ausstaffierung die Phantasie befruchtet, wollte ihm bedünken, daß sein gellen- der Schrei ein einziges ungestü- mes Verlangen nach der Pfanne und dem damit verbundenen Sin- gen zum Preise des Herrn aus- drücke, Immer häufiger — und Je seltener er Fleisch zu kosten bekam, um so aufreizender — sah er vor sel- nem Inneren Auge die Erscheinung bratender Geschöpfe, und all- mählich, da selbst die Nase mit eingriff und alarmierende Düfte zu wittern glaubte, bekam der Sepp das, was die gebildeten Städter einen Truthahn-Komplex nennen würden, Ideen von Immer größerer Hemmungslosigkeit be- mächtigten sich beim häufigen Anblick der Tiere des Geplagten, bis er eines Tages zu schwach war, den Einflüsterungen des Teu- fels ferner standzuhalten, Dieser aber raunte Ihm Ins Ohr: Weißt du denn nicht, daß Trut- hähne die ausschweifende Eigen- schaft haben, unaufhaltsam da- vonzurennen, so daß ständig Je- mand auf dem Sprung sein muß, sie zu suchen und heimzutrelben! Den Bauern freut es schon lang nicht mehr, daß er sich diese Plage auferlegt hat. Wenig Leute sind da, am hellichten Tag könnte man spielend so ein Ungetüm greifen — hol’ mich Gott, das gäb’ einen Braten! So zischelte der Böse und der Sepp konnte seinen Speichelfluß nicht mehr bändigen. Etwas mußte geschehen und zwar bald, denn gerade waren „sie“ felst und reif zum lLobsingen in der Röhre. An elnem nebligen Wintertag, da obendrein Schnee wirbelte und weit und breit kein Mensch zu sehen war, geschah es, daß der Sepp drei der Hähne ganz ge- mütlich daherkommen sah, als ob sie bestellt worden wären. „Ah — ah —, da schau herl” stieß VON PETER SCHER er hervor und blieb stehen. „Sie haben sich da- vongemacht“, fuhr er im Selbstgespräch fort, und vor Aufregung ging sein Atem wie ein Blasbalg. „Ja, gibt es denn so etwas auch“, fuhr er, sich näher schleichend, fort, „mir scheint pfeilgrad, es soll so sein! Na wart, dich werd’ ich kriegen!” Und weiter fügte der Böse alles günstig. Die Hähne stolzierten auf eine leere Klesgrube zu, In der sie untertauchten — und der Sepp ebenfalls. Kurz darauf trabte er murmelnd und ein einge- wickeltes Etwas von ziemlichem Umfang liebe- voll an sich drückend, seinem abseits gelegenen Häuschen zu, In dem er ganz allein wohnte. Der Zufall hatte es gefügt, daß er als Störschneider, der er war, gerade eine Decke bei sich hatte, in die er gelegentlich Kleider zu hüllen pflegte. Darein gewickelt, saß nun ergeben der Truthahn, der im Anfang überaus ungebärdig gewesen war. Im Häuschen angelangt, wurde das stolze Ge- schöpf hinter sorgsam verriegelter Tür befreit und mit Überschwang bewundert. So ging einige Zelt hin, Der Hahn und der Sepp schienen sich ge- fühlsmäßig einander zu nähern, doch blieb ersterer von einem leichten Mißtrauen, gepaart mit Un- tuhe, nicht ganz frei. Er wollte offenbar hinaus zu den Brüdern, was ihm nicht verübelt werden konnte, Auf einmal schlug sich der Sepp mit der flachen Hand vor die Stimm. Ihm war mit Schrecken ein- Französische Kleinstadt - Cittaduzza francese gefallen: Um das Tier braten zu können, mußte man es Ja erst totmachen — und wer um alles in der Welt sollte das tunl 'O Himmel, wie hatte er diese nicht ganz unwichtige Voraussetzung so vollständig vergessen können! Erschrocken staärrte er den Hahn an, der eben daran ging, mit kräftl- gen Schnabelhieben das wacklige alte Kanapee zu zertrüummern. Bei diesem Anblick streute der Sepp das übliche Tabakgebirge auf den Hand- ballen, riß es mit einem starken Schnaufer empor, tupfte mit dem geblümten Tuch die bläuliche Knollennase und brach in eine ansehnliche Folge von Flüchen aus, von „Kruzitürken” angefangen bis zu „Himmiherrgottsakramentkreizteifinoch- amall” Hierdurch ein wenig entlastet, wenn auch nicht in der tieferen Schicht um den Magen herum, kam er allmählich zu der bitteren Erkenntnis, daß das Unternehmen verfehlt und also bestimmt vom Teufel eingegeben worden war. Da zudem das unbändige Geschöpf immer bedenklicher auf das Kanapee einhackte und keiner vernünftigen An- sprache zugänglich schien, öffnete der Sepp die Brotlade, schnitt ein Stück ab, zerkrümelte es sorgsam und fütterte den Hahn, der es sich mit einer gewissen Herablassung gefallen ließ; denn Körnern hätte er den Vorzug gegeben. Eine Welle verbrachten sie so in einem auf seiten des Tieres vergnügten, beim Sepp aber leicht ge- trübten Beleinander, während draußen die Flocken Immer dich- ter wirbelten. Endlich erhob sich der alte Schneider seufzend vom Kanapee, erhaschte mit unerwar- tetem Zugriff den strampelnden Hahn und schlug Ihn wieder, wie vorher, In die Decke ein. Noch zögerte er einen Augen- blick, wobel ihm vor Erregung zwei richtige Tropfen aus seinen Äuglein In die Tränensäcke hin- unterkollerten, dann trat er ent- schlossen den Rückweg nach der Kiesgrube an, wo er den schö- nen Gockel niedersetzte und mit lautem „Ksch ksch“ weiterjagte, Er hatte dies kaum vollbracht, als er Im Schneegestöber eine Ge- stalt auftauchen sah, den Aus- tragsvater vom Hofe, der seuf- zend und rufend den letzten Hahn suchte und soeben freudig auf- atmend auch fand. Sie kamen In ein Gespräch, In dessen Verlauf der alte Bauer zu erkennen gab, wie dankbar er dem Sepp sel, daß er den vagabundierenden Hahn zurückgescheucht habe; an etwas Nahrhaftem solle es zur Belohnung nicht fehlen. So kam der Sepp, der sich hütete, die gute Meinung, die man von ihm hatte, in Frage zu stellen, zu einem Stück Geräucherten, das er am Abend nachdenklich, je- doch nicht ohne Genuß verzehrte. Als er dabel seinem Schutzengel, der ihn vor einer Schandtat be- wahrt hatte, ein frommes Geden- ken widmete, wurde ihm freilich nicht recht bewußt,daß diese Dank- sagung ein wenig den Charak- ter einer Vergeltungsmaßnahme hatte, die er in begreiflichem Zorn dem Teufel gönnte, weil er seln angefangenes Werk — wenn auch auf dem Umweg über die eigene Gutmütigkeit — so leicht- sinnig Im Stich gelassen hatte. (69. Gaggell) Vor dem Spiegel (K. Holligenstaedt) „Findest du, daß mich die rote Kette kleidet?" „Kleidet? Na ein bißchen was würde ich schon noch dazu anziehen!“ 45 EIN MANN MIT VOLLBART Vor Herren mit ehrbaren Vollbärten habe ich Achtung gehabt. In Ihrer Nähe kam ich mir klein und nebensächlich vor. Ich führe das auf meine Schulzeit zurück. Von einem Vollbart auch will ich Ihnen hier etwas erzählen. Sie werden da erkennen, daß sich hinter solch einem Vollbart zuweilen allerhand verber- gen kann, und daß Sie einen gänzlich andern Menschen vor sich haben, wenn der Bart ab ist. Ramon und ich, wir hatten Geld verdient, viel Geld, hatten uns anständige Pferde gekauft mit prächtigen Sätteln und Zaumzeugen, und nun ritten wir nach Barros, wo wir uns neu einkleiden wollten. Auch das Haar wollten wir uns dort schneiden lassen, es war wieder mal Zeit, wahr- haftig. Am Morgen waren wir losgerltten. Gegen Abend hätten wir in Barros sein können. Aber es gab unterwegs eine Reihe von unvorhergesehenen Aufenthalten. Und es wurde Abend, ehe wir vor den Bergen ankamen, hinter denen Barros lag. Uber die Berge, die Sierra de los Candeleros, führte ein schmaler, steiniger Weg, der selten benutzt wurde, Wer nach Barros ritt, der wählte den breiteren Weg, welcher sich am Fuß der Berge entlangschlängelte. Er war bequem und ziemlich belebt. Wir aber ritten über die Sierra. Die Dunkelheit kam plötzlich und viel zu früh. Wir sahen ein, daß wir Barros an diesem Tage nicht mehr erreichen konnten. Der Weg war uns un- bekannt. Und wir wußten auch nicht, ob unsere neuen Pferde uns sicher auf die andere Seite der Sierra de los Candeleros bringen würden. Deshalb beschlossen wir, nicht weiterzureiten und in den Bergen den Morgen abzuwarten. Wir sahen uns nach einer Stelle um, an der wir über- nachten konnten, Während wir nach langsam weiterritten, tauchte vor uns der Schein eines Feuers auf, Wir sagten uns, daß es wohl einem Menschen ähnlich gehe wie uns, daß er, wie wir, den Weiterritt nicht wage und in der Sierra übernachte, Es konnten auch mehrere Menschen sein. Doch die Sache verhielt sich anders. Wir kamen zu dem Feuer, das an einer etwas überhängenden Felswand brannte, und sahen dort einen Mann sitzen. Er erhob sich, als wir in seiner Nähe waren, Ich sah, daß er Ramons breite Schultern, Ramons ganze Figur hatte. Etwas aber unterschied ihn von Ramon: er trug einen wallenden Vollbart, der pechschwarz war und ihm bis zur Brust reichte. Ich erschrak und dachte sofort an die Vollbart- herren, die mir in meiner Jugend das Gemüt ver- düstert hatten. Aber dieser Vollbart, der uns ein paar Schritte entgegenkam, schien ein netter Mann zu sein: er begrüßte uns freundlich und lud uns ein, ihm an seinem Feuer Gesellschaft zu leisten, falls wir die Absicht hätten, in den Bergen zu Übernachten. Wollten wir aber nach Barros weiterreiten, dann gestätte er sich, uns darauf aufmerksam zu machen, daß der Abstieg schwierig sei und selten von Reitern in der Nacht gewagt werde. Es war klar, daß wir uns bereits zum Bleiben ent- schlossen hatten, noch ehe der freundliche Voll- bart seine Ansprache beendete, Wir stiegen ab, zogen unsere Hüte, nannten unsere Namen und erfuhren, daß wir den Sefior Teofilo de Pisagua vor uns hatten, Am Feuer aßen wir etwas, und dann boten wir Don Teofilo eine Zigarette an. Aber er lehnte höflich ab. „Nein“, sagte er, „ich rauche nicht, Ich halte nichts vom Rauchen. Ich halte über- haupt nichts von den Dingen der sogenannten Zivilisation. Die Natur gibt mir, was ich brauche. Und das genügt mirl” Dieser vollbärtige Teofilo war ein interessanter Mann. Wir unterhielten uns sehr gut mit ihm. Die Stunden vergingen schnell. Die Sterne hingen groß und nah auf uns herab. Unsere Pferde gras- VON KONRAD SEIFFERT ten nicht weit von uns. Es war eine schöne Nacht. Wir erfuhren, daß der Mann, der mit uns am Feuer saß, das Land kannte, er war schon überall gewesen, Am besten aber kannte er die Natur, mit der er eng verbunden war, wie er uns erzählte. Er war recht ärmlich gekleidet, besaß nicht ein- mal einen Hut, seine Schuhe waren zerrissen, sein Haar hing ihm lang auf Schultern und Nacken herab, er ließ es nie schneiden, er raslerte sich nicht, Das sei eine barbarische Sitte, behauptete er, ein Eingriff in die Natur. Er sprach so über- zeugend, daß Ich fast bereit war, mir auch einen Vollbart wachsen zu lassen. Im Lauf der Unterhaltung erzählten wir einiges von uns. Wir hatten keine Bedenken, davon zu sprechen, daß wir sehr viel Geld verdient, daß wir uns Pferde gekauft, daß wir die Absicht hat- ten, uns in Barros neu einzukleiden. Unsere Kleidung war wirklich nicht mehr erst- klassig, Sie können es glauben. Don Teofilos An- zug aber hing nur noch sehr lose zusammen. Er trug eine zerfetzte Hose, einen Kittel, um den er einen dünnen Strick gebunden hatte. Da wir uns neue Anzüge kaufen wollten, boten wir, Ramon und ich, dem Don Teofilo, der mir wie ein Prophet in der Wüste vorkam, unsere Jacketis an. Aber er lehnte dankend und lachend ab. „Weil Sie aber, Caballeros, so nett zu mir sind, will Ich Ihnen etwas geben!“ rief er. Dabei zog er unter der zerschlissenen Decke, auf der er saß, eine In Zeitungspapier gewickelte Flasche hervor: „Es Ist Alkohol. Ich trinke keinen Alkohol. Man hat mir vor längerer Zeit diese Flasche geschenkt. Es ist ein guter Schnaps. Etwas davon habe Ich gewissermaßen als Medizin verbraucht.” Wir tranken von diesem Schnaps. Don Teofilo trank nicht. Es war ein recht guter Schnaps, der mächtig ins Blut ging. Wir wurden schnell müde beim Trinken. Müde waren wir schon vorher ge- wesen vom langen Ritt. Und so legten wir uns denn an der Seite des Feuers hin. Don Teofilo sagte, er werde nicht schlafen, er werde sich mit den Sternen beschäftigen. Ich sah noch, wie er ein paar trockene Baumöste ins Feuer schob. Dann schlief Ich. Ramon war schon vorher eingeschlafen. Als wir am Morgen erwachten, waren wir allein: Don Teofilo war nicht zu sehen, auch unsere Pferde nicht. Wir sprangen hoch, suchten das Gelände ab, fanden nichts. Und dann erst stell- ten wir fest, daß auch unsere Brieftaschen mit all dem vielen Geld und mit all unseren Papieren verschwunden waren. Ramon begann gräßlich zu fluchen, und dann be- hauptete er, ich, ich sei schuld an der ganzen Schweinerei, ich sei zu vertrauensselig gewesen, er habe gleich gesehen, daß hinter diesem voll- bärtigen Teofilo etwas ganz Gefährliches stecke, und wenn es nach Ihm, nach Ramon, gegangen wäre, dann hätten wir Barros noch vor Einbruch der Dunkelheit erreicht. Nichts davon stimmte. Ramon hatte sich genau so übers Ohr hauen lassen wie Ich. Und ich dachte nicht daran, auf seine Vorwürfe einzugehen. Er.beruhigte sich dann auch bald, und.wir gingen zu Fuß nach Barros, das wir am Spätnachmittag STERNENHIMMEL Die fchwarze Nacht hat fich im Raum verbreitet, von taufend Lichtern feierlich geleitet: der Himmel hat fich hoch zum Dom gemeitet. Nun funkeln lautlos all die kalten Sterne, als atmete die unermeffne Ferne, auf daß der Menfch fich felbft vergeffen lerne, Richard von Schauhal * erreichten. Etwas Geld besaßen wir noch, es war wenig. Da wir hungrig waren, beschlossen wir, im Hotel an der Plaza zu essen. Als wir dort eintraten, betrachtete man uns recht argwöhnisch. Denn wir sahen wirklich nicht vor- teilhaft aus. Ich sagte es Ihnen schon: es war nötig, daß wir uns das Haar schneiden ließen, und rasiert waren wir auch nicht. Aber das Schlimmste war, daß wir zu Fuß kamen. Ach, lieber Herr, es macht immer einen schlechten Eindruck, wenn ein Mensch, der gewohnt ist, Im Sattel zu sitzen, zu Fuß erscheint. Als wir Platz nehmen wollten, entdeckten wir in einem Sessel einen Herrn, der eine mächtige Zigarre rauchte. Eine Flasche Wein und ein Likör- glas standen vor ihm auf dem Tisch, zwei Kellner waren gerade dabel, Teller und Schüsseln vom Tisch zu nehmen, der Gast hatte eine reichliche Mahlzeit hinter sich. Nun betrachtete er uns auf- merksam und ein wenig lächelnd. Als Ich zu ihm hinsah, glaubte ich, der Raum drehe sich um mich: dieser Kerl dort war der Mensch, der sich Sefior Teofilo de Pisagua nannte, der gestern abend in der Sierra de los Gandeleros den Philosophen markiert, der einen Vollbart ge- tragen hatte, der in Lumpen gekleidet war. Jetzt war der Bart ab. Der Anzug, in dem der Mensch steckte, war elegant und nagelneu. Sein pomadi- siertes Haar klebte blauschwarz an seinem Kopf, es roch bis zu uns herüber nach einem lächer- lichen Parfüm. Auch Ramon erkannte den Kerl. Und er stürzte sich mit einem Wutschrei auf ihn, gab ihm einen Hieb zwischen die Augen und brüllte: „Heraus mit unserm Geld! Wo sind unsere Pferde, du Lump?” Ich hielt dabei den ehemaligen Vollbart am Kragen fest. Ach, Ileber Herr, wir erreichten nichts. Gäste und Kellner stürzten sich auf uns, die Polizei kam, Und dieser geschniegelte und parfümierte Mensch behauptete, uns nicht zu kennen. Wir hatten kein Geld. Mit Geld kann man allerhand tun. Aber wir hatten auch keine Papiere. Und das war schlimmer. Vielleicht haben Sie schon mal er- fahren, was es heißt, ohne Paß und Auswels zu sein. Es ist überall das gleiche. Man traut Ihnen das Niederträchtigste zu, und man denkt nicht - daran, Ihnen auch nur ein Wort zu glauben. Nur weil Sie kein Papier mit irgendeinem Stempel vorzeigen können! Nein, uns glaubte man nichts. Dem gewesenen Vollbart aber glaubte man, daß er Ramon sel, Er war ja Im Besitz von Ramons Papieren. Und er glich Ramon ohne Vollbart im Aussehen, In der Größe, in ‚der Figur. Meinen Paß hatte er wohl vernichtet, den brauchte er nicht. Uber vier Wochen saßen wir im Gefängnis von Barros. Ach, das war eine häßliche Zeit für uns. Man behandelte uns, wie man vielfache Raub- mörder behandelt und ließ sich erst von der Rich- tigkeit unserer Aussagen überzeugen, nachdem es uns gelungen war, ein paar Freunde zu mobilisie- ren, die sich für uns verbürgten. Inzwischen aber hatte der Philosoph aus der Sierra de los Candeleros die Stadt Barros längst verlassen, Eins unserer Pferde hatte er verkauft, wir erfuhren es später, mit dem andern war er verschwunden, es waren schöne Pferde, wahr- haftigl Unser Geld war weg. Unser Haar war noch immer nicht geschnitten. Wir trugen Bärte, aus denen Vollbärte geworden wären, wenn wir sie uns nicht hätten abnehmen lassen. Jetzt wollte ich keinen Vollbart tragen, nein, Jetzt nicht mehr! Ramon auch nicht. Sie glauben es mir vielleicht, lieber Herr, daß ich seit dieser Zeit vor den Vollbärten nicht mehr die Achtung habe, die ich bis zu meinem unfrel- willigen Aufenthalt in Barros vor ihnen hatte. Weiß ich doch jetzt, daß sogar Pferdediebe sich hinter ehrbaren Börten verstecken können! Verlag und Druck: Knorr & Hirih Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fernruf 129%). Brielanschrift! München 2 BZ, Brleffach. Verantwortl. Schrit alle Buchhandlung: gültig ab 15. Okt, , Zeitungsgı Walter, Foltzick, München, Vorantwortl, Anzelganleiter: Gustav Sch 195g jo und Postanstaltan entgegen. Bezugspreise: Einzelnummer 30 Pf,; iM. Unvorlangie Einsendungen werden nat turückgesandf, wenn Porto belliegt. — Nachdruck verboten. Posischwckkanto München 5920. Erfüllungsort München. München. — Der Simpliclsslmus erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nahmen ‚Abonnement im Monat RM. 1. eigenprelse nach Prolsllste Nr. 7 Der Entendieb - Il Iadro di aniire (0. Nückei) 47 Der Nachfolger Darlans (Wilhelm Schulz) „Wollen sich Herr General nicht in eine Lebensversicherung aufnehmen lassen? Die Mortalität in Ihrer Branche Ist sehr groß!" II successore di Darlan: “Non volete, signor Generale, entrare In una "Assicurazione per la vita,? La mortalitä nel vostro ramo & assal grande, 48 München, 27. Januar 1943 48, Jahrgang / Nummer 4 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Sammlerpech (Wilhelm Schulz) |: A R v Be „Schade um diese hübsche chinesische Vase, die schönere Hälfte ist schon abgesprungen !" Sfortuna di collezionista: "Peccato che la parte migliore di questo bel vaso cinese sia giä saltata vial,, Draußen am Stadtrand - Fuori, all’ orlo della cittä Höflichkeit zwischen Türen Wir sind im allgemeinen guterzogene Leute, und, wenn wir elnem auch alles Schlechte ‚wünschen, so vermeiden wir doch, vor ihm durch die Tür zu gehen. Das hat man uns mit vieler Mühe in der Kindheit schon beigebracht. Ludwig, laß dem an- dern den Vortritt, Davon ist viel haften geblie- ben, und wir handeln darnach, außer beim Schlan- genstehen, aber das gehört mehr ins Sportliche und hängt mit der Erzielung von Spitzenleistungen zusammen. Es Ist ein Sonderfall, Sie kennen ja das Spiel, das sich ergibt, wenn zwei Herren gleichen Höflichkeitsgrades an einer Tür zusammenkommen. Sie komplimentieren ein- ander hinein, längere Zeit, bis sie sich plötzlich entschließen, dem Drängen des andern nachzu- geben. Schlagartig prallen sie in der Türöffnung zusammen, und wie zwei Walzen in einer Drucker- presse drehen sie sich hindurch, wobei unter ver- legenem Lächeln letzte Höflichkeiten ausgetauscht werden, gemischt mit Bedauern über Höflichkeit und ihre Folgen. Hierzu verwendet man jede gewöhnliche Tür, es kann eine Zimmertür sein, die Tür einer Amts- stube, eine Ladentür, kurz, jede Tür von geringen Ausmaßen. Eine ganz besondere Sorte sind die Klapptüren, die vermöge eines Mechanismus von selber zu- schlagen. Meist steht „Drücken oder „Ziehen“ drangeschrieben. Aber wer beschäftigt sich mit Lektüre, wenn er schnell durch solch eine Tür kommen will. Diese Türen sind nämlich überall dort, wo man schnell hindurch will. Kommen nun zwei von entgegengesetzter Richtung an diese Tür, so geschieht es mit ziemlicher Regelmäßig- keit, daß die beiden gleichzeitig drücken oder gleichzeitig ziehen. Dieser Fall aber ist bei der Tür nicht vorgesehen, und deshalb rührt sie sich nicht. Da aber auf beiden Seiten höfliche, wohlerzogene Menschen stehen, so werden beide, wenn sie vor- herdrückten, jetztziehen,undwennsievorherzogen, jetzt drücken. Nach den Gesetzen der Mechanik tührt sich auch in diesem Falle die Türe nicht. Es kann längere Zeit dauern, bis die Höflichkeit des einen nachläßt und damit der Durchgang frei wird. Was geschieht aber, wenn zwei in einem gewis- sen Abstand, sagen wir mal von zwei bis drei Metern, hintereinander herkommen? Da kann doch nichts passieren, nicht wahr? O doch, aus Höflich- keit natürlich Der erste hält nämlich, wenn er sieht, daß jemand hinter Ihm kommt, die Türe einige Zeit auf. Nach einem Naturgesetz hält er sie gerade so lange auf, wie es genügt, um sie zurückschnellend seinem Nachfolger gegen den Bauch prallen zu lassen. Probieren Sie's mal, Sie werden's fühlen, Die Eile überwiegt die Höflich- keit nur um ein Geringes, aber das genügt. Foitzick 50 0. Hegenbarth) SEESCHLACHT Von Hans Leip Und gifchtgekränzt zu gnadenlofem Tun, fo trat fie vor die Wolkenbank, schrönt von Dunft, von grauen Vögeln überdröhnt. Und hier wie dort ein harter Wille bewegte ihrer Flotten Pracht, ftraff angeftaut mit Pflicht und Ehrbegriff und Mut. Und wie es hohe Rechenkunft lang vorbedacht, entlud fie jäh fich übers Meer. Und mwährte als ein brüllender Taitun Und als ein Weltgericht und fank, von Qual und Trümmern fchmwer, hinab in eine große Stille. Das Erwachen (ech Schiting) yr 23 N Y N h N An, A, R N „Ach so sehen Sie in Wirklichkeit aus! Und mir hat von so einem netten harmlosen Burschen geträumt!“ I risveglio: “Ah cosl & in realtä il Vostro aspetto! Ed io sognavo quello di un simpatico ed ingenuo ragazzo!,, 51 Cafe Algier {E. Thöny) ? u) N} Renee wer \ ; PARAT V f } Raservi rr | Gen-Eenhow FE Nerarvier \Lard Mc Milion, „Miese Stimmung, die Herren wollen sich absolut nicht an einen Tisch setzen!" Caff& Algeri: ""Cattivo umore; i signori non vogliono assolutamente sedersi insieme ad un Tavolo!,, 52 [E Im trauten Heim Tra le fide pareti (Fr. Bllek) „‚Zieh' die Beine ein, Diogenes, ich glaube, es fängt an zu regnen!" DER-BREMDE VON KURT GROOS Die Deckenleuchten, alte schmiedeeiserne Gas- lüster, brannten an diesem Abend nicht; der Gastgeber hatte die Wandkandelaber mit den Wachsleuchten anzünden lassen. Es lag ein milder und hoheitsvoller Schein in der hohen Halle. Wenn alles ganz still war, hörte man in der Ferne das Meer singen. Noch in diesem gedämpften Raum mit seinem uralten Ringsum fühlte man die Weite, die dieses Haus umgab, die Weite des Meeres dahinter und die Weite der Landschaft davor. Und doch war nur Einsamkeit in diesem Haus. Wir waren unser dreizehn an diesem Abend; die meisten kamen von welther in dieses Haus in der melancholischen grauen Landschaft, die wild und voll Leidenschaft nur Im Sturm war. Der Dichter, der Hausherr, hatte seine Beichte beendet; es war die Geschichte seines Lebens. Er hatte sie in ihrer Ungeheuerlichkeit vollkom- men ruhig, bewegungslos erzählt, und nun saß er da wie erloschen, Um uns geisterte, verhalten und eindringlich wie alles hier, die Tragik des gehörten Erlebens, ein feierliches Nachklingen im Raum. Die Erzählung hatte uns noch versunkener und nachdenklicher gemacht; wir grübelten den Stun- den nach, in denen auch uns das Schicksal be- gegnet war — in der Ferne hörte man das ein- same Meer singen; es klang wie eine Trauer- melodie. Schließlich machte einer ein paar Scherzworte — aber wie unecht, wie verkrampft klangen siel Irgend etwas Unaussprechliches bannte uns. Der Gastgeber ließ die Kelche wieder füllen, und jeder sank in seine eigenen Gedanken zurück. Vielleicht” — der große Geiger Birdelli hob bei diesen Worten das Glas ein wenig und sah durch den satten Purpur des Weines in das sich im Kelch wie schmelzendes Gold brechende Licht der Kerzen — „vielleicht öffnet sich doch einmal das Tor, und er kommt zurück als ein Anderer und weiß nichts mehr von den Schmerzen, die er bereitete. Vielleicht erlebt er das gleiche Schick- sal am anderen Ende der Sehnsucht — ein ebenso Einsamer dann. Vielleicht kommt er schon heute, vielleicht morgen...“ „Vielleicht nie“, unterbrach ihn der Dichter, um dessen Lippen ein harter, abweisender und schmerzlicher Zug lag. „Vielleicht nicht so, wie ihn damals das Laster hinabzog, vielleicht als ein Gewandelter, aufge- spült wieder vom Ozean des Lebens”, grübelte der Geiger. „Wir würden ihn nicht mehr erken- nen mit unseren Augen und dann doch alle fühlen, daß nur er es sein ‚kannl"” Das Gesicht des Hausherm wurde noch gequäl- ter, im Schein der Kerzen schien er erschreckend alt und zerfallen — der Geiger schwieg betreten; Jeder von uns versank wieder in sich, In die Stille der Halle trat plötzlich ein Brausen von draußen; unvermittelt erhob sich der Herbst- sturm, und das Meer schrie. Immer mehr Kerzen brannten nieder; erst im Weichen Ihres Lichtes erkannten wir, daß schon der graue, glasige Morgen durch die hohen Fenster in die Halle kroch. Unsere erst feurigen, dann kritischen und endlich so nachdenklichen, an die letzten Dinge rührenden Gespräche hatten die Zeit vollkommen getötet — keiner war müde geworden; die meisten schienen überwach. Der Dichter brach das Schweigen. Er fragte, ob wir den durch seine Einladung versäumten Schlaf nun nachholen wollten. Doch danach war keinem zumute; der dunkle Wein und der seltsame Zau- ber der Stunden bannten uns weiter in unsere tiefen Sessel. „Dann soll die Nacht uns bleiben”, sagte der Dichter. Ein Diener setzte neue Wachslichte auf, schloß die hohen Vorhänge, vor denen der bleiche Morgen geisterte, und es war uns, als ob die Zeit von neuem stillstehe. Wieder alle in uns versunken, fuhren wir erschreckt bei einem seltsamen Klirren auf: Das Glas des Hausherrn, der bleich und mit weitaufgerissenen Augen lauschend vorgebeugt in seinem Sessel saß, war zersprungen. Wie eine blutige Lache tränkte der Wein das weiße Tuch der Tafel; die Hand des Dichters zitterte, Wir alle sahen ihn an. „Es kommt Jemand!” sagte der Gastgeber tonlos. Er starrte mit seltsamen Augen auf das hohe Por- tal der Halle, und wie in einem Bann sahen alle dorthin; wir fröstelten, elne ungeheure Spannung lag über uns. Aber nichts war zu hören als draußen der Sturm und das Rauschen des Meeres. Mit erstickter, unsicherer Stimme meinte der Geiger, daß unsere Nerven ein wenig herunter seien von den Phan- tasmagorien der durchwachten Nacht. „Er kommtl' sagte der Hausherr ganz leise und hart, so als ob es etwas Unentrinnbares sei, das von ferne wie ein Schicksal nahe und seine Schatten schon auf uns werfe. 53 “Tira dentro i piedi, Diogene, ch& credo comincl a plovere!,, Kaum hatte der Dichter dieses uns furchtbar er- scheinende „Er kommil” über die blutleeren, ver- zerrten Lippen gebracht, da hörten wir ein Pochen, ein erst zaghaftes, dann herrischeres Pochen — leise knarrend öffnete sich der hohe Flügel der Halle, und im gleichen Augenblick strich der Sturm In den Raum und löschte die Kerzen, Nur an der hinteren Wand brannten noch drei ein- same Leuchten, die Halle mit fahlgelbem Licht verschwimmend erfüllend. Keiner von uns rührte sich; wir alle standen unter einem unerklärlichen Bann. Der Große, Hagere — im unbeständigen Licht konnten wir nur seine Um- tisse erkennen — trat schweigend in den Raum; der Sturm oder eine Geisterhand fegte den Flügel des Portales hinter ihm zu. Er blieb — wie lange es sein mochte, weiß ich heute nicht mehr; viel- leicht habe ich es nie gewußt — eine Zeitlang wie angewurzelt stehen, und nun konnten wir Ihn deutlicher erkennen, wenn er auch von dämoni- scher Unwirklichkeit im seltsamen Zwielicht er- schien. Er mußte von weither durch den Sturm ge- kommen sein, er mußte Wind und Wetter nicht fürchten — sein Gesicht war von einer starren Kälte, und doch schien es wie gegeißelt von den wirren Haarsträhnen, die der Sturm in die Stirne und über die harten Wangenknochen gepeitscht hatte, Er trug einen langen schwarzen Olmantel, wie ihn Seefahrer auf alten Abbildungen tragen Den breiten Hut hatte er tief in die Stirne gezogen, seine Augen wären mit unhelmlicher Ruhe auf uns gerichtet. Das Magische, das von der Erscheinung ausging, wurde verdeckt durch etwas, das uns allen wie ein unheimliches Spiel erschien: Der Fremde tat verlegen, aber sein Gang war fest und aufrecht, als er mit tödlicher Unausweichlichkeit auf uns zukam, durch unsere Runde hindurchschreitend wie durch Luft, immer den Blick nur auf einen, ‚den Hausherrn, gerichtet. Vor ihm, dem jetzt ganz Zusammengekauerten, blieb der Unheimliche stehen; erst jetzt sahen wir, daß er in seiner Linken eine kleine schwarze Kiste in der Art eines Kindersarges trug. Das Entsetzliche war, daß der Fremde noch immer kein Wort sprach, „Was wollen Sie?" Es war die ächzende Stimme unseres Gastgebers; sie kam wie aus Gräbern. Doch brach sie den fürchterlichen Bann, denn der Fremde, mißbilligend, verächtlich fast den Blick auf die letzten verflackernden Kerzen gerichtet, nahm den breiten Hut ab, räusperte sich ehr- erbletig und sagte: „Ich möchte die Gasuhr prüfen!" Unerreichtes Ziel - Meta non raggiunta (0. Herrmann) „Ich glaube, liebes Kind, du hast dich nun genug geschminkt.' — „Aber, Papa, ich sehe mir doch immer noch ganz ähnlich!" *Bambina mia, credo che ormal tu 1 sia Imbellettata abbastanza.,, — “Ma, babbo, sono sempre ancora riconoscibile!,, PRINZESSIN MARYS UNGLÜCKSFALL Der höchst peinliche Vorfall hatte sich folgender- maßen zugetragen: Auf der bezaubernden Ve- randa des prachtvollen Sommersitzes am schil- lernden Meere hatte die bildschöne Prinzessin Mary den Erbprinzen Henry, ihren neugebackenen Bräutigam, Inmitten der Hofgesellschaft bei einer Unterhaltung auf einmal stehen lassen. Gerade in dem Augenblick, da er ihr liebevoll zuflüsterte: „In Ihrer Gegenwart, Mary, schlägt mir keine Stundel” hatte das Königskind urplötzlich erblei- chend das bildschöne Gesicht verzogen, war auf- gesprungen und mit einem bloßen „Pardon!” da- vongelaufen. Sogar die alte Fürstin Katinsky, die hochgradig versierte Hofdame, deren Amt es war, das Verlöbnis, von dem das Geschick zweier Yölker abhing, zu, beschirmen, war platterdings sprachlos. Mit Müh’ und Not erholte sie sich und nahte dem erstarrten, durch die beschämende Demütigung gleichsam gelähmten Prinzen. „Oh, Hoheit wollen den plötzlichen Aufbruch der Prinzessin verzeihen... Sie ist zur Zeit außer- VON L. M. PALMARINI ordentlich nervös. an... Vielleicht... Der Prinz jedoch hatte sich, ohne ihr im gering- sten Gehör zu schenken, erhoben, war mit einem schneidigen „Adieul“ solo zur Verandatür hinaus- spaziert und eilends durch den Garten ver- schwunden. Die Fürstin Katinsky hatte, tief beunruhigt, den Vorfall schleunigsı der Königin berichtet, und die erlauchte Frau, die gerade, in ihr Arbeitszimmer zurückgezogen, die Dosen ihres Cedro- und Me- lissensaftes ausprobierte, ein ausgezeichnetes Mittel gegen nervöse Schwäche- und Ohnmachts- anfälle, war, als sie die seltsame Begebenheit vernahm, höchst verwundert. Als weitblickende Frau bedachte sie die Folgen, die diese unbe- sonnene Tat haben könnte, Sowie sie die Ge- schichte erfahren hatte, begab sie sich mit gro- Ben Schritten, begleitet von. der bejahrten Rund- Hchkeit der Katinsky, die wie ein hinter dem Gros zurückgebliebener Pinguin hinter ihr dreinhüpfte, 54 . Die See strengt le zu sehr ins Gemach der Prinzessin, Sie fand sie mit ver- weinten Augen in einen Sessel versunken. „Was ist geschehen, Mary? Du hast den Prinzen stehen lassen? Sag, warum?” „Unmöglich Das Mädchen brach in Tränen aus, „Das kann ich nicht sagen.” „Ach, Unsinn! Was kann schon gewesen sein? Der Prinz Henry ist so ein feiner, netter Mensch, und außerdem liebt er dich so.” „An ihm liegt es ja gar nicht... Es hängt gar ‚ht mit ihm zusammen..." „Womit denn? — Geh, bring mich nicht auf... Wer weiß, was der König dazu sagt! Ich muß ihm doch die Wahrheit sagen... Los, sprich, schnell” „Verzeih, Mama, aber es ist unmöglich... Es ist eine diskrete Angelegenheit... Ich bin untröst- lich... Lieber würde ich sterben, als es aus- sprechen...” ’ Da die Königin sah, daß ihre Beharrlichkeit ver- gebens war, begab sie sich zum König, die Ka- tinsky Im Vorzimmer zurlcklassend, Seine Maje- Das Engagement (Kilos) „Glauben Sie mir, Herr Direktor, meine Tanzdarbietungen finden stets rauschenden Beifall!‘ „Was heißt Beifall? Die Frauen müssen vor Eifersucht platzen und die Männer irrsinnig werden!“ La scrittura: ““Credetemi, signor Direttore, le mie danze raccolgono sempre un frenetico applausol,, E che significa applauso? Le donne devono scopplare dalla gelosia e gli vomini devono perdere il cervello!,, 55 stät weilte in seinem Studierzimmer, das in glei- cher Höhe mit dem Garten lag, von dessen Rosen die Duftwellen in den strengen, ganz mit Büchern ausgefüllten kleinen Saal fluteten. Der König strich, wie er beim Nachdenken pflegte, den wal- lenden Bart und sog an der Pfeife. Als er die seltsame Geschichte vernommen, enisetzie er sich und heftete unverwandt den verwunderten Blick durch die Brille auf das noch jugendliche Gesicht der Königin. Dann nahm er die Pfeife aus dem Mund und stammelte: „Wieso denn? Ist sie verrückt geworden?” „es war unmöglich, den Sachverhalt aus ihr her- auszukriegen. Sie sagte, der Prinz habe sich stets durchaus korrekt benommen, er habe gar nichts damit zu tun, und den eigentlichen Grund könne sie nicht sagen; lieber stürbe sie, als daß sie ihm die Sache erklärel” Darauf schnellte der König empor — er war von hoher, imposanter Gestalt — und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, daß die tintegefüllte Schale des goldenen Schreibzeugs auf ein Bün- del bereits unterzeichneter Erlasse sprang. „Ich will die Wahrheit wissen! Ich muß sie wis- sen! Das ist eine höchst peinliche Angelegenheit! Laß sofort. Mary hierherkommen!” Während die Königin sich anschlckte, den Befehl auszuführen, trat ein Kammerherr ein und blieb mit einer Verbeugung einige Schritte vor der Portiere, stehen. 4 „Was gibt's?" „Majestät, der Flügeladjutant Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Henry bittet Euer Majestät, Ihn empfangen zu wollen.” „Da haben wir den Salat!” knurrte der König und versteckte seine Pfeife hinter einem Bücher- stapel, Laut sprach er sodann: „Er soll eintreten." Der Flügeladjutant, der überaus kurzsichtig war, näherte sich In dem ungewohnten Halbdunkel des Studierzimmers unter vielen Verbeugungen einem großen Olgemälde, darauf der alte König, der Vater des gegenwärtigen, ein Zepter im Schoß hielt neben sich eine Erdkugel, auf der die andere Hand majestätisch ruhte, indes in augenfälliger Großartigkeit ihn ein zu Pelz ver- arbeitetes Rudel Hermeline drapierte, „Entschuldigen Sie, wo wollen Sie denn hin?" sagte der König ein wenig ungeduldig. „Hier, hier, kommen Sie hierher! Machen Sie sich’s be- quem!” „Ich bitte Euer Majestät um Verzeihung... Ich komme aus der Sonne... Ich sehe schlecht... Dies ungewohnte Halbdunkel...” „Also?“ fragte der König nervös, „Nun wohl, Majestät werden bereits um den höchst ernsten Zwischenfall wissen, der sich so- eben ereignet hat und bei dem Ihre Hoheit, die Prinzessin Mary, unsern durchlauchtigsten Erb- prinzen urplötzlich ihrer erhabenen Gegenwart beraubt hat, Ein so erlauchter Fürst wie Euer Majestät wird die außerordentliche Tragweite der Tatsache einsehen. Seine Hoheit will durchaus in seine Residenz zurückkehren und beansprucht ge- hörige Genugtuung, ehe die Angelegenheit poli- tischen Charakter annimmt und ernstliche Folgen für die freundschaftlichen Beziehungen beider Staaten nach sich zieht.” „Mein lieber General“, entgegnete der König und betrachtete die Bartspitze, die er mit der Rechten zwirbelte, „der Zwischenfall hat sich vor einer Viertelstunde ereignet; Ich habe selber noch nicht Zeit gehabt, die Ursache dieser plötz- lichen Anwandlung meiner Tochter festzustellen... Aber, was zum Teufel, machen Sie denn?” Mit dieser ungeduldigen Frage unterbrach sich der König, weil der Angeredete sich unbeherrscht vorgebeugt hatte, um die blütenweiße Hose sei- ner Generalsuniform zu betrachten, auf die er seit einer Weile etwas Naßkaltes niedertropfen fühlte, das er trotz seiner Kurzsichtigkeit sogleich mit kohlpechrabenschwarzer Tinte identifizierte. Da es nicht Hofbrauch war, Tinte, von welcher Farbe sie auch sei, dem Besucher auf die Hose zu gießen, war er in hohem Grade verwundert und suchte also nach einer glaubwürdigen Er- klärung für die so unangenehme Erscheinung. Doch war es, wie wir wissen, die Tinte aus dem goldenen Tintenfaß, das des Königs herkulische Faust hatte in die Höhe hüpfen lassen; mit der aufdringlichen Unbekümmertheit jeder sich selbst überlassenen Flüssigkeit tropfte sein Inhalt nun- mehr von der Tischkante herab. Auf die Frage des Königs hatte der Flügeladjutant und General sich erhoben und auf das ernstliche Malheur ge- wiesen. Alle beide waren erbleicht. Dann hatte der König sich erinnert und gelächelt. „Ach, Donnerweiter, das Tintenfaß ist umgelallen! Ich bitte Sie um Entschuldigung, General. Vorhin, in einem Augenblick der Gereiztheit, hab’ ich es tanzen lassen!” Er läutete sodann dem Kammerherm und befahl: „Führen Sie den General in mein Ankleidezim- mer, damit er sich umziehen kann.” Der Flügeladjutant verbeugte sich und deckte die Flecken mit dem Taschentuch zu. Als er aber als- bald niesen mußte — er war aus der brennenden Sonne in das ungewohnte Halbdunkel getreten —, führte er das Taschentuch instinktiv an die Nase und ließ auf seinem Gesicht ein dermaßen komi- sches Schwarzweiß zurück, daß der König in homerisches Gelächter ausbrach, „Gehen Sie, gehen Sie, General, machen Sie sich sauberl”... konnte er, mühselig sich zusammen- nehmend, endlich hervorbringen. Als der Flügeladjutant sich im Vorbeigehen der- art maskiert in einem Spiegel erblickte, verbeugte er sich verwirrt. Der Kammerherr, der ihn be- gleitete, war bei dieser Szene korrekt uner- schütterlich geblieben; mit einem Seltenblick ver- glich er die schmächtige Figur des Generals und die gigantische Gestalt des Königs und stellte fest, daß der General die erlauchten Hosen höch- stens als so etwas wie einen reichlichen Mantel hätte benutzen können. Darum ließ er, was mehr angebracht war, den ausländischen Würdenträger von einem Kammerdiener ins Ankleidezimmer des Prinzen bringen, eines achtzehnjährigen Jüng- lings und Bruder der Prinzessin Mary, der gerade zu einer Entenjagd abwesend war und in dessen reicher Garderobe sich Hosen jeder Farbe und Fasson befanden. Der Diener wählte ein Paar weiße aus, nahm ein Handtuch, deutete auf ein Glastürchen, wo das Nötige auch zu einem Bad zu finden wäre, verbeugte sich sodann und ging. Der Flügeladjutant entledigte sich nicht anders als der bescheidenste Bürgersmann der Hose und bemerkte zu seinem Mißvergnügen, daß die ebenholzschwarze Qualitätstinte das feine Unter- zeug durchdrungen und die Farbe seiner Beine verändert hatte. Hierauf öffnete er In der Ab- sicht, seiner Haut die natürliche Farbe ‚zurück- zugeben, das Türchen zum Toilettezimmer, Auf einmal hörte er, wie jenseits einer schalltragen- "MANCHMAL Manchmal, wenn die böfe Einfamkeit Groß und gierig einer Spinne gleichend, Aus dem Dunkel langfam näher fchleichend, Mich umlauert wie zum Sprung bereit - Manchmal, wenn - als wär’ fie gramgefeit! - Frohe Jugend, fich die Hände reichend Und zum Reigen wild die Fiedel ftreichend, Sang und Trank dem gold'nen Heute weiht - Dann gefchieht cs, daß in meinem Herzen Auch die Wehmut mit dem Neid erwacht: Grollend hör’ ich deiner Lippe Scherzen, Traurig feh’ ich, wie dein Auge lacht! Und dann löfch’ ich meiner Schnfucht Kerzen, Und dann flücht" ich in den Schoß der Nacht... Kurd Schrader 56 den Zwischenwand aus Hohlziegeln eine Tür auf- ging und eine Mädchenstimme in verzweiflungs- vollem Tonfall sagte: „Hüte dich, Lissyl Du hast mir beim Evangellum geschworen, niemand, nie- mand, sag ich, die Ursache meiner Flucht von der Veranda anzuvertrauen. Wehe dir, wenn du plaudersil“ „Hoheit, beruhigen Sie sich, ich plaudere nicht. Sie wissen, ich bin Ihnen ergeben. Aber, sagte ich es nicht gleich heute früh? Bei der Hitze so viele Kirschen essen und dann Wasser darauf trinken ...” „Still, still, rede nicht davon!... Ich dachte, ich stürbe... Armer Prinz Henry! Er wird wer weiß was gedacht haben... Nun geh fort, schnell, laß mich allein!“ Der Flügeladjutant, der, wenn er auch kurzsichtig war, doch ein ausgezeichnetes Gehör hatte, wurde zum Lauscher. Er hatte die Stimme ihrer Hoheit, der Prinzessin Mary, erkannt, Reglos, nachdem er zum Hüter des wahren Geheimnisses geworden, das einen tüchtigen Krach zwischen beiden Herrscherhäusern nach sich ziehen konnte, begriff er die ganze delikate Bedeutung und wagte nicht zu atmen. Schließlich ging die Tür nebenan zu und es ward wleder still. Sogleich beschleunigt er, so gut es ging, die Waschung, kleidete sich Hals über Kopf an, ließ sich vor den König führen und rief quietschver- gnügt: „Majestät, alles hat sich geklärt. Die Flecken in meiner Hose haben mich erleuchtet. In der Tat ist mir eingefallen, daß heute früh mein durchlauchtigster Prinz, als er die Schokolade nahm, sich ein wenig auf die Hemdbrust gegossen hat, was er nicht sehen konnte. Die Prinzessin Mary kam vielleicht das Lachen an, und sie Ist lieber davongelaufen, ehe sie Ihm ins Gesicht lachte. Ich werde dem Prinzen das kleine Abenteuer erklären...” Der König lachte und atmete tief erleichtert auf, Der Flügeladjutant verbeugte sich und zog sich schnell zurück, um in die benachbarte Villa, die Residenz des Prinzen, zu stürzen, Doch ehe er zu ihm ins Zimmer trat, rief er den diensttuenden Kammerdiener. „Sag mal, hat sich der Prinz umgezogen?” „Jawohl, Exzellenz.” „Hol’ mir das Hemd, das Seine Hoheit heute mor- gen anhatte... So, jetzt spring hinunter zum Koch und laß dir eine Tasse Schokolade geben, sie kann getrost kalt sein, aber schnelll” Der Befehl ward ausgeführt, und der General machte auf den oberen Teil der Hemdbrust, unter- halb des Kinns, einen Schokoladefleck, den er eintrocknen ließ. Dann trat er lachend, das Hemd in der Hand, vor den Prinzen. „Hier, Hoheit, Ist der Anlaß zu dem plötzlichen Verschwinden der Prinzessin.” „Wie meinen Sie das?” fragte der Prinz erstaunt, betrachtete den Fleck und errötete. „So und nicht anders: Euer Hoheit hatten diesen Fleck auf der Hemdbrust, die Prinzessin hat sich eine Weile beherrscht, dann ist sie aus Furcht vor einem Lachanfall davongelaufen, gar nichts Schlimmes also, eine Kinderei...” Seine Hoheit, die ganz unsagbar in die liebliche Prinzessin vernarrt war und die der lächerliche Zwischenfall bedrückt hatte, eilte in die könig- liche Villa und erbat ein Wiedersehen mit Mary. Sie zeigte sich nunmehr beruhigt und sicher, un- befangen, mit einem himmlischen Lächeln auf den Jungen Lippen. „Wollen Sie mir mein plötzliches Aufbrechen ver- geben, Hoheit ...?" „Es gibt nichts zu vergeben, Mary, ich weiß alles“, entgegnete Henty mit verschmitztem Lächeln. „Alles?! stammelte die Prinzessin entsetzt und fühlte sich von brennender Schamröte über- gossen. „Ja, ich weiß alles... wegen so eines kleines Fleckchens im Hemd...” Da schrie Prinzessin Mary auf und fiel In Ohn- macht. Vier Wochen später ging sie In ein Kloster. (Übersetzung von Thea Weide) Arzneimittel aus Frischpflanzen ehe DR.MADRUS & 00, RADEBEULIDRESDEN samnler. verlangt kosenlo ine‘ „HANSA-POST" «. Freude macht und Werte schaffi, Max HorbatMarkenhi..Hambur 936/815 Ankauf von Sammlungen Im Krieg ist Sparen Deine Pflicht — ‚Auch bei „Sonnal” EN Die ersten Zähnchen dürten nur teude hervorrufen. 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Es ist noch nicht so lange her, daß er in einem seiner aufregenden Romane Gelegenheit hatte, einen phantastischen Mord zu schildern, nach dessen Verübung der Leichnam in einen Sack genäht wurde Der Autor, der sich eingehend mit der Sache beschäftigte, fand, daß es keine Kleinigkeit sei, eine Leiche in einen Sack zu kriegen, jedenfalls nicht für solche, die Neulinge auf diesem Gebiet sind Eine ge- raume Zeit verging, jedoch die salcherart ge- wonnenen Kenntnisse sollten Ihm zustatten kom- men, als er eines Tages in einem Segelboot (er ist ein ausgezeichneter Sportler) eine Fahrt machte. Denn plötzlich entdeckte er einen großen Sack, der seelenruhig flußabwärts trieb. Selten hatte er zuvor ein derart, verdächtiges Objekt gesichtet. Immer mehr gewann die Überzeugung Raum in des Dichters Seele, daß hier grausige Wirklichkeit wurde, was er mit schaudernder Phantasie geschaut. Trotzdem er sich nun sagte, das Beste wäre, so zu tun, als ob der unheim- liche Sack nicht da sei, fand er bald zu seinem Entsetzen, daß das Ding sich nicht abschrecken ließ, sondern vielmehr an sein Boot herantrieb. Kurz entschlossen holte er es herbei — ein Schnitt in das vermutliche Kopfende und — ein Schopf schwarzen, krausen Haares quoll hervor. Der erschütterte Dichter schöpfte Atem, ehe er in seinem schweren Werk fortschritt. Ein weiterer Schnitt — und es stellte sich nun heraus, daß der Sack von oben bis unten voll — Roßhaar war. Irgendwie hing die Sache mit einer Matratzen- fabrik etwas weiter stromaufwärts zusammen. Es war immerhin eine nervenaufreibende Erfahrung, die der Dichter da gemacht hatte. LIEBER SIMPLICISSIMUS 10 Nückal) Dahinten in der Heide gehen in der Winternacht die Musikanten erheblich beschwingt vom „Danze- fest“ nach Hause. — Ihre Instrumente haben sie unter den Arm geklemmt, nur der eine hat die dicke Baßgeige auf den Rücken geschnallt und so stiebeln die vier im Gänsemarsch durch die Warum ist Waschen am Abend wichtiger? Man hat eine neue Ent- deckung gemacht: das Waschen am Abend hilft Volksvermögen sparen. Es dreht sich um nichts weniger als den Wunsch, mit der Hälfte des Wäschebestandes auszukommen. Was das bet 10 Millionen Haushaltungen an Materlaleinsparung und Arbeltserleichterung bedeutet, kann sich jeder ausrechnen. Fangen wir im kleinen an. Es ist selbstverständlich, daß die Kinder abends die Füße waschen, wenn sie tagsüber barfuß liefen. Aber geschicht es auch gründlich? Wird der Schmutz gut abgespült? Genau so ist es mit den Händen, mit dem Hals! Mutter muß am Abend schon eine gründ- liche Generalinspektion ansetzen — gründlicher als früher, wo Waschen leichter war und Wäsche sich rascher ersetzen ließ! Es handelt sich hier nicht nur um Bettücher und -bezüge, sondern auch um Nachthemden und Leibwäsche. Man glaubt gar nicht, wieviel unnötige Wascharbeit man sparen und raschen Verschleiß vermeiden kann! Überhaupt läßt sich gerade bei Kindern mit etwas Findigkeit viel Wäsche sparen. Ist es z. B. nötig, daß die Allerkleinsten immer ein blitzsauberes, neugewaschenes Leinenlätzchen umhaben? Ein dauerhafter, abwaschbarer Latz ist prak- tischer und spart unnötige Wascharbeit. Aber auch die Größeren sollten wir so erzichen, daß sie es nicht nötig haben, sich nach dem Essen den Marmeladenmund an der Serviette abzuwischen, Am besten bekommen -die Kinder bis zu 5 Jahren eine Wachstuchunterlage unter den Teller, damit das Tischtuch länger sauber bleibt. Wo blankgescheuerte Tische sind, kann man sogar aufs Tischtuch verzichten, Warum nicht mal auf alle diese Dinge achten? Wir werden mit Befriedigung feststellen, wie sich auf diese Weise unser Wäscheberg bei der großen Wäsche verkleinert. Nährbier” w' 203 Nr, 339.697 und 418608 IM die felt mehr als 20 Sahıen eingeführte Martendegeleinung für das dom Daderbrän Münden unter Patenufehup, (SAP. Nr. 348960) dergefteitie altohofarme, Biätetifche Münchener Malygetränt Man weise 2 Nachahmung, Leere Flaschen sind Rohstoffe nf jehören nicht in den ülleimer. Wir bitten des- va alle Verbraucher von NERVPIN-SOIVOMIXT CAMPHOPIN unddenübrigenbewährten 'ovopin-Präparaten, alle leeren Flaschen ihrer Bezugsquelle zuzuleiten. Ss“ erleichtern uns dadurch die, Lieferung Hausputzsorgen ? weiss Rat! 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Niemals wird der feine Mechanismus Ih von deı dünnflössigen va Fällhabler-Tinde Föllhalters angegriffen RV 58 ll Ah IL IKAULADIDIE IEDILA IKAD SIIHEITILIKK 7 RAHN» IHM lief verschneite Gegend. Jetzt müssen sie über einen Steg. Der erste fummelt danach mit dem Stock im Schnee, findet ihn und sie schlurfen vor- sichtig hinüber. Aber mitten auf der Brücke tut der zu dritt gehende Baßgeiger einen Fehltritt und fällt, durch die Schwere des Basses gezogen, tücklings In den Graben — das Instrument unter sich! „Mein Gott”, jammert der vierte, der Trompeter, hinterher, „Corl, wat mokst du bloot vor Ge- schichten! — Nu is de Baß woll im Moase?” „Ganz in'n Gegendeill” stöhnt es von unten herauf. „Wat heet denn dat nu wedder, Corl, ganz In’n Gegendeil?” „De Moas Is In'n Bassel — Dumme Kirli“ war die Erklärung. F. W. * Der Pletschacher Baschı soll bei Gericht als Ent- lastungszeuge auftreten. Er hat sich alles schön zurechtgelegt, was er sagen will und denkt, vor seinen Landsleuten eine gute Figur zu machen. Der Vorsitzende der Verhandlung wird vom. Ver- teidiger dauernd mit Herr Oberlandesgerichtsrats- stellvertreter angesprochen, ein Titel, den der Bascht krampfhaft sich einzuprägen versucht. Endlich kommt die Reihe an ihn. „Zeuge Sebastian Pletschacher, was haben Sie zu sagen?“ „Herr Ober —, beginnt der Bascht und stockt „Herr Oberlander —* S „Herr Oberlandvertreter —" „Herr Oberratgericht —" „Herr Oberlandgerichtsvertreter —" „Herr Oberstellvertreter —” „Herr © — Herrgottsakkrament!” „Na“, winkt der Vorsitzende ab, „lassen Sie schon Was haben Sie zu sagen?” „Sell woaß i jetzt nimma”, sagt der Bascht und setzt sich erschöpft auf die Zeugenbank. -pf Wir saßen selbaritt, Tante Adelheid, meine Frau und ich, an einem der Feiertage beim Mittag- essen, Die Ursache, weshalb wir die Tante ein- geladen hatten, war ein uns unverhofft ins Haus geschneites Hühnchen, und als Tante Adelheid einen Flügel dieses Hühnchens nach Fleisch ab- suchte, sagte sie gerührt: „Odumeigottl... Odumeigottl... Net zum sagen Is, wia schön als des von euch is, daß net auf mi vergess’'n habt'sl Das, wann mei Alter derlebt hätt, der tat si g’freuen! Jessasna, wann er Jetzt so da bei uns sitzen tat —" „Tante, der Onkel —“, ich wollte recht etwas Zärtes sagen, aber.sie sprach mit ihrer Rührung und dem Hühnerflügel beschäftigt, unbelrrt weiter, „Na, na... es is ja eh g’schelter, daß er’s nei derlebt hat... Jawohl, besser is a so... Dasklane Henderl da, das wär ja für vier Personen viel z'wenig g'wesen!” H.K.B MULCUTO eine neue Lehre! RUE DRR Meere 0350 Jedermann kann seine kör- perliche Kraft, En igen Fähigkelten ent erhalten 0. aich damit n Lobonsorfolg ichern durch Körperertüchtigung rauf sparsam v. WIDIINIIMT) machen Gesichi und Auftreien sympathischer Nach dem mod, „A-O-BE“-Verfahren können Sie ohne Iremde Hilfe diese Korrektur in tünt Minuien vollkommen unauffällig an sich selbsı vornehmen’ Prospekie kosıenlos von fa A-0-BE, Essen 107, Schliedl. 327 | Wimpernbalsam@LesAot£ EXPRESSWERKE AKT:GES. NEUMARKT OPF.b. NÜRNBERG E = z 2 z 2 2 2 2 2 2 2 2 2 z = z = = 2 = ÄR ; und 'runter soll man die Zähne bürsten, um dio Speisoresta gründ- lich zu entfernen. Hierbei genügt eine kloino Menge Kalkies-Zohnpasta. Lotz- tere Ist knapp und mußschr jerbroucht wordon Lungensaft Grippe, Asthma, Husten, Verschleimung bittet um Rückgabe leerer Flaschen an die Apotheken u. an Laboratorium Graifix, Leipzig-Wiederitzsch = Graifix- | (Reichspateniamil. Wa. Nr. 515388) Gummiwaren weltruf ULLLLILLLLLLLKILCKLCLCCELCELEKCKELILOE CK IPUDER KHASANA KOSMETISCHE WELTMARKEN Ya Durchlöcherte Kochtöpte — einer honigdicken Masse yermengt gibt zum Bebell ein Alleı-Ki mit AlubronseoderGipsoderKreideso | | | vorzügl. Dichungmittel für defekte Kodnöple une. | | 59 heilt Alles-Kit: 3 Köpfe z Das Gütezeichen für Wunderfam ee 8 & Kossack d, Ältere Kosmetik-Fabrik Düsseldorf Nomen 2 nen” ee einsverbänden wıuor2 Richtige Behandlung ıparı Re- ‚paraturen. Laß Deinen FÖN nicht unnötig lange laufen. Du sparst Strom und hältst ihn jetz im Kriege länger gebrauchsfähig. Gefillerfer Rauch ‚Reiner Genuß DIE VERJÜNGUNGSMEDIZIN Tommy Tip, der alte Wächter des Leuchtturmes, saß oben in seinem hohen Turm und guckte über das Meer hinaus, während er sich nachdenklich über den Bart strich. Er hatte seine Sorgen, denn er fühlte das Alter herankommen, und das quälte Ihn furchtbar, er wollte nämlich so gerne das ganze Leben lang jung bikiben. Er war kein Veilchen mehr, der alte Mann, oder jedenfalls ein älteres Vellchen, denn er hatte gerade seinen 9%sten Geburtstag gefeiert. Seine 17 Kinder waren schon längst erwachsen und hatten selbst Kinder bekommen, Kinder, die gleichfalls Kinder bekommen hatten, und die Kinder seiner Kindes- kinder sollten auch bald Kinder be- kommen.. Tommy Tip sah sehr be- trübt aus, denn jetzt war es mit der Liebe endgültig aus, und Purzel- bäume konnte er auch nicht mehr schlagen, Das war einJammer, denn er möchte gerne wieder einmal Jung sein und die Mädels küssen. Die’Gedanken Tommy Tips beschäf- tigten sich immer wieder mit dem Problem, auf welche Weise er sich verjüngen könnte. In einer Zeitung hatte er einmal gelesen, daß es einem Arzt gelungen war, Alfen- drüsen in den menschlichen Organis- mus einzupflanzen, und auf diese Weise seinen Patienten neue Jugend und Kraft zu schenken. Tommy Tip fühlte aber keine Lust für diese Kur, vielleicht bekäme er sogar das Aus- sehen eines Affen und würde in einen Käfig im Zoologischen Garten eingesperrt, und am Sonntag kam dann seine Familie und fütterte ihn mit Nüssen und Bonbons. Nee, das war kein Leben für ihn. Eine andere Verjüngungskur, die ihm besser ge- fiel,.gab es doch auch. Ein berühmter Arzt hatte einmal die Aufgabe bekommen, das Leben eines Fürsten zu verlängern, und er hatte den Versuch gemacht, ihm das Blut von zwei Knaben in die fürstlichen Adern zu spritzen. Doch anstatt das Leben des hohen Herrn zu verlängern, verkürzte er es, denn der Fürst starb sofort nach der Kur und die Knaben übrigens auch. Das hatte also keinen Zweck. Zu allem Glück kam an diesem Abend ein Freund von Tommy Tip, der alte Seemann Pjolte Pjol- tesen, von einer Reise zurück, und wie immer, wenn er nach Hause kam, besuchte er seinen Freund in dem Leuchtturm, Pjolte Pjoltesen war ein keckor Bursche, er war 127 Jahre alt, aber frisch wie ein Fisch im Wasser. Einmal war er mit seinem Schiff mitten im Atlantischen Meer unter- gegangen, aber Pjolte rettete sein Leben, indem er bis zur Küste Amerikas watete. Man kann natür- lich sagen, daß dies unmöglich sei, aber einen anderen Ausweg gab es nicht, denn er konnte nicht schwimmen, und ertrinken wollte er nicht. Also watete er ans Land. Nebenbel bemerkt war dieser Pjolte als fabelhafter Spucker bekannt, man sagt, er habe einmal von Calais bis Dover gespuckt, noch dazu sogar gegen den Wind, Pjolte war ein Mann, der für jede Situation im Leben einen Rat wußte, und selbstverständlich wußte er auch sofort, wie der alte Tommy Tip verjüngt werden könnte. Er nahm eine kleine Flasche aus der Tasche und zeigte sie stolz sei- nem Freund. Die Flasche, die die sogenannten „asiatischen Wunder-Verjüngungstropfen“ enthielt, hatte er in China bekommen, und hatte dafür mit einer seiner 14 Frauen bezahlt. (Zwei von seinen VON ERIK STOCKMARR Frauen waren Zwillinge, und er hatte also Du- bleiten davon.) Solche Tropfen, sagte Pjolte, braucht man im Osten, man nimmt drei Tropfen in der Woche in einem Glas Wasser, dann kehren die Jugend und die Kräfte wieder zurück, und man wird froh und munter wie ein Füllen auf der Wiese, Pjolte Pjoltesen spuckte aus dem Fenster hinaus und ging dann nach Hause, um seine Frauen zu begrüßen. Tommy Tip schenkte sich ein Glas Wasser ein und goß die Hälfte des Inhaltes der kleinen Flasche ins Glas, damit er schneller die herrliche Jugend bekäme. Ein merkwürdiges, leichtes Gefühl ergriff ihn, es war, als ob er in EHE DU HEIMKEHRST Ehe du heimkehrst in deine tosenden Städte, mende nodı einmal den Blick hinüber und schau: Siehe die Garben der Felder, mwelce der Schnitter mähte, siehe des Erntemagens scdiwankenden Bau, Alme nodı einmal den Duft der unendlichen Wälder, die sidı wadısend dehnen, bis mo die Ferne verblaut. Trinke das Lidıt der Birken, das Gold der Felder, das schon der scdiwermutlächelnde Herbst betaut. Dann aber schreite hinab zu dem schimmernden Teiche: Audı die Wiesen haben sic festlicdı mit Blumen gescdimückt, Bridı aus der Fülle, daß dir zur Freude gereiche, mas sic. vollendet, indem es beschenkend beglückt. Nidıs, das dic beugte, was du auch immer durdhlitten; und mwas verloren, es füllt dir gesammelt zurück, Was didı bescdimufzte, ist von dir abgeglitten, kühler wurde dein Blut und härter dein Glück. Ehe du heimkehrst in deine tosenden Städte, türme ein neues auf ein vergehendes Jahr. Trinke nodı einmal den Haudı, der die Stirn der Männer ummehte, Birken, Blumen und Wälder, durdırausdıt von Gefahr. Werner Iundertmark (im Felde) der Luft schwebte. Dann schlief er ein, verlor das Bewußtsein und merkte nichts mehr, Als er erwachte, saß er in der Stube in seinem kleinen Hause unten am Leuchtturm, wo auch soine Eltern gewohnt hatten. Der alte, unglück- liche Tommy Tip war wirklich verjüngt geworden, nur vier Jahre alt war er und nicht größer, als daß er die Nase gerade über den Tisch pressen konnte. Ein wenig erstaunt guckte er in der Wohnung umher. Merkwürdig ist es doch, dachte er, kurze Hosen habe ich an und mein herrlicher Vollbart Ist verschwunden, Sonderbarl Er blickte sich wieder in der Stube um, f Am Fenster saß eine alte Dame und nähte, Das war seine Mutter. „Wo sind denn die Kinder?” sagte der kleine Tommy. „Die Kinder?” fragte sie erstaunt, „welche Kinder, Bubi?” „Meine Kinder natürlich”, erwiderte er: „Grete, lizzie, Else, Peter, Hänschen und...” Seine Mutter verlor vor Schrecken die Brille. „Deine Kinder, Bubil Aber was hast du denn, Tommy, du bist vier Jahre alt und redest über deine Kinder. Was glaubst du wohl, was der Storch dazu sagen würde, wenn er so etwas hörte?” 60 Der kleine Tommy Tip nahm eine Zigarre vom Tisch und zündete sie an. „Der Storch”, sagte er verächtlich, „ach laß doch, Muttil” Als seine Mutter den kleinen Knaben mit einer Zigarre im Munde sah, flüchtete sie schreiend in Gle Küche, um ihren Mann zu holen. Tommy griff in die Hosentasche nach den Zündhölzern, bekam aber die kleine Flasche in die Hand, „Aslatische Wunder-Verjüngungstropfen”, stand auf der Eti- kette, Woher diese Flasche in seine Tasche ge- kommen war, wußte er nicht, da er aber den Pfropfen abnahm, spürte er einen herrlichen Duft In seiner Nase. Schnell trank er einen tüchtigen Mund voll, Ein merkwürdi- ges leichtes Gefühl ergriff ihn, als ob er in der Luft schwebte. Dann schlief er ein und merkte nichts mehr. Als er wieder aufwachte, saß er in einem Liegestuhl vor einem wunder- baren Haus unter Palmen und schö- nen Bäumen. Ein grüner Papagei wiederholte sein ständiges „Guten Morgen, guten Morgen!” Die Medi- zin hatte wieder Ihre Wirkung getan, er war noch Jünger geworden, die Wundertropfen hatten Ihn nämlich diesmal ein paar Jahrhunderte zu- rückgeführt und hatten ihn in seinen eigenen Ururgroßvater verwandelt, Sein Ururgroßvater war Gouverneur irgendwo In China gewesen, und diese Stellung war es also, dieTommy Tip jetzt bekleidete. Neben Ihm stand ein Chinese und lächelte ihn freund- lich an. Erstaunt guckte Tommy Tip umher und verstand kein Wort von der ganzen Komödie. Der Vollbart war weg, und die kleinen Hosen auch. Erschrocken wandte er sich an den Chinesen. „Hör mal, mein Junge”, fragte er, „kannst du mir sagen, wer ich eigent- lich bin?" Der Chinese warf sich auf den Boden und küßte seine Füße, „Euer Hochwohlgeboren”, sagte er, „es Ist Ihnen doch bekannt, daß Euer Hochwohlgeboren der Gouver- neur Peter Tip sind.” „Was bin ich?’ rief Tommy Tip wü- tend und warf seln Whiskyglas dem Mann an den Kopf. „Du verdammter Lügnerl” schrie er, „verfluchter Affe, mach daß du weg- kommst!" Tommy lehnte sich In den Stuhl zurück, Ich glaube, ich habe getrunken, sagte er zu sich selbst, das bin ich ja gar nicht, der hier sitzt. Was Ist denn dies für ein Salat, flüsterte er, ich muß schnell weg, sonst werde ich verrückt. Er nahm die kleine Flasche aus der Tasche und trank den gan- zen Rest des Inhaltes in einem Zuge aus. Wieder kam dieses merkwürdige, leichte Gefühl, und dann merkte er nichts mehr. Als er aufwachte, saß er hoch oben in einem Baum in Afrika, Jetzt war er nicht mehr Gouver- neur und lebte nicht im 16. Jahrhundert, nein, er war viel jünger geworden, indem er ein paar Jahrtausende in der Zeit zurückgeführt worden war, in die Zeit, wo es noch keine Menschen auf der Erde gab. Ein Affe war er geworden, ein kleiner, niedlicher Attel . Jetzt ist er schon längst gestorben, der arme Tommy Tip, aber ein Nachkomme von ihm in der 587. Generation sitzt in dem Kopenhagener Zoo- logischen Garten und Ißt Nüsse und süße Bon- bons. Tragisch, nicht wahr? Mißtrauen (K. Holliganstaodt) „Schade, daß Egon nicht hier ist! Jetzt könnte er sich davon überzeugen, daß die blauen Flecke vom Stürzen kommen!" Diffidenza: “Peccato che Egon non sia qui, perche ora potrebbe persuadersi che le lividure vengono dalle cadute!,, 61 BELOHNTE RITTERLICHKEIT Ich liebe Leopardi sehr, denn er Ist der einzige echte Dichter des Weltschmerzes. Schon lange hätte Ich gerne seine Gedichte vollständig in dem kleinen Bändchen, das sie nur füllen, besessen, und in der letzten Zeit steigerte sich dieser Wunsch zu einer Jener brennenden kleinen Be- gierden, wie sie die Herzen der Bücherfreunde, Sammler, Kunstliebhaber immer wieder heim- suchen. Aber auch Bücher sind jetzt im Kriege selten geworden und vor allem — eine sehr be- merkenswerte Erscheinung übrigens — vor allem die „Klassiker. — „Klassiker haben wir gar nichts mehr, oh, schon seit einem Jahr nicht mehr‘, das sind für jeden Buchhändler heute so häufig be- nötigte Antworten, daß er sich für sie mit Fug einer Schallplatte oder eines Papageis bedienen dürfte, ein Verfahren, das auch Insofern Förderung verdiente, als diese Sprecher sich einmalig auf einen ganz bestimmten Ton stellen ließen, so daß die Antwort ohne zu harte Inanspruchnahme der (Magon) VON HANS WEINDL Gemütskräfte des Buchhändlers sogar höflich ge- geben werden könnte. Es bestand also herzlich wenig Aussicht, meinen ersehnten Leopardi zu finden. Ich gab mir unend- liche Mühe. Nach und nach lief ich in siebenund- dreißig Buchhandlungen. Auf dem Heimweg vom Dienst machte ich jeden Umweg, um einen neuen Bücherladen aufzusuchen, und versäumte etliche Male sogar das Essen. Als ich wirklich keinen Laden mehr wußte, beschloß ich, wieder von vorne anzufangen und die Reihe noch einmal durchzugehen. Ich kam also wieder zu St. in der M.-Straße, wo ich vor Wochen begonnen hatte. Dieser Laden war ehedem wirklich ein Paradies für Schmökerer; im ersten Stock ist da ein großer Saal mit vielen langen Tischen und langen Ge- stellen an den Wänden. Sie waren einst voll der Schätze; jetzt sind sie recht licht geworden, Plan- mäßig begann Ich dort noch einmal die Suche. Ganz hinten in einer Ecke waren ein paar Fächer Ihr Traum - Il suo sogno „Nein, nein, und wenn Ich täglich ins Dampfbad gehe, das möchte ich noch einmal erleben, daß ein Mann ‚Engelchen' zu mir sagt!" “Eh sl sl... prendendo un bagno a vapore ogni glorno, mi capiterä pur di nuovo che un uomo mi dica: *Angioletto mio,!,. Verantwortl. Schritt! ‚alle Buchhandlun aültig ab 15. Okt, ind Po.itanstal jondung: langte Eli ın onigegen. B werden nur zurückg Vorlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fornruf 128). ', München. — Der Simplicissimus erscheint «öchentlich einmal 50 Pf.; Abonnement Im Monat RM. 1.20. — An orto balliegt.— Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München. noch gut gefüllt. Ich stieg auf die Leiter; im obersten Fach sah ich ein schmächtiges Bändchen zwischen zwei dicken Schwarten eingeklemmt, mit zartem Lederrücken ohne Aufschrift. Daß es nicht mein Leopardi sein würde, das wußte Ich freilich. Aber das Bändchen verriet dem Einge- weihten schon mit seinem halben Gewand so sehr eine gediegene Buchseele, daß ich danach greifen mußte. Ich schlug es auf — — — da — —: „Gia- como Leopardi — sämtliche Gedichte". Freude- zitternd hielt ich es In Händen. In diesem Augenblick aber vernahm ich nicht welt von mir eine so angenehme Frauenstimme, daß Ich trotz des Schatzes In meiner Hand auf- blicken mußte. Die Stimme stellte eine Frage an den Verkäufer — und was fragte sie? Sie fragte: „Haben Sie Leopardis Gedichte?” Freundlich, sehr freundlich erwiderte er: „Ich glaube leider kaum, Gnädigste; ich werde aber mal nachsehn.” Es bestand für mich gar kein Zweifel, daß der Ver- käufer ohne jedes Besinnen kurz „neln” gesagt hätte, wie kürzlich zu mir, wenn irgend, ich sage irgend jemand andrer die Frage getan hätte. Daß er aber hier die Antwort ein Weilchen in der Schwebe ließ, war mir sehr verständlich, denn diese Fragerin war ein ganz erlesenes weibliches Geschöpf. Sie war schlank, edel, trug einen schmiegsamen Fohlenmantel, der bei jeder ihrer Bewegungen über den mädchenhaften, aber vollen Formen seidig schimmerte, Und was war das für ein Gesicht, ein Gesicht, in dem sich Schönheit und Durchgeistigung zu jenem wunder- samen Reiz zusammenmischten. Und was waren das für tiefe schwermütige Augen! Und sie ver- langte Leopardis Gedichtel Begeisterungsfähig, wie ich nun einmal bin, regte sich sofort ein heldischer Gedanke in mir. „Gib ihr deinen Leopardil” flüsterte es in mir. (Ein weher Schmerz zuckte als Widerhall von der schlechteren Seite meines Ichs für eine Sekunde auf) „Denk doch”, sprach es in mir weiter, „dieses Geschöpf, diese Seele und Leopardi, was gibt das für einen seltenen, göttlichen Zusammen- klang. Und würde der Meister —, würde er nicht millionenmal lieber von ihr gelesen sein als von dir —?! Doppelt wäre deine treue Suchermüh ge- krönt ...” Der Verkäufer, der nicht sehr eingehend, die Augen mehr bei derDame, an einem Bord gesucht hatte, wo nie ein Leopardi stehen konnte, kam zurück: „Leider ist nichts da’, sagte er herzlich bedauernd. — „Oh schade”, antwortete das Mäd- chen mit einem tiefen Seufzer und senkte traurig die schönen Augen. Mein Entschluß war gefaßt. Ich trat, während der Verkäufer abgerufen wurde, rasch zu Ihr und sicherlich lag das Edel-heldische jetzt auch In meiner Haltung und in meinem Gang. „Verzeihung, gnädiges Fräulein”, sagte Ich, „fragten Sie nicht eben nach Leopardis Gedichten?” „Ach ja, aber leider vergeblich.” Ich reichte Ihr mein Bändchen, „Hier sind sie”, sagte ich, „Ich habe sie soeben hier gefunden. Gegenwärtig ein seltenes Ding.” „Ohl“ rief sie entzückt und leuchtete mich mit einem vollen Strahl ihrer schönen Augen an, „das ist ja herrlich!” Ich verneigte mich. Ich empfand * die Wonneschauer der edlen Tat. „Ohl“ fuhr sie fort, indem sie nach dem Buche griff, „wie wird sich meine Tante freuen, die guie alte Haut —" „Ihre... Tante...?” stotterte ich. „Ja. Sie war mal in Italien und wünschte es sich so, Und Ich bekam es nirgends. Und nun hat sie doch ihre Beschäftigung für heut abend und ich kann ins Kino gehn.” Damit nickte sie mir noch einmal liebenswürdig-dankend zu und lief mit dem Buch zum Ausgang vor an die Kasse. Ich setzte mich nieder und sagte, sehr deutlich: „Rindviechl” zu mir. o etöonschrift: München 2 BZ, Brietfach. stellungen nehmen zeigenprelse nach Preisliste Nr. 7 [A. Kubin) Abwürgung - Strangolamento 63 Auftritt in Afrika en En ] Ocar CAuroran Ion EN NZ, 1 „Es fällt mir verdammt schwer, hier den guten Freund zu spielen; bei der Hitze geht die ganze Schminke ab!" Entrata in scena in Africa: “Per me & maledettamente difficile far qui la parte del buon amico; con questo calore tutto Il belletto se ne val,, 64 München, 3. Februar 1943 ® 48. Jahrgang / Nummer 5 a Sn SimPLIcissimuSs VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN Der Scharfrichter IE. TR A0ON), HN E NEL 23 Al "isesiemönk, e. vl PFITL. 2 20: i) ur“ | a N sipangea in THERTREmeT Ribe“ M „Komm nur herauf, Winston! Bis wir den Richtigen erwischt haben, werde ich inzwischen an dir üben!" ll carnefice; “Vieni pur su, Winston. Finch® non avremo acciuffato quello giusto, io nel frattempo mi eserciterö con te!,, An der Promenade - Nel viale del passeggio D. Hogenbarth) Wenn Besuch kommt Von Walter Foltzick Besuch ist Immer lieber Besuch, auch wenn er sehr ungern gesehen wird. Man kann doch nicht sagen: „Sie, hören Sie mal, das paßt mir aber gar nicht, daß Sie zu mir kommen!“ Nein, das geht nicht, da müssen noch so alte Vorstellungen von Gastrecht, vom müden Wanderer und von Wölfen, die draußen lauern, in uns sein. Natürlich, soweit geht's nicht, daß ein Schwein geschlachtet wird und Felle neben dem Gasherd ausgebreitet wer- den und eine Tochter zwecks Ehe angeboten wird, Das ginge denn doch zu weit, aber man sagt im- merhin: „Bitte, legen Sie ab“ oder „Nehmen Sie bitte Platz’. Das Ist eigentlich schon so viel wie Schwein und Felle und Tochter, oder manchmal sogar mehr, was die Überwindung anbetrifft. Was die alten Rittersleut” getan haben, wenn plötz- lich Besuch kam, weiß ich nicht genau. Manchmal haben sie geschossen auf den Besuch, weil sie gefährlich gelebt haben. Daß aber so ein Ritter gerufen hat: „Du, Roßwalda, nimm doch schnell den Unterhosenkettenpanzer vom Ahnenstuhl Im Pallas und staub die Brünne ab, der von Werden- fels sprengt eben mit eingelegter Lanze beim Por- tler vorbei”, also das kann ich mir schwer denken. Ich weiß nämlich, daß es vielerorts heute so ähn- lich zugeht, wenn man plötzlich vernimmt, daß je- mand auch ohne eingelegte Lanze sich dem trau- ten Heim naht. Ha, was entsteht da für ein Wirbell Das mit der Unterhose und der Brünne hab Ich schon gesagt. Der Hausherr ordnet noch schnell den Schreibtisch. Was sage ich, ordnet? Mit aus- gestrecktem Arm schiebt er den ganzen Belag der Tischplatte In die oberste Schublade. Dort wird er lange liegen bleiben, denn was man so auf dem Schreibtisch hat, entbehrt man eigentlich nicht, wenn es verschwunden ist. Manche Leute schie- ben Dinge auch unter die Kommode oder unter die Ottomane, Dinge, die keineswegs zur Schande gereichen, aber die doch durch ihr pures Vorhan- densein nicht gerade den Eindruck von ordent- lichem Haushalt erwecken. Es kann dabei Immer passieren, daß Vaters Schlips über dem Arm des betenden Knaben aus Bronze hängen bleibt und während der ganzen Besuchszeit die Augen sämt- licher Familienmitglieder magisch auf sich zieht. Zum Staubwischen bleibt meist keine Zeit mehr, und nur auf blankpolierten Möbeln zeigt ein prü- fender Fingerstrich die nimmermüde Hand der Hausfrau. Meist wird schnell das Fenster geöffnet, um das Rüchlein vom Sauerkraut hinauszulassen. Übrigens braucht es nicht Kraut zu sein, auch Bohnenkaffee tut die gleichen Dienste. Eigentlich könnte öfter unerwarteter Besuch kommen, es tut der Wohnung gut. EPISODE Das Leben It ein Wartefaal. Da fiten wir nun allzumal oder wir gehen hin und her; denn Warten fällt bekanntlich fchver. Der Eine fochert in den Zähnen, der Andre in den Fahrteplänen; ein Dritter pacht fein Frühftück aus; ein Vierter, durftig nach Applaus, läßt muntre Wite fich entgleiten; ein Säugling plärrt; zwei Männer ftreiten. Kurzum, es wär’ fomeit ganz nett, menn’s nursauch bald ein Ende hätt’. Denn wer lebt bloß vom Zeitvertreiber Ein Wartefaal it keine Bleibe. Und jeder hat halt doch den Spieen: Fort! - Fragt fich nur: wann? und wohin? Wie aber foll man bei fo vielen die Seelenharmonie erzielen? ... Als jüngft mich ein Madamchen frug: »Pardon - wann geht mein nächfter Zug?« »Ach, Gnädigfte«, hab’ ich gefagt, »da bin ich leider überfrast.« Ratatöskr 66 Das mißlungene Werk Von Ernst Sander Claude Prosper Jolyot de Cröblllon — dieser wohltönende Name ist derjenige eines bedeuten- den französischen Trauerspieldichters der klassi- schen Zeit. Er war ein ernster, felerlicher Mann, der nur einen Stolz hatte: seine Kunst — und nur einen Kummer: seinen Sohn. Denn nicht nur, daß dieser mißratene Sprößling den gleichen Namen trug wie der Vater. Weit peinlicher war, daß er gleichfalls schrieb. Aber was er schrieb — das war das peinlichste. Claude Prosper Jolyot de Crebillon der Jüngere nämlich verfaßte viel- gelesene Romane und Erzählungen von einer sol- chen Leichtfertigkeit, daß die melsten seiner Bücher, vor allem das berüchtigte „Sofa“, noch heute, fast 170 Jahre nach des Autors Tode, aus guten Gründen als verboten zu gelten haben. Kein Wunder, daß der berühmte Sohn dem be- rühmten Vater zum Kummer gereichte — kein Wunder, daß beide einander nicht sonderlich mochten. Dazu wären sie zu häufig verwechselt worden. Um wenigstens einen der beiden ganz sicher zu haben, lud man sie zumeist gemeinsam ein. Da stand dann der tragisch umwölkte ältere Crebillon, umgeben von einem Schwarm blut- Junger Mädchen, die noch nichts wußten, alles glaubten und an des ehrwürdigen Meisters Lip- pen hingen. Und da stand der frivole jüngere Crebillon, umgeben von reifen Frauen, die längst alles wußten, nichts mehr glaubten und an des galanten Spötters Lippen hingen. So auch an jenem Abend, da eines der Gönschen den Alten fragte: „Verehrter Meister: welches ist das beste Ihrer Trauersplele?" Der bejahrte Dichter strich sich bedachtsam den Corneille-Knebel-Bart und antwortete mit sonorer Stimme: „Das ist schwer zu sagen, mein Kind. Aber soviel Ist sicher: das da —",und er deutete auf den Sohn, „— ist mein schlechtestes“. Und der Sohn? Er lächelte strah- lend zurück: „Ganz recht, Papa! Deshalb wird auch immer behauptet, es sel gar nicht von dirl" Ernüchterung (R, Krlesch) „Aber du kannst doch nicht sagen, daß deine Ideale für alle Zeit zerstört sind?“ „Doch! Theo hat mich gebeten, seinen Hosenträger zu flicken!* Disinganno: “Ma tu davvero non puoi dire che I tuoi ideali siano annientati per semprel,, Ma si! Teodoro mi ha pregato di rappezzargli le bretelle!,, 67 Wer liefert wem? (Erich Schilling) „Aber meine Herren, warum streiten Sie sich wegen der Lieferungen? Ich bin mit den Ihren durchaus zufrieden!" Chi fornisce ... e a chi?: “Ma, Signori miel, perch& litigate in causa delle forniture? ... Colle Vostre lo sono affatto contental,, 68 DIE GEBURT DER ANEKDOTE Der allein besitzt die Musen, der sie heg! am warmen Busen. (Schiller) Als Klio, die Muse der Geschichte, die schlicht gescheitelte, das Bleibende schreibende, und schreibend schreitende, die mit Ihrem streng ge- spitzten Griffel gleichsam die Studienrätin unter den neun Schwestern darstellt, als Klio noch Jung war — es war noch vor der Zeit des Herodot, der Sage und Geschichte zu sondern begann — da geschah es, daß Hermes, der fersengeflügelte, der leichte Gott der Händler und Reisenden und Handlungsreisenden, der Gott der lüge, des Klatschs und der Rhetorik, durch den Ort kam, wo Klio sich studienhalber aufhielt — das heißt, sie befaßte sich mit Vorgeschichte, eine andere gab es ja noch nicht, Er ließ sich im Säulenhof der Akademie nieder, lässig auf den Flügelhut gestützt, damit der nicht allein von dannen flöge, und hatte mit geübtem Auge unter allerhand Jungem Gemüse die Muse bald entdeckt Zuerst, zeigte sie ihm zwei klassisch schöne kalte Schultern, Aber er, der gewitzte Begleiter schöner Frauen (Persephone fiel ihm ein, und die drei Schönsten, die er zu Paris brachte), der Chef des Protokolls im Auswärtigen Olymp, der Logios und Kenner aller Beredsamkeit, fragte sie nach der technischen Seite Ihrer Tätigkeit — das ver- fängt bei berufstätigen Damen Immer: „Warum stenographleren Sie nicht? Gesetzt, die Geschichte bringt einst bewegtere Zeiten, wo sich die Ereignisse drängen, da versagt die Kur- renischrift und nachher klingt alles nur halb so epochal.” Sie fand ihn zwar keck, aber höchst interessant auch. „Ja, und warum schreiben Sie nicht Füll- federhalter, will sagen warum füllen Sie nicht das Rund des gehöhleten Griffels mit dem schwärz- lichen Saft des Tintenfischs oder der Apfel, die auf den knorrigen Eichen an Helikons Hängen schmarotzen? Donnerwetter, was gibt es doch noch auf der Welt zu erfinden!” Und nahm ihr den Griffel spielend aus den Händen... Abends gingen sie zusammen aus; man kann das ®inem aktiven Gott nicht abschlagen. Auf dem Heimweg wurde er zärtlich. Als sie laut an das Urteil der Geschichte appellieren wollte, ver- schloß ihr Hermes hermetisch den Mund mit dem seinen, Was dann geschah, hat Klio nicht aufgeschrieben. Sei es, daß sie ihren Griffel nicht zur Hand hatte, sei es, daß sie das Persönliche Im Ablauf der historischen Darstellung für fehl am Orte hielt, sei es, daß es selbst für die rücksichtslose Sach- lichkeit studierter Damen einen Punkt gibt, wo ihnen gestattet Ist, nicht alles auszusprechen. Kurz, als sich der gottlose Gott auf seinen Flügel- schuhen aufwärts schraubte und in windiger Eile von dahnen schwang, schaute Klio ihm mit ver- änderten Augen nach: „Ach, wie treulos und reulos und ruchlos und 'ühlos und — reizend, Das sind also die Männer, von denen Geschichte gemacht wird. Ach, passe defini — nun erfuhr ich's am eigensten Leibe. Hin ist hin. Am klügsten ist schon, ich nehm es historisch. Schade und schönl" Mit solchen Geschichten begann die Geschichte. * Dann kam es, wie es kommen mußte, und zwar kam es schon nach neun Tagen — bei dem Vater! — und war ein Mädchen und hieß: die Anek- dote. VON SCHLEHDORN Es war voll Phantasie und Grazie, voll Eigensinn und Laune, klug und nicht ganz ehrlich und zeigte bald eine unerfreuliche Eigenschaft: sie lief allen bekannten Männern nach und allen „berühmten“ Damen. Und war entsetzlich diskret... Wenn sich Ninon de Lenclos mit einem ihren un- gezählten Liebhaber in den Alkoven zurückzog, die Anekdote war dabei — oder wenigstens da- bei gewesen. Wenn Caesar bei der Landung in Spanien oder Wilhelm der Eroberer in England bel der Landung stürzte — auch sie eroberten, indem sie fielen, und zogen sich mit einem guten Wort aus der Affäre — war sie schon da, um das Bonmot zu haschen. Sie weiß von allen zu er- zählen, von Kyros bis Clemenceau, von Seneca bis Slezak, von Aspasla bis zu Fräulein X, (übri- gens nicht, die Sie meinen). Dr. Trockenschwung, ordentlicher öffentlicher Pro- fessor der ordentlichen öffentlichen Geschichte — also schon deshalb im Gegensatz zur Anekdote indiskret, entzückend in- Auf der alten Eiche - Sull'antica quercia — mißbilligt dieselbe, denn sie gefährdet die Objektivität und sogar die Langweiligkeit in der Wissenschaft. Aber alle Sekundaner und alle älteren Semester sind ihr dankbar, denn ohne sie bestünde die Geschichte nur aus großen Ereignissen und Jahres- zahlen, und keiner könnte sie behalten, So hal- ten wir uns an das Brett des Karneades, den Ring des Polykrates und notfalls an das Hemd der Erzherzogin Isabella um 1604. Es ist die Anekdote, die gelegentlich Blüten vom Baum der historischen Erkenntnis streut. Sie macht die Helden menschlich und die Menschen witzig. Sie erhält die großen Alten im Gedächtnis frisch und die schönen Frauen in ewiger Jugend. Und klatscht reizender als ein ganzer Damentee. Was aber wäre anregender als ein Damentee? Bei dem nichts fehlt als die Männer. Die machen derweil die Geschichte, Und vielleicht, von einem anderen größeren Stern gesehen, ist das, was wir Weltgeschichte nennen — Anekdote. (A. Paul Wober) ERKENNE DICH SELBST! Heute bin ich traurig. Ja, liebe Leser! Heute bin ich traurig! Ich habe mich flüchtig im Spiegel be- trachtet und fühlte mich sofort von einer Welle der Traurigkeit durchdrungen. Jemand von euch wird nun sagen — Ich höre es beinahe. „Nun, nun, Herr Pancrazio wird alt!“ Aber nein. Nicht wegen Runzeln und grauer Haare ist heute mor- gen mein Herz so bedrückt. Die Jahre vergehen für alle, auch für mich. Und nur Dumme lassen sich vom Alter überraschen, ohne den Geist dar- auf vorbereitet zu haben, es mit heiterer Würde zu tragen. Dieses Problem habe Ich schon längst gelöst. Es ist das andere, das mich nimmer mehr quält, das von dem Sichkennen. Auch diesen Morgen hat es mir Kopfzerbrechen verursacht. Ich habe gedacht: Sol Ich kenne Camillo, kenne Renato, kenne den Herrn Donati, kenne den Zei- tungshändler an der Ecke, kenne die Frau, die mir Jeden Morgen die Milch bringt, kenne sogar den Hausbesitzer und den Hundefänger, der’ mir eines Tages beinahe meinen kleinen Fido er- würgt hat. Kurz und gut, ich kenne eine Menge Personen, viel mehr als notwendig Ist. Es ist un- nötig, alle zu verzeichnen, Aber der einzige, von dem ich nicht sagen kann, ihn zu kennen, wer ist es? Herr Pancrazio Contardi, nämlich ich selbst. Jal Sie lachen! Sie wenden sich an Ihren Nach- barn zur Linken und lächeln wohlwollend, als wollten Sie sagen: „Ohl Herr Contardi ist zum Scherzen aufgelegt! Dieser Spaßvogell" Abor nein, um Himmelswillen nein! Ich habe absolut keine Lust zum-Scherzen. Ich spreche im Ernst; ich habe gesagt und wiederhole es, daß ich viele Leute kenne, aber mich selbst nicht. Und glauben Sie nicht, daß ich mir ein phllo- sophisches Mäntelchen umhängen will. Ich weiß, auch Sokrates verfocht dieselbe Angelegenheit. Aber er beabsichtigte, von der Kenntnis des Geistes zu spre- chen, und ich bin viel zu bescheiden, um mich auf ein so gefährliches Gebiet zu wagen. Für mich formuliert sich das Pro- blem in einer viel einfacheren Weise. Eine Person kennenzulernen, ist das Leich- teste auf dieser Welt. Zum Beispiel treffe ich meinen Freund Claudio zusammen mit einem mir Unbekannten. Claudio bleibt stehen und sagt: „Hier stelle ich dir Herrn Marco Tancredi vor.” Ich drücke diesem Herrn die Hand, höre seine Stimme, stelle die Farbe seiner Haare, seiner Augen fest. Dann bemerke ich, daß er eine kleine tote Narbe neben dem rechten Nasen- loch hat. Den Tag darauf sehe ich ihn auf der anderen Straßenseite vorüber- gehen. Beim Laufen stelle ich fest, daß er sich in übertriebener Weise in den Hüften wiegt und Worte vor sich her- murmelt, Kurz und gut, nach einer einzi- gen Vorstellung und einigen ergänzenden Begegnungen kann ich sagen, eine ziem- lich klare Vorstellung von Herm Tancredi zu haben, das heißt, ihn zu kennen. Aber lieber Gott, niemals ist es mir passiert, daß mein Freund Claudio auf mich zuge- kommen wäre und mir gesagt hätte: „Hier stelle ich dir Herrn Pancrazio Contardi vor.” Und nicht einmal ist es vorgekom- men, daß ich um Herrn Contardi herum- laufen konnte, um die Form seines Halses und seiner Ohren festzustellen, noch ihn von weitem gehen zu sehen, ob er sich in den Hüften wiegt oder nicht. Auf Ehrenwort, das habe Ich noch nie erlebt und werde es auch niemals erleben. Da- her stehe ich auf dem Standpunkt, den Herrn Pancrazio Contardi nicht zu kennen. Manchmal habe ich ihn gesehen, ja, Im VON BERTO PEROTTI Spiegel oder auf einer Photographie. Aber glau- ben Sie, daß dies genügt, um zu sagen, daß ich ihn kenne? Was habe ich in dem Spiegel ge- sehen? Höchstens ein plattes Gesicht und die Vorderseite einer Person. Das Ist alles. Und auf einem Bilde? Ein Gesicht oder Profil mit ge- zwungenem Lächeln oder mit trockenem und kal- tem Ausdruck, Weiter nichts! Aber, lieber Him- mel, vom Herrn Marco Tancredi habe ich von der ersten Vorstellung her zehn, was sag Ich, hundert verschiedene Stellungen, Ausdrücke, Lächeln und Bewegungen gesehen. Von vorn, von hinten, von der Seite habe ich ihn gesehen. Später habe ich ihn beim Laufen beobachtet, ohne daß er es merkte, und habe in seinem Wesen irgend etwas Neues entdeckt, das ich bei der ersten Begeg- nung nicht gesehen hatte, Aber wie kann ich jemals meine Person von außen so objektiv ver- folgen? Wie könnte ich sie in Augenblicken der Zerstreuung und der Hingabe überraschen? Sagen Sie es mir, wie? Es gab eine Zeit, in der ich mir einbildete, wenigstens einen gewissen Grad der Kenntnis meines Ichs erreicht zu haben. Ich lief zum Beispiel durch eine sehr belebte Straße, und plötzlich drehte ich mich zum Schaufenster, um meine Art zu laufen zu beobachten. Bisweilen geschah es, daß ich unbewußt in eine Scheibe blickte und meine Person wirklich in einem Augenblick der Unbekümmertheit überraschte. Eines Tages stellte ich sogar an meinem Gange, das heißt, an der Art und Weise die Füße auf den Boden zu setzen, fest, daß etwas Seltsames, beinahe Lächerliches, darin lag, etwas, was ich EIN WINTERTAG A Schneepfluag fteht vereift am Straßenrand. Zwoa Dacheln hocka drobn am «Starenhaus. De Weid’n fehaugn mia Reiferbef'n aus, Und buachas Holz loahnt an da Stadelmand. De Mannerleit vom Bräu ftenga bereits A ganze Wocha fcho da drunt am Bach. Sie moana leicht, de Kältn laffat nach. Und ’s Bachauseil’n, des geht fei Ins Kreiz. Beim Nachbarn drent, da klopfas heint an Raps. Da Girgl is beim Stöckaushebn im Wald. Und werd’s eahm diamal do a wengl z’kalt, Schnupft er a Pris und nimmt a Mai voi Schnaps. Vom Schulhaus kimmt a kloana Bauernbua Und laft glei hoam. Es friert'n, er is krank. Er fchmuggelt fi ganz hint auf d’Ofabank Und ziagt an Rot; auf, fchneizt und huaft dazua. A Metiga fteht beim Stangl feiner Waag Und handelt lang und broat zıweng ara Sau. Er bfcheißt beim Wiagn und greift an Speck genau Und kaft des Viech und holt's am andern Tag. De Annamierl, de hoazt an Ofa ei, Daß d’Platt'n glüaht, damit de Apfi bratn, Holt Briafpapier und Tint'n aus’'m Ladn Und fchreibt fein liab’n Schat auf Minka nei. An Hund fei Kett'n macht da Voda frei. De Nebi fteign in D’Höh und D’Nacht werd frifch. A Weitling voller Supp’'n dDampft am Tifch. Und wieder is a Wintertag vorbei. * H. Essendorfer 70 nie vermutet hatte. Diese Entdeckung befriedigie etwas mein Bedürfnis nach Kenntnis, aber de- mütigte nicht wenig mein Selbstgefühl. In den folgenden Tagen ging Ich wieder an den Schau- fenstern vorüber, und versuchte jene Spur, die mich so betroffen hatte, von neuem zu entdecken. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, es ge- lang mir nicht, ihr zu begegnen. Seil es durch eine gewisse instinktive Sorgfalt, die ich beim Laufen entfaltete, sei es durch eine andere Gei- stesverfassung, Tatsache ist, daß alle meine Be- mühungen, jenen Teil meines Ichs wiederzusehen, der mir einen Augenblick in die Augen gesprun- gen war, vollkommen vergebens waren. Bis ich feststellte, Ja, liebe Leser, bis ich feststellte, daß ausgerechnet, wenn ich an einem Geschäft vor- überging, auf der Schwelle Mädchen oder Kun- den sich ansammelten und mich frech anstarrten und boshaft untereinander grinsten. Eines dieser Mädchen wagte sogar mit lauter Stimme zu er- klären: „Der ist in sich selbst verliebt!” Ich hätte dieser Unverschämten am liebsten ein paar hin- ten drauf gegeben, und die anderen mit den Köpfen aneinander geschlagen, so groß war meine Wut über das Mißverständnis, in das ich da ge- raten war. Aber ich erfaßte sofort, daß, wenn ich in irgendeiner Weise auf diese Beleidigung rea- gierte, sich meine lächerliche Lage nur verschärft hätte. Zu den Leuten konnte ich doch nicht sagen: „Hören Sie mal, Sie täuschen sich. Sie halten mich für irgendeinen eitlen Affen, der in die Scheiben schaut, um seine Figur zu bewundern. Nein! Ich bin nur ein armes Wesen, das auf der Suche nach sich selbst ist!” Nein, es ist wahr! Das konnte ich Ihnen nicht sagen, aus dem einfachen Grunde, weil sie es mir nicht geglaubt hätten. Man würde mich höchstens für verrückt gehalten ha- ben. Und auf einen solchen Ruf lege ich wirklich keinen Wert. Daher begnügte ich mich, mit geknickter Miene mich zu entfernen; das zweideutige Flüstern die- ser Menschen folgte mir. In den nächsten Monaten bemühte ich mich, meine Bitter- keit zu vergessen. Wie die andern ver- suchte Ich zu leben, ohne mich um etwas zu kümmern. Wenn ich an einem Spiegel vorbeikam, warf ich einen schnellen Blick hinein und dachte bei mir: „Mag es sein, wie es ist! Leben und leben lassen!” Bis eines Tages ein kleiner Zwischenfall ein- trat. Was sag Ich, Zwischenfall, eine voll- kommen belanglose Angelegenheit, die mich von neuem in Aufruhr versetzte. Ge- gen Abend traf ich unter den Bogengän- gen des Matteiplatzes den MalerDePiva, der, nachdem er mir die Hand gedrückt hatte, meine Stirn betrachtete, mich nach allen Richtungen drehte, dabei aber immer meinen Kopf fixierte, und schließlich barsch meinte: „Ich habe es nie bemerkt. Aber du hast einen Dante ähnlichen Kopfl” Bei aller Achtung, die ich für Dante empfinde, muß ich Ihnen doch be- kennen, war mir bei dieser Feststellung nicht wohl zumute. Nicht weil ich eine besondere Antipathie für Adlernasen und für finstere Augen hege, sondern weil ich, der doch an meinem Profil am meisten interessiert war, noch nie in meinem le- ben gemerkt hatte, eine Dante-Ähnlich- keit zu besitzen. Daher protestierte ich lebhaft, zur großen Verwunderung meines Freundes, Er ließ die Arme baumeln und erwiderte sehr ernst: „Es tut mir leid, aber du hast wirklich einen Dantekopf, besonders wenn du die Stirn in Falten ziehst!” Und er ließ mich im Stich Kaminkehrers Morgentoilette - Toilette mattutina dello spazzacamino (Fr. Btlok) mit meiner großen Verblüffung. Als ich mich von meinem Staunen erholt hatte, stürzte ich nach Haus, trat in mein Zimmer ein, zündete das Licht an und betrachtete mich in dem großen Spiegel des Schrankes. Aber, o weh, statt Dante Allghieri sah ich darin das finstere Antlitz eines armen Menschen, der den Kopf verloren hatte. Ich wartete, bis ich mich ein bißchen beruhigt hatte, dann betrachtete ich mich wieder; immer Jedoch mit demselben Erfolg. Vor mir sah Ich ein bleiches, ziemlich mageres Gesicht, in dem ich die Gesichtszüge aller Personen der Danteschen Hölle aufspüren konnte, bloß nicht die des Dich- ters selbst. Wütend rief Ich aus: „Die andern dürfen sehen, was in mir steckt, nur Ich nicht!“ Einige Schübe des Schrelbtisches öffnete Ich, zog verschiedene Photographien heraus, auch die Neuesten, aber in keiner gelang es mir, Dante- sche Züge zu identifizieren. Da verließ ich das Zimmer und klopfie bei meiner in. Ich fühlte das Bedürfnis einer Bestätigung dessen, was mir enthüllt worden war. Aber unglückseligerweise Ist meine Wirtin etwas schwerhörig. Nicht dehr liebenswürdig sagte Ich zu Il ‚Sehen Sie Dante hier?” Und ich zeigte mit der Hand auf mein Ge- sicht. Ohne zu verstehen, sah sie mich erstaunt an, Da wiederholte ich lauter: „Haben Sie den Eindruck, daß ich Dante ähnele? Zufrieden, be- griffen zu haben, lächelte sie und antwortete: „Nein! Er Ist nicht gekommen. Nur Corradi mit dem Verzeichnis ist dagewesen.” Es war ver- gebene Liebesmühe, das merkte Ich. Aber ich versuchte es zum letzten Male. Ich ließ die Alte in mein Zimmer kommen, legte eine farbige Auf- nahme Dantes vor sie, zeigte auf meln Gesicht und fragte: „Was meinen Sie? Ahnele ich ihm?“ 71 Nun erschrak die Frau, Mit erstaunten Augen schaute sie auf meinen Mund, um meine Worte zu verstehen; dann fing sie an zu jammern und zu klagen: „Ich habe nichts weggenommen, Ich habe wirklich nichts genommen, Das wird die Sofla gewesen sein. Bei mir hat noch nie etwas gefehlt. Wir sind doch ehrliche Leute.” Ich ver- zichtete auf meinen Vorsatz und verließ wütend die Wohnung. Meine Nerven waren so gereizt, daß ich mit Jedem Streit angeknüpft hätte, wenn nur die Gelegenheit dagewesen wäre, Zum Glück bot sich mir diese Gelegenheit nicht. Statt das Zentrum aufzusuchen, wo Ich gewiß einem Freunde begegnet wäre, entfernte ich mich von der Stadt und streifte lange Im Dunkel am Ufer des Flusses umher. Als ich nach Hause zurückkehrte, um mich zu Bett zu legen, hatte ich mich etwas beruhigt. In der Nacht träumte ich, in der Danteschen Hölle zu sein. Ich spazierte am Ufer des sumpfi- gen Styx, Arm in Arm mit einem Mann, der den eigenen Kopf in der Hand hielt, Lange schaute ich mir diesen Kopf mit den aufgerissenen Augen an, der mich mit beinahe gierigem Interesse fixierte. Und ich dachte bei mir: „Wenn Dante doch kämel” Bis auf der anderen Seite des Sumpfes jemand immer lauter meinen Namen rief. Mit laut klopfendem Herzen drehte ich mich um und erblickte einen Kahn, auf dem unter anderen der Maler De Piva sich befand. Er trug ein Ver- zeichnis unter dem Arm. Kaum war er aus dem Boot gestiegen, als er das Verzeichnis öffnete und mit energischen und begeisterten Gesten anfing zu zeichnen, Schließlich riß er das Blatt heraus, übergab es mir mit den Worten: „Hier ist dein Bild! Es kostet fünf .Lirel”” Als. ich die Zeichnung mir ansah, stellte ich zu meinem größ- ten Erstaunen fest, daß es sich um ein Bild von Julius Cäsar handelte, Nun abgesehen von dem verstümmelten Kopf, der Umzug - Trasloco mich mit aufgerissenen Augen von der Seite meines Gefährten anstarrte, scheint Ihnen nicht, daß sich in diesem Traume ein beinahe scherz- hafter, grausiger und scherzhafter Sinn verborgen hält? Eine bissige Anspielung auf mein trauriges Schicksal? Tatsache ist, daß ich mich am folgen- den Morgen wieder von dem Gedanken an meine Physiognomie gequält fühlte. Unterwegs traf Ich Furlanl, diesen geriebenen Kerl von Furlani, der, kaum daß er mich von weitem gesehen hatte, auf mich zusteuerte, mit der offenbaren Hoffnung, sich von mir einen Kaffee bezahlen zu lassen. Gern bot ich ihm einen an. Ich hatte meine Gründe dafür. Nachdem wir von diesem und jenem gesprochen hatten, richtete Ich die Frage, die mir so am Herzen lag, an ihn. Dabei tat Ich so, als wenn ich scherzte: „Man hat mir erklärt, ich ähnele Dante, Was sagst du dazu?” Ernst schaute er mich an, zog sich etwas zurück wie ein Maler, der seine Leinwand prüft, und meinte beinahe feierlich: „Bei Gott! Das Ist wahr! Du hast (©. Hermann) „Sagen Sie, Frau Müller, haben Sie nicht einen Strumpf von mir gefunden?" „Nee, Frollein, bloß 'n jroßes Loch, und da war 'n bisken Wolle herum!“ "Ditemi, signora Müller, non avete mica trovalo una mia calza},, "No, Signorina ... soltanto un buco con Intorno un po’ di lana!ı, 72 ein Dantesches Profil.” In diesem Augenblick wurde ich rasend. „Geh zum Teufel mit deinem dummen Urteill” Bleich vor Überraschung ließ ich ihn zurück, während die anderen Gäste sich nach mir umdrehten und mich wie ein seltenes Tier anstarrten. Wirklich, ich war außer mir. War denn so etwas möglich? Alle bestätigten diese Ähnlichkeit, und ich nicht? Ich betrat ein Cafe und sah verstohlen in einen Spiegel. Aber nicht einmal jetzt konnte ich den großen Dichter in mir entdecken. Da zürnte ich mit der Unzuläng- lichkeit der menschlichen Wissenschaft. Ich ver- suchte mich zu überzeugen, daß, wenn es mir nicht gelänge, die Spuren zu finden, die die an- deren in mir entdeckt hatten, nur die Tatsache ! Schuld hätte, daß mir die geeigneten Mittel zum Beobachten fehlten. Ich hätte aus mir heraus- gehen müssen, um mich so zu betrachten, wie man einen Fremden beobachtet. Oder ich müßte einen Film von mir drehen lassen, der alle meine Bewegungen und Ausdrücke eines Tages fest- hielte, Dann vielleicht wäre ich imstande, einen einigermaßen objektiven Begriff meiner äußeren Person zu erhalten. Aber für einen solchen Film braucht man sehr viel Geld. Und Ich verfluchte meine Armut, die mich vor die Unmöglichkeit setzte, mich selbst besser kennenzulernen. So schmiedete ich einen Plan nach dem anderen, geriet von einem Ärger zum andern, bis ich mich allmählich mit meinem traurigen Schicksal be- freundete, Eines Tages Jedoch, an einem schönen Maienmorgen, erlebte ich die Überraschung, mit Dante zusammenzustoßen, das heißt mit jenem Teil meines Selbst, den ich mit solcher großer Sorge gesucht hatte, und in dem die Danteschen Züge verborgen sein sollen; ich saß im Eßzimmer meines Freundes Florenzo. Zerstreut schaute ich auf die gegenüberliegende Wand, als mein Blick auf einen runden Spiegel fiel, der gerade vor mir hing, und der mein Bild wiedergab, Zum größten Erstaunen der Anwesenden rief ich aus: „Mein Gott, wie Dantel” Und wahrhaftig sah ich in meinem Gesicht die unzweideutigen Spuren von Dantes Person. Voller Bewunderung schaute Ich mein Spiegelbild an, ohne mich um die Witze der andern zu kümmern. Es war, als wenn mein Geist sich nun von einer schweren Last befreit fühlte. Meinen beinahe chronischen Skeptizismus überflutete ein zuversichtliches und optimistisches Lebensgefühl. Nun war Ich auf dem Wege, mich selbst zu kennen. Am nächsten Tage spazierte ich durch die Straßen der Stadt voller Stolz und mit tänzelnden Schritten wie ein Junger Gott. Ab und zu schaute ich verstohlen in einen Spiegel oder ein Schaufenster und freute mich, Immer wieder mit dem Blick jenem mageren und heite- ren Antlitz zu begegnen, das so klar die genialen Züge Dantes trug. Es war, als wenn sich in die- sen heimlichen Blicken zwei alte Freunde nach langer Trennung wieder versöhnt vorfänden. Nie- mals wie In diesem Augenblick fühlte ich so stark meine Bewunderung für Dante Alighierl. Bis ich gegen Abend mit meinem alten Freund De Piva zusammentraf. Ich freute mich, als ich ihn unter der Menge sah. Jedoch ich hütete mich wohl, ihm die Gründe meiner Freude auselnanderzu- setzen. Nur bei einem gewissen Punkt unserer Unterhaltung sagte ich freundschaftlich: „Erinnerst du dich? Vor ein paar Wochen hast du mir ge- sagt, ich hätter einen Dantekopf.” De Piva schaute auf, wie beleidigt über meine Worte, Lange sah er mir ins Gesicht, schüttelte dabei den Kopf und brummte enttäuscht: „Du bist ein komischer Mensch. Alles faßt du wörtlich aufl” Beunruhigt rief ich aus: „Wie? Ist das nicht wahr, was du gesagt hast?” Bitter lächelte er und fügte hinzu: „Warum nicht? Es kann wahr sein! Man sagt so- viele Dummheiten. Tatsache ist, daß, je länger ich dich ansehe, um so lebhafter mir deine Ähn- lichkeit mit Christoph Columbus erscheint.” (Aus dem Italienischen von Charlotte Opitz) heilt Alles-Kitt Alles-Kitt mit Alubronze oder Cips oder Kreide zo einer honigdicken Masse vermengt gibt zum Behelf ein worsögl. Dihtungamittel für defekte Kodtöpfe un. Gut hören, richtig verstehen! 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Det Ist günstigstenfalls Mar- meladel” „Das ist jaa Kompottl” „Quatsch Brotaufstrich ist det! Pflaumenmusl” „Der Herr können es ja stehen lassen!” „Wie komme ich dazu? Auf der Karte steht als Nachtisch Kompott, Ergo verlange ich auch Kom- pott Und zwar ein wenig hurtig!" Der Kellner gab sich geschlagen. Er lief zum Wirt, Dr. 399057 und 418608 A Öle felt mehr als 20 Fahren eingeführte Martenbeyelchnung für das von Haderbrän Münden unter Patentfdub (ORP, Nr. 348960) bergeheitie oltopefarme, Bläniihe Mündpener Malygerränt an wie, umanger Erzählte ihm aufgeregt den Vorfall. Der Wirt schob grimmig seine zwei Zentner Leibesfülle zu dem Tisch des Gastes. Er stemmte seine Faust auf den Tisch, beugte sich drohend vorund fragte: „Haben der Herr eine Reklamation?” „Und ob! Und ob, mein Lieber! Ihr Kellner hat mir das Zeug hier als Kompott serviert!“ „Freilich! Dös san herrliche Zwetschgenröster, wie Sie sie da drüben gar net kennen!“ „Die Politik lassen Sie gefälligst aus dem Spiel, ja?” „Mit Eahnen werd i mi net streiten!“ sagte der Wirt, packte den unzufriedenen Gast beim Kragen und setzte ihn vor die Tür. Dann kehrte er in die Gaststube zurück, stellte sich in der Mitte auf und sagte, grimmig seine ‚Augen von Tisch zu Tisch gleiten lassend: „Es sind noch ein paar Leute hier, die behaup- ten, Zwetschgenröster sind kein Kompott — aber ich kenne sie alle! Ich kenne sie allell” ).H. R. FERHTLKA F LIEBER SIMPLICISSIMUS RIES (0. Nückel) Mein Freund Johannes hat früher selber Zigarren und Zigaretten geraucht, Aber neuerdings ist er ganz auf die Pfeife verschworen. Neulich kam er zu mir und brachte auch mir eine mit. „Ich kann es nicht länger mit ansehen, daß du die andern Dinger In den Mund steckst. Ich finde das zu unappetitlich, Uberlege dir doch nur mal, Wichtig 3 für die Erhaltung der Gesundheit ist die An- wendung der unveränderten Heilmittel, wie sie uns die Natur schenkt, Adolf Justs Luvos-Heilerde ist einurdeut- sches Erzeugnis der Natur, das ausgleichend und regulie- rend auf den gesamten Orga- nismus wirkt und die Vordau- ungssäfte von Fäulnis-, Gä- Lly rungs-und Gifistoffen befreit, Adolf Justs Luros-Hellerde In Apotheken, UND DAS SIEBENECK Kaffee Luitpold die behannt gute Gafftätte Mündens Täglich; nachmittags und abends erfthlaffige Fonzerte Schenswerte Aäume m) SIND WELTMARKEN FÜR Rzneimitteß hinter denen eine mehr als Drogerien und Reformblluserat Mochr Volksschädltage wehrlos durch SR Seibatverteidigung schülzt 5 fahr\ Ein richtigen Griff, lo: joflich. Für 20 IRpt. in Markon (die Ihnen aut das Kursgeid aufgerachnot werden) or- jnalton Sie den Iilustr. Prospekt von 30jähr.wissenschaftliche und praklische Erfahrung steht. Hühneraugen oder Hornhaut? 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Aber wenn du mir wirklich schon eine Pfeife mitbringst, dann hättest du weiß Gott eine etwas hübschere aussuchen können”, sagte ich. „Aussuchen? Na höre mal, meinst du vielleicht, daß da gleich eine ganze Mustersendung auf der Straße gelegen hat?“ fragte Johannes. J.Bieger * Ich warte in einsamer Straße In Leipzig um die Mitternachtsstunde auf die Straßenbahn. — Da vernehme Ich aus finsterem Hauseinang eine halblaute, von bitterem Weinen durchzitterte, Wo darf ich = Pfeilring Haut-Creme verwenden? Wo es gut tut, dahin ge- hört beute Pfei Creme. Das Sonne oder Wind die Haut austrocknen, Kälte oder Nüsse sie rissig und spröde Pf N doch jetzt sparsam damit umgehen ; daher verwendet die Mutter zunlichst ein mal fürdie zar- teHaut derklei- nen Kinder. tunı auf Fortsch BAUER &CIE SANATOGEN-WERKE Seit Jahrzehnten hochwer- tige Präparate zur Erhal- des täglichen Wohl: befindens und zur VarBas gung gegen Ansteckung der oberen Luftwege. Fortschritt baut wirt auf weibliche Stimme, die anklagend, verzweifelt und beschwörend, sich manchmal überschlagend, ohne Unterbrechung auf irgendwen herniederprasselt. Zu verstehen war für mich kein Wort, zumal die Tirade im ursächsischen Dialekt gehalten wurde. Der passive Partner dieser Unterhaltung war, wie mir dann klar wurde, ein Mann, der in Zwischen- räumen immer wieder versuchte, auch einmal zu Wort zu gelangen, aber nie über die eindring- lich gesprochenen drei Worte: „Ehr deine Mut- ter —” ninauskam. — Die Situation war mir klar, ein ungehorsames, eigensinniges Geschöpf, das von einem vernünftigen, wohlmeinenden Freunde bezüglich seiner Pflichten gegenüber der Mutter zurechtgewiesen wurde. — Endlich verebbte der gewaltige Redestrom des Mädchens; ich hörte nur noch leises Weinen und nun kam die sonore Mannesstimme schließ- lich wie folgt zu Worte: „Ehr deine Mutter nischt merkt, brauchste nischt zu saajn!" — FW. NEDA-WERK Eduard Palm Das Gütezeichen für Johannes lernte Schlittschuhlaufen. Das heißt, er versuchte, es zu lernen. Aber er kam nicht recht voran damit. Nun saß er grübelnd auf einer Bank am Rande der Eisbahn. Mitleldsvoll setzte ich mich zu ihm. „Wenn ich nur wüßte, wer diesen Sport erfunden hat“, sagte Johannes nachdenklich, „Wozu möchtest du das wissen? Willst du dich an seinen Nachkommen vergreifen?” fragte ich. „O nein. Ich bewundere den Mann und möchte näheres über ihn hören. Sieh mal, du und Ich, wir alle, die wir diesen Sport erlernen wollen, wir sehen doch Leute, die ihn beherrschen, Wir wissen also, daß es tatsächlich möglich ist, sich auf Schlittschuhen zu halten und zu bewegen. Aber er, er wußte es nicht. Und hat doch durchgehalten“, sagte Johannes nachdenklich, „Ja, der Mann muß einen eisernen Willen gehabt haben“, stimmte ich zu, um ihn nicht zu entmutigen. „Oder einen eisernen Hintern”, sagte Johannes. ). Bieger München 3 Köpfe Ikritzeln, d. Yonogramm od. ım.d. voll. Namen sauher stempeln Brouenet en nn ‚Joint: Com. Er ‚Beitroka, Berlin-Charlottenl.2F,Grolmanst. KRONEN- KRAWATTEN-FABRIK Fritz IM. Tibkeg \ BERLIN Ca wird für Kinder bevorzugt. Aber auch Aok-Seesand- | Mandelkleie greift die I zarte Hautnichtan,sondern | Wunderfam e 8 & Kossack d. Ältere Kosmetik-Fabrik Düsseldorf kräftigt sie. TuKınder IEHÜHRTEECFE VOL! Baherngen Si heut. de Eukutel nur ben chranbt bafrbar mt, nach mehr ala rüher unseren Retschlag, Serglng und hauche dünn auragen. Nach dis Menge, die Güte cher .Siegellacke Briefmarken- sommler, verlang! kostenlos „HANSA-POST“ ©. © schrift, die Freude macht und Werte schaff, Max Horbat,Markenhr..Hamburg361513 Ankauf von Sammlungen cZ SOLINGEN Siempeikissen u BONSA-WERK \ Klebepasteu.Büroleime GUTENBERG-Werk für BürobpdarfmbH Mainz Ya serfesten Alleskleber und bestreichen die Leimstellen nur ganz dünn, um Klebstoff zu sparen. 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In quel momento ero completamento insensibile alla musica!,, 77 Die tote Stadt - La cittä morta (Toni Blchl Im Felde) DAS „E“- EIN HÜBSCHER BURSCHE Ein hübscher Bursche, der sich in der Eleganz einer Exzellenz wlegt. Das E hat die Haltung eines Engels, der aus der Ewigkeit heranflügelt. Ein Edelmann. Manchmal auch ein Emporkömmling, der seine Ellenbogen zu gebrauchen weiß. Das E hat den Wuchs schöner Bäume; der Erle, der Eiche, der Eibe, der Espe, der Esche und der Eberesche. Es ist erlaucht, weil es die Erde be- nennt. Es Ist reich und begnadet, well es die ganze Ernte In sich birgt und die Ehre trägt. Es ist verziert mit Ecken und Erkern. Elvira tritt auf seinen Balkon und singt Arlen aus der großen Oper. ‚Das E steht da wie der treue Ekkehard, der vor der wilden Jagd warnt und am Eingang zum sagenhaften Venusberg steht. Es ist der magische Palast des Erlkönigs und der Elfen. Die flüchtige Nymphe des Echos ruft aus seinen Winkeln und Schluchten. Das E ist neugierig, fühlerausstreckend und unter- nehmungslustig; denn die Entdecker haben in ihm Ihr Geburtshaus, aber auch die Erfinder wohnen auf seinen Etagen. Das E ist der große Edelsteinladen und irisiert in sämtlichen Farben. Es hat etwas Langes, fast Un- endliches — die Ewigkeit. Es trägt alle Farben der Erde: das Schillernde des Entengefieders, den Emailleglanz der Smaragdeidechse, das grünlich- blaue Licht des Eises. Das E Ist ein Übergangslaut, der nach mythischen Vorl ntwortl. Schriftlelte ‚alle Buchhandlunger ng: gültig ab 15. Okt. 1941. — Unver te 1geg: inzeln insendungen werden nut zurückgesandt, wenn Porto beilieg VON ANTON SCHNACK Vorstellungen den Frühling, das weiße „a”, mit dem Sommer, dem rotgoldenen „li“ verbindet. * Es hat die Hauer des Ebers, der die Erde nach Fraß aufwühlt. Es hat die eisernen Zähne der Egge, welche die Furche durch die Ebenen der ENTFALTUNG Ein Rehbock bellte in der Nacht; ich bin aus tiefem Traum erwacht. Noch lag in Dunkelheit das Moor und leife zitterte Das Rohr. Der Finfternis tieffamtene Wand. hob fich gemächlich und entfchmand. Der Morgenitern erglitierte und ftrahlte hell und bliterte auf eine Hütte, drin ein Paar noch immer wach und traurig war, Ein Hahn zog mit Triumphgefchrei den erften Sonnenftrahl herbei, ein anderer ermiderte, ein Chor von Vögeln liederte und leuchtend fchritt durch Dorn und Hag im Morgenmind der junge Tag. Peter Scher Acker zieht. Es.hat das Schaufelgehörn des Elchs und das scharfe Holz der Ecker, der ölhaltigen Buchenfrucht. Es Ist das Gasthaus für den lachenden Eulen- spiegel und für den würdigen Spießbürger Ernst. Es trägt mitten am Bauch einen Hahnen; wenn man Ihn aufdreht, fließt Essig heraus. Das E ist das Zeichen für Wasser — die Elbe und der Ebro strömen hindurch, die Ebbe seufzt und gurgelt aus ihm, der See ruht auf seinem Grund und das Meer brandet an ihm empor. Das E treibt Vielweiberei, Ehe mit vielen — ein- mal mit dem feurigen | und das Kind heißt ei; dann mit dem dumpfen u, und dieser Sprößling wird eu genannt. Das el Ist ein breiiger käsefar- biger Balg, der nach Zärtlichkeiten beglerig ist; das eu hat Wesenszüge von einem Gummi, Es ist behend, drahtig, listig, neugierig. Das E ist ein sehr literarischer Buchstabe. Man findet bei ihm das Epos, die Erzählung; das Epi- gramm oder das Sinngedicht; den Epilog, ein zu- meist aus Versen gedrechseltes Nachwort; die Episode oder die Zwischenhandlung; die Epistel oder den Brief; das Epitheton oder das Belwort; die Edition oder die Herausgabe; das Exemplar oder das einzelne Buch; die Einbildung, woran mancher schlechte Schriftsteller leidet; die Ekstase, in die manche Dichter geraten; das Eldorado, das Goldland, wovon die meisten Dichter träumen; die Epigonen, die Nachahmer, was viele sind; und die Enzyklopädie, das Nachschlagewerk, worin sie wünschen für alle Ewigkeit zu stehen. . Bestellungen nehmen oigenproise nach Preislisto Nr, 7 ‚onto München 5920, Erfüllungsort München. 1.1.20. — Anz Posischeckk, IK. Rössing) Das Ende des Grauens - La fine dell' orrore 79 Mahlzeit (Wilhelm Schulz) „Die Seepferdchen schmecken wieder abscheulich nach Öl€!' — „Ja, mein Lieber, wir sind eben im Krieg! Pasto: “Questi cavallucci marini sanno di nuovo orribilmente di petrolio!,, — "Giä, caro mio; siamo appunto in guerra!,, 80 München, 10, I 48. Jahrgang / Nummer 6 30 Pfennig Sl MPLICISSIMUS M KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN „Hätt! ich mehr als mein Leben, ich würd’ es meinem Vaterlande opfern!“ Friedrich der Große “Se avessi plü che la mia vita, lo sacrificherel alla mia patria!,, Federico Il Grange Anspruchsvoll‘- Arrogante ven (Magon) „Sö Lackl, Sö hundshäutana, kinnan mich überhaupts kreuzweis' — — —!" „Jetzt, mit so allgemeine Redensarten derfa S’ mir fei net kemma!" “Ehl, villanzone, figlio d’ un cane, che Vi pigli un accidente — — — DER AUTOMAT Drüben am Haus hängen zwei Automaten, der eine ist ein amtlicher Automat, er verkauft Fahr- karten, der andere sollte Schokolade verkaufen. Er tut es nicht. Automaten haben früher das Erstaunen der Welt hervorgerufen. Es gab eine Zeit, da hatte fast jeder Fürst neben seinem Hoftheater, neben sei- nem Hofmaler, seinem Hofnarren auch einen Auto- maten, Der verkaufte allerdings keine Schokolade und auch keine Fahrkarten, er zeigte auch nicht die tägliche Gewichtszunahme an, sondern or blies die Trompete, schlug die Pauke, sagte ein bißchen die Zukunft oder zauberte sonst irgend ‚etwas, als Türke verkleidet. Die Hersteller solcher ‚Automaten waren hochberühmt, denn Automaten DER TOD Eo hat der Tod verfchiedene Geftalt, In welcher er die Menfchen locht und fchrecht: Als füße Braut, In der fchon Fäulnis hecht, Als eitler Arzt, der mit dem Heiltrunk prahlt, Als Kriegsmann, dem die Helmzier niedermwallt, ‚Als kaiferlicher Richter, ftolz gerecht - _ So treibt er Spaß, in Masken fchlau verftecht, Und feine Späffe find tie Eis fo halt. Und ob du fchläfft im mwindummehten Zelt _ Oder daheim in deiner warmen Stube: Du bift vor ihm nicht ficher auf der Welt! Und kläfft dich nur ein Hündlein an im Feld: Kann fein, du finkft vor Schrecken in die Grube, Als habe dich ein Drache angebellt, Georg Britting waren damals hübsche Spielzeuge vornehmer Her- ren und man zeigte sie den fremden Gästen und auswärtigen Gesandten, wenn sie kamen, um einen Pakt abzuschließen. Einen Fahrkartenauto- maten zeigt man heute keinem Diplomaten mehr. Das Ist nun schon ein paar Jahrhunderte her, und die Automaten sind bürgerlich geworden. Sie sind durchaus nützliche Glieder der menschlichen Ge- sellschaft, wenn sie auch im Augenblick keine Schokolade, keine Pfelferminzplätzchen und keine gebrannten Mandeln verkaufen. Und doch gibt es noch Wunder am Automaten, aber nur dann, wenn sie persönlich werden. Wenn man ein Geldstück hineinwlrft, so erhält man prompt seinen Fahrberechtigungsschein. Der Auto- mat handelt nicht, der Automat nimmt kein Trink- geld, der Automat hat keinen Ladentisch, unter dem er etwas hervorholen kann, der Automat Ist zuverlässig bis in die Zahnräder, vielleicht ist er sogar pensionsberechtigt. An diesen Automaten tritt nun ein Mann heran. Er zückt eine Münze, wirft sie ein, zieht am Knopf und benimmt sich durchaus vorschriftsmäßig. Aber nun geschieht das Wunder: Der Automat macht gar nichts. Er verabreicht keine Karte, er verharrt herzlos und stumm. Der Mann bleibt vorläufig noch ruhig. Er zieht noch einmal am Griff, er drückt auf den Knopf, an dem „Störungsknopf” steht, der direkt hineinführt, dorthin, wo das Gewissen des Auto- maten schlägt, wo er am verantwortlichsten ist. Der Automat rührt sich nicht. Jetzt klopft der Mann gegen den Apparat. Es er- folgt nichts. Er gibt dem Automaten einen rechten Kinnhaken und einen linken Kinnhaken, ja sogar einen verbotenen Nierenschlag unten hinein. Gar nichts! Nun wendet der Mann sich um, sucht nach einem Menschen, dem er sich anvertrauen könnte, sucht jemand, dem er durch verwundertes Kopfschütteln zeigen könnte, daß hier der ‚vorschriftsmäßige Lauf der Welt jäh unterbrochen wurde, daß ein amtlicher Automat versagt hat. Woran soll man noch glauben, wenn die Automaten versagen? 82 — "Ma non dovete adesso venir fuorl con frasi sl generiche!,, Der Mann fühlt sich im tiefsten gekränkt. Er sucht Zeugen gegen den Automaten, er möchte mit Ihnen die Dinge der Welt besprechen mit beson- derer Berücksichtigung der Automaten. Aber niemand hat den Vorfall gesehen. Einsam und verlassen steht der Mann vor seinem herz- losen Gegner. Noch einmal schlägt er Ihm eine links und eine rechts hinein, daß es scheppert. Ein letztes Mal zieht er am Griff, noch einmal drückt er auf den Störungsknopf, dann geht er kopfschüttelnd weiter, Sein Weltbild Ist erschüt- tert, er glaubt nicht mehr an das Gute im Auto- maten. Foltzick MEIN FREUND JOHANNES Wir fuhren mit der S-Bahn nach Hause. Es war schon ziemlich spät und entsprechend dunkel Im Wagen. y Johannes rauchte eine Pfeife. Unheimlich, wie schlecht die diesmal in Glut zu halten war. Immer wieder holte er seine Streichhölzer hervor. Das war jedesmal für mich und alle anderen Insassen des Abteils eine recht lästige Störung. Geblendet mußten wir die Augen schließen. Ihm aber schien es nichts auszumachen. Endlich, eine Station vor der unseren, schien sich die Pfeife besonnen zu haben. Die Hölzchen blieben in der Tasche. Auf dem Heimweg fragte ich Ihn: „Sag mal, was war denn da eigentlich los? Du hast Ja eine Un- menge Streichhölzer verschwendet.” „Nicht verschwendet. Gebraucht!” verbesserte er mich. „Gut, also gebraucht. Und wie kam es, daß du von der letzten Station an auf einmal keines mehr gebrauchtest?” wollte ich wissen. „Wenn ich von da an noch eines gebraucht hätte, hätte ich es verschwendet”, orakelte Johannes. „Weil die Pfeife da gut in Brand war?" fragte ich, „Nein, weil das hübsche Mädchen uns gegenüber da ausgestiegen war”, sagte Johannes. ).Bieger Wunder der Dressur (Erich Schilling) „Wenn ich bedenke, was für ein unnahbares Vieh die englische Bulldogge war — und jetzt frißt sie mir so schön aus der Hand!" Miracolo d’ ammaestramento: "Quando penso che bestiaccia Inaccessiblle era II bulldog inglese ... Der höfliche Mann In einer kleinen schwäbischen Stadt lebte einst ein höflicher Mann (oder lebt er noch?). Er war wie alle Schwaben etwas einfürig und nelgte dazu, mit den Leuten, die ein Amt hatten, in Händel zu geraten. Den Bürgermeister und seinen Secretarius haßte er, den Richter und den Aktuar mochte er nicht leiden, und es versteht e adesso invece mangia sI garbatamente dalla mano!,, sich, daß er auf alle Parteigebietiger schlecht zu sprechen war. Er ‚betrachtete sie sämtlich als seine Feinde. Da er aber gegen die „Bagage“ nichts von Be- lang ausrichten konnte, entschloß er sich, allen seinen Widersachern den „Schwäbischen Gruß” zu entbieten. Indes, er war zu höflich, das mit Worten zu tun. Er ließ sich die Sache etwas kosten. Er kaufte ein Dutzend Radierungen des Ritters Götz von Berli- 83 hingen löblichen Gedächtnisses, sogar gerahmt, das Stück zu RM. 9,50, und ließ jedem seiner Gegner ein solches Bildnis, fein und säuberlich In ein Kistchen verpackt, durch die Post ins Haus bringen. Man kann's auch so machen, In der Amtsstube des Bürgermeisters sah ich das Bild des furchterregenden Ritters an der Wand hängen. Zum Teufel, was will der damit sagen? K. Stalingrad te. Thöny) 2 Besitz stirbt und Sippen sterben, Nur eines weiß ich, das ewig lebt: Du selbst stirbst wie sie! Der Toten Nachruhm! 84 DER ALTE RAPP VON BRUNO WOLFGANG Der alte Rapp stammte aus einer Weingegend und aus einem Weinjahr, Was eine Weingegend ist, weiß jeder. Ebenso, was ein Weinjahr ist. In einem solchen Jahr ist der Wein gut geraten. Es gibt viel Wein. Er ist billig. Alles freut sich, alles lacht, nie- mand weint, Deshalb heißt das Jahr ein Weinjahr. Aber neben der Freude bringt es auch Grund zu weinen, Es regnet mehr Prügel als sonst im trauten Famillenkreise, wenn die Väter unsichern Schrittes heimkommen, das Eheleben entbehrt der Harmo- nie, Es ist eine alte Erfahrung: wenn der Wein gut ist, geraten die Menschen schlecht. Die Kinder, die im Dunstkreise des Dämon Alkohol erzeugt und geboren werden, gedeihen schwer, sie erlernen das Einmaleins ‚langsamer als andere, und wenn sie später nicht ein günstiger Wind in jene Höhen emporbläst, wo kein Befähigungsnachweis mehr verlangt wird, bleibt ihr Dasein schwer und unbe- holfen. Sie rollen ihr Leben mühsam wie ein Faß mit saurem Wein die holprige Landstraße vorwärts, die schließlich in den großen Weinkeller mündet, in dem wir alle vom feinsten Bordeaux bis zum unterschwefelsauren Krätzer verläßlich eingelagert werden. Zu diesen Minderbegünstigten des Schicksals zählte auch Herr Rapp. Sein Leben begann und verlief im Zeichen des Weines. Der Vater hatte ihm eine kleine Wirtschaft hinterlassen, ein Häus- chen mit einem Garten, mit Obstbäumen, einer kleinen Bienen- und Hühnerzucht, einem Schweine- stall und einigen Gänsen. Außerdem betätigte er sich gelegentlich im Weinhandel als Vermittler und Sachverständiger. Das trug auch eine Kleinigkeit. Und schließlich, nach dem ewigen Naturgesetz, daß dort, wo schon etwas Ist, noch etwas hinzu- kommt, erbte er von einem Onkel ein kleines Ka- pital. Auch dieses stammte vom Wein her. Denn der Onkel war ein geschätzter Weinbeißer gewe- sen und hatte sich, nachdem er vierzig Jahre lang in Ehren Wein gebissen hatte, mit einem ganz net- ten Vermögen zur Ruhe gesetzt, von dem bis zu seinem Tode noch nicht einmal drei Viertel ver- trunken waren, So konnte Herr Rapp leben, und was die Haupt- sache ist, er konnte trinken. Das war Ihm das Liebste. Denn von den drei Dingen, die man lie- ben muß, um nicht ein Narr zu sein: Wein, Weib und Gesang, liebte er eigentlich nur den Wein. Trotzdem war er bereits zum drittenmal verheira- tet, getreu dem Erfahrungssatze, daß gerade Jene Männer am öftesten heiraten, die besser täten, ledig zu bleiben. Rapps erste Frau,'die er als an- gehender Vierziger heimgeführt hatte, war ein blut- Junges Ding, zart, klein und schüchtern. Sie liebte ihren Gatten aufrichtig. Er war damals noch ein stattlicher Mann. Seine Nase war noch nicht ge- tötet, Sie stand, oder besser gesagt, sie hing noch vor Sonnenaufgang. Und er trug den küh- nen Schnurrbart „Es ist erreicht”. Sie betreute ihn mit großer Hingebung, die er mit ebensogroßer Selbstverständlichkeit entgegen- nahm. Sie plagte sich von früh bis spät im Garten und in der Wirtschaft, Sie sorgte für die Bienen, sie fütterte die Hühner, rief sie mit Namen und numerierte gewissenhaft die Eier. Die Schweine hatten es gut bel ihr, die Ferkel gediehen präch- tig und erzielten besondere Preise auf dem Fer- kelmarkt. Am besten aber hatte es Herr Rapp. Das Essen war gut und reichlich und immer pünktlich auf dem Tisch. Die Stube glänzte vor Sauberkeit, die blütenweiße Wäsche duftete nach Sonne und frischem Wind. Alles wäre gut und schön gewe- sen, wenn es keinen Wein gegeben hätte. Jeden Abend nahm Herr Rapp Hut und Stock und ging zum „Weißen Elefanten“, von wo er nie vor Mit- ternacht heimkehrte. Der Wein machte ihn streit- lustig und später immer rücksichtsloser und gröber. Die junge Frau bewies eine unendliche Geduld. Sie nahm alles hin und bemühte sich nach Kräften, ihm das Trinken abzugewöhnen. Oft konnte man sie gegen Mitternacht mit einem Tuch um die schmächtigen Schultern, vor dem Weißen Elefan- ten stehen und ans Fenster klopfen sehen. Drinnen tobten die Zechbrüder, der Wirt schimpfte, und aus den Nachbarhäusern flogen alte Schuhe ge- gen die Wirtshausfenster. Wenn Herr Rapp end- lich aus dem Tor gestolpert kam, hatte sie die Aufgabe, ihn mühsam an den anderen Wirtshäu- sern vorüber nach Hause zu bugsieren, und war glücklich, wenn er endlich im Bett lag und schnarchte. Später blieb er ganze Tage und Nächte aus. Er versäumte keine Kellerpartie. Dort ist das Trinken eine Wissenschaft. Nur der vermag sich im Keller zu behaupten, der genau weiß, wie man die Schichten zu legen hat: erst Geselchtes, dann Wein, dann fetter Speck mit Schwarzbrot und wieder Wein, dann kaltes Schweinernes und aber- mals Wein, dann ein viertel Meter Salami oder ein Dutzend Knackwürste und nochmals Wein und so weiter. Der Anfänger, der das nicht richtig macht, muß nach einer halben Stunde unter dem Tisch hervorgezogen und ins Spital gebracht werden. Aber dem Wissenden ist unsäglich wohl und nirgends gedeiht der Humor so fest und spit- zig wie ein schwarzer Rettich, Einmal saßen die wackeren Kämpen schon lange beisammen und ihre streitenden Stimmen polterten wie hohle Weinfässer durch das kühle Gewölbe. Herr Rapp war schwer beleidigt, weil ihm einige vorwarfen, daß er weniger als sie vertrage. Das ist in einer Weingegend die schrecklichste Ehrenbeleidigung. Rapp war so gekränkt, daß er die Gesellschaft ver- lassen wollte. Die Zechbrüder hatten aber die Kel- lertür versperrt. Da faßte Herr Rapp den toliküh- nen Plan, durch den Nachbarkeller zu entweichen. Er begann sich in die Zwischenwand aus Lehm einzubohren. Die anderen bemerkten ihn anfangs Die Limonade - La limonata a {Hanna Nagel) 85 nicht, sondern meinten, er läge unter dem Tisch Als sie wieder hinsahen, steckte Herr Rapp be. reits tief im Erdreich und krabbelte mit Armen und Beinen wie ein riesiger Mistkäfer. Die Zecher waren sehr gespannt auf den Erfolg, Noch ge spannter aber war die Lederhose Herrn Rapps Das verleitete die Anwesenden, gegen den noch sichtbaren Teil der Persönlichkeit Rapps ein Trom melfeuer mit heurigen Kartoffeln zu eröffnen. Das tat sehr weh. Denn fast jeder Schuß war ein Trei fer. Gern wäre Rapp wieder zurückgekrochen, Aber er steckte fest wie ein Spund im Weintaß und es blieb Ihm nichts übrig, als auszuhalten, bis der ganze Mezertzentner verfeuert war. Dann be rieten die Scharfschützen, wie man ihn befreien könne. Einer schlug vor, ihn mit einem Pfropfen- zieher wie einen Kork herauszuziehen. Ein anderer beantragte, ihn mit einer Pulverladung zu spren- gen. Schließlich einigten sie sich darauf, ihm an jedem Fuß eine Kette anzubinden und mit verein- ten Kräften anzutauchen, Mit viel Geschrei, mit Hoh und Ruck, stemmten sie sich an und plötzlich lagen alle auf der Nase, Aber Herr Rapp war nicht entzweigerissen, bloß die Stiefel hatten nachge- geben und schwammen nun in einem See von ver- schüttetem Wein. Jetzt beschlossen sie, die Sache gründlicher zu machen. Sie befestigten die Ketten an seinen Beinen und spannten draußen einen Ochsen ein, den sie durch Poltern auf leeren Wein- fässern und wildes Indianergeheul erschreckten. Alsbald waren die Beine Herrn Rapps zu dünnen Heuschreckenbeinen langgezogen und drohten abzureißen. Aber die Haltbarkeit des Menschen ist groß, Im nächsten Augenblick fuhr Herr Rapp bäuchlings bei der Kellertür hinaus und fand erst im gegenüberliegenden Kartoffelacker die wohl- verdiente Ruhe. Er sah übel aus und schimpfte fürchterlich. Es kam zu einem Prozeß, den er zwar gewann, aber er mußte einige Wochen lang das Bett hüten, bis seine Beine sich wieder auf ihre normale Länge zusammengezogen hatten, Seine Frau machte den Versuch, ihm in dieser Zeit den Wein abzugewöhnen. Doch er wurde wild und be- wärf sie vom Bett aus mit allen erreichbaren Ge- genständen. Da gab sie den Kampf auf, wartete nicht einmal seine völlige Genesung mehr ab, son- dern kehrte eines Nachts zu ihren Eltern zurück und kam nicht wieder. Herr Rapp änderte den Schnurrbart „Es Ist erreicht” in eine Art Husarenschnurrbart mit waagrecht wegstehenden Spitzen und nahm eine zweite Frau, Diese war von anderem Schlage. Groß, kräftig und energisch ergriff sie am ersten Tage schon das unbestrittene Regiment, Aus dem Herrn wurde ein Knecht. Herr Rapp warl nichts mehr, sondern würde selbst beworfen. Von einem regelmäßigen Besuch des Weißen Elefanten war keine Rede mehr. Nur hie und da gelang es Ihm, heimlich auf eine Stunde zu entfliehen. Er wurde zum Gespött der alten Zechkumpane, und da es Ihm an der täglichen Übung gebrach, vertrug er weit weniger als früher. Zum Glück wurde seine Frau in den Ausschuß einer rührigen Frauen- organisation berufen und verbrachte nun man- chen Abend außer Hause, Manchmal führ sie auch über Land und blieb sogar eine Nacht aus, Das waren jedesmal Feste für Herrn Rapp. Kaum war sie fort, ellte er im Sturmschritt zum Weißen Elefanten. Bald war er wieder im besten Training. Sein Ansehen hob sich aufs neue, seine Nase färbte sich in kraftvollem Rot, das Leben war wieder schön. Er wurde immer kühner und es gelang ihm sogar manchmal trotz der Anwesen- heit seiner Frau auszureißen. Wenn sie fest schlief kroch er leise durch das Fenster im Erdgeschoß und erschien im Schlafrock und in Hausschuhen im Wirtshaus, wo er mit großem Hallo empfangen wurde. Aber auch diese glückliche Zelt fand ihr Ende. Einmal, als das Zechgelage gegen Mitternacht auf dem Höhepunkt angelangt war, begannen Der Genesende - Il convalescente (A. Kubin) die Tischgenossen Herrn Rapp wieder zu hänseln und seine hausherrliche Gewalt In Zweifel zu zie- hen. Sie verlangten als Beweis, Herr Rapp möge Jeizt sogleich nach Hause gehen und ein Span- ferkel holen. Der Wirt erbot sich, es zu braten, die Tafelrunde, es zu verspeisen. Herr Rapp hieb auf den Tisch, daß die Gläser hüpften, und er- klärte mit gesträubtem Haar, mit funkelnden Au- gen und funkelnder Nase: jJawohl, er werde es tun. Sofort! Als er durch die kühle Nachtluft schritt, wurde ihm ein wenig bange zu Mut, Das Herz sank Ihm in die Hose, Er verlor es aber nicht, weil diese unten mit blauen Bändern zugebunden war. Er beschloß, nicht mit Gewalt, sondern mit List zu handeln. Leise kroch er über den Zaun in den Garten, schlich sich auf den Zehenspitzen zum Stall und schob den Riegel zurück. „Psch, psch“, machte er, um unter väterlicher Güte sein schwar- zes Vorhaben zu verbergen. Dabei tastete er mit beiden Händen nach einem Ferkel. Aber nun zeigte sich, daß sich alles in der Weltgeschichte wiederholt. Die Gänse, die schon im Altertum besser als die Menschen bedrohte Staaten zu reiten verstanden, retteten auch hier das Ge- meinwesen. Vor dem Stall hatte sich nämlich eine Gans zur nächtlichen Ruhe niedergelassen. Herr Rapp trat ahnungslos auf sie. Laut trompe- tete die Gans und fuhr mit den Flügeln schla- gend unter ihm davon, Er fiel mitten in die Fer- kel hinein, die ein entsetzliches Geschrei erho- ben. Die alte Sau schoß in panischem Schrecken hervor und rannte im Garten wie wahnsinnig herum, wobei sie sämtliche Bienenstöcke umwarf. Die erschreckten Gänse vollführten einen Höllen- lärm, die Hühner flatterten irrsinnig gackernd durcheinander, der Hahn, in der Melnung, es sei schon Morgen, begann schlaftrunken zu krähen. Frau Rapp, verstärkt durch einen Knotenstock und einige Nachbarn, kam herbeigestürzt und alle schlugen im Finstern auf den vermeintlichen Dieb los. Herr Rapp wehrte sich tapfer, Er packte die Ferkel bei den Schwänzen, schwang sie wie Handgranaten im Krelse und warf sie den Fein- den an die Köpfe. Schließlich aber unterlag er, übel zugerichtet, dennoch der Ubermacht. Aus diesem Vorfall ergab sich ein Rattenkönig von Prozessen, von denen der einfachste und Besuch aus Fabelland Ein Heuschreck, grün und riesengroß, sprang aus dem Garten in das Zimmer, und nicht nur einer Dame in den Schoß — nein, seine Kühnheit war noch schlimmer: Er hüpfte weiter, immer weiter, bis unter ein Vergrößerungsglas, wo er dann sitzen blieb und heiter, als wollt’ er sagen: „Also bittel” saß, Die Sache ward zum Teil verbösert, weil kleine Kinder ängstlich schrien, denn sie erblickten ihn furchtbar vergrößert, doch andrerseits genoß man ihn als Fabeltier mit holdem Grausen und zog die Wunder Gottes in Betracht. Auf einmal hüpft’ er wieder — schnipp — nach draußen. Wer weiß, ob er die drinnen’ nicht belacht? PETER SCHER 86 kürzeste der Ehescheidungsprozeß war. Als alles erledigt war, bürstete Herr Rapp den Schnurrbart abwärts und blieb ein paar Jahre allein, Er war froh, daß er bei der ganzen Sache mit einer blauen Nase davongekommen war, Er war schon ein alter Mann, als er die dritte Frau nahm, Er durfte nicht mehr hoffen, In einem Frauenherzen vulkanische Leidenschaften zu ent- zünden. Diese Ehe stand im Zeichen der neuen Sachlichkelt. Er bedurfte der Pflege für seine schon schwer beweglichen Glieder. Die Frau hin- gegen fand In dem Gedanken an die ansehnliche Erbschaft die Kraft und Ausdauer, deren sie für unbestimmte Zeit bedurfte, Mit größter Sorgfalt pflegte sie Herr Rapp, den die Gicht grausam in allen Gelenken zwickte. Da er nur noch selten zum Elefanten ging, brachte sie ihm den Wein ins Haus, „Trink nur, trink, wenns dir schmeckt, Josef”, sagte sie freundlich. Sie brachte ihm so- gar auch Siiwowitz, an den er sich rasch ge- wöhnte. Sie gab Ihm einen halben Liter täglich und schüttete, so herzensgut war sie, noch ein Achtel Rum dazu, Als ihm der Doktor auch das Rauchen verbot, stopfte sie trotzdem seine Pfeife, so oft er wollte, Ja sogar noch öfter. So gut war sie. Rapp trank und rauchte, und nun machte er spät die seltsamste Erfahrung seines Lebens, Er be- gann diese Frau zu lieben. Er sah sie gerne ins Zimmer kommen, und manchmal, wenn er das Glas ansetzte, nickte er ihr zu. Er merkte mit Befriedigung, wie sie den von der Vorigen ver- wahrlosten Garten wieder in Ordnung brachte, wie sie die Ferkel günstig verkaufte und das Geld auf die Sparkasse trug. Der Gedanke, sei- ner Frau dies alles hinterlassen zu müssen, be- reitete ihm viel weniger Schmerz als die beiden ersten Male, Ihr zuliebe nahm er noch täglich einen Viertelliter echt russischen Wodka, beson- ders gut für die Gesundheit, wie sie sagte. „Alles gehört dir, wenn mich einmal der Gangerl holt“, sagte der alte Rapp zärtlich, Die Frau seufzte kaum hörbar. Aber der alte Rapp starb nicht. Im Gegenteil, Als Im Frühjahr die Grippe kam, nahm sie Frau Anna mit, und der alte Rapp war wieder allein. Uber achtzig Weinjahre zählte nun sein Leben. Aber er hielt es noch fest, Er ging sogar wieder zum Elefanten. Dort hauste längst ein anderer Wirt. Die Zechbrüder hatten sich verlaufen oder waren gestorben. Der alte Rapp sitzt nun allein in seiner Ecke und nickt mit dem Kopf. Zuweilen greift er nach dem Glas, Die Hand zittert so stark, daß er fast die Hälfte des Weines ver- schüttet. Er öffnet den zahnlosen Mund, aber Glas und Lippen wollen lange nicht zusammen- kommen. Geduldig wackelt er mit dem Glas hin und her, die Augen glänzen, die Nase strahlt In violetter Pracht, der Mund zittert — endlich hat er es erschnappt und tunkt den spärlichen Schnauzbart tief in das köstliche Naß. Seit einiger Zeit ist aber der alte Rapp nicht mehr allein. Ein unsichtbarer Gast sitzt bei Ihm. Die anderen sehen ihn nicht, aber er sieht ihn gut und spricht mit ihm. Er erzählt ihm von Anna, der dritten Frau, die er geliebt hat. Da werden seine Augen feucht, „Alles hätt’ ihr gehört. Und jetzt hat sie noch vor meiner die Krax'n g’machtl” seufzt der alte Rapp. „Macht nichts'‘, lacht der Gangerl, „wirst's auch bald machen. Prost, Rapp, wer mehr vertragti“ Das kann der alte Rapp nicht hören und alsbald setzt er an und trinkt und trinkt. Der Gangerl trinkt auch, Aber der alte Rapp sieht nicht mit seinen halb erblindeten Augen, daß der Gangerl schwindelt. Was er oben trinkt, läuft ihm unten zwischen den Rippen wieder hinaus. Deswegen kann ihn auch der Stärkste nicht besiegen. Es wird ein Wein sein, und der alte Rapp wird nicht mehr sein. Es hilft ihm nichts, er muß verspielen. Weil der Gangerl immer gewinnt, Der Unterschied R-Kttosch) „Siehst, Lizzi, wenn ich bloß ein Mensch wär’, tät ich sagen, du gefällst mir, weil ich aber ein Maler bin, sag’ ich, schau’, daß d’ oben 'rum voller wirst!“ La differenza: "Vedi, Lizzi, s’io fossi soltanto un uomo, direi: ‘Mi piaci!,. Ma, siccome sono un pittore, ti dico: Guarda di diventare piö piena sopral,, 87 DASZSCHIEOSSTAMEMIEER VON HANS B. WAGENSEIL Mit Recht glaubt man, außergewöhnliche Taten drückten dem Schauplatz ihres Geschehens einen bleibenden Stempel auf. So spricht man von der Lieblichkeit oder Melancholie eines Ortes, ohne doch sagen zu können, auf Grund welcher Merk- male sich einem diese Stimmung mitteilt. Glei- cherweise gibt es grausige, verruchte Orte. Bei ihnen Ist es, als hätten die Dämonen, deren ent- fesselte Bosheit einstmals hier getobt hat, sie zu ihrer bleibenden Wohnstatt erkoren. Jedem von Salnt-Jean-de-Luz zufällig des Weges kommenden Wanderer, der das unweit derspani- schen Küste gelegene Baskenschloß Merret sieht, teilt sich ein ähnliches Gefühl mit. Das fragliche Schloß liegt heute fast in Ruinen da. Seine ver- witterten Fensterläden hängen schief und zer- borsten an rostzerfressenen Angeln; der Park ist völlig verwildert. Dennoch hat sich über Genera- tionen hinweg die Kunde von dem Drama erhal- ten, das sich einmal in seinen Mauern abgespielt hat, Wenn der Bericht während seiner Weiter- gabe von Mund zu Mund vielleicht auch ver- färbt und entstellt worden ist, so mutet er doch glaubhaft und lebendig an. Folgendes erzählt sich der Volksmund: Damals, als die Zinnen noch nicht zu morschen Mauerzähnen zerbröckelt waren, sondern stolz und lanzengerade gen Himmel starrten, wurde das Schloß von dem Grafen und der Gräfin Mer- ret bewohnt, Der Graf war ein südländisch heiß- blütiger, stolzer Mann, während die Gräfin füg- sam und friedfertig war, lieblich anzusehen von Angesicht. Vor allem aber hielten ihr die Um- wohner zugute, daß sie mit Recht für eine unge- wöhnlich fromme und gottesfürchtige Frau galt. Jedenfalls war sie ihrem Mann in allem gehorsam und zu Willen. Auch in jenem Sommer, als sie von einer leichten Krankheit heimgesucht dalag und der Graf — angeblich um sie nicht zu in- kommodieren — In ein im oberen Geschoß ge- legenes Schlafzimmer verzog, beklagte sie sich nicht, Vielleicht begrüßte sie es sogar, ihr gro- Bes, ebenerdig gelegenes Zimmer, das Ausblick auf den bezaubernden Garten und das Meer ge- währte, allein zu bewohnen. An dem einen Ende des Raumes befand sich ein offener Kamin, am andern ein großer eingelassener Schrank, in dem die Kleider der Gräfin hingen. Während der Krankheit seiner Frau verbrachte Merret seine Abende im Stadtklub, wo er Karten spielte oder politische Gespräche führte. Zu jener Zeit wimmelte es in der Stadt von spanl- schen Kriegsgefangenen, denen der Kaiser Na- poleon gegen Ehrenwort Bewegungsfreiheit be- lassen hatte. Unter ihnen war auch ein unge- wöhnlich Junger und hübscher spanischer Grande, der sich meist allein hielt und weite Wanderun- gen in die Umgegend machte. Einer der Stall- knechte wollte ihn sogar gesehen haben, wie er spät nachts unweit des Schlosses einsam im Meere badete, Der Schloßherr begab sich immer geradeswegs auf sein Zimmer, wenn er aus der Stadt heim- kehrte. In einer Herbstnacht aber, als er spät aus dem Klub kam, ließ er seine Handlaterne am Fuß der Treppe stehen und schritt den steinernen Bogengang hindurch geradeswegs zum Zimmer seiner Frau. Gerade als er vor der Tür stand, glaubte er, die Tür von Madames Schrank sich rasch schließen zu hören. Als er aber ins Zim- mer trat, lehnte seine Frau am Kamin. „Du kommst spät”, sagte sie rasch. In diesem Augenblick kam das Kammermädchen Rosalie aus der Halle her- ein. Demnach hatte also nicht sie die Schranktüre zugemacht. Rosalie sah Zweifel, dann Zorn sich im Gesicht ihres Herrn malen. Sie eilte aus dem Zimmer, blieb aber draußen stehen und hörte Ihn mit eisiger Stimme sagen: „Madame, es ist jemand in Ihrem Schrankl" Seine Frau erwiderte ganz schlicht; „Nein, mein Gebieter.” Er ging auf den Schrank zu, aber seine Frau hielt Ihn zurück: „Wenn Sie niemanden drin- nen finden, ist alles zwischen uns zu Ende — und zwar für immer.” Er sah sie durchdringend an, „Schön, sagte er. „Ich werde ihn nicht aufmachen. Hören Sie zu: Ihr Seelenheil und die Hoffnung auf ein Fortleben bedeutet Ihnen viel. Schwören Sie mir, daß sich niemand drinnen verborgen hält — und die Türe bleibt geschlossen.” Sie ergriff ihr Kruzifix — ein seltsames spani- sches aus Ebenholz und getriebenem Silber. Ohne zu zittern legte sie die Hand darauf und sagte: „Ich schwöre es.” „Rufen Sie Ihr Kammermädchen!” befahl er. Als Rosalie kam, sagte er zu ihr: „Geh und hole Gorenflot, den Maurer. Heiße ihn seine Kelle mitbringen, und die noch im neuen Stall liegen- den Ziegelsteine und den Mörtel.“ Erschrocken tat Rosalie nach seinem Befehl. Als sie den ver- dutzten Maurer anbrachte, erteilte der Graf seine Weisungen: „Maure diese Schranktüre rasch und ohne Fragen zu stellen zu. Mache deine Arbeit gut — und es soll dir nicht mehr an Geld feh- len — solange du zu schweigen verstehst. Das gleiche gilt für Rosalie.’ Er blieb da und sah zu, während der Maurer sich ans Werk machte. Einmal hieß die Gräfin Rosalie, ihr ein Umhängetuch bringen, und ihre eiskalte Hand hielt die Finger des Mädchens fest: „Sage Gorenflot, er solle ein Luftloch lassen... Irgend- wiel” flüsterte sie Ihr zu. Und sagte dann laut: „Geh und hole noch ein paar Kerzen, damit der Maurer besser sehen kann.” Abgesehen von dem leisen Schaben der Kelle herrschte Stille. Die Wand wuchs zusehends hö- her. Als sie halb fertig war, benützte Gorenflot einen Augenblick der Unaufmerksamkeit seines Auftraggebers, als dieser ihm den Rücken kehrte, um mit einem Schlag seiner Kelle die schmale Glasscheibe im oberen Gesims des Schrankes zu zertrümmern. Ein Augenpaar, dunkel vor Ent- setzen, starrte heraus — aber kein Laut war zu hören. Es tauchte unter, als der Graf sich um- wandte, Mit Tagesgrauen war das Werk vollendet. Der Graf rief seinen Diener: „Meine Frau ist erkrankt”, sagte er. „Ich möchte sie nicht allein lassen, Trag uns die Mahlzeiten hier herauf.“ Zwanzig Tage lang blieb Graf Merret im Zimmer seiner Frau. Manchmal, während der ersten fünf Tage, war ein leises, ersticktes Stöhnen aus dem Schrank zu hören. Dann schrie die Gräfin, halb ohnmächtig, auf. Aber der Graf gebot den Wor- ten, die sie sagen wollte, rasch Einhalt: „Sie ha- ben beim Kreuze geschworen, daß sich niemand dort drinnen befindet. Das genügt mir.” Bald war nichts mehr zu hören, nur noch Ma- dames leises Weinen. Die Umwohner wunderten sich, als das Schloß plötzlich leer stand, Auch nach dem Tode der beiden, die getrennt voneinander starben, wurde es nie wieder be- wohnt. NÄCHTLICHE TRAGÖDIE VON WENCESLAO FERNÄNDEZ FLÖREZ Eines Nachts stieg ich um zwei Uhr morgens im Dunkel — das Stiegenlicht hatte eine Panne — in Gedanken verloren die Treppe zu meiner Wohnung hinauf. Als Ich den Schlüssel aus mei- ner Tasche ziehen wollte, entglitt er meinen Hän- den und fiel hinab. Deutlich hörte ich, wie er zweimal gegen das Aufzugsgitter schlug und tief unten auf einem Treppenabsatz liegen blieb, Das Leben hat mich schon schwer geprüft, aber nichts läßt sich mit dem vergleichen, was nun meiner harrte. Der Ernst meiner Lage war mit keineswegs sofort klar und so blieb ich zunächst abwartend stehen, wie wenn der Schlüssel von selber wieder kom- men oder sich von unten melden müßte. Mein erster Gedanke war zwar albern, aber — Sie werden das zugeben — von strenger Logik. Als ich nämlich den Schlüssel unten aufschlagen hörte, dachte ich: „Jetzt ist er hin.” Dann fing ich an, langsam die Stufen hinabzustel- gen. Ich hatte mir überlegt, daß der Ausreißer zwischen dem ersten und zweiten Stock liegen müsse, Ich stieg also vorsichtig hinunter. Als Nichtraucher hatte ich keine Streichhölzer bei mir, zum Haustor konnte ich auch nicht hinaus, denn der Nachtwächter hatte hinter mir abge- schlossen. Als ich im ersten Stock zu sein glaubte, drehte ich mich um und stieg verkehrt hinunter, um mit den Händen die einzelnen Stufen abzu- tasten. So gelangte ich, wie mir schien, bis zum Zwischenstock. Dann ging Ich behutsam wieder hinauf, Der Schlüssel war nicht zu finden. Also ging ich wieder hinunter. Vergeblich. Der Schweiß drang mir aus allen Poren: Da.beschloß ich, das Suchen aufzugeben und ganz einfach an meiner Wohnungstür zu läuten. In der undurchdringlichen Finsternis hatte ich jedoch die Orientierung ver- loren, ich wußte nicht mehr, in welchem Stock- werk ich mich befand. ” „Ich gehe ganz einfach zur Haustüre zurück und zähle die Stufen”, sagte ich mir, Noch war ich aber keine zwei Treppen hinabge- stiegen, stand ich schon vor der Haustüre. Das machte mich stutzig, denn meiner Berechnung nach mußte ich mindestens im dritten Stock ge- wesen sein. Ich unternahm also neuerdings den Aufstieg. Aber kaum war ich bei der zwanzigsten Stufe angelangt, hörte die Treppe überhaupt auf und ich stieß rings um mich an lauter Wände. Also wieder zum Haustor zurück. Ich fluchte leise, bewährte aber Immerhin noch eine gewisse Ruhe. Bei meinem neuen Abstieg waren es auf 88 einmal sechsundfünfzig Stufen. Verwirrendi Also wieder hinauf. Nun geschah etwas ganz Selt- sames. Die Stufen schienen gründlich verändert, die einen wuchsen bis zu einem Meter Höhe an, während die anderen fast im Boden versanken. Bei jedem Tritt aber stieß mein Fuß ans Stoß- brett und verursachte einen betäubenden Lärm, der im Treppenhaus wie Kanonendonner dröhnte. Ich blieb erschrocken stehen, mein Herz begann wild zu klopfen, Nun hatte ich die Übersicht total verloren, Eines aber war sicher: ich mußte mich, gering gerech- net, mindestens im zwölften Stock befinden, Ich setzte mich ein bißchen nieder, dann erklomm ich weitere fünfzehn Stockwerke. In Madrid müssen die Häuser schrecklich hoch sein. Ich überlegte, daß das Haus, in dem ich wohne, doch gar nicht so viele Etagen hat. Gro- Ber Gott, ich war am Ende gar nicht im richtigen Haus...? Welches Haus in Madrid hat denn siebenund- zwanzig Stockwerke? Siebenundzwanzig... sie- benundzwanzig... Die Augen quollen mir aus dem Kopf, mein Herz schlug wie rasend und verzweifelt rang ich die Hände, als ich mir sagen mußte: keines. Nein, wirklich keines. Es gibt in Madrid kein siebenundzwanzigstöckiges Haus... Gütiger Gott, war ich denn überhaupt In Madrid? Meine Nervosität wuchs. Ich mußte mich wieder niedersetzen. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. „Ruhel Ruhel” ermahnte ich mich. „Denken wir doch einmal vernünftig nach. Wann hätte Ich denn den Zug bestiegen?” „Heute nicht, gestern auch nicht. Das ganze Jahr nicht.” Der Gedanke des Wolkenkratzers wurde zur fixen Idee und erweckte in mir eine Kette düste- rer Vorstellungen. „Ich muß in New York sein”, stöhnte ich. „Ma- donna, wie bin ich denn dahin gekommen...? Ich bin verloren!" Auf der Treppe sitzend barg ich das Gesicht in den Händen und überließ mich meinen trüben Gedanken. Meine Existenz ist vernichtet. Wie soll ich denn in Amerika mein Brot verdienen, ich kann ja kein Wort Englisch. Und selbst wenn man mich wieder nach Spanien transportiert, was soll aus einem Menschen werden, der in der Zeı- streutheit von einer Hemisphäre zur anderen reist, ohne sich nur im geringsten über die Fol- gen klar zu sein...? Mein Leben war zerstört. Schön , [? Okrga machen Gesichı und Auftreten sympathischer. Nach dem mod. „A-O-BE“-Verfahren können Sie ohne !remde Hilfe diese Korrektur in tünt Minuten immsJriep vollkommen unauffällig an sich selbst vornehmen . Kautabak Prospekie kosienlos von fa Y Fe NORDHAUSEN AM HARZ, A-0-BE, Essen 108, Schliedf. 327 Auf alle kleinen Wunden gehört sofort ein Wundpflaster, dann heilen sie meist von selbst. Mit Bißwunden und Verletzungen, die durch Gartenerde oder Pierdedung verunreinigt sind, geht man nach Anlegung eines Traumaplast-Notverbandes besser zum Arzt! in der Walt als Hersteller von gutem Kaulabak bekannı Gründungsjahr 1849 Durch Fernunterriche — rrr Buchführung, fohnbuchh.Durchfehreibebucht Bilarybuch halterprüfung \ c Y Geeltadr Noftock Ur M13 «U ange PERI Florio Marsala — ein Spitzenven Für Ihren treter der jahrtausendealten Wein Füllhalter: KHASANA KOSMETISCHE WELTMARKEN baukultur Siziliens. Vollmundig, würzig und gehaltvoll will er an- dächtig ünd in kleinen, prä: Y Soden ei schwarz und farbig fenden Zügen genowen werden. 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Ich be- rührte sie zaghaft und versuchte festzustellen, wo Ich mich befand. Da hörte ich unten schwere Tritte. Sie kamen 3 Köpfe. LETKNTESTTT tür $ Wunderfam e .® Kossack 1. Ältere: Kosmetik-Fabrik Wenig Won (3 Düsseldorf Sie sind wieder auf Draht .... „. Lezithin-Silber näher. Schon waren sie unter mir, da rief ich: „Wer da?“ Der Fremde blieb stehen. Eine Stimme, die aus meinen Stiefelsohlen zu kommen schien, treo e bebend: „Wer da oben?“ „Wer da unten?“ beharrte ich. Stille. Dann fragte die Stimme: „Was tun Sie denn da oben?” „Ich habe mich verlırt.‘“ „So, so sagte der Mann im Dunkel, Dann hörte ich ein leichtes Schnappen und einige unsanfte Worte auf die Unzuverlässigkeit der automatischen Feuerzeuge. „Wo sind Sie denn eigentlich?‘ fragte der Un- bekannte. „Ich glaube, Ich stehe an einem Gartengliter, weiß aber nicht ob innen oder außen, Ich habe zwar eine Klinke in der Hand, getraue mir aber nicht daraufzudrücken.” „Es wird wohl die Aufzugstüre sein?” Ich schwieg einen Augenblick. ) ZD4 Nu. 399057 und 41808 I die jet mehr als 20 Jahren eingeführte Martenbegeichnung für das von Haderbräs Münden unter Batensfhup (DAB. Nr. 348960) bergehefe eltopelarme, Bidtetikhe Müncpener Malygerränt ® und SIITIIIIITIIIIIINIIIIMIN, ST Te "rauf soll mon die Zähne bürsten, um dio Spolsorei lich zu entfernen. Hierbei genügt eine kloino Menge Kalikkwe-ohnposta. Latz- tor ist knapp und mußschr sparsam vorbraucht wordon MN „Nein“, sagte ich dann mit Festigkeit, „denn meine Füße stehen auf einer Wiese. Soeben rupfe ich ein paar trockene Gräser aus.” „Mir scheint”, grunzte der Fremde, „Sie ruinieren den Abstreifer der Frau Gonzälez. — Trinken Sie gerne Kognak?” „Überhaupt nicht.” „Ja dann... Sind Sie etwa ein Einbrecher? Sagen Sie es offen, „Nein, Ich bin kein Einbrecher. Sie können un- besorgt heraufkommen.'* „Verrücktl” brummte er, Ich vernahm ein leises Knarren, wie wenn sich Je- mand auf den Zehenspitzen entfernt. Dann mußte es der Mann mit der Angst gekriegt haben, denn plötzlich sprang er in wilden Sätzen die Treppe hinab... Ich aber setzte mich traurig mit dem Rücken gegen das Gitter und wartete bis der Tag an- brach. (Aus dem Spanischen von Helma Flessa) Hl ILLELTTE Wirkt wunderbar. Doch mach Dirklar, Auch Uscar "runter ‚grönd- = = z ZULLLLLCLLLLALLALLLLLLLUL machen. Bei Nervosität, Überan- strengung bestens bewährt. 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Am fünften Tage fragte ich den Tapezierer verärgert: „Bei Treßlers waren Sie in zwei Tagen fertig und bei mir brauchen Sie für das gleiche Zimmer fast eine Wochel” Der Tapezierer schmunzelte vertraulich: „Pudelns Eahna net auf, Herr Direktorl Schaun $', bei Treßlers war die Köchin sechzig und bei Ihnen ist das Stubenmäder! sechsundzwanzig — i möcht wissen, wie lange Sie hier tapezieren möchten, wann Sie tapezieren täten!” ®.HR. * Meine Frau wollte einen Laubfrosch haben Ich hasse Frösche. Kitty ließ nicht nach. Fünf Jahre redete sie auf mich ein. Am Tage, bevor ich den Laubfrosch kaufte, ging ich mit ihr in die Skala. Ein Fakir stand auf der Bühne. Er schluckte Degen, fraß Feuer und stach sich scharfe Dolche durch alle vier Backen, Tau- send Mark waren dem versprochen, der Ähnliches Imstandel Ich ließ es mir nicht zweimal sagen. Ich sprang auf und eilte auf die Bühne. Dort ergriff ich ein Messer und stach es mir in den Bauch. Einmal. Zweimal, Dreimal. Kein Blut, kein Schmerz, nichts! Direktor Duisberg ständ starr: „Wie machen Sie denn das, Verehrtester?“ Ich lachte: „Ein kleiner Trick! Ich stoße mir das Messer ein- fach in das loch, das mir meine Frau seit fünf Jahren wegen dem Laubfrosch in den Bauch ge- redet hat.” I. HR. * Grat Bobby ging durch den Wiener Wald. Er traf einen Schulfreund. „Servus, Pepperl! Was machst denn im Wiener Wald?” „Ich sammle Käfer und ein paar Schwammerln zum Mittagessen!” Graf Bobby erschrak: „Was du net sagst! Ja, schmeckt denn das zu- sammen?” I. HR. WimpernbalsamClesRotö (Reichapatontamil.Wz. Nr. 545388) ” dos bekannte Wim- nr metischen Präparate konn ich z. Z.nur be: pornwuchsmittel und r h } meine übrigen kos- verderben, oustroc« ‚nen oder verdunsten, » . LABORATORIUM LEO SCHEUFEN Köln-Lindenthal Nr. 14 Ein Buch für reife Menschen LIEBE UND EHE von Prot. I, H Schultz 180 Selten. - Kart. RM. 2.95, gebd. RM. 4.15 Nachnahme RM. -.30 mehr. 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Auf den regengetränkten, grauschmutzigen Fel- dern und den überschwemmten Wiesen hockten Nebelkrähen, die einzigen Gäste In diesem men- schenleeren Raum. Der Himmel war verhangen, die Bäume standen ohne Laub, heimtückisch weh- ten die Winde, und die am Wegrand zusammen- gewehten modernden Blätter erinnerten an Grab- hügel, Immer wieder verwarf es Petersen, im Kampf ge- gen seine schmerzenden, erlahmenden Arme die beiden Koffer abzusetzen; er befürchtete die Be- tührung des funkelnagelneuen Gepäcks mit dem überall schlammigen Boden. Die Bahnstation in der Ferne schien immer gleich klein zu bleiben; unendlich dehnte sich der Weg durch den trüben Tag. Alle hundert Meter drehte Petersen sich um und hielt nach rückwärts Aus- schau, ob sich vielleicht nicht ein Bauerngefährt nähere, Durch dieses dauernde Umwenden be- kam er einen steifen Hals und ein böses Ziehen im Nackenwirbel, Dazwischen fluchte er unab- lässig auf den Jungen, der das Gepäck zur Bahn bringen sollte und ausgeblieben war. Dann zählte er 1500 Schritte, dann nochmals 800, und schließ- lich, endlich, wurde der kleine Bahnhof etwas gıößer. - Die Ermüdung ließ ein wenig nach, denn je näher der Bahnhof kam, desto intensiver konnte sich Petersen Über dessen Aussehen ärgern, so daß er manchmal den Schmerz in den Armen aus lauter Wut über den Bahnhof vergaß. Der Bahnhof war aus unverputzten, nun vom vielenRuß geschwärz- ten Ziegeln erbaut. Im Unter teil war es ein sachlicher Bahn- hof; der obere Teil mit zwei angeklebten Türmchen erin- nerte an das Burgenzeitalter. Der Bahnsteig war vollkom- men menschenleer. Petersen ontsann sich, daß nach den Aussagen der Dorfbewohner eigentlich nur zwei Züge, früh- morgens und abends, Fahr- gäste halten; sie wurden von den in der Kreisstadt beschäf- tigten Landbewohnern benutzt. Der Schalter im kleinen Innen- raum des Bahnhofes war ver- hangen, auch hier zeigte sich keine Menschenseele, jedoch zog es stärker als in anderen Bahnräumen. Petersen setzte die Koffer ab, wischte sich den Schweiß aus der Stirne und begann, die Aufschriften an den Wänden zu studieren. Um sich Innerlich zu beruhigen, seine Wut ab- klingen zu lassen, las er zwölf- mal hintereinander das Schild, das auffordert, nicht auf den Boden zu spucken. Dann ging er zur Lektüre eines Steck- briefes über, in dem ein Mann gesucht wurde, der eine recht- winklige Narbe am Oberarm besaß, 1,70 groß war und grüne Unterhosen auf seiner Flucht benutzt hatte. Außer- dem trug der Mann einen sehr auffälligen Schnurrbart, wobei die Polizei aber gleich ver- VON KURT GROOS merkte, daß der Gesuchte ihn sich inzwischen vielleicht habe abnehmen lassen. Auch diesen Steckbrief las Petersen wiederholt; er war das Interessanteste in diesem nüchternen Raum. Bis zur Abfahrt des Zuges blieb noch eine halbe Stunde. Erst jetzt entdeckte der einsame Fahrgast, daß dieser trostlose Bahnhof noch einen zweiten Raum hinter einer hohen dunklen Tür besaß, den Warteraum. Petersen klinkte die Tür auf, und es schlug ihm aus dem Halbdunkel, in dem er undeutlich ein paar Bänke und Tische, einen alten gußeisernen Ofen und einen Palmstumpf entdeckte, eine stik- kige, modrige Luft entgegen, Aber einen Vorteil bot dieser im Zwielicht dop- pelt kahl und häßlich wirkende Raum: man konnte sich setzen. Petersen ließ sich auf die der Tür am nächsten stehende Bank nieder, warf den Hut auf den stau- bigen Tisch und preßte das Gesicht in seine Hände. Er seufzte tief, verfluchte den unglück- lichen Tag, die Landschaft, den Bahnhof und sich selbst. In dem Augenblick, als er die Hände von seinem Gesicht nahm, schien ‚es ihm heller ge- worden; aber es war nicht heller geworden, das Auge hatte sich an das fahle Zwielicht des Rau- mes gewöhnt. Zusammen mit dieser Entdeckung des Heller- werdens machte Petersen eine zweite, als er den Kopf zur anderen Hälfte des Raumes wandte, eine Entdeckung, die ihn seltsam er- schütterte, verwirrte und auf rätselhafte Weise verzauberte. Er war nicht allein in diesem grau- Winterliche Gartenfigur - Figura in glardino in veste invernale IK. Rössing) samen Raum. Er schloß für einen kurzen Augen- blick die Augen, und als er sie wieder öffnete, kam eine bange, wehe und, süße Erregung in sein Blut. Links, neben dem gußeisernen Ofen, erblickte er eine Frau, der die Götter alles, aber auch alles, geschenkt hatten. Petersens Herz pochte schnel- ler, seine Hände wurden heiß und er preßte sie auf die kühle, staubige Tischplatte. h Die Dame, sie trug einen aufgeschlagenen, pelz- gefütterten dunkelroten Wildledermantel, sah etwas gezwungen über ihren Warteraumgefährten hin- weg, aber sie lächelte dabei, ein Lächeln wie es Petersen nur von wenigen Frauen geschenkt be- kommen hatte. Gut, mochte sie wegsehen, aber dieses Lächeln sagte so viel, so viell Zu Füßen der Dame standen zwei schweinslederne hellgelbe und ein bläulicher Koffer, außerdem ein schwarzlackiger Hutbehälter. Petersen fühlte, daß eine solche Frau alles Leben ganz hell und alle Liebe unvorstellbar schön ge- stalten würde. Er zählte seine Jahre und prüfte seinen Mut — es schien ihm wie ein vermessener Traum, Wünsche zu stellen, die für ihn schon über allen Irdischen Glückseligkeiten stehen mußten. Immer wieder glitt sein Blick über die Fremde. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen und wußte vielleicht gar nicht, daß ihr Rock sich nach oben verschoben hatte. Diese Art des Sitzens, die Petersen sonst als peinlich empfunden hätte, war hier von beklemmendem Reiz, Aber das selt- same, etwas kindliche, etwas wissende, in allem doch so damenhafte Antlitz löschte jeden Zwei- fel; das Gesamtbild zeigte dem Anbetenden immer wieder, wie die Götter verschwenden und sich hinschenken können. Uber der linken Brust, vielmehr über dem linken Herzen, trug die Fremde ein großes silber- getriebenes Y. Sie heißtYvonne, dachte Petersen, Yvonne oder Ypsilon. Gerade als der Ver- zauberte tiefer über diesen Namen nachdenken wollte, riß es ihn wie mit einem kalten Stich aus aller Grübelei — aus der Ferne kam der schrille Pitif des nahenden Zuges. Petersen zuckte zusammen, er raffte den Hut und die Koffer an sich und stand so ruck- artig auf, dad die Bank gegen die Wand schlug. Die Lokomotive pfiff wieder, näher. Einige Sekunden stand Peter- sen hochaufgerichtet und starr in dem trostlosen Raum, Er horchte auf das Nahen des Zuges, und er schaute auf die fremde Frau. Er wußte, daß sie nicht mitfahren würde, nicht mit diesem Zug, über- haupt nie, nie mit.ihm fahren würde. Er ging nun, und sie blieb. In seine Augen kam ein aufbegehrendes Funkeln, er dachte, daß andere Men- schen nach ihm... Er konnte, er wollte es nicht zu Ende denken — der Zug lief drau- Ben ein. Mit ein paar schnellen Schrit- ten wär Petersen neben dem Ofen, stieg auf die Bank und zerriß in einer wollüstigen An- wandlung das Plakat der Dame mit dem Y über dem linken Herzen in zwei große traurige Fetzen. Bange Frage (K. Heiligenstaedt) „Ob Heinz wohl schielt? Immer spricht er von meinen seelenvollen Augen und sieht dabei auf meine Beine!“ Domanda inquietante: “Che Heinz sia forse guercio? Parla sempre dei miei occhi tanto espressivi e guarda invece le mie gambe!,, 93 DER VETERINÄR VON PAL JSANDER Die Kleinstadt hatte einen Arzt und einen Vete- rinär; der Arzt hatte zwei Töchter, der Veterinär eine tiefe Liebe zu der älteren der beiden. Mit dem Bürgermeisterwechsel im Spätsommer, da der alte irgendwie an den Kurgeldern der Sommergäste kleben geblieben, kamen auch die neuen Doktoren; denn der neue „podestä” war ein reform- und organisationsliebender Geist, So trafen sie sich, der Arzt und der Veterinär, und entdeckten bald voneinander, daß sie gleiche Interessen hatten und dieselben Steckenpferde: die Jagd auf Rebhühner und den Rotwein. Der Veterinär sah Giovanna, des Arztes ältere Toch- ter, verliebte sich in sie, spürte die Verllebtheit zu einer tlefempfundenen Liebe reifen; und schon war es Herbst, womit die Vorgeschichte ein Ende und die eigentliche Erzählung ihren Beginn hat. Es war Herbst, die Zeit der Weinlese. Diese war den tleißigen Winzern Belohnung für alle ihre Mühen während des Jahres, für das Setzen, Dün- gen, Pfählen, Behauen. Sie hatten die roncala, das sichelförmige Krummesser, geschwungen, Dung in Körben auf ihren Rücken geschleppt, gebunden, gebrochen, gegraben, gerührt, geschwefelt. Zu- letzt, im Sommer, die reifenden Trauben gespritzt. Oh, es war ein großes Stück Arbeit gewesen, und das wurde nun belohnt, Die Sonne, die die Kleinstadt so selten im Stich gelassen während des Sommers, hatte Ihren Teil dazu gegeben, und die Ernte ward gut, viel besser als im vergangenen Jahr, da es viel ge- regnet hatte und der Wein sauer gewesen war, so sauer, daß die Gastwirte öfters hatten Klagen hören müssen. Noch selten hatte der Goldhauch des Herbstes so viele und so süße Trauben gebracht, und die Weinlese war lustig. Die in den weiten Wein- gärten verstreuten Winzer und Winzerinnen san- gen sich gegenseitig fröhliche Lieder zu, und die Sonne war wieder warm, sie wollte aus der „vendemmia” eine noch sommerliche Angelegen- heilt machen. Männer und Frauen, Knaben und Mädchen sammelten fleißig ihre Lägel voll, die Trauben wollten kein Ende nehmen, sie wurden in schweren Tragkörben zu den Schlitten ge- bracht, die auf den steinigen Pfaden warteten, und die Fahrt nach der Kleinstadt hinab war für die Kinder, die zwischen den Körben umher- kletterten, ein wahres Fest. Als man in der Stadt ankam, hatten die Kinder blaue Gesichter und Hände; aus manchem Korbe. tropfte schon der Traubensaft. Und dieser war für die Erwachsenen der Höhepunkt des Festes, denn er gab die schönste Festzeit des Jahres, die sieben Tage anhaltenden Mostfeiern. Der Arzt und der Veterinär feierten mit, es war ihnen so recht nach dem Herzen. Und der Vete- rinär nahm die glückliche Gelegenheit wahr; er hielt zwischen einem Liter und dem anderen bei dem Freund um Giovannas Hand an. Gott, so etwas gab es auch! Dem Arzt war es ein Neues, er spülte es mit dem roten Most her- unter, aber nicht zu tief, denn er mußte es wieder hervorholen, um es Frau Margherita, der guten Gattin, in die Hände zu legen. Und Glovanna lachte hell auf, als die Mutter es ihr weiter- gegeben, über diesen Gockel von einem Vete- rinär. Der Veterinär, ein schmächtiger Mittdreißiger, hatte drei grundlegende Fehler: er war sehr klein, sehr eitel und glaubte, bei den Frauen unerhörte Aussichten zu haben. Der größte dieser Fehler war seine Eitelkeit, die trieb pyramidale Blüten, Wenn er über die Straße oder den Platz ging, reckte er eigenartig Brust und Hinterteil heraus, und seine Schritte waren tänzelnd wie die eines Maultiers. Die linke Augenbraue hielt er stets ein wenig in die Höhe gezogen, was ihm eine ungemein wichtige Miene verlieh, aber auch eine sehr abgefeimte, glaubte er. Er hatte kleingelock- tes, schon leicht gesprenkeltes Haar und ein Schnurrbärtchen ohnegleichen, das ihm nur so auf die Oberlippe gehaucht schien. Im ganzen waren seine Bewegungen von einer gewissen Spann- kraft und Form, doch er war so klein! Neben ihm war der Arzt ein Monumentalbau, und leider war Giovanna das Ebenbild ihres Vaters... Der Tierarzt war der bestangezogene Mann der Kleinstadt; er trug stets die figurgerechtesten Anzüge aus weichem, anliegendem Stoff: eine Dummheit bei seinen kurzen Beinchen und den bereits erwähnten, stetig herausgereckten „zwei Balkons des Veterinärs‘, wie sie Giovanna nannte. Und, da sein großer, runder Kopf dem Körper eine viel zu schwere Krone war, wirkten auch seine breitkrempigen Hüte nach Künstlerart nur lächerlich an ihm. Doch dies alles war ihm nicht bekannt; so betörte er in einem fort brust- und gesäßreckend, strampelnd und abgefeimt drein- schauend die kleinstädtische Weiblichkeit. Dar- über hinaus war er ja Dr. med, vet.! Er fühlte sich also wohl; und dem ist zuzuschreiben, daß er die Beherztheit besaß, um Giovannas Hand anzu- halten, Die aber trieb ihm verschiedenes aus, denn sie war aller Barmherzigkeit bar. Es war Herbst, die Zeit der Weinlese und der Mostfeste in der Kleinstadt. So kam es, daß der Arzt und der Veterinär öfters einmal ein wenig mehr zu sich nahmen von der roten Flüssigkeit, als ihre Gehirne ungetrübt zu vertragen vermoch- ten. Und so kam es auch, daß einmal In des Arz- tes Haus eine Nacht hindurch gefeiert wurde, So kam es endlich, daß der kleine Veterinär, als er sich am berelts späten Morgen reizend, betörend von Frau Margherita verabschiedete, nicht dessen gewahrte, was sich hinter seinem Rücken ab- spielte. Dort kauerte nämlich die ebenfalls an- geheiterte Angebetete und vollzog eine nicht alltägliche Operation: sie befestigte vorsichtig mittels einer Sicherheitsnadel ein großes, buntes Handtuch an des Veterinärs unterem Rockinneren, so daß es daraus hervorzuwachsen schien wie eine kühnfarbige Schleppe. Beim Abschied spendete Giovanna ein Lächeln, voll von nie gesehener Verheißung!... Der Veterinär strampelte über den Platz, an der DER WEINHÄNDLER Er lieft die goldenblaue Etikette und lächelt übers Angeficht. Der Wein des alten Pedro Marchandette mie Feuer aus der Flafche bricht. So kann man ruhig in die Polfter finken und blinzeln und vergnüglich fein. z Der Pfarrer und der Arzt wird davon trinken, vielleicht auch noch der Rat von Stein. Die Sonne fehimmert um die Fenfterftätte und hat im Römer Spielerei genug. Wie liebensmwürdig ift der Namenszug des alten Herren Pedro Marchandette! Albert Hiemer Post vorüber, vor der viele Leute des Briefträgers harrten; und seine Schleppe machte ihn zu einer kleinen Majestät. Das undankbare Publikum lachte, aber es war ein so tückisches, heimliches Lachen, daß es die kleine Majestät nicht erreichte, So wippte der Dr. med. vet. arglos weiter, durch die halbe Kleinstadt seiner Wohnung zu, und oben auf dem Balkon des Arzthauses stand kichernd eine monumentale, angeheiterte Gio- vanna und schaute ihm nach, bis er verschwun- den und allein den Augen und dem Spott anderer übergeben war. Zu Hause angelangt, warf sich der Veterinär auf sein Bett und schlief unmittelbar ein. Ähnlich er- ging es der Angebeteten, denn auch sie war müde von der Mostfeier; so schliefen sie beide bis in den Nachmittag hinein. Dann aber trafen sie sich wieder auf dem Platz, und der Veterinär trug seine Schleppe noch immer. Giovanna konnte sich eines prustenden Lachens nicht erwehren; Gott, sie war noch so jung und vielleicht nervös wie alle Mädchen ihres Alters, und stand zum ersten Male vor einem Heiratsantrag: so etwas ruft in Jungfräulichen Herzen und Köpfen die eigenartigsten Reaktionen hervorl... Die Leute, die sie umgaben, wurden angesteckt, auch sie ließen sich zu etwas mehr als nur einem Lächeln hinreißen, und der Veterinär grinste mit, doch war das seine ein elegantes, beherrschtes Grinsen. Man hatte den Eindruck, ja, das Ist ein lustiger Herbsttag; er paßt so richtig in die Zeit der Weinlese. Die Kleinstadt schmunzelte, lächelte, griente und lachte, barst vor Lachen — je nach dem Tem- perament ihrer jeweiligen Vertreter vor: der Schleppe der kleinen Majestät. Am Abend endlich, als er zu Bett ging, fand der Veterinär das Handtuch, das ihn, so glaubte er, vom Betörer zur lächerlichen Figur gemacht hatte. Ein ohnmächtiger Zorn überfiel ihn — viel wurde ihm klar von der Heiterkeit aller, die er getroffen an diesem Tage; und sein Zorn war tatsächlich ohnmächtig, denn er wußte nicht, gegen wen sich richten. Es mußte jedoch in dem Arzthause geschehen sein, daß man dem Veterinär diesen gemeinen Streich gespielt. Und er schimpfte, schimpfte, bis er den Entschluß faßte, auf etwas zu warten, was Ihm beim bloßen Gedanken wieder alles gab, was er zuvor besessen: der Missetäter mußte sich bei ihm entschuldigen, ihn um Ver- gebung bitten! Giovanna zuliebe würde er sich auch großzügig zeigen, Vorerst verlleß er nicht sein Zimmer. Er spielte den Kranken. Wartete. Wartete zwei Tage lang. Am dritten endlich erschien das Dienstmädchen der Arztfamilie und übergab einen verschlosse- nen Umschlag. Ob sie auf Antwort warten solle? Nein, Der Umschlag trug Giovannas Schriftzüge. An Herrn Dr. med. vet. Glraldi, Da reckte sich etwas an dem kleinen, gekränkten Mann; der Brief mußte das Ja enthalten; die Bitte um Vergebung für einen kleinen Missetäter, vielleicht das Brüder- chen der Angebeteten; den Schwur ewiger Liebe... Und seine Finger flogen, als er öffnete. Dann las er: „Leber Dr. Giraldi! Sie sind In der ganzen Stadt eine lächerliche Per- son geworden. Sie werden mir nicht verübeln können, wenn ich, um meine Familie nicht dem Spott der Stadt preiszugeben, Ihren Antrag ab- lehne. Zudem sind Sie in meinen Augen durch Ihre fingierte Krankheit, die eine große Feighelt verrät, um viel gesunken. Über diesen Umstand kann meine Großzügigkeit, die zuvor Ihre kleine, schmächtige Gestalt und Ihre lachhafte Eitelkeit übergangen, nicht hinwegsehen. Ich hoffe auf Ihr Verständnis. Giovanna.” Der Veterinär war einige Augenblicke wie ge- lähmt; dann schritt er zum Spiegel, vor dem ihm eine urkomische Grimasse entfuhr und ein kleines Winseln wie das. eines jungen Hundes... Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlingor $: 80 (Fernruf 1296). Brlefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. Verantwortl. Schriftlelter: Walter Foltzick, München. Verantwortl. Anzeigenleiter: Gustav Scheerer, München. — Der Simplicissimus racheint wöchentlich einmal. Bestellungen nehmen 1.2 alla Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Postanstalten entgegen Bezugspreise: Einzelnummer 3 Pf.; Abonnement Im Monat RM. 1.20. — Anzeiganprelse nach Preisliste gültig ab 15, Okt. 1941. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegt.— Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München ’5920. Erfüllungsort München. Obstverteilung - Spartizione di frutta er sich ohne Sündenfall! “....e poi si allontanö senza il peccato originale!,, Gedanken am Atlantik eg „Die Methode wäre nicht schlecht, es fragt sich nur, welchen Köder man verwenden soll!" Pensieri sulle coste dell’ Atlantico: “I! metodo non sarebbe cattivo; solo occorre sapere qual sorta d' esca si deve adoperare!,, 96 TEA N ah 1 253 Ir 2 7 48. Jahrgang / Nummer 7 30 Pfennig SiMPLICisSimUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN Der Diktator (€. Thöny) „Fräulein, Sie stenographieren zu langsam, was glauben Sie, wie schnell ich die Welt aufgeteilt habe!‘ Il Dittatore: “Signorina, Voi stenografate troppo lentamente; non sapete con quale rapiditä lo abbia spartito il mondo!,, An der alten Karawanenstraße - Lungo la vecchia carovaniera (9. Nückel) Wettergespräche Es geht doch nichts über die gemäßigte Zone, und zwar über den nördlichen Tell der gemäßig- ten Zone. Komme mir etwa keiner mit den Tropen! Ewig blauer Himmel, und wenn er nicht gerade blau Ist, so regnet es um punkt drei Uhr nachmit- 1ags genau zwei Stunden lang, in der Regenzeit zum Beispiel. Wie kann man in so einer Gegend übers Wetter sprechen? Bei uns aber ist das Wetter eine anregende Sache, ein ewiger Gesprächsstoff. Mit den fremdesten Menschen kann man sich übers Wetter unterhalten und niemals wird man dabei anstoßen, niemand wesentlich verletzen. Was soll man in den Tropen sagen? Mit der Feststellung, daß es heute wieder sehr warm ist, kann man keinen Hund hinter dem Ofen weglocken, denn heute ist es heiß, morgen ist es heiß und übermorgen wird es genau so heiß sein, Aber bei uns, da geht was mit dem Wetter vor, namentlich In diesem Monat. Jedem Unbekannten, den Sie auf der Straße treffen, kön- nen Sie mitteilen, daß wir heuer einen ganz un- gewöhnlichen Monat haben, und jeder wird Ihnen darauf erwidern, daß man um Gotteswillen auf diese trügerische Temperatur nicht bauen dürfe, es könne womöglich noch Schnee geben, ja viel leicht noch Frost, und das würde für die Veg: tion ein großer Schaden sein. „Bedenken Sie nur die Obstblütel” Und Sie bedenken ein Wellchen die Obstblüte, fügen noch blühende Kastanien hinzu und einige Fliederblüten, und können pro- phetisch sagen, daß diesmal das Frühjahr viel- leicht eine Ausnahme mache. Die schönste Unter- haltung ist im Gange, ja, das Gespräch ist sogar sehr aktuell, und, wie gesagt, niemand wird daran Anstoß nehmen. Es ist durchaus üblich, am Wetter Kritik zu üben, sogar nicht nur wohlwollende Kri- tik, obwohl sich am Wetter gar nichts ändern läßt. Man kann sogar mit der Faust auf den Tisch schlagen und sagen: „Wenn es jetzt nicht bald regnet, vertrocknet der ganze Kohlrabi in meinem ‚so sehr ih den Tropen, Garten!‘ Jawohl, das darf man, und der Herrgott nimmt es einem nicht mal übel und zieht keine Schlüsse daraus. In dieser Woche war ich in einer Gesellschaft, und wir haben uns vier Stunden damit unterhalten, einander mitzuteilen, daß eine geradezu hoch- sommerliche Temperatur herrsche. Wir zogen an- dere hochsommerliche Temperaturen zum Ver- gleich heran, verglichen mit dem Frühling der letz- ten Jahre und ließen atlantische Depressionen spielen. Es war eine sehr angeregte Unterhaltung, _ und es entwickelte sich schnell das schöne Bild gepflegter Geselligkeit. Dabei kannten wir ein- ander kaum. Sehen Sie, das Ist der Segen der gemäßigten Zone, hier kann man sich Im Notfall Immer über das Wetter unterhalten. Auf diesem Gebiet gibt es bei uns immer Überraschungen und die Me- teorologie steht meines Wissens ganz außerhalb der Politik. Jetzt verstehe ich, warum so viele Kenner der Tropen sagen, es sei dort langweilig. Bei ewig blauem Himmel und auf die Minute vorher be- stimmbaren Regenfällen kann natürlich kein rich- tiges Gespräch in Gang kommen. Es sei denn, man spricht über Kunst, aber unter dem heißen Himmel führt auch so ein Gespräch leicht auf ver- fängliche Nachbargebiete, und nichts fürchtet man Foitzick MEIN FREUND JOHANNES Wir kannten einen, den die Natur recht schlecht behandelt hatte. Dennoch fand er den Mut, sich um unsere Freundin Eva zu bemühen. „Was soll ich nur tun, um den Kerl loszuwerden?" fragte sie uns um Rat. „Behandle ihn doch einfach schlecht!“ empfahl Martin kurz. „Ich fürchte, das wird nichts nützen”, meinte Jo- hannes nachdenklich. „Bedenkt doch nur, wie er für die Natur schwärmt.” .Bieger 98 VOM SAND Man meditiert fo allerhand...» Wozu zum Beifpiel dient der Sand? Bei ausgedehnteren Geländen läßt er als Wüfte fich verwenden, mo er, durch Aolus entfacht, als Sandfturm fich bemerkbar macht. Auch gibt es eine Art von Flöhen, Die feine Peinlichheit erhöhen. Eh’ ung das Fließblatt ward gefpendet, hat man als Löfchfand ihn verwendet. Der Luftfchut neuerdings zum Glück griff wiederum auf ihn zurück, meil Löfchpapier, mie klar fich zeigt, Brandbomben gegenüber Areikt, ‚Geriffe Leute pflegt’s zu freuen, ihn anderen ins Aug’ zu freuen... * Schon Diele kurze Lberficht bemweift: der Sand kennt feine Pflicht, Wenn mir nunmehr noch tiefer blicken und der Hiftorie näherrücken, dann wird eindeutig offenbar: Er Ift und war hauptfächlich dazu aufgehäuft, daß mancherlei in ihm verläuft. Ratatöohr Churchills Lied 1 ee Sn „Was nützet milir mein Afrikaachen, wenn andere drinn spazieren gehn?“ La canzone di Churchill: “A che m-I-I-I-I glova la mia Africhetta, se dentro altri vi-i-l-1 sgambetta?,, 99 Der Geist von Stalingrad (Erich Schilling) ug (re eainündeen hy. „Du glaubst mich besiegt zu haben, Stalin, und doch wirst du durch mich besiegt werden!" Lo spirito di Stalingrado: “Tu, Stalin, credi d’ aver vinto me; ma infine tu sarai vinto da mel, 100 Die kleinen Pilze Von Tito Colliander-Helsingfors Wie alle wirklich eifrigen Pilzsucher ging auch Onkel Rudolf am liebsten allein mit seinem Korb in den Wald. Dann kann man gehen wohin man will oder wo man Pilze findet, und man braucht nicht dauernd Hallo und Heda zu rufen, um mit seiner Begleitung Kontakt zu behalten. Hallo, wo bist du? He, komm hierher, komm und sieh die vielen Pfifferlinge. Die Stimmen hallen wider und stören die Stille des herbstlichen Waldes. Die Pilze verschwinden, pflegte Onkel Rudolf zu sagen. Sie verstecken sich, und man findet sie nicht, Jedenfalls nicht die richtig frischen, feinen... Es glitzerte in seinen Augen, er schmunzelte schon bei dem Gedanken an diese kleinen Pilze, die verstohlen aus dem Moose zwischen dem gefal- lenen Laub hervorlugen. Man muß langsam gehen, stehenbleiben, wieder ein paar Schritte tun, jeden Fleck Erde genau betrachten, um diese Neu- ankömmlinge zu finden, die so vergnüglich an- zusehen sind und ausgezeichnet in Essig ein- gelegt schmecken, Marzipanpilze nannten wir sie als Kinder, wenn wir mit Interesse Onkel Rudolfs Korb durchsuchten. Jeden Herbst kam er zu uns, um Pilze zu suchen. Wir erwarteten ihn so sicher wie den Star und den Buchfink zur Zeit der Schneeschmelze und die ersten reifen Walderd- beeren zu Johanni. Und er war ein lieber Gast: ein stiller und feiner Mensch, hörten wir die Er- wächsenen von ihm im Gespräch sagen. Aber wenn die Pilze selten waren — es gibt ja Vorfrühling in der Mark Brandenburg - Primavera precoce nella Marca di Brandenburgo ESS DI SH ISaE gute und schlechte Pilzjahre — war Onkel Rudolf ganz melancholisch, Nicht so, daß er laut knurrte, aber er war gleichsam betroffen, er ging umher und wußte nicht richtig, was er anfangen sollte. Und dauernd klopfte er ans Barometer und sah zum Himmel hinauf und hoffte auf Regen — — Ja, Ja, ein ordentlicher Pilzregen wäre nicht schlecht, sagten auch die andern, denn gestobte Pilze mit neuen Kartoffeln sind ja ein großer Leckerbissen, In einem solchen Spätsommer hatten wir auch einen anderen Gast, eine Tante, denn für uns Kinder gehörte sie zu den Alten — aber für On- kel Rudolf war sie Jung und anziehend. Ein paar- mal war er mit seinem Korb in den Wald ge- gangen, aber halte ihn leer zurückgebracht — da wußten wir, daß der Fall hoffnungslos war, und daß es wirklich keine Pilze in unserer Gegend gab. Und Onkel Rudolf wußte das natürlich bes- ser als irgend jemand anders, er resignierte und wartete auf den Pilzregen, der in diesem Jahr nicht kommen wollte. Und doch war er nicht so melancholisch wie in anderen Jahren, er lächelte und lachte, spielte mit der Tante und uns Krocket und schien sich ganz wohl zu fühlen, besonders in Tantes Gesell- schaft. Man sah sie beinahe immer beisammen, und von Pilzesuchen war keine Rede. Aber endlich regnete es. Ein herrlicher, warmer und tliefgehender Regen, zuerst kräftig und dann 101 sachte rieselnd, und er kam zwei Tage vor Tan- tes Abreise. Und hatte das Zusammensein mit ihr Onkel Rudolf getröstet, während er auf den Regen wartete, so spendete ihm nun die Aus- sicht auf das Pilzesuchen einen willkommenen Trost in der Stunde des Abschieds, Aber nichts war natürlicher, als daß er sie zur Bahn begleiten und die Reisetasche tragen wollte. Sie gingen, Und ich erinnere mich noch, wie Mama und Papa ihnen nachsahen, einander zu- blinzelten, lachten und sagten: „Warten wir's ab. Vielleicht sammelt er...“ Aber als er zurückkam, war nichts Besonderes geschehen. Er zog nur einige Pilze aus den großen Taschen seines Überrocks hervor und sah sehr nachdenklich aus. Was ihn so nachdenklich machte, erfuhr ich erst viel später. Sie gingen zusammen, er und Tante Elna, sie hat- ten reichlich Zeit und brauchten sich nicht be- eilen. Sie wechselten nicht viel Worte, Onkel Ru- dolf hüstelte und sagte dann unsicher: „Tja, nun werden wir uns also trennen...” „Ja“, sagte Tante Elna gleich unsicher. Dann schwiegen beide. „Es war eine schöne Zeit”, fuhr Onkel Rudolf nach einer ganzen Welle fort, 8", sagte Tante Elna. Und wieder schwiegen beide. Sie kamen an einen Waldhügel, und Onkel Rudolf nahm einen neuen Anlauf: „Dank Ihnen, es war so schön", sagle er. „Meinen Sie?" sagte Tante Elna etwas essierter. Und Onkel Rudolf rief mit Überzeugung: „al Absolutl” Nun wandte sie ihm den Blick zu, Aber wie alle leidenschaftlichen Pilzsucher, konnie Onkel Rudolf inter- (C. Sturzkopf) Konkurrenz (A Kriesch) „Hört mal, Kinners, welchen Beifall der Hengst hat!“ „Ja — ja— aber unsere.Beene hat er eben doch nich! Concorrenza: ‘Sentite, bambine, che applauso ha lo stallone!,, — "Eh, sl sl... ma pure non ha mica le nostre gambe!,, 102 nicht durch den Wald gehen, ohne unausgesetzt zur Seite zu blicken, und darum sah er ihren Blick nicht. Er starte auf einen Punkt im Schatten zwi- schen den Baumstämmen, und im nächsten Augen- blick hatte Onkel Rudolf die Reisetasche auf den Weg neben sich gestellt. „Verzeihung“, sagte er hastig. „Einen Augenblick! Ich sehe einen entzückenden kleinen Pilzi" „Oh, bitte sehr —I” Sie sah Ihn in den Wald rennen. Das kann vorkommen, dachte sie, und ging dis- kret weiter. Aber sie mußte lange allein gehen, bevor sie seine eilenden Schritte hörte. Da blieb sie stehen und wartete. „Verzeihung”, hörte sie ihn keuchen. „Ich blieb etwas lange, aber sehen Sie, ich fand nicht nur einen, sondern drei..." Er lachte verlegen und zeigte drei kleine Steinpilze, die entzückendsten, die man sich denken kann. Aber sie blickte sie gleichgültig an — sie schien kein Vergnügen daran zu haben, sie lachte, aber verstand nichts von Pilzen. Etwas betreten steckte er seinen Fund In die Tasche des weiten Überrockes. Sie gingen weiter, schweigend. Aber nach einer Weile fuhr Onkel Rudolf zögernd fort: „Sehen Sie, das ist so wie, ja — wie, wie soll ich sagen, wie — Ja — wie nein — wie —" «Ja? Wie was?” unterbrach Elna mit einem er- munternden Seitenblick. Aber wieder sah sie selnen Blick starr in den Wald gerichtet. Jeder Pilzliebhaber versteht Ihn: es waren ja die ersten Pilze des Jahres, frische, niedliche, kleine Steinpilze mit gebogenem Hut auf einem festen, weißen Fuß. Gerade solche, die wir Kinder Marzipanpilze nannten. Und Onkel Rudolf konnte sie nicht stehen lassen. Wieder stellte er die Reisetasche hin. „Verzeihung“, stammelte er, beinahe Verzweif- lung, in der Stimme. „Oh, Verzeihung — einen Augenblick Aber ich muß! Ich muß” Mit einem Satz war er im Wald verschwunden. Leicht errötend, ohne sich umzusehen, ging Tante Elna langsam weiter. Es dauerte diesmal nicht so lange, bevor sie wie- der ‘seine Schritte und gleichzeitig seine ent- schuldigende Stimme hörte: „Ich genlere mich wirklich, es ist nicht artig von mir. Aber ich kann nicht — aber ich kann mich einfach nicht halten! Das ist ein — ja, das ist ein Bedürfnis.” „Ich verstehe”, sagte Tante Elna ganz steif. „Sie dürfen mir nicht böse sein”, fuhr Onkel Rudolf fort. „Ich glaubte, daß wir uns in dieser kurzen Zeit so nahe gekommen sind — ohl Jetzt wieder! Ja, Sie mögen mich für unmöglich halten, aber —“ 5 Und wieder sprang er über den schmalen Graben am Weg. Sie zuckte die Achseln, ging weiter. Schon lich- tete sich der Wald, das Stationsgebäude wurde sichtbar. Bald würde es zu spät sein... Sie blieb stehen. „Verzeihung, Verzelhung”, flehte er. „Oh, Ver- zeihung. Aber das Ist wie eine Krankheit.” „Wie?‘, fragte sie mit deutlicher Ironie. Aber Onkel Rudolf merkte ihren Tonfall nicht. „Ja“, sagte er, „gerade wie eine Krankheit: Ich kann nichts dafür, Aber so bald ich einen Pilz sehe —" „Oh”, unterbrach sie ihn trocken und. vorwurfs- voll. „Wir sind ja erwachsene Menschen — wozu also die Komödie? Ich finde jedenfalls, daß Sie zu einem Arzt gehen sollten. Nicht wahr?" „Einen Arzt?” Nun wurde Onkel Rudolf nachdenklich. Er grü- belte und wunderte sich noch, als der Zug fuhr. Der Abschied war entsprechend. Und als er nach Hause kam, sah er noch Immer nachdenklich aus. Die Liebe auf den zweiten Blick Von Ernst Hoferichter Seit drei Tagen war Brigitte verwandelt. Alle Schieferfarbe des Alltags war ausgewischt und fortgetragen. Das Grüne schien Ihr noch grüner und das Rote noch röter zu seln. Was in Ihr Blick- feld traf, das hing in einem frisch bronzierten Goldrahmen... Der Weg ins Geschäft wurde zu einem gewichts- losen Wandeln über Wasser. Die Schreibmaschine fand sie lustig wie ein Schlagzeug und der Gang vom Kassenhauptbuch bis zum Telephon war nichts als ein Gleitflug. Sie schrieb ein X für ein U und lächelte. Denn seit Donnerstag wußte sie, daß ein großes Glück schwindlig machen kann. Zufällig las sie das Inserat: „Herzenswunsch! Re- präsentative Erscheinung, einsamer, edler Charak- ter, voll aussichtsreicher Zukunft, sucht aus bis- heriger Zurückgezogenheit solides Mädchen mit etwas Vermögen zwecks Ehe kennenzulernen. Für mein sonniges Wesen mögen meine Wünsche sprechen —I" Brigitte schrieb hin — und er schrieb her, Sein Brief mit Paßfoto berauschte sie. „... das Schick- sal hat gesprochen, Auf der Schwelle der Zukunft steht das Glück, mit dem Finger am Munde ....!” Jedes Wort ward ihr zu seelischem Brotaufstrich. Selbst in seinen Gedankenstrichen steckte noch Poesie. Brigitte dachte nur noch In Rosa. Und sein Bild...! Hier sprachen die Augen und der Mund konnte sehen. „Der Mann kann nur Arthur heißen!” bebte sle. Während der Mittagspause flüsterte Brigitte Ihrer Freundin Ella von dem, was überfloß, ins Ohr: m..Und heute abend treffen wir uns, Ich fühle die Welt auf- und untergehen ...!” „Ich habe gestern mit dem Meinigen Schluß ge- macht. Liebe ist Kitsch...” „Weil du mir neidig bist...| Ich erzähle dir kein Wort mehr... 1” Der Abend kam wie ein Festzug näher. Brigitte hatte sich mit Dauerwellen und den ersten Sät- zen, die sie ihm -zu sagen gedachte, eingedeckt. Als sie durch die Flügeltüre des Caf& Korso schwebte, saß er schon, wie vereinbart, am lin- ken Ecktisch. Sie legte vor Erregung den Weg vom Eingang bis zum Tisch in Schlangenlinien zu- Für den Winter geträumt Von Arthur Rimbaud Im Winter fahren wir Ineinem kleinen rofa Wagen Mit blauen Kiffen, wohlgemut, In deffen weichen Polftern, leis getragen, Ein Neft von tollen Küffen ruht. Du Ichließt die Augen, daß fie nicht am Fenfter Des Abenddunkels Fratenfpiel erfchrecht, Die fürchterlichen, fchmwarzen Nachtgefpenfter, Dämonen, Wölfe, die es auferwecht. Doch plößlich ftreichelt deine Wange Ein kleiner Kuß - ein närrifch Tierchen fchlüpft Hinab den Hals dir, gar nicht bange. Du fagft mir: »Suchl« und beugft das Köpfchen lange. Wir mühn uns alle beide wirklich fehr, Das Tierchen auch in feinem Drange, Deutich von Gerhart Haug 103 rück. Es war ihr, als ob sie wieder das Radfahren erlernen sollte! Seine ersten Worte vernahm sie wie Gesungenes. Was sie zu sagen gedachte, blieb ihr auf der Zunge liegen. Er nahm ihr jedes Wort wie einen Mantel ab. Sie ließ ihn allein reden und saß in der zehnten Parkettreihe. Er fragte und antwor- tete auch schon sich selbst, Brigitte schnaufte nur hörbar dazu. Sein ganzes Wesen fiel als Hechtsprung in ihr Inneres. Schon flitzte er in scharfer Kurve von der Begrüßung auf sich selbst zurück: „Seit Jahren lebe ich einsam —" Brigitte fing das Wort „einsam” wie einen Schmet- terling von seinen Lippen weg. in, ein buntes Leben liegt hinter mir —” Sogleich sah sie einen siebenfarbigen Regen- bogen durchs Lokal gezogen. w..zehn Jahre Bahla de Todos os Santos ver- gißt man nicht... 1” „Oh, bitte, sprechen Sie nochmals dieses Land aus...” flüsterte Brigitte verzaubert, Er wiederholte es nicht und erhöhte dadurch seine Kraft, in..in dieser Stadt begrub ich meinen Glauben an die Menschheit —" Mitleid überflutete ihr Gesicht. Sie sah Arthur nahe einem Abgrund. Ein Schacht tat sich auf, in dem er zu versinken drohte. Nur sie allein konnte ihn retten... Eine Pause benützte sie, um ihn wieder emporzuziehen. “ Aber er war durch einen Klimmzug schon in höch- ster Höhe: ws» Über Nacht begann ich ein neues Leben. Der Bankrott ist überwunden... Seit zwei Jahren studiere ich Medizin —" Brigitte atmete auf. Bahia de Todos os Santos versank in Nebel. Es konnte ihm nichts mehr ge- schehen — er wär bei ihr. Gegen Mitternacht, kurz vor dem Abschied, ver- lieh er seinem Dasein wieder einen Schuß Schwere. „Tja, das Leben ist nicht leicht... 1" sprach er in eine Rauchwolke, Wie oft hatte Brigitte selbst schon vor sich her gesagt: .das Leben ist nicht leicht.“ Aus seinem Munde aber bekam es plötzlich ein ande- tes Gesicht. ‘Seinem Herzen enischlüpft, fiel er wie Granit in ihre Hand, die er zum Abschied küßte. Und die Nacht hindurch fühlte sie im Halbschlaf die Schwere seines Lebens buchstäblich in Ihre Hand gelegt. Das Tapetenmuster ringelte sich zum Namen „Arthur. Neben dem Nachtkästchen be- “ gann der Abgrund. Auf der Bettvorlage war Bahla de Todos os Santos abgebildet. Unterm Türrahmen stand der Geliebte im Ärztemantel, weiß und leicht. Aus der Seitentasche sah sein Reflexham- mer hervor. Lächelnd trat er an ihr Bett heran und sprach: „Tja, das Leben ist nicht leicht... !"“ Die Schärfe seiner Hosenbügelfalten hinderte sie dar- än, tröstend seine Knie zu streicheln... Der kommende Tag war mit Vorfreude auf das nächste Wiedersehen ausgefüllt. „Punkt acht unter der Normaluhr...!“ Er kam zehn Minuten zu spät. Er lächelte. Aber Brigitte fühlte: nur — um da- hinter eine Sorge zu verdecken. „Arthur, was hast du?” Er schwieg vornehm und küßte ihre Hand, in der vom gestrigen Tage noch granitschwer lag: „...das Leben ist nicht leicht. Auf dem Weg zum See- haus sprach er von seinem Studium und ließ In den Kies. ab und zu einige medizinische Fach- ausdrücke fallen. Brigitte pickte sie wie goldene * Körner auf, ır.. daß wir uns gefunden haben, das tichtet mich Die andere Seite - L’altra parte „Schau, Liebling, jetzt setze ich {R. v. Hoorschelmann) mir eine Menschenmaske auf!“ 2 „Aber, Bimbo, wo bleibt da die Affenwürde!" "Vedi, mio caro, adesso mi melto una maschera di uomo!, auf. Und wenn ich das Examen hinter mir habe, dann wird—I" sprach er plötzlich ohne Übergang. Brigitte welnte vor Glück. Die Tropfen flelen hör- bar auf seinen Panamahut. Wellen und Wogen brausten über sie her. Er fühlte Ihren Puls und zählte leise dazu. Von der Ludwigskirche her schlug es dreiviertel EIf. „Und jetzt sag mir deine heimliche Sorge...!” 'hauchte Brigitte Ihm Ins Ohr. w..mein Examen kostet, was.ich nicht habe... Ich bring’ das häßliche Wort nicht über die Lip- pen...” m. Geld?” jubelte Brigitte befreit und setzte hinzu: ...Was mein Ist, das ist dein... 1" „Sprich nicht davon... 1" „Ich habe ein Sparkassenbuchl” Sie gingen nach Hause, er wartete unten. Brigitte Übersprang drei, vier Treppen. Und schon war sie wieder an seiner Seite. Im Licht des Fünfminutenbrenners las sie ihm die Summe der Einlage aus dem Buche: „...mit Worten: fünl- tausend Mark.” Er quittierte ihre Gabe mit vielen Küssen. „... Und am Sonntag auf Wiedersehen!’ Aber ein Stadt. telogramm kam am Mittag: „Wegen Examenarbi ten dringend verhindert. Mit Kuß — Arthur.” = Brigitte war nicht traurig. Sie zitterte und bangte nur: „Daß er die Prüfung bestehen möge...!” Die Ungewißheit der Entscheidung überfiel sie mit flebernder Spannung. Und schon- war sie auf dem Wege zu Frau Morasch, Quellengasse 19, dritter Hof, vierter Stock links, zweimal läuten... Ein Gesicht, wie ein gebratener Apfel, sah runze- lig durch den Türspalt. „Frau Morasch, Sie müssen mir pendeln...“ „Ah, ich sehe, Sie sind verliebt...i” „Ja, das erstemal im Leben...! Und er ist ein Gott..." „Kommen Sie herein —I" In der Wohnküche lag der Geruch von ange- branntem Sauerkraut. Am Fensterbrett stand ein Aquarium mit Goldfischen. Aus den Ohren der Frau Morasch sahen Wattepfropfen. „Haben Sie seine Fotografie...! Legen Sie das Bild auf den Tisch..." Frau Morasch zog aus dem Nähkorb ein Bern- steinpendel, das an einer Seidenschnur befestigt war, Sie wickelte das Ende des Fadens um ihren Zeigefinger — und schon schwang das Pendel in — "Ma, bimbo, dove sta allora la dignitä di scimmia?,, Kurven und Elipsen. Es tanzte über Arthurs Brust- bild und schlug aus wie ein Füllen. „Der liebt sie heiß und stürmisch... Seine Ab- sichten sind lauter und rein... in elnem Jahr seid ihr vereint... 1” Brigitte vibrierte wie eine elektrische Klingel, Ihr Puls trommelte vor Freude. „Fräulein Brigitte, Sie haben Glück... Ich spüre heute meinen goldenen Hausgeist... Odstrahlen durchfluten mich aus der vierten Dimension... 1" „Fragen Sie, bitte, das Pendel — ob er das Exa- men besteht ,...?” n».. Goldener Dämon! Ich frage dich...! Ja...! Er besteht alle Prüfungen — und sogar glän- zend...” schnaufte Frau Morasch. „Ich danke Ihnen...! Sie haben mich beruhigt. sprach Brigitte und legte fünf Mark auf das Wachs- tuch des Küchentisches. Selig und des goldenen Hausgeistes eingedenk, eilte sie nach Hause. Im Briefkasten lag ein Eilbrief. Sie öffnete ihn wie einen Reißverschluß, „Mein Liebling! Ich arbeite Tag und Nacht durch. Und alles für dich, für uns...! Aber ich brauche noch dringend Literatur, wissenschaft- liche Fachwerke. Dreihundert Mark genügen! Tau- send Küsse in Eile und Not! Dein Arthur.” Brigittes erster Gedanke stürzte sich auf ihre goldene Armbanduhr, auf ihr Samtetul mit zwölf silbernen Löffeln und auf den Fotoapparat. Sie lief damit zum Tändler und schrieb an Arthur zurück: ..ich bin glücklich, daß Du arbeitest. Das Ge- wünschte liegt bereit. Ich erwarte Dich am Sams- tagabend um sieben Uhr bei mir...! Ewig Deine Brigitte.” Drei Stunden zu früh war sie mit den Vorberei- tungen für seinen ersten Besuch fertig geworden. Der Teetisch sah festlich aus wie ein Hochaltar, Zwischen dem Weiß der Tassen wuchsen rote Rosen. Servietten spielten Pyramiden. Und aus der Zuckerdose sahen, wie durch einen Türspalt, sechs Fünfzigmarkscheine hervor... Vorfreude fuhr in ihr Karussell. Wie eine Vestalin umschritt Brigitte den Tisch, sah hier noch eine Falte, die zurechtzulegen war und zog dort ein Lachsbrot über den Rand der Vorlegeplatte. Dadurch hatte sich das Kuchenmesser in seiner Lage verschoben und mußte wieder verführerisch 104 unter die erste Apfelschnitte gelegt werden. „Der wird sich freuen...” jubelte sie vor sich hin und trommelte mit den Fingern den Einzug der Gladiatoren auf die Fensterscheibe. Vorwegnehmend ließ sie den Geliebten im Geiste Immer wieder durch die Türe kommen. „Das Examen macht mich noch verrückt, sie ihn sagen. „Jetzt ruh’ dich aus...!” lacht ‘sie und nimmt sein Gesicht wie ein Gefäß in ihre Hände. Aus seinen Mundwinkeln fließt das Bächlein Schel- melel. Und seine Augen werden zu Waldseen. Farnkraut im Haar und Lianengestrüpp ist sein Haar... Dann löste sie Ihn wieder zu Nebel auf, Immer wieder ließ sie ihn zergehen, damit er wieder kommen konnte... Plötzlich läutete die Klingel Sturm. Einen Augen- blick lang wußte Brigitte nicht, ob sie dieses Läuten in ihr Spiel hineingedacht hatte oder ob es aus Wirklichkeit gemacht war, Gewohnheits- mäßig sah sie auf ihre Armbanduhr, die längst schon beim Händler war. „Der kann's nicht mehr erwarten... |" War mehr Gefühl als Gedanke. Und schon riß sie die Türe wie eine Pralinenschachtel auf, Draußen stand eine Dame. Brigittes Erwartungen schnellten automatisch wie zu weit gespannte Gummibänder zurück... „Sie sind Fräulein Brigitte...? Ich muß Sie drin- gend sprechen.‘ Schon stand die Fremde mitten im Zimmer. Sie hatte rote Augenlider. Brigitte dachte „wie Kaninchen”, „Sie kennen Herrn Arthur? „..Erlauben Sie, daß ich mich setze ...?” „Und Sie kennen ihn auch —?“ „Darf ich mir von Ihnen eine Zigarette nehmen? ...Ich.bin ohnmächtig vor Erregung. Seit gestern habe ich nichts gegessen. ...Erlauben Sie, daß ich ein Brötchen ...?" „Aber, bitte, so sagen Sie doch —I” hauchte Brigitte. w..Ich fand bei selnen Briefen Ihre Adresse. In seiner Schreibtischschublade unter einem" Pack von Briefen war —" „Aber erlauben Sie, wie kommen Sie —?” zitterte Brigitte. „Wenn Sie schon fragen — Ich bin seine Braut....! Und er kann leider nicht kommen, denn er wurde gestern verhaftet —" „Sie lügen...! Spielen Sie mir keine Komödie vor...! Er steht mitten im Examen, und in diesem Jahr noch werden wir heiraten... „Das hat er mir auch versprochen...| Darf ich mir eine Tasse Tee einschenken... ich verdurstel Ja, Sie und ich, wir sind nicht die einzigen. Heute früh fand die Polizei bei der Hausdurchsuchung noch sechs bräutliche Spuren... Und meinen letz- ten Pfennig hat er mir —" „Ich glaube Ihnen kein Wort, Diese Augen, die- sor Mund, sein Gesicht... ! Nein, nichts konnte an ihm lügen...! schrie Brigitte auf, „Wir sind Leidensgefährtinnen...!" sprach die Dame und sah dabei auf die Zuckerdose. „Ich bin In arger Not... Können Sie mir mit einem kleinen Darlehen aushelfen —?" „Das Geld Ist für Arthur, Er —" „Nach der Verhandlung erhalten Sie es bestimmt wieder von mir zurück.” „Nehmen Sie —" murmelte Brigitte ohne Bewußt- sein. „Danke ..:! Und wir werden uns ja wiedersehen.” Brigitte hörte die Türe noch ins Schloß fallen und die Tritte der Fremden im Treppenhaus verhallen. Dann fielen violette Schleier. Scharlachrote Kreise tanzten auf der Zimmerdecke. Nebel stiegen vom Boden auf und die Wände rückten aufeinander zu—— Acht Wochen vergingen. „Ich mache die Zeugin- nen darauf aufmerksam, daß Sie die reine Wahr- heit zu sagen haben, nichts verschwelgen — —" ertönte die Stimme des Richters durch den Ver- handlungsraum. Sechzehn Mädchen und Frauen saßen auf der Zeugenbank. Brigitte sah nur auf den Rücken hört Durchlöcherte Kochtöpte up heilt Alles-Kitt Alles-Kitt mit Alubronze oder Gips oder Kreide zo einer honigdicken Masse vermengt gibt zum Behelf ein worzügl. Dichtangsmistel für defekte Kochtöpfe usw. d | > IDARMOL-WERK DrAsLSCHMIDGALL [a 13 HARM.FABRIK WIEN82 | Alakt Iod-Fenktur ‚Jepsc! zin dußenlichen Desinfektion Verletzungen im Haushalt, bei Gartenarbeit, im Be- ruf und beim Sport durch Schnitte, Stiche, Risse, Bisse u.dgl.sollman zur Vermel« Schützen Sie Ihre Junghans-Armband- oder Taschenuhr vor Wasser oder Dampf Beides dringt entweder unmilt det bei München Nounauser Str. 15 Welnstr. 14 Am Stachus Strümpfe er 5% Dachauer Straßde2 Relichenbachsir. 18 dung von Entzündungen und Eiterungen sofort Jung ms nn mit der bewährten Sepso- schont und pflegt Tinktur desinfizieren. 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Er lebte von Frauen und Liebe. Die Opfer mach- und sein Brigittes seine Augen —"" durchzuckten ferne Bilder ten es ihm nicht schwer. Seine Bräute glichen jenen Karpfen, die lustig im Fischbehälter herum- schwimmen und gleichzeitig schon auf der Spei- senkärte stehen... Ich beantrage gegen diesen gefährlichen Heirats- schwindler, der schon vielfach vorbestraft ist, eine Zuchthausstrafe von — —” „Fräulein Brigitte, Sie haben Glück heute meinen goldenen Hausgeist das Pendel. „.. eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren. Welter- hin stelle ich — — w..der liebt sie heiß und stürmisch... dazwischen Frau Morasch von weither. w.+.stelle ich den Antrag wegen der ehrlosen Gesinnung die bürgerlichen Ehrenrechte — —" m.«.Seine Absichten sind lauter und rein... fluteten die Odstrahlen. w.. die Ehrenrechte auf fünf Jahre abzuerkennen und — —” Ich spüre " schwang I" sprach Der Teetisch schob sich schnell zwischen das Ge- richt und Brigitte. Sie hörte noch deutlich die Worte: „... den überhelratslustigen Mädchen möge auch dieser Fall wiederum zeigen, daß wahllose Liebe und lockeres Geld — —" Dann wuchsen die roten Rosen aus dem Weiß der Tassen. Wie eine Vestalin umschrlitt sie den Tisch, schob das Kuchenmesser wieder unter die Apfelschnitte und zog das Lachsbrötchen über den Rand der Vorlegplatte Nur das Geld ließ sie nicht mehr aus der Zuckerdose herausstehen. Durch einen jähen Ruck war es vom Tische weg- radiert. Und sie sah auch nicht, wie Arthur in die Zelle abgeführt wurde, Der kleine Teetisch wurde wieder zum Hoch- altar. Brockenweise versank vor Ihm alles Graue. Und jetzt erst fühlte Brigitte, daß sie wahrhaftig und echt das Grüne noch grüner und das Rote noch röter erleben könnte... | GUSITAV LOHSE IB TEIRILIEN E Sin doravl, daß die wichgen TeieForbbondumicheltung. Bond. für das von wonsport, Walzen viw) sen ein- wondirel arbeiten. Sie schreiben e dann nach länger mit dem hob: Haderbrän honzenıierten und dadurch ber Münden vonder ergiebigen Farbband Geha EDELKLASSE sondern mih dem Deckel zumick zu Yhrem Händler, welcher sie RIES AUE IE IM Die feit mehr als 20 Fahren ‚eingeführte Martenbeyelhnung (DRP. Mr, 548960) beroeheilie ultopolarme, biätelfche Mündyener Malygetränt Man weise Mr, 30697 und 118608. unter Paterufchun Eduard Palm München B riefmarken- Handlung Walter Behrens chahmungere Teroson-Werk: Chem. Fabrik: Heidelberg | UND DAS SIEBENECK @ SIND WELTMARKEN FÜR Arzneimitteh hinter denen eine mehr als 30jähr.wissenschaftliche und praklische Erfahrung steht, KRONEN- KRAWATTEN-FA BERLIN Ca MERZ & CO. CHEM. FABR. FRANKFURT A.M. Fritz M.TFibke$ KW Chu YZANPISE IKAILADIIDIE IE DILA IKAD SIDIHETDIEIKK HAND its selten zu haben, Trink ihn drum selten und mit Verstand, Trink ihn zur Stärkung in kleinen Gaben; Kranke soll er vor allem erlaben, Edler Schaumwein aus schwäbischem Land! GC .Nessteuiß, Älteste deutsche Sektkellerei Esslingen am Neckar BRIK 106 Mit der im Rezept vorgefehenen | Menge Badpuloer „Badin“ gelingen Ihnen aud; bei deu heutigen Zutaten mohlfhmedende und nahrhafle Ger bäde. Kalten Sie fidy ftets genau an die „Zeitgemäßen Rezepte” mit ibt ungetrübt, wenn er niemals seinen Dienst ver jert. Föllen Sie ihn dashalb ständig mit der leicht Menden, farbstarken LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nücken) Urias saß bei Belgrad an der Donau und angelte. Er hätte gern einen Fisch gegessen. Er hätte auch gern ein Mädchen geküßt. Beides ist beim Angeln möglich, Aber kein Mädchen kam gegangen und kein Fisch geschwommen. Nur eine Nixe, bildschön, tauchte aus der Flut. Urias lief ein Pfützchen auf der Zunge zusammen. Dann riß er schnell ein Blatt Papier aus der Tasche und heftete es der Nixe an den Schwanz, Darauf stand geschrieben: „Liebe Göttin Danublal Schicke entweder einen gänzen Fisch oder ein ganzes Mädchen heraufl Mit halben nackten Tatsachen Ist mir nicht ge- dient!” J.H. R. * Fräulein Agathe von Tottenstjerna war das Muster einer bösen Erbtante. Mit der Aussicht auf ihre recht ansehnliche Erb- schaft hatte diese alte Jungfer seit Jahrzehnten die ganze Familie tyrannislert und in der „Furcht des Herrn” gehalten. Schließlich tat sie der Familie den Gefallen und starb, — und zwar ebenso sonderlich wie sie gelebt halte, näm- lich genau einen Tag vor Ihrem achtzigsten Ge- buristag. Voll froher Hoffnung ging die Familie zur Testa- mentseröffnung, aber es wurde eine arge Ent- täuschung: Tante Agathe hatte die ganze Familie enterbt una ihr gesamtes Vermögen einem Stift für ehrsame alte Fräuleins vermacht, Die ganze Familie schäumte vor Wut, am meisten aber der Neffe Adolar, weil er das Geld am nötlgsten brauchte und es eigentlich schon einkalkullert hatte. — Am nächsten Tag las Adolar Tante Aga- thes Todesanzelge In „Stockholms Tidningen”, Sie hatte folgenden Wortlaut: „In der vorigen Woche verstarb Fräulein Agathe von Tottenstjerna nach elnem — bis aui einen Tag — tugendsamen achtzigjährigen Leben.” „Na“, söägte Adolar nach einigem Nachsinnen großzügig, „den einen Tag will Ich Ihr trotzdem gönnen.” Meisterdetektiv Styx blätterte vor sei- nem Schreibtisch in einem frischen Aktenstück, Es waren neue Fälle, alle auf ähnlicher Linie. Hatte hier der gleiche Unhold seine Finger im Spiel? Draußen heulte der Schneesturm. Das Telefon schnarrte. „Hier Styx. Bitte recht kurz. Wimmern hinter der Tapetentür® Es spukt? Aber, aber! In zehn Minuten bin ich bei Ihnen!“ Das ältere Ehepaar führte Styx in einen eiskolten Wohnraum. Die Frau zitterte wie Espenlaub, der Mann schlotterte. Er berichtete, Seine Stimme schien aus einer mit Angstkomplexen gefüllten Kiste zu kommen. „Furchtbar! Wir sitzen hier... Plötzlich raschelt, wimmert es hinter der Tapetentür. Grabeskälte Das Wimmern hinter der Tapetentür... kriecht heran. Ohne Mäntel erstarren wir zu Eiszopfen.” „Warum heizen Sie nicht?" fragte Styx. „Vierzig Kohlen stecke ich in den Ofen,” iammerte die Frau, Da.,. Ein Wimmern hinter der To- petentürl Tatsächlich! Das Gesicht des Detektivs straffte sich. Er schlich zur Ta- petentür, suchte mit der Lupe ab, wandte sich dem Fenster zu, untersuchte die übrigen Türen, Dann ein Lächeln des Erkennens. „Hm,“ machte er, „dachte mir's. Der- selbe Verbrecher! Sehen Sie her! Über- all an den Türen klaffende Fugen! Weiße Bohnen könnte man hindurch- werfen, Auch das Fenster schließt nicht. Der kalte Wind pfeift herein und spielt auf dem schlechtverklebten Loch in der Topetentür Mundharmonika. Machen Sie dos Fenster dicht, legen Sie Füll- streifen in die Türspalten, dann wim- mert's nicht mehr.” n..„zeihung, Herr Styx," meinte der Ehemann, „sagten Sienich!Verbrecher?” „Jawohl,“ antwortete Styx konzentriert, „Kohlenklau heißt er. Sie pulvern hier vierzig Briketts in den Ofen und holen sich trotzdem Eisbeine. Machen Sie die Schotten dicht, und Sie werden mit der Hälfte oder noch weniger ein molliges Zimmer haben, Wo Kohle, Gas und Strom vergeudet werden, ist Kohlenklau am Werk. Wenn Sie diesen gefährlichen Burschen nicht umgehend an die frische Luft setzen, wimmern Sie bald vor Ihrem leeren Kohlenkeller mit der Topetentür um die Wette. Wollen Sie das®" „Gesund an Leib das ist der Quell Sorgsam beobachten, genau einstellen und im rechten Moment knip- sen. So erhalten wir wirklich schöne Fotos und sparen den guten reinigt mild, maniert nd pflegt die Haut Aber nie su trocken anwenden! ATEelifEl voll genügt! \ BIOLAVAN ist der patentamtl, Wortschutz @ das eingetr, Fabrikschurzzeichen für die biologische Körperpflege Dr. Behre & Co, Bremen 11, was wir stets zu beherzigen bitten — | Sie ihn gelesen haben an die Front! | Winpenbeientleakotz) Achtunal Ein Griff und ori wehrlost (eichnpatontemi. Wz. Nr. 5159) 2 schränkt vom lag # bestand liefern, Se: 1 Ne | Diese unsichtbare Watte zur sicheren Salbstvartejdigung schützt Sie vor Ge, fahr! Ein tiger Griff, und der stärksto Gegner ist wehrlos! Lernen | ‚d ua Sie Jiu-Jits: zu Hause, Se best. e und Licht box, JIu-JitsuM k-| Unterrichtei auch Sie brieflich. Für 5 Rpf. in Marken (die Ihnen aut er Kursgeld aufgerechnet wer: |ORATORIUM LEO SCHEUFEN halten Sie den illustr. Prospekt von] LAB x Köln-Lindenthal Nr. 14 H. Zickert, München 28, Postt. 128c 107 und Seele sein, | des Lebens!“ ARZNEIMITTEL EXPRESSWERKE AKT: sammier enneiset er ENPRESSWERKE | ‚Oear. 1882 I | ES. | _NEUMARKT OPF. b.NÜRNBERG Briefmarken- verlangt kostenlos die „HANSA-POST" u. & Freude mach! und Werte schaff Max Horbet,Markenhs.,Homburg34/513 Ankauf von Sammlungen Beharagen Si heute. da Euhutel nur bar uchränkt Vaferbo nt, nach mehr la früher unseren Reichlag. Sergalng und hauc- dünn auhtragen. Nich di Menge, de Güte Die Versorgung mit Damenbinden ist nach vor gesichert. Denken Sie bii daran, dal® nur vorübergehende Schwierigkeiten daran schuld sein können, wenn Sie trotzdem einmal Comelio nicht überell erhalten. ren u. größeren Kreisen hrbriete (Kurzform) vi Besuch Natürlich mußte ich das gesehen haben, ein biß- chen Grauen verträgt jedermann, und wer wei für was es gut ist, wenn einem mal ein Gletschei strom den Rücken rauf und runter fuchtelt! Also ich ging hin. Man fährt vor die Stadt, richtig, Palermo heißt sie, ist die Hauptstadt von Sizilien, groß, breit und schön; und, da kommt nicht etwa der Milch- mann an die Türen der Häuser, o nein, man ist praktisch, die Ziegen und die Kühe selber kom- men, werden vor deinen Augen gemolken, und du Köchin bekommst die frische, garantiert reine und echte Milch gleich in dein Gefäß, das du mitgebracht. Also diese Stadt war es, und ich fuhr hinaus vor die Stadt, da ist ein Klostergarten, der zugleich Friedhof war, die Blumen wachsen da wild, denn es ist da ewig warm und heiterer Himmel; wenn sie gegossen werden, stehen sie sehr schön, aber das wollte ich nicht erzählen, ich sah sie nur noch einmal an, dachte: die Er- Innerung nimmst du mit hinunter. Dann ging ich zu den Toten. Da, wo man die eine Tür nach den Lebenden schloß, saß ein dicker Mönch, ein überdicker un- appetitlicher Kerl. Nun ja, er hatte sicher nicht die Aufgabe, appetitlich zu sein, nur den Eintritt zu kassieren, und das macht er unfreundlich und mit unzufriedenem Gesicht, wie sein Kater. Dabei gab ich ihm gleich noch Irgendeine Kupfermünze als Trinkgeld. Der Kater, der ein struppiges, über- großes, unsauberes Viehzeug war, knurrte, und ich meinte, daß der Mönch grunzle. Vielleicht ist das Bosheit von mir, jedenfalls, ich war In un- lebenslustiger Stimmung, als ich zu den Toten kam, Die Ihrerseits kehrten sich gar nicht daran. Einige sahen an’ sich recht freundlich aus; doch, das muß man sagen, so stand da gleich am Anfang einer auf einem Postament, grüß Gott Herr Direk- tor, dachte Ich, sagte aber nichts zu ihm, er schwieg auch, er wird auch so an hundert, zwei- hundert Jahre dastehen, war allerdings sauber, schwarz angezogen, ohne Bügelfalten, aber sonst durchaus salonfähig; hatte ein Gesicht, das sym- pathisch geschminkt war, so daß einem die roten Bäcklein etwas auffielen, und sah gerade so in die Welt. Ja doch, das muß ich auch noch sagen, das kommt davon: wir sind da Im Lande des Schwe- fels, der ganze Boden ist offenbar von Schwefel- dunst durchdrängt, und das bringt mit sich, daß Leichen nicht verwesen und nicht zerfallen, son- dern gerade so bleiben, wie sie sind, man hatte noch künstlich nachgeholfen, Aber nicht verwech- seln mit ägytischen Mumien, nichts derärt, so wie Von Fritz Sänger im Leben stehen sie da, und man möcht fast sagen, bitte, kommen Sie doch einmal herunter von ihrem Postament. Aber sie kämen bestimmt nicht, am Tag auf keinen Fall. Nicht weit von ihm sitzt die Gemüsefrau. Ich taufte sie so, weil sie einfach mich sofort an eine Gemüsefrau aufdem Basler-Wochenmarkt erinnerte. Sie war einfacher gekleidet, aber auch wieder nett in ihrer Art. Sie hatte In der einen Hand Blumen, die andere war leer. Dicht daneben lag in einem schönen Glasschrein ein nettes, liebes Kind. Es hatte rote Lippen und blaue Augen und sah durch den Glasdeckel seines reichgeschmück- ten Kästchens, daß man meinte, man müßte es hinausnehmen. Was soll ich sagen, so sind sie da, ein, zwei, drei oder vier Dutzend, ich weiß es nicht mehr, durch- aus nette Menschen, und gar nicht graulich an- zusehen, wie der Mönch und der Kater. Die Toten hatten auf einmal etwas sehr Sinniges und sehr Interessantes für mich. Sie sitzen oder stehen, immer aber so, daß man wohl meinen könnte, sie leben noch, sie sind in einem großen Gefrier- haus und auf einmal, bums, steif geworden. Sie sitzen und stehen, liegen und kauern, einem jeden ist es freigestellt, sich unterzubringen, wie es seinem Charakter am besten entspricht. Im Durchschnitt sind sie mehr als hundert Jahre alt, aber man hat noch In den achtziger Jahren reiche und gut gekannte Leute aus Palermo da hineingebracht. Heute geht das nicht mehr. Es kamen andere, die das sehen wollten, solche, die wirklich entsetzt wären, die gingen wieder, solche, die es mit leisem Schaudern sahen und doch von Fall zu Fall gehen mußten. Es kamen einmal etwa zwölf oder mehr, sie sprachen lauter, und ich verbarg mich hinter einem großen Holz- aufbau, in dem eine ganze Familie am Tisch saß. Unter Glas und wohl frisiert und gut angezogen. Dahinten war ich sicher, nicht gesehen zu werden, und auf einmal kam mir die wunderliche Idee: — ich bleibe mal bei denen. Ich blieb wirklich. Es war Nacht geworden, ich sah gar nichts mehr; ich fürchtete gar nichts, und ich wußte, hier mußte man irgendwie hinter ein Geheimnis kommen, das man sonst nicht zu lösen imstande wäre. Es wurde später und später, nur selten drangen noch von draußen Laute herein, es war spät in der Nacht oder ganz früh am Morgen, das weiß ich nicht; ich hatte keine Taschenlampe bei mir. Den Revolver ja, selbstverständlich, braucht man Toten gegenüber nie. Ich mußte eingeschlafen sein, denn ich wachte Das kleine Welttheater Das kleine Welttheater — Wem wär es nicht bekannt? Denn unser aller Vater Das ist der Intendant. Wir selber sind die Spieler Auf diesem Erdenrund, Der Wirkungsstätte vieler Und wahrlich kunterbunt. Jedwedem ist die Rolle Von vornherein bestimmt Und, ob er sie nicht wolle — Er lernt und übernimmt. Für Könige und Helden Ist meist der Platz besetzt. Man braucht sie auch zu selten, Sie sind zu hochgeschätzt. Auch Schönheit findet immer Noch gerne ihren Mann. Wär ich ein Frauenzimmer, Ich hielte mich daran. Doch weil ich nur ein Träumer Und armer Narr von Fach, Drum spiel ich einen Reimer Und den am Ende schwach. J0SEr MARX 108 in den Totenkammern von Palermo auf und sah und hörte. O Gott! Das war jetzt wieder mehr als ich eben noch so mit Ruhe und Sachlichkeit hinnehmen konnte. Der Herr Direktor stand neben der Gemüsefrau, die sich ihrerseits um das Kind bemühte, er sah ihr zu. Sie griff durch den Deckel als wenn er nicht da wäre, und nahm das Kleine hinaus, das seinerseits richtete sich auf und lächelte. Ach so, wie war denn das. Es brannte kein Licht, nein, die alle leuchteten selber, mild und angenehm, sie waren selber zu Licht geworden. Das Kind in frischem jungem Lebenssinn und Atem, die Frau etwas härter, der Mann delikat, der Pferdehalter daneben und der Magistrat ein wenig mehr links, so im siziliani- schen Alltagshellsein. Merkwürdig, aber wenn alles so ganz anders ist als wir's gewohnt, dann fällt das Einzelne gar nicht mehr auf, es muß nur eben alles zusammen- passen, und das tat es nun wirklich. Ich wandte mich zu dem Holzkabinett, in dem die Familie am Tisch saß, sie saßen und sprachen miteinander, als wenn sie die Erlebnisse des Tages durchgehen würden. Ich hörte es auch, es war ein halblautes, sehr gewähltes Sprechen, wie es vornehme Leute tun, wenn sie zeigen wollen, daß sie es sind. Ich verstand nichts, es war vielleicht im siziliani- schen Dialekt, den verstand Ich nicht, das hatte ich bereits draußen auf der Straße feststellen können. Ich war sicher in dieser Gesellschaft nicht stan- desgemäß, ich irug die Kleider eines Wander- burschen, und schämte mich.fast deswegen, was ich sonst nie so empfunden hatte, man hatte mich sicher gesehn, aber man ingnorierte mich einfach. Nun ja, ich wollte auch nicht, daß man sich um mich kümmerte, hätte vielleicht gern den und jenen etwas gefragt, aber irgend etwas Scheues hielt mich auch davon ab. Sie kamen jetzt auch aus anderen Räumen, die sonst verschlossen gewesen, auch solche in an- derer Tracht, und es blieb alles sonst gleich, immer dieser etwas steife vornehme Ton, immer dieses absolute Nichtachten mir gegenüber. Als mich einer fast anstieß, sagte ich, ich wollte Jetzt einfach auch einmal beachtet sein, ich sagte deutlich und klar: „Sie entschuldigen bittel” Mit einem Schlage war es finster. Ich stand wie hingehauen. Das war nun doch ein klein wenig mehr als ich eben so noch mit der nötigen Sach- betrachtung ausgleichen konnte, Ich tastete mich an die Wand zurück, und ich wußte da — da irgendwo — jawohl, das hatte ich mir gemerkt, auf alle Fälle, da irgendwo — richtig, war der elektrische Schalter. Na, wartet, jetzt bin ich an der Reihe, wir kön- nen zwar nicht selber Licht spenden, aber helle sind wir trotzdem, ich redete mir Mut zu, ich drehte an. Hell war's mit einem Male. ‘ Donnerkiel, der Herr Direktor stand wieder auf seinem Postament, die Marktfrau saß auf dem Stuhl und das Kind lag im vergoldeten Schrein mit dem Glasdeckel. „Jetzt ist's ja wieder in Ordnung”, sagte ich so vor mich hin. „In Ordnung”, antwortete eine schwere, dumpfe Stimme, und das, Jawohl, das war mir jetzt wirk- lich ungemütlich, Ich suchte und fand den Ausgang. Na ja, vielleicht geh’ ich wieder zu den Toten, wenn ich das nächste Mal nach Palermo komme. Übrigens: als ich so durch die stille Nacht dahin- schritt, auf das Meer hinaussah und über das Er- lebte nachdachte, wunderte ich mich eigentlich über das Geschehens gar nicht: Man muß sich das vorstellen: wenn man so an zweihundert Jahre sich gegenübersteht, sitzt und liegt, will man doch auch einmal miteinander sprechen — — — Die Entschuldigung ee) Iph EN 1 A u ».+.. mit dem Horst? Ich denke, der hängt dir zum Hals raus?“ „Ja, aber das merke ich immer erst am nächsten Tag!“ La scusa: “... con Horst! ... Penso che tu ne abbia giä abbastanza di lul?,, — “Eh sl, ma me n’accorgo sempre solo il giorno dopo!,, 109 Schlechte Erfahrung - Brutta esperienza (0. Hermann) “ „Ja, ja, ich habe auch schon manchen Männern die Knöppe anjenäht, aber sie sind alle bald wieder ausjerissen und die Männer ooch!" *S1 sl, anch' io ho cucito dei boltoni a parecchi vomini; ma tutti si sono staccatl presto ... e cosl pure anche gli vomini!,, Ohrenstechen Von Ralph Urban Als Herr Diehl am Montag morgen erwachte, störte ihn halb unbewußt ein peinliches Gefühl. Er führte den Zeigefinger an den Eingang zum ‚Ohr, bohrte ein wenig und schrie: „Aul” Drinnen stach es fürchterlich. „Was hast du denn?“ rief seine Ehefrau aus der Küche, aber es klang nicht übermäßig besorgt. „Ohrenstechen!” lautete die düstere Antwort. „Hoffentlich wird es keine Mittelohrentzündung.” „Sterben wirst du daran”, kam es respektlos zu- rück, denn Frau Erna hielt alle Männer für Hypo- chonder, Herr Diehl steckte sich vorsichtig Watte ins Ohr und verzehrte sein Frühstück mit leidendem Zug. Mit schiefgeneigtem Kopf verließ er die Wohnung. „Steifes Genick?” erkundigte sich am Gang die Nachbarin, die gerade vom Einholen kam. „Ohrenstechen!” entgegnete Herr Diehl und blieb gegen seine Gewohnheit stehen, gerührt durch die Anteilnahme. „Das hat mein Schwager neulich auch gehabt”, erklärte die Frau, „Tagelang Ist er damit herum- gelaufen als halber Mensch, bis er meinen Rat befolgte und sich gekochte Lorbeerblätter auf- legte. Ein paar Stunden später war es weg.” Herr Diehl bedankte sich für den Rat und ver- sprach auch, ihn anzuwenden. Auf dem Weg zur Arbeit kaufte er sich Zigaretten. Er klagte der Verkäuferin sein Leid. „Da gibt es nur ein Mittel, das sicher hilft”, meinte das Fräulein. „Kaufen Sie sich ein Stück Kampfer und reiben Sie die Umgebung des Ohres fest damlt ein. Sie werden sehen, wie das hilft.” Herr Diehl versprach es und begab sich Ins Ge- schäft. Ein Kollege merkte gleich, daß es mit ihm heute nicht richtig wäre. „Einen heißen Umschlag“, riet der Kollege, „aber so heiß muß er sein, wie Sie es nur vertragen können.” Eben kam der Chef vorbei und hörte die letzten Worte. „Ohrenstechen?“ meinte er. „Da gibt es nur ein sicheres Mittel, mein lieber Herr Diehl: machen Sie sich am Abend einen Grog, und zwar ganz steif. Wenig Wasser, viel Rum. Und Sie werden sehen, morgen sind Sie gesund wie ein Fisch.” „Danke, danke”, flüsterte Herr Diehl mit den Tränen der Rührung kämpfend, denn er empfand selbst tiefes Mitleid mit sich. „Wenn Sie mir folgen”, sagte später der Buch- halter, „dann trinken Sie heiße Milch, nehmen dazu zwei Pulver, decken sich fest zu und schwit- zen sich gründlich aus Am Heimweg vom Geschäft kaufte Herr Diehl ein. Im Hausflur traf er mit der Portiersfrau zu- ‚sammen. „Mein er Herr Diehl“, meinte sie, „die Schmer- zen Im Ohr sind meist Anzeichen schwerer Er- krankungen. Träufeln Sie sich warmes Ol ein und legen Sie sich mit einem Wickel Ins Bett.” In der Wohnung angelangt, beschäftigte Herr Diehl nach heftigem Wortwechsel mit seiner ver- ständnislosen Frau diese zwei Stunden lang. Nach einer Einreibung mit Kampfer bekam er gekochte Verlag und Druck: Knorr & Hiıth Kommanditgesellschaft, München, Sandlinger Straße 80 (Fomruf 129%). Briefanschrift: München 2 B; Simplicissimus erscheint wöchentlich ein nt Im Monat RM. 1. @rboten. — Posischackkonto München 5 tworti, Schel alte Buchhandlunger aültig ab 15. Okt. 19% Foltzick, Müncher wall Verantwortl, Anzeigeniel tungsgeschäfte und Postenalälten entgegen. Bozugspr Unverlangte Einsendungen werden nur aurückgesandt, Bıletfach, 20. — Anzeigenpr Die lohnende Rasur - Rasura lucrativa (Fr. Bilok) Lorbeerblätter aufgelegt, trank heiße Milch und nahm zwei Schwitzpulver. Als Ihm das Ol Ins Ohr geträufelt wurde, brüllte er, denn es war etwas zu warm geraten, Rauchende Umschläge folgten der Lorbeerkur, hierauf erhielt er den ganzen Wickel und einen steifen Grog, der Ihn In sanfte Traumnarkose versetzte. Um Mitternacht erwachte er schweißgebadet, aber die Schmerzen waren jetzt wirklich arg ge- worden, Den Rest der Nacht verbrachte er schlaf- los, doch als Pflichtmensch ging er am Morgen trotzdem ins Geschäft. Auf der Treppe begegnete er dem Briefträger, dem er rasch ebenfalls seine Krankheitsgeschichte erzählte. „Ich bin verzweifelt”, sagte er, „die ganzen er- probten Mittel, die ich versuchte, haben nichts geholfen.” „Waren Sie schon beim Arzt?” fragte der Post- bote. „Beim Arzt?“ meinte Herr Diehl verblüfft, „Das hat mir noch niemand geraten.” Und nachdem er im Geschäft noch ein Dutzend andere gute Ratschläge erhalten hatte, nahm er sich nachmittag dennoch eine Stunde frei und ging zum Doktor. Dieser hörte sich die langen Ausführungen zerstreut an, band sich den Ohren- spiegel um, ‘euchtete Herrn Diehl ins Innere der Gehörorgane und sagte: „Ahal’” Und dann ent- lockte er ihm mittels der Pinzette ein Stöhnen und dem Ohr ein Stück abgebrochenen Zahnstocher. 111 MEIN FREUND JOHANNES Ich traf Johannes. „Sag mal‘, so fragte Ich ihn, „hast du eine Ahnung, was mit unserer Freundin Ingeborg los ist?” „Was soll schon mit ihr los sein? Ich habe sie lange nicht mehr gesehen“, erklärte Johannes. „Aber du weißt doch sicher noch, wie lustig und vergnügt sie früher immer war. Und nun, seitdem sie den Schriftsteller Sch. geheiratet hat, macht sie einen so müden und gequälten Eindruck, als hätte sie das Lachen verlernt.” „Um Gotteswillen, er wird ihr doch nicht etwa seine heiteren Romane vorlesen?” rief Johannes besorgt. ]. Bieger VORFRÜHLING Wenn jetzt es auch noch stürmt und schneit, Der Frühling ist im Werden, So schön wie in der Heimat zeigt Er nirgends sich auf Erden. Ach, könnt man von den Freuden all, Die er da weiß zu spenden, Den lieben Brüdern fern im Feld Doch auch ein gut Teil senden: 112 (Wilhelm Schulz) Ein Vogellied, ein Blütenhauch, Ein frohes Mädchenlachen. Und was ein treu Soldatenherz Noch sonst könnt fröhlich machen! WILHELM SCHULZ Ü Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHA MÜNCHEN Der Europabissen (Wilhelm Schulz) „Zuschnappen darfst du erst, wenn ich's erlaube, aber natürlich mußt du Obacht geben, daß du mich dabei nicht erwischst!“ Il boccone d’ Europa: "Abboccare devi solo quando io lo permetta; ma nello stesso tempo devi naturalmente badare di non addentare mel, —— Der Weg zum Erfolg - La via del succeso (0. Hegenbarth) N „Ich gebe zu, meine Damen, daß wahre Herzensbildung den Frauen gefällt, aber nach meinen Erfahrungen muß sie mit sicherem Auftreten gepaart sein!"* “"Ammelto pure, signore mie, che una vera educazlone del cuore piaccla alle donne; ma secondo le mie esperlenze essa deve oppalarsi con un slcuro contegno!, KAMPF GEGEN GRIPPE Eines Tages sagt man: „Ich weiß nicht recht, aber mir ist so komisch!” Eigentlich ist einem gar nicht komisch, sondern sehr unbehaglich, aber man will das Kind nicht beim rechten Namen nennen. Wenn Sie sagen, daß Ihnen Irgendwie komisch Ist, wird Irgendwo einer auftreten, der Ihnen wiederum sagt, daß Sie vermutlich Grippe be- kommen werden. Aber vorsichtig muß man doch sein. Doch wie Ist man vorsichtig. „Trinken Sie eine halbe Flasche guten Kognak“, hatte man mir gesagt, Oder hatte as geheißen: „Trinken Sie eine gute halbe Flasche Kognak"'? Ehe ich mir ‚darüber noch ganz klar war, kam schon wieder einer und sagte: „Um Gottes willen keinen Alkohol, Kognak ist gerade- zu Gift für Siel” Das war mir Immerhin neu, aber In Krankheitsfällen Ist man vorsichtig. Da war schon wieder einer da, der riet: „Am besten sind ganze Packungen in nasse Leintücher, darüber eine wasserdichte Zeltbahn und darüber wieder Wolle, viel Wolle. Sie werden sich wie neu- geboren fühlen!” Ich welß nicht, ob es ein so schönes Gefühl ist, neugeboren zu sein, die- Jenigen, die Ich in dieser Lage sah, machten mir eigentlich nicht den Eindruck, Außerdem habe ich keine Zeltbahn. So mußte ich auf dieses ein- fache Hausmittel verzichten. Aber schon traten andere Bekannte auf, die empfahlen mir Medika- mente, eines immer besser als das andere, Sie endeten auf „In“ oder „ol”, Wahre Wunder soll- Mittel wirken, ganze Familien waren durch sie gesünder als Je zuvor geworden. Ich schrieb mir alle auf, ein ganzes Notizbuch voll. Davon wurde mir schon bedeutend besser. Der Gesundungsprozeß wurde jäh unterbrochen durch gute Freunde, die riefen: „Sofort ins Bett, gleichmäßige Wärme ist das einzig Richtigel“ Schon stürmten andere herbei, die schtien: „Frische Luft, keimfrele Luft, nichts fürchten Bak- terien so sehr wie gute Luftl” Aus all dem kann ich entnehmen, daß die Bak- terien, die sich mit Grippe beschäftigen, äußerst heikel sind. Sie hassen kalte Umschläge, sie ver- abscheuen gleichmäßige Wärme, reine Luft ist ihnen ein Greuel und Kognak ist ihr Tod. Ganz zu schweigen von den Gefahren, die ihnen von der Chemie her drohen. Ich bekam geradezu MIt- leid mit diesen kleinen Lebewesen, die ganz auf sich selbst gestellt sind und nicht einmal in das Arbeitsgebiet des Tierschutzvereins fallen. Schließlich sagte ich mir, daß ich mir selbst am nächsten stehe, und daß sich die Bakterien viel schneller vermehren als ich und infolgedessen gar nicht so sehr zu bemitleiden sind. Ich trank also Kognak, nahm einige gleichmäßige Wärme und ein wenig frische Luft, fügte dazu etliche Medikamente auf „In und „ol”, wickelte Zitronen in nasse Leintücher und gab einige Tropfen !od irgendwohin. Jetzt fühle ich mich fast schon wie neugeboren. Foitzick 114 Seelenwanderung In einen Hund verwandelt fühlt" ich mic und sah die Welt im Widerschein der Seele, dierauh sidı äußernd durdı den Gang der Kehle am Boden schnupperte und sprang und schlich. Wiemunderlicı der Mensch! Sehr seltsam stand sein Sein und Tun der Erde zu Gesicite! Ganz sdiauerlich stand er der Welt im Lidite und dodı —icı sprang und leckteihm die Hand, Da scdılug er mich und scıleuderte den Stein; er schien ein Mädchtiger teils nadı Belieben, doch andernteils vom Bösen selbst getrieben und wiederum audı gülevoll zu sein. Da widı der Zauber, Sonne tat sicı auf und idı stand wieder in der ridıligen Sphäre, doch weiß ich nidit— wenn idı es wieder wäre, ich nähm' als Hund nidıt ungern meinen Lauf. Peter Scher Das ist etwas anderes (Erich Schilling) „Sie wollen mich verhaften? Erlauben Sie, ich bin vom Moskauer Nachrichtenbüro ‚Tass‘ !" „O verzeihen Sie, mein Herr, das wußte ich nicht, bitte lassen Sie sich nicht stören !“* Ma allora & tutt’ altra cosa: “Vol volefe arrestarmi? Ma scusate, lo sono dell’ Ufficio-Notizie di Mosca “Tass, !,, “Ah, perdonate, signore; non lo sapevo! Fate pure, Vi prego, il Vostro comodo!,, MEIN FREUND JOHANNES Herr Schramm war nun einmal die Zielscheibe unserer Streiche. Es sel nicht verschwiegen, daß er durch sein ganzes Gehabe auch wirklich dazu herausforderte. Wenn er klug gewesen wäre, hätte er es uns nicht immer wieder gezeigt, wie sehr er sich ärgerte. Aber er war eben nicht klug. Wenn wir uns langweilten und etwas ALwechs- lung in unsere Atende bringen wollen, dann trafen wir uns vor seinem Haus. Und solange warfen wir kleine Steinchen gegen das Fenster, hinter dem er saß, bis er die Nerven verlor und in irgendeiner sonderbaren Aufmachung aus der Tür stürzte und uns zu erwischen versuchte. Natür- lich waren wir schneller als er, so daß ihm das nie gelang und er uns deshalb auch nichts be- weisen konnte, Als wir uns eines Abends wieder zu diesem Tun versammelt hatten, überkam Martin eine Anwand- lung von Mitleid „Er hat heute Geburtstag. Darauf sollten wir Rücksicht nehmen!” meinte er. „Gut, Unterlassen wir es heute, mit Steinen zu werfen. Nehmen wir Eicheln“, sagte Johannes. J.Bieger 115 MÄRCHEN VON HEUTE Ich holte mir beim Metsger Stramm Streichlebermwurft: einhundert Gramm. Er fäbelte das Stückchen - Ichwapp! - Und außerdem zıvei Marken ab. Ich zahlte und ging froh nach Haus Und wog die Wurft zur Vorficht aus, Hurrjeb, was tat da Meifter Stramm? Es waren hundertfünfzig Gramm! Da bin tch fchnell gefprungen Und hab’ Die fünfzig Gramm zurückgebrungen ! Wendelin Überzwerch Auf Draht (K. Holligenstaodt) „Die Punkte verfallen ja nicht, gnädige Frau, nächste Woche kommt sicher was in reiner Seide rein. Wenn Sie so liebenswürdig sind, noch einmal nachzufragen, können wir das nicht verhindern!“ In ogni caso: ‘I punti non scadono mica, signora, la prossima settimana viene di certo un g p 9 p po di seta pura, Se avete Ja bontä di ripassare un’ altra völta, nol non possiamo impedirlo!,, 116 DIET"VERGESSIENE «MAPPE Mit meinem Schwager, der ab und zu die bay- rischen Kreise bereist, um im Auftrag der Regie- rung die Kirchen und Denkmäler zu besichtigen und zu pflegen, bin ich einmal, vor dem jetzigen Krieg, vierzehn Tage lang im Kraftwagen durchs obere Franken gefahren. Ich bin auf diese Weise in manche abseitige Gegend gekommen, die ein Fremder sonst nicht besucht und habe schöne Dinge gesehen, vom kleinsten Bildstöckl und Ka- pellenkind, das verloren am Wegrand vor wogen- den Kornfeldern oder an schlanken Buchenwäl- dern stand, bis zu den wehrhaften Kirchenburgen und den reichen Klöstern, Wallfahrten und Stadı- kirchen. Ich habe alles genau anschauen müssen, denn der Schwager machte es gar gründlich mit Begutach- ten und Nachfragen und wenn ich mich auch manchmal derweil In einem Apfelgarten ins Gras legte oder beim nächsten Wirt ein Schöpplein trank, die meiste Zeit mußte ich doch dabel sein mit Rat und Tat und allerlei gelehrten Mutmaßun- gen, denn ein bißchen was versteh ich auch von der Kunst. Wir haben vom Fränkischen in die Oberpfalz herüber und hinüber gewechselt, die lutherischen Landstriche mir nichts dir nichts, drei- mal an einem Tag mit den katholischen vertauscht, so wie sie dort oben aneinanderstoßen seit dem unseligen dreißigjährigen Krieg und noch früher. Wir sind bei den kinderreichen Pastoren und den einschichtigen Pfarrern zu Gast gewesen und ha- ben hier wie dort umgängliche Herren und quer- köpfige Narren kennengelernt, haben in heiterem Frieden unsere Sache erledigt oder in hitzigem Streit gegen die Bretter gehämmert, die der oder jener vor'm Hirn hatte. Es ist ganz hoher Sommer gewesen, so glühend und dürr, wie er im grünen, wasserdurchrauschten Oberbayern, bei uns daheim, gar nicht sein kann, viel Sand und Staub ist auf den Wegen gelegen und wir sind, weiß Gott, auf den verwahrlosesten Sträßlein gefahren, um in irgend ein elendes Nest zu kommen, wo dann oft, wie ein Wunder aus einer andern Welt, die edelsten Bauten von einer verschollenen Zeit geträumt haben. So sind wir auch einmal, auf sandigen und holpe- tigen Spuren, über einen Heidehügel gefahren, es ist schon Abend gewesen, voll zittriger Hitze noch, aber blau schon rauchend aus den Gründen und die Sonne ist riesengroß und dunkelrot in eine veilchenschwere Dämmerung hinuntergeglit- ten, Es war bezauberd schön, gewiß, aber es war auch eine elende Fahrerei und mein Schwa- ger, am Steuer, hat mehr als einen Fluch durch die Zähne gestoßen über die verdammten Wege. Und auf einmal, wer weiß, wie ihm der Gedanke plötzlich an die Oberfläche gerüttelt und geschüt- telt worden ist bei dem wüsten Dahinkutschieren, auf einmal hat er ganz blaß und leise gesagt: „Meine Mappe?” und hat den Wagen mit einem Ruck angehalten. Richtig, die Mappe ist nicht mehr dagewesen, die schwarze Aktenmappe mit den wichtigen Paple- ren und wir haben auch gar nicht lang zu suchen brauchen, denn jetzt, wo es zu spät war, Ist es meinem Schwager ganz klar und schön eingefal- len, daß er sie droben in Heiligenstein hat liegen lassen, und daß sie dort noch liegen muß, auf der letzten Kirchenbank links, wenn, Ja wenn sie nicht einer von den Wallfahrern erwischt hat, die beim Beten fleißig die Augen spazieren gehen lassen und eine so wunderbare Ledermappe gern als ein persönliches Gnadengeschenk von Sankt Antonius entgegennehmen. Mißmutig genug drehen wir unseren Wagen um und fahren in die Nacht hinein, den erbärmlichen Weg wieder zurück, mit tausend ängstlichen Vor- VON EUGEN ROTH stellungen im Kopf, wie grade, vielleicht im letz- ten Augenblick, ehe wir ankommen, krallige Hände die Mappe ergreifen und ausweiden, wie es, selbst im günstigsten Fall, hundert Scherereien und Rückfragen gibt, bis wir die Mappe wieder haben, das gute, das unersetzliche Stück. Die Kirche auf dem Berg ist schwarz und still da- gelegen, kein Dieb ist verdächtig drum herum- geschlichen, die Tür ist offen gewesen, vor dem heiligen Antonius haben golden die Kerzen ge- brannt und ein altes Mütterchen hat ganz einge- sunken davor gekniet. Die Mappe aber ist fried- lich in der letzten Bank links gelegen, wir haben sie aufatmend an uns genommen und sind, jetzt schon bei völllger Finsternis, mit tästenden Lich- tern zum drittenmal den Weg gefahren, der ein- mal schon Mühe genug gemacht hatte. In Auerbach haben wir dann ein leldliches Quar- tier gefunden und am andern Tag, als wir auf der großen Straße zügig dahinfuhren, ist die ganze aufregende Geschichte mit der vergessenen Ak- tenmappe zu einem kleinen, fast heiteren Reise- abenteuer zusammengeschrumpft. Wir sind in eine größere Stadt gekommen, eine langweilige Stadt, und mein Schwager hat nur rasch einen Blick in die nüchterne evangelische Kirche tun wollen, ob eine befohlene Ausbesse- tungsarbeit an der Orgel auch sinngemäß ge- macht worden ist. Die Kirche ist offen gewesen, weil der Verwalter grad drin war, um irgend was In Ordnung zu brin- gen. Wir stellen also unsern Wagen in den Turm- schatten und spazieren gemächlich hinein, als Leute, die ein Recht dazu haben, auch am Werk- tag in die Kirche zu gehen. Aber wir hatten nicht mit dem Machtgefühl des Küsters gerechnet, der, gelbhäutig und stechäugig wie er war, hager und frostig uns in den Weg trat und uns böse fragte, was wir hier zu suchen hätten. Er war der unbeugsamen Meinung, das sah man ihm anı nichts, aber rein gar nichts! Mein Schwager ist grad so gut aufgelegt, daß er den galligen Burschen ein bißchen tratzen muß, ’ Unglückliche Liebe - Amore infelice (Fr. Bilok) er zieht also nicht gleich seine Beglaubigungs- schreiben aus der Tasche, sondern versucht es mit einer spöttischen Liebenswürdigkeit, aber der hohlwangige Schwarzbart versteht keinen Spaß, er geht in die Luft wie eine Kette von Knallfrö- schen und als wir ihm nun amtlich, schwarz auf weiß, kommen, ist es fast zu spät, er. mißtraut uns gründlich, für ein verdächtiges Gelichter hält er uns und behält uns im Auge, wie wir jetzt durch das Schiff wandeln, zur Orgel hinaufsteigen, um den Altar herumpirschen, Die Sache selbst ist leidlich in Ordnung, wir ha- ben auch keine Lust mehr, uns mit dem Grobian in ein Gespräch einzulassen, das Nötigste kann von München aus schriftlich gemacht werden — kurz, wir empfehlen uns in dem berühmten unbe- waächten Augenblick, ohne Abschied; aber die schwarze Mappe, die mein heillos vergeßlicher Schwager wieder im Gestühl hat liegen lassen, nehme ich mit, werfe sie, ohne daß ers sieht, hin- ten auf den freien Sitz des Wagens und wir brau- sen los, in voller Fahrt diesmal, auf breiter, glat- ter Straße, in den glühenden Sommertag hinein. Eine halbe Stunde vielleicht sind wir gefahren, da halte ichs nicht mehr aus, ich muß, wenn ich nicht platzen soll, meinen ungeheuern Trumpf aus- spielen und ich frage, so beiläufig, wie mir’s ge- lingt, den aufmerksam Steuernden neben mir, ob er nicht am Ende wieder einmal seine Mappo liegengelassen hätte, Mein Schwager, ohne wei- ter aufzublicken, sagt gleichmütig, indem er ein Bauernfuhrwerk überholt, die Mappe habe er dies- mal gar nicht mit in die Kirche genommen, die liege hinten im Wagen, heute früh wenigstens, davon habe er sich überzeugt, wäre sie noch dort gelegen, Aha, denke ich, der hat was ge- merkt und zahlt dir deinen schlechten Spaß heim. Aber unheimlich wird mir's doch und ich frage ihn noch einmal, dringlicher. Und er, schon etwas unwirsch, sagt, ich solle ihn doch mit der sau- dummen Mappe in Ruhe lassen, Jetzt ist das Erschrecken an mir und ich sage, wenn das wahr ist, dann habe ich, Himmelherr- schaftseiten, die Mappe von dem verdammten Schwarzbart mitgenommen! Mein Schwager lacht häßlich, er fährt an den Straßenrand und zieht die Bremse. Natürlich, jetzt seh ich's auch, es ist nicht unsere Mappe, aber das Mössenzeug sieht sich ja so ähnlich, wie ein Ei dem andern. Wir schauen in die fremde Mappe hinein, Geld ist darin, viel Geld und ein Rech- nungsbogen über vereinnahmte Kirchensteuern, an die tausend Mark. Wenn so ein Abenteuer einen Geschichtenschrei- ber in die Hände fällt, der macht einen Roman draus mit vielen lustigen Verwicklungen und pein- lichen Zwischenfälle. Auch ich hätte nicht übel Lust dazu. Aber ich will bei der Wahrheit blei- ben — der Roman ist uns erspart geblieben. Wir sind auf der Stelle zurückgefahren, bei jedem Ortseingang haben wir schon gedacht, jetzt steht ein Gendarm da oder ein Leiterwagen ist quer über die Straße gestellt, um die flüchtigen Ban- diten aufzuhalten. Aber es ist alles noch gut ge- gangen, wir haben den finsterbleichen Mann ge- rade noch in seinem ersten, ratlosen Schrecken abgefangen, wie er zur Polizei hat gehen wollen. Es ist bei Gott nicht leicht gewesen, ihm klar zu machen, daß es sich um ein Versehen gehandelt hat. Er ist aber dann höflich genug gewesen, so zu tun, als ob er uns glaube. Ja, er hat sogar der Versuchung widerstanden, vor unsern Augen das Geld abzuzählen, ob auch nichts dran fehle. Aber für Hochstapler und \ausgemachte Spitzbuben, die's dann doch mit der Angst gekriegt hätten, hält er uns sicher heute noch. BIERSOIE . VON HANS B. Diese Geschichte hat jeder schon einmal gehört. Hier soll sie aber zum erstenmal erzählt werden, wie sie sich wirklich zugetragen hat, Nach dem Weltkrieg kehrte eine kleine Gruppe Soldaten in Ihr Itallenisches Heimatdorf zurück. Die meisten von ihnen fanden sogleich wieder ihr bescheidenes Fortkommen, aber einer — Mario P., der gasvergiltet worden war und nicht mehr seine alte Leistungsfähigkeit hatte — konnte nicht regelmäßig arbeiten und verfiel mit der Zelt In Armut, Dennoch ließ ihn sein Stolz eine mild- tätige Unterstützung oder Hilfe vonseiten der übrigen Dorfbewohner zurückweisen. Einmal Im Jahr hielten die ehemaligen Kriegsteil- nehmer ein Versammlungsfestessen ab. Bei einer dieser Gelegenheiten trafen sie sich im Heim des Ingenieurs Borsali, der es zu großem Wohlstand gebracht hatte, und der dick und ein wenig prahlerisch geworden war. Borsall ließ unter den Festteilnehmern eine Seltenheit herumgehen, eine große wundervolle Goldmünze, über deren hohes Alter, Seltenheit und Wert er sich wohlgefällig verbreitete. Alle Anwesenden bewunderten sie voll Interesse, während sie um den langen ova- len Tisch herumgereicht wurde, Alle Jedoch hatten reichlich dem Wein zugesprochen und der Raum erdröhnte von ihren in Erinnerungen schwelgen- den Gesprächen, so daß die Goldmünze bald vergessen worden war. Später, als Borsali wieder daran dachte und danach fragte, war die Münze spurlos verschwunden. Sofort erhob sich ein Gewlrr von Fragen und Ver- wahrungen. Endlich schlug der Bürgermeister, der DMUNZE WAGENSEIL auch geladen war, vor, jedermann sollte sich durchsuchen lassen. Sogleich stimmten alle die- sem Vorschlag zu — ausgenommen P. Seine Ka- meraden blickten ihn erstaunt an, „Du welgerst dich also wirklich?” fragte ihn Borsali ungläubig. P. errötete. „Ja“, sagte er. „Ich kann es nicht zu- lassen.” „Bist du dir auch bewußt”, fragte der Eigentümer der Münze, „was deine Weigerung bedeutet?” „Ich habe die Goldmünze nicht gestohlen, und lasse mich nicht durchsuchen”, erwiderte P. Einer nach dem anderen der Gruppe kehrte seine Taschen um. Als die Münze nicht zum Vorschein kam, richtete sich die Aufmerksamkeit erneut auf den armen P. „Sicherlich wirst du nicht auf deiner Weigerung bestehen wollen?“ fragte der Bürgermeister. P. gab keine Antwort. Borsali stapfte ärgerlich aus dem Zimmer. Keiner der Anwesenden sprach mehr ein Wort mit P., und unter den tellnehmen- den Blicken seiner Freunde verließ er mit der ver- Pprügelten Miene eines überführten Verbrechers das Zimmer und ging heim, Von diesem Tage an war P. ein verachteter Mann. Die übrigen Dorfbewohner wandten den Blick weg, wenn sie ihm begegn: . Er geriet in im- mer gröi Armut, und als nicht lange darauf seine Frau starb, wußte niemand genau oder kümmerte sich groß darum, ob dies aus Not oder Scham geschehen war. Einige Jahre später, als der Vorfall mit der Münze fast schon zur Legende geworden war, nahm Borsall einige bauliche Veränderungen In seinem Im tierärztlichen Wartezimmer - Nella stanza d’ aspetto del veterinario Ba ||| | \ nl 1 N INT nIı Im IIND % Eon I N Ir N\ Hause vor. Bei dieser Gelegenheit fand ein Ar- beiter die Goldmünze. Sie war In den Schmutz zwischen zwel Fußbodenbretter des Zimmers ein- gebettet, in dem das Festessen stattgefunden hatte. Wenn Borsali auch manchmal etwas großtuerisch und eitel war, so war er doch auch ein gerecht denkender Mann, und nun er den Beweis von P.s Unschuld in Händen hatte, eilte er, Abbitte zu leisten, Er ging in P.s bescheidene Behausung, berichtete ihm von dem überraschenden Wieder- auftauchen der Münze und bat Ihn aufrichtig we- gen der Verdächtigung um Verzeihung. „Aber", endete er, „du hast doch gewußt, daß man die Goldmünze nicht bei dir finden würde: warum hast du dich dann nicht durchsuchen lassen?” P., abgerissen, mager und vorzeitig gealtert, blickte Borsali aus glanzlosen Augen an. „Weil ich doch ein Dieb war", sagte er stockend. „Selt Wochen hatten Ich und meine Familie nicht satt zu essen. Da stopfte ich meine Taschen voll Brok- ken, die ich vom Tisch genommen hatte, um sie meiner Frau und meinen hungrigen Kindern heim- zubringen.” MEIN FREUND JOHANNES „Denk dir", erzählte Ich, „was Schulzes für ein Pech gehabt haben. Sie hatten sich doch Im Frühjahr ein paar Kaninchen gekauft. Den ganzen Sommer und Herbst über konntest du die Leut- chen herumlaufen und Futter sammeln sehen. Und nun sind sie ihnen weggelaufen. Die ganze Familie ist untröstlich. Jedem klagen sle Ihr Leid. Wie sie an den Kaninchen gehangen hätten, und wie nledlich und zutraulich die schon gewesen wären.” „Sie sagen niedlich und zutraulich und meinen „fett“, sagte Johannes. ). Bleger (Heh. Kloy) "u | ( u I Il | kun Eifersucht (K. Heiligenstaedt) „Wer war der Herr in der Loge, der dich so vertraulich grüßte?" „Bei dem sind wir doch mit Marinaden eingetragen! Gelosia: ‘Chi era quel signore nel palchetto che tl salutava con tanta confidenza?,, “Eh, nol siamo Iscritti da lul pel pesce marinato!,, 119 «DAS STAMMGERICHT VON HERBERT A. LOHLEIN Jeder aus der kleinen, fröhlichen Gesellschaft hatte die stets dankbare Geschichte erzählt, wie er sozusagen am roten Faden des Schicksals zu einer Frau gekommen war. Der Gemischtwaren- händler Pföderl entpuppte sich hierbei als Fata- list, denn — so behauptete er — hätte der Fox von Geheimrat Wiesecke damals nicht an die Finokki-Kiste vor seinem Laden gepinkelt, so hätte er niemals das Fräulein Elsbeih kennengelernt, das den Fox spazierenführte. Dem widersprach der Güteradministrationskanzleiobersekretär Wirr- zabel leidenschaftlich: „Alles Blödsinn!” Es gäbe kein Schicksal, keinen Kaffeesatz, keine Sterne und keinen Zufall. Alles sei Sache des nüchtern technenden und ordnenden Verstandes. Kurz — der Geist herrsche über Körper und alle wandel- baren Dingel Der Buchhalter Zwitscherer, der bislang geschwie- gen hatte, mischte sich jetzt in die Auseinander- setzung: „Gestatten Sie meine Herren, daß ich Pföderl verteidigen mußl Er hat recht: Es gibt tolle Zufällel Wenn ich mit meiner wahren Ge- schichte nicht etwa Ihre ästhetischen Gefühle vor- letzen müßte, würde ich Ihnen den Beweis lie- fern, wie sehr einem manchmal das Schicksal einen Possen spielt und” — hier wandte er sich im Besonderen’ an Wirrzabel — „wie zuweilen der Körper den gutiwilligsten Geist vergewaltigtl” „Raus mit der Geschichtel” — drängten nun alle, aufs höchste interessiert an einer unästhetischen Begebenheit, die vielleicht das geheimnisvolle Dunkel um den schwermütigen Buchhalter Zwit- scherer aufhellen könnte. „Sehen Sie...”, begann Zwitscherer, „ich wäre heute ebenso glücklich verheiratet wie Sie alle, Trost - Conforto mit Hannetrude nämlich, einem netten, hübschen Mädel, das ich vor nicht allzu langer Zeit kennen- lernte — In einer nahe gelegenen Kleinstadt übrigens. Leider hielt sie allzuviel auf das Urteil anderer Leute und legte auf Äußerlichkeiten zu großen Wert. Auch war Ich mit Ihr noch in jenem kritischen Stadium, wo das Herz den Verstand noch nicht besiegt hat. Das Schicksal spielte mir vielmehr gleich am Anfang schon den absonder- lichsten Streich. Ich war eines Abends um sieben bei Hannetrude zur Geburtstagsfeier eingeladen. Knapp nach sechs kam ich aus dem Büro, rannte von der Bahn weg In ein Blumengeschäft, in dem lediglich ein Kaktus und ein paar Araukarientöpfe zu haben wären. Sie werden zugeben, daß. dies keine Blu- men für eine junge, moderne Dame wie Hanne- trude sind. Mein Friseur hatte seln letztes Parfüm vor einigen Tagen verkauft und in den übrigen Geschäften gab es lediglich noch Papierserviet- ten oder Klorollen. So gab ich die Jagd nach einem Geschenk auf und stürzte in das Bahnhof- restaurant, um nicht mit knurrendem Magen zur Geburtstagsfeier zu kommen. Der Tag war in der Tat schicksalhaft für mich, denn hier waren die Fleischgerichte bereits ge- gessen und vom Stammgericht blieb noch eine Mischung von Sauerkraut mit Blaukraut übrig. Na schön — ich schlang in aller Eile das fru- gale Menu hinunter, es lag in vier Vogelnäpfen ausgebreitet und nannte sich Mischgemüse. Als ich das Souper beendet hatte, war es sieben © geworden und höchste Eile. Hannetrude empfing mich im Abendkleid und in strahlender Laune, Voller Vorfreude teilte sie mir mit, daß ihre (0. Hortmann) „Ja — ja —, aber in dem Alter macht's ja noch nix!“ „Non & vero, papä, che la bambina asıcmiglia tutta alla nonna?,, — "Sl...sl.. .ma in questa etä non fa mica nientel,, 120 Schwester zwei Theaterkarten zu einer Premiere im Stadttheater zu verkaufen habe, da sie selbst plötzlich verhindert sei. Man gab die ‚Heilige Jo- hanna’ — ein Ereignis für das kleine Städichen. Wunderbar! entfuhr es mir — denn jetzt war ich doch noch zu einem Geburtstagsgeschenk ge- kommen. Hannetrudes Freude steckte mich an und ich war nun froh, daß ich doch die neuen Lackschuhe angezogen hatte, die mich so fürch- terlich zwickten. Prüfend Üüberflog Hannetrude mein Äußeres, denn, wie ich schon bemerkte, war sie sehr akkurat in allen Dingen guter Le- bensart. Sie schnippte einige Stäubchen von mei- nem Rockrevers und meinte sachlich zu meinem schwarzen Anzug: ‚Wenn Sie ihn gelegentlich wenden lassen, geht er noch ein paarmall’ Und nun komme ich langsam zum Kern meiner Geschichte und insbesondere zur Widerlegung von Wirrzabels Behauptung, der Geist sei Herr über alle Dinge der Materie...” — Zwitscherer holte tief Atem und nahm einen gierigen Schluck aus seinem Glas. Wirrzabel Jedoch, bekannt als rechthaberischer und spöttischer Mensch, erklärte kategorisch: „Ich betrachte Ihren sogenannten Beweis a prior als Blödsinn, denn hier gibt os nichts zu beweisen!" Zwitscherer lächelte mit jenem tragischen Zug um die Mundwinkel, den nur Wissende, Philosophen und Angehörige freier Berufe besitzen. „Die Plätze waren vorzüglich, ganz vorne im Sperrsitz und die Honoratioren des Städtchens liefen sich im Foyer gegenseitig Spießruten, Jedes kannte jeden. Ich war der einzige Fremde. Hannetrude dagegen wurde allseltig begrüßt. Ab und zu trat sie mir auf die Lackschuhe und flüsterte leise: ‚Vernelgen Sie sich — die Frau Geheimrat kommtl‘ Ich verneigte mich denn auch bei jedem Fußtritt ehrerbietig und lächelte verbindlich. Dann läutete es draußen im Foyer. Die Stühle klappten herunter. Das Licht‘ging aus. Beseligt streichelte ich einmal zart und flüchtig über Hannetrudes nächstliegende Hand. ‚Lassen Sie das!" sagte sie eindringlich — ‚hier sitzt man auf dem Tablett!" Ich setzte mich also ebenso steif in Positur wie die übılgen Herren und ver- tröstete mich auf den Nachhauseweg, denn ich wollte an diesem Abend mit Hannetrude zu einem gewissen Abschluß kommen, Der Vorhang hob sich. Die ‚Heilige Johanna’ be- gann. Es war eine weihevolle, spannunggeladene Stille In dem großen Raum. Ich verspürte ein unangenehmes Gefühl, eine Art Alpdrücken, un- ter dem Herzen in der Magengegend. War es die Dramatik des voraneilenden Geschehens oder war es ein innerer Druck — ich halte zuwellen das Gefühl, in einem Lift zu sitzen — kurzum, ich wurde nervös und kribblig, drehte die Dau- men, verschränkte die Arme, nahm sie wieder herunter und zupfte bald hier, bald dort an mel- nem Rock. Hannetrude sah einmal strafend und leise kopfschüttelnd zu mir herüber. Da wurde es nur noch ärger, denn jetzt spürte ich plötz- lich ein heftiges Stechen in der linken unteren Seite des Magens. Es setzte zeitwellig aus, Dann wartete ich nervös, bis es wieder kam. Es kam auch tatsächlich, aber diesmal auf der anderen Seite, Und dann, Teufel nochmal, spürte ich es rechts und links zugleich, schon etwas tiefer. Meine Herren — ich möchte diesen medizinischen Tatbestand nicht mit einem vulgären Wort be- legen, aber ich glaube, daß Sie sich alle schon einmal in einer ähnlich fatalen Lage befunden haben — wenn auch nicht gerade während der Premiere der ‚Heiligen Johanna‘, Diesen abson- derlichen Witz hatte das Schicksal sich nur für mich ausgedacht” Hier unterbrach Pföderl, dem nichts heilig war, Zwitscherer’s Geschichte mit einem lauten Gröh- len: „Ha, ha... Mensch, Bauchweh, was? Kenn Ich! Mischgemüsel Ha—ha—hal" Zwitscherer runzelte die Stirn: „Mir war, weiß aus Frischpflanzen Ber ieken | DR.MADRUS & CO. RADEBEUL/DRESDEN Yan ubsauger Motor reinigt Polstermöbel Iegpichebe leider ai Autositze usw 100 000fach bewährt! = nicht zu v mit früher , billig. 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Die Spannung wuchs ungeheuer — der Theaterhusten setzte bald völlig aus. Eine Stecknadel hätte man fallen hören können! Und nun geben Sie acht, meine Herren: In diese Stille hinein zirpte mein Innenleben plötzlich leise wie die Winde des Zephyr: ‚Wuwiewünui— düdlüt—krrr. .." — Sie werden verstehen, daß mir langsam schwül wurde, Ich rückte auf meinem Sitz hin und her Zugegeben: Manche Stellen aus der ‚Heiligen Johanna’ sind miı völlig entgangen, Ich sugge- rierte mir Inbrünstig: ‚Es geht alles vorüber...‘, aber richtig erschrak ich erst, als es plötzlich aufdringlich aus meinem Innern in einer Art Bauchrednersprache dröhnte: ‚Rogl—rogl—gugi— hugl—lüt—witt—witt—ziep ...” Jetzt waren unvermeldlicherweise auch Hanne- trude und die Nächstsitzenden um mich herum aufmerksam geworden. Ich sah deutlich, wie Hannetrude empört zu mir herüberschielte und nervös Ihr Handtäschchen umkrallte. Ich begann zu schwitzen — natürlich können Sie auch darüber leicht lachen, aber machen Sie das einmal wirk- lich mitl! Gottseidank, es waren dann ein paar Sekunden Ruhe. Bis — na ja, bis ich dann zum Orchester für die ‚Heilige Johanna’ wurdel Kennen Sie die Stelle, wo der Inquisitor aufsteht und... aber las- sen Sie mich vorerst weiter berichten: Ich verfluchte alle Stammgerichte der Welt, denn a ge | | jetzt platzte ich förmlich in die verhaltene, dra matische Stille hinein: ‚rummwummschru—krr-— wumm—swief...‘ Der letzte Ton endete in Moll. Wenn Sie schon einmal in einer Bauernkegelbahn das Umfallen aller Neune beobachtet haben, so hörte sich mein musikalischer Exzeß an. Ich be- gann Blut zu schwitzen. Ja, der Schweiß sickerte mir aus allen Poren in die gestärkte Hemdbrust hinunter und der Stehkragen hing mir wie ein zermanischtes Treibsegel um den Hals. Dazu hatte Ich eiskalte Hände und glühende Ohren. Na, ich kann Ihnen nur sagen: Not lehrt beten! Ich opferte Im Geist dem zuständigen Heiligen rie- sige Kerzen, gedachte Waisenhäuser zu stiften oder mich stundenlang auf spitzen Scheitern zu kasteien. Dazwischen hinein fluchte ich auf Sauer- kraut und alles Krauı von Stammgerichten.“ In einer Art peinvoller Rückerinnerung fuhr sich Zwitscherer über die Stirm und fuhr mit heiserer Stimme fort: „Und jetzt also kam jene Stelle, die Unheimliche Schatten auf der Mattscheibe Bei der Rückkehr von einer Reise fand Meisterdetektiv Styx auf sei- nem Schreibtisch einen Brief vor. Er war in großer Erregung geschrie- ben. Zum Schluß hieß es: „Wöh- rend unserer Abwesenheit muß ein Fremder in die Wohnung kommen. Wir erkennen es am Verbrouch des elektrischen Lichtes. Bei der letzten Stromrechnung wurde uns vor dem Riesenbetrag_schwindlig. Schreck- lich, dieses Gefühl! Ist ein Ver- brechen gerlanıt Auf den Matt- scheiben der Türen glauben wir un- ‚heimliche Schatten zu sehen. Kom- men Sie schnell, helfen Sie uns!” Bald dorauf läutete Styx an der Wohnungstür des Briefschreibers. Mon öffnete. Mehrere Personen, dos hilfesuchende Ehepaar und seine drei Töchter, standen in der Diele. Alle machten sie einen stark verängstigten Eindruck. Dirndi-, Trachten-, Dekorations-, Bezugs-Stoffe Aus eigener Erzeugung Bäuerlicher Hausrat München on der Hauptpost, Residenzstraße 3, Tetefon 24305 Ist heute rar! Wirkt wunderbar. DochmachDirklar, Auch (Ulecak KRONEN- KRAWATTEN-FABRIK GUSTAV Blitzschnell stieß Styx die Rechte vor. In ihr blitzte es auf. „Hände hoch!” Die Anwesenden rissen die Arme aufwärts, als griffen sie in einer Stroßenbahnkurve nach den Halte- gurten. „Erschrecken Sie nicht!" beruhigte Styx. „Kein Schießeisen, nur meine Tabakspfeife. Ich bin Styx.“ Der Hausherr hatte sich zuerst ge- faßt. „Ich muß schon sagen, Heır Styx,” stammelte er, „Ihre Einfüh- rung ist eigenartig. Styx lächelte. „Ich wollte Sie nur an Maßnahmen hindern,“ meinte er, „die Ihre Zimmer und damit den Beweis verdunkeln konnten.” Domit ging er zum elektrischen Stromzähler.Sorgfältig untersuchte er ihn. Dann durchschritt er die Zimmer. „Habe mir's gedacht,” sagte er, „in allen Räumen Fest- beleuchtung! Kronenmitacht, zehn, zwölfBirnen, dreiTischlampen, eine Klavierampel! Kein Wunder, daß die Uhr Ihres Stromzählers den Drehwurm hat und daß Sie Kauf- hausstromrechnungen zahlen müs- sen! Wissen Sie, wer sich in Ihre Wohnung eingeschlichen hat?“ „Wer denn?” kam es hastig wie aus einem Munde. „Kohlenklau! Wo Kohle, Gas Und Strom verplempert werden, sitzt er auf dem Zählerzeiger und fährt Karussell. Wozu muß, sich iedes Familienmitglied in seinem eigenen Zimmer mit Vielfraßkron- leuchterverkrümeln#Setzen Sie sich um den gemütlichen Familientisch, begnügen Sie sich mit einer Ge- meinschaftslampe! Sind die übri- gen Zimmer dunkel, werden Sie auch keine Schatten mehr auf der Mattscheibe sehen.” DE UND DAS SIEBENECK @ SIND WELTMARKEN FÜR 30jähr.wissenschaftliche und praktische Erfahrung steht. MERZ & CO. CHEM. FABR. FRANKFURT A.M. LONISIE 1B IEIRILUN in selbstverstöndliches Gebot Mon reich VELVETA so uch hr r aufs Brot. wmeckt sehr gut, ge nicht nur „zur Not”t - paßt sich Ihr Füllhalter der I nönsschrifl an, > denn sie ist besonders dünnflüssig und dobei lorbstark, die bewährte Vf Fällhalter-Tinde FILTER Gefillerter Rauch Reiner Genuß ich vorhin erwähnte: Der Großinquisitor stand auf und richtete an die ‚Heilige Johanna’ die Frage ‚Und wer sagt dir, daß du im Recht bist?" — Da antwortet die ‚Hellige Jchanna', und diese Stelle bleibt mir ewig unvergessen: Meine inneren Stimmen! Im gleichen Augenblick dröhnt es aus mir bis hin- auf zum 1. Rang und hinaus auf die Bühne: , rump! — humpl— wugl— rugl — jÜÜ— tsil—fftl" Eine ganze Tonleiter! Alles wurde unruhig, quliekste zuweilen da und dort, ja — ich sehe noch den Großinquisitor, wie er das Lachen verbeißt, schluckt und druckt — ersparen Sie mir das wei tere: Ich habe, um es kurz zu sagen, die ganze Vorstellung umgeschmissen! Einige kicherten ganz offen und hinter mir schneuzte sich Jemand durch die Nase. Hannetrude aber saß, mühsam be- herrscht und weiß wie Käse im Fauteuil. Ich sel- ber war einer Ohnmacht nahe, ich hielt fieberhaft m meiden und rundherum schwankten die Ränge. als ob sie sich vor Lachen schüttellen. Ist es nicht paradox, daß zuweilen die unsagbaren Dinge am lautesten reden?! Endlich flammten die Kronleuchter wieder auf. Ich schwebie wie ein Fesselballon zur Tür. Die ‚Hei lige Johanna’ wurde beinahe zur Nebensache, während ich für Minuten zum Star dieses Abends aufrückte. Heute weiß ich, wie einer Dynamit patrone vor dem Platzen zumute Ist! Bleich und abgekampft sage Ich an der Logen- tür: ‚Trudhanne .. * — in der Aufregung verwech- selte ich ihren Vornamen — ‚Trudhanne ich komme gleich wieder... .nur bitte einen Augen blick!" Hannetrude aber maß mich mit einem unsäglich verachtungsvollen Blick und zischte mir noch ent- gegen: ‚Sie sind ja ein unmöglicher Menschl! Gehen Siel’ wumm...‘ — aber diese letzte Bauchrede ging Gottseidank im Foyerlärm unter. Wie aus einem Nebel hörte ich noch von weither Stimmen: ‚Guck mal... hier ist doch der ulkige Mensch mit der inneren Stimme..." Es bleibt weiter nichts mehr zu berichten als der Tragikomödie letzter Schluß; Ich habe Hanne: trude nie wieder gesehen. Sie war und blieb ver- schwunden. Und dies alles wegen einer Portion Stammgerlichti So... und jetzt, meine Herten — urteilen Sie selbst: Wo ist nun hier die Macht des Geistes über den Körper geblieben, he?" Der Güteradministrationskanzleiobersekretär Wirr- zabel, ein rechthaberischer und spöttischer Mensch, schlug sich auf die Schenkel und pol- terte eine dröhnende Lache heraus: „Alles Blöd- sinn — nicht der geringste Beweis — wären Sie eben in die Oper gegangen, dann hätte kein den Atem an, um neue Bauchrednerkünste zu ver- Es machte noch einmal: Viel Laufen und Stehen ermödet ie Beine und laßt vie anschwellen Ver michen Sie mal die Beine nachts um 30 am höher zu legen! IMUNCHEN, ‚SCHAFFLERSTR. 1 Erst die Front dann die Heimat 0.10 m/m sammler, verlangt kontenlor die „HANSA-POST" u. achrit, Freude mach! und Werte schafft. Max Horbst,Markenhi..Hamburg36/813 Ankauf von Sammlungen Den FON beim Hoartrocknen et- wosvomKopfantkernthalten,ver meidet das Festsetzen von Haar teilen und apart Reparaturen. electa.oEs SANITAS BERLIN NW VANDYKE Zeichen: u Rouen, Slifle RADIERGUMMI Das Gütezeichen für Wunderfam ee 8 .& Kossäck d. 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Kurz: wenn eine Dame sehr oft darauf angesprochen wird, ob ihr Hund echt sei, ist die Dame meist nicht ganz echt. Andererseits gibt es Nachbarhunde. Die können sich nicht riechen, deshalb, wenn sie sich sehen, bellen sie sich an. Und die p. t. Besitzer bellen mit. Sie beleidigen ihre gegenseltigen Hunde (als „Köter‘“ oder „Töle”) und nehmen es sich gegenseitig übel und grüßen sich nicht mehr. Kurz, es ist mit den Hunden wie mit den Ozea- nen: sie verbinden, aber sie trennen auch. „Vorsichtig! Bissiger Hund!” steht häufig neben dem Namen des Besitzers am Gartentor. Mit die- sen Hunden ist es wie mit dem Gewissen man- cher Leute: das wird auch von ihnen gerühmt wegen seiner Wachsamkeit und seiner empfind- lichen Gewissensbisse, und wenn man näher zu- sieht, ist es gar nicht da, Wie Philosophen wirken die Teckel. Sie verste- hen ihr Fell, von dem sie offenbar zuviel anhaben, über der Stirn In gedankenreiche Falten zu legen und — wer sie ruft, merkt das — haben eigene abweichende Auffassungen — die aber keiner so leicht versteht — wie Philosophen. Über wald- gerechte Vorstehhunde, kurzangebundene Polizel- hunde usw, erkundige man sich bei den zustän- digen Stellen. Wer Standesunterschiede sehen will, muß einen Barsoi — schmal, wie eine Segelyacht und hoch- mütig wie die Tochter ihres Besitzers — Im, sa- gen wir, Gespräch mit einem gewöhnlichen Stra- Benhund beobachten. Er schnüffelt nicht zurück. Er sieht gar nicht hin. Er trägt einen Hochmut mit sich, der gar nicht ahnt, wie er den knurten- den Neid der ganzen Hundewelt-gegen sich aufbringt. Aber hübsch ist es doch, wenn der Herr, der Ihn führt, oder gar die Dame, auch zu ihm paßt, Nero, eine große, gefleckte Dogge, verkörperte den Typ eines diplomatischen Hundes: repräsen- tativ und exclusiv. Sein Herr, zweiter Sekretär an der Gesandtschaft, war ein kleiner Grande, leb- haft, aber gemessen, dunkelrasiert, weder der Schönste noch der Klügste, aber betont exterri- torial und umgeben von dem Selbstbewußtsein des ganz jungen Diplomaten auf dem ersten Aus- landsposten. Wenn er neben Nero daherschritt, mochte er die Einen an den kleinen Prinzen Karl von England neben der großen Dogge auf dem Bild von van Dyck erinnern, die Anderen gar an einen soeben vom Pferd gestiegenen Vetter von Napoleon. Eines Tages nun mußte ein Bürger jenes Staats — es war ein kleiner, sehr demokratischer Staat, wo jeder den Nachbarn auf strikte Innehaltung der Freiheit kontrollierte — sehen, wie bei einem solchen Spaziergang Nero, der Diplomatenhund — mitten auf dem Bürgersteig, auf dem „Boule- vard der Freiheit‘ —, gegenüber dem Bürger- park, unter den Augen der Freiheitsstatue —, also wie der Hund... Zum Glück ist dies eine Kurzgeschichte und kein Epos, sonst müßte hier der schwer auszudrük- kende Vorgang geschildert werden und man müßte plastisch den Grund der Empörung des Bürgers beschreiben, die unbeschreiblich war. „Auf freier Straßel”, kochte es in ihm. „Wenn schon kleine Hunde, aber Hunde, die Ochsen gleichen... Wenn schon unsere Hunde, aber fremde Hunde... Wenn nun Leute kommen, die das sehen, oder gar leute kommen, die das nicht rechtzeitig sehen...” Er trat auf den kleinen Grande zu: „Ist das Ihr Hund?” VON SCHLEHDORN „Ja.“ Nero stand dabei, mit anmaßend unbefan- genem Ausdruck, wie ein Agent des Secret Ser- vice, der seine Hinterlistige Aufgabe erledigt hat. „Was haben Sie zu dem Verhalten Ihres Hundes zu sagen?” „Ach so... Bedauerlich, aber keine grande Chose.” „Im Gegenteil, mein Herr. Hier auf der freien Straße unseres freien Staates...” Der kleine Grande mußte lachen, soviel Grund- sätzlichkeit war er beruflich nicht gewöhnt: „Der Hund hat sich leider die Freiheit genommen.” Das hätte er nicht sagen sollen. „Halt! rief der Bürger, „Sie haben unseren Staat beleidigt. Ich ersuche um den Namen.” „Der Hund heißt Nero.” Nero hörte seinen Namen und bekam gefährliche Augen. Der Bürger wich zurück: „Folgen Sie mir zur Polizeil” (An der Ecke stand ein Hüter des Gesetzes, aber mit dem Rücken zu dem empörenden Vorgang.) In diesem Augenblick war der legationssekretär schon vor seiner Gesandtschaft angelangt. „Hier ist meine Polizei”, sagte er und nahm so- zusagen das Asylrecht seiner Gesandtschaft in Anspruch. Nero folgte ihm mit einem halben Blick zu dem Ankläger auf gleichmütigen Pfoten in das Portal. Der Bürger blieb zurück. Er hatte freie Zeit und ließ deshalb seinem freiheitlichen Zorn freien Lauf. „Die diplomatischen Beziehungen müssen abge- brochen werden“, forderte er von dem Minister, bei dem er „in dringender Angelegenheit” ein- gedrungen war, Der meinte, soweit wolle er nicht gern gehen. Dem anwesenden Referenten der Rechtsabteilung drängten sich die Fragen auf, wie man dem Hund die Pässe zustellen könne, ob man dem Hund sein Placet oder Exequatur entziehen könne, In- wieweit der Hund überhaupt exterritorial sei (als Hund des Gesandtschaftsarztes oder -predigers wäre er es zweifellos nicht gewesen.) „Dann muß ein Notenwechsel erfolgen“, beharrte der erzürnte Bürger, „andernfalls“, drohte er, „andernfalls wird das, was der Hund gemacht hat und das, was der Außenminister versäumt hat, morgen zusammen in den Spalten der ‚Freien Tri- büne‘ zu finden sein.” Was sollte der Minister tun? Seine Note war lang, nicht zu scharf, aber wür- dig, und schloß mit dem ernsthaften Hinweis, +, daß die Regierung unseres Freien Staates Äußerungen, wie sie ein Mitglied der von Ew. Excellenz geleiteten Gesandischaft der öffent- lichen Demarche seines Hundes folgen zu las- sen sich bewogen gefunden, hinnehmen zu sol- len nicht verantworten zu können sich be- wußt ist. Genehmigen Sie ..., usw. Es folgten drei Tage der Spannung. Endlich kam die Antwort. Sie befriedigte nicht voll, aber sie gab genügende Genugtuung und endete mit den Worten: „Im übrigen wird Verständnis dafür erwartet werden dürfen, daß es undurchführbar ist, Hunde mit unbedingt vollkommenen Anweisun- gen zu versehen und für deren Durchführung absolut zu garantieren, — surtout dans une quo- stion si dölicate. Indem ich die Versicherung meiner vollkom- menen Hochschätzung erneuere usw. Nero hat es nicht mehr zu Zwischenfällen auf der Straße kommen lassen, denn der Legationssekre- tär wurde bald darauf nach Montevideo versetzt, Der Vorgang ist in Sonderakten — Hunde B.) aus- ländische, 1.) diplomatische. b) inkorrektes Ver- halten derselben — beim Außenministerium je- nes Staates abgelegt. Womit wieder bewiesen ist: 1. Daß mehr Akten durch unkorrektes als durch korrektes Verhalten entstehen. 2. Daß es nicht nur diverse Rassen, Klassen und Charaktere von Hunden gibt, son- dern neben solchen, die den Menschen helfen, einander zu finden, auch ‚solche, die Zwischen- fälle säen. Man vergesse nie, daß Mephisto beim Osterspaziergang als Pudel auftrat. 3. „Aber“, so erklärte der Minister dem wieder beruhigten Bür- ger: „Wenn die Menschen so verschieden wären wie z. B. ein Bernhardiner, ein Teckel und ein Mops, ein Pointer, ein Pinscher und ein Pudel, so wäre ein diplomatischer Verkehr unmöglich. Aber erfreulicherweise sind alle Menschen gleich.” ' LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Otto erhielt einen unfrankierten Brief. Er war von einem Bekannten. „Mir geht es gut”, stand darin, „meiner Frau geht es gut, den Kindern geht es gut, Laß es dir auch gut gehen. Till.” Wütend blechte Otto die Nachgebühr. Dann ging er in den Garten. Packte einen großen Stein und verpackte ihn. Unfrankiert — Porto zahlt der Empfänger — schickte er ihn Till. Dazu legte er einen Brief. Darin stand: „Dieser mächtige Stein fiel mir vom Herzen, als ich las, daß es dir gut geht. Otto.” J.H.R. * Ich habe eine neue Sekretärin. Sie ist nicht der schnellsten eine. Heute diktierte ich ihr einen 124 kurzen Brief. Sie kam und kam nicht wieder. Nervös läutete ich. „Wo bleiben Sie denn so lange?” „Ich habe den Brief getippt!” „Getippt! Ich nahm an, Sie sticken Ihn aus und versehen ihn mit einem Hohlsaumrändchen!" J.H.R. * „Mir imponiert so a Doktor net!” sagie dieser Tage Herr Wrtilek zu mir, „was einem der der- zählt, das waas unserans eh alles!” „Na, na, na —”, meinte Ich, „so ist das wieder nicht, Herr Wrtilek, Es gehört immerhin ein lang- jähriges Studium und die entsprechende Praxis dazu —" „Hör'n S’ mir damit aufl” unterbrach mich Herr Wrtilek. „Studium! Praxis! Daß i net lach! Da wir I Ihna glei was derzählen, damit’s sehn, daß des alles nur a Mumpitz is! Vorgestern kommt mir auf der Straßen der Doktor Griabler entgegen und sagt zu mir: Gut, daß ich Sie einmal treffe, Herr «Wirtilek, ich wollte Ihnen nämlich schon längst sagen, daß mir Ihre Frau Gemahlin nicht gefällt!” „Nun”, sagte Ich, „das ist doch schön von ihm, Sie aufmerksam zu machen!” „Was, aufmerksam machen? Auf was denn?“ brummte Herr Wrtilek gereizt. „Dazua brauch i kan Doktor netl Oder glauben Sie vielleicht aa, daß mir g’fallen tuat?” H.K.B. (R. Krlesch) „Gibt man einem Mann nicht nach, so läuft er gleich mit einer anderen! „Ja, ja, diesen Zeitpunkt darf man eben nicht verpassen!‘ Tattica: ‘Se non sicede ad un vomo, egli va subito da un’ altra!,, — **Glä, glä; questo momento non bisogna lasciarselo sfuggire!,, 125 (foni Bicht) P In Berlin an der Spree - A Berlino sulla Sprea RI nn Er ee OREST RETTET EIN MÄDCHEN Es war einmall Diesen märchenhaften Anfang wähle ich bewußt, denn ich kann mich nicht ver- bürgen, daß diese Geschichte wahr ist. In Hamburg an der Elbe war es. Gleich hinter der Reeperbahn. Gleich hinter dem großen Was- ser. Dort, wo die gelbe Elbe breiter und breiter wird und keine Brücke mehr die beiden Ufer mit- einander verbindet, Dort stand am Kal ein Junges Mädchen und starrto finster Ins Wasser. „Berrel“, machte sie, „Brerml Brerel” Wenn Menschen allein sind, stoßen sie nur Töne aus, Mit Worten hätte sich das Mädchen ungefähr so ausgedrückt: „Kinder! Kinderl Ist das Wasser kalt und graus- lich! Wenn ich noch’elnen Ausweg wüßte — aber Ich weiß keinen Ausweg — mir bleiben noch zehn Stunden — dann muß es sein — hätte Ich doch nicht! $o eine verdammte Dummheit“ Nun kam ein netter junger Mann des Kais da- her. Orest hieß er und sah aus, wie ein junger Zeus. „Ahoil” riet er, als er das Mädchen sah. Das Mädchen fuhr aus selnen Sinnen. Die Laterne warf Ihren Schein auf sie, Ein traumhaftes Gesicht! Blaue Augen, Blonde Haare. Ein roter Mund, „Mich schauertl” sagte das Mädchen. „Vor mir?" fragte Orest. „O nein! Vor dem Wasser da unten!” „Was kümmert dich das Wasser? Komm, laß uns gehen!” „Das Ist nur ein Aufschubl” „Ein Aufschub?” v Verantwortl. Schrifti alte Buchhandlunger gültig ab 15. Okt. 1941, und Druck: Hirth Kommanditgesollschaft, Münchor VON JO HANNS ROSLER „Morgen früh stürze ich mich hinein!“ Orest dachte, das gibt sich. Aber es gab sich nicht, Drei Stunden redete er schon auf das Mädchen ein. Jetzt küßte er sie gar. „Liebst du mich?” „Ich liebe dich, Orest!” „Bleibst du bei mir?” „Bis morgen frühl” „Und dann?” „Stürze Ich mich In die Elbel” „So eine Dummheit“ f Orest zormig. „Du bist Jung, du bist hübsch! Die Männer verzehren sich nach dir — warum sollen dich die Fische ver- zehren?” Das junge Mödchen seufzte: „Es muß sein. Ich kann nicht anders.” Orest griff sich an den Kopf. Wohin hätte er sich auch sonst greifen sollen Uber so viel Unvernunft! Tausend schöne Worte fielen Ihm ein. „Ich werde dich heiraten!” rief er, „ich bin reich, Ich bin ledig, ich liebe dich! Du sollst die schön- sten Klelder haben! Jede Woche gehen wir ein- mal ins Kinol Und Kinder bekommst du, wieviele du willst! Alle zwei Jahre mindestens dreil Deine Kinder werden weiße Kleider tragen. Mit himmel- blauen Schleifen! Wir nennen sie nach dem ABC: Anna, Bella, Cora, Dida, Eva die Mädchen, Fritz, Georg, Hans, Jürgen und Karlemann die Jungens! Und jeden Sonntag gibt es Schnitzell Mit Kar- toffelsalatl Na, was sagst du jetzt?“ „Wunderbar!“ dx r 30 Pt.; Abonner r Straße 80 (Feinrut 1296). Brio „Na alsol" x „Hast du auch eine Wohnung?” „Eine Wohnung? Eine ganze Etagel Ein Hausl” „Ein Haus?“ „Es hat drei Zimmei „Und einen Garten?” Orest nickte: „So groß, daß man von hüben nicht drüben über den Zaun spucken kanni” Da fiel ihm das Mädchen sellg um den Hals und küßte ihn, daß die Laterne schwankte, Orest schnaufte auf, Der Selbstmord war verhindert, Gottseidankl „Bist du jetzt vernünftig?" ‚Ja, Orest.” „Wir helraten?” „Wit heiraten!” „Dann brauchst du dich also morgen früh nicht —?”" „Doch. Morgen früh stürze ich mich in die Elbel” „Das Ist Ja heller Wahnsinn!” „Warum Orest?" „Du kannst doch nur heiraten oder dich ins Was- ser stürzen! Entweder das eine oder das andere?” „Nein. Eines nach dem anderen!” „Das verstehe, wer will” Das Junge, hübsche Mädchen schmiegte sich zärt- lich an Orest. „Sieh, Oresti” sagte sie, „mir bleibt kein anderer Ausweg. Ich muß mich morgen früh in die Elbe stürzen. Ich bin nämlich heißer Favorlt des Schwimmklubs ‚Verkühle dich täglich!‘ und wir haben morgen früh Schauschwimmen quer durch Hamburg.” nschrift: München 2 BZ, Brleffach. us erscheint wöchentlic Bestellungen nehmen RM. 1 Anzeigenpreise nach Preisliste Nr.7 ’onischeckkonio München 5920. Erfüllungsort München. Von Wölfen verfolgt (0. Nückel) Inseguito dai lupi 127 Jagd nach Kanonenfutter ke. Tony) „Mit uns wollt Ihr Eure Feinde schlagen? Nehmt doch die Peitsche, mit der habt Ihr meinen Großvater erschlagen!" Caccia di carne da cannone: "Con noi...Vol volete abbattere i Vostri nemici? Ma prendete la sferza, con cui batteste a morte Il nostrononno!,, 128 München, 3. März 1943 48.Jahrgang/ Nummer 9 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN Roosevelt und der Bolschewismus {Erich Sehltling) „Meine geliebten Europäer, Ihr seht, dieses Tierchen ist vollkommen zahm und lieb, Ihr könnt Euch ruhig seinem Schutze anvertrauen, es wird Euch dann sicher den ewigen Frieden bringen!" Roosevelt ed il bolscevismo: “Mliei amati Europel, Vol yedete, questo animaluccio & giä affatto domestico e carino. Polete affidarvi alla sua egida; esso pol Vi porterä ceriamente la pace eternal,. Entschuldigung - Scusa (Magon) „Wie, nach fünfzigjähriger Ehe finden Sie plötzlich andere Frauen hübscher als die Ihre?" „Nicht plötzlich, Herr Doktor, schon selt neunundvlerzig Jahren!" “Come, dopo eInquant' ann] di matrImonlo trovate d’ Improwviso che altre donne sono plö graziose della Vostra?,, "Non d' Improwiso, signor Dottore, ma gl& da quarantanove anni!, ATELIERBESUCH VON WALTER FOITZICK Wenn man zu einem Schuhmacher In die Werk- stalt geht, oder zu einem Schneider, und dort sieht, was er Neues gemacht hat, dann wird jeder nach seinem Geschmack sagen: „Ah, das gefällt mir aber ausgezeichnet, und, sieh mal her, Elly, wie elegant das abgesteppt Ist, genau wie bei der Dame neulich In Garmisch.” Ja, das Ist eine ganz einfache Sache. Aber so ein Besuch Im Atelierl Wer getraut sich da, frisch von der Leber weg zu reden? Unmöglich Ist es schon, zu sagen: „...genau so wie damals bei Professor X.”, neln, das geht nicht, auch wenn so ein Bild In ähnlicher Welse abgesteppt Ist. Sagen darf man’s nicht. Wir Atellerbesucher stehen also Im Halbkreis um die Staffelel herum, auf die der Meister der Reihe nach seine neuesten Werke aufbaut. Wir über- legen, was man wohl Kluges sagen könnte, was nicht übelgenommen wird. Hier könnte einer einwerfen, warum man nicht einfach ausruft: „Prächtig” oder „O wie schön” oder „Nein, wie natürlich”. Dieser Mann ist schief gewickelt, mit so hellem Kinderjubel geht das nicht, auch nicht mit vor Freude und sellgem Er- staunen Indiehändeklatschen. Sowas können Sie bel Obst und Südfrüchten machen, aber nicht bei Landschaften in Ol oder Speerträgern In Bronze. Bel so etwas gibt es ein bestimmtes Zeremonlell, sen Grundton scheue Zurückhaltung ist. Den wenigsten wird es gelingen, schlagartige Ergrif- fenhelt zu zeigen. Dazu gehörte viel Ubung. Ein Lale sollte sich gar nicht darauf einlassen. * Sehr gut wirkt es, seine Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Bild zu konzentrieren und es immer wieder hervorzuholen und schwelgend zu be- trachten. Das zeugt von persönlichem Geschmack, um so mehr, wenn es kein Hauptwerk, sondern eine nebensächliche Arbeit Ist. Auch der Meister wird das verzeihen oder anerkennen. Bel Geübteren habe ich festgestellt, daß sie an ein Kunstwerk herantreten und eine bedeutungs- lose Stelle im Bilde vage mit breitem Daumen (nicht mit dem Zeigefinger!) umfahren und sagen: „Diese Partie finde ich besonders gut.” Doch das muß man schon öfter gesehen haben, um es gut nachmachen zu können. DIE SPEISEKARTE In einer rückwärtigen Ruhestellung verwalteten zwei ältere bereits kampferprobte Obergefreite, der besonnene Paul und der fast Immer zu Spaß aufgelegte Willy mit Umsicht und Hingabe eine kleine Kantine. Die Bude war neu aufgestellt wor- den und die beiden hatten Innen alles sauber hergerichtet und sich auch eine Theke zusammen- gezimmert. Stolz betrachteten Paul und Willy ihre Wiıkungsstätte und gewissenhaft musterten sie ihre Lagerbestände an Limonade, Bier und was sonst noch vorhanden war. Außerdem brachten die durch den Vormarsch bedingten Notschlach- tungen an Vieh es mit sich, daß Ihnen von einem Metzgerelzug manchmal auch Würstchen zum bil- ligen Verkauf zur Verfügung gestellt werden konnten und Willy schrieb deshalb auf eine große Tafel mit schön verschnörkelten Buchstaben hin: „Fleisch von allen Tieren.” a „Du wirst mit deinen Albernheiten noch in Teu- fels Küche kommen”, mahnte der besonnene Paul, aber Willy winkte nur großartig ab: „Laß man, Paule, mir kann so leicht keinerl” Wie wenn nun "Keckheit gleich auf die Probe gestellt werden sollte, ging die TUr auf und herein kam Max, gleichfalls ein gewiegter Landser, der bestimmt nicht auf den Kopf ge- fallen war. Max brummte ein kurzes „Servus“, betrachtete die Bude genau, nickte anerkennend und während er sich auf eine Bank setzte, sah er das herausfordernde und vielversprech« Pla- kat von Willy. Max las andächtig und laut: „Fleisch von allen Tieren? so-hm-so-s0?” „Jawoll”, sagte darauf kühn Willy. 130 „So, alsdann, was kannst du mir nachher am besten empfehlen, Willy?“ Willy wedelte mit einem alten Küchentuch wie ein gelernter Ober und meinte so ganz neben- bei: „Vielleicht nehmen der Herr ein schönes Stück Walfisch mit gelben Erbsen?|“ „Ausgerechnet mit gelben Erbsen?” „Jawoll, Walfisch kann man nur mit gelben Erbsen essen!” „Das Ist aber schad, gelbe Erbsen vertrage ich nämlich schlecht!”, sagte nun Max absichtlich langsam und betont gedehnt, weil er sich fleber- haft auf einen Ulk besinnen mußte, „aber“, meinte er weiter, „ich hätte dagegen sehr gerne eine Scheibe Elefantenrüssell” „Nur eine Scheibe?“ ... „Jawohl, nur eine Schelb: Darauf wedelte Willy nochmals mit seiner ele- gänten Serviette, er hatte das sicher vorher eln- studiert, und sagte dann bedauernd zu Max: „Das geht leider nicht, denn wegen einer einzigen Scheibe schneiden wir jetzt nicht extra einen ganzen Elefanten an” K. Vetter BANK DER GREISE Nun eo wieder märzlich It und die Wiederkehr des Alten freudig halb, halb fchmerzlich in - mie {ft doch der Menfch gefpaltent -, wollen mir uns ohne Härmen dankbar In der Sonne wärmen. Denn, gottlob, wir leben noch. Um die grünbemooften Afte, füberfarben, fchweben noch Träume... Und das If das Befte in den Tagen, da co apert, menn’s mit den Pedalen hapert. Gönnt eo uno, daß mir zu zwei'n oder drei'n beifammen hacken, ftumm vertieft ins pure Sein, und, bemehrt mit dicken Socken, hinterm Haus im Rillen Garten auf Öle Mittagsluppe warten. Ratatöchr Alexander kommandiert (E. Thöny) RETTET TCTTREDTEETETETLET ET „Montgomery wieder etwas vortreten, Eisenhower mehr zurück, Sie stehen da, als ob Sie noch was zu reden hätten!" Alexander comanda: “Montgomery, di nuovo un po’ avanti! Voi, Eisenhower, piö Indietro! State la come se aveste a dire ancora qualcosal,, 131 Casablanca in Hollywood ilheim Schul) GESUNGEN SEITHER STERN N NER „Den Hauptdarsteller für die Rolle Roosevelts hätten wir nun, jetzt fehlt uns nur noch ein Darsteller für Churchill!“ — „Für ihn können wir ja einen Komparsen nehmen, die Rolle ist nicht wichtig!“ Casablanca in Hollywood: “Ebbene Il protagonista per la parte di Roosevelt glä I’ avremmo; adesso non cl manca che un attore per Churchilil,, — "Ah per lul pol possiamo prendere una comparsa; la parte non & Importante!,, 132 LEGENDE VON A. WISBECK „Das hätte dein Ahn, der General, erleben müs- sen!” konnte ich schon als Kind alltäglich hören, wenn ich mich im Dunkeln fürchtete. Ja, dieser General Pankratius Weinzierl! Ich glaubte Ihn zu sehen, wie er auf feurigem Roß dahinstürmte, wie die Kanonenkugeln um ihn einschlugen, wie er, allen voraus, Feind um Feind niedersäbelte. Ein stärker, riesengroßer Mann, wurde erzählt, der als galanter Kavalier in den Salons schöner Frauen nicht weniger, wie im Getümmel der Reiter- schlacht seinen Mann stellte, Schon im Alter von fünfunddreißig Jahren sollte er dank seiner Tapfer- keit in der Schlacht bei Hohenlinden den Rang eines bayerischen Kavallerle-Generals erreicht haben. Aus seinem Leben erzählte man sich viele abenteuerliche Geschichten: Wie er die Schloß- treppe hinaufgeritten war, seine Braut auf das Pferd hob und lachend davonsprengte, wie er ein anderes Mal in bitterer Winterkälte auf sel- nem Berberhengst die Donau durchschwommen hatte, um zu einem nächtlichen Stelldichein zu gelangen, wie er, an der Sattelgurt hängend, vom galoppierenden Pferde aus die Haarschleife einer Dame vom Boden hob. „Mit der Hand bog er die Hufeisen seiner Pferde zurecht”, wußte Onkel Paul zu berichten. „Und seine Haare pflegte er auch besser als dul”, mäkelte Tante Anna mit einem mißbilligenden Blick auf meinen zerzausten Haarschopf. „Und dieser Junge da, der sich im Dunkeln fürch- tet, ist nun sein Abkömmling!’” murmelte mein Vater. Bitterkeit und Wehmut zugleich bebien in seiner Stimme, „Nun ja, zum General wirst du es wohl nicht im Leben bringen, aber wenn du auch nur die Note Ill im Rechnen erreichst, will ich schon zufrieden mit dir sein!“ — Allmählich emp- fand ich einen Widerwillen gegen meinen Ahnen. Er nahm in meinen Gedanken die Stelle eines Gottes an. Aber nicht die eines guten, eines lieben Gottes, sondern die eines bösartigen Gei- sites, der unnahbar über den Wolken thronend mit kalter Verachtung auf mich herabblickte und auf meine Erniedrigung sann. Furcht vor dem überwältigenden Glanz einer unvorstellbaren Macht zitterte Immerzu in meinem kindlichen Herzen. „Wo ist der gute Opa?” frug ich eines Tages verängstigt meinen Vater. „Dein Ahne?” bekam ich zur Antwort, „der General Pankratius Wein- zierl fiel an der Spitze seiner Kavalleriebrigade am 22. Juni des Jahres 1809 in der Schlacht bei Eggmühl.” „Wie war das nur?” frägt Tante Anna, „eine Kanonenkugel hat Ihn doch wohl zer- schmettert?” „Nein“, berichtigt mein Vater, „der Hergang war so: Mein Urgroßvater sprengt, wie immer, seinen Dragonern und Chevaulegern voran. Rechts und links läßt er seine Klinge auf Husaren und Ulanen niederblitzen, Da wird ihm das Pferd unter dem Leibe erschossen. Als er sich aufrichten will, streckt ihn ein furchibarer Säbelhleb nieder. Er Ist sofort tot. So fiel mein Urgroßvater, der bayerische Kavalleriegeneral Pankratius von Weinzierl.' Die Jahre vergingen, und ich fürchtete mich nun schon selt langem nicht mehr vor dem Dunkeln. Zum General hatte ich es freilich, wie mein Vater FLUCHTIGE BEGEGNUNG Von Herbert Leftiboudois (im Felde) Set gut zu mir! Laß mich in deinem Schatten wandern Ein Wegftück nurl Lang Ift Die Straße nach Rußland von Flandern - Sei gut zu mir! Und wenn du mir zugelächelt haft, Dann foll keine Spur Der flüchtigen Rat In deinem Herzen verbleiben. Nimmer werde ich Ichreiben, Nimmer dich wiederfchn - Sei gut zu mir! Auf meinem Soldatengrabe Soll’'n wilde Veilchen ftehn! Das Rennen der Exoten - La corsa degli esoticl voraussah, nicht gebracht. Manchmal trat noch der Ahne vor mich hin. Seine Brust funkelte von Sternen und Kreuzen, aber ich empfand keine Angst mehr vor ihm. Denn sein Blick ruhte mit Milde auf mir, ats wollte er sagen: Wie man auch seinem Vaterland dient — lieben muß man es! Eines Tages besuche ich die Ortschaft, in der meine Vorfahren seit Jahrhunderten als Bauern gesessen hatten. Hinterkindibach nennt sich das niederbayerische Dörflein, und wenn nicht der Zwiebel eines Kirchturmes die weithin wogenden Ährentelder überragte, könnte man es gar leicht übersehen. Da liegen sie nun auf dem kleinen Friedhof, die Bauern meines Namens, und hol- perige Verslein künden auf verwitterten Steinen von einem Leben der Arbeit. Ja, so ist es nun einmal: man pflügt, man söt, man erniet, man stirbt. Nun liegt man in der stillen Gruft, und nur die Bienen summen über Levkole, Phlox und Gold- lack. Man hat aus toter Scholle das Leben er- weckt, aber die Menschen nahmen es hin und vergaßen. — Wie konnte mein Ahne, der General Pankratius Weinzierl aus dieser Enge bodenstän- digen Bauerntums den Weg In die große Welt gefunden haben? Nun, das Schicksal führt uns oft auf seltsamen Pfaden. — Ich trete In das Schiff einer ländlichen Kirche ein. Uber gewundenen, grün marmorierten Säulen schweben, von Putten umgaukelt, goldene Bal- dachine mit Schnüren und Quästen, buntes Glas flimmert in Kronen, seidene Fahnen neigen sich über Schnitzwerk, im Halbdunkel der Nischen glühen aus silbernen Kelchen Rosen auf. Im Seiten- schiff hängen die Ehrentafeln jener bayerischen Soldaten, die dem Dörflein entstammten, und die keine Trommel und keine Pfeife mehr aus ihrem Schlafe weckt. — 1809 — lese ich auf einem der Steine. Mein Blick bleibt auf einem Namen haften: Korporal Pankratius Weinzierl des 4. bair. Lin. Infanterie Regiments verwundet in der Schlacht bei Eggmühl am 22. Juny 1809 t 26. Juny 1809 Es ist mir, als lächelten die pausbäckigen Enge- lein, die über der Tafel schweben. Sei gesegnet, braver Korporall (0. M. Haussor) 133 Ein merkwürdiger Vogel ist doch die Liebe An einem trüben, regnerischen Herbstmorgen lenkte auf der Straße ein kleiner dicker Mann durch sein eigentümliches Gebaren meine Auf- merksamkelt auf sich, Den. Hut tief ins Gesicht gezogen und den Mantelkragen hochgeschlagen, fuchtelte er mit seinem Stock wild durch die Luft, als führe er einen erbitterten Kampf mit einem unsichtbaren Gegner. Dicht vor mir blieb er plötz- lich stehen und rief: „Ah, Sie sind esI” Da erkannte Ich Ihn. „Hallo, Hansen! Welch eine Überraschung! Lange nicht gesehen, was? Wie geht es Ihnen denn?” Ich sah die taubeneigroße Beule an seiner Stirn, sein unrasiertes Gesicht, den zerbeulten Kragen und die zerdrückte Krawatte, „Mir geht es nicht gut”, stöhnte ich habe da eben was erlebt... etwas ganz Merkwürdiges... ach, ich begreife mich selbst nicht mehrl“ „Ist es mit dem Geschäft?” fragte ich teilnahms- voll — er machte In Herrenartikeln en gros. „Nein, etwas ganz Privates, Menschliches. Kom- men Sie, Ich will es Ihnen erzählen“, keuchte er. „Ich habe da einen ganz merkwürdigen Fall von Gedächtnisschwund erlebt.” „Ist mir auch schon vorgekommen, daß Ich ver- gaß, mich zu rasieren“, versuchte ich zu scherzen. Doch er erwiderte ernst: „Nein, s> harmlos Ist Vagabundenerbe Von Klaus Erich Boerner Seid stolz gegrüßt vom fremden Strolch im Land! Schenkt mir kein Mitleid, der ich reicher bin, ich Fahrender im scheckigen Gewand — so frei von eudh, frei von Besitz, Geroinn! Der rote Mohn, den just am Weg ich fand, schmückt schöner mich als euer Sonntagskleid, ist meines Sommers heilges Unterpfand, ist Gottes Weisheit, Gottes Lieblickeit ... Fromm ohne Kirchen halt’ ich mein Gebet: dann weiter fort in hell enffachter Lust. Zur guten Nacht, da Stern bei Sternen steht, schlaf idı im Stall, mein Blümlein an der Brust. Idı. hör’ die Erde atmen durch die Nacht und neue Länder locken mic im Traum — sehnsüchtig steh’ ich, eh’ der Tag erwacht, rotüberflutet schon am Hügelsaum. Nur immer vorwärts! ladıt die Welt mir zu, Gott will mir alles zeigen, was er schuf, Dem Bürger sei am Ofen sichre Ruh’ — ich folg' der lungen, langen Straße Ruf. Im Ranzen, wisset, liegt mein Testament: Auch ich mar einmal einer Mutter Kind! Nun bin ich tot. Gut, daß midı keiner kennt. Brennt mich zu Asche... Blast midı in den Wind! Dann mill ich über alle Straßen mwehn im Regensturm, im Maiensonnenschein, dem müden alten Stroldı zur Seite gehn und nachts beim Liebespaar am Waldrand sein: Frier' nicht, Gott hält ein warmes Grab bereit! Adı — meint dodı nidıt beim bittren Abschiedskußl Das Wandern bleibt Gesetz in Ewigkeit, dem jeder Bruder ruhlos folgen mußl Von Wilhelm Gross die Sache nicht. Sagen Sie mal, sind Sie auch schon einmal von einem Glas Wein betrunken geworden?” Ich schüttelte erstaunt den Kopf. „Nein!“ „Na sehen Siel Aber passen Sie auf.” Er ergriff meinen Arm und zog mich auf seinem Wege mit. „Hören Sie zul” kommandlerte er. „Also seit einer Woche war ich auf einer Tour über Land. Artikel fürs Frühjahr, verstehen Sie. Ich war tagtäglich von früh bis spät auf den Beinen. Gestern abend kehrte ich todmüde in einem Gasthaus ein. Ich war zu abgespannt und hatte deshalb keinen Appelt. So bestellte ich nur ein Glas Portwein. Kaum aber hatte ich das Glas geleert, begann alles um mich herum sich zu drehen. Ich war betrunken, total betrunken. Komisch, nicht wahr?” Er sah mich fra- gend an. Als ich nickte, erzählte er weiter. „Ich bezahlte also rasch und ging hinaus zu meinem Wagen. Ich startete vorsichtig und fuhr davon. In die Parkstraße. Dort angelangt, klinkte Ich die Gartentür auf und wollte die Garage öffnen — fand aber den Schlüssel nicht. Ich ging zum Haus. Aber auch der Hausschlüssel war weg. Da läutete Ich. Paula, die Hausgehilfin, öffnete die Tür einen Spalt — und stieß einen grellen Schrei aus, ‚Was schrelen Sie denn so?’ fragte Ich verwun- dert. ‚Machen Sie aufl’ Sie aber erwiderte: ‚Die gnädige Frau ist nicht daheiml" Nun ist Paula von jeher kein großes Kirchenlicht gewesen. Ich schimpfte darum: ‚Soll Ich etwa die ganze Nacht auf der Straße stehen, bis meine Frau nach Hause kommt?’ Da ließ mich Paula ein. Ich ging sogleich ins Schlafzimmer und legte mich zu Bett. Und verfiel augenblicklich In tiefen Schlaf. Plötzlich aber wurde Ich geweckt. Das Licht flammte auf, Ich sah eine Dame In grauem Pelz- mantel vor dem Kleiderschrank stehen. Den Man- tel kannte ich nicht — wohl aber die Dame. ‚Hilfe! Hiltel’ rief sie. ‚Oskar, komm rasch herl’ Ein Mann In Hut und Mantel ellte herbei und stürzte sich auf mich. Plötzlich Jedoch stutzte er und rlef: ‚Hugol Das ist Ja Hugol* Da erkannte auch ich den Mann. Es war Oskar Krämer, mein Schulfreund, von dem ich glaubte, er sei in Afrika. Als seine Überraschung sich etwas gelegt hatte, fragte er: ‚Ach, dann bist du es wohl, mit dem sie früher verheiratet war?!’ Da wußte ich plötzlich, daß die Dame Im grauen Pelz meine Frau war, von der ich vor einem Jahr geschieden wurde. — In dem Dämmerzustand, in den Ich durch das Glas Wein geraten, war Ich also In die Parkstraße gefahren, obwohl ich dort Ja gar nicht mehr wohnte, Ich schömte mich wie ein Hund. Was mußte Karen von mir denken? Doch da sprach sie schon in ihrer bekannt Im- pulsiven Weise. Ich sei in ihr Haus eingebrochen, erklärte sie, weil ich davon erfahren hätte, daß sie sich morgen mit Oskar verheiraten würde. Ich sel ein intriganter Schurke und so welter und so weiter, Daß mit Ihr zuweilen nicht leicht Kirschenessen wat, wußte ich Ja — war ja auch der Grund un- serer Trennung gewesen. Nun aber erschreckte es mich. Ich sprang aus dem Bett und beeilte mich, in die Kleider zu kommen. Unterdessen schwatzte Oskar in einem fort — anscheinend war auch er ein bißchen angehei- tert. Er erklärte, Ich müsse schon entschuldigen, daß er sich nun mit meiner Frau. verheiraten werde, doch dann würden wir ja quasi in ein verwandtschaftliches Verhältnis kommen und der- gleichen Unsinn mehr. Meine Frau aber — wie gesagt, sie Ist zuweilen sehr impulsiv — war an den Tollettentisch ge- 134 treten — — und plötzlich ging es los, wie In alten Tagen. r Ich bekam eine große Flasche Kölnisch Wasser an den Kopf, während sie Oskar die Stehlampe und eine Büchse Badesalz vor die Füße warf. Woraufhin wir schleunigst die Flucht ergriffen, Wir gingen zu Oskars Wohnung. Dort haben wir bis vor einer Stunde gesessen und gestritten. Denn er soll sich ja heute mit Karen verheiraten. Aber nun will er nicht mehr. Es sei meine Pflicht, statt seiner aufs Standesamt zu gehen! Kein Zwei- tel, daß Ich es sel, dem ihre ganze Liebe geltel Bel allen Anlässen habe sie ihn mit ihrem ersten Mann verglichen und sich beklagt, so oder so hätte dieser sie nicht behandelt. Oskar meinte sogar, daß auch die Parfümflasche Ihm gegolten und mich nur versehentlich getroffen habe.“ Ich besah mir Hugos Beule an der Stirn und dachte mir meinen Teil, Und sagte: „Tja, da ist schwer zu raten, Hansen. Lieben Sie sie denn immer noch?" Er wandte sich wie ein getretener Wurm. „Nun ja, das schon. Sie müssen wissen, sie hat auch ihre guten Seiten. Und dann — — ständig so als möblierter Herr? Na, schließlich war es Ja nicht meine Schuld. Doch ich hätte das Glas Portwein nicht trinken dürfen.” Ich begriff, worauf er hinaus wollte „Doch — doch, Hansen, es war Ihre Schuld, Und nun sollten Sie schleunigst nach Hause gehen und mit Ihrer Frau telephonieren. Alles andere ergibt sich dann von selbst.” Er reichte mir die Hand und dankte: „Ja, das Ist ein guter Rat. Daß Ich nicht selbst daraufkam! Ich glaube, sie Ist sehr unglücklich und hat nie einen anderen geliebt als mich.” Da hielt drüben der Autobus. „Auf Wiedersehen. — Auf Wiedersehen!” Er schwang sich hinauf und winkte mir fröhlich zu... Jetzt Ist er wieder mit Ihr verheiratet. Und ich glaube, or langweilt sich nicht, Ich aber schüttele noch immer den Kopf dar- über, — — a, Ja, ein merkwürdiger Vogel Ist doch die Liebel (Aus dem Dänischen von Werner Rietig) MEIN FREUND JOHANNES Es war noch im Frie« Johannes kam freudestrahlend zu mir. „Ich will eine Autotour quer durch Deutschland machen. Hast du Lust, mitzukommen?” Natürlich hatte ich Lust. „Also, ich hatte gedacht, daß wir dann Anfang nächster Woche starten würden, Die Route habe Ich hier auf der Karte schon eingezeichnet. Fin- dest du sie gut?” Ich sah mir die Karte an. „Du, Hamburg sollten wir uns aber nicht ent- gehen lassen, wenn wir ohnehin schon In die Nähe kommen“, erklärte Ich. „Richtig. Und wenn man da schon Ist, dann auch mal eben einen Abstecher an die See”, stimmte er zu und trug diese Änderung auf der Karte ein. „Was du mitnehmen mußt, Ist dir wohl klar?” fragte er dann. Ich zählte auf, was ich für notwendig hielt, „Gut, das genügt wohl. Nur vergiß nicht das Badezeug.” Abschließend stritten wir noch ein bißchen über die voraussichtlichen Kosten. „Wenn man schon so etwas unternimmt, darf man nicht knausern“, sagte Johannes kühn. Dann wurde er ein ig nachdenklich. „Aber das ist ja das dumme an der Sache. Ich weiß nicht recht, wo Ich das Geld hernehmen soll und das Auto” 3. Bleger Des Widerspenstigen Zähmung (Fr. Bllek) Addestramento del recalcitrante 135 EIN STINKTIER VON KONRAD SEIFFERT Ich glaube nicht, lieber Herr, daß Sie schon mal nähere Bekanntschaft gemacht haben mit einem Stinktier. Vielleicht haben Sie in einem zoologi- schen Garten Gelegenheit gehabt, solch ein Tier zu sehen. Und da haben Sie nicht groß hin- geschaut. Sie sind weitergegangen. Nein, für Stink- tiere haben Sie sich bestimmt nicht sehr inter- essiert. Und nun muß ich Ihnen hier etwas vom Stinktier erzählen. Denn sonst würden Sie vielleicht diese Geschichte nicht ganz verstehen. Jawohl, es kommt da ein Stinktier drin vor, Es spielt sogar die Hauptrolle. Also: das Stinktier ist unten dunkelbraungrau bis schwarz, oben hat es in der Regel breite weiße Streifen. Es Ist ein Raubtier, Aber das ist nicht das Schlimmste an ihm. Das Schlimmste ist sein Gestank, der Gestank, den es verbreitet. Daher kommt sein Name, ja, wahrhaftig! Das Stinktier verläßt sich bei seinem Kampf gegen Feinde nicht auf Hörner, Zähne, Krallen oder an- dere Waffen, mit denen,die Natur ihre Kinder- chen ausstattet, sondern auf seine Drüsen, auf seine Stinkdrüsen. Die Flüssigkeit, die es aus die- sen Drüsen verspritzt, verstäubt, Ist so entsetz- lich, daß ihr nichts widerstehen kann. Es gibt kein Tier, das ihr gegenüber gleichgültig bleibt. Auch der Mensch leidet unter dem Geruch des Stinktiersekrets. Er wird elend und schlapp. Er krümmt sich vor Übelkeit. Er würgt und schluckt. Er sieht graue und weiße Ringe vor seinen Augen. Er bekommt keinen Atem mehr. Und das dauert tage-, Ja, zuweilen wochenlang. Denn der Stink- tlergestank ist keine ätherische Angelegenheit: er ist außerordentlich dauerhaft und haltbar, er verfliegt nicht. Und aus der Kleidung bekommt man’ ihn nicht heraus. Gewiß, es gibt Stinktierjäger. Aber Sie können es glauben, lieber Herr: das ist ein anrüchiger Beruf. Ich habe allerhand gemacht, aber Stink- tierjäger bin ich nie gewesen. Doch, doch, man kann Geld an den Stinktieren verdienen. Ihr Fell wird geschätzt. Es heißt Skunk. Und wenn Sie Ihre Frau Gemahlin erfreuen wollen, dann kaufen Sie ihr einen Skunksmantel. Sie wird Ihnen dank- Aus dem besetzten Frankreich - Dalla Francia occupata bar sein, wahrhaftig. Vom Stinktier brauchen Sie ihr dabei nichts zu erzählen. Ramon hatte so ein Stinktier gekauft von einem Mann, der sich mit der Jagd dieser Viecher be- schäftigte. Dem war es lebend in die Hände ge- fallen. Er hatte dem Ramon versichert, noch nie, niemals habe er ein Stinktier erbeutet, das die Luft so ungenießbar mache wie gerade dieses. Und Ich sagte zu Ramon: „Du mußt total ver- blödet sein! Ein Stinktierl Du ruinierst dich und mich! Jeder wird einen Bogen um uns machen, wenn er uns nur kommen siehtl” Aber Ramon lachte: „Das Tier bleibt bei dem Jäger, bis ich es brauche. Ich will es ja gar nicht in meiner Nähe haben!” „Bis du es brauchst? Wozu willst du ein Stinktier brauchen? Wozu kann man denn ein Stinktier ver- wenden? Nur sein Fell —" „Ich werde es lebend brauchen!’ Und dann er- zählte mir Ramon, was er plante. Ach, ich muß sagen, daß dies ein dunkler Plan war. Aber Ramon hatte sich — wieder einmal — verliebt, Und Sie wissen es vielleicht, daß Leute in solch einem Zustand zuweilen Dinge planen und auch tun, die man nicht mit den üblichen Maßstäben messen kann. Ich maß überhaupt nicht, ich befürchtete nur, daß die Sache schief gehen könne. Und ich will es Ihnen hier gleich sagen: sie ging nicht schief, sie gelang großartig. Diesmal hatte sich Ramon in Dofia Juanita ver- liebt, in die Tochter des Sefior Latacunga. Jua- nita war ein nettes Mädchen. Mich störten Ja ihre hervorquellenden Augen ein wenig. Aber Ramon behauptete, Juanita könne, dürfe keine anderen Augen haben. Nun gut! Die Latacungas waren Freunde der Familie Zapiola. Und es stand fest, daß Juanita den jungen Zapiola, den Bartolo, heiraten sollte. Sie wollte aber nicht. Und sie kam zu Ramon. „Es muß etwas geschehen”, Jammerte sie, „halte mir den Bartolo vom Leibel Seine blöden Streiche fallen mir auf die Nerven! Es muß zum Bruche kommen zwi- schen den Zapiolas und unsl” — Das sagte Jua- nita zu Ramon. Und darauf kaufte er das Stinktier. Ja, es stimmte schon: Bartolo Zapiola war ein os. Oberberger) eigenartiger Bursche. Er tat: verschiedenes, was ein halbwegs vernünftiger Mensch nicht ganz ver- stand: er hielt sich einen Sumpfhirsch, den er als Reittier benutzen wollte. Er hatte sich eine Gift- schlangenfarm eingerichtet und damit Angst und Schrecken in seiner Umgebung verbreitet. Er schrie wie ein Papagei. Er grunzte wie ein Pekari. Er schnarchte wie ein Gürteltier. In der Tierwelt war er ganz zu Haus. Und da er ein verzogenes Kind war, durfte er tun, was er wollte. Ein Stink- tier? Nein, ein Stinktier besaß er in seinem Zoo nicht. Ramon versprach der Juanita, alles zu tun, was sie wünschte. Und er wolle schon dafür sorgen, daß es zu dem von ihr ersehnten Bruch zwischen den Zaplolas und den latacungas komme, sagte er ihr, Zuerst aber kam es zu einer Verlobungsfeierlich- keit im Hause der Familie Latacunga. Juanita konnte nichts dagegen tun, daß sie die Verlobte Bartolo Zapiolas wurde. Die Eltern wünschten die Heirat. Dagegen war nichts zu machen. Bartolo gäckerte, bellte, jaulte, kreischte und fand es ganz nett, daß Juanita seine Frau werden sollte. Aber seinen Sumpfhirsch hielt er für wertvoller als irgendeine Frau. Er hatte ihn schon sowelt gebracht, daß er aus der Hand fraß und sich kraulen ließ, eine beachtliche Leistung. Ramon und ich, wir gingen an dem Abend, an dem die Verlobung gefeiert wurde, zum Haus der Latacungas. Nein, eingeladen waren wir nicht. Wir betraten das Haus auch nicht, sondern schlichen uns vom Garten aus auf die Veranda, Kein Mensch kam hierher, wir wußten es. Und es war ein sehr dunkler Abend, Von der Veranda aus gelangten wir bis zu den Fenstern des großen Raumes, in dem die Gäste versammelt waren. Es waren viele Gäste. Wir sahen uns die Leute an, die da am Tisch saßen. Ach, lieber Herr, es waren ehrbare Bürger mit Glatzen und Bäuchen, sehr satt, sehr zufrieden, sehr anständig. Ramon und Ich, wir freuten uns, daß wir nicht zu ihnen gehörten, Bartolo saß an der Seite Juanitas. Er machte, wie immer, seine Spässe und war nur mit Mühe da- von abzuhalten, auf allen vieren auf dem Fuß- boden herumzukriechen. Nein, auch er gehörte nicht in diesen Kreis. Juanita war entsetzt über das Benehmen ihres Verlobten, dem die Gäste teils mit Schmunzeln, teils mit hochgezogenen Augenbrauen zusahen und zuhörten. Ich konnte deutlich erkennen, wie die schon an sich weit hervorstehenden Augen des Mädchens noch mehr aus ihren Höhlungen traten. Neben dem Fenster, das uns zur Durchführung von Ramons Plan am geeignetsten zu sein schien, setzten wir die Kiste mit dem Stinktier auf den Erdboden. Ja, selbstverständlich: das Stinktier hatten wir mitgebracht. In dem Augenblick, in dem die Gäste sich an- schickten, auf das Wohl des jungen Paares anzu- stoßen, hoben wir die Kiste bis an den unteren Rand des Fensters, Ramon öffnete deren Deckel, und wir schütteten das Tier ins Zimmer. Mit einem verhältnismäßig eleganten Satz landete das Stinktler auf dem Fußboden und hoppelte dort herum. Die Nähe der vielen Menschen, vor allem wohl aber der jähe Wechsel von Dunkel- heit und strahlender Helle sorgte dafür, daß es aufgeregt, ängstlich, nervös wurde. Und dann tut es eben das, was ein Stinktier in solch einem Augenblick zu tun pflegt: es begann, sich gegen seine mutmaßlichen Feinde zu verteidigen. Das geschah auf eine geradezu glänzende Art, Mir blieb der Atem weg. Dem Ramon auch. Noch nie hatte ich Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie unerschöpflich die Drüsen eines Stinktieres sind. Es verspritzte den entsetzlichen Inhalt seiner höl- lischen Drüsen über den Tisch, die Gäste, die Wände, den Fußboden, Jeden Teil, jede Ecke des Raums, hob immer wieder seinen Schweif hoch, sprang, lief, rannte hierhin und dorthin, wurde bei den Schreien und Angstrufen der Menschen ,. D, Triepeh, frimmi riep Kautabak In der Welt alı Hersteller von gutem Kautal Gründungsiahr 1849 BRIK INER A E v PARFUMERI F | F E ALEX KAMP&CO NORDHAUSEN AM HARZ, eP ‚bak bekannt EN die feinen Bestandteile SESERER LE III Seit 90 Jahren braucht kein Eintrocknen zu Bergmann feitetAHNPASTA NÜRNBERG schätzt man die große Wirksaı Feuchten Sie die Zahnbürste. nur wenig an, A-H-A - BERGMANN WALDHEIM (SA.) 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Und dann griff Juanita ein. Sie wußte zwar nicht, daß Ramon hinter diesem plötzlich aufgetauchten Stinktier stand. Aber sie begriff sofort, daß sich hier eine Gelegenheit für sie bot, die sicher nicht noch einmal wiederkehrte. Sie schrie gellend in den Tumult, und ihre Kuller- augen blitzten dabei: „Das hat der Bartolo ge- macht! Jawohl! Nur er konnte auf solch einen Gedanken kommen!” Bartolo war unschuldig. Sie wissen es, lieber Herr. Aber es war ihm nicht möglich, sich zu ver- teidigen. Übrigens hätte ihm solch eine Verteidi- gung wenig geholfen. Denn als Juanita ihre An- schuldigungen herausschrie, gab es nicht einen unter den gräßlich stinkenden Gästen, der nicht von der Schuld Bartolos überzeugt war. Sie schrien mit, so gut sie das eben noch konnten. Und dann war das Stinktier verschwunden, ich welß nicht, wo es blieb. Der Gestank aber blieb. Eine Woche lang machte jeder einen Bogen um das Haus der latacungas. Eine Woche lang schrubbte Juanita an sich herum. Dann erst konnte sie es wagen, sich wieder auf der Straße zu zeigen. Bartolo? Die Zapiolas? Die Sache war hoffnungs- los. Juanitas Vater war tödlich beleidigt. Ein Stink- tier in seinem Hausel Der Spott des ganzen Ortes! Wenn dieser Bartolo schon jetzt zu solch einem Streich fähig war, was würde die Juanita erst auszuhalten haben, wenn sie seine Frau warl Nein, solch einem Burschen konnte er seine Toch- ter nicht anvertrauen! Und Ramon? Er vertrug sich gut mit Juanita. Eine Zeitlang. Dann stieß er sich wohl doch an ihren hervorstehenden Augäpfeln. Und er sagte zu mir: „Wie denkst du über Saladillo? Es muß jetzt recht schön sein in Saladillol” Am nächsten Tage fuhren wir nach Saladillo. Das Städtchen war etwa hundert Leguas entfernt, und das sind beinah siebenhundert Kilometer. Ach, lieber Herr, auch Sie wären an unserer Stelle bis nach Saladillo gefahren, nach diesem vertrockneten Nest! Denn Bartolo Zapiola hatte inzwischen herausbekommen, daß Ramon mit sei- nem Stinktier schuld war an allem. Und die Zaplolas waren eine große, sehr zahlreiche Fa- milie, die bereit und fähig war, kräftig dreinzu- schlagen. mit Domenbinden Ist nach wie wor gesichert. Denken Sie bitte daran, dafd nur vorüberg Schwierigkeiten daron schw) können, wenn Sie trotzdem einmal Comelio nicht überall erhalten. ablässigunsere Arbeit. BAUER & CIE SANATOGEN-WERKE Fortschrier baur lich schlanke Sigue ode überfläffige (ettpolfter, mit Hilfe von Shlantformin. Cclanl« tormin hat in 4 Sabrzehne ten feine gute“ Wirtung deiiefen. &s wird Außer« ich angewandt und ütga« tantiert unfhädlich. Pro» VorbeugunggegenAn- De a Din steckung bei Erkältun- MARGARETE LAUN 7 gen und Grippe. 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Beeilen!“ Der Fahrgast fluchte: „Wenn wir hier wie die Heringe stehen, kann Ich mich nicht wie ein Wurm durchwinden und ab- springen wie ein Reh, Sie Hirsch!” I.H.R. * Unser Zeitgenosse, der Schriftsteller K., hatte für eine Wiener Bühne vor Jahren die „Fledermaus“ ein wenig bearbeitet. Ein paar kurze Dialoge, ein Ich hatte in Wien einen Wasserrohrbruch. Nach langen Wochen und Warten kam endlich der In- stallateur. Ärgerlich rief ich: „Heute kommen Sie erst? Ich hatte doch schon im November telefoniert?" paar winzige Einfälle, der Rest der Arbeit be- stand in nächtlichen Kartensplelen mit dem Inten- danten. Aber noch heute kann der Schriftsteller K. weder im Radio noch sonstwo eine Melodie aus der Fledermaus hören, ohne sofort alle Umstehen- den aufmerksam zu machen: „Diese Melodie ist aus meiner Operettel” I.H.R. * Der Frontsoldat meldete sich bei selnem Bürger- meister. Der Bürgermeister schüttelte dem Urlauber die Hand. „Hast drei Wochen Urlaub, Schorsch?” „Freilil „Freust di, gelt?" „Einesteils schon!" „Und anderenteils?" Der Urlauber lachte: „Anderenteils schon aa Flasche nicht stellen, immer legen, Sonst entweichen die Geister des Sekts! Nichts vergeuden | vom Schoumweinsegen; Schlürf' ihn bedächtig und sieh, dann schmeckt's! in in salbstvernändlichen ‚Gebor han reich VELVETA so os, aufs Brot, ‚chi w ee hr „zur Nor Älteste deutsche Sektkellerei Esslingen am Neckar (Reichapatentamil. Wa. Nr. 545388) — 1: bekonnte Wim- Dierichtige Menge Backspulver- 180 Selten. Fuss-Flechte Juckreiz und Entzündung (dierichtigeBackhi Inch zwischen den Zehen heilt er | y m ‚eügernäßen Rezepten‘ Shebrocon Kroll Siesparen Backpulver eldı sourie Strom, Gas oder Kohlen. erhältlich in Apotheken | LABORATORIUM LEO SCHEUFEN Köln-Lindenthal Nr. 16 or) Mer &Co. Cham. Fobr. FranklurtalM. Tinte u. Ausziehtusche Ei N | Jeneg: | Kleidungsstücke Pia. Feder Merle, sand. m d. 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Nic die Menge, die Güte Nach, ‚serlin-Charloitenburg 1, Postlach So gebunden sein. 1 dankt Ihnen die plieg) SEVERIN + CO+-KÖLN IKAILADIDIEIBDILA IKAD SNILIEITILIKK AHAD- Ratschleg, Serglälng und heuch Ein Buch für reife Menschen LIEBZ UND EHE von Prol. I. H. Schulte , MEDOPHARM ‚Arzneimittel | sind treue Helfer Ihrer Gesundheitl Kart. RM. 2.95, gebd. RM 4.15 ‚nahme RM -.30 mehr. HVERSAND HERMES Medopharm-Arzneimittel sind nur in Apotheken erhältlich, MEDOPHARM Pharmazeutische Präparate Gesellschoft m.b.H. München8 Wunderfam ee ®& & Kossack d. Ältere Kosmetik-Fabrik Düsseldorf hör das lung durch längere tebensdouen A € ha im HRS Erfahru Ng - Esperienza 0. Hegenbarth) „Die Damen werden gebeten, sich schon jetzt zu überlegen, ob sie an der nächsten Haltestelle aussteigen wollen, oder nicht!" “Le signore sono pregate di riflettere giä adesso, se debbano o no, scendere alla prossima fermatal,, DIE SCHÖNE SUSANNE VON GERMAINE BEAUMONT „Sie möchten gerne, daß ich Ihnen von Herrn Papeau erzähle. Es ist eine seltsame Geschichte; Sie mögen sie sich deuten, wie Sie wollen. Ich kann nur alles genau so berichten, wie es sich zugetragen hat. Genau so, Ohne etwas hinzuzu- fügen oder wegzulassen, Um damit anzufangen, so vermittelt Ihnen dieses Landhaus, das Sie soeben besichtigt haben, und das er mich als seinen Freund und Nachbarn nach Möglichkeit für ihn zu vermieten gebeten hat, eine recht gute Vorstellung davon, was für eine Art Mensch Herr Papeau ist — beziehungsweise war, muß ich wohl sagen. Ein kleiner Beamter mit etwas Erspartem. Genug als Zulage zu einem be- scheidenen Gehalt, aber doch nicht genug, um ohne Anstellung leben zu können. Sie haben die mit Rips bezogenen Lehnstühle gesehen, die por- zellanenen Familienerbstücke auf dem Kaminsims, die schweren alten Petroleumlampen — das Haus hat kein elektrisches Licht, möchte ich Sie auf- merksam machen! —, die grüne Tischdecke mit Fransen und das Schlafzimmer mit den vergrößer- ten Photographien der letztverstorbenen Verwand- ten von Herrn Papeau. Nichts Uppiges, Ausgefal- lenes oder Schmuckes. Nur eben ein wenig Be- quemlichkeit, Eine Behausung, die nur der schlich- testen, anspruchslosesten, stubenhockerischsten Sorte von Mensch gehören konnte, die man sich nur vorstellen kann. Bis... Ich muß erwähnen, daß er jeden Morgen in sein Büro ging, in einem kleinen Restaurant zu Mittag aß, und abends hierher zurückkam zu einer Mahl- zeit, die ihm seine Wirtschafterin bereitgestellt hatte. Nach dem Essen rauchte er mit mir in sei- nem Wohnzimmer oder in diesem Zipfelchen von Garten eine Pfeife, ‘Wir plauderten miteinander. Zwei alte Junggesellen ohne Familie oder Ver- wandte. So hatten die Dinge lange Zeit ihren Lauf. Sie hätten Immer so bleiben können, wenn er sich nicht eines Tages in den Kopf gesetzt hätte, einem Trödelmarkt einen Besuch abzustat- ten. Jemand in seinem Büro nämlich hatte ihm von einer neuerlichen Nachfrage nach einer ge- wissen Sorte alter Möbel erzählt, und ein paar 140 Stücke ebensolcher Möbel standen auf dem Spei- cher seines Hauses verstaut. Die Aussicht, sie in eine kleine Sonderzulage umzumünzen, tat es ihm an. Eines Freitag abends sagte er zu mir: ‚Ich würde mich gerne In St. Ouen umsehen, bevor ich sie verkaufe, Ich kann mir dann vielleicht ein Bild machen, was sie wert sind, ehe Ich zu einem Althändler gehe. Würde es dir etwas ausmachen, morgen nachmittag mitzukommen?‘ Ich konnte nicht, Ach, das war das Verhängnis! Wenn ich nur mit ihm gegangen wäre, vielleicht hätte er dann nie ‚Die schöne Susanne’ mit heim- gebracht.’ „Die schöne Susanne?” „Ja, Ein Schiff in einer Flasche. Ein kleines himmel- blaues Schiff, mit dem Namen in scharlachroten Buchstaben auf der Bugwand: ‚Die schöne Su- sanne”, Einbezauberndes kleines Schiff, beidemman sich fragte, wie es mit seinen Masten, seinem Tauwerk und all den getakelten Segeln In die Flasche hineingekommen war, Sie wissen sicher, wie man solche Schiffe in Flaschen hineinbringt, aber es gibt immer noch Leute, die sich darüber verwundern, und Ich war einer davon, bis Herr Papeau ‚Die schöne Susanne’ erstand. Ich bewun- derte sie, wie ich zugeben muß, und riet ihm, sie auf den Kaminsims im Eßzimmer zu stellen, statt der Marmoruhr, die Sie soeben dort gesehen Nach der Oper „Sag’ mal, Otto, hat dir denn ‚Aida‘ nicht auch gefallen?‘ „Nur die Beene, oben herum hätte sie besser sein können!" Dopo l’opera: “Dimmi un po’, Oltone, non & placluta anche a te I’ «Aida, 2, —"Le gambe, si, ma sopra poi... avrebbe polulo esser migliorel,, 141 (R, Kriasch) haben. Die Uhr wanderte auf einen Schrank und ‚Die schöne Susanne‘ wurde felerlich aufgestellt. Ein paar Tage später, als Ich nach"dem Abend- brot hinkam, fand ich-Papeau, wie er sein Schiff durch ein Vergrößerungsglas untersuchte. ‚Es Ist eine Bark’, sagte er. ‚Ich habe Im Konversations- lexikon nachgesehen und kenne jetzt die Namen all ihrer Taue und Segel, Dies hier sind ihre Vor- der- und Hauptbramsegel, dies Ihre Toppsegel, dies Ihre Fockstags, das hler ihr Außenklüver, das ihr Stagsegel, das Ihr Kluverbaum...‘ Weiß der Himmel, was für Namen er noch gelernt hattel ‚Finden Sie nicht‘, fragte er mich ein paar Tage später, ‚daß dieses Schiff die Phantasie anregt?’ Er hatte einen ganz anderen Ausdruck in den Au- gen. Sie waren klarer, tiefer, und schienen durch einen hindurchzublicken. Er streichelte die Flasche wie etwas, an dem sein Herz hing. Nicht viel später sagte er zu mir: ‚Ich war im Ma- rIne-Museum, Ja, die ‚schöne Susanne‘ ist nichts im Vergleich zu dem, was ich dort gesehen habe.‘ Und er fing an, von Karavellen und Zweimastern, Briggs und Korvetten, Schonern und Klippern zu reden, als sel er von Jugend an zur See gefah- ten, während ich glaube, das einzige Schiff, auf dem er Je gestanden hat, war ein Flußdampfer. Es wurde so schlimm, daß ich ihn kaum mehr er- kannte. Ein In seinem Leben so ordentlicher Mann! Und Jetzt verbrachte er die meiste Freizeit auf den Kais, unterhielt sich mit Seeleuten und ließ sich auf Schleppdampfern und Fähren herum- fahren... Nach einem dieser Ausflüge war es, daß er zu mir sagte: ‚Wir sind zwei alte Spießer, mein Lie- ber. Wir werden sterben, ohne irgendetwas von der Welt gesehen zu haben, Der Matrose, der die ‚schöne Susanne’ In die Flasche gesteckt hat, kannte vermutlich alle Häfen Indiens, Chinas und Japans. Und die Südsee — Tahitil Stell dir nur vor: die Südseel' ‚Dankel’ sagte Ich. ‚Wenn es schon Inseln sein müssen, so genügt mir eine Seine-Insel.’ Aber er überhörte das einfach. ‚Man denke nur, hier wie ein Kloß sterben zu müssen... viel- leicht morgen schon... ohne jede Neugier oder Sehnsucht... während es doch das Meer gibt und alle diese Orte...’ Das war das Ende. Er verlor seine Ruhe und Be- häbigkelt. Er rauchte reichlich seine Pfeife und verbrachte eine Menge Zeit damit, Reise- und Abenteuerbücher zu lesen. Er kaufte einen gro- Ben Atlas. Er nahm keinen Anteil mehr an seinem Beruf, begann abzumagern und schlecht auszu- sehen. Dann plötzlich reichte er seine Pensionie- rung ein. Danach wurde er noch ruheloser und sah noch schlechter aus. Er konnte sich zu nichts beschelden. Er schien ganz In seinen Büchern und seinem Atlas aufzugehen. Dies ging eine Zeitlang so weiter, und dann...” Der Erzähler brach ab. Er schien bewegt. starb? fragte Ich mitfühlend. „Er ging auf und davon”, erwiderte der Erzähler. „Er machte sein kleines Kapital flüssig und schiffte sich ein. Vor heute fast einem Jahr. Er sandte mir eine Postkarte aus Marseille, dann aus Port Said, aus Goa und aus Singapur. Auf der letzten bat er mich, sein Haus für ihn zu vermieten und schrieb, er fühle sich wie ein ganz andererMensch und werde vorläufig nicht zurückkommen...” Es dunkelte. In Herrn Papeaus Garten war es ein sehr geruhsamer und friedlicher Abend. Ein leiser Wind wehte die Zweige eines Fliederbaumes über das Antlitz des Hauses, „Und die ‚schöne Susanne’?” fragte Ich. Mein Begleiter deutete auf die frisch geschau- felte Erde am Fuß des Fliederstrauchs: „Sie liegt hier“, sagte er. „Hier kann sie kein Unheil mehr. anrichten. Herr Papeau stand allein da In der Welt. Aber, wissen Sie, sie hätte auch andere Menschen anstecken können. Ich zum Beispiel...’ Er beendete nicht. Als ich einen Monat später Gelegenheit hatte, Ihn wieder aufzusuchen, erfuhr ich, daß er alle seine Sachen zu Geld gemacht hatte und fortgegangen war. (Berechtigte Übertragung von H. B. Wagenseil) DER BESESSENE AKT voNnL In der k. k. Statthalterel eines österreichischen Kronlandes war Reglerungsrat Steinberger das Urbild eines alpenländischen Riesen und kraft- strotzender Männlichkeit. Aber, was ist derMensch? Am 23. Jänner 1906 stürzte er am vereisten Geh- steig In der Herrengasse. Wenn er auch dies mit einem dröhnenden „Ho, Ho” abtat, Freund Hein kicherte dafür leise „Hi, Hi”, Am:25. desselben Monats blieb er das erstemal infolge einer leich- ten Übelkeit dem Dienste fern, am 29. aber stan- den seine Amtskollegen vor einem offenen Grabe. Der Fall war so erschütternd, daß der Statthalter persönlich den Nachruf hielt, wobei er das Schick- sal anklagte, eine klaffende Lücke in seinen Be- amtenstab gerissen zu haben. Steinberger war aber auch wirklich unersetzbar. Steinberger war durch fast fünf Jahre mit dem Akt 1752/Ill/ex 1901 verknotet. Es war nachgeradezu seine Lebens- aufgabe, die Causa „Wasserrecht Schwartzing, Unter- — gegen Ober- —”, Tritt ein Vorkommnis des profanen Lebens ins Blickfeld der staatlichen Verwaltung, so geschieht dieser Geburtsvorgang durch eine Eingabe. Daran teihen sich nun, teils durch Sprossung, tells durch Teilung, wie bel den Hefepilzen, andere Schriebe, das Kind beginnt zu wachsen, erhält ein Hemd- chen, Umschlagsbogen genannt, einen Namen, und wird Mitglied einer Lebensgemeinschaft, die man mit dem Sammelnamen Akte bezeichnet. Viele davon sterben an Kinder-Krankheiten, an- dere hingegen wachsen heran und erhalten bei einem Gewicht von über 376 Gramm einen Leib- gurt, den Aktenstrick, der ihnen Festigkeit für ihre fernere Laufbahn gibt.'Nur ganz geübte k. k. Beamte konnten diese Umgürtung des Aktes fach- gemäß knüpfen. Der Akt wurde so zum Akten- Konvolut. Darum auch war man bestrebt, bei einer Körperdicke von 74 Millimeter dem Lebewesen einen endgültigen Panzer zu geben, in Form von bebänderten blauen Deckeln, auf deren Etikett In Rundschrift Name, Stand und Geburtsjahr des Aktenbürgers deutlich lesbar. waren. 1752/Ill/ex 1901 „Wasserrecht Schwartzing, Unter- — gegen Ober- —” war auf Gedeih und Verderb mit Stein- berger verbunden und harrte der Erlösung. Wasserrecht Schwartzing war zu knifflig, um von der lesenden Nachwelt ganz verstanden zu wer- den. Es sel nur erwähnt, daß das Wasserrecht der Mühle in Unterschwartzing gehörte, wohingegen‘ in Oberschwartzing eine Gerberei den Mühl- graben verunreinigte, dieser zweimal im Jähre gereinigt werden mußte, wodurch wichtige Ar- beitszeit verloren ging. Nur Steinberger konnte hier das Verwaltungsschiff zwischen Scylia und Carybdis steuern. Er wanderte oft auch stunden- lang längs des Grabens, den Endentscheid be- reits in seiner starken Hand haltend. Sein Amtsnachfolger, Oberreglerungsrat Wimmerer, war das gerade Gegenteil dieser Kraftnatur. Kaum 159 cm groß, hatte er auch noch einen unglück- seligen Körperbau. Auf langen, dürren Beinen saß ein ganz kurzer Oberleib. Wimmerer stieß auf jedem Arbeitsplatz mit der Nase auf die Schreibfläche. Wimmerer hatte daher auch auf seiner vorigen Planstelle die Schreibtischbeine kürzen lassen, so das Inventarstück für einen MARZ Ein blaffes Haus und milder Schein durch Wolken, die fich manchmal teilen, Der Wind will wieder fanfter fein. Und Waffer rinnt in vielen Zeilen von meiten, falben Wiefen her, darob fchon hoch die Vögel fliegen. Mein Mädchen lächelt. Ach, es hat ein helles Kleid zu Haufe liegen! Albert Hiemer HULEK ferneren Dienstgebrauch unmöglich machend. Aber auch sonst war Wimmerer der Gegenpol Stein- bergers. Letzterer hatte eine hoffnungsvolle Lauf- bahn vor sich, Wimmerer hatte hingegen nur mehr fünf Jahre bis zum Ruhestand abzudienen. So tra- fen beider Schicksal wie die Schifflein der Lebens- Luftschaukel zusammen oder wie pünktliche Be- ömte einer k. k. Behörde mit geregelter Arbeits- zeit, wo der Erste das Gebäude verläßt, wenn der Letzte eben kommt. Aber alles erscheint un- wichtig gegen die Kluft in der Weltanschauung beider: Wimmerer hatte für Wasserrecht Schwart- zing, das Lebenswerk Steinbergers, nichts übrig, er kannte die Causa kaum dem Namen nach, er kannte sie überhaupt nicht und konnte sie auch nie kennen lernen, Denn 1752/11l/ex 1901 war auch mit Steinberger aus dem amtlichen Leben ge- schleden. Das Konvolut war seit Steinbergers Hin- scheiden unauffindbarl Aktuar Pimperl gab zu Protokoll, den Akt Amtsdiener Tutschapsky aus- gehändigt zu haben. Dieser aber sagte unter Amtseid aus, den Akt dem Herren Regierungsrat — Gott hab’ ihn selig, den edien Mensch’ — zu „Dringliche Sachen” am letzten Tag sel- nes Wirkens gelegt zu haben. Die Lage stieg auf Siedehitze. Der Statthalter wollte sogar das Grab öffnen lassen, um festzustellen: 1. Ob der mit Tod Abgegangene den Akt nicht etwa zwecks genauen Studiums etc. ... 2. Ob nicht gesetzeswidrige Zusammenhänge zwl- schen dem plötzlichen Tod des aus dem Dienst Geschledenen und der Aktenlage — — Alles schon dagewesen, etc.... Nur die Inständigen Bitten der Witwe, die sich von der Sargschlie- Bung erinnern konnte, daß Punkt 1. Leermeldung zu erwarten sel und der Einwurf des Oberstaats- anwaltes, daß bei der Amtsverschwiegenheit des Obangeführten und -seiner strikten Neutralität das Tatmotiv fehle, ließen Ihn In letzter Minute Abstand nehmen. Schließlich lud er beide Streit- partelen zu sich, um dann doch einen Ausgleich zu erzielen. Aber es wurde keine reine Freude, denn diese wurden zwar gute Bekannte, Freunde wurden sie niel 1752/lll/ex 1901 aber war eine häßliche Narbe Im Dienstbetrieb der k. k. Statt- halterei, die bei Jedem Wetterumschlag schmerzte. Auch als Wimmerer beim Abschied das goldene Verdienstkreuz aus der Hand des Statthalters empfing, konnte dieser es nicht verschließen, In versteckten aber taktvollen Worten des verlore- nen Aktensohnes zu gedenken. Der Amtsnachfolger Wimmerers war wieder eine 182 cm große Kraftnatur, wenn auch schon mit einigen kleinen Degenerationserscheinungen der Zivilisation. Nicht so sehr an Mängeln erkennbar, als vielleicht in einer Überbetonung des Kraftmeler- tums, wie es die Sportbewegung Im ersten Jahr- zehnt des Jahrhunderts mit sich brachte. Richtige, gesunde Kraft rümpft nicht gleich die Nase, wenn sie einen geschlossenen :Amtsraum betritt und reißt nicht gleich Türen und Fenster auf. Stürzt vielleicht gar die Welt ein, wenn man sich auf einen Stuhl setzt, der fürsorglich mit einer Filz- unterlage versehen ist, um den unliebsamen Glanz des Amtshosenbodens nicht aufkommen zu las- sen? Aber schließlich war der neue Kraftmeler nun Herr über den Thron. Mit brutalen Händen fingerte er an der unschuldigen Filzunterlage und schnitt mit dem Jagdmesser gar noch die Bänder durch, als sich die Knoten nicht gleich lösen woll- ten. Zum Vorschein kam ein grauer Konzept- bogen mit den starken Schriftzügen des unersetz- lichen Stelnbergers: Amtsvermerkl Der k. k. Bezirkshauptmannschaft Mirstätten zur neuerlichen Anberaumung eines Ortsaugenschei- nes und sofortigen Rückvorlage. Steinberger. 24. I. 1906. Darunter aber ein blauer Pappkarton mit einer rundgeschriebenen Aufschrift: 1752/11l/ex 1901 , Wasserrecht Schwartzing, Unter- gegen Ober-, Verlag und Druc Verantwortt. Schrift Walter Fol alle Buchhandlunger lungsgeschäfte und Postanstal nt gültig ab 15. Okt. 1941. — Unverlangte Einsendungen werden sperdne nor & Hirth Kommandiig Ick, München. Verantworti ey sch nieige en} Ischaft, München, Sendlinger Straße 80 (Foiniuf 1296). B Io „München — Der Simpllcirs‘ Pl.; Abonnement im Monat R} Aal, wenn Porto Baitiegt — Nachdruck verboten, "= Porincheckkonto München 5920, Erlüllungrort München. nschrift: München 2 BZ, B rscheint wöchentlich einm Anzeigenpreise !lungen nehmen Preisliste Nr. 7 Vorsatz (K. Helligenstaedt) „Nein, nein, man soll nicht von mir sagen, die Männer fliegen nur auf das Äußere — von morgen ab werde ich mich auch seelisch entwickeln !"* Proponimento: “Ah no no, non si deve dire di me che gli uomini volino dietro soltanto all’ esterlore..... da domani In pol mi svilupperö anche spiritualmente!,, 143 VERBUNDENBN Se car Guismandson U Ob dieser Druck wohl Liebe ist? I due alleatiz Che questa stretta sla davvero... amore? 144 München, 10. März 1943 . 48.Jahrgang /Nummer10 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMAINDITGESELLSCHAFT "MÜNCHEN Der begrabene Beveri „Seine Konstitution war zu schwach, um unser rauhes, konservatives Klima zu ertragen. Er ruhe sanft!“ II piano di Beveridge... sepolto: “La sua costituzione era troppo debole, per sopporlare il nostro duro conservativo clima. Ripos in pace!,, Rätsel (Fr. BIloX) „Merkwürdig: Sie flüstert Im Traum einen fremden Männernamen, ich einen fremden Mädchennamen — vielleicht haben wir uns miteinander verwechselt?" "Strano! Essa mormora In sogno un nome d’ uomo forestiero ed io un nome di ragazza forestiera ... Che ci slamo forse confusl tutti e duel,, Fräulein Mia wird sich erlauben Man hat die Wahl, dieses Fleckchen Erde am Stadtrand einen Bauplatz zu nennen oder eine Wiese, Je nachdem, ob man ein Immobillenhänd- lor ist oder ein Kind aus der Nachbarschaft. Es wäre wirklich nicht hübsch, hier von Bauplatz zu sprechen, wo hinter'dem Bretterzaun jetzt schon Fliederbüsche und struppige Holunderzweige mit dicken Knospen stehen und es unten auf der Erde zu sprießen beginnt, um die Zigaretten- schachteln, ein paar alte Konservenbüchsen und ‚einige Emailletrümmer zu überwuchern. Also hal- ten wir es mit den Kindern und sagen Wiese. Hier spielen die Großstadtkinder Frühling. Eine Kindergärtnerin läßt ihren Kindergarten weiden. Sie hat mit den Kleinen einen Kreis gebilı und felerlich schreiten sie singend Im Rund. Sie neh- men den Frühling und die Spielregeln sehr ernst, vermutlich genau so ernst wie der Immobilien- händler diesen Bauplatz. In einer Wiesenecke sind kleine Buben. Man kann sie nicht Überhören, Kleine Buben spielen entweder Fußball oder Sol- daten. Beim Soldatenspielen lassen sie sich ge- genseitig stramm stehen und rufen etwas Un- artikullertes. Die hier haben sich etwas beson- deres ausgedacht, sie tun nämlich nur so, als ob sie Fußball spielten, aber immer wieder gibt einer dem Fußball einen Tritt, und wenn er rich- tig gezielt hat, fliegt der Ball in den Kreis der Kinder mit ihrer Gärtnerin. Dann kommen die Spielregeln In Unordnung und die Kindergärtne- rin fängt zu schimpfen an. Das macht den Buben recht viel Spaß. Ich muß gestehen, es Ist ein spannendes Spiel, denn man kann nie wissen, ob die Kindergärtnerin nicht doch einmal einen wischt und ihm eins hinter die Ohren haut. Die Erwachsenen, die vorübergehen, finden das Spiel ungehörig und häßlich. Auf Grund meiner Beob- schtungen kann ich feststellen, daß die Buben viel aufrichtige Freude daran haben. Nun komme ich an die Ecke des Bretterzaunes, IM MARZ ‚Gibt's noch einen Tagedieb? Gibt's noch Leute, die nur gaffen? Räder rollen, Hände fchaffen. Überall it Hochbetrieb. ‚Auch die Kreatur tut mit. Sehen wir nicht unf're Hennen neu vom Legetrieb entbrennen, menn der Hahn fie mahnend tritt? Bloß die Amel drückt fich drum. ‚Abends von des Haufes Giebel flötet fie den alten Stiebel und betört das Publikum. Ratatöskr 146 dort wo die Fiiederbüsche ganz dicht stehen, da zierlich sagt: „Fräulein Mia wird sich Jetzt erlau- ben, den Herrschaften einen Phantomtanz vorzu- führen!” Und schon sehe Ich, wie sich Fräulein Mia das erlaubt. Fräulein Mia, ein Mädelchen Im Alter von ungefähr acht Jahren, macht nämlich mit den Armen flimmernde Schwimmbewegungen, die nach einem alten Übereinkommen zwischen Tän- zerinnen und Publikum Grazie bedeuten. Mal hebt sie auch das rechte Bein und mal das linke, genau so, wie sie es von der Tänzerin des Zirkus gesehen hat, der vorige Woche. hier nebenan sein Zelt aufgeschlagen hatte, Die Herrschaften aber, denen Fräulein Mila den Phantomtanz vor- führt, werden von einer Schar kleiner Knirpse gebildet, Die Herrschaften sind alle in eine dicke Wäscheleine zusammengefaßt, vermutlich, um das Gedränge im Zuschauerraum zu erzeugen, viel- leicht aber auch, um Ihr Entweichen aus der Vor- stellung zu verhindern. Fräulein Mia hat aufgehört Phantom zu tanzen und das Publikum Ist starr vor Staunen, Falls sich aber unter den Herrschaften ein künf- tiger Kritiker befinden sollte, wird er vermutlich In Fortsetzung des Spiels zu Hause schreiben: „Fräulein Mia ist zwar noch Anfängerin, aber ihr großes Talent Ist unverkennbar. Wenn es Ihr ge- lingt, die Ballungen und Lösungen ihres Körpers noch freier zu gestalten, dürfte sie ihren Weg auf der Tanzbühne machen.‘ Aber vielleicht wird sie auch Köchin. Foltzick Die Probezeit (R. Kriesch) m a di } „Wißt ihr, Kinder, wenn ein Mann nicht solange auf mich wartet, bis ihm ein Vollbart wächst, ist er eben für die große Liebe noch nicht reif!“ Tempo di prova: "Sapete, bambine, se un uomo non aspetta me finch® nongli venga la barba lunga egli non & certo ancora maturo pel grande amore!,, 147 Die glückliche Ehe (Wilhelm Schulz) „Schweig, Britannia, und lächle, man beobachtet uns! Gestritten wird, wenn wir unter uns sind !"* Il matrimonio felice: “Taci, Britannia, e sorridi! Ci osservano; si litigherä quando saremo fra noi due solil,, 148 Der Abgott - L’idolo Mr RS) ‚ai! SELL TE l ı ABBREVIATUREN VON SCHLEHDORN Abbreviaturen sind Abkürzungen aus dem Mittel- alter. Sie finden sich in geistlichen, weltlichen, Insbesondere amtlichen Aufzeichnungen usw. (usw. ist eine Abbreviatur für die Tatsache, daß einem kein Beispiel mehr einfällt), machten sie für den Laien unverständlich und wurden deshalb von den Eingeweihten gepflegt. Daß RR. ein Regie- rungsrat ist, ROS. nichts anderes als ein Regie- tungsobersekretär und P.P. sogar ein Polizei-Prä- sident, das sind modernere Abbreviaturen. — Durch den Zoo gingen zwei Abbreviaturen. Der eine war a. D., der andere z. D. Sie rauchten ihre Zigarrenstummel mit dem Genuß solcher, die kei- nen Luxus treiben und besahen sich den Marabu. Der schien zu sagen: „Mir als erfahrenen Kassen- beamten können sie hinsichtlich der Buchführung nichts vormachen.” Den Marabu kann man sich richtig jung gar nicht vorstellen, — wie er als Marabua mit seinem Maramadl durch den Frühlingswind zieht, in jenem schaukelnden Schweben, mit dem sich andere Vögel als Verlobte empfehlen. Die Pinguine nebenan wirkten mehr wie eine Kollegialbehörde im Frack. Dafür hat der Kasuar den schnellen, gereizten Blick des Kontrolleurs. Ein weiblicher Wiedehopf ging mit selbstbewußter Grazie auf und nieder, wie eine Studienrätin auf dem Schulhof des Lyzeums. Der Strauß aber, mit dem Hut unserer Großmutter hinten, hörte gleich- mütig zu, wie die linden Lüfte, außer dem Duft des Raubtierhauses, vom Musikpavilion die Takte eines Straußschen Walzers herübertrugen, — Ver- wandten gegenüber ist man mit dem Beifallsparsam. Der Adler, der tragischste der Gefangenen, saß unnahbar und dachte nach, — vielleicht über seine seltsame Residenzpflicht... Die beiden alten Herren standen dann lange vor dem Affenkäfig. Eine Äffin, die Ihr Junges aus Er- ziehungsgründen am $chwanz hinter sich herzog, entrüsteie sich: „Man kommt sich wahrhaftig wie ein Affe vor, wenn man sich hier wie ein Affe benimmt, und die alten Affen da unten verziehen keine Miene.” Aber das hätte seinen Grund, Der a. D. und der z. D. hatten gewettet: wenn der erste Affe sich umdreht und seine Kehrseite zeigt, — blau oder rot? Je nachdem mußte der z. D. oder der a. D, das erste Helle bezahlen. Als der ‚alte Pavian sich umwendete, und der z. D. die Wette mit blau gewonnen hatte, sah von nebenan die Giraffe herüber, gleichmütig alles überblickend, wie ein älterer Aufsichtsbeamter. Der Blick des alten Herrn ging an dem endlosen Hals herunter: „Und dann noch ein großer Kog- nak‘, meinte er genießerisch. So ein z. D. (d. h. ein Wartestandsbeamter, D. hieß früher Disposition und ist jetzt in Dienstverwen- dung verdeutscht) ist kein glücklicher Zustand. Ähnlich einer Weinbergschnecke oder einer Schildkröte, halb noch drinnen, mit dem Kopf schon draußen und in einigen Jahren Escargot oder Mockturtle. Der a. D. träumte vor dem Löwenkäfig (an dem muß man noch vorbei bis zum Musikpavillon) in zwiespältigemGefühl: „Du hast da dauerndDienst- stunden. Du frühstückst nicht nur, du schläfst sogar im Publikumsverkehr. Aber du darfst doch brüllen und Löwe sein. Ich bin frei und ganz draußen.” Er dachte an die Zelt, wo er noch a. Pr. war. So nannte man früher die Beamten auf Probe 149 (A. Paul Weber) im Vorbereitungsdienst, um lautmalend anzudeu- ten, daß bei Nichtbewährung die Pferde angehal- ten werden und er muß aussteigen. Damals hätte er sich gewünscht, a. D. zu sein mit Adele. So voll und ganz entsprach Adele nicht mehr dem Idole, wie damals, als sie, verlobt, im Vorbereitungs- dienst der Ehe standen. Gewiß, auch er war kein Junger Löwe mehr. Hier im Zoo, dachte er im Weitergehen, hatte er sich erklärt, auf der Bank zwischen Seekuh und Gazelle, während die Musik ein Potpourri aus „Martha“ spielte. Es war die Stelle, wo das schöne Lied zum zweitenmal vorkommt, und dann ganz hoch: „Martha, Mamamamamartha”‘, war er nieder- gekniet und hatte ihrer Schönheit gehuldigt. „Du entschwawawandest”, hatte die Musik gespielt. Auf dem Wege grüßte Jemand. Der z. D. und der a. D. dankten mit Reserve. Denn es war ein Ehem. Ein Ehem. ist der traurigste Typ derer, die aus dem Dienst sind. Der ist mal hinausgeworfen wor- den oder hat gar selbst hinter Gittern gesessen. Und darf seinen Titel nicht führen, sondern nur er- zählen: „Ich war ehemals Bürgermeister, der Land- rat haßte mich natürlich, und ließ die Revision kom- men, fünf Minuten ehe ich die 289,60 Mk. wieder zurKasse gebrachthatte. Undank ist der Welt Lohn.‘ Und nun hat der Ehem. im Büro der Versicherungs- gesellschaft gegen Feuer, Leben, Hagel und Aus- steuer einen kleinen Posten als Privatbeamter ge- funden. Und sieht neidvoll hinüber, wenn aus dem großen Dienstgebäude drüben die ORR. und RR. und RO]. und ROS. und alle die anderen Ab- kürzungen kommen, wenn Sonnabends abgekürzte Dienststunden sind. Den ORR. Francke holt dann seine Frau ab, und ein lustiger Terrier springt an ihm hoch und wedelt wie toll mit seiner stumme- ligen Abbreviatur. DAS GITTER VON KARL BERGER „Alice hat mir versprochen..." „Ich will keinen Schwiegersohn haben, der seine Familie nicht ernähren kann.” — „Aber ich be- komme als Ihr Privatsekretär doch zwanzigtausend Franken Jährlich!” — „Die sie für Krawatten und Anzüge ausgeben, mein lieber Pierre. Bankler Dubois rief einen Zeitungsjungen heran. Er nahm die Zeitung entgegen, gab ihm eine Münze und wartete auf den halben Franken, den er heraus- bekommen mußte. „Sie würden voraussichtlich dem Jungen den hal- ben Franken gelassen haben, Pierre‘, sagte er, als er das Geld entgegennahm. „Höchstwahrschein- * lich”, gab dieser freimütlg zu. „Aber, Herr Du- bois, das war doch wirklich nicht Ihr letztes Wort? Ich werde ja vorwärtskommen und wenn Alice... Der Bankier machte eine abwehrende Handbewe- gung und in diesem Moment fiel das Geldstück zu Boden und rollte hinter ein Gartengitter. „Sehen Sie, junger Mann, ich werde mich jetzt bücken und den halben Franken aufheben, wer das Kleine nicht ehrt, ist des Großen nicht wert.” Er streckte einen Arm welt durch die Stäbe des Gliters, aber die Münze blieb außer Reichweite. Einige Leute Vorsicht - Prudenza blieben neugierig stehen. „Es hat keinen Zweck”, flüsterte Pierre ihm zu, „es sammeln sich Leute an.” — „Und wenn halb Paris stehen bleibtl Ich will mein Geld haben! Sie sollen sehen, was Be- harrlichkeit vermagl” Er preßte seinen Kopf durch das Gitter. Nun konnte er den halben Franken mit dem Stock zu sich heranziehen. „Ich habe ihn, verehrter Pierrel” triumphierte er und wollte Ihm den Kopf zuwenden; aber er stieß dabei mit der Kinnlade gegen die Gitterstäbe. Schnell versuchte er, ihn zurückzuziehen. Es ging nicht. Es ging auf keine Weise, obgleich er sich dabei fast-die Ohren abriß. Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. „Ich will jemand holen, der Sie her- aussägt”, sagte Pierre. Dubois war so einge- klemmt zwischen den Stäben, daß er nur mit zusammengepreßter Luftröhre keuchen konnte: „Schauen Leute zu?” „Bis jetzt höchstens zweihundert“, tröstete ihn Pierre, Als Pierre fort war, hörte der Bankier, wie jemand sagte: „Das sind sicher zweitausend Menschen. Aber natürlich, so eine Gratisvorstellung In der Mittagspause...” Dubols fragte sich verzweifelt, (0. Herrmann) „Neln, Albert, für ein flüchtiges Abenteuer wäre ich mir zu gut!" „Schon recht, aber wo hört das ‚flüchtig‘ auf und fängt das ‚dauernd‘ an?“ "Eh sal, Alberlo, un’ avvenlura passeggera non sarebbe mica di mio gradimento!,, "Va bene! Ma dove termina Il "passeggero, e dove comincia il ‘costante, ?,, 150 ob es unter diesen Umständen möglich wäre, sic! Blausäure zu verschaffen, um schnell ein Ende zu machen. Da legte sich ihm eine Hand auf die „Schulter. Wütend schrie der Bankier: „Ich kann doch nicht Sehen Sie denn nicht...” — „Das werden wir gleich haben”, entgegnete der Polizist ruhig packte Herrn Dubois kräftig bei den Schultern und zog. Der schrie wie am Spieß und glaubte, seine Kinnlade wäre schon abgerissen. „Na, dann ver suchen wir es anders“, meinte der Polizist un gerührt, Diesmal stieß er von hinten. Aber auch das nutzte nicht. Dubois bezweifelte einen Augen- blick, daß er noch am Leben sel. „Kopf ab- schneiden!” rief einer. „Nein, mit Dynamit!” rief ein anderer, „Kitzeln hilft da oftl” rief eine alte Dame. Dubois betete Inbrünstig, daß ein Erdbeben kommen möge, das ihn befreie. Ein Spaßvogel kiizelte ihn unter dem linken Arm. Verzweifelt stieß Dubois mit dem Fuß nach hinten und traf den Wach- beamten am Knie. Ein ambulanter Obsthändler sagte: „Den ganzen Kopf mit Seife einschmieren. Das hilft todsicherl" Der Polizist nickte und ließ aus der Nachbarschaft Seife holen. Dann fühlte Dubols kaltes Wasser über seinen Kopf strömen, während ihn anschel- nend fünfzig Hände einseiften. Inzwischen kämpf- ten die kräftigsten Männer aus der Menge um das Privilegium, ihn durchziehen zu dürfen. Aber der Polizist und der Obsthändler wollten sich dies nicht nehmen lassen und gingen an die Arbeit. Sie hatten gar keinen Erfolg, aber Herr Dubois fühlte trotzdem, daß er seinen Kopf noch hatte. Endlich erschien ein Inspektor mit zwölf Poli- zisten und säuberte erst einmal die Straße. Dann nahm er das Glitter In Augenschein, um zu sehen, was sich machen ließe und sagte zu einem Poll- zisten: „Holen Sie hier aus der Nähe einen Schmied. Die Gitterstäbe müssen durchgesägt werden.‘ Als der Pollzist fort war, stand plötzlich ein Junger Mann vor Dubols und bat höflich: „Ich bitte, den Kopf ein wenig höher.” Der empörte Bankler ließ den Kopf nun gerade sinken. Aber der Jüngling fiel auf die Knie, um ihm ins Gesicht zu sehen, „Ja, ganz recht. Herr Dubois, der Ban- kier. Ich bitte um ein paar Angaben fürs Abend- blatt. Tun Sie dies Infolge einer Wette oder nur so zum Scherz?” Dubois fragte sich, vor Zorn bebend, ob es für ihn denn gar keine Möglichkeit gäbe, diesen Menschen für Lebzeit unglücklich zu machen. „Un- verschämtheitl” schrie er Ihn an. „Sie sollten mir lieber helfen!” „Dazu wird keine Zeit mehr sein, wenn Ich die Sache noch rechtzeitig in Druck geben will”, be- dauerte der Reporter. „Beellen Sie sich bitte, mir alles zu sagen, was Sie möchten!” Als er sich von den Knien erhob, sagte er: „Ich habe nie etwas derartiges gehört. Doch ob der Chefredakteur es bringen wird?" Als der Reporter fort war, labte der Inspektor den Bankler mit Kognak, um einer Ohnmacht vorzu- beugen. Ein Photograph knipste dieses odle Werk der Polizei und rannte mit der Platte in die Re- daktion der nächsten Illustrierten Zeitung. Dubois fragte sich, wie wohl das Ende sein würde. Da machte ihm die vertraute Stimme Pier- res das Herz hüpfen. „Ich habe endlich einen Schmied gefunden”, sagte er, „er wird in einer Stunde hier sein. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?” „Nein“, schnob Dubols, „Sie haben die ganze Schuldl Ich will Sie nicht mehr sehen!” Pierre be- trachtete das Gitter genau. Auf einmal strahlte sein Gesicht, „Schnelll‘ flüsterte er. „Lassen Sie den Kopf bis nach unten gleiten und knien Sie niederl” Dubois gehorchte wie ein Kind. Pierre packte ihn beim Nacken und zog seinen Kopf durch das Git- ter, Seine scharfen Augen hatten erkannt, daß die Stäbe unten welter auseinanderstanden als oben. Pierres Frau trägt manchmal einen in Brillanten gefaßten’ halben Franken; aber nie, wenn sie ihren Vater zu Tisch geladen hat. Pythia Stalin (Erich Schilling) „Wird Englands Größe und Macht erhalten?" — „Ja, eine Macht wird sie erhalten!‘ TANTE JENSINE... Der berühmte dänische Märchendichter H. C. An- dersen liebte seine Bibliothek, ihm blutete das Herz, wenn ausgeliehene Bücher gar nicht oder in ramponiertem Zustande zurückgegeben wur- den. Ein schlimmer Feind seiner Büchersammlung war seine enifernte und betagte Tante Jensine — sie zählte damals schon über achtzig Jahre: Ihr Hunger nach „Lesestoff“ war unersättlich, und immer wollte sie ihn in Andersens Bibliothek be- friedigen, aber stets brachte sie die geliehenen Bücher in einem fürchterlichen Zustande zurück. Andersen verdankte Tante Jensine viel, so daß er es nicht über sich brachte, ihre Bitte nach weiteren Büchern abzuschlagen. Aber schließlich verfiel er in seiner Not auf ein Rezept, das beide Teile zufriedenstellte, In seiner Bibliothek befand sich ein zerrissenes und unvollständiges Exemplar von „1001 Nacht”, das nur noch das Märchen von „Aladin und der Wunderlampe” enthielt. Dieses Buch lieh er Tant- chen, und sie verschlang es in acht Tagen, wor- auf sie ihn um den nächsten Band bat. Andersen ließ einige Tage vergehen, worauf er Ihr den- 151 selben Band gab. Tante Jensine las Ihn mit der- selben Freude und Begeisterung. Das wiederholte sich ein ganzes Jahr, in dessen Verlauf sie „Ala- dins Wunderlampe“ 52 mal las. Schließlich konnte H. C. Andersen seine psycho- logische Neugier nicht mehr zähmen und er fragte mit gutmütigem Lächeln die alte Dame: „Na, Tante Jensine, wie gefallen Dir den die Märchen von ‚1001 Nacht‘? „Glänzend, mein Junge“, antwortete Tantchen. „Sie sind ungeheuer spannend. Ich kann nur nicht verstehen, warum der Dichter alle seine Personen Aladin nennt...” SATIRE MIT KORREKTUR Porträt eines Wichts Einen unzweifelbareren Wicht als Kauzmann habe ich nie erlebt. Er war nach Gottes Ratschluß be- rufen, seine Umwelt auf die Folter dessen zu spannen, was er seinen Scharm nannte. In vollem Ernst bildete er sich suggestives Wesen und eine bezwingende Suada ein. Wenn höher geartete Menschen In seiner Gegenwart vor Schreck er- röteten oder sich bestürzt zeigten, war ihm dies Beweis für die Unruhe erzeugende Kraft seiner Persönlichkeit, Ironische Anerkennung strich er unbesehen als bare Münze ein. Von bedeutsame- ten Menschen, die ihn eine Zeitlang duldeten, weil ihr Feingefühl seinem Dünkel nicht gewach- sen war, sprach er wohlwollend als von seinen Freunden. Geriet er aber doch einmal an den Unrechten und mußte eine Abfuhr einstecken, so schüttelte er nach einer kurzen Pause kleinlauter Ergebung die Prügel bald ab 'und übersteigerte sich im Bestreben, rasch wieder auf die Beine zu kommen, bis zu der Behauptung, jener beneide Ihn Ja doch nur. Manchmal hatte, die Verranntheit des seltsamen Menschen unmittelbar zur Folge, daß eine ganze Tischgesellschaft in Schweigen versank — wieder ein Beweis für Kauzmann, wie unwiderstehlich eindrucksvoll er wirke. Hatte dagegen Jemand schon von einem Beisammensein genug für im- mer und dachte nicht daran, sich wieder sehen zu lassen oder gar jenen einzuladen, so gab es da- für nur die Erklärung, daß der andere zu be- schränkt sel, um Kauzmann zu würdigen. So hatte sich der Mann mit der Zeit zu einem eigenbrötlerischen Ekel abgerundet, von dem kein Vernünftiger mehr etwas wissen wollte — am wenigsten seine beklagenswerte Frau, die da- zu auch noch Rosaura hieß. Ein gar nicht übles Wesen, doch ein bißchen beschränkt, was sie unter anderm dadurch zum Ausdruck brachte, daß sie sich selbst eine intellektuelle Frau nannte. Im Grunde‘ ein gutes Geschöpf, nur eben durch Kauz- - manns überragende Eitelkeit in äußerste Verbitte- rung gescheucht Manchmal litt sie mehr als Fremde unter seinem anmaßenden Geschwafel. Aber da sie von ihm abhing, blieb ihr, wenn sie Frieden haben wollte, nichts übrig, als häufig ein Auge zuzudrücken, oft auch beide. Es hatte Zeiten gegeben, da sie noch aufbegehrte, wenn sein hemmungsloses Geschnatter sich an den Wänden brach und Abscheu ihr im Hals würgte. Einmal hatte sie sogar impulsiv einen Teller voll Milch- reis so unglücklich — oder glücklich, wie man will — nach ihm geschleudert, daß die Klunkern ihm Augen und Nase verschmierten... nicht aber den Mund, der ungeachtet des neuartigen Vorkomm- nisses emsig fortfuhr, Wortgeräusche zu erzeugen. Mit der Erkenntnis, daß dieses Sprechinstrument nie zum Schweigen gebracht werden könne, hatte sich der Ärmsten Resignation bemächtigt, und aus der war dann der Entschluß,zur Unterwerfung ge- boren worden. Seitdem zeigte ihre Mundpartie skeptische Falten, aber zu Auftritten kam es nicht mehr — ein Beweis, daß sie die Klügere, also das Gegenteil einer intellektuellen Frau war, für die sie sich hielt. Habe ich schon gesagt, daß Kauzmann Kultur- und Kunstgeschichte betrieb? Wenn nicht, wird es hohe Zeit. Er hoffte, mit einer Darstellung des zwanzigsten Jahrhunderts auf Grund eigener, ganz neuer Erkenntnisse seinen Weg zu machen. In der Tat hatte er, wenn auch noch keinen Ver- leger, so doch schon eine Art Gemeinde, die über dem Toben seiner Worte deren Inhalt nicht weiter In Betracht zog und jedenfalls bereit schien, irgend einmal für ihn einzustehen. Hier war das Rückgrat und Zentrum des Selbstbewußt- seins, dessen schließlich auch die in sich ge- VON PETER SCHER festigte Ahnungslosigkeit eines Wichts auf die Dauer nichı entraten kann. Es versteht sich, daß Kauzmann von seinen Eingebungen noch nichts zu Papier gebracht, sondern alles lediglich sei- nem Mundstück zur Weitergabe anvertraut hatte, welches denn auch den Erwartungen voll und ganz entsprach. Eines Tages — war es Zufall, war es Schickung — geriet eine wirkliche Persönlichkeit in den Um- kreis des Wichts und mußte es natürlich büßen. Kauzmann, dem ein dumpfer Instinkt sagte, daß die bloße Berührung mit jenem vor der Offentlich- keit ein erhebliches Plus für ihn bedeuten würde, bemächtigte sich mit brutaler Unbekümmerthelt des Arglosen. Je unentrinnbarer sich der Fremde von seinem Takt gefesselt sah, um so rustikaler schlug ihn die geltungswütige Beschränktheit des Gastgebers k.o. Es war zum Erbarmen, Kauzmann faselnd und wiederkäuend jenem so lange auf der Pelle knien zu sehen, bis er aus Abscheu und Schamgefühl zugestand, daß Dummheit gleich Überlegenheit und Vornehmheit gleich Unterord- nung zu werten sei, Die Gattin des so unerbittlich aufgenommenen Denkers war eine kluge Person, die schleunige Flucht aus der Gastlichkeit als einzige Rettung erkannte. Sie instrulerte den Mann, daß er von ihrem schlechten Aussehen beginnen müsse, wor- auf nach dem üblichen Hin und Her der Rückzug angetreten werden könne. Ihm waren aber kaum stammelnd und ungeschickt die ersten Worte ent- wischt, als Kauzmann auch schon wieder mit schnellem und jeden Widerspruch beseitigenden Wortgeplätscher eingriff, trotz heftigen Sträubens den Arzt zitierte, die Frau an die Wand redete und den Mann so tief verstörte, daß er in später Stunde, zum Äußersten getrieben, das aufge- drängte Du nicht länger verwehrte. Worauf für Kauzmann Jener Abschnitt anbrach, da er vor seiner Gemeinde in jedem Exzess seines Sprechorgans doppelt unterstrichen die Wendung anbrachte: „In jener Nacht, als der berühmte So- undso mir keine Ruhe ließ, Schmollis mit ihm zu trinken..." Zwischenbemerkung Diese Aufzeichnung über einen Menschen, dem ich vor Jahren begegnet war, geflel mir bei aller Präzision Irgendwie doch nicht so, wie ich sie empfunden und mit ehrlicher Bemühung, der Wahrheit nahezukommen, geformt hatte. Aus die- sem mir damals noch nicht voll bewußten Grunde war sie wohl auch unveröffentlicht geblieben, ob- gleich die Zeit gerade solchen Themen besonders entgegen kam. Mich erinnernd, überdachte ich noch einmal aus der Entfernung das nun in andere Belichtung ge- stellte Erlebnis, verglich es mit der Niederschrift aus vergangenen Tagen und fand, daß der Arbeit genau soviel überschüssige Ablehnung inne- wohne, wie ihr das künstlerische Moment der Liebe zur Erscheinung um jeden Preis mangle. Mit anderen Worten: Die Skizze widersprach un- geachtet redlichster Absicht der Grundforderung: Darstellen, nicht bloßstellen! Nun denn, man soll trachten, seine erkannten Feh- ler in Vorzüge umzuzaubern. Wie eine liebende Gottheit auch innerhalb des kleinsten Wirkungs- kreises lasse man seine Sonne leuchten über Gerechte und Ungerechte. So sei denn also zu Nutz und Frommen des einen oder andern, der bei Reibung mit negativen Erscheinungen von der Galle manchmal dazu verführt wird, das gleich- wohl vorhandene milde Wohlwollen des Herzens nicht zu Wort kommen zu lassen, als Gegenbei- spiel das Porträt des nämlichen Mannes noch ein- mal wiedergegeben. 152 Herr und Frau X Ein Wicht ist noch keln Bösewicht, er kann ein guter Wicht auch sein; om 'Ende Ist er nur zu klein um bös zu sein, vielleicht auch mangelt's Ihm an Blut und nur aus Bleichsucht Ist or nicht zufällig gut und arm und Wicht — daß Gott orbarm, wie sind wir alle klein und arm vor seinem Anspruch und Gericht! Wie er hieß, ist mir nicht mehr erinnerlich, doch denke ich, daß sein Name mir haften geblieben wäre, wenn er ihn irgendwie charakterisiert hätte. Er war recht gefällig und ließ mir bei einer Ge- legenheit, da ich Eile hatte, den Vortritt, wofür ich mich bedankte, was von seiner Seite eine Ein- ladung nach sich zog, der ich mit meiner Frau Folge leistete. Wir wurden bei dieser Gelegenheit auch mit sei- ner Gattin bekannt, deren sanfte, bescheidene Art uns ansprach, wobei wir freilich nicht Im unklaren blieben, daß sie, anders als er, unter der Decke des harmios Gefälllgen Temperamentsmöglich- keiten in sich barg, die nach gelegentlichen Aus- brüchen verlangten. Der — man-muß schon sagen etwas ungewöhn- lich redefreudige — Mann trug indessen kein Be- denken, ihr Kindliches und Heiteres unentwegt anzusprechen und sich von ihrem gutartigen Ein- gehen auf alles zu immer neuen Projektionen, Purzelbäumen im Reiche des Selbstgenusses und überschüssigen Phantastereien befeuern zu lassen. So wäre das Beisammensein fast zu einer Stunde wirklicher Entspannung gediehen, wenn nicht eine etwas üppige Neigung bei ihm obgewaltet hätte, uns soviel Gutes aufzuzwingen, wie wir nur mit äußerster Anstrengung entgegennehmen konnten. Dennoch ging soweit alles ganz erfreulich zu Ende. Wir begegneten uns noch öfter und konn- ten uns, wie es schien, mit der Zeit Immer weni- ger der Überzeugung verschließen, daß wohl doch etwas Bestimmendes von dem Mann aus- gehe, wie auch die Frau mit ihrem durch Sanft- mut gefesselten Temperament ständig an Ein- druckskraft zu gewinnen schien. Wie es gekommen war, wußten wir später nicht mehr zu sagen: Eines Tages sahen wir uns vor die Tatsache gestellt, daß der redselige Herr und seine liebenswürdige Gattin häufiger bel uns blie- ben als wir vorher bei uns selbst gewesen waren und daß unsere Behausung, nun völlig vom Nie- derschlag ihres Wesens durchdrungen, den end- losen Schall seiner Rede ebenso wie die begüti- gende Herzlichkeit ihrer Sanfımut zurückgab, ohne uns überhaupt noch zu Wort kommen zu lassen. In dieser Erkenntnis beschlossen wir, uns auszu- ruhen und für die Dauer unserer Bekanntschaft nur mehr noch ihn und sie als in unserm Bezirk wirkend anzuerkennen. So gewannen wir zugleich ein Mehr an Überblick und sparten unsere Kräfte, bis wir sie gebrauchten. Das aber war an jenem Abend vor unserer Abreise, als wir ihnen scho- nend die überraschende Eröffnung machten, daß wir zu unserm tiefsten Bedauern am andern Mor- gen fahren müßten. Wir schieden mit herzlichen Beteuerungen, ein- ander nicht vergessen zu wollen — wie denn von meiner Seite auch durch diese Darstellung aus- drücklich bekundet wird — und noch heute liegt mir der unaufhörliche Fluß seiner stürmisch be- wegten Rede im Ohr, mit der er den Abschluß unseres Freundschaftsbundes durch das Anerbieten des brüderlichen Du besiegelte. Dirndl-, Trachten-, Bäuerlicher Hausrat München an der Hauptpost, Residenzstraße 3, Tetefon 24305 Dekorations-, Bezugs-Stoffe Aus eigener Erzeugung ne Fr IB TEIRILIEN Hitzewelle bel Milei-: «Suppe, ig fertigkochen. Aroı stoffe bleiben erhalten. Milei der zuverlässige Ei- Austauschstoft KHASANA KOSMETISCHE WELTMARKEN schon 2 Sheila mehrmals täglich beugen wirksam vor gegen Erkältungen und Grippe. Ste lindern Husten und bewahren vor Hoisorkeit. 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Als er eines Tages krank wurde und sein Ende nahen fühlte, sagte er zu Ihr: „Liebliche Lotos- blume, ich höre eine ferne Glocke, die mich zu meinen Ahnen abberuft, gräme dich nicht allzu sehr, wenn ich gestorben bin.” „Oh, mein Herr und Gebieter, du Leuchte meines Lebens”, begann die Frau zu jammern, „wenn du von mir gingest, der Schmerz würde mich er- drücken.” „Die Zeit wird ihn lindern“, tröstete sie der Man- darin, „die Freuden des Lebens werden dich wie- der aufrichten.” BONSA-WERK SOLINGEN Stets häubern und Iroden aufbewahren Das hilfI Bonsa-Klingen sparen! Sie sind wieder auf Draht . kur mı Lezithin-Silber machen. Bei Nervosität, Überan- strengung bestens bewährt. Eine Nervennahrung1.Ranges. Packung 250 Stck. RM. Inkl.Nachnahme, rogen, Merseburg a. $. 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Ich vermache dir dafür diesen kostbaren Fächer, mit dem kannst du dir Kühlung zufächeln, wenn es die Wallung deines Blutes erheischt.” Drauf vermochte die Frau pur zu schluchzen und vor Schmerz zu zittern Dann starb der Mandarin. „Oh, Ich gräme mich zu Tode”, zerraufte sich die Junge Witwe am ersten Tage das Haar, am zwei- ten puderte sie sich dann den Schmerz aus dem Gesicht, denn Schmerz macht die Züge häßlich. Wikunl G.m.b. H. in Lörrach erzeugt nach wie vor ihre Hustenpräparafe rauf und 'runler soll mon dio Zähne bürsten, um gründ- lich zu enrfornon. Hierbel genögt eine kleine Monge Kalkiwe-Zahnpaste. Latz- tere ist knapp und mußschr 1panam verbraucht worden u ZN ro; ir We Abaselun nd, (lahlam Me, 154 a enerung GOLD BRILLANTEN SILBER rau? = WEIN-TR. 5 (EING. SPORERSTR.) machen Gesich: und Aufireien sympathischer Nach dem mod, „A-O-BE"-Verfahren können $ie ohne Iremde Hilfe diese Korrektur In tünt Minuten vollkommen unauffällig an sich selbst vornehmen Prospekte kostenlos von Fa A-0-BE, Essen 110, Schlleßt. 327 Füllhalter: schwarz und farbig UL STREBEN dar den Fa ledermann In jedem Ort Beobachtungen, Nachforschungen Detektei Wittlake, geogr. 1908 mburg 3650, Am dritten Tag trat sie in ihrem Trauerkleid vor den Spiegel und richtete sich die Falten. Am vler- ten rief sie die Schneiderin herbei und ließ den - Rock um eine Handbreit kürzen. Am achten aber besuchte sie das Gıab Ihres Mannes und strich unermüdlich mit dem Fächer darüber hin und her, auf daß die Erde schneller trockne. Und die Leute, die es sahen, sagten mit Recht: „Weiß Gott, die Arme war lang genug mit einem alten Mandarin verheiratet.” * DER UMFANG Treffen sich zwei. „Wie geht's? Wie steht’s?' „Meine Frau ist wesentlich schlanker gewsi..n!" „Wirklich?” ‚Ja. Sie kriegt jetzt in der Telefonzelle die Tür zu.” 9. H. R. tauscht und kauft EB A) CREME S PUDER ON Nur wenig aufttagen. es genagı Nr. €. 4012000 DasgroßeBaustofflexikon ‚ch der gesamten dungen, zahlreiche ein- undmohrfarbig Kunutdrucktafeln. Herausgeber Prof. R. Stegmann Präsident der Deutichen Akademie für Bauforıchung und weitere M hervor- ragende Fachleute und Praktiker. Einun- schätzbares und unentbehrliches Hilfe mittel für jeden Architekten. Bauunter- nehmer, Bautechniker sowie für jedenEr- zeugeroder Verbraucher von Baustoffen. Lexikonformaı gebunden RM 45.—. Zahlbor auch In Monatraten. ED. EMIL THOMA MÜNCHEN 2 WEINSTR. 9 Verlangen Sie Prospekte über weitere Bücher Für Ihren ERA » GEGR.1ET2 Meschrisht hetertr. ‚olonnaden 43 Wimpembalsam@leskote (Reichspatentamtl, Wz. Nr. 545399) E 7a das bekannte Wim- akt vom Lager bestand Ifelarn. Den hen Sie deshalb sehr sparsom damit um. Un f durch Hitze und Lat verderben, austroc- nen oder verdunsten. - . , LABORATORIUM LEO SCHEUFEN Köln-Lindenthal Nr. LIEBER SIMPLICISSIMUS N\7 (0. Nückal) Die Weihnachtszuteilung von Kaffee geht aller- orts langsam zur Neige. Denn so gespart wie bei Halthaus wird in keinem Haushalt, Jeden Sonn- tag zählte Halthaus die Bohnen, Heute stockte er entsetzt: „Amaliel” rief er, „es sind zwei Bohnen zu wenig! Jetzt entsinne Ich mich auch, daß vorigen Freitag der Kaffee irrsinnig stark war —" I.H.R. Wir sparen Wäsche, wo wir können. Nur Großvater kann sich nicht daran gewöhnen Er will jeden Sonntag sein frisches Handtuch. Er kriegt es natürlich nicht. Nur alle zwei Wochen. Aber Großvater ist tückisch. Er steckt einfach das alte Handtuch heimlich in die Wäschekiste. Und dann schreit er beim Waschen nach einem Handtuch, Gestern auch wieder: „Wo ist das Handtuch?!” Meine Frau ılef zurück: „Halte die Hände zum Trocknen zum Fenster hin- aus, Großvater!“ Großvater jammerte: „Wer spricht von den Händen? Ich habe ein Sitz- bad genommen!” J, H.R * Island ist das Land der Traditionen und Konven- tionen. Wenn zwei Isländer zusammen sind, dann gehören erst eine Menge Zeremonien dazu, um eine Unterhaltung in Gang zu bringen, es wäre nämlich sehr anstößig, wenn man ohne weiteres seinen Mitmenschen änreden würde. Neulich saßen in Akureyri zwei Fischer nebenein- ander auf einer Bank. Der eine stopfte sehr um- ständlich seine Pfeife, zündete sie an und sandte eine mächtige Rauchwolke in die Gegend. Er be- merkte nicht, daß ein paar Funken aus der Pfeife auf seine gute Sonntagshose fielen. Der andere Fischer blickte nachdenklich den Rauchenden an, mach fünf Minuten fragte er: „Wie heißt du?‘ Der ändere antwortete nach langem Schweigen: „Orla Sigurdsson,” Wieder eine Weile Schweigen, dann sagte der erste: „Ich bin Asmundur Jonasson von Björnby, Wo bist du her?” „Ich bin von Attavolti” Wieder fünf Minuten Schweigen, dann richtet sich Jonasson würdevoll auf, streckt den Finger aus und sagt: „Orla Sigurdsson von Attavolt, deine Hosen brennen . ” Der unheimliche Fremde auf der Wendeltreppe Hannelore, ‚Schulzens älteste von drei Töchtern, stürzte aufgelöst in die Wohnung. Sie rang nach Fas- sung. „Auf der Wendeltreppe... Ein fremder Mann! Flauschmantel, Schlapphutkrempe tief im Gesicht! Ein Verbrecher! In der Hand..." — das Mädchen erschauerte — „etwas Blitzendes, Sicher ein Messer!" Ein paar Tage später hatte Hed- wig das gleiche Schreckgesicht, und bald darauf auch Klörchen, immer auf der Wendeltreppe zur Waschküche. Gefahr im Verzug! Polizeil Schupol Wichtige Fragen stellte er. Plötzlich ein Geräusch auf der Treppe. Aha, es klappte! Furcht- - los ergriff der Polizist seine Maß- Erst die Front dann die Heimat nahmen. Hin zur Wendeltreppe! In respektvoller Entfernung dräng- ten die Frauen nach. „Halt!" Der Schupo hob seine Schußwoffe gegen den überrum- pelten Fremden. „Messer weg- werfen! Folgen Sie mir“ Der fremde entfaltete den Mantel. Kein Messer, eine Aktentasche mit blitzender Nickelleiste hielt er in ‚der Hand. Er kam die Treppe her- ab. Vor Schulzens offener Tür...: „Dort ist der Verbrecher! Haltet ihn!" Der Fremde strebte in die Wohnung, zum Badezimmer. Doch der Schupo setzte ihm ein Bein. „Kennen wir, Fluchtversuch!” „Schade!” sagte der Fremde. „Bei- nahe hätte ich den Verbrecher erwischt.” „In unserer Wo-h-nung?” Die vier Frauen kämpften gegen eine Ohn- machtsserie. „Jawohl", sagte der Fremde. „Ich bin Detektiv Styxl" Der Schupo legte die Hand grüßend an den Tschako. „Ubermäßiger Wasser- verbrauch in diesem Hausel Haus- wirt übertrug mir Nachforschun- gen. Was finde ich? Familie Schulz nimmt täglich fünf Voll- böder. Der Gasbadeofen krümmt sich vor Dauerhitzel Welche Ver- geudung! Kennen Sie den Ver- brecher® Kohlenklau heißt er. Wo Kohle, Gos oder Strom vergeudet werden, sitzt Kohlen» klav daneben und feixt. Baden Sie wöchentlich je einmal, damit verpassen Sie dem Halunken die Reinigung, die ihm gebührt!" KRONEN- KRAWATTEN-FABR Frite M.Tibkeg BERLIN Cs seine Krankheit verhehlt, verschlimmert sein Übel.“ ARZMEIMITTEL E B sondern länder, welcher sie En leerer Gemelopf gehört nichtin den Mill, mih dem Deckel zurück zu Uhrem a Neuerscheinung; GERHARD TANNENBERG Der Kampf um den Zucker Deutiche Forıchung und Talkral brechen ein Monopol 304 Seiten Großoktav mit 36 Bildern IK Gebunden MB— Die Entstehungsgeichichte des Rü benzuckers, ser In jahrzehntelan- gem Kampf über den Rohrzucker egte und damit ein Welt- monopol brach WILHELM GOLDMANN VERLAG IN LEIPZIG KA OWL € An 174 bauke ILAILADID IE RDILA IKKAD SMILETTILIKK Nährbier” Rs : 203 Dir. 399657 und 418608 I die felt mehr ale 20 Sahren eingeführte Martenbegeichnung für das von. Haderbrän München unter Parenifchup (DRP. Nr. 546960) dergefteifie ltopofarme, dlätelifpe Münchener Malygettänt "IEIWENT J Dos meiste können wir heute kaum ersetzen. Geht Por- zellan oder Steingut in Scherben, bestreichen wir die Bruch- stellen ganz dünn mitwasserfestem Klebstofl, deralles klebt. UHU UHU-WERK BUHL-BADEN Der Ansager = L’annunciatore (Hanna Nagol) BDIERUNTERSIEEHRIET VON HANS WEINDL Ferdinand Obermüller wohnte seit zehn Jahren im Haus Angerstraße 18 in Miete. Das Haus wechselte in dieser Zeit einigemale seinen Besitzer und einer nach dem andern übernahm den Mieter samt dem schriftlichen Vertrag, den er, der Mieter, einst mit dem Urbesitzer geschlossen hatte. Der letzte Hausherr aber verklagte Jetzt den Fer- dinand Obermüller nach &$ 2 MSchG, auf Mietauf- hebung und Räumung, weil er immer wieder nach 10 Uhr nachts den Rundfunk überlaut habe spielen lassen. Es kam zur Verhandlung. Obermüller bestritt die Klagebehauptung. In sei- ner Wohnung sei das niemals vorgekommen. Be- weis: Seine Frau als Zeugin. — Der Anwalt das Klägers wandte ein, daß die Ehefrau des Beklag- ten nicht als Zeugin auftreten könne, weil sie ja Mitbeklagte sei. Der Richter nickte. Obermüller sagte, seine Frau habe nicht mitverklagt werden können, denn sie habe mit dem Mietvertrag gar nichts zu tun, der bestehe nur zwischen ihm und dem Kläger. „Aber, mein Lieber”, sagte’ der Richter, noch mit recht sanftem Tadel, „wie können Sie das behaup- ten, die Frau hat doch den Mietvertrag mitunter- zeichnet.” „Nein“, sagte Obermüller. „Was?' fragte der Richter, jetzt schon bedeutend schärfer, blätterte im Akt und legte ein Blatt oben auf. „Nun hören Sie mal, hier hab ich den Ver- trag” — er schlug mit der flachen Hand auf das Papier — „und hier steht schwarz auf weiß: ‚Fer. dinand Obermüller’ und ‚Frau Anni Obermüller'.“ „Ja, schon, aber —” „Was aber? Zum Kuckuck, Obermüller, verscherzen Sie sich doch nicht von vorneherein Ihre ganze Glaubwürdigkeit beim Gericht durch solche Flun- kerei. Im übrigen ist das Ja gar nicht so wichtig, ob Ihre Frau als Zeugin auftritt —" „Dochl” beharrte Obermüller, „meine Frau muß mir Zeugin machen.” „Wenn's aber doch nicht geht, zum Donner! — Passen Sie mal auf: Zeuge kann nur eine Person sein, die am Rechtsstreit nicht beteiligt ist, die also weder Kläger noch Beklagter ist. Versteh'n Sie das?" „Jawohl, freilich”, sagte Obermüller lächelnd, „Also! Ihre Frau ist aber Mitbeklagte, weil sie den Vertrag mitunterschrieben hat und weil sie folg- lich genau so Mieterin ist wie Sie.” „Meine Frau hat aber da gar nicht unterschrieben.” „Das ist unverschämt“ rief der Anwalt des Klä- gers mit Überzeugung. 156 Der Richter lehnte sich mit hochgezogenen Brauen und gekniffnen Lippen in seinen Stuhl zurück. Dann versuchte er's noch einmal sachlich, kühl: „Beklagter, hier steht: Frau Anni Obermüller. Wie heißt Ihre Frau?” „Anni. Anni Obermüller.” „Gut. Hat Ihre Frau, die Mitbeklagte Anni Ober- müller das geschrieben?” „Nein.“ „Dann wollen Sie also sagen, daß die Unterschrift gefälscht sei?" „Nein, nein!” „Das ist tolll” lachte der Anwalt des Klägers er- regt. Der Richter beherrschte sich mühsam. „Sie geben also zu, daß die Unterschrift echt Ist, wollen aber mit demselben Atem in Abrede stel- len, daß sie von Ihrer Frau geschrieben Ist?! Dann sind Sie doch” — brach jetzt der Richter zorn- donnernd aus — „der plumpste Lügner, der mir je untergekommen ist. Wenn Sie jetzt unter Eid stünden, Mann, kämen Sie ins Zuchthaus, verstehn Sie, ins Zuchthaust?" „Verzeihung, Herr Amisgerichtsrat”, sagte Ober- müller bescheiden, „das glaube ich nicht. Das ist auch gar nicht toll, wie der Herr Rechtsanwalt meint, das ist nämlich sehr einfach... Ich wundre mich nur ein bißchen, meine Herren, daß Sie nicht selbst draufkommen. Die da unterschrieben hat, das ist nämlich — meine — erste Frau, aber die ist schon lange tot. Natürlich hieß sie auch Ober- müller und zufällig auch Anni, was ja wohl nicht allzu wunderbar ist.” Von Fall zu Fall (K. Helligenstaedt) zu. af i' j i „Du hast doch immer gesagt, daß dich meine Anwesenheit bei der Arbeit sehr anregt!" „Durchaus, durchaus, aber nicht bei der Steuererklärung!“ ‚ Secondo il caso: “Hal pur sempre detto che la mia presenza tl & sempre di stimolo al lavoro!,, — 'Certo, certissimo, ma non giä nella dichiarazione delle tasse!,, 157 Dr. JACKSONS BLONDINEN Wenn Dr. Jackson, Professor in Anatomie und Physiologie, seine Vorlesungen am staatlichen physlologischen Institut beendet hatte, eilte er schleunigst nach Hause, und nach einer schnellen Mittagsmahlzeit begab er sich sofort In seinPrivat- laboratorium, das in einem kleinen Gebäude hin- ter seiner schönen Villa lag. Hier saß er zwischen Haufen von Journalen und statistischem Material bis tlef In die Nacht hinein, eifrig beschäftigt mit seinen unermüdlichen Versuchen. Das waren sehr Interessante Sachen, mit denen Dr. Jackson sich beschäftigte, denn es war ihm nämlich gelungen, sensationelle Schlußfolgerungen betraffs des Cha- rakters, der Haarfarbe und der Liebe zu ziehen. Diese drei Faktoren hatte Dr. Jackson, als erster Wissenschaftler, In Verbindung gesetzt. Warum Pr. Jackson sich In seiner Arbeit nur mit dem Charakter, der Haarfarbe und derLiebe der Frauen beschäftigte, ist zu umständlich zu erklären, die Leser müssen aber das Interesse des Doktors für die Frauen nicht falsch deuten, denn Dr. Jackson war der ausgeprägte Typus des ernsten Wissen- schaftlers, ein zielbewußter Streber, von streng- stor Sachlichkeit erfüllt. Für Ihn existierten nicht schöne und weniger schöne Frauen, oder z. B. schlanke und dicke Frauen, für Ihn existierten nur Frauen mit verschiedenen Haarfarben, blonde, dunkle und rothaarige Frauen, und dann die kahl- köpfigen natürlich, die doch seltener sind, Diese außergewöhnliche Gruppierung war beson- ders eigentümlich, da Dr. Jackson ein sehr ganter und scharmanter, Junger Arzt war, und so- gar in dem feuergefährlichen Alter von 35 Jahren. Diesem flotten Herzensbändiger hätte man eine ganz andere Einstellung zu den Frauen zugetraut, z. B. hätte man sich vorstellen können, daß er sie nach der Schönhelt Ihrer Beine einteilte, so wie viele andere es tun.‘ Falls der Doktor aber seine strenge Haltung den Damen gegenüber nicht eln- ‚genommen hätte, wäre es Ihm nie gelungen, seine wissenschaftlichen Experimente so weit zu brin- gen, wie es der Fall war. Die Resultate, die Dr. Jackson erreicht hatte, waren von ganz anderer sensationeller Art: Ruhige Nacht Zum Winterhimmel heb ich den Blick. Der zunehmende Mond bringt mir Glück, Ladht nicht. Icı laß mir meinen Aberglauben von Euch dodı nicht rauben. 200 Meter vor uns liegt der Iwan, der Russe. ‚Aber heute ist eine ruhige Nacht, Die Gescrütze scdimeigen. Nur einige Leudıtkugeln steigen und enthüllen für Sekunden flackernd das Geheimnis scılafender Winterpradht. Ab und zu mahnt tackernd ein MG,, aber das hat nichts zu sagen. Sonderbar ist dieseStille nadı wütenden Tagen, Die Nadıt scheint so friedlich, so ohne Not. ‚Aber 200 Meter weiter lauert der Tod, Beinah kokett hängt der zunehmende Mond schief zwischen seinen Sternen. Da löst meine Seele von Feind sich und Front und enteilt in heimatlicıe Fernen. Wilhelm Hammond-Norden (im Felde) nass ıntwortl. Anı I ‚häfte und Postanstalten.enigegen 8 ton. erlangte Einsendungen werden nur zurückgesendt, wenn Porto beiliegt —Nachdruck Veıotenıt Pofincheckkonto München #20. Erlnlungsort München, VON ERIK STOCKMARR 1. Schwarzhaarige Frauen sind gewöhnlich boshaft und melancholisch. 2. Braunhaarige Frauen haben ein sehr komplizier- tes und tiefes Seelenleben. 3. Die rothaarlgen sind die lebhaftesten und un- artigsten. 4. Die Blondinen sind kalt, sachlich und berech- nend und sind Im allgemeinen ohne Temperament. Das Ist sehr interessant, nicht wahr? Wenn diese Theorien einmal anerkannt geworden sind, wer- den die Damenfriseure mit dem Färben der schö- nen Locken viel zu schaffen bekommen. Nur durch seine unermüdlichen Versuche war es Dr. Jackson gelungen, dieses festzustellen. Er hatte keine Schwlerlgkelten gehabt, um das not- wendige Menschenmaterlal für seine Experimente zu bekommen, denn es gäbe wohl keine Frau In der ganzen Stadt, blond, dunkel oder kahlköpfig, die sich nicht von Herzen gern zur Verfügung gestellt hätte für die Versuche des Jungen, ele- ganten Arztes. Der Doktor nahm aber keine Notiz von den Damen, die In seinem Laboratorium saßen und wie verliebte Tauben gurrien. Daß er mit einer Jungen Blondine verheiratet war, war für die vielen, llebeskranken Tauben kein Hinder- nis. Die Frau des scharmanten Doktor Jackson ließ sich niemals im Laboratorium sehen, was nach der Meinung des Doktors ein klarer Beweis für Ihre Temperamentlosigkeit war, denn sie bo- schöftigte sich augenscheinlich überhaupt nicht mit dem beunruhigenden Gedanken, daß so viele schöne Frauen Im Laboratorlum. ihres Mannes waren. Wäre seine Frau dunkel gewesen, hätte sie Ihm bestimmt ab und zu einen Besuch ab- gestattet, um sich davon zu überzeugen, daß alles korrekt vor sich ging, denn dunkelhaarige Frauen haben Temperament. So erklärte sich Dr. Jackson die Interesselosigkeit seiner Frau, trotzdem es doch auch andere Gründe hätte geben könne: die Frau Jackson vom Laboratorium weghielt, z.B. wäre es ja möglich, daß sie ihn erst in dem psychologisch richtigen Augenblick besuchen wollte, aber daran hatte der Doktor gar nicht ge- dacht. Die Frage, die Dr. Jackson am meisten Inter- essierte, war das Temperament der blonden Frauen, das, wie gesagt, sehr gering Ist. In den letzten Monaten hatte er sich nur mit den Blon- dinenversuchen beschäftigt, um dadurch endlich den Beweis für ihre Temperamentslosigkeit zu bekommen. Tag und Nacht hatte er In seinem Laboratorium mit 17 blonden Frauen, die ausgewählt hatte, gearbeitet. Alles hatte sucht, die Funktion ihrer Herzen, sowie auch ihre Fähigkeiten zum Küssen, die er auf selnem Liebe: registrator gemessen hätte, Die letzten Worte muß ich wiederholen: auf seinem Liebesregistrator hatte er es gemessen. In seinem Laboratorium war es Jetzt so heiß wie an einem Sommertag in der Hölle, denn die Versuche mußten bei einer Temperatur von 38° vorgenommen werden. Der Duft von 17 verschiedenen Parfüms machte den Aufenthalt im Laboratorium noch anstrengender. Gerade an dem Abend, an dem Dr. Jackson den Beweis für die Temperamentlosigkeit der Blon- dinen endgültig geführt hatte, traf ein Ereignis ein, das eine entscheidende Änderung in die sensationelle Theorle des Doktors brachte. Es war spät am Abend, gegen. Mitternacht. Während Dr. Jackson seine interessanten Versuche mit einem Jungen Mädchen, Fräulein Daisy, anstellte, ge- schah etwas sehr Unwissenschaftliches, indem das Mädchen plötzlich den Doktor, anstatt den Liebes- registrator, umarmte, und ihm einen heißen Kuß (97°), mitten auf den Mund drückte. Es war, wie man sich vorstellen kann, nicht das erstemal, daß so etwas pässierfe, denn wie sollte es mit so vielen Frauen und bei 38° Hitze anders sein kön- inorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße #9 (Fornruf 1296). Briefanschrlft: München 2 BZ, ‚Mönchen. — Der Simpiic ınemont Hay Sche : Einzelnummer 30 Pf,; Abonr nen? Solche Situationen bekämpfte der junge Arzt aber gewöhnlich mit einer ernsten Mahn- rede. In dem vorliegenden Fall geschah aber auch etwas anderes, was noch peinlicher war, in- dem Frau Jackson zum erstenmal und ganz un- erwartet im Laboratorium auftauchte, um sich die wissenschaftliche Arbeit ihres Mannes ein bißchen näher anzusehen. Geräde in dem Augenblick als das Fräulein ihren Mann küßte, und Ihm ein sehn- suchtsvolles „Ich liebe dich!” zuflüsterte, trat Frau Jackson In das von liebeslustigen, blonden Frauen erhitzte Laboratorium ein, Resolut ging sie zu der Jungen Dame hin und knallte ihr eine Ohrfeige (57%) zur Abkühlung ins Gesicht. Auch der Doktor bekam eine. Diese Aufmerksamkeit beantwortete Fräulein Daisy mit einem energischen Fußtritt in Frau Jacksons bezauberndes Hinterteil, worauf die beiden blonden Damen einen wütenden Kampf anfingen. In dem Laboratorium befanden sich außer diesen zwel köämpfenden Frauen noch die 16 anderen Blondinen, die alle in den Jungen Doktor bis über die Ohren verliebt waren, Das Signal war Jetzt gegeben, und bald lagen sämtliche Damen auf dem Boden und kämpften einen wahnsinnigen Kampf aus, den Kampf um das Herz des geliebten Doktors. Was sich jetzt abspielte, ist kaum zu bo- schreiben. Die wütenden Blondinen kratzten, bissen und schlugen einander wie kämpfende Löwen, während sie wie Wahnsinnige heulten, oder sagen wir es galanter, wie eine Schar wilder Vögel. Während dieses erbitterten Kampfes Im Labora- torium wurden sämtliche Apparate des Doktors vollständig zerschmettert und seine unersetzlichen Journale, die er über die Tomperamentlosigkeit blonder Frauen geführt hatte, wurden als Wurf- geschoße gebraucht und flogen wie schwere ‚Granaten durch die Luft. Die Temperatur zeigte 75°, Im Verlauf einer halben Stunde war das Labora- torium vollständig unkenntlich geworden, Dr. Jack- son saß in der einen Ecke, unter seinem Liebes- registrator, der „Orkan“ zeigte, vollständig zer- schlagen. Niemals in seinem Loben hatte er so etwas wie diese fürchterliche Amazonenschlacht erlebt. Dr. Jackson wurde von seiner blonden Frau ge- schieden und heiratete später eine dunkelhaarige Frau. Er hat jetzt seine Untersuchungen betreffs die Tomperamentlosigkeit der Blondinen ein- gestellt und arbeitet an einer Abhandlung über Ähnlichkeiten zwischen blonden Frauen und Raub- tieren. MEIN FREUND JOHANNES Johannes hat eine etwas absonderliche Art, zu rechnen. Einst las er eine Anzeige Über irgendeine Lotterie. „Ich werde mir ein Los kaufen”, sagte or. „Es kostet nur 1 Mark und man kann 1000 Mark ge- winnen.” „Tu das“, entgegnete Ich, Einige Tage nach der Ziehung fiel mir die Sache wieder ein. „Nun, Johannes, hast du etwas gewonnen?” fragte ich, „100 Mark”, sagte er so ganz nebenbei. „100 Mark? Da hast du aber Glück gehabt! Hun- dert für eine — eln ganz netter Gewinn.” „Ja, wenn man es so sieht, kann Ich Ja eigent- lich doch noch ganz zufrieden sein”, grübelte Johannes. „Wie um des Himmels willen willst du es sonst sehen?“ fragte Ich erstaunt. „Ja, wo man doch 1000 Mark gewinnen konnte, habe ich doch bei 100 Mark noch 900 Mark Ver- lust”, sagte Johannes. J. Bleger lach. Bestellungen nehmen Preisliste Nr. 7 mus erscheint wöchentlich Er R — Anzeige: Die fromme Miß en „Herrgott — lösch’ sie aus, diese hundert Millionen Deutschen!" La pia Miss: '‘O Signore Iddio.. ‚estinguili Tu. .. questi cento milioni di Tedeschi!,, 159 Gottesdienst in Canterbury (€. Thöny) EEE TIGE PT ze BEER TE TER ER ROREEET TE PIERRE „Und wann wollen wir das besondere Gebet für die Sowjetunion verrichten, Herr Erzbischof?‘ „Anschließend an den Seelengottesdienst für die durch unsere Freunde umgekommenen Geistlichen, mein Lieber!‘ Servizio divino in Canterbury: "Signor Arcivescovo, quando faremo la preghiera speciale per I’ Unione Sovietica?,, “Immediatamente, mio caro, dopo le esequie per I nostri amicl ecclesiastici vecisi!,, 160 München, 17. März 1943 48. Jahrgang /Nummer 11 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN (Wilhelm Schulz) Dan 0 „Und dieses Zeug soll ich in der Massenversammlung tragen, John?‘ — „Trösten Sie sich, Mylord, die Jakobiner- mütze ist mit feinster Seide gefüttert und die Russenbluse aus echtem englischen Homespun gearbeitet!‘ Il Lord rosso: *E questa roba, John, devo portarla io nell’ assemblea popolare?,, — ‘"Confortatevi, Mylord, il berretto giacobIno & foderato della piü fina seta e la blusa russa & vero tessuto inglese '"homespun, !,, Karussell vor der Stadt - Il carosello davanti alla cittä 0. Hegenbarth) ÄHNLICHKEIT VON WALTER FOITZICK Später spielt es nicht mehr so eine große Rolle, wem man ähnlich sleht, aber als Kind wird von jedem verlangt, daß er Jemand ähnlich ist. Im Familienkreis wird lebhaft erörtert, ob Max der Mama oder dem Papa gleicht oder gar einem der vier Großeltern. Alles ist erstaunt, wenn es der Fallist. Es tritt da das übliche „Ganz der Papa” oder „Ganz die Mama” ein. In Pferdezüchterkreisen technet man viel bestimmter mit der Ähnlichkeit und man erwartet sogar, daß der Sohn ebenso schnell läuft wie der Vater oder die Multer und DER ALTE WANDRER Einft war mein Tor der Anfang aller Straßen, Die, fich verzweigend, um die Erde gehn, Und immer fchlenen Ruf und Hörnerblafen Verführerifch um Wand und Dach zu wehn. Nun hat das Tor zum Eingang fich gewandelt, Den Jede Straße fich als Ziel erwählt, Daß fie, was draußen glänzt und lebt und handelt, Mir eifervoll und nimmermüd‘ erzählt, So bleib ich ruhend doch der Welt verbunden, Hab Teil an ihrem Müh'n, an ihrer Luft. - Nachts nahen all die alten Wanderftunden Und legen fich mir wärmend an die Bruft, Hermann Sendelbach womöglich noch schneller als Großvater oder Großmutti. Nun, aufs schnelle Laufen kommt es bei den Menschen Ja nicht so sehr an, man sieht da mehr auf die Augen und die Haare und die Nase, Ich selbst habe meine Jugend In Ähnlichkeit mit einem Onkel Eduard zugebracht. Ich konnte zu fernsten Verwandten kommen, es hieß sofort: „Ich glaube, du siehst dem Onkel Eduard ähnlich, nein, so eine Ähnlichkeit!” Ich habe diesen Onkel Eduard nie lebendig von Angesicht zu Angesicht gesehen und weiß nicht, wer er gewesen ist. Ich kann nur eins sagen, er muß mir sehr ähnlich gewesen sein, wenn ich den andern glauben soll, Später hab ich mal ein Bild von diesem sagen- haft ähnlichen Onkel zu Gesicht bekommen. Ich bin erschrocken. Er war ein Mann mit einem rau- schenden Vollbart und einem Schnauzbart dazu, sonst blieb eigentlich nicht viel mehr vom Gesicht übrig. Na, wenn ich dem als Kind ähnlich gesehen habe, alle Achtungl, ich hätte mir schon damals nicht gefallen. Aber Tante Waleska sagte Immer, ich hätte so einen zarten Teint und so einen möchte sie auch haben. Ich vermute, OnkelEduard hat an den * KRITIK Vor acht Tagen machte ich mit zwei jungen hüb- schen Damen einert Ausflug ins Gebirge. Es war ein herrliches Wetter und begeistert begann ich Goethes Verse zu zitieren: „Die Sonne tönt nach alter Weise — In Bruder- sphären Wetigesang — Und ihre vorgeschriebne Reise — Vollendet sie mit Donnergang.” Da unterbrach mich die Jüngere meiner Begleite- rinnen: „Meister, das Dichten liegt Ihnen nicht, machen Sie lieber eine Kurzgeschichte.” +pf. 162 au Ay Aayır unbewachsenen Stellen die gleiche Haut gehabt. Um eine Ähnlichkeit richtig feststellen zu können, muß man eigentlich eine Tante des in Frage stehenden Kindes sein, Tanten sind für Ähnlich- keit zuständig. Ich selbst bin nicht begabt für Ähnlichkelt. Ich finde, alle kleinen Kinder sehen wie Olaf Gulbransson aus. Nun schätze Ich Gul- bransson sehr, aber den Vätern und Müttern kann man das halt nicht sagen, denn sie hören's nicht gern. Wenn ältere Männer ähnlich sehen, so ähneln sie bedeutenden Leuten. Die Maler nennen sowas Studienköpfe. Sehr beliebt ist die Sorte Goethe, Beethoven und Gerhart Hauptmann, man erkennt sie sofort am vollen, etwas strubbligen Haarwuchs und der charaktervollen Nase. SCHWER MÖGLICH Als sich Frau Wotruba, die Gemahlin meines Schneiders, unlängst bel mir über ihren Gatten beschwerte, sagte ich, um loszukommen: „Ja, Frau Wotruba, wenn er Sie so schlecht behan- delt, wie Sie sagen, dann wird es wohl das Ver- nünftigste sein, Sie lassen sich scheiden!” „Das möcht ihm so passen, dem b’soffenen Lackell” rief Frau Wotruba. „Und I soll nachher als g’schiedene Frau umananderrennen! | dank schön dafür! Das derlebt er net! Marandanna, da tat i mi Ja vor mir selber schamen! Wenn er mi los- werden will, dann soll er dazuaschaun, daß i das wieder werden tua, was i g’'wesen bin, ehvor | eahm g’heirat hab —“ „Liebe Frau Wotruba”, sagte ich lächelnd, „das dürfte wohl schwer möglich sein —" „Aber geh'n $', was Sie wieder glauben!" Frau Wotruba stieß mich verschämt mit dem Ellenbogen in die Seite, „Sie san mir a Schlimmerl... Wis- sen $’ denn net, daß i Witfrau war?” H. K. B. Die Wacht im Osten (E. Thöny) er na er Rn „Ich stehe hier für Europa!“ La sentinella all’ est: ‘Io sto qui per |" Europa!,, 163 Die klassische Figur ke) re — — — D 4 REN, " en a S „Zu dumm, daß ich Arme habe — sonst könnt" man mich für die Venus von Milo halten!“ La figura classica: “Che stupiditä ch’ lo abbla le braccla ... altrimenti mi si potrebbe prendere per la Venere di Milol,, 164 MÖBLIERTES ZIMMER MIT ONKEL Ja, so ist es! Ich bin ein gutmütiger Mensch, gern in Gesellschaft, bereit, ein Auge zuzudrük- ken, wenn es sich um Streiche unruhiger Geister handelt, aber etwas, zum Donnerwetter, was ich nie habe vertragen können, und was mich im höchsten Grade beleldigt, das ist, wenn jemand allzusehr seine gute Laune hervorkehrt, und Ich gerade schwere Sorgen wälze. Ja, meine Lie- ben, so ist es wirklich. Charakterfehler? Nerven- schwäche? Nun, denkt, was ihr wollt. Jedenfalls kann ich einen Idioten, der lacht, wenn Ich an meine Schulden oder an sonst ein Unglück ge- rade, denke, einfach nicht verdauen. Und übrl- gens, warum soll ich nicht auch irgendeinen Charakterfehler haben? Ich rauche nicht, trinke nicht, bummle nicht nachts, kurz, ich bin ein an- ständiger und sittsamer Mensch, Meine einzige Sünde Ist die, mit denen Streit anzufangen, die da lachen, wenn ich an die Schwiegermutter denke. Aber lieber Gott, ich bin doch nicht hier- hergekommen, um euch meine Sünden zu be- kennen und von euch Absolution zu erbitten. Nein! Nein! Ich wollte euch nur In die Lage ver- setzen, das, was ich euch über das unwürdige Betragen des Her Giacomo erzählen will, zu begreifen, Wie? Ihr wollt wissen, wer der Her Giacomo ist? Aber so habt doch ein bißchen Geduld! Seid doch nicht so zudringlichl Herr Giacomo Ist der Onkel von Frau Mercedes, und Frau Mercedes Ist meine Wirtin. Aber ich mache euch darauf aufmerksam — um Mißverständnisse zu vermeiden — daß ich nicht etwa mit Leu- ten, die Onkel besitzen, böse bin. Jeder kann Onkel sein eigen nennen, soviel er nur will, er sollte sich aber auf den persönlichen Ge- brauch beschränken und sie nicht anwenden, um das Leben des Nächsten unglücklich zu ma- chen. Als ich in der Zeitung das Inserat für ein mö- bliertes Zimmer aufgab, habe ich nicht einmal Im Traume daran gedacht, daß es außer einem Zimmer mit Bad, mit Heizung, mit separatem Eingang auch ein Zimmer mit Onkel gäbe. Und auch bei dem Angebot, das mir Frau Mercedes mechte, konnte ich nicht die geringste Anspie- lung auf eine Tatsache dieser Art entdecken, Erst als ich mich dahin begab, um das Zimmer zu prüfen, wurde mir diese Neuigkeit enthüllt. Um die Wahrheit zu sagen, im ersten Augenblick fühlte ich mich durchaus nicht beunruhigt. Die Wirtin ließ mich in das Zimmer eintreten, zeigte mir das Bett, den Schreibtisch, hieß mich ans Fenster lehnen, das auf einen Hof mit prächti- gen herumflatternden Hühnern führte, Schließlich pflanzte sie sich mitten im Zimmer auf und sagte: „Das hier ist mein Onkel Giacomo. Ein Mann, der zu seiner Zelt Aufsehen erregte. Er war Architekt und hat die halbe Stadt erbaut.” Herr Giacomo stand da mit dem Ellenbogen an einen mächtigen Sessel gelehnt, In der Hand hielt er ein geöffnetes Buch und lächelte wohl- wollend. Er schien, sehr zufrieden mit dieser Vor- stellung, zu sagen; „Ich bestätige alles; ich bin ein großer Mann gewesen. Die halbe Stadt habe Ich erbaut; nun verbringe Ich meine Zeit in die- sem Rahmen. Manchmal, wenn niemand da ist, lese Ich in diesem Buch.” Zuerst legte Ich wenig Gewicht auf diese Dinge. Ich war viel zu glücklich, ein Zimmer gefun- den zu haben, um mich von dem Vorhandensein eines Bildes beeindrucken zu lassen. Einige Tage später begann der Konflikt mit Herrn Giacomo. Vom Morgen bis zum Abend war ich herüm- gelaufen, um gewisse Angelegenheiten zu re- geln; aber ich hatte kein befriedigendes Re- sultat erreicht. Sehr betroffen war ich von allen diesen Mißverständnissen, in die ich mich ver- strickt sah. Ich betrat mein Zimmer, setzte mich an das Tischchen und verharrte einige Minuten, ‚YON BERTO PEROTTI den Kopf in die Hände vergraben, um über mein unglückseliges Schicksal nachzudenken. Als ich den Kopf hob, sah ich vor mir das joviale und eingebildete Lächeln des Herr Giacomo. Alle meine Geschäfte gingen daneben, meine Seele war voller Trauer und Wut, und Herr Giacomo, vollkommen unempfindlich für meine Sorgen, lächelte ruhig weiter, aufgeblasen über sein geheimnisvolles Glück. Ich ballte die Fäuste und rlef wütend: „Warum lachst du?” Meine ‚Worte tönten unheilvoll in das Schweigen des Zimmers. Aber Herr Glacomo lächelte weiter; ohne mit der Wimper zu zucken lächelte ersein spöttisches Lachen, Er schien zu sagen: „Nichts kann mich erschüttern; nichts kann mich stören. Ich habe die halbe Stadt erbaut, jetzt lehne ich an diesem Sessel und lache über die Welt. Manchmal, wenn mich niemand sieht, lese ich in diesem Buch.” Ich muß euch gestehen, ich kann apathische Menschen nicht ausstehen, diese Leute, die auf meine Worte und Gesten nicht reagieren. Wehe, wenn einer sich meiner Wut gegenüber gleichgültig zeigt! Lieber will Ich Faustschläge einstecken, als mit Gleichgül- tigkeit behandelt werden. Ihr könnt euch wohl meinen Seelenzustand vorstellen, als Ich diesen hochmütigen und Ironischen Blick der Über- legenheit auf mir ruhen fühlte. Ich nahm Hut und Mantel und ging davon. Die frische Luft be- ruhlgte meine Nerven. Als ich so daherlief, kam Ich zu der Überzeugung, daß ich nicht recht hatte, mich über ein Bild zu ärgern, Ich lachte sogar über mich selbst, und ich wunderte mich, daß ich den Kopf über eine solche Kleinigkeit verlieren konnte. Die folgenden Tage waren mit heiterer Tätigkeit ausgefüllt. Meine Geschäfte fingen an, besser zu gehen, und ich schien mich mit meinem Mitbewohner ausgesöhnt zu haben. Aber sehr schnell, als bei mir die schlechte Laune zurückkehrte, wurde die Frage meiner Beziehungen zu Onkel Giacomo wieder akut. Eines Abends, als ich zu Bett ging, er- füllten trübe Vorahnungen meine Seele. Mein Bruder Francesco hatte mir geschrieben, daß Der widerspenstige Bratfisch - II pesce da friggere renitente der Hauswirt uns hinausgeworfen hatte. Mein Freund Claudio hatte mich um die Bezahlung einer alten Schuld gedrängt. Kurz und gut: ein Haufen Unannehmlichkelten. Obwohl ich mich be- mühte, einzuschlafen, gelang es mir doch nicht, Bis mir plötzlich ein Gedanke kam, der mich schaudern ließ. In diesem Augenblick, in dem ich mich mit meinen Ängsten abplage, ist jemand hier neben mir, der den Mut hat, zu lachen. Direkt besessen wurde ich von dieser Idee. Ich hatte den Eindruck, daß mir etwas Listiges und Unheilvolles aus der Dunkelheit drohte. Schließ- lich konnte Ich nicht mehr. Die Hand erhob Ich und machte Licht. Herr Glacomo, der ehrenwerte Architekt, lächelte friedlich, an den Sessel ge- lehnt; stolz war er über selne Erfolge und seine Gesundheit. Einige Augenblicke starte ich ihn an, mit solch wütenden Augen, wie man nur einen Todfeind anschaut. Das ganze Zimmer schien von dem Lachen, das dem Gesicht dieses Mannes eniströmte, erfüllt zu sein. „Du Hundl” dachte ich, „ich zerreiße mir die Seele vor Qual, und du freust dich darüber.” Da erhob ich mich, schlich auf Zehenspitzen zu dem Bilde, packto einen Stuhl und stieg hinauf, um es umzudrehen Aber mochten es nun meine zitternden Hände sein oder trug meine Kurzsichtigkeit die Schuld daran, das Bild rutschte ab und fiel mit großem Krach zur Erde, Starr vor Schreck blieb ich auf dem Stuhl. Ich glaubte, daß etwas Schreckliches durch mich passiert wäre, und daß bald das ganze Haus deshalb in Aufregung geriete, Statt dessen blieb alles weiter ruhig, und in dieser Stille vernahm ich deutlich, durch die Wand, das röchelnde Schnarchen meiner Wirtin. Ich hatte Angst, daß sie aufwachte. Vorsichtig stieg Ich vom Stuhl hinunter und verkroch mich unter der Bettdecke, ohne mich um das Bild zu kümmern. Am nächsten Morgen fiel meine Wirtin fast in Ohnmacht, als sie bemerkte, was geschehen war. Sie raufte sich die Haare, schaute einmal mich an, einmal das auf der Erde liegende Bild und tlef: „Jesus Marla, die Geister!“ Düster erwiderte ich: „Ja, auch Ich glaube es, die Geister.“ Und (6g. Gaggell) eiligst verließ ich das Haus, um nicht der Wieder- auferstehung des Onkels Giacomo zum Beherr- scher meines Zimmers beizuwohnen. Von da an artete mein Haß für diesen lästigen Nachbarn in einen wahren beständigen Krieg aus. Bisweilen, während ich in meinem Zimmer meine Mahlzeiten einnahm, hob ich den Blick zu dem Bilde und wurde von solcher Wut gepackt, daß Ich Ihm am liebsten ein Stück Fleisch oder einen Löffel voll Suppe an den Kopf geschleudert hätte, In den kritischsten Augenblicken hielt mich Jedoch die Furcht zurück, daß eine solche Hand- lung, wer weiß was für eine Reaktion von seiten des Herrn Giacomo hervorgerufen hätte. Eines Tages jedoch machte ich mir auf besondere Weise Luft. Ich wartete, bis.meine Wirtin kam, um den Tisch abzuräumen, und plötzlich platzte ich heraus: „Ihr Onkel ist ein Dummkopfl" Frau Mercedes drehte sich mit den Tellern in der Hand um und sah mich ernst an: „Was haben Sie gesagt?” „Ihr Onkel Ist ein Dummkopfl” wieder- holte Ich und fühlte unsagbare Befriedigung, daß ich diese Worte noch einmal sagen konnte. Die Erregung und Überraschung der Wirtin mußte sehr groß sein; denn zwei Teller glitten Ihr aus der Hand und zerschellten auf dem Boden. Sie bückte sich, hob sie auf und wiederholte wie im Traum: „Ein Dummkopf — der Onkel Giacomo? Ein Dummkopf?" Darauf verließ sie mit verstörtem Gesicht das Zimmer, schloß sich in der Küche ein und ließ sich den ganzen Tag nicht mehr sehen. Ich wandte mich dem Gemälde zu und stellte Die bekümmerte Elefantin - fest, daß mein Feind absolut uninteressiert bei meinen Schmähungen blieb. Fortgesetzt betrach- tete er mich von oben bis unten und schien zu sagen: „Ich vertrödele meine Zeit nicht mit Ge- schwätz, noch kümmere Ich mich um Vörleumdun- gen. Ich betrachte die Welt; lausche und lache. Manchmal, wenn mich niemand sieht, lese ich In diesem Buch.” Trotz Widerwillen war ich ge- zwungen zuzugeben, daß in der Heiterkeit mei- nes Gegners etwas Edles und Unangreifbares lag. Und gewiß war es dieser würdevolle Gleichmut, den ich fürchtete und haßte, vielleicht nur des- halb, weil ich absolut machtlos dagegen war. Eines Nachts träumte ich, der Onkel Giacomo wäre vom Bilde herabgestiegen, hätte sich an mein Bett gesetzt und mich gekitzelt. Ab und zu beugte er sich über mich und blies mir in die Nase. Dann nahm er einen Strohhalm und kitzelte mich am Ohr. Die Sache spitzte sich so zu, daß ich’ im Traum in ein so schallendes Lachen aus- brach, daß Ich plötzlich aufwachte. Das war zu- viel. Am Morgen entschloß ich mich, diese Frage endgültig zu klären. Ich wartete, bis meine Wirtin mit dem Kaffee kam und stellte ihr folgendes Ulti- matum: „Mit Ihrem Onkel kann ich mich nicht ver- tragen. Entweder verschwindet er, oder ich gehe Einer von beiden.” Mit offenem Munde vor Über- raschung stand die Wirtin da. Sie stammelte: „Mein Onkel Giacomo war ein großer Architekt und ausgezeichneter Familienvater. Ich wundere mich, Ich wundere mich. Hier haben solche feine Herren gewohnt, sogar adlige, und keiner hat L’ elefantessa afflitta sich jemals über ihn beklagt.” Aber ich war un beugsam und erwiderte: „Ihr Onkel kann so gut gewesen sein wie Sie wollen, aber ich will ihn nicht mehr in meinem Zimmer sehen.” Angesichts meines resoluten Betragens mußte sich die Wirtin fügen. Sie lief hin und her durch die Wohnung; dann klopfte sie und meinte schüchtern: „Ich habe etwas anderes gefunden. Ich hoffe, daß Sie zufrieden sind.” Dann zog sie den Onkel Gia- como herunter und setzte an seine Stelle ein an- deres altes Bild mit einem älteren Herrn, Zu mei- nem größten Trost bemerkte Ich sofort, daß der Neuangekommene nicht lachte. Als sie vom Stuhle stieg, schaute die Wirtin das Bild einige Augenblicke an; ernst sagte sie darauf: „Das Ist der Onkel Onorio. Er war Arzt im psychiatrischen Institut von San Tommaso, Er hat beinahe alle Gei- steskranken der Stadt geheilt.” In diesem Augen- blicke glaubte ich, daß der Ton ihrer Stimme eine kleine, fast unwahrnehmbare Erregtheit er- lit. War es Rührung, oder was war es? Onkel Onorio saß im weißen Kittel vor einem gro- Ben Schreibtisch und schaute mich finster durch seine Brillengläser an, In der rechten Hand hielt er eine große Pfeife mit gebogenem Mundstück. Es schien, als wollte er sagen: „Ich bestätige alles, Ich bin ein Genie! Meine Aufmerksamkeit ist auf das Gehirn der Geistesgestörten gerichtet. Die andern Sachen interessieren mich nicht. Ab und zu, wehn ich nichts zu tun habe, rauche Ich diese Pfeife.” (Aus dem Italienischen von Charlotte Opltz.) (Fr. Bilok) „Sei unbesorgt, Barbara, mir gefällst du auch ohne Dauerwellen!* “Sta tranquilla, Barbara! Tu mi piaci anche senza ondulazione permanentel,, 166 Frau Tschiangkaischek im amerikanischen Modesalon (0. Sulbransson) ont curdaanstem ar „Dieses Dollardekor sieht ja ganz hübsch aus — ich kann aber nicht viel damit anfangen. Haben Sie kein Flugzeugmuster mit Bomben drumrum?“ La signora Tschiangkaisek nel salone di mode americano: "Questa guarnizione di dollari & davvero graziosissima ... ma non so che farne. Non avele un campione con aeroplani e bombe tult! attorno?,, 167 DER JÄGER VON WERNER STELLY „Weißt du“, sagte meine Frau, „wir könnten wieder einmal Möhlmanns einladen. Wir waren zuletzt bei ihnen. Sie werden sicher schon dar- auf warten.” „Wir waren aber zum Abendessen bei ihnen”, sagte Ich. n „Sie müssen natürlich auch zum Essen zu uns kommen. Es geht ganz gut, Ich habe ein paar Fleischmarken gespart.” „Ach so”, meinte ich, „jetzt wird mir klar, warum wir seit zwei Wochen so wenig Fleisch hatten. Aber gut, ich werde morgen früh im Dienst Möhl- mann einladen. Knesebeck könnte dann auch mit- kommen. Du weißt, wie sich heute ein Jung- geselle freut, wenn er zum Essen eingeladen wird.” Knesebeck war ein Kollege, der erst vor kurzer Zeit an unser Amt von außerhalb versetzt wor- den war. Er war Junggeselle und wohnte als Altermieter bei einer älteren Wirtin. Sie wissen selbst, daß man mit einer mehrköpfigen Familie ganz gut einmal etwas an Marken ersparen kanh — wir haben drei Kinder —, daß das aber einem Junggesellen, also einem Wesen, das nur mit einer Karte bedacht Ist, doch schwer fällt. Und so jemand ist natürlich dankbar, wenn er hier und dort einmal zum Essen kommen kann. Ich lud also anderentags Möhlmann mit seiner Frau und Knesebeck für einen der nächsten Abende ein. Meine Frau hatte Gulasch gemacht, weil man es, wie sie sagte, gut etwas In die Länge ziehen könne mit Gurkenstückchen, ein paar Pilzen und sehr viel Soße. Ich stiftete von meinem Wein zwei Flaschen und Möhlmann und Knesebeck be- kamen Jeder eine Zigarre. Ich hatte deshalb zwei Tage nicht geraucht. Knesebeck ließ es sich schmecken, Meine Frau hatte das Gulasch wirklich recht schmackhaft an- gerichtet. Der Wein und die Zigarren waren auch nicht schlecht. Wir hatten eigentlich von dem Gulasch noch am nächsten Mittag essen wollen. Schiffsjunge träumt Wär idı Kapitän, Kapitän aller Meere, Idı baute den träumenden Jungen ein Schiff, Ein Schiff ohne Steuer und Segel und Scdiwvere Und triebe hinaus gegen Wind und Rifl. So führ' ich die große Fahrt der Gestirne Und pfügte die Woge mit ahnendem Bug, Und spürte das Salz auf ummitterter Stirne Und wiese den kühnen Möven den Flug. Und hinter mir hundert irre Fregatten Durdıbrädıen den Bannkreis des leuchtenden Turms, Bemannt mit den bleidien gespenstigen Schatten Versunkner Matrosen im Wirbel des Sturms.“ Wir würden entdecken viel neue Gestade Und nicıt mehr glauben an Kompaß und Lot. Uns lüden Sirenen zum seligen Bade Im Märdhenbetle, korallenrot. Im Fluge zu nie gedachten Zonen Ins Grenzenlose lotsend den Kiel, Säh' idı des Nadıts in den Sternen thronen Das urgeraltige Gottgefühll Wär’ ich Kapitän, Kapitän der Meere, Idı stäcdıe vom Ufer des irdischen Raums Hinauf in die weite, die himmlische Leere, Ic der Kapitän, Kapitän des Traums! Rainer Prevot Aber es schmeckte Knesebeck so trefflich, mit einem Wort, er haute gehörig hinein, und wenn man gehässig sein wollte, konnte man auch sagen, er schlang förmlich. Ja", sagte Knesebeck, „solch ein Essen, das ist doch etwas ganz anderes als das, was man im Restaurant bekommt. Ich bin es so leid, dieses ewige Gasthausessen, und mit den Marken muß man sich dabei auch so sehr einrichten.” „Heiraten“, sagten Möhlmann und seine Frau. „Heiraten, Herr Knesebeck. Dann haben Sie das nicht mehr nötig.” 7 „Ich will es Ihnen erzählen”, sagte Knesebeck. „Sie werden es ja doch sicher bald erfahren. Ich brauche demnächst nicht mehr in den Gastwirt- schaften zu essen. Ich gehe unter die Jäger.” Er lehnte sich zurück und brannte seine Zigarre an. „Ja“, fuhr er fort, „Ich gehe unter die Jäger. Ein Onkel von mir starb kürzlich. Er war ein leiden- schaftlicher Weidmann. Von Ihm habe Ich ein Jagdgewehr geerbt, einen prächtigen Drilling. Zuerst dachte Ich, ein Jagdgewehr, was soll ich mit einem Jagdgewehr? Bis Ich auf den Gedanken kam, daß man als Jäger doch allerlei Vorteile genießt. Bedenken Sie, man darf eine ganze Menge Hasen behalten, Enten braucht man Üüber- haupt nicht abzuliefern und vom anderen Wild bekommt man immer Leber, Niere und Herz. Das ist schon etwas. Meine Wirtin will mir dann das Essen bereiten.” „Und lieber Herr Knesebeck", fragte meine Frau, die sofort die Perspektiven ahnte, „von dem, was Sie abliefern müssen, können Sie sich doch sicher die besten Stücke zurückbehalten gegen die Hälfte der Marken? Für Wild bekommt man ja die doppelte Menge.” „Sicher“, sagte Knesebeck, „guten Bekannten könnte ich wohl hin und wieder etwas abgeben und vor allem dafür sorgen, daß sie für die hal- ben Marken ein gutes Stück Wild bekommen.” Von da ab bewegte sich unser Gespräch in weid- gerechten Bahnen. Ach ja, das edie Weidwerk. Welch wirklich männlicher Zeitvertreib. Unsere Reden würzten wir In fachmännischer Weise mit Ausdrücken wie Schweißfährte, Lichter, Löffel, Blume und Halall. Diese Jäger, sind sie nicht zu beneiden? Sie fröhnen ihrer Leidenschaft und ge- winnen dabei noch etwas für den Topf. Als Möhlmanns und Knesebeck endlich gegan- gen waren, sagte meine Frau: „Weißt du, den Knesebeck müssen wir uns warm halten. Du lädst ihn am besten recht bald wieder einmal zum Essen ein.“ ‚Am anderen Morgen im Dienst ging Ich zu Knese- beck. Als ich die Tür öffnete, kam gerade Möhl- mann heraus. Der war mir also zuvorgekommen. Ach, es waren mir noch andere zuvorgekommen. Ich erfuhr es, als ich Knesebeck für die folgende Woche einladen wollte, „Ich komme recht gem”, sagte Knesebeck, „nur geht es leider in der nächsten Woche nicht, da bin ich schon bei den anderen Kollegen ver- sprochen. Aber In 14 Tagen werde Ich Ihrer Ein- ladung gern Folge leisten.“ Wir waren 14 Kollegen und so aß Knesebeck dann immer abwechselnd während vierzehn Tagen in einer anderen Familie, Meine Frau sparte wäh- rend der zwei Wochen, wo es nur ging, damit wir Knesebeck auch ein Essen bieten konnten, das wahrhaft üppig zu nennen war. Es kam so weit, daß ich mich während der ganzen Zelt auf den Tag freute, an dem Knesebeck unser Gast seln würde. Da gab es dann alle die schönen Sachen, die ich nur noch dem Namen nach kannte. Dreizehn Tage sparten wir und, wie Ich unter der Hand erfuhr, auch die Kollegenfamilien, aber am jeweils vierzehntenTage wurden wahre Festessen veranstaltet. War es da ein Wunder, daß Knese- beck auseinanderging wie ein Hefekuchen? Er war schon wohlgenährt gewesen, als er den Dienst bei uns antrat, aber wie er vor unseren Augen zunahm, das grenzte an das Unwahr- scheinliche. 2 Denn leider dauert es seine Zeit, ehe man den 168 Jagdschein bekommt. Knesebeck hatte einen lang- wierigen Kursus durchzumachen, der sich erheb- lich in.die Länge zog. Es war uns allen klar, daß wir durchhalten muß- ten. Nach einem Dreivierteljahr sollte es endlich so weit sein. Die Prüfung stand in wenigen Tagen bevor. Da geschah das Unglaubliche, das einfach Entsetzliche. Knes®beck wurde versetzt. Zwei Tage vor der Prüfung wurde Knesebeck kurzerhand aus unserer Mitte gerissen. Meine Frau weinte hef- tig. Wir Männer trugen den Schlag gefaßter, wenn auch nicht weniger schwer. Einige Zeit später, an meinem Geburtstag, be- kam Ich unter anderem auch Briefe von zwei guten Freunden. Der eine Brief lautete: „Lieber Karll Zu Deinem Geburtstag gratuliere ich Dir recht herzlich und wünsche Dir für das neue Lebensjahr alles Gute. Ich bitte Dich, Knesebeck bestens zu grüßen, der, wie ich erst kürzlich er- fuhr, seinerzeit von hier auf eigenes Betreiben an Euer Amt versetzt wurde. Er ist ein netter ge- selliger Mensch, wir mochten ihn alle gern, Er war jeden Tag bei einem anderen Kollegen ein- geladen. Er war Jäger, vielmehr er wollte es erst werden. Kurz vor der Prüfung wurde er dann nach dort versetzt. Grüße Ihn bitte herzlich. Er ist wirklich ein reizender Kerl..." Der andere Freund schrieb: „Lieber Karl! Zu Del- nem Geburtstag gratuliere Ich Dir recht herzlich und wünsche Dir für das neue Lebensjahr allos Gute. Weißt Du übrigens, daß wir hier einen früheren Kollegen von Dir Im Amt haben? Den dicken Knesebeck, Er hat sich von dort nach hier versetzen lassen. Als ich ihm neulich sagte, daß wir befreundet solen, wurde er merkwürdig ein- silblg. Hast du dich mit Ihm nicht verstanden? Er Ist doch solch ein netter geselliger Mensch. Wir mögen Ihn alle gern. Er ist Jeden Tag bei einem anderen Kollegen eingeladen. Er ist Jäger, viel- mehr er will es erst werden. Demnächst wird er die Prüfung machen. Er ist wirklich ein reizender Kerl...” „Was hast du?" fragte meine Frau. „Du bist Ja ganz blaß.” Ich gab Ihr die Briefe. Als sie sio gelesen halte, schluckte sie ein paarmal heftig. „Er Ist wirklich ein reizender Kerl", sagte sie. „Oh, dieser Schuft.” MEIN FREUND JOHANNES Johannes nennt Haus und Garten vor der Stadt sein eigen. Seine Nachbarn sind fleißige, praktische Leute, In ihren Gärten wächst prächtiges Gemüse, und In Ställen und Boxen wimmelt es von Schweinen, Hühnern, Gänsen und Kaninchen. Bis zum Ackerbau hat Johannes sich auch schon durchgerungen. Aber an die Viehzucht wagt er sich noch nicht heran. Eines Tages war Kleintierzählung. Auch bei Johan- nes erschien ein Mann und breitete seine Listen aus. „Wieviel Schweine haben Sie?” fragte der Mann. „Keines”, sagte Johannes. Der Mann machte an der zuständigen Stelle in seiner Liste einen Strich. „Wieviel Geflügel?“ fragte er dann. „Leider keines“, sagte Johannes. Ein wenig miß- trauisch war der Mann ja, aber er machte doch seinen Strich, „Nun, aber wieviel Kaninchen?“ fragte er dann. „Fehlanzeige“, sagte Johannes. Verwundert und betrübt machte der Mann auch diesen Strich. „Aber irgendwelche Kleintiere werden doch auch Sie haben! Schafe? Ziegen?” Es klang wie ein letztes Angebot. Traurig schüttelte Johannes den Kopf. „Gar nichts”, sagte er. Da wankte der Mann gebrochen zur Gartenpforte. In Johannes erwachte das Mitleid. Er lief hinter ihm her. „Sie, ein paar Fliegen hätte ich. Wenn Ihnen viel- leicht damit gedient ist?" sagte er. ). Bieger m rn KNMHC Hhlm Karlnuhe IKAILDIDIE IRDILA IKAD SMIEITIHR heilt Alles-Kitt Alles-Kitt mit Alabronze oder Gips oder Kreide zu einer honigdicken Masse vermengt gibt zum Behelf ein worzügl, Diditungsmittel für defekte Kochtöpfe as. DeuffcheReichslofterie 480.000 Gewinne und3Prömien Als Prämie wie ok Jewinn, sind Fönfmalhunderttausenddrin und’dennochgenz besonders stark lauchche;vierfünfehnausend Mark +0.000,30000,25.000,20 000 Lospreise in jederder5Klasson - \ TIL \ H3- 46-12 12- 4 24= Ysolfabrik Wernigerode N S N Versand von Lösen u gewimlisten durch MULCUTO Q == sm Damm Zeipzig.C1, Auenstr.10 donkt. Ihnen die pflagliche Behandlung durch längere lebensdauer. BIOLAVAN ist der patentamtl, Wortschutz ®) SEVERIN + CO-KÖLN Arzneimittel sind treue Helfer Ihrer Gesundheitl N m— \ DRR. 125gr frcher Quark wird das eingeır. 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Fürst Talleyrand war der erste, der Parmesankäse in die Suppe rieb, und ein Partisan kommt zwar nicht in die Suppe, aber zerrieban gehörte er trotzdem...: und jetzt erzählen wir, wieso das alles zusammengehört und weshalb Parsifal, der reine Tor, noch hinzukam In Köln wurde kürzlich ein ungarischer Film auf- geführt, der den Titel trug „Vision am See“, Ein Junges Mädchen, das gefragt wurde, ob sie sich unter „Vision’‘ auch etwas Ordentliches vorstellen könne, antwortete: „O Ja. Die Vision... das ist doch das, was die Sol- daten haben...” Wo? Wo?I So verblüffend diese Auskunft war, es lag nahe, an Division zu denken... aber haben PARFÜMERIE UND FEINSEIFENFABRIK GEORG DRALLE HAMBURG Siegellacke aller Ärt tempelkissenu. — (Tinte u. Ausziehtusche" Ep. BUSZIENTUSENE Dieguteweiße Klebepaste für Papier. | Geschmei Gelik En nsa | | io 8 can ‚\nlbis zum letzten Rest! EEE G leb-Allfu.Büroleime‘) Ss U [GUTENBERG Werk für Bürobedarfm&H Mainz die Soldaten die Division, öder hat die Division die Soldaten? „Ach was”, meinte das Mädchen und wies diesen Ulk überlegen von deı Hand: „Vorn am Gewehr doch...!” Bei dieser Gelegenheit erlebte der Witz mit dem Parvenü an einem Kölner Stamm- tisch seine Grundsteinlegung. Tunnes, beginnt er, kommt von einer Gesellschaft und beklagt sich bei Schäl, man habe ihn dort einen Parvenü genannt. Das sei eine Gemeinheit, denn ein Parvenü sei doch das scheußliche Affen- vieh mit einem knallroten Hintern... „Nö“, beruhigt ihn Schäl, „das verwechselst du. Der Aap heißt doch Paravent.” Als diese Geschichte erzählt wurde, lachte jeder darüber mit kennerhaftem Einverständnis, bis sich nach drei Minuten plötzlich einer aufs Knie schlug und ausrief: „Eine tolle Biesterei, einen Wand- schirm mit einem Parmesan zu verwechseln...” Starr sahen ihn die anderen an. Die Fröhlichkeit ‚aned [EITEIS dedajyoynJapue 9191 zienung 1. Klasse 16. U. 1 2 Mr burg-AÄl Poftcheck Hamburg 63 170 Biomalz pri 1, Doppelt. 3 faces Los T2- RM je Kl, sorgfältig und verkhwiegen . Lotterie-Einnahme Itona Große Bergstr. 133/a erstarb Bis einer seinem Herzen auf einmal Luft machte und tuschelte: „Nun möchte Ich bloß wissen... warum macht der denn einen politi- schen Witz daraus?” „Ja, was hat denn ein harmloser Pavian mit den verfluchten Heckenschützen zu tun?” Später als sich einer nach dem anderen in der Straßenbahn verabschiedete, sagte der alte B., der bisher starr und stumm geblieben war, schmun- zeind zu mir: „So schön diese unfreiwilligen Witze vorhin auch waren — es beweist doch allerhand Weltfremdhelt, um nichts Schärferes zu sagen, wenn einer den Parsifal als Parmesan bezeichnet und die anderen damit auf den Gedanken bringt, es wäre von Partisanen die Rede.. Ein Glück, daß der alte Wolfram von Eschenbach, der nicht einmal schreiben konnte, auch nichts mehr hören kann...” Und ließ uns mit lächelndem Kopfschütteln von der nächsten Statlon ab allein. S. Kasa wurde am lHofe in Wien die Firma ATTUS ihre bekannteste Marke int der Wiener Sekt HOCHRIEGL his Bruytrepfeifenfabrik VAUENNürnbg. über jedermann In jedem On lachlorschungen Dotoktoi Wittlake, gogr. 1908 Colonnaden 45 Werk Gebr. Patermann Teltow GÜNTHER WAGNER GEGR.1838 ea lehnen KOHLEPAPIER Esistaus knoppen wertvollen Rohstoffen hergestellt. Werfen Sie also kein Blatt eher fort, als bis seine hohe Farbkrafi voll- ständig verbraucht ist. GEHA-WERKE- HANNOVER Strümpfe I Bahanigen Si hause, da Euhuie nur ben uchränkt halerbar mt, nach mehr ala rohen unseren Ranchlog Sarglalng und hauch« dann eutvogen Nicht die Mange. de Guss unchaider I STEINHÄGER ZUSENDEN München Nounauser Str. 15 Walnstr. 14 Am Stachus Dachauer Straße 2 "immer ein Zeichen für photographifce Wertarbeit LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückei) Dies geschah in jenen Zeiten, wo die Zeitun- gen noch ellenlange psychologische Essays über Raubmörder und Gattentöter schrieben und die Bilder der Verbrecher in Riesenaufmachung oft auf der Titelseite erschienen. Darüber schwoll natürlich dem Verbrecher der Kamm, Zwei Anwälte verteidigen den Doppelmörder von Finsterwalde. — „Was sagen Sie zu unserem Klienten, Herr Kollege?” Der Kollege sagte: „So natürlich und einfach wie er Ist — so reizend leutselig —" I.H.R. * Eines Tages fuhr ich nach Budapest. Schon am ersten Abend, in der Hotelhalle, hatte mich Tibor entdeckt. Er war schon früher in Wien eine recht lästige Bekanntschaft gewesen, der jeden Tag ein neues Anliegen hatte und tausend Gefällig- keiten verlangte. Ich war damals froh gewesen als er der Stadt den Rücken kehrte, auch wenn ich jetzt keinen mehr hatte, mit dem ich meine bescheidenen ungarischen Sprachkenntnisse pfle- gen konnte. Auch heute überfiel er mich sogleich mit tausend Wünschen. „Kannst du mir eine Empfehlung nach Berlin geben? Weißt du In Berlin für vier Wochen ein tesches Pupperl für mich? Du bist doch so lieb und leihst mir deinen Koffer? Darf ich in Berlin in deiner Wohnung absteigen?“ — Ich schwieg eisern. „Warum antwortest du nicht, Janos?“ fragte er eingeschnappt. Ich kann nicht leiden, wenn man mich Janos nennt, Ich heiße Johannes. Ich lege Wert darauf. Er weiß es „Alsdann, was ist, Janos?” wiederholte er trotzdem. „Zu dumm! Zu dumm!” sagte ich „Hast keine fesche Hetäre für mich, Janos?' „Zu dumm! Zu dumm!” wiederholte ich. „Magst net oder willst net, Janos?” „Zu dumm! Zu dumm!’ — „Was hast denn?” „Ich denke nach und denke nach und komme nicht darauf!” „Auf die Adresse von einer sauberen Hetäre?” „Nein. Nein.” „Was hast dann vergessen, Janos?” Ich seufzte: „Wie das Götzzitat auf ungarisch heißt!“ ).H.R, Der Hilfeschrei um Mitternacht Kurz vor Mitternacht! Stockdunkle Nacht! Meisterdetektiv Styx ging durch die Stadt seinem Heim zu, Plötzlich ...Eine Gänsehaut über- lief ihn. Dort im Erdgeschoß ein schlecht verdunkeltes Fenster. Da- hinter der Schatten eines Mannes, der telephonierte, Styx hörte ein schreckliches Wort. Hohl, drohend klang es, wie aus einem Toten- gewölbe. Gleich darauf aus dem erstenStock ein gellenderMönner- schreil H-i-Hf-el Dann ... Was be- deutet das Dröhnen des Laut- sprechers, das offenbar aus dem Raum drang, wo sich der Be- drängte befand? Die Haustür war offen. Schon stand Styx im erstenStock, Welche von zwei Türen? Dort laute Musik, dazwischen Ächzen! Styx klopfte. Schlurfen! öffnete. „Mein Name ist St Brauchen Sie Hilfe Die Frau brach in Tränen aus. „Ach ... Mein Mann ... Diese furchtbaren Telephonanrufel Alle zehn Minuten dasselbe unheim- liche Wort! Er ist zusammen- gebrochen!” Eine verweinte Frau Detektiv. Styx sah ins Zimmer. Der Laut- sprecher raste. In einem Lehn- stuhl kauerte der vor Angst zitternde Hausherr, Rer ... rrrr! Wieder ein Anrufl Styx nahm den Hörer ab, lauschte. Dasselbe erschütternde Wort! Der Detektiv sprach zurück: „Im Prin- zip haben Sie recht, Sie Herr aus dem Erdgeschoß. Aber lassen Sie das". „Erlauben Sie mall“ kam es von unten, „von früh bis spät Rundfunk da oben ... Windstärke zwölfl“ „Ich werde für Ruhe sorgen”, ver- sprach Styx. „Endel“ Er legte den Hörer auf, schaltete die Musik ab und sagte zu dem erlöst auflauschenden Haus- herrn: „Der alte typische Fall! Das Rundfunkgerät ist keine Kessel- schmiede mit Tag- und Nacht- schicht. Nur, was interessiert, hört man. Das schreckliche Telephon- wort „Kohlenklau“” hat Sie wohl endlich aufgerüttelt. Auch mit ver- nünftigem Rundfunkgebrauch jagt man Kohlenklau, diesen Kohle-, Gas und Stromdieb, aus dem Hause. Also Schluß mit der ra- senden Dauerwellel Ich empfehle mich!" Wimpernbalsam@leskoti (Reichspatentamtl. We. Nr. 545338) das bekannte Wim: pernwuchmittel und übrigen k ) kann ich x. schrönkt vom Log: bestand liefern. Ueberlegen ob das Bild lohnt — jedes Für und Wider sorgsam wägen und im rechten Moment handeln (knipsen) — — wie beim Schachspiel. So erhalten wir wirklich schöne Fotos und sparen den guten Nur für Männer Die Sammlung von Er fahrungen und nützlichen scheinen hier nach und nach di Rasierkunde” der Rasierklin, GOLD-STERN-Werk GOLD-STE Pfeilrin Haut-Cr me für das Kind, dann fi beitende Hände, ze verderben, ‚n oder verdunsten, Kniffen für Selbstraslerer' kann 2. Z. nicht neu gedruckt werden, Deshalb er- sten Ratschläge aus der „Gold-Stern- Wann darf ich me verwenden? der gesorgt - heute zuerst Pröpar. Z. nur KRONEN- austroc. KRAWATTI » BERLIN Ca je wichtig« genfabrik Solingen RN für ar- -FABRIK Fritz IM. Tübke Die Versorgung vor gesichert, daran, doß nur vorübergt Schwierigkeiten daran schuld Comelio nicht überall erholten e, © "ss mi Sie ihn gelesen haben, an die Front! mit Domenbinden Ist nach wie Denken Sie bitte ‚ende in können, wenn Sie trotzdem einmal Schicken Sie den Simlichrimus, wenn können Ihrer Junghans- 'Taschen- oder Armbanduhr ‚nur schaden, wenn sie einmal stehen bleibt int schon der rechtzeitige Gang ins Uhrenfechgeschält Denn oft st die Urnache nur eine Kleinigkeit ‚Aber tropdem gehört manchmal das ‚ganze Können eines Fachmannen da- zu, um den Schaden zu beh. schont und pflegt hat sie noch länger Deutsche Reichslotterie Über 100 Millionen RM. 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Nur daß mir mein weißer Kragen wie ein nasses Handtuch am Halse lag, das war nicht fein. Auch Ramons Kragen war aufgeweicht. Das kam von der Hitze. Die Hitze macht aus jedem Kragen einen nassen Lappen. Sie können es glauben. Wir hätten gern unsere Kragen abgebunden. Aber das ging nicht. Denn wir befanden uns mit- ten in einem eleganten Publikum. Die Herren, die da mit uns in Plüschsesseln saßen, hatten Kragen am Hals, und auch diese Kragen verwandelten sich schnell oder langsam in unansehnliche Lap- pen, in nasse Lappen. Die Damen dagegen waren viel besser dran. Was sie auf ihrem Körper hatten, das trug eine Katze auf dem Schwanz weg, ohne sich dabei anzustrengen. Wir hatten deshalb viel zu sehen. Aber davon will Ich nicht welter sprechen, Sie kennen das sicher auch, Wir saßen ziemlich dicht an der Bühne. Wir hat- ten einen Tisch für uns, Wir tranken. Natürlich tranken wir. Aber unsere Kragen wurden davon nicht trockener. Auf der Bühne geschah allerhand. Es gab da nur erstklassige Nummern. Die leute taten Ihr Bestes, Und wir, der Ramon und ich, wir klatsch- ten mächtig. Es trat dann eine Sängerin auf. Sie war ein hüb- sches Mädchen. Doch, das konnten wir sehen. Nun sind Sie, lieber Herr, vielleicht der Meinung, bei einer Sängerin komme es vor allem darauf an, daß ihr Gesang das Eintrittsgeld wert ist. Weit gefehlt! Wenn eine Sängerin auf die Bühne tritt, dann muß sie vor allem hübsch gewachsen sein, und man muß das sehen können. Also: wir sahen, daß diese Sängerin hübsch war. Sie hatte außer einigen dicken Armbändern eigentlich recht wenig an, noch weniger als die Damen, die da saßen. Und das war wirklich nicht viel, Sie können es glauben, Die Sängerin sang. Ob sie gut sang, welß ich nicht, Ich bin da nicht ganz zuständig. Aber die Leute waren begeistert. Wir auch. Und da gerade eines der Blumenmädchen an unserem Tisch vor- beikam, nahm Ramon ihr den Laden weg, den sie trug, und warf ihn auf die Bühne. Ich fand das in der Ordnung. Das Blumenmäd- chen ebenfalls. Sie wußte ja, daß sie die ganze bunte Pracht bezahlt bekam. Das haben Sie schon mal gelesen? Sicher. So etwas kommt vor in der Hauptstadt und auch anderswo. Und das war gar nicht die Hauptsache. Die Hauptsache kam etwas später, Die Sängerin knickste, lächelte uns dankbar zu, trällerte noch etwas vor sich hin, und dann fiel der Vorhang. Kurz danach begann die nächste Nummer, irgend so eine Tanzgeschichte. Nein, wir ahnten nichts Böses. Wir wischten uns den Schweiß aus dem Kragen und aus dem Ge- sicht. Da kam die Sängerin an unseren Tisch. Ja- wohl, zu uns kam sie. Wir sprangen auf, verbeug- ten uns, ein Kellner schob einen Sessel herbei, und dann saß die Sängerin, Sie hatte einen dunkelroten Mantel auf den Schul- tern. Darunter war sie auch jetzt so spärlich be- kleidet wie vorhin auf der Bühne. Das konnten wir sehen. Nein, sie war gar nicht zimperlich. Sie sprach mit uns. Ob uns ihr Gesang gefallen habe, wollte sie wissen. Und Ramon beeilte sich, ihr zu versichern, er habe nie etwas Besseres gehört. Auch Ich sagte das. Na ja, man spricht VON KONRAD SEIFFERT manchmal etwas so leicht aus. Aber mit mir gab sie sich nicht weiter ab. Ich erkannte gleich, daß sie Ramons wegen an unseren Tisch gekommen war. Das ärgerte mich zwar ein wenig, aber Ich nahm die Sache nicht tragisch, wahrhaftig nicht. Und ich war neugierig darauf, was sie von uns wollte. Sie begann uns auszufragen: woher wir kämen, was wir in der nächsten Zeit zu tun beabsichtig- ten. Wir gaben Ihr Antwort, Ich merkte dabei, daß Ramon sehr entzückt war von dieser hüb- schen Sängerin. Und auch sie zeigte, daß ihr Ramon gefiel. Doch das war weiter kein Wun- der: es hatte schon viele Damen gegeben, die sich in den Ramon vergafft hatten. Nachdem wir uns etwa eine halbe Stunde recht Vorfrühling Windsmütter die Kronen kämmen, da fällt, was morsch und krank; nun steigt der Saft in den Stämmen und macht sie warm und blank. Es schnaubt der Föhn hernieder und frißt den letzten Schnee, man riecht den Fuchs schon wieder und sieht jungen Hasenklee. Mariandl, die schlanke Meise, die jüngst noch zur Schule gemußt, singt jetzt untertags immer leise und bekommt eine runde Brust. WILLIBALD OMANSEN nett unterhalten hatten, fragte die Sängerin den Ramon, ob er sie heiraten wolle. Und ehe ich etwas dazu sagen konnte, rief er reichlich laut: „Heiraten? Sofort! Auf der Stellel” Sie werden zugeben müssen, lieber Herr, daß auch Ihnen die ganze Sache zu schnell gegangen wäre, Mir ging sie zu schnell. Dem Ramon nicht. Aber die Sängerin lachte, legte ihre schmale Hand auf Ramons Arm und meinte, es solle nur so eine Art Scheinehe sein, und auch nur für kurze Zeit, und ob er da mitmachen wolle. Ja, Ramon wollte auch da mitmachen. Wir er- fuhren: die Sängerin war verpflichtet, In etwa vierzehn Tagen in Rio de Janeiro aufzutreten, das hier, heute, das war ihr letzter Abend in unserer Hauptstadt. Morgen wollte sie abfahren, zu Schiff. Alles war schon bereit. Nur eine Schwierigkeit bestand: sie durfte in Rio nur dann an Land gehen, wenn sie verheiratet war, Doch, solche eigenartigen Bestimmungen hat es zeit- wellig gegeben. Vielleicht existieren sie auch heute wieder, ich weiß es nicht. Die Dame brauchte also einen Mann. Und der sollte Ramon sein. Ach, ich will Sie nicht langweilen: wir machten die Sache. Ich sage: wir. Denn daß ich zurück- blieb, während Ramon mit der Dame davonfuhr, davon war nicht einen Augenblick lang die Rede. Einen Paß für das neue Ehepaar beschafften wir am nächsten Morgen. Es war da schon gut vor- gearbeitet worden. Am Mittag war Ramon der Gatte der Dame. Sie hieß übrigens Teresa Maria. Am Abend verließ das Schiff den Hafen. Es war 172 eine schöne Fahrt. Nein, es gab keinen Sturm, kein Unwetter, nichts, Und wir kamen plan- mäßig an. Nun aber zeigte es sich, daß sich meine ge- heimen Ahnungen und Befürchtungen bewahr- heiteten. Ja, ich hatte vom ersten Augenblick an solche Ahnungen und Befürchtungen. Ich hatte dem Ramon auch auf der Fahrt erzählt, daß mir bei der ganzen Sache nicht recht wohl war. Aber er hatte gelacht. Also: es geschah, daß die Teresa Marla nach ihrer Ankunft in Rio nicht daran dachte, den Ramon aus seiner Verpflichtung zu entlassen, Es gefiel ihr sehr gut, ihn als Gatten zu haben. Und Ramon — ach, ich muß sagen, daß wir Männer zuweilen eben doch nicht ganz beisammen sind — Ramon blähte und sonnte sich an der Seite des hübschen Mädchens, mir wurde ganz übel, Nun werden Sie sagen, lieber Herr, so etwas sel Neid. Sagen Sie es nicht. Es war kein Neid. Es war nur der Gedanke an das, was später kom- men mußte. Denn ich war mir klar darüber, daß dies ein Ende mit Schrecken nehmen konnte. Wir waren so welt entfernt von allen unsern Grundlagen. Wir waren in einem fremden Lande. Wir wußten nicht, wie wir zurückkommen konnten. Wir hatten in Rio keine Freunde. Und das Leben war teuer, sehr teuer. Teresa Marla sang, gewiß. Sie verdiente Geld, sie verdiente für uns mit. Aber so etwas Ist doch nlederdrückend, meinen Sie nicht auch? Das sagte ich dem Ramon. Er sah es ein. Aber die Liebe, ach, die Liebe! Ja, die beiden hatten sich gern. Doch was sollte daraus werden? Ich zählte das Geld, das ich noch besaß. Es reichte für Ramons und meine Rückfahrt. Ich hielt mich oft am Hafen auf und sah mir die Schiffe an, die da lagen, und die nach Süden fuhren. Und ich wurde dabei sehr wütend auf Ramon, den ich nicht überreden konnte, mit mir zu einem die- ser Schiffe zu gehen und abzudampfen. Weil so eine Teresa Maria dazwischensteckte, Der Zufall ist eine feine Einrichtung, wahrhaftig. Der Zufall half mir. An einem Vormittag lag die „Zarzamora” Im Hafen (Zarzamora heißt Brom- beere, und dies ist ein nicht alltäglicher Name für ein Schiff). Als Ich die „Zarzamora” liegen sah, schrie ich auf vor Freude. Und Ich wußte sofort, daß nun alles gut werden würde: der Kapitän dieses Schiffes war Werner Altmeyer aus Küstrin an der Oder, den kannten wir sehr gut, und er kannte uns, den Ramon und mich. Ich sprach mit Werner. Er brauchte Leute, sechs Mann waren ihm krank geworden, er mußte sie in Rio lassen. Ich bot mich ihm an als Kohlen- trimmer, Heizer, Koch, Steward, als Mädchen für alles. Und ich bot ihm auch den Ramon an, das war ja das Wichtigste. Ja, ich erzählte Ihm, wie es um Ramon stand, Werner grinste, kniff eln Auge zusammen und fragte nur: „Hast du Ramons Papiere?" Ich hatte Ramons Paß, den echten, er hatte Ihn mir ge- geben. Den andern, in dem er als Ehemann er- schien, den bewahrte Teresa Maria auf. Ich gab dem Werner Ramons Paß und auch meinen. Dar- auf meinte er: „Ich will das klar machen. Kommt beide morgen abend an Bord. Übermorgen früh fahren wir abI” Bis zum nächsten Nachmittag verheimlichte ich Ramon, daß ich die „Zarzamora” und den Werner Altmeyer gesehen hatte, es fiel mir schwer. Aber dann erzählte ich ihm die Neuigkeit. Vorher schon hatte ich unsere paar Sachen an Bord gebracht. Ramon freute sich mächtig auf Werner und die „Zarzamora”. Ich brauchte ihm nicht viel zuzu- reden, mit mir zum Hafen und zum Schiff zu gehen, An diesem Abend sang Teresa Maria, Kampf dem Verderb (K. Helligenstaadt) „Ich habe gestern alle Briefe verbrannt, die ich von Männern bekam!" „Ach, wie schade — ich habe mir mit meinen ein Schnitzel gebraten!“ Der Kavalier - Il cavaliere GH. V, —_—D U £ TE DRG > Y AR: V D, 9 ) v j RE WA Zr » IH „Ach, Lisa, so ' “Ah, Lisa wie an jedem Abend. Nein, immer hörten wir uns diesen Gesang nicht an. So etwas geht Ja dann doch auf die Nerven. Und das Mädel fand es auch ganz in der Ordnung, daß wir sie nur am Schluß ihres Auftretens In Empfang nahmen. An diesem Abend wartete sie umsonst auf uns: wir kamen nicht. Wir konnten nicht kommen, Es gab bei Werner so viele gute Flüssigkeiten, daß wir es vergaßen, zu Teresa Maria zu gehen. Ramon sang, er ko- pierte das Mädchen, das machte er sehr gut, und %y IR a (Magon) ee] n galanter Handkuß geht einem durch bis auf die Straps!'' dann konnte er nicht mehr singen. Gehen konnte er auch nicht. Mit mir stand es ähnlich, Äm nächsten Morgen verließ die „Zarzamora” den Hafen. Wir, Ramon und ich, wir merkten nichts davon. Und als wir etwas merkten, da war es zu spät für Ramon. Nein, er tobte und brüllte nicht, als er sah, was Ich angerichtet hatte. Er war nur etwas nachdenklich. Ich stülpte ihm eine hohe weiße Mütze auf. Denn Werner hatte ihn zum Koch gemacht. Kochen konnte Ramon, besser als Sie vielleicht, «.. un baciamano sl galante penetra giü fino alle giarrettierel,, lieber Heır. Und so kochte er eben, bis wir in der Hauptstadt ankamen. Unterwegs sagte er zu mir: „Es war sehr schön, das Verheiratetsein mit dieser — dieser — wie hieß sie wohl schon? Aber wir brauchen Ab- wechslungl” Und dann kochte er. Ich trug das Essen zu Werner, Denn ich war so eine Art Steward. Nein, es war für diesen Dienst sonst kein Mann auf dem Schiff. Und es Ist keine Schande, Steward zu sein. Ich hatte schon ganz andere Sachen gemacht, wahrhaftig! Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlingor Straße 80 (Femrut 1294). Briefanschrift: München 2 BZ, Brleffach, Verantworti. Schriftielter: Walter Foltzick, Münche: alle Buchhandlungen. Zeitungsgeschälte und Postarıs gültig ab 15 Okt 1941 — Unverlangte Einsendungen ‚en. Bezugsptelse: Einzelnummar 30 anige; Pl; Abonnement Im Monal R, nz werden nur zurückgesandi, wenn Porto beilleg! — Nachdruck verboten — Posischeckkonto München 5920 Eılüllungsort München ıniwortl Anzeigenleiter: Gustav Scheerer. München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal Bestellungen nehmen M 1,20. — Anzeigenpreise nach Preisilte Nr. 7 Der kleine Außenseiter mit dem großen Brett an peR«\ lea oh N INTER ik KIELL N ni m (Erich Schilling) „Der Bolschewismus ischt für mich nicht g’fährli' — ich hab Gott sei Dank ’ä guete Schutz dagäge!" II piccolo internazionalista colla grande asse: "ll bolscevismo non sarebbe pericoloso per me... Io, grazie al clelo, ho un buon riparo contro essol,, Isländische Gastfreundschaft Norwegens berühmter Liederkomponist Christian Sinding reiste um die Jahrhundertwende einmal nach Reykjavik, der Haupistadt von Island, Da- mals war eine Reise nach Island noch eine große Begebenheit, und man kann sich denken, mit welchem Jubel der Komponist auf der Insel des Nordens empfangen wurde, Er reiste auf Ein- ladung der Regierung Im ganzen Lande umher bis hinauf nach Akureyri. Diese Reisen waren etwas beschwerlich, da sie meist auf dem Rük- ken der kleinen zähen Island-Ponys zurückgelegt werden mußten, und deshalb mußte unterwegs des öfteren Station gemacht werden. Aber die Isländische Gastfreundschaft zeigte sich hier von der schönsten Seite. Auf den Gehöften im Innern der Insel wurde aufgetischt, was man nur hatte und meist bis tief in die Nacht hinein gefelert. Sinding übernachtete auf dieser Reise auf einem alten Hof in der Nähe von Akureyri, Das Zimmer, das ihm sein Gastgeber anwies, war groß und geräumig, aber es lag dicht unter dem Dach und man mußte, um dorthin zu gelangen, über einen dunklen Boden gehen. Es war für den Kompo- nisten etwas schwierig, sein Zimmer zu finden, deshalb sagte der freundliche Wirt: „Ich bleibe hier unten an der Treppe stehen, bis ich höre, 175 daß Sie auch richtig in Ihr Zimmer gekommen sind!“ Sinding kletterte die stelle Treppe zum Boden empor, Licht durfte wegen der Feuers- gefahr nicht angemacht werden und Taschenlam- pen hatte man zu damaliger Zelt noch nicht. Vor- sichtig tastete sich Sinding vorwärts, aber plötz- lich stieß er mit einem hörbären Bums mit der Stimm gegen einen vorspringenden Balken. In die- sem Augenblick rief der Gastgeber freundlich: „Richtig, Herr Sinding! Nun scharf nach links dre- hen, da Ist die Tür" Er hatte nur darauf gewartet, daß sein Gast ge- gen den Balken rannte, so wußte er Bescheid, daß er auf dem richtigen Weg war... rd Beayerbrook ‚ um „England wäre zufrieden, wenn in Europa die Sowjets herrschten . Lord Beaverbrook: “L'Inghilterra sarebbe contenta se in Europa dominassero I Soviell...,, 176 München, 24. März 1943 - 48. Jahrgang/Nummer12 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT MÜNCHEN Der Mörder (Erich Schilling) „Ich versteh’ nicht, was man gegen mich hat — ich will doch nur den Frieden nach Europa bringen! L’assassino: “Non capisco che cosa mal si abbia contro di me. lo non voglio altro che portare la pace in Europal!,, Schlammzeit - Tempo di fanghiglia Dos. Oberbarger) DAS LIEBLINGSSTÜCK VON WALTER FOITZICK Man kommt jetzt bisweilen in die Lage, sich zu , überlegen, was man wohl retten sollte, falls es einmal brennt. Bei den durchaus lebensnotwen- digen Dingen ist die Frage leichter zu entschei- den, schwierig wird es mit den Lieblingsstücken. Kinder sind da schneller bei der Hand und wäh- len sicherer und entschlossener. Ich sah einen Buben, der hatte ein Stückchen Knetgummi aus- gewählt und man merkte es ihm später an, daß er durchaus überzeugt war, das Rechte getan zu haben. Ein anderer trug eine elektrische Loko- motive. Ich war auf Seiten dessen mit dem Knet- gummi, denn Knetgummi ist etwas, was für sich allein vollgültig besteht, während eine elektrische Lokomotive ohne Schienen nur noch optischen Wert besitzt, Nun stehe ich oft in meinem Zimmer und suche nach dem, was in meinem Fall das Stückchen Knetgummi ersetzen könnte. Natürlich müßte es etwas sein, was einmalig, was nicht mehr wieder zu beschaffen Ist. Ich sehe die Reihe meiner Bücher entlang. Es steht viel dort, was Ich liebe und manches, was Seltenheitswert besitzt, aber ich kann mich nicht entschließen, diesen oder jenen Band aus derReihe herauszugrelfen. Oh, os sind noch mehr Gegenstände von Wert da, an denen Ich’ hänge, was man so hängen nennt, aber gewiß, es ließe sich auch ohne sie weiter- toben: die Teppiche, die Aquarelle, das alte Steinzeug, die große Messingkanne, der japa- nische Teekessel, die alte Ansicht von Altötting, der Stich mit dem Kolosseum, der fotografische Vorgrößerungsapparat und mein Mikroskop, in dem ich bisweilen sehe, wie sich die Mikroben gegenseitig auffressen. Schade wärs um das alles schon, aber ich kann mich nicht ent- schließen, diesem oder Jenem Stück die be- sondere Ehre zuzuerkennen, als mein Liebstes zu gelten. Nun, ich will gestehen, was ich getan habe. Ich habe die kleine Scherbe einer Muschel zu mir gesteckt, die ich einst am Strande einer Mittel- meerinsel fand, Sie Ist ganz abgeschliffen von den Wellen und hat einen rosaroten Lüster. Sie erinnert mich an Wärme, Frieden und offene Welt. Ach, Ich bin mir dabei gar nicht als welser und überlegener Mensch vorgekommen, ich tat es eigentlich aus Verlegenheit, und weil der Junge mit dem Knetgummi mir imponiert hat, O quae mutatio rerum! Beim Kaiferftuhl, am Oberrhein, da wächft ein Ichätensierter Wein beziehungsmeife wuchs er. Denn bald wird er verichwunden fein; tut nicht mebr einen Muchfer. Doch lamentiert bloß nicht: o weht Man pflanzt ftatt feiner jet Kalfee. Verfteht mich richtig: echten - nicht etwa aus Zichorie und ähnlichen Gebrechten. Kaffee? ruft Ihr, Kaffee? Nanu! Womöglich gar mit Rahm dazu? Das käm' ja wie gemunken, daß wir die Semmeln in der Fruh in Kaiferftühler tunken! Ratatöokr 178 TRAUER IM FRACK VON ERNST SANDER Die Serenissima eines deutschen Kleinstaats war — um das Jahr 1910 herum — gestorben, und das Professorenkollegium der Landesuniversität war zu den Bestattungsfelerlichkeiten befohlen worden. „Anzug: Frack” stand auf den Karten. Der erst kürz- lich aus Süddeutschland in die Residenz berufene Professor P. geriet darob Ingelinde Verwirrung. „Zum Frack gehört eine weiße Binde“, sagte er; „aber die Farbe der Trauer Ist schwarz. ."— „Einan- ständiger Mensch, sofern er nicht dom Gaststätten- gewerbe angehört, trägt zum Frack eine schwarze Binde höchstens Im eigenen Sarg“, antwortete seine lebenskluge Frau. Nach einigem Hin und Her entschled sie folgendermaßen: „Du bindest eine weiße um und steckst die schwarze in die Tasche. Wenn du dann siehst, wie die übrigen Herren es gehalten haben, wirst du Immer noch Gelegenheit zum Wechseln finden.” Und es ge- schah also. Der erste, dem Professor P,, feierlich angetan, begegnete, war der alte Museumsdirek- tor Geheimrat L, der, als seit Jahrzehnten in der Residenz ansässig, es wissen mußte. Und siehe da: der Geheimrat trug eine schwarze Binde! Die beiden Gelehrten begrüßten einander, jeder mit einem Schielblick auf die ominöse Stelle unter- halb von des Gegenübers Kinn, und dann traten sie, der langen Dauer der Zeremonie von vorn- herein sicher, in eine jener Türen ein, deren Durchschreiten, wie eine Inschrift unmißverständ- lich anwies, einzig den Herren der Schöpfung vor- behalten ist. Nach kurzer Weile, nach einem Zwil- lingswasserrauschen, klappte hinter jedem ein Sondertürchen ins Schloß, und beide maßen ein- ander mit erstaunten und gleich darauf wütenden Augen. Denn Jetzt trug Professor P. eine schwarze Binde — Geheimrat L. dagegen eine weiße! Der stille Georg möchte ich auch ein bißchen reden!“ ‚Du Georg, du hast heute Nacht im Schlaf gesprochen!" „Ach, Liebling, laß mich doch, irgendwo Methode Roosevelt (E. Thöny) Y N BEFRTETTT TE ISTLE LINSE ‚ KL TSHHIEL AN N ROTE LLTS CHR [A trsare ni „Lassen Sie mir, bitte, wenigstens das Nötigste!““ — „Tut mir leid, Sir, haben Sie denn noch nichts von einem Pacht- und Leihgesetz gehört?“ Metodi di Roosevelt: ‘Vi prego, lasciatemi almeno cid che mi occorre di piü!,, "Me ne dispiace, Sir ..,. Ma non avete inteso ancor nulla di una Legge di Appalto e di Prestito?,, 180 DER SMARAGD VON BRUNO Herr Mey war das, was man einen verbummelten Studenten zu nennen pflegt. Im Jahre Neunzehn- hundertvierzehn hatte er Rechtswissenschaft zu studieren begonnen und die Langeweile des rö- mischen Eherechtes hätte ihn fast getötet. Der Krieg enthob ihn der weiteren Sorge in dieser Richtung. Er setzte das Studium nach Kriegsende nicht fort und lebte von Gelegenheitsverdiensten, Nachhilfestunden, Spielgewinnen im Kaffeehaus oder von Künstlerhonoraren, die er als Statist beim Film oder als Volksgemurmel beim Theater zuweilen bezog. Er war ein Phantast und hoffte unablässig auf einen glücklichen Zufall, auf einen amerikanischen Milliardär, dem er das Leben rettete, einen Groß- industriellen, der ihn für eine welterschütternde Reklameidee sofort zum Generaldirektor machte, und schließlich — das war noch das Realste — auf eine reiche Frau, die auf der Straße. ihren Ca- diliac plötzlich halten läßt, herausstürzt, Herrn Mey um den Hals fällt und zwischen Lachen und Weinen flüstert: „Du, nur du... komm schnell zum Standesamt!" Vorstellungen dieser Art beruhten auf dem Be- wußtsein eines gefälligen Äußeren und dem Be- sitz einiger eleganter Anzüge, die aus einer Pe- riode günstiger Einnahmen stammten. Wenn er gut rasiert und gewaschen durch die Gassen der inneren Stadt promenierte, machte er durchaus den Eindruck soliden Wohlstandes und in seinem Inneren prickelte es hoffnungsvoll: Vielleicht... Ein gelbes Plakat fesselte seinen Blick. Verloren wurde am 14. Mal ein tropfenförmiger Smaragd, eingefaßt von 24 gelben Diamanten auf dem Wege Zentralkino—Hirschgasse— Lindauer Platz—Caf& Promenade. Abzugeben gegen eine Belohnung von 600 Mark W 130 Halmstraße 56, Tür 8. Dieses Plakat interessierte ihn außerordentlich. Es behexte ihn geradezu. In der Zeit des trüge- tischen Glanzes nach dem Kriege hatte er eine kleine Schwäche für schönen Schmuck und Edel- steine gehabt. Manch schönes Stück war durch seine Hand geglitten. Davon war nur noch eine wehmütige Erinnerung zurückgeblieben. Aber auch sechshundert Mark hatten etwas Verführerisches. Wie schwer war es, sechshundert Mark anständig zu verdienen. Sogar unanständig war es nicht leicht. Irgendeiner mußte der Glückspilz sein, der den Schmuck fand, ihn ablieferte und sechshun- dert Mark als nahezu arbeitsloses Einkommen da- für erhielt. Warum konnte er nicht dieser eine sein? Er, Ernst Ludwig Mey? Unwillkürlich blickte er zu Boden. Als ob der tropfenförmige Smaragd gerade hier neben dem Plakat heruntergetropft sein müßte, zu seiner ge- fälligen Bedienung. Er bummelte weiter und noch mehrmals sah er das gelbe Plakat. „Tropfenförmiger Smaragd...?” Wie mochte er aussehen? Groß wie eine kleine Glühbirne oder klein wie Großmütterchens Na- sentröpflein? Hatte er die Form einer Pflaume? Oder einer Hagebutte, die ausgesprochen trop- fenförmig Ist und eine krapprote Marmelade lie- fert, die innen haarig ist, als wäre sie mit ge- brauchter Rasierseife gemischt? Und wie mochte eine Dame aussehen, die tropfenförmige Sma- ragde trägt und verliert? War sie eine Fürstin oder eine Abenteuerin? Alt oder jung, schön oder häßlich? Vielleicht war sie auch tropfenförmig? Oben spitz, unten breit. Oder umgekehrt? Gräß- lich, Er beschloß, nicht mehr an den Smaragd zu denken. Aber plötzlich ertappte er sich dabei, daß er schon seit einer Stunde nichts anderes WOLFGANG tat, als den Weg vom Zentralkino bis zum Cafe Promenade nach dem Smaragd abzusuchen. Im Kaffeehaus griff er, um sich abzulenken, nach der ersten besten Zeitung. Das Feuilleton hieß: „Das Wundermetall.” Er begann es zu lesen. Das Wundermetall war nicht Dukatengold, sondern Be- tyllium. Es hatte In der Tat hervorragende Eigen- schaften. Es findet sich in dem Mineral Beryll, das wieder in zweierlei Formen auftritt, in einer un- durchsichtigen und in einer durchsichtigen. Die durchsichtige heißt Smaragd. Blitzschnell schloß sich wieder der Kontakt mit dem Plakat. Das war schon kein Zufall mehr. Das Schicksal verfolgte zweifellos besondere Absichten, in denen der Smaragd eine Rolle spielte. In der Zeitung stand noch, daß der Ring des Polykrates einen präch- tigen Smaragd enthalten habe, daß Plinius seine (des Smaragdes) bezaubernde Schönheit pries, und im Mittelalter die ganze Welt von den ge- heimen Kräften des Smaragds überzeugt war. Doch wie sollte er den Wink des Schicksals ver- stehen? Was hatte er zu tun? Da er den Smaragd nicht gefunden hatte, gab es nur eines. Er mußte eben ohne den Smaragd an die angegebene Adresse gehen. Das Weitere würde sich finden. Er hatte nur dem geheimnisvollen Drängen nach- zugehen, welches dem unsichtbaren Smaragd ent- strömte. Er zahlte und ging Richtung Halmstraße. Heute war ihm etwas Besonderes zugedacht. Das fühlte er deutlich, als er seinen schwarzen, steifen Hut unternehmend auf den Scheitel setzte. Das Haus war kein Palast, aber schön und sauber. Auf dem Schild der Tür Nr. 8 stand: Hertha Wo- rofsky. Das konnte ebensogut eine polnische Grä- fin wie eine inländische Fleischhauerswitwe be- zeichnen. Er drückte auf den Taster. Die Dame, welche die Tür sofort nach dem Klin- gelzeichen öffnete, war ohne Zweifel Hertha selbst. Sie trug einen schönen Schlafrock und duf- tete nach Chanel 22. Sie stand offenbar seit der Plakatierung ununterbrochen hinter der Türe und wartete auf den Bringer des tropfenförmigen Smaragds. „Haben Sie ihn?” rief sie bebend und zerdrückte nervös ihre Zigarette auf einem Blumentopf. Sie war sehr hübsch, Mitte der Zwanzig, ein wenig ‘DER TAUWIND Voll Wolken fegt der Wassermwind, Er mwühlt im Wald, er stürmt das Feld Und wo er klatsciend stolpert, fällt, Schluckt er den Schnee, der grau zerrinnt. Vom nassen Berg aufs nasse Haus Wirft er sicı grob, an Tür und Tor, Durdıs Giebelloc, ins Ofenrohr Scinaubt er sic ein, bläst winselnd aus, Durdirüttelt Kammer, Flur und Dach, Schluckt Raudı im Herd, bläht Rock im Schrank, Bläst Augen, Fenster, Himmel blank Und bohrt stets nur sich selber nach. Verbohrt in seine Melodie, Die dröhnt in Bässen, jammert laut, Singt in mein Ohr zart und vertraut, Er zirpt, er schnauft, er orgelt sie Die Melodie, seit Tagen schon, Idı kenn den Ton vom vorigen Jahr Und mie es sonst im Märzen war: Er schreit dem Frühling, seinem Sohn! WILLI REINDL 181 blaß, lebhaft glänzende Augen, vibrierende Ner- ven, Vielleicht eine Künstlerin? „Nicht wahr, Sie haben ihn?‘ wiederholte sie flehend. Was konnte er darauf sagen? Doch nur eines: „Nein.”' Aber was dann? Dann war alles in trauriger Banalität zu Ende. Dann mußte sie natür- lich fragen: „Also, was wollen Sie eigentlich?” Darauf mußte er irgendeine Ausrede stammeln und mehr oder weniger rühmlich abziehen. Das ging über seine Kräfte. Sie gefiel ihm sehr, sie war gerade jener Frauentyp, den er besonders liebte und der ihm seit der Zeit des Niederganges nur noch als unerreichbares Ideal vor Augen schwebte, Sie sah ihm in höchster Spannung auf die Lippen und zerbrach dabei eine leere Zünd- holzschachtel in winzige Stückchen, die unhörbar auf den Teppich niederfielen. Ein glattes Nein wäre brutal gewesen, Er suchte hach einer ver- bindlichen, weniger schmerzhaften Form. Einst- weilen lächelte er höflich und sagte: „Vielleicht ... darf Ich... einige Worte...” Auch sie schien einen Augenblick nachzudenken. Mit einem raschenBlick überflog sie nochmals sein Äußeres, dann legte sich ein leichter Schatten über ihr Gesicht. Mit einer hastigen, fast ärger- lichen Bewegung zerdrückte sie den Rest der Zündholzschachtel In der Hand, dann beherrschte sie sich blitzschnell wieder und sprach mit voll- endeter Liebenswürdigkeit: „Bitte, treten Sie doch ein.” Er folgte Ihr in ein kleines, üppig ausgestattetes Zimmer mit schönen Teppichen, Klubfauteuils und weichen Pölstern, Sie nahmen bei einem kleinen Rauchtischchen Platz, sie bot ihm eine Zigarette, nahm auch selbst eine und zündete beide an, Dann legte sie ein Knie über das andere (die schimmernden Strümpfe erhöhten noch den Ein- druck ihrer tadellosen Beine), blies einen feinen Rauchstrahl von sich und begann: „Ich hoffe, daß Sie ein Gentlemen sind und es nicht mißverstehen werden, wenn Ich aufrichtig mit Ihnen rede.” Er wollte etwas Verbindliches sagen, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern fuhr sehr rasch und bestimmt fort: „Sie sind mißtrauisch, Sie befürchten, daß ich den Schmuck nehme, schönen Dank sage und Ihnen die sechshundert Mark nicht gebe. Ich könnte mir zwar vorstellen, daß ein Kavalier einer Dame einen gefundenen Schmuck zurückgibt, ohne auf den Finderlohn Anspruch zu erheben. Aber das sind vielleicht veraltete Vorstellungen. Heute Ist alles Geschäft. Bitte, warum nicht? Reden wir also vom Geschäft.” „Verzeihen Sie...“, unterbrach er. Sie ließ sich aber nicht unterbrechen, sondern fuhr noch rascher fort: „Nein. Sie haben ganz recht, Aufrichtigkeit ist immer das Beste. Ich will Ihnen jetzt auch die Wahrheit sagen. Ich kann Ihnen die sechshundert Mark nicht geben, weil ich sie nicht habe. Ich lebe nicht In so glänzenden Verhältnissen, wie es vielleicht aussieht. Man hat mir gesagt, daß es üblich Ist, auf solche Plakate einen recht hohen Betrag als Belohnung zu drucken, damit der Fin- der sich leichter entschließt, den Fund wirklich abzugeben. Aber dann wird immer nur der ge- setzliche Finderlohn gegeben. Hat man mir ge- sagt. Sechshundert Mark wäre doch auch viel zu viel für diesen Schmuck. Aber bitte, da Sie nun einmal auf dem Finderlohn bestehen, was Ihr gutes Recht ist, bitte, hundert Mark, sehr gerne, bitte.” Sie kramte hastig in einem Täschchen und legte einen zerknüllten Hundertmarkschein auf den Tisch. Sie warf ihre kaum angerauchte Zigarette weg, zündete eine neue an und sah ihn fest an. Sie war sehr hübsch in ihrer Kampfbereitschaft und entschlossenen Geschäftstüchtigkeit. Auch der Hundertmarkschein hatte einen eigenen Reiz. Lange hatte er einen solchen nicht gesehen, ge- schweige denn besessen. Nichtsdestoweniger fühlte er sonderbarerweise, fast gegen seinen Willen, eine Art Empörung in seinem Innern auf- steigen. Einen solchen Bettel für einen tropfen- förmigen Smaragd mit vierundzwanzig Diamanten zu bieten, war kleinlich, krämerhaft, beinahe un- verschämt. Noch war er nicht so weit, ein Trink- geld anzunehmen. Seine Sympathie verminderte sich, Er wölbte ein wenig die Brust und preßte die Lippen zusammen. „Nun? Geben Sie mir den Schmuck“, sprach sie, leise bebend, „Ich habe Ihn nicht‘, erwiderte er kurz. Sie machte einen Satz, daß die Ottomane ächzte. Sie krallte sich die polierten Nägel in die Schlä- fen und stieß einen leisen Laut ohnmächtiger Er- bitterung aus. Einen Augenblick war es, als wollte sie ihm wie eine Katze ins Gesicht springen. Aber dann begann sie plötzlich zu lachen, daß Ihr fast der Atem versagte, Als sie wieder zu sprechen anfing, war Ihr Ton ein ganz anderer, voll kind- lichem Spaß und kameradschaftlicher Herzlichkeit: „Ist das nicht wahnsinnig komisch, daß wir hier nebeneinander sitzen und handeln wie Hauslerer? Ach, wie lange habe ich nicht so gelacht, Ich danke Ihnen.” Sie ergriff seine beiden Hände und knetete sie förmlich. „Ich hoffe, Sie haben meinen Scherz richtig aufgefaßt, Es wäre doch lächerlich, Ihnen hundert Mark anzubieten. Sie sind aus guter Familie, das sieht man sofort. Also geben Sie mir den dummen Smaragd. Bleiben wir gute Freunde.” „Ich sagte schon, daß ich Ihn nicht habe... leider „.„.ich...”, stammelte er zögernd, Sie war sehr schön In diesem Augenblick, „Nein, Jetzt lassen wir schon die Spässe. Geben Sie mir den Schmuck. Ich werde Ihnen ewig dank- bar sein. Es wird mich freuen, Sie bald wieder bei mir zu sehen... nun?’ Sie stützte sich mit dem Ellenbogen auf sein Knie und sah ihm von unten her in die Augen. Ihre Lippen waren den seinen ganz nahe, er fühlte die Glut ihres betörenden Hauches und das Vibrieren ihres blegsamen Körpers. Ein sinnverwirrendes Glück tanzte auf der Spitze einer funkelnden Na- del für den, der den Mut hatte, es zu nehmen. Doch nun zeigte sich die schädliche Wirkung des römischen Rechtes, das er einst ein Semester lang studiert hatte. Das Bewußtsein der mangeln- den Übereinstimmung des Willens bei diesem Rechtsgeschäft (consensus) lähmte seine Ent- schlußkraft. Unwillkürlich griff er nach seiner Rock- tasche. Vielleicht war ein Wunder geschehen und der Smaragd lag darinnen. Vielleicht... Aber die Tasche enthielt nichts als einen alten Straßen- bahnfahrschein und einige Brotkrumen. Es ge- schehen keine Wunder mehr. Er sah sie noch ein- mal an mit einem traurigen Blick, wie einer, der das gelobte Land sieht, das er nicht betreten darf. Nun war der Augenblick gekommen, da die schimmernde Selfenblase platzen mußte. Seufzend schüttelte er den Kopf. Sie fuhr zurück, wie von einem elektrischen Schlag getroffen. „Sie haben ihn nicht? Wirklich nicht? Ehrenwort?" „Ehrenwort.” „Ohl“, kreischte sie wütend. „Nicht? Nicht? Hin- aus! Nein, halt! Sie lügen.’ Hastig durchwühlte sie seine Taschen. Er ließ ergeben die Arme hängen. Sie zitterte immer heftiger, sie atmete rasch und stoßweise, mit Tränen kämpfend (bezaubernd sah sie aus). „Nichts! ‘schrie sie bestürzt und schlug klat- schend die Hände zusammen. „Oh, hinaus! Dieb! Schuftl” 3 Er riß die Tür auf und stürzte davon. Der schwarze steife Hut, den sie Ihm nachschmiß, hüpfte vor Ihm die Treppe hinab und lag dann unten beim Haustor wie ein großer schwarzer Schlußpunkt. Langsam ging er heimwärts. An der nächsten Straßenecke erblickte er das Plakat. Er blieb stehen. Wie im Nebel sah er die Worte vor sich und es war, als kämen sie von ihm: Verloren einen tropfenförmigen Smaragd mit 24 gelben Diamanten, einen Traum von unsagbarem Glanz und sechshundert Mark. MUT MIT VORBEHALT VON ADOLF WALTER Sehr begeistert, entzückt berichtete Herr Schmidt, während sie auf der vollbesetzten rückwärtigen Wagenbühne des Vorortzuges standen: „Denken Sie nurl Gestern habe ich den Edi Greilinger ge- sehen! Ich habe ihn gleich erkannt! Diese über- breiten Schultern! Und das mächtige, eckige Kinn! Und die zerquetschte Nase! Einmalig! In Zivil, sozusagen, sieht er noch eindrucksvoller, Imponierender aus als bei der Arbeit, im Ring! Na, den möchte ich nicht zum Feind haben!" Herr Moldaschl zog verächtlich die Mundwinkel tief. Herr Moldaschl, eine schlotterichte Gestalt, war untermittelgroß, über einer sogenannten Hühnerbrust und einem viel und senkrecht ge- fältetem Hals saß ein mageres Vogelköpfchen. „Sie werden doch nicht behaupten wollen“, wandte Schmidt ein, „daß Sie mit einem, wie diesem Edi Greilinger, anbinden wollten?” „Hören Sie zu, Herr Schmidt“, sagte Moldaschl väterlich überlegen, „den Greilinger, also den, den steck’ ich in die linke obere Westentasche. Verstehen Sie?” Schmidt schwieg bestürzt. Edi Greilinger — und dieses Fragezeichen, dieses Nichts von einem Moldaschl? Wie das? Aber, wie das Sprichwort sagt, es sind schon Hausherren gestorben. „Also, mit dem Greilinger”, begann Moldaschl, „mit dem bin ich in die Schule gegangen. Er war kein Kirchenlicht, nein, das kann man nicht sagen. Dann erlernte er schlecht und recht das Schmiede- handwerk. Später wurde er ‚entdeckt‘. Und wieder ein paar Jahre später gründeten wir in unserer Heimatstadt ein Sportausrüstungsgeschäft: Grei- linger & Co. — Greilinger, nunmehr schon ein be- tühmter Boxer, gab das Geld. Ich steuerte die kaufmännischen Erfahrungen bei. Der Laden ging zugrunde. Warum? Weil Greilinger meist nicht vorhanden war. Und seinetwegen hätte ja die Kundschaft herbeieilen sollen, verstehen Sie? Er wälzte die Schuld auf mich. Das war der erste Anlaß zur Verstimmung.” „Greilinger war wohl sehr verärgert?” „War er. ‚Verflucht und zugenäht' hat er gerufen. Das ist so eine stehende Redensart von ihm. Knapp vor dem Zusperren gab es noch einen Grund zur Entfremdung. Das kam so: es war uns, der Firma, ein Klassenlos zugeschickt worden, ein ganzes. Greilinger wollte das Los kaufen. Ich auch. Da ich zur Zeit nicht bei Kasse war, lieh MEIN STROHSACK Nun habe ich dich wieder hart geplättet Mit meinem Leib, der fich an dich gewöhnt. Zwar bift du fchmal, doch bin ich mohlgebettet Und nur im Anfang hab’ ich leicht geftöhnt. Jegt bin ich froh, daß ich dich kennen lernte: Du birgft ein Stückchen fommerliche Welt, Vom goldnen Korn das Stroh, das fich von Ernte Zu Ernte gut als Neft im Bunker hält. Im nächften Herbft werd’ ich dich wieder ftopfen Mit frifchem Stroh, an dem noch Sonne hänst. Du fpürft ganz facht das Herz des Landfers klopfen, Das fich fo gern an deine Mulde drängt. Heinz Friedrich Kamecke 182 mir Greilinger den Betrag. Das Los gewann den Haupttreffer. Dies hat Greilinger, der natürlich leer ausging, krumm genommen.” „Haben Sie nicht Angst gehabt? — Ich meine: wenn so ein Hauptkerl, so ein Bär von einem Mann in Wut gerät...” „Ach, Angst? Ich? Lächerlich, Er schrie: ‚Verflucht und zugenähtl’ Damit war die Angelegenheit er- ledigt, Aber dann kam die Sache mit Olga. Sie schlug dem Faß den Boden aus.” „Die Olga? — Wer ist Olga?” „Olga war. Olga war die Gattin Greilingers. Sie hat sich scheiden lassen, und ich hab’ sie ge- heiratet. Verstehen Sie?” „Ehrlich herausgesagt, Herr Moldaschl“, zweifelte Schmidt, „seien Sie mir nicht bös, aber das ver- steh’ Ich wirklich nicht.’ Moldaschi lachte herzhaft, so daß sein Adams- apfel in heftige vertikale Schwingungen geriet. „Es gibt Im Menschenleben Dinge, denen unser Hausverstand nicht gewachsen ist, oder so ähn- lich. — Olga, also Olga wäre ihm ein liebendes, aufopferndes Weib gewesen, aber sie kam nicht dazu, Verstehen Sie? Er war nie da. Allein auf dieses Dasein legen die Frauen erheblichen Wert. Er war immer auf Reisen. Und wenn er da war, war er im Training. Das war genau so, als ob or nicht dagewesen wäre, Verstehen Sie?” „Ein wenig.” „Ein Moldaschl in der Hand aber ist besser als ein Greilinger in, sagen wir: in Tökio. Wir, Olga und ich, zogen hierher, und als er erfuhr, daß ich jener Glückliche sel, den Olga ihm vorgezogen, geriet er in mächtige Erregung und leistete den Schwur, daß er mich durch ein Kanalgitter durch- seihen werde.” „Eine schreckliche und eigentlich unwürdige Todes- art”, ‚urteilte Schmidt, x „Das will ich meinen. Doch ich bin schlau und weise und mich erwischt man nicht, oder so ähn- lich. Auch muß man Glück haben. Als Ich gestern spät nachts aus dem Gasthaus kam, stieß ich bei dem nächsten Straßeneck mit einem Herrn zü- sammen, das heißt, ich trat ihm mit dem vollen Körpergewicht auf den Fuß. Bevor ich mich ent- schuldigen konnte, schrie er mich an — Ich spürte seinen Atem im Gesicht „—: ‚Verflucht und zu- genäht'I” „Um Gottes willen! Was geschah?” „Ich entfernte mich schweigsam. Die Nacht war mondlos und die Straßen vortrefflich verdunkelt. — Immerhin nahm ich mir vor, ihm einmal gründ- ich meine Meinung zu sagen, Soll ich immer und ewig der klügere, der nachgiebige Teil sein? Mich fortwährend anpfauchen lassen und dazu schweigen wie ein pensionierter Sargträger? — Mitnichten. ‚Mein lieber Greilinger‘, habe ich ge- sagt, ‚du hältst mich anscheinend für einen dop- pelten Waisenknaben, weil ich dein unflätiges Benehmen wieder einmal widerspruchslos hin- genommen habe? Das stimmt nicht, du Erzbüffel, du. Denn: es kann der Schönste nicht In Frieden leben, wenn's einem Boxer nicht gefällt, oder so ähnlich. Glaubst du, weil du Europameister im Schwergewicht bist, du Nilpferd, zittere ich vor dir? Olga läßt übrigens grüßen, falls du uns zu besuchen vorhast, dir sagen, daß wir auf acht Wochen verreisen. Weißt du auch, daß du schon viel zu üppig geworden bist infolge Verhätsche- lung durch Publikum und Presse und reif bist für eine ausglebige Tracht Prügel?" „Fürchterlich”, ängstigte sich Schmidt, „und was hat er darauf —" „Gesagt? Das weiß ich nicht. gehängt.” Ich habe auf- Die Müde (K. Helligenstaedt) „Wie du es nur fertig bringst, so spröde zu sein, Lilly?“ — „Ganz einfach, Erich, ich denke nur dran, wie früh ich morgen aufstehen muß!“ La stanca: “Come mai, Lilly, sei capace d’ essere tanto ritrosa?,, “£ logico. Non penso ad altro che a quanto di buon’ ora dovrö alzarmi domattina!,, 183 Der reine Tor En „Sie haben früher immer nur mitganz wenigen Strichen gezeichnet. Ich vermisse jetzt diese sparsamen Mittel bei Ihren Blättern!“ „Ja, wissen S', ich denk mir halt, wo Sie jetzt so knapp mit Papier dran sind, müßt man dem Publikum ein bißl mehr bieten —— Il vero pazzo: "Prima disegnaste sempre con pochissimi tratti e adesso nei vostri fogli manca purtroppo questa parsimonia di mezzi!,, “Eh sl; ma sapete, io penso che ora che scarseggia tanto la carta, si dovrebbe offrire al pubblico un pochino di piü...?,, 418 LAGE hygiene N en mit den Fi haut kräft nach der Kopfmitte Diese Kopfr massage ist nützlich für Ihr Haar, weil sie der Neigung der Kopfhaut zu übermäßiger Span Beherzigen Sie unsere Ratschlä mehr.als früher, bis wir das Haartonikum TRALYSIN wieder wie gewohnt für Ihre tägliche Haarpflege Verfügung stellen können. orbeugt heute Koin Eischtank? Wiekann man da das Auftauen von Jopa-Kühlkost um einige Stunden verzögern? Ganz einfach:Man wickelt die Ruckung dick in Zeitungspapier ein und legtsie möglichst kühl- exızy KÜHLKOST Tpa-Kühlkost aus Holland Hanke ch, alien, Bujgalien beteichert den deutschen Tisch! || Erst die Front dann die Heimat he heilt Alles-Kitr Alles-Kitt mit Alabronze oder Gips oder Kreide za einer honigdicken Masse vermengt gibt zum Behelf ein vorzügl. Dichtungsmittel für defekte Kochtöple usw. F F m> oo zz. == PARFÜMERIEN ALEX KAMP&CO _ NÜRNBERG des Grills zu bi Werkstoll-Verlust, Mind. Stücklohn sind die Folgen. Darum solort aul Traumaplast || kleine Wunde das gebrauchslerlige Wundpllaster || Carl Blank, Verbandpllasterlabrik, Bonn a. Rhein Klößekatastrophe durch Kohlenklau Ion Aare MileiG benso alles besser, wie jene .d Medizin vore TR&boN Langen | SCHON SEIT JAHREN TONERFAHREN PHILIPS VALVO WERKE MAUFTVERWALTUNG Mirun w AACHEN.» MAMBLRO + AWIEM schon Raumbildwerke - den neuen Buch- typ. der In Publikumkrelsen großen Bel- I] fall'oetunden hat. 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Buch WOLFGANG JÜNGER Kampf um Kautschuk 216 Selten Grofoktav mit 32 Bildern und 2 Karten Gebunden Mb— ‚erreiche Geschichte sei hstoffes Kautschuk vom Urwaldproduk zur syntheii- schen Gummierzeugung der Gegenwart, WILHELM GOLDMANN VERLAG IN LEIPZIG Sektverstand Schenkst Du ein, Und halt’ fest sort: sichern durch Körperertüchtigung im eigenen Helm über 35 Jahren Sell R ala Selbat- j GC Kessler, | Filz M. Tab Älteste deutsche Sektkellerei Esslingen am Neckar elle phil, CScheurer ‚Frankfurt (Main) = Roßmarkt 25 /59h || ERLLLLLULLRRL ELLI rauf und 'runler soll man die Zähne bürsten, um dio Spelsoresto gründ- aromen Gebrauch beider Schneiden: | Min Schneide Nr. 1 worranteren und mi Schneide Nr. 2 mufit Du darin zeigen: erst die Gläser neigen. den drängenden Pfropfen; So vergeudest Du keinen Tropfen! sechzig Mark Schulden bezahlt, — und dabei habe ich die fünf Mark noch geliehen.” „Da sieht man”, meinte cand. rer, pol. F, „daß Geld nicht Wertmesser, sondern Wertträger Ist,” „Ich hätte”, bemerkie ein JungerJurist, „das ganze sogar ohne fünf Mark gekonnt.” Aber F. fuhr fort, voll Bewunderung solcher Orga- nisation: „Warum, Herr Doktor, stellen Sie das Fünfmarkstück nicht einfach einem großen Werk zur Verfügung, um dort die totale Entschuldung durchzuführen?” * Der Postaushilfsbeamte am Schalter vier stellte fest, daß es fünf Minuten vor eins sei und daß die geduldige Schlange vor seinem Schalter noch zwanzig Personen umfaßte, Er wußte aus der Naturgeschichte, daß die kleinen Schlangen gefährlicher sind als die großen, z, B Ss lich zu entfornon. Hierbel EXPRESSWERKE AKT:GES. genögt ein Menge MEUMARKT OPF.b. NÜRNBERG Kulikiese-Zahnpasta. Latz- & toro Ist knapp und mußschr ZÜOLLLLLLLLLLCCLELECLALLCKLLLLAALLLLEALAAE . . ieMarke für photogra ‚hische Spitzenleistungen F KRONEN. KRAWATTEN-FABRIK BERLIN Ca „Die Gesundheit ist ein Gut, das erst erkannt wird, wenn es verloren ist.“ ® mi Hausputzsorgen? MUNCHEN, SCHAFFLERSTR.) 11 mit einer wirklich sach- gemähen Fuhpflege zu beginnen! 4 bei und verhötet Fuhschweih, Brennen, Wand u.Blasenlaulen ‚Eidechse” „ ußpflege CARL HAMEL & CO. FRANKFURT-M. 9 die schwarze Cobra weit gefährlicher als selbst eine Boa constrictor Er wußte aus Erfahrung, daß eine große Schlange vorm Schalter geduldiger ist, als sol:he kleinen von etwa drei bis sieben Kauflustigen für Briefmarken oder gar Einzahlungs- lustigen für Steuern. Er stellte also ein Pappschild auf: „Schalter ge- schlossen!” Und die große Schlange bäumte sich ein wenig, zischte ein wenig, ringelte sich etwas und verschmolz sich dann zu einer resignierten Riesenschläange vor Schalter drei, Was hatte er gestern beim gleichen Anlaß von der kleinen Schlange von fünf Personen alles zu hören be- kommen! Warum also, so fragte er sich auf dem Weg nach Haus, warum verhindert man nicht einfach durch Verminderung der Schalter die Bildung von Kleinschlangen, die doch die gefährlicheren sind? Das gibt argen Schmutz, son wenn die Hausfrau Rohr und Züge ’ Bi erdzetrahee Aber weiss Rat! Ei ma ATA mr ala ach wieder blank und rein. ATA reinigt auch schmutzige Hände vor klelnoren u. größeren Krolsen 15 Lehrbriofe (Kurztorm) „Frala Rode und Vortragskunst* RM 5.81 (Nachn. + 0.30) n sollten Sie sofort Ihrem Fach- geschäft zurückbringen, welches sie sammelt und Zur Meufüllung weitergibt,Durch diese kleine Mühe helfen Sie mit, wertvolle Rohstoffe und Arbeitskräfte zu sparen, ; Terror ! Tränen 1372 ter der roten Biutherrschaft'" 0.40) sstmeiet ı „Der Feldzug m. { Buchversand Ha Hamburg 11/5 LIEBER SIMPLICISSIMUS Aut einer Nebenstrecke der Eisenbahnlinie Oslo— Bergen wurden kürzlich Ausbesserungsarbeiten vorgenommen. Eine Gruppe Arbeiter war damit beschäftigt, neue Schwellen zu legen. In gleich- mäßigem Takt wurden die schweren Hämmer ge schwungen, aber plötzlich stieß einer der Arbeiter einen Schrei aus. Sein Nebenmann hatte nämlich mit voller Wucht den schweren Hammer ihm aufs Bein fallen lassen Natürlich ließ man sofort ein Krankenauto kom- men, und der Vorarbeiter brachte seinen verwun- deten Kameraden zum nächsten Krankenhaus, Am nächsten Tag verlangte die Eisenbahnverwal- tung von dem Vorarbeiter einen genauen Bericht, wie der Unfall geschehen war, und sandte deshalb einen Fragebogen ein. Der Vorarbeiter machte 1 eahl, aus dom | a‘ oder werde Motor reinigt Folstermöbel mit trüher bekannten, billig, Hartgummib‘ stenod. Imitahionenaus Holz mit Lacküberzug Wonich Heizen Sie sparsam ohne Angst vor Erkältung, denn wenig Worknet wirken vieı zum Opfer. Das ist dieselbe Menge, die n Panzer oder 22.000 Bomber herzustellen. Darum paßt auf und denkt daran: Wecft die „Kohlenklau’s" aus dem Haas hinaus! höltlich‚Bezugsaue COKOxKG. METZ ung nur über die bisherigen sammfer, werking! kostenlos die Benutze ober Deinan FÜN heute im Krieg nicht öfler als unbe. dingt nötig. Duhilst domit Strom vparen, die Rüstungsindustrie sich auch gewissenhaft an die Arbeit. Er füllte alle Rubriken sorgfältig aus, er schrieb den Na- men, das Alter, die Aıbeitsleistung und was sonst noch alles dazugehört, er beschrieb auch genau, wie der Unglücksfall zustande gekommen war. Zum Schluß war da noch eine Rubrik, die bezeich- net war mit: „Besondere Bemerkungen.” Lange kaute der Vorarbeiter am Federhalter. Schließlich tauchte er die Feder entschlossen ein, und wenige Sekunden später konnte man in dieser Rubrik lesen: „Die Bemerkungen, die der Verunglückte auf dem Transport ins Krankenhaus machte, eignen sich absolut nicht dazu, schriftlich wiedergegeben zu werden...” * Die gute alte Frau B, traf auf dem alten Wall, Richtung Stadtpark, einen jungen Herrn, den sie kannte, mit einer Jungen Dame, die sie nicht kannte, Sie erzählte es einer Freundin. Diese einer Dritten. Die Vierte berichtete det Fünften: „Ja, mit einer Tänzerin vom Staditheater.“ Die Siebente der Achten: „Und küßten sich auf offener Straße, Frau B. hat es selbst gesagt.” Die Zehnte der Elften: „Ja, denken Sie, auf eineı Bank in der Dämmerung. Frau B, hat es selbst ge- sehen.” Die Vierzehnte der Fünfzehnten: „Im Gebüsch, ob- wohl sie schrie. Frau B. hat es’ selbst gehört..." Scheußlich, Aber schuld ist Frau B. Warum erzählt sie nicht zur Vereinfachung gleich, der junge Mann habe die Vaterschaft an den Drillingen anerkannt. Oder wenigstens an zweien davon Wenn in iedem deutschen Haushalt in einer Woche nur 1 Schaufel Kohlen un- nötig verfeuert wird, so fallen 2,5 Millionen Tonnen Kohlen „Kohlenklau” Deutfch [3 BE | Indurch VEN’ Pfeifenfabriken K6Ni Ziehung 1. BET AREITuRT Vereinigte ber 2 Ado! PhebroeonFerol gegen Tuss-Stechte Juckreiz u. Entzündung zwischen den Zehen. Erhältlich in Apotheken @ diese Erinnes Serl Versand sorglält (Kampf un. 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Kubin) DIE INSPEKTIONSREISE Klitgaard, der Generaldirektor der Brockenhuus- " Bahn, setzte seine Unterschrift unter den letzten Akt, den ihm sein Sekretär vorlegte und schlug die Mappe zu. „Noch was?” fragte er. „Nichts von Belang“, entgegnete der Sekretär. „In den letzten Wochen liefen einige Beschwer- den ein — von Reisenden über Reisende. All- gemein wird geklagt, daß sich einige Reisende ungehörig benehmen. Man hat bereits Weisun- gen an das Personal ausgegeben und...” Klitgaard unterbrach seinen Sekretär. „Das hat wenig Wert”, meinte er. „Die Leute sind zudom überlastet und können sich auch nicht um jeden Reisenden kümmern — ich werde einmal eine Fahrt machen und mir die Sache aus nächster Nöhe ansehen. Lassen Sie mir aber kein Abteil sicherstellen, denn ich will unerkannt bleiben. Be- sorgen Sie mir nur eine Karte 3. Klasse.” Der Zug fuhr, wie Klitgaard zufrieden feststellte, pünktlich ab. Er saß beim Fenster und sah gelang- *weilt hinaus. Mit ihm fuhr nur noch ein junger Mann. Dem war augenscheinlich langweilig, erst räkelte er sich, dann fluchte er und endlich spuckte er dreimal auf den Boden. Der General- direktor zählte es. Endlich zog der junge Mann seine Schuhe und Strümpfe aus. VON ALEXANDER KELLER „Lassen Sie das bleiben", sagte Klitgaard ärger- lich, „Sie müssen Rücksicht auf die Mitreisenden nehmen.” Der junge Mann lachte. „Wieso Mitreisende? Wir sind doch allein.” „Ich habe mich schlecht ausgedrückt“, entgeg- nete der Generaldirektor, „ich wollte sagen: auf den Mitreisenden.” „Ich verstehe das nicht“, sagte der Junge Mann ruhig, „Ich habe meinen Platz bezahlt.“ Er begann seine Zehen zu reinigen. „Sie haben für eine Fahrt bezahlt, nicht für ein Badl” entgegnete Klitgaard empört. Der Junge Mann reinigte unverdrossen welter. „Ich verlange Ja auch nicht, daß mir die Bahn- verwaltung die Füße reinigt." Er sah den Generaldirektor herausfordernd an. „Von mir aus können Sie sich ausziehen und ganz waschen.” „Ich will aber nicht”, schrie der Generaldirektor wütend, „und ich verlange, daß Sie sofort Schuhe und Strümpfe anziehen. Ich habe ein Recht das zu verlangen.” Er zog eine Besucherkarte aus der Tasche und reichte sie dem anderen. „Vielleicht werden Sie vernünftigen, wenn Sie wissen, wer ich bin.” 188 Der junge Mann nahm die Karte und ließ sie un- gelesen in der Tasche seines Rockes verschwin- den. „Später“, meinte er freundlich. „Jetzt habe ich keine Zeit.” Der Schaffner kam und verlangte die Fahrtaus- weise. „Hören Sie“, sagte Klitgaard mit vor Er- tegung zitternder Stimme, „ich dulde nicht, daß sich Jemand hier Im Abteil seine Füße reinigt Das Ist zudem strenge verboten.“ „Natürlich“, entgegnete der Schaffner. Er wandte sich an den Jungen Mann, „Ziehen Sie sich an. Das dürfen Sie nicht tun. Wer sind Sie?” Der-Junge Mann zog die Karte des Generaldirek- tors aus der Tasche und reichte diese dem Schaff- ner. Dieser las sie und gab sie dem Jungen Mann mit einer Verbeugung wieder zurück. „Nun? fragte Klitgaard energisch. Der Schaffner beugte sich zum Ohr des General- direktors. „Reden Sie nichts mehr”, flüsterte er. „Der Kerl ist der Generaldirektor der Bahn und ein Ekel. Kein Mensch kann ihn leiden und wenn er sich seine Füße badet, dann gebe ich Ihnen einen guten Rat: Tun Sie's auch!” Der Generaldirektor stieg bei der nächsten Sta- tion aus und fuhr nach Hause. Er hatte genug. Abklärung IM. Dudovich) „Ist es wahr, Suleima, daß der Pascha eine neue Lieblingsfrau sucht?“ — „Im Gegen- teil, er hat inseriert: ‚Tausche drei prima Lieblingsfrauen gegen Lieblingsköchin'!“ Schiarimento: “E vero, Suleima, che il pasciä cerca una nuova favorita?,, “Al contrario. Egli ha inserito: Offro tre favorite di prima qualitä per una ‘cuoca favorita,!,, 189 DIE HEIMKEHR VON A. WISBECK Wandern — wandern — immerzu wandern! „Was hatten Sie da und dort zu suchen?” werde ich bisweilen gefragt. Zu suchen? Nichts. Denn, was ich suchen könnte, finde ich am Rande meiner Straße. Das Geschäume der Apfelblüten, einKorn- feld, das sich Im Winde wiegt, die erlöschende Glut herbstlicher Gärten, Vielleicht ist es aber auch nur ein Käferchen, das mir über den Weg läuft, ein blanker Kiesel im Beit des Wiesen- baches, der treibende Strunk einer Weide. Wan- dern — wandern! Und nun seht, so geht das Jahr, gehen die Jahre an mir altem Manne vorüber, und nun züngelt schon wieder die Lohe der Buche aus blau verdämmernden "Wäldern, streicht der Schwarm der Krähen über die erstorbenen Äcker. Bald — bald — es wird still in der Welt. — — Und nun habe ich wieder den Strom hinter mir gelassen und steige hinauf in den Wald. Den „Bayerischen nennt man diese zerklüfteten Blöcke des Urgesteins, über denen der Moder von Jahr- tausenden Höhen und Täler formte, Aus greisen- haften, flechtenbehangenen Stämmen drängt neues Leben zum Licht, reckt sich kühn in die jagenden Wolken, zerbirst und bricht krachend in faulendes Holz. — Kühl und feucht ist nun schon der herbstliche Morgen im Wald. Nebelfetzen haben sich in zerzausten Fichten verfangen, ringen sich los, brauen milchige Schwaden, zerllattern wieder In Streifen und wallende Bänder. Nun aber schmettert d{e Fanfare des ersten Sonnenstrahles durch das. düstere Gewoge, spaltet es und drängt es In Senken und Tal. Wohlan, ich grüße dich, Licht des ersten Schöpfungstages, Ich grüße dich und neige mich vor dir in Dankbarkeit und Demut! Rote Beoren leuchten am Rande meines Weges auf, aus verwitterten Brocken zerschrundenen Ge- steins quillt mannshoch der Wedel urweltlicher Farren, Pilze aller Formen und Farben besprenkeln das Moos. — Still und einsam ist es im heiligen Bezirk dieses Waldes, selten nur begegnest du einem Menschen ‚auf den spärlichen Straßen. Stößt du aber auf einen, dann wirst du kaum mehr denn ein oder „Neln" aus seinem Munde vernehmen. Denn die Einsamkeit hat wortkarg gemacht und gut. Sollte denn auch nicht ein hilfreiches Geschlecht auf diesen weltfernen Höfen und Wellen heran- gewachsen sein, wenn es gegolten hatte, gegen die wuchernde Wildnis, gegen Wolt und Bär, Feuersbrunst und Wintersnot gemeinsame Sache zu machen? — Schon webt die Dämmerung Ihre Schatten in das Holz. Auf dem Kamm der Bergstraße raste ich, denn mein Fuß ist müde, und der Weg zum Nacht- quartier noch weit. Langsam nähert sich Huf- schlag aus der Tiefe. Nun sehe Ich: Ein graubärtl- ger, etwas beleibter Mann führt ein hageres Röß- lein, dem man eine altertümliche Kutsche ange- hängt hat. Neben mir hält der alte Herr, setzt sich zu mir an den Straßenrand. Wir plaudern ein wenig, wie man eben mit Unbekannten so schwatzt. Plötzlich wendet mir der Mann sein brei- tes, ein wenig gerötetes Gesicht voll zu, blickt mich forschend an und sagt: „Heißen Sie nicht Viktor Thomas, und hast du nicht auf der Schul- bank des Gymnasiums neben einem gewissen Pe- ter Stumpf gesessen?” „Doch“, antworte Ich er- staunt, „das stimmt alles auf das Haar. Woher kön- nen Sie es aber wissen?” „Well ich ein gewisser Peter Stumpf bin“, lacht der Mann, und aufrich- tige Freude glänzt aus seinem guten Gesicht. Ach Ja, der kleine Stumpf ist das also! Ich erinnere mich seiner genau, denn er war es, der mir die Horaz-Übersetzung einflüsterte, von dem ich die Algebra abschrieb, und dem ich neben meinem scharfen Auge die Note Ill des Abiturs verdankt habe. Ich liebe die Aufwärmung alter Bekannt- schaften nicht, aber In diesem Falle überkam mich doch die Rührung. „Wie kommst du hierher?” Verlag und Druck: alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Postanstalt gültig ab 18. Okt. frage Ich, „was treibst du? Welches Schicksal hat dich in diese Wildnis verschlagen?” „Gestatte, daß ich mich vorstellel” schmunzelt mein alter Mit- schüler, „Doktor Peter Stumpf, praktischer Arzt, Spezialist sämtlicher innerer und äußerer Krank- heiten, Feuerwehrhauptmann, Kutscher, Hebamme und Beichtvater! Im übrigen habe ich meine Be- hausung da unten, in dem kleinen Nest, und, daß du bei mir dein Nachtquartier nimmst, ist selbst- verständlich! Viel kann ich dir zwar nicht bieten, doch kommt es aus vollem Herzen. Und besser, auf meinem alten Karren eine trockene Hose, als sich im feuchten Moos die Ischias zu holen!” Wir klettern auf den Kutschbock, und das Rößlein trabt, den Stall witternd, frohgemut zutal. — Nun säumen bescheidene Häuschen den Weg, ein Kirchturm hebt sich aus der Dämmerung. Auf einem holpeyigen Marktplatz halten wir. „Dr. Peter Stumpf, prakt, Arzt und Geburtshelfer” kündet das Schild an einem Gartenzaun. Ich werde in ein etwas altmodisches Zimmer geleitet. Rote Plüsch- möbel, gehäckelte Deckchen, ein Äskulap aus Gips, künstliche Mohnblumen, vergilbte Familien- bilder in verschnörkeltem Rahmen. Wir plaudern von der Jugendzeit, rauchen gemächlich eine Zi- garre, Dann öffnet sich die Türe, und eine grau- haarige, etwas gebückt gehende Dame tritt ein. „Meine liebe Frau — mein Schulfreund Thomas“, stellt Stumpf vor. Ich habe Renate auf den ersten Blick erkannt. Eine kurze, harmlose Liebe meiner Studentenzeit, verschwärmte Briefe, Beteuerungen ewiger Treue, ein paar rasche Küsse im nächt- lichen Stadtpark, Dann vorbei — vorbeil Ich be- ruhige mich bald, denn nichts deutet aus Renates Miene, daß sie sich meiner oder meines Namens noch erinnert. „Und nun rüste nach homerischem Brauch dem Gast ein BadI” sagt Stumpf, „oder, noch besser: Strecke die Suppe ein wenig, lege ein drittes Schnitzel in die Pfanne und — nicht zu vergessen — fege die Spinnweben vom ‚Schwar- zen Herrgott’I' „Gut — gut” — lächelt mir Renate zu, „es Ist mir eine große Freude, einen Schul- freund meines Mannes kennenzulernen.” Klar und rein, wie in den Tagen Ihrer Mödchenzelt blickt mich das Auge der Frau an. Nein, nein, sie hat mich nicht erkannt. Sie hat vergessen, wie ich vergaß. — Wir sitzen beim Mahl, die Gläser klingen anein- ander. „Entschuldige”, sagt Stumpf, „In der Freude des unverhofften Wiedersehens vergaß ich, mich nach deinem Lebensweg zu erkundigen. Was tatest du in dieser langen: Zeit, welchen Beruf hattest du? Bist nun wohl Pensionist und hast dich (Fr. Bllak) 1, München. — Dar Simplicissimus ar entgegen. Bezugspreise: Einzelnummer %PI.; Abonnement im Monat RM. 1,20. — Anzo| 1pit. — Unverlangte Einsendungen warden nur zurückgesändt, wenn Porto beiliegt.— Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München. auf deinen Ruhegehalt zurückgezogen?” „Nein“, muß Ich etwas kleinlaut sagen, „da wo ich war, gab es keinen Ruhegehalt, weder bei den Gold- gräbern, noch den Kohlentrimmern, den Pelztier- jägern, Schankburschen und Zeitungsverkäufern.” „Nun”, versucht Stumpf in seiner gütlgen Welse zu trösten, „du hast wenigstens die Welt gesehen, während ich zeitlebens diesem verdammten Wald verhaftet war. Hast du geheiratet?” „Nein, Ich hatte nie eine Frau”, sage ich. „Dachte es mir schon”, lacht mein Freund, „denn du mußt wissen, Renate, schon als Student war er wie ein Spür- hund hinter den Mädels her, heute war es das, morgen jenes. Nun hat er das richtige nicht ge- funden, und wenn er sich jetzt in seinen alten Ta- gen am Straßenrand die Ischlas holt, ist das ge- rechte Strafel” „Du aber bist belohntl‘ sage Ich, und hebe mein Glas Renate zu. Sie stößt lächelnd mit. mir an. — Das Telefon schrillt auf der Diele. „Ein schwerer Fall“, sagt Stumpf, als er in das Zimmer zurück- kehrt, Sein ganzes Wesen hat sich verändert, ein schmerzlicher Zug spielt um seinen Mund. „Das Kind ist verloren”, murmelt er düster, „nun heißt es lügen, sich als Zauberer, als Wundertäter zu gebärden. Und bin doch nichts anderes, ols ein kleiner Arzt im Wald! Nun, wieder heraus, müdes Rößlein, deine Beine werden es gerade noch schaffen!” Bald holpert Hufschlag Über den Platz, verklingt in der Weite, Schweigend sitze ich Renate gegenüber. Sie hat den Kopf gesenkt, sinnt vor sich hin. Plötzlich wendet sie mir ihr Gesicht voll zu. Ein bitterer Zug spielt um Ihre Lippen. „Sagen Sie mir doch, Herr Viktor Thomas”, frägt sie, „welchen Grund hatten Sie damals, meine Briefe nicht mehr zu beant- worten? Welchen Anlaß gab Ich Ihnen, mich zu entwürdigen, mich meiner edelsten Gefühle schö- men zu müssen, als seien sie ein Makel? Was habe Ich Ihnen angetan, daß Sie mich beiseite warfen?” „Ich sehe es heute ein“, sage ich, „mein Verhal- ten war unentschuldbar, doch bedenkenSie eines, ich war Jung!” „Gewiß, Herr Thomas“, höhnt Re- nate, und durch ihre Stimme bebt nun Zorn und Verachtung, „aber auch Ich war Jung. Wäre ich älter; mein Herz erfahrener gewesen, hätte es schon den Zweifel gelernt — nun Ja, was konnte mir dann eine üble Erfahrung noch schaden? Sie aber haben getötet, Herr Thomas, Getötetl Und nun habe Ich Im Haus zu tun.” Sie verläßt das Zimmer, Ein müder Hufschlag holpert heran, „Das Kind war bereits gestorben”, sagt Stumpf kurz und mit er- matteter Stimme. „Nun wollen wir zu Bette gehen!” „Ich danke dir, lieber Peter”, antworte ich, „doch fiel mir noch rechtzeitig ein; Ich habe dringende Geschäfte In der Stadt zu erledigen. Wenn ich losmarschiere, werde Ich die Bahn erreichen.” „Unsinn!” wendet Stumpf ein, „mit deinen müden Beinen!” „Sie sind es nicht mehr”, lüge ich, „die Rast hat mich gekräftigt. Es muß sein, Peter, es mußl” „Nun ja, wenn eine Pflicht ruft, kann man nicht widerraten”, meint Stumpf, „Ich würde dich fahren, doch brachte ich das übermüdete Rößlein gerade noch in seinen Stand.” Renate tritt ein. „Denke dir, sagt mein Freund, „Viktor will uns wieder verlassen. Ich kann es ihm nicht ausreden, in die Nacht hinauszuwandern.” Renate sieht mich betroffen an. Der bittere Zug weicht aus ihrer Miene, und der sanfte Blick ihrer Mädchenzeit ruht wieder milde auf mir. Ich schultere meinen Rucksack, greife zum Stock. Unter der Haustüre verabschlede Ich mich von den beiden, Stumpf hat sich schon der Treppe zugewandt, da fühle ich nochmals Renates Hand in der meinen und höre: „Lebe wohl, Viktor, und kehre heim in Frieden!" — Und nun stapfe Ich In die Nacht hinaus. Mein Fuß ist müde, aber mein Herz schlägt in Frohmut, als hätte es einen Freispruch vom Leben und jeder Schuld erhalten. Der Himmel funkelt vom Gewirre der Sterne, als silbernes Band läuft die Straße vor mir her. Dann nimmt mich wieder das dunkle Tor des Waldes auf. Wandern — wandern — heim- kehren! Und, wo Ich nun liegen bleibe am Rand der Straße, da wird es sich gut ruhen. & Hirth Kommanditgosolischalt, München, Sendlingor Straße 80 (Fomrut 129). Brlefanschrift: München 2 BZ, Brieflach, Yarantwocti Shitieiter; Walter FoLtzIck, München, Verantworll, Anzeigenlelter; Gustay She 1 wöchentlich einmal. Bestellungen nehmen genprelso nach Preisliste Nr. 7 Ondulation (R. Ktiesch) „Und wie lange wird die Frisur wohl halten, lieber Mann?“ „Das kommt ganz auf die Leidenschaft des Herrn Gemahls an! Ondulazione: “E quanto mai a lungo, caro signore, durerä la pettinatura?,, “Eh, tutlo dipende dall’ ardore del signor consorte!,, 191 Der größenwahnsinnige Feuerwehrmann Churchill (Wilhelm Schulz) „Nur keine Angst! ... Sollte sich der rote Brand zu sehr ausbreiten, wird es mir ein Leichtes sein, ihn einzudämmen!" Churchill, il pompiere megalomane: “Nessuna paura! ... Qualora l"incendio rossosi dilatasse troppo, sar per me una bagattella |" arginarlo!,, 192 München, 31. März 1943 i 48. Jahrgang / Nummer 13 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN Der Hausherr in Marokko (E. Thöny) „Bitte, nach Ihnen!““ — „Ach nein, bitte nach Ihnen, ich bin hier zu Hause!“ Il padrone di casa nel Marocco: ‘Prego, dopo di Voi!,, — "Ah no, prego dopo di V 01. Qui Il padrone di casa sono lo!,, Geklärte Vision - Visione chiarificata SIEH ED ERORE ‘ | Y WZ A DR e IR. v. Hooıscheimann) TE SEEN Dh f v2 7 IE \ RX) 2 f% WR „Ja, sieh mich nur an, Menschlein; ich bin eine Naturgoftheit!“ — „Danke — danke — dann wäre ich ja In diesem Fall nicht einmal betrunken!" "SI, guardaml pure, omieclattolo. Io sono una divinitä della natura!,, — “Grazie ... grazie ...! Allora . Der Kuß der Muse Von Alexander Keller Spät am Abend traf Peter Niedermoser In der kleinen Stadt ein. Seln Zug hatte Verspätung ge- habt und der Anschlußzug ging erst am nächsten Vormittag welter — so sah sich Peter Nieder- moser nach einem Zimmer um. Er war sehr Jung, hatte sich freiwillig gemeldet und war nun auf dem Wege zu seiner Abteilung Irgendwo im Westen. Der alte Bahnhofsdiener, an den er sich um Rat wandte, schüttelte den Kopf. „Ein Zimmer? Ja, Ich verstehe, Sie wollen einmal ausschlafen — aber, die Stadt ist sehr klein und wir mußten viele Leute aus den Kampfgebieten aufnehmen.” „Mir genügt auch die kleinste Dachkammer”, meinte der Junge Soldat schüchtern. . „Wir werden Ja sehen”, entgegnete der Alte und nahm Niedermoser In die Stadt mit. „Sind Sie noch auf der Schule oder haben Sie einen Beruf?” Peter Niedermoser wurde rot. „Beruf habe ich noch keinen”, entgegnete er verlegen, „aber... Ich bin — ein Dichter..." L „In Ihren Jahren“, meinte der alte Diener lächelnd, „waren wir alle Dichter. Ich habe einmal gelesen, daß es da eine Muse geben soll, die den wahren Dichter küßt — na ja, mich hat sie jedenfalls nicht gefunden”, setzte er lachend hinzu. Später, als er in einer hochgelegenen Dachkam- mer auf einem alten Sofa lag und schlaftrunken durch das Grenzland zwischen Wachen und Träu- men fuhr, kam Peter Niedermoser Immer wieder sein Gespräch mit dem alten Mann In Erinnerung. Selt Tagen arbeitete er an einem Gedicht, aber die Gedanken hatten nicht den Flug, den sie In der Märzenfonne Die Meifen piepen im Germweige, Ich fig! auf einem leeren Faß, Und während ich mich fonnmärts neige Denk Ich an dies und auch an das... Daß man die Träume noch nicht meffen Und nicht auf Flafchen füllen kann... Wie gut if’s, daß man noch vergeffen Und imieder neu erleben kannt Wie oft faß ich in Märzen=Sonne: Die Augen zu, gefpitt das Ohr, Doch heute, hier auf diefer Tonne, IR alles mie noch nie zuvor. Die Meife piept, es kräht der Hahn. So war's, fo ift’s, fo wird es fein: Jett ward mein leeres Faß zum Kahn, Und ich fchlaf in der Sonne ein... Karl Otto 194 In questo coso „.. lo non sarel mica ubriacol,, haben sollten. Wenn einen doch die Muse küßtel Er schloß die Augen und sah — halb schlafend — ein junges Mädchen, das eine lichtblaue Toga trug und sich über Ihn beugte... aber dann fiel ihm rechtzeitig ein, daß dieses Junge Mäd- chen gar keine Muse war, sondern ein gewisses Fräwtsin Friederike, das In seiner Heimatstadt wohnte und in dem Augenblick vielleicht an ihn dachte... „Schade“, dachte or und schlief ein. Sein Schlat mußte aber nicht sehr tief sein, denn plötzlich war er wach — nicht ganz, aber doch so weit, daß er alles, was um Ihn geschah, fühlte — sehen konnte er bei der herrschenden Finsternis nichts „.. Jemand stand neben seinem Sofa und beugte sich über Ihn... dann fühlte er, beglückt, die ines warmen Mädchenkörpers und wurde .. Sehr nachdrücklich sogar, und dann sagte eine gutklingende, gedämpfte Stimme: „Gute Nacht...“ „. Nacht”, murmelte Niedermoser und streckte sich erst einmal. Und dann flel ihm ein, daß er nicht allein war und erhob sich langsam. Es war eine wunderbare laue Sommernacht. Er ging zum offenen Fenster und sah hinaus. Niedermoser beugte sich hinaus und bemerkte, daß rund um das Dach ein breiter Balkon lief, wie ein Stirn- telfen um eine mächtige Stirne. Aber der Balkon war leer und der junge Soldat ging wieder in sein Bett. Am Morgen hatte er nur mehr eine ungewisse Erinnerung an die Ereignisse der Nacht... aber Karl Arnold zum Sechzigften {0. Gulbransson) a, — sstaYiewis \ Weit offen ftehn des Lebens Tore, Dahinter purzeln die Humore, die aber nur ad notam nimmt, wer klug durchichaut den ganzen Zimt. dann geschah eiwas Seltsames — plötzlich fielen ihm Worte ein, klingende, süße Worte, und als er länger nachdachte, formten sie sich zu Reimen, und als er zum Bahnhof ging, war das Gedicht — das ihn so lange gequält hatte — fertig... Er hob die Hand und sandte einen Gruß an die unsicht- bare, treue Muse... Zur gleichen Zeit saßen in einer Dachkammer des N nnen nanake un SRehzeerren. Er ift von diefen wenigen Einer, ein Kafperlestheaterfchreiner. Und, Herrgott, welchen Augenfchmaus fieht er hinein, zieht er heraus! gleichen Hauses, das Peter Niedermoser be- herbergt hatte, zwei junge Mädchen beim Früh- stück. Die Kammer lag am gleichen Balkon, den der junge Soldat in der Nacht gesehen hatte. „Hast du einen Schlaf gehabt“, sagte Lieselotte lachend, „Als ich gestern zu dir in die Kammer stieg und dir den Gute-Nacht-Kuß gab, hast du scheinbar schon geschlafen...” 195 Nur meiter zugegriffen, Befter, in Lumpen=, Spießers, Welpennefter! Wer fo die Nafen uns drauf ftößt, fest aus, erquickt, erbaut, erlöft! Ratatöshr „So? Margarete schüttelte den Kopf. „Ich war bis Mitternacht wach. Hast du meinen Zeltel an deiner Tür gefunden? Ich schrieb dir, ich hätte meine Kammer für eine Nacht abgeben müssen... ich weiß aber nicht, an wen.” „Du meine Güte!“ Lieselotte erstarrte. Nach einer Weile murmelte sie fassungslos: „Wen habe ich denn da gestern abend geküßt?” Farbensinn (X. Helligenstaadt) „Dieses bißchen Schwarz, sagt Robby, stünde mir besser zu Gesicht, als mein ganzes blaues Kleid!‘ Senso del colore: “Robby dice che questo po’ di nero mi converrebbe meglio al viso che non tutto il mio abito blu!,, 196 HANNIBALS UNTERGANG VON KARL TRAMM Nachdem Herr Dalquist den Schuppenpanzer mit einem Federbusch vom Staub befreit hatte, ging er in das Haus zurück, um die Selfenlauge anzu- rühren. Währenddes blieb Hannibal, das Krokodil, allein Im Garten. Reglos lag es da und schaute mit seinen glänzenden Augen aus buntem Glas verträumt Über den abendlichen Sund, als wäre es tief In Gedanken an seine morastige Urwald- heimat versunken. Sein fetter, narbenbedeckter Leib mit derf tückischen Kopf und dem gewun- denen Schwanz sah abenteuerlich genug aus, den Unvoreingenommenen beim ersten Anblick fliehen zu lassen, ließe nicht die nähere Betrachtung auf Holzwolle statt auf unersättliche Eingeweide in selner zugenähten Bauchhöhle schließen. So er- klärt es sich auch, daß Hannibal ungerührt die Seifenlauge über sich hinwegschäumen ließ und gewissermaßen ohne mit der Wimper zu zucken, auch die Tollettebürste ertrug, die wesentlich- sten Anteil an dieser sich alljährlich wieder- holenden Frühjahrsreinigung hatte. Zufrieden beobachtete Herr Dalquist, wie das kalte Spülwasser die letzten Schaumreste davon- schwemmte. „Nun, nun”, sagte er dabei begüti- gend, als spräche er zu einem Lebewesen, „gleich haben wir es ja geschafft! Schön wollen wir doch aussehen — nicht wahr?” Ja, Herr Dalquist hing voll Zärtlichkeit und Liebe an Hannibal. Zwar war er es nicht gewesen, der die Echse einst aus ihrem angestammten Schlupf- winkel aufgescheucht und weidgerecht erlegt hatte — dafür war es ihm nie vergönnt, sich als Großwildjäger zu betätigen, geschweige denn, je nilaufwärts zu fahren. Aber wenn er sie auch vor Jahren nur auf einer ganz simplen Auktion in Stockholm ersteigern konnte, so verlor sich doch schon sehr bald sein ganzes Herz an diesen aus- gestopfien Popanz, den er nach langem Grübeln auf den klingenden Namen „Hannibal“ taufte und nicht wenig stolz auf diesen Einfall war — ja, man wäre fası geneigt zu sagen, es war weniger das Krokodil selber als der Name allein, dem diese Liebe gebührte. Seitdem also zierte das Tier den Wintergarten seines Junggesellenheims und bil- dete im Verein mit einer Kakteen-Gruppe eine sinnvolle Dekoration. Herr Dalquist streifte seine Hemdsärmel wieder herunter, legte den starren Hannibal behutsam über zwei aufgestellte Holzböcke, damit er ab- tropfen und über Nacht trocknen könne, und ging dann In das Haus zurück. — — — Als er am Morgen des nächsten Tages auf die Terrasse trat und in den Garten hinuntersah, mußte er sich an den Stäben des eisernen Ge- länders festhalten, um nicht zu taumeln vor Schrecken: die beiden Holzböcke waren leor — Hannibal verschwunden! Fieberhaft begann Herr Dalquist zu suchen und zu rufen. Wie ein Besesse- ner durchstöberte er jeden versteckten Winkel, spähte unter jedes Mistbeet und benahm sich so verstört, daß sich einige teilnahmsvolle Nachbarn der Suche anschlossen. Aber es war umsonst. Drei Tage und drei Nächte suchte Herr Dalquist vergeblich, bis er es völlig erschöpft aufgab. Wie konnte sein Hannibal nur verschwinden, wie nur in aller Welt war das möglich? Hier lag ohne Zweifel eine Mystifikation größten Ausmaßes vor, das war sicher! Nach einer Reihe ruheloser Nächte kam Herm Dalquist endlich der Gedanke, eine Verlustanzeige in der Zeitung aufzugeben. Und so geschah es auch. — Der Erfolg war verblüffend! Zuerst kam die Feuerwehr vorgefahren und erbat sich nähere Informationen von ihm, dann rief der Syndikus für „Sicherheit und bürgerliches Wohlergehen” an Und teilte Herrn Dalquist In einem erregten Wort- schwall mit, daß er, wenn jene Bestie eine Panik oder gar Verheerungen unter der Bevölkerung Anrichte, ins Arbeitshaus käme. Ferner meldete sich eine Rundfunkgesellschaft und bat ihn, einen kurzweiligen Vortrag über Großwildjagd im Schwarzen Kontinent am Mikrophon zu halten —— ganz zu schweigen von den unzähligen münd- lichen und schriftlichen Anfragen aus allen Kreisen der Bevölkerung und von den verschiedensten Instituten und Ämtern, die sich im teils weiteren, teils engeren Sinne mit dem Verschwinden des Krokodils verbunden fühlten, Erwähnt sel nur noch die Steuerbehörde, die Herrn Dalquist entrüstet sein widriges Verhalten vorhielt, das Krokodil, das in diesem Falle als Haustier zu werten sel, nicht gemeldet zu haben. Man habe behördlicher- seits bereits dafür etwa die fünffache Hunde- steuer errechnet usw, — Und so ging es fort. Es war nun Herrn Dalquist wirklich höchst zuwider und peinlich, aller Welt unermüdlich darüber Auf- klörung zu geben, daß es sich bei seinem Hannl- bal um kein lebendiges, sondern um ein ausge- stopftes Krokodil handle. Als ihm aber eines Tages der Direktor des Zoologischen Gartens per- sönlich seine Aufwartung machte, um mit ihm wertvolle Erfahrungen über die Lebensgewohn- heiten der Riesen-Echsen auszutauschen, da packte ihn das Entsetzen, und er verschanzte sich fortab konsequent gegen alle weiteren Annäherungen, die ja doch nichts Positives erbrachten. — So verging die Zeit und mit Ihr der Tumult, dersich um das Verschwinden des Krokodils Hannibal er- hoben hatte. Niemand sprach mehr davon, und selbst Herr Dalquist hatte alle Nachforschungen eingestellt — womit jedoch nichts über seinen großen Kummer gesagt ist. Eines Abends aber schellte es an seiner Türe. Ein blasser, abgehärmter Mann stand davor. Er trug einen kümmerlichen Bartwuchs im Gesicht, hatte tiefe Schatten unter den Augen und stellte sich mit brüchiger Stimme als ein gewisser Axel Han- sen vor, Ehe er sich näher erklärte, bat er Her Dalquist, ein wenig weiter herauszutreten und wies auf die Straße, wo ein kleiner Handkarren mit einem länglichen Etwas, in ein weißes Laken gehüllt, vor der Gartentür stand, „Machen Sie mit mir, was Sie wollen“, ächzte der späte Besucher, „lassen Sie mich verhaften oder töten Sie mich hier auf der Schwelle, es Ist ohne- hin einerlei. Ich bringe Ihnen Ihr Krokodil wieder, denn ich bin der, der es stahl — — —" Herrn Dalquist war zumute, als schlüge ihn Jemand mit einer Keule vor den Kopf. „Sie — meinen Hannibal — —“‘, vermochte er nur zu hauchen, „Ihren was? Ihren Ha — Hannibal? Ach richtig, APRIL VON PAUL VERLAINE Der Nordwind stürzt durch Busch und Baum, Sie stehn ganz schwarz, ganz grün im Raum. Zerstreuler Schnee friert ringsum weiß Auf dem besonnten Land zu Eis. Ein Duft steigt herb vom Waldessaum, Von Stimmen schallt der Himmelsraum, Der Turmhahn dort im Dorfe blitzt Grell, wenn die Wolke drüberflitzt. Wie köstlid aber läßt sich's gehn Still durch das leichte Das hier und dort ein Windstoß trennt. Vebelmehn, Doch pfui! Mein altes Feuer brennt! Und in den Hacken zwickt ein Schmerz April ist's! Vorwärts, altes Herz! Deutsch von Gerhart Haug 197 verstehe schon.” Herr Axel Hansen nahm Herm Dalquist sanft beim Arm und ließ sich mit ihm in der Korbstuhlgarnitur auf der Terrasse nieder. Er bot dem Betäubten eine billige Zigarre an, steckte sich selbst eine in Brand und fuhr fort: „Ich weiß, Herr Dalquist, in welchen Kummer ich Sie gestürzt habe. Ich habe mich an Ihrem Eigen- tum vergangen, Ich bin zum gemeinen Dieb ge- worden. Aber wenn ich Ihnen eben sagte, daß Sie mit mir machen könnten, was Ihnen beliebt, so ersehen Sie bitte daraus, daß es für mich keine Freuden mehr gibt auf dieser Welt. Zwar gab es eine Zeit, In der ich glaubte, das Verhängnis ban- nen zu können — die Zeit nämlich, wo Ich Ihr Krokodil stahl — — aber —" „Erzählen Sie weiter, Hansen!” sagte Herr Dal- quist barsch, denn er hatte sich Inzwischen wie- der sammeln können. „Wozu haben Sie meinen Hannibal mißbraucht!” Wie aus einem tiefen Traum schrak Herr Axel Hansen empor. „Mißbraucht — je, das ist der richtige Ausdruck.” Und nach einer kurzen Pause: „Sie haben ein Recht daran, meine Geschichte zu hören, besser gesagt: die Geschichte Ihres Krokodils. — Sehen Sie, ich bin ein friedlicher Mann und bewohne nicht welt von hier ein kleines Haus mit einem Garten, in dem ich meinen Kohl baue. Und da ich glücklich verheiratet bin und auch Familie habe, fehlt es mir an nichts. Es fehlt‘ mir auch nicht an einer gewissen Großtante Emma — und diese eben ist es, Tante Emmal” Schmerzlich rief er diesen Namen aus, um ertegier fortzufahren: „Herr, ersparen Sie mir die Beschreibung dieser Verwandten und begnügen Sie sich mit dem Wis- sen, daß Tante Emma uns alle vier Wochen be- suchen kommt, um uns zu terrorisieren — je, uns zu terrorisiereni Was Ihrer Hökernase entgeht. das erspähen ihre Falkenaugen, und Dinge, die man gemeinhin unausgesprochen läßt, sind auf ihrer spitzen Zunge gewissermaßen zu Hause, — Aber zur Sache: Eines Tages, vor gar nicht langer Zeit, hatte sich Tante Emma wieder einmal an- gemeldet. Ich fühlte, daß ich ihren Besuch nicht mehr ertragen würde und daß dieses Mal eiwas geschehen mußte, ganz gleich, was. Es war am Vorabend ihres Erscheinens, als ich mehr im Schmerz als in Gedanken versunken nicht des Weges achtete und zufällig an Ihrem Garten vor- überkam. Wie es geschah, weiß ich heute nicht mehr zu sagen, jedenfalls kam mir mit dem An- blick Ihres Krokodils eine Idee, die mich sofort ganz erfüllte und die mir mein Rettungsanker schien. Wie qualvoll langsam verstrich die Zeit, bis es völlig Nacht wurde und die Finsternis mein Tun bemönteltel Gerungen habe Ich mit mir und alle guten Geister beschworen, mich doch zu bewah- ren! Zu sehr aber schmeichelte mir der Böse. Tante Emma oder das Krokodil — das war hier die Fragel So stahl ich Ihr Krokodil und trug es auf dem Rücken nach Hause.” „Welterl“ befahl Herr Dalquist kurz, als der Gast innehielt. „)d, weiter“, echote Herr Axel Hansen dumpf und fuhr nach einigen Seufzern fort: „Der schmale Weg von meiner Gartentür bis zum Haus ist mit herrlichem Rhabarber eingefaßt, die einen Üppl- gen Blattwuchs entfalten. Unter eine dieser Pflanzen postierte ich das Krokodil derart, daß es verwegen und zähnebleckend mit seiner spitzen Schnauze darunter hervorlugte und jedem unvor- bereiteten Besucher, der da vorüberging, Angst und Schrecken einflößen mußte. Da ich ganz sicher gehen wollte, machte ich zuvor einen Versuch am lebenden Objekt. Zwar war es unglücklicher- welse der Geldbriefträger, der schreiend wieder davonlief, als er nichtsahnend durch den Garten auf unser Haus zuschreiten wollte; immerhin aber gab mir dieses Beispiel genügend Mut für meinen Plan. Ich rechnete dann aus, wann der Zug mit Tante Emma eintreffen müßte, wie lange sie vom Bahnhof zu gehen hätte, wann sie bei uns sein könnte. Ja, und dann erschien sie plötzlich vor der Gartentür. Noch heute sehe ich ihre hagere Gestalt auftauchen, das ziegelrote Sommerkleid, Der Bundesgenosse - L’alleato (6. Brinkmann) „Schreiben doch diese Engländer, wir würden die Hände nach ihnen ausstrecken! !"* *Scrivono pure questi Inglesl che noi stenderemmo le manl verso loro!!,, den knallgelben Strohhut, die funkelnden Brillen- gläser, das ewig mahlende Gebiß — — —.” Herr Hansen schlug seine Hand vor die Augen. „Die ganze Familie stand hinter der Gardine und schaute dem Schicksal, das sich gleich an Tante Emma erfüllen sollte, zu. Jetzt trat sie durch die Gartentür, ein paar Schritte — — nun mußte sie der Bestie ganz nahe sein — dal — erstarrt hemmte sie Ihren Fuß, fixlerte das Ungetüm scharf, und — ein Lächeln verzerrte ihre Zügel In diesem Moment wußte Ich, daß sich das Schicksal gegen mich entschieden hatte. Das Krokodil hatte ver- sagt, über mir schritt das Verhängnis hinweg — ich lag zermalmt am Boden. Was weiter geschah? Wir beobachteten, wie Tante Emma ihrer großen Handtasche einige Stückchen Zucker entnahm, sie dem Tier vor die Schnauze warf und dabei mit ihren spitzen Lippen süßlich flötete, als sei sie des Teufels Urgroßmutter, die eine arme Seele lockt, selber. Mich, der ich geglaubt hatte, Tante Emma unverzeihlich schrecken zu können und sie auf Nimmerwiedersehen laufen zu machen, hielt es nun nicht länger und ich trat aus der Haustür. ‚Aaahl‘ rief sie mir entgegen, ‚wie schadel Ich dachte, das Krokodil sei lebendi Aber es ist auch so ein teizender Einfall von dir, mein lieber Axel, den ich dir nie zugetraut hätte. Ich schwärme ja so für das Exotische — —I' Ja‘, erwiderte ich verkrampft, ‚Ich habe mich eben bemüht, deinen Geschmack zu treffen, liebe Tante. Ich will jetzt den ganzen Garten mit ausgestopften Tieren be- völkern; in vierzehn Tagen bekomme ich einen präparlerten Elefanten.‘ Keine Spur davon, daß sie sich abgestoßen fühlte. Im Gegenteil: sie glühte förmlich vor Begeisterung und war freimütig genug, zu bekennen, daß sie gerade vorgehabt hätte, uns nicht mehr so oft zu besuchen, da wir ihr zu langweilig und zu bäurisch vorkämen. Nach diesen reizendenEinfällen jedoch, die ja geradezu Ins Exzentrische gingen, fühle sie sich mehr denn je zu uns hingezogen. — Am Abend unternahm ich noch einen letzten schwachen Versuch, indem ich ihr gestand, das Krokodil hätte Ich auf den Namen ‚Emma’ getauft — was sie aber nicht im mindesten kränkte, sondern sich im Gegenteil als eine besondere Auszeichnung anrechnete — —." Hier brach Herr Axel Hansen ab und begann zu schluchzen. Er bot einen mitleiderregenden An- blick. Nach einer Weile erhob sich Herr Dalquist und fragte rauh: „Wie sagten Sie? Wie haben Sie mein Krokodil getauft? Emma??' Herr Hansen nickte stumm, „Es ist gut’, sagte Herr Dalquist; und nach einer kurzen Pause: „Sie können jetzt gehen — lassen Sie mich allein. Übrigens schenke ich Ihnen Ihre Freiheit.” — Die ganze Nacht verbrachte Herr Dalquist vor dem Krokodil, als hielte er stumme Zwiesprache mit ihm. Hin und wieder schüttelte er heftig den Kopf, als wollte er einen Gedanken gewaltsam verscheuchen. Dann wieder begann er zu mur- 198 meln und erregt auf und nieder zu gehen, als kämpfe er mit einem Entschluß. Endlich, es ging schon auf den Morgen zu, gab er sich einen Ruck, stellte sich aufrecht vor das Krokodil hin und zelebrierte mit fester Stimme: „Hannibal, man hat dich geschändetl Einen heroischen Namen gab ich dir — nach einer Tante aber hat man dich ‚Emma’ geheißen. Nie würde ich das verwinden können, niel Du mein alter, stummer Gefährte, du Opfer einer bösen Tat: wir müssen uns trennen!“ Nach dieser seltsamen Ansprache trug Herr Dal- quist den ehemaligen Hannibal hinunter In den ‚Garten, schnitt ihm mit einer großen Papierschere den vergilbten Bauch auf, entfernte die Holzwolle daraus und tat Steine, schwere und leichte, wie er sie gerade fand, dafür wieder hinein. Beide hielten sich gut bei dieser Prozedur, Herr Dal- quist und Hannibal. Zwar ging ersterer außer- ordentlich bleich zu Werke, Hannibal aber be- währte sein kaltes Lächeln in den faltigen Mund- winkeln, was dort festgefroren schien — selbst als man ihm den Bauch öffnete und er die nacht- kalten Steine in sich aufnehmen mußte. Darauf schleppte Herr Dalquist den innerlich Umgewan- delten zum Sund und ließ Ihn an einer tiefen Stelle von einem-felsigen Stein ins Wasser gleiten, worin er alsbald versank. So ging Hannibal unter, Im Osten aber erhob sich strahlend die Sonne und vergoldete die kleinen Wellen. Der temperamentvolle Wagen Si ch SS 7 Teufel Pierpont Morgan beim (Erich Schliling) „Kinder habt Ehrfurcht vor ihm, er ist einer der Hauptanstifter von zwei Weltkriegen!" Pierpont Morgan dal diavolo: “Ragazzl, rispettatelo! Egli & uno del capi Istigatorl di due guerre mondlali!,, VERLORENES GLÜCK Kunstmaler Emaillus Fingerhut hatte eine Winter- landschaft ausgestellt. Motiv: Tiefverschneites Barock-Parktor eines alten Schlosses. Alles sehr naturalistisch und so haarscharf gezeichnet und gemalt, wie es Balthasar Neumann vor 200 Jahren entworfen und der liebe Gott vor wenigen Tagen mit großen weißen Hauben versehen hatte. In diesem Schlosse war kurz vorher ein lohnender Einbruchsdiebstahl verübt worden. Um das wenig freudige Ereignis auch auf dem Bilde anzudeuten, hatte Emalllus Fingerhut eine vom Dieb verlorene goldene Kette in eleganten Schnörkeln In den Schnee gemalt. Da dem phantasiebegabten Malersmann bei der eingebil- deten Ritterkette das sagenhafte „Glück von Edenhall”” vorschwebte, nannte er das Ganze 200 „Verlorenes Glück”. — Bald darauf erschien fol- gende Zeitungsnotiz: „Der Einbrecher ist nach dem Gemälde ‚Verlorenes Glück‘ von Emaillus Fingerhut ermittelt worden. Der Täter hatte in den frischgefallenen Schnee seine Notdurft verrichtet und konnte auf Grund seiner dabei auf dem Bilde festgehaltenen Linienführung, verglichen mit sel- ner Handschrift, überführt werden.” Dehler. Deckeltrick bei Milei-Suppe Kohlenklau ist 5 Taps, tapt, tapt... © in der Küche, Ah, da kocht eine mit MilelG gebundene Suppe. Fluge nimmt er den Deckel runteı t Gasverschwendung, Nähr- ‚tahl, Aromaverlust.— Mo tal: Gut pamsender Deckel gehört auf jeden Kochtopfl Milei ustauschstoff Ein Schuster kann zwar Schuhe, auf denen man + Jahre ge- laufen ist, sefort erneuern. Ein Arzt aber kann nicht in 5 Tagen wieder gut machen, was dem Körper in 5 Jahren angetan wurde, Triton Mit Tropon-Präfparaten haushalten der zuverlässige IENKE Miesbaden PBiebrich) DEUTSCHLANDS lab, co Tinte u, Ausziehtusche » ). sı3ıdedajyoy'n PpueggIasyps-Jane: Nieversagend, mer arbeitsbereit \*»Kleb-All-u.Büroleime +/ BUTENBERG Werk für Bürobadarf mb.H Mainzanh. Stempelkissenu.Siegellacke aller Art Dergrofe, deutsche Feldzug gegen Polen Eine Chronik in Wort und Bild mit einem Geleltwort von Generaloberst v. Reichenau Herausgegeben imEinvernehmen mit d, Reichsbildberichterstatter d. NSDAP. Prof. Heinr. Hoflmann 1 Großquartband, 343 Selten, 300 Bilder, gebunden Preis RM. 2u— _ Lieferbar auch in Monatsraten | ED. EMILTHOMA| Reise- und Versandbuchhandlung MÜNCHEN 2, WEINSTR. 9 Verlang. Sie Liste üb. weitere Buchwerke sammler, verlang! kostenlos die HANSA-POST" ©: achril, die BIOLAVAN isı der patentamtl. 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Frankfurt am Main SCHERZO VON PETER SCHER Es muß vorausgeschickt werden, daß der ange- graute Herr ein ungewöhnlich gut aussehender angegrauter Herr von der Art war, wie sie auch im besten Hotel einem Zimmermädchen nur ganz solten vor Augen kommen mögen. Vielleicht ein Filmschauspieler? dachte das Zim mermädchen, das hübscher und zum mindesten frischer war, als selbst der berühmteste Filmheld je eins zu Gesicht bekommen haben mochte, Was nun erzählt wird, war wiederum eine Ange- legenheit mit allen Voraussetzungen zu nicht all- täglichem Geschehen. Der graumelierte Herr war ein Frühaufsteher und wünschte schon zu einer Zeit, da aus naheliegen- den Gründen noch kein heißes Wasser aus den Röhren strömen konnte, dennoch solches zum Rasieren. So brachte also das Mädchen am Morgen nach seiner Ankunft -im Hotel in aller Frühe einen großen Krug mit heißem Wasser aus der Küche in das Zimmer. Als es eintrat, stand der Herr schon vor dem Spie- gel, aus dem sein von der Rasierlampe bestrahl- tes Gesicht wie ein schönes Bild herausblickte und das Mädchen mit einem so liebenswerten Ausdruck von Bewunderung umfaßte, daß es plötz- lich errötete, als es das Wasser in das Becken goß. „Mein schönes Kind”, sagte der grauhaarige Herr, „ich bin trostlos, daß ich mich Ihnen nicht so jung und so verwegen präsentieren kann, wie ich ein- mal warl“ Hier hielt er raffiniert einen Augenblick Inne, dann fuhr er um so wirkungsvoller fort: „Im anderen GUSTAV LOHSE BB IEIRILIN | ıR | | PFEILRING © WERKEAG, % henkino sch narke größ,, 10 30 Kriegs- u.a.Filmbild.„terner eine Ausw, kl’Spiele 2 u-Scherze, alles zus. nur ger.Eins.v.1,50 (Scheine) keine Nachrahmelieferg.Sor- Yimente Herren, und Dumerscherze ge Eins. v. 3 0d. 5 04. 20 RM. Preisl, üb. Spiel Sehe, u Zauber. w. Du har En Ste briottich. Für & Rpl. in Markon (die Ihnen aut da 'aBermäliherleiung! 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Wie denn —?" fragte das Mäd- chen unsicher, mit einem leichten Beben in der Stimme. „Oh“, sagte der Herr fröhlich, „ich wäre imstande gewesen... doch davon spricht man nicht... so etwa hätte ich es gemacht ...” Und er umschloß ihr hübsches Gesicht mit belden Händen, die das reizende Oval nun wie eine Schale umfangen hielten. „Und so — und so —I" fuhr er fort, indem er mit seinem Mund zwel-, dreimal zart den ihren streifte, worüber ihr ganzes Gesicht, sprachlos der spie- greifen ss Kursgeld fgarachnet wi or Kanen Sio"aon une, Prospekt von) Empiehlt | H. Zickert, München 28, Postt. 1236| 0" $Implieissimus | SEIT JAHREN GROSSTE DEUTSCHE WEINBRENNEREI ujardin VERDINGEN/RK. wurde am Hofe in Wien die Firma JOHANN KATTUS gegrün Ein Buch Ihre bekannteste Marke ist der Wiener Sekt HOCHRIEGL 180 Seiten, Biomalz Werk Gebr. 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Dichtungemittel für defekte Koctöple uw, photographifche Wertarbeit 202 ienden Anmut ausgeliefert, mit der dieser Mann alles vollsrachte, in flammendem Rot erglühte, doch keineswegs aus Entrüstung. Seine Heiterkeit wirkte indessen ansteckend und so sagte sie nach einer kleinen Atempause in entzückender Mischung von Zurechtweisung und Lustigkeit: „Würden Sie das wirklich getan haben, wenn Sie noch so jung und so frech wären wie früher?” „So wahr ich hier stehel” erwiderte er hingerissen von der Heiterkeit des Augenblicks. „Ja, ja, ich wäre vielleicht gar so unverschämt gewesen, es zu wiederholen... so. . sehen Sie,,. so —I' Und er küßte sie abermals. Nun schien es Ihr aber doch klar zu werden, daß hler nicht lediglich ein etwaiger Fall demonstriert oder illustriert, sondern doch schon mehr ein richtiges Geschehen getätigt worden war, und so entlief sie, den Krug in den Händen, mit einem nicht allzu entrüstet klingenden Gekicher. LIEBER SIMPLICISSIMUS 0. Nückel) Grat Bobby ging als Göd. Stolz trug er sein Patenkind zur Taufe in den Stephansdom. Hoch- würden betrachtete verwundert den Täufling „Für ein neugeborenes Kind ist der Kleine abeı über die Maßen groß“, sagte er verwundert. Graf Bobby erschrak: „Mein Gott! Jetzt habe ich in der Aufregung den Vorjährigen erwischt!” I.H.R. Am Aschermittwoch — In tlefsten Friedenszeiten — saß die Vorstandschaft einer Münchener Künstlervereinigung mit dicken Köpfen bel- sammen. „Was habt’s denn?” fragte eintretend der dicke Bildhauer G. „A Defizit hammal” „Dös macht dech nix — dos vasauf mal” H. W. G. * Heute genügt oft ein Glaserl Wein auf nüchter- nen Magen. Wir hatten vier getrunken und gingen über den Stephansplatz. Vor dem Stock im Eisen blieb mein Freund stehen, gab mir seinen Mantel zum Halten, trat zum Postkasterl, warf zehn Pfen- nige hinein und schaute auf die Turmuhr und seufzte: „Jessas! Jessas! Schon wieder zwei Kilo abge- nommen!” IHR vr T sreckbrief 07 ei ° Er, S; se a @ EBEERE BR ollung 4 Kohle for ehe aus A tungen fast 70 Milli Strom wird meist mit Kohle erzeugt. Aus dieser Kohlenmenge könnten 12 Millionen Liter Treibstoff für unsere Jäger und Bomber hergestellt werden. Darum paßt auf und denkt daran: Werft die „Kohleuklai’s" aus dem Haus hinaus! Wenn in jedem Haushalt täglich nur 1 Glühlampe von 40 Watt % Stunde lang unnötig brennt, so fallen in einem Jahr bei 19 Millionen stromversorgten Haushal- nen Kilo Kohle „Kohlenklau” zum Opfer, denn elektrischer Soldaten alle Waften Er | Data den an Bad a hreang Dan FANRI and Irgiene und Mund Kosmetik nalei Ionn aber auch qui dans ee in Aooduben und nich ara von I Dahlem & Combi. KOBLENZ-PFAFFENDORF AH. Wir bitten die Herren Autoren, zum Preisausschreiben für das Unterhaltungs-Schrifttum be- stimmte Manuskripte uns schon jetzt einzureichen. 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Gemeinde- schule,, daneben ein Standesamt und dann eine kleine Leihbibliothek. „Dort werden sie groß, dort pflanzen sie sich fort, und dort lebt der Geist weiter (für 20 Pfennig Leihgebühr pro Woche)”, erklärte der Jubllar. „Sehen Sie, Dichter sein heißt; Beziehungen fin- den, wo eigentlich keine sind. ‘Und von zarten Beziehungen reden, die einmal waren oder nicht waren. So entsteht der Liebesroman... Dichter sein heißt: die Großen der Geschichte klein zeigen und deren kleine Geschichten groß. So entsteht der historische Roman.” Auf Befragen berichtete Kleinplepel über sich selbst: „Wir entstammen einem alten Patrizier- geschlecht, wahrscheinlich haben wir einmal Großpopel geheißen. Ich habe mich aus eigener Kraft hochgearbeitet, obwohl ich auf der Schule nur eine 3 in Geschichte hatte, Heute kommt es mir auf eine Unterhaltung zwischen Talleyrand, Tell und Nofretete nicht mehr an.” „Und woran”, forschte der Ausfragerich (Interviewer), „arbeiten Sie zur Zeit? — „Mein nächster Roman telt sich: ‚Eine Frau erlebt August den Starke: _ „Oh, wie neul” — „Ja, neu — Ich habe eine ge- funden, die noch nicht beschrieben ist. Wenn es gefällig Ist, treten Sie mit mir in däs barocke Lust- schloß am Elbufer ein. Gebaut von Longuelune, die Decken bemalt mit viel Mythologie und wenig Gewändern von L. de Silvestre. Uber der Tür laden die gereimten Alexandriner ein: Säh’ sle’s von innewend’g, selbst Venus würd‘ es loben, Man möchte sprechen: Mensch, die Pracht ist nicht zu glauben. Wir gelangen natürlich gleich In ein Schlafgomach. Auf dem Deckengemälde füllt Venus den Köcher von Cupido neu. Die Wände sind mit schwellen- der lachsrosa Seide bespannt, Boullemöbel — natürlich — bilden die Einrichtung. Selbst unterm Bett steht eine Jaspisschale, mit einem Henkel aus blutroten Rubinen. In diesem Bett, das mit Daunen hochgemästeter Gänse gostopft war und dessen Decke Seide war und Brokat, und alles mit Hohlsaum — nein, hier hat mich die Dame an der Schreibmaschine be- tichtigt — also einfach Brokat, genügt ja auch — ruhte Euphrosyne. Ihr linkes Bein, nur halb be- deckt, zeigte die zartrosa Tönungen Kändlerschen Porzellans. Das rechte war zweifellos ähnlich und so fort... Eigentlich wollte ich das Ganze In ‚Alexandrinern schreiben. Also etwa: August der Starke naht, — sie möchte sich verkriechen, Es wogt die bange Brust in dito Atemzügen. ‚Ach, renvoyieret mich, ich bin ein braves Mädchen.‘ ‚Dianen gleichst du ganz, die wir zum Fest benötigen. Herkulisch wallt mein Blut in den barocken Adern. Ich setz’ mich auf dein Bett, dann könn’ wir 'n bißchen plaudern.‘ Damit setzte sich August der Starke auf die Bett- kante, und während er Ihr von dem Fest erzählte, wo er als Jupiter und-sie als Diana erscheinen würden, dazu Nymphen, Najaden, na ja und so, — griff er in die breitgeschnittene Tasche seines brokatenen, mit 1193 Saphieren übersäten Staats- rockes (ponceaurot mit veilchenfarbenen Aufschlä- gen) und ließ dann eine Handvoll Perlenketien in ihre abwehrend erhobenen Händchen gleiten. Es waren Rosöperlen von der Größe zwischen Tau- ben- und Hühnereiern, seine größten waren be- kanntlich wie Straußenei aber auch diese hat- ten schon Lustre genug, eine schönheitsdurstige Seele lüstern zu machen. Dann trat er heraus an das Geländer des Altans, riß nachlässig drei bronzene Gitterstäbe heraus und flocht sle mit seinen riesenstarken Fingern zu Zöpfchen. Das Ist die Seelenstärke, die nicht nur bei dem schwachen Geschlecht den Sieg gewinnt. Und nun kam er ihr näher, schritt-weis im-mer nä-her — und sagte gemütlich: ‚Heute nachmittag machen wir nach Pillnitz eine olympisch-dämo- nisch-bucolische Wasserfahrt, Au revolr, schöne Diana.’ So also sieht eine Illegitime Verlobung aus, dachte sich Euphrosyne...” „Nicht wahr“, unterbrach sich der Dichter, „Ich habe den König doch sehr menschlich gezeich- net, Vielleicht hat August der Starke in manchem anders empfunden als Kleinpiepel. Hören Sie weiter: Nachmittags auf der Elbe. — Loschwitz, Johann- stadt, Waldschlößchen zogen langsam an dem Dampfboot vorüber, das, schwer vergoldet, mit ‚schwarzen Diamanten’ geheizt, den König trug und selne neue Gunstdame, Sie saß und schüt- telte, wie es damals so üblich war, Diamanten durch ein goldenes Sieb, dessen Maschen nur Steine über acht Karat hielten — die anderen fielen in die Elbe, ‚Warum schneidet man nicht die großen Steine durch, damit die kleinen Leute auch welche krie- gen?‘ fragte Euphrosyne gutherzig. ‚Weil sie dann beim Schütteln auch durch die Maschen fallen würden‘, erwiderte August der Starke, Er saß derweile und rollte spielerisch Teller auf, goldene und silberne abwechselnd, und warf die Röhren in die Ecke. ‚Wieviel Pferdekräfte haben Sie eigentlich, August der Starke?‘, fragte Euphrosyne. Der schüttelte geschmeichelt die Allongeperücke, im Hoch- barock ließ man sich willig bewundern. Dann erzählte er ihr von dem Fest, das er nächste Woche zu Ehren des Jungen Friedrich des Großen (zur Zeit sei er freilich noch Kronprinz) geben wolle. Im Zwinger, den Poeppelmann auf drei Seiten fertig gebaut hatte, die vierte war eine hölzerne Tribüne, gedachte er Lebewesen ver- schiedenster Art, Löwen, Eber, Pferde, Hunde und sogar leibhaftige Allen aufeinander zu hetzen; die sollten brüllen und bellen und einander fres- sen, wie im schönsten Parlamentarismus. Aber sie fraßen sich In Wirklichkeit meistens nicht. Und die Bevölkerung von Dresden, darunter äußerst zahlreiche Pensionäre, würden zusehen und wis- sen, daß Zusehen beinah so viel Ist wie Haben. Das gilt besonders beim Feuerwerk. Dann sprach August der Starke im Anschluß an seine Briefe und Tagebücher noch treffliche Worte über Sin- nenlust und große Politik... Nächstes Kapitel. . Am folgenden Abend lag Euphrosyne wieder in dem Großraumbett und — um die Wahrheit zu sagen — wartete. August der Starke war noch durch die vorige Affäre aufgehalten. Da hörte sie ein Geräusch und eine Stimme aus dem Dunkeln. Die konnte nur von dem kleinen Mohren Mirkhän yed Rämäl kommen, den ihr der König gestern geschenkt hatte (wer sprach hier sonst solchen Dialekt?). Mirkhän war schwarz wie Schokolade bei Nacht und, soweit sich das 204 nach einem Tag beurteilen ließ, sehr anhänglich. ‚Scha—äde‘, sagte er, ‚auch für Sie wird es nicht lange dauern. Aurora von Königsmarck Ist mit ihrem Temperament wie Champagner verschäumt. Kaum ein Jahr, nachdem sie den Marechal de Saxe geboren, fühlte sie sich Abtissin und ging nach Quedlinburg. Die Gräfin Cosel wollte In den acht Jahren ihrer Regierung allzu sichtlich den Herrscher beherrschen, und — es war die Zeit der Alchemisten — mit der Säure der Eifersucht das Gold seiner Treue herausdestillieren. Aber Eifer- sucht — ich weiß das von meinem Couleurbruder Othello — ist eine Krankheit der Liebe; Illegitime Eifersucht ist Ihre tödliche Krankheit. Und nun wird die arme Gräfin Cosel bis zu ihrem 85. Jahr In Schloß Stolpen sitzen bleiben. Die meisten an- deren sind durch ihre Liebe nicht einmal historisch geworden. Später werden dann die Leute nach Dresden reisen und bewundern, was August der Starke geschaffen, und mißbilligen, was er nicht unterlassen hat. Der reisende Ehemann wird den Kopf schütteln: Nein, nein, wie konnte er das nur. Und seine Frau wird fragen: Wieviele, meinst du wohl, daß es im ganzen genau gewesen sind, Gustav? ‚Als Hofmohr’, fuhr Mirkhän fort, ‚war ich zur In- diskretion verdammt: Ich habe soviel als Schwarz- hörer gesehen, daß ich Jetzt zu den Schwarz- sehern gehöre. Und dann erzählte er ihr zur Abschreckung alle die Liebesgeschichten, eine nach der anderen. Mit der Darstellungsglut von Tausendundeiner Nacht. Es war ein ganzes Tagebuch von Nächten, Und als er fertig war, seufzte Euphrosyne; ‚Ich wollt‘, er käme endlich!‘ Da schlug die Spieluhr auf dem massivgoldenen Kamin neun — Dinglinger selbst hatte ihrGehäuse mit 937 Edelsteinen geschmückt, und sie klang wie sein Name. Der kleine Mohr sprang vom Kamin herunter — er hatte da zwischen dem Rauchver- zehrer und dem Radio gesessen —, knipste das Licht an, zog dann die Stores zurück, — draußen lag Dresden von der Elbe bis zum Bahnhof im Glanz der massivgoldenen Sonne — und während er sich an dem saphirmen Steckkontakt der Tee- maschine und des Toaströsters zu schaffen machte, seufzt ‚Sie tun mir leid bis In meine schwarze Seele hinein.‘ f ‚Ich mir auch, Mirkhän’, sagte sie. ‚Aber da ist nichts zu machen, Als ich ihn sah, fühlte ich mich geröntgt von seinem Blick, meine Pulse gingen auf Touren und der bewußte elektrische Funke sprang Über. Männer mit Erfolg sind noch gefähr- licher als Frauen ohne Grundsätze, Und woher sollte ich bei meiner Jugend Grundsätze nehmen? — Mein Unterbewußtsein sagt mir..,'” „Pardon“, unterbrach der Besucher die Vorlesung, „das Ist eln Anachronismus. Unterbewußtsein gab es damals noch nicht, das hat erst die moderne Psychologie erfunden.” „Alle Geschichisschreibung ist anachronistisch”, erwiderte der Dichter, „im Grunde sind allein die Autobiographien historisch wahr — und die sind immer gelogen. Man muß sich nur in die Zeit dichterlsch hinein- denken. Ich fühle mich ganz August der Starke, Ich rolle Teller, wenn auch nur Pappteller. Trage zu meinen Ringen auch noch die von meiner Frau. Und habe zu diesem Roman schon die dritte Se- kretärin (zweien war er zu aufregend). Innerlich nenne Ich Fräulein Blechpfennig aufgewertet Königsmarck. Außerlich denke ich sie mir, wenn ich die Augen schließe, verlockend jung und be- rauschend schön, in schwellenden Gewändern und mit Diademen, Colliers und Agraffen — Agraffen, sag ich Ihnen... Ich sammle imaginäre Edelsteine, Das Grüne Gewölbe ist dagegen ein Ausverkauf, Sehen Sie, so innerlich reich sind wir Dichter. Dann schloß mit vielem Händegeschüttel Klein- piepels Interview. Zustände (0. Gulbransson) „Stell dir vor, Genosse Iwan, in Deutschland gibt es keine Maniküre mehr!“ „Schrecklich, schrecklich! Übrigens wie schmeckt eigentlich das Zeug?“ Che situazione: 'Pensa un po’, compagno Iwan, in Germania non c' & piö la manicurel,, “Cosa orribile, orribile! ... Del resto che sapore ha In realtä questa roba},, 205 DAS VER FIERSTIESSIEHIVVIERTT Um die Jahrhundertwende war der Dienst in der k. u. k. österreichischen Armee von mehr oder minder schweren Gefechten auf dem Gebiete der Dienstvorschriften ausgefüllt. Besonders Junge Of- liziere standen stets auf dem Kriegsfuße mit dem Reglement, während die höheren Dienstgrade sich in der Handhabung und Auslegung der heill- ‚gen Dienstbücher nicht genug zugute haben konn- ten. Ein solcher Kampf fand in einer kleinen, ge- ruhsamen Provinzgarmison an dem außergewöhn- lich heißen Sommernachmittag des 15. August des Jahres 1911 in der Zeit von 14 Uhr 35 bis 15 Uhr 17 statt, Leutnant Wendlon knüpfte rasch seine Bluse zu, setzte die Kappe auf, um — husch, husch — zu seinem Jahrgangskameraden Fritz zu eilen und ihn in einer jenen nichtigen Wichtigkeit um Rat zu fragen, wie sie ein Leutnantsherz bewegten. Pferdeangelegenheiten, Liebessorgen oder gar der Kummer kleiner Schulden. War es die Schwere des Problemes oder nur der hitzig sengende Tag: Wendlon hatte den Säbel vergessen. Dies aber wurde ihm erst bewußt, als er In Sicht der Villa des „Alten, des Oberst, war. Aber leichtsinnig, wie Leutnants schon einmal sind, er machte nicht etwa kehrt, um sich mit dem Zeichen der Wehr- haftigkeit zu umgürten, Da das Haus rechter Hand blieb und er außerdem Im stillen annahm, daß der Gewaltige sein wohlverdientes Mittagsschläfchen halte, hoffte er, unbehelligt vorbeizukommen. Doch der Gefürchtete schlief keineswegs, son- dern war sich seiner hohen Aufgabe wohl be- wußt. An Hand der Karten der Umgebung ent- (H. V. Viorthaler t) $ » WIERTWALES re „Sieh doch, mein Lieber, wie alles schon grünt und blüht!“ — „Seh’ ich, seh’ ich, aber darüber läßt sich später immer noch reden!" ? "Ma guarda un po", mio caro, come tutlo giä verdeggia e fioriseel,, — "Eh veggo, veggo, sl; ma di questo si poträ sempre discorrere- piö tardi!,, VON L HULEK wickelte er gerade das nächste Kriegssplel. Das Thema sollte diesmal knifflig werden, erforderte also besondere Geistesanstrengung. Was tut ein k. u. k. Oberst, wenn er Intensiv nachdenkt? Er geht auf und ab, dreht sich eine Zigarette und sieht zwischendurch zum Fenster hinaus. Und schon »zappelte Wendion auf der Netzhaut des scharfen Adlerauges. „Herr Leutnant Wendlon, ich bitte Sie einen Augenblick zu mir‘ Wendlon, der waffen- und wehrlose, hörte die scharfe Stimme des Herrm und seine Halsschlagader gegen den Leutnants- stern klopfen. Er sah sich schon — verdammt bei den schönen Tagen — im Stubenarrest vom Höchstausmaß, die Adjustierungsvorschriiten hand- schriftlich ins Reine schreiben. Es wurde ihm rasch abwechselnd kalt und heiß, sonderlich in der kühlen dämmrigen Diele, wo ihm etwas Blit- zendes entgegenleuchtete. Das Kriegsschwert des Furchtbaren. Nein, Wendlon war nur leichtsinnig, aber kein Verbrecher am fremden Eigentum, Es waren nicht Wendlons Hände, sondern die seines guten Schutzengels, die nun folgendes taten: Die blanke Waffe an sich zu reißen und sie sich um- zuhängen. Wohl gerüstet führte ihn dann sein guter Geist in das Arbeitszimmer, beziehungsweise die Wandel- halle des Obristen, nicht ohne Ihm vorher die Kummerfalten in ein strahlendes Antlitz zu ver- wandeln und hieß ihn sich besonders zackig zu melden. Ein stummer Oberst ist vor einem Leut- nant eine komische Figur, ein gelstesgegenwär- tiger jedoch hat Immer noch Anspruch, in der Kriegsgeschichte lobend erwähnt zu werden. Dar- um sagte der Alte nach ganz kurzer Wortpause: „Ich möchte Sie für den nächsten Mittwoch um 8 Uhr zu einem bescheidenen Abendbrot und einer anschließenden Bridgepartie bitten.” Der Schutzengel nahm Wendlon In der Diele die gefährliche Stahlklinge wieder ab und versetzte ihm einen Stoß, daß der Schützling wie aus einer Pistole geschossen aus dem Haustor flog. Der strenge, aber gerechte Chef hingegen wollte dem forschen Marsjünger noch einen wohlwollenden Blick nachsenden, konnte ihn aber nicht erblicken, denn er bemerkte zu seiner Überraschung vor seinem Haustor einen friedfertigen, wehrlosen, hopsenden Derwisch in Dragoneruniform! Trotz- dem scheint er Ihn mit einem Leutnant verwech- selt zu haben, da er abermals vom Fenster hinab- rief: „Noch auf ein Wort, bitte, Herr Leutnant.” Nun aber war es an Wendlon, stumm zu einer Bildsäule zu erstarren, als er unter denselben Um- ständen wie knapp vorher wieder die Studier- stube betrat. Denn dort stand er statt seinem Oberst einer zitternden Jammergestalt gegen- über, die sich mit einer Hand mühsam an einen Stuhl stützte, mit der anderen aber In Qualen über Augen und die schwitzende Stirn strich. Ein dün- nes, zittriges Stimmchen aber sagte, wie aus welter Weltferne: „Ich vergaß. Der Herr Gerichts- präsident Ist auf einer Dienstreise. Er hat für Mitt- woch weder fest zu- noch abgesagt. Bringen Sie jedenfalls Ihren Jahrgangskameraden mit. Schlimmstenfalls spielen wir eben zu fünft." Als Wendlon die schweißkalte Rechte in seiner Hand fühlte, war er nahe daran, zu Boden zu sinken, die Knie des Alten zu umfassen, um ihm mit einem pater peccavi alles zu beichten. Aus diesem weich- herzigen Anfall wurde er wieder erweckt durch ein leises Klingen, als der Alte wie von ungefähr mit seinem Siegelring den Korb des Pallasch streifte. Aber schließlich nützt es Ja dem im Zwei- kampf gefallenen Gegner nichts, wenn sich der Sieger über seiner Leiche selbst entleibt. Wendlon verließ ruhig und gehobenen Hauptes die‘ Kampfstätte mit dem festen Vorhaben, nun ein tüchtiger Soldat zu werden. Dieser Vorsatz war beileibe kein Höllenweg-Meilenstein, sondern das Bewußtsein, daß für einen Soldaten, der derart vom Glück verfolgt wird, der Marschallstab schon in der Drehbank eingespannt ist. Der Herr Oberst aber stürzte schnell ein Glas Wasser hinab, wischte sich den kalten Schweiß von der gramdurch- furchten Stirne und begab sich In die Gemächer der Frau Obrist, um ihr Mittellung von den er- gangenen Einladungen zu machen, Doch diese meinte nicht ohne leisen Vorwurf: „Gerade diesen Windbeutel Wendlon. Ich wollte dich nur vorhin nicht stören. Aber vor einigen Minuten sah Ich ihn um die Ecke schleichen, wieder einmal ohne Säbel.” Doch ihr Gemahl erwiderte resigniert: „Liebste, wir werden alt. Unsere Augen wollen auch nicht mehr recht mit. Ich dachte genau das- selbe zu sehen. Aber ich habe mich aus nächster Nähe optisch, akustisch und durch den Tastsinn einwandfrei überzeugt. Er hat einen.” Epilog: An einem verregneten Augustnachmittag, am 15. um 15 Uhr 18, eine Minute nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist für Verbrechen vom Elternmord aufwärts, hat Wendlon diese wahre Begebenheit sich von der Seele gesprochen. Ihr Berichter hat sicherheitshalber mit ihrer Nieder- schrift noch einige Jahre zugewartet. Die Dienst- bücher der ehemaligen k. u. k. Armee sind außer Kraft und werden nicht mehr nachgedruckt, Es ist also auch nicht mehr mit einer Berichtigung der- selben zu rechnen, dahingehend, daß in Hinkunft auch der Dienstgrad auf dem Portepee kenntlich zu machen Ist, um ein Mehren ähnlicher Fälle hintanzuhalten, DIE BESTE ENTE In Helsinki lacht man sehr über folgende Ge- schichte, die sich dort in einem Ärzteheim am Sil- vesterabend zugetragen haben soll, Vier Ärzte saßen beim Kaffee und der Gastgeber brachte den kleinen Rest In seiner Kognakflasche, den er für diesen Abend aufbewahrt hatte, Schließlich war nur ein Glas übrig, und die Mediziner einig- ten sich, daß derjenige es haben sollte, der die beste Geschichte aus seiner Praxis erzählen könnte, Dr. B, siegte mit folgendem Bericht: „Ihr kennt alle meinen alten Gärtner Lahti, der ja auch meinen Wagen versorgt, Eines Tages er- zählte er mir, daß er an Schlaflosigkeit leide und bat mich um ein Schlafmittel. Ich verschrieb ihm ein Gläschen Medizinal. Aber schon nach einem Monat kam Lahti wieder zu mir: seine Frau leide auch an Schlaflosigkeit, ob er nicht auch für sie solche Schlaftabletten bekommen könne. Ich sagte zu ihm: ‚Lahti, an der Geschichte stimmt was nicht, heraus mit der Wahrhelt, sonst bekommen Sie kein neues Rezept!’ Er druckste etwas, aber schließlich kam er mit der Wahrheit heraus. Als er einmal am Ufer unseres kleinen Sees gestanden und die dort schwimmen- den Wildenten beobachtet hätte, sei er auf die Idee gekommen, ob er nicht einen willkommenen Welhnachtsbraten erhalten könne, wenn er eine Ente einschläferte. Am nächsten Tag knetete Lahti eine Schlaftablette in ein Stückchen seines Früh- stücksbrotes, das eine große Ente gierig ver- schlang. Nach einer Viertelstunde wurde die Ente schläfrig, kurze Zeit später schlief sie fest, da griff er sie und hatte so am Weihnachtsabend seinen Entenbraten...'“ Als Dr. B. soweit gekommen war, unterbrach ihn der Gastgeber mit etwas melancholischem Lä- cheln: „Deine — Ente ist so schön, daß wir ande- ren damit leider nicht konkurrieren können, Gib dein Glas her, du sollst die letzten Tropfen meines letzten Kognak haben...” m I ertrtrssrsersetresssrererrennter et nn Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgeseflschaft, München, Sendling: Verantworti, Schriftielter: Walter Foltzick, München. Verantwortl. Anzeigenlelter: Gustav Scheerer, München. — Der Simpliciss‘ ‚alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Pcstanstalten entgegen. Bezugsp Ise: Einzeln Pf.; Abonnement im Mor Straße 80 (Fernruf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brioffach, ich einmal. Bestellungen nehmen anpreise nach Preisliste Nr. 7 ® RM. 1.20. p gültig ab 15. Okt. 1941. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 520, Erfüllungsort München. IR. Kılesch) Vorzug BERNER IULET Bm „Weißt du, das Parfüm war teuer, aber Rudi riecht mich nun auch aus allen seinen Freundinnen mit Sicherheit heraus!‘ “|| profumo era caro, sai. Ma cosl Rudi avrä con sicurezza seniore di me anche fra tutte le sve amiche!,, Preferenza: 207 BERGFRÜHLING {R. Siock) So still ist es hier oben Die liebe Himmelsbläue In alter guter Weise und, oh, so wunder-wohlig warm! durchgleitet sacht ein Wolkenkahn. haucht Gottes Odem durch den Raum. Kein Rattern und kein Toben Bescheiden hebt aufs neue Der Schnee versickert leise, erschreckt das Herz und kein Alarm. der kahle Hang zu blühen an. man hört es nicht und sieht es kaum. Dr. OWLGLASS 208 München," 7. April 1943 r 48. Jahrgang/Nummer 14 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Sowjetkultur (Erich Schilling) BEE nn N ' HE er Er „Er ist schon ganz kultiviert: er trägt zum Essen unser Dinnerjackett und nimmt dazu englische Soße!" Cultura sovietica: “Egli & giä perfettamente civilizzato. A pranzo porta il nostro "Dinnerjackett, e vi agglunge la salsa inglese!,, Appetitanregung - L’eccitante (Hch. Kloy) „Weißt du, Mausi, Regenwürmer schmecken ja scheußlich, aber was man hinten herum bekommt, frißt man halt hinein!" “Sal, topolino, | lombrichi hanno giä un gusto orribile; ma ci che si riceve di soppiatto, lo s' Ingola senz’ altro!,. DER HOCHSTAPLER VON WALTER FOITZICK Drüben am Tisch sitzt ein Herr, ein ganz gewöhn- licher Herr, wie er in besseren Modejournalen für die reifere Herrenwelt auch vorkommt. Er hat ein sehr markant geschnittenes Gesicht, ist braun- gebraunt, sehr groß, sehr schlank, sehr elegant. Haare und Hosen sind sorgfältig gescheitelt. Wenn einer so aussieht, wie dieser gepflegte Herr, so wissen die geübten Leser der Familienzeitschrif- ten sofort, daß es sich hier entweder um einen ILLUSIONEN Tannenzapfen gab's voriges Jahr unendlich viele, ganz wunderbar! Noch hängen fie üppig an allen Aften und halten uns arme Toren zum beften, weil, wenn fie die Abendfonne befcheint, man lauter Knackwürfte zu fehen vermeint. Möcht’ uns der Himmel gefälligft verfchonen mit derlei vagen Illufionen! ... Und doch... und doch... mir brauchen fie, Was taugte die ganze Philofophie, machte fie uns nicht mas Hübfches vor für Herz und Sinne, für Aug’ und Ohr, als welches uns aus der Höhle der Sorgen hinüberlotft in ein lichteres Morgen? Nicht minder als unfer tägliches Brot tut ung die tägliche Selbfttäufchung not. Ratatöokr ausländischen Diplomaten oder um einen noch ausländischeren Hochstapler handelt. Der Herr ist von unbestimmbarem Alter, das besonders schrift- stellernde Damen lieben. Also, er ist fast grau meliert, aber das merkt man 'erst später, nämlich dann, wenn sich eine Hand auf seine Schulter legt und eine energische Stimme so laut flüstert, daß,man es bis in den höchsten Rang hinauf hört: „Folgen Sie mir unauffällig, mein Herr!“ Aschfahl wird er dann auch im Gesicht. In Romanen und Theaterstücken leben diese Her- ten Im Frühjahr an der Riviera, im Winter in St. Moritz und im Sommer am Lido ünd in San Sebastian. Noch nie aber hat man erfahren, wo sie etwa im November sind. Von dieser Sorte scheint der Herr -drüben am Tisch zu sein. Aber bei solchen Leuten kennt man sich schwer aus, denn ein Hochstapler darf eigent- lich nicht aussehen wie ein Mann, der wie ein Hochstapler aussieht. Darin liegen ja seine gan- zen Aussichten. Man darf keine Minute, keine Se- kunde daran zweifeln, daß er ein wirklicher Graf ist. Erst viel später, wenn es sich herausstellt, daß er ein Maschinenschlosser von weit hinter Buka- test, oder ein Zahntechniker aus einer Vorstadt von Lemberg ist, muß es einem wie Schuppen von den Augen fallen, indem man dazu ausruft: „Wer hätte das gedacht, dieser feine Mensch, dieser scharmante Plauderer, dieser formvollendete Ka- valier‘‘ Man müßte geradezu eine Tochter zur Hand haben, die man ihm unbesehen gibt, inklu- sive Mitgift in der Höhe einer Summe, wie sie nur bei Bilanzen im Handelstell der Zeitung vorkommt. Der Herr benimmt sich vollkommen programm- gemäß. Er läßt sich die Zeitung geben, er liest die Familiennachrichten, das gehört zu seiner Branche, er sieht nervös auf die Uhr, steckt sich dauernd Zigaretten an, die er nicht zu Ende raucht, Ein Bote bringt einen Brief. „Schon gut”, sagt er mit merklich fremdländischem Akzent und be- währt eiserne Ruhe. Der Kerl spielt den Hoch- stapler vom Blatt. Jetzt sollte ich aufstehen, meine Hand auf seine 210 zusammenzuckende Schulter legen und ihm sagen: „Mein: Herr, folgen sie mir unauffällig”. Haut er mir dann eine rein, ist er ein echter Diplomat, wird er aschfahl, ist meine Vermutung richtig, Aber wer kann sich zu so etwas gleich entschlie- ßen. Da zahlt der Herr mit vornehmer Lässigkeit und geht. „Könnten Sie den merkwürdigen Herm da drü- ben?”, frage ich die Kellnerin bedeutungsvoll. „Aber natürlich, der kommt seit vielenJahren, derist doch Zahntechniker, der stammt aus Lemberg.” VERHINDERTER ROMAN Es ging fo zu: Herr Ewald Hahn traf Fräulein Leonore Glahn und beide faßen wie entrückt, beglückt, verzücht, entbratenftückt — wenn man, weil Iprachlich recht vermeffen, fo fagen darf - beim Mittageffen. Sie, fchließlich bei fich angekommen, hat nun ein Stückchen Fleifch genommen, und er fchob ihr den Senf hinüber, darauf sing man zu Pudding über. Sonft wurde welter nichts getan. Und dennoch waren Glahn und Hahn beftimmt, einander zu gehören und fich den Treueeid zu fchwören. Was ift die Quelle des Verzichte? Sie merkten leider beide nichto und auch ihr Schickfal wollte zwar, daß fie fich trafen, = dann aber hat es leider plötlich Luft gehabt, zu fchlafen. Peter Scher Ein Fetzen Papier „Der Pole hat seine Schuldigkeit getan, der Pole kann gehen! Un pezzo di carta: “|| Polacco ha fatto il suo dovere ... il Polacco puö andarsenel,, 211 ZU MEZ OO! Regierungsrat Julius saß eines schönen Nachmittags zu Hause und bereitete sich aus Meyers Opernbuch auf den abendlichen „Fidelio” vor, Frau Dorette braucht das nicht, sie kennt sogar die Orchester- stimmen. Da ließ sich Ferdinand melden, ein gut- aussehender junger Diplom-Ingenieur, etwa drel- Big Jahre alt, der gestern im Klub gefehlt hatte. Er trug eine ziemlich frische Beule an der Stirn, gestern wahrscheinlich rot, heute offensichtlich blau, morgen voraussichtlich grün, dann vermut- lich gelb, zuletzt ein vergessenes Farbenspiel. „Betriebsunfall?”, fragte Jullus. „Nein — Häschen.” Und dann erzählte er seine Geschichte, die — im Stil eines Opernführers unter Weglassung der Notenbeispiele — etwa so gelautet hätte: Ferdinand (Tenor) — seine Freundin Johanna nennt ihn „Ferdchen” — Ist zu einem Gastmahl geladen. Johanna (dramatischer Sopran), genannt „Häschen”‘, ein Junges Mädchen von 29'/s Jahren, fragt ihn wie stets, ob sie nicht in den Klub mit- gehen könne. Oder ob sie ihn nicht wenigstens erwarten dürle im Kaffee Schwengel oder hier in seiner Wohnung? (Pauke leitet ein, das Pizzicato der Geigen wird von klagender Oboe abgelöst.) Sie könne ja auch auf der Straße warten, an der kalten, trostlosen Ecke, wo halbabgerissene Pla- kate im Nachtwind flattern und eine trübe La- terne im Winde schwankt —, ähnlich wie sie Jo- landa Spaghetti unlängst im Film gesehen. Arie: „Du versteckst mich vor den Leuten, ich verblüh’ in Einsamkeit. Seit vier Jahren rühme er sie als schön (beachte das kokette, aber etwas abgebrauchte Häschen- Motiv, Beispiel 1), aber er halte sie verborgen, wie ein Haremswächter, wie eine Sklavin. MAL: OPER „HÄSCHEN“ VON SCHLEHDORN Duett (Tenor): „Nein, du bist frei, denn...” (Sopran): „Ha, du verstößt mich...” (Das Undankbarkeitsmotiv g-9—h—h-fis klingt auf, Beispiel2.) Sie werde also gehen. Undkomme nie wieder. Auch übermorgen nicht. „Ich bin dir ja längst schon entglitten —, mit einem ganz rei- zenden Mann” (Eifersuchtsmotiv, Beispiel 3, Hör- ner im Hintergrund). „AlleHerren umwerben mich. Dein Freund Peter sagt, ich gäb’ eine glänzende Hausfrau ab. Dein Freund Paul hat sogar die Fifi aus der Afrika-Bar geheiratet” (Von jetzt an wird das Heiratsmotiv, Beispiel 4, führend). Cavatine: „Wollt‘ dir ein trautes Heim bereiten, Bockwurst mit Linsen kocht’ ich dir” (das Traute- Heim-Motiv, Beispiel 5, schlicht und etwas banal, mit Harfe und Holzbläsern). Ob sie nicht endlich zu ihm ziehen sollte. Damit er in gute Pflege käme. „Meine Pantoffel sind schon hier und der mondäne Morgenrock, Ferdchen!” Ferdinand in erregtem Rezitativ: „Immer derselbe Morgenrock, mit immer derselben Bewegung.” Er lehnt ab. (Ein paar Takte die Erste Geige.) In gewohnter Verzweiflung eilt Johanna zu dem gewohnten Fenster links, um sich hinauszustürzen („Ferdchen, du tötest dein Häschen!”), sieht sich aber durch die vorgezogene Tüllgardine gehin- dert. (Die ganze Szene wird beherrscht von dem hochdramatischen Erpressungsmotiv, Beispiel 6, in Gift-Moll, viel Blech, Schlagzeug und Pauke). Zuletzt ergreift sie einen Pantoffel und wirft ihn mit dem Aufschrei: „Mensch, momentan hasse ich dich!” Ferdinand (Tenor) an den Kopf. Derselbe hinterläßt dort eine Beule in B-Dur und zerschlägt eine im Hintergrund stehende Tasse (Zwiebel- muster). ” GEDICHTE DES JAPANISCHEN MALERS FOUJITA Von Anton Schnack DIE ABREISE Meine Koffer find gefchloffen. Ich erwarte den Wagen, der fie zum Hafen bringt. Der Teich im Garten filbern blinkt, Ein Fifch bewegt die zarten Schleierfloffen. Ob er mir winkt? Meine Mutter ift heute etwas blaffer Und flüftert: »Trinke nur wenig Waffer In einem fremden LandI« Mein Bruder mahnt mich: »Gib’ acht auf dein Geldl« Mein Vater, von feinen Runzeln entftellt, Lächelt nur und reicht mir die Hand. EINDRÜCKE VON DER REISE Schon das Verweilen an Bord Des Schiffes entrückt mich Und fchenkt mir die Vifion von der Ferne. Alles entzücht mich: Der Dampf, die Taue, das fremde Matrofenwort. Meine Heimat verfinkt, eine Fata Morgana, Verblaffendes Spiegelbild einer tiefen Zifterne. Ein Sandrvichverkäufer, finnloo betrunken, It fchnarchend über den Bartifch gefunken, Er verfoff wie ftets feinen Tagesverdienft. Seine Tochter ift fchön wie ein Seidengelpinft. Sie tanzt, Beglotit von manchem verfreffenen Wanft. Sie kann es nicht wehren; Sie muß das Sperlingsvolk ihrer kleinen Schweftern ernähren. * Ich liege in der Nacht und kann nicht fchlafen. Mich fröftelt - Reif fchimmert aufBaum und Heche. Ich lege meinen Mantel, den warmen, braven Auf das Bett ala wärmende Decke. Nur die Blume des Bildes, am Tage gemalt, It leuchtend geöffnet und ftrahlt. * Als ich mich im Spiegel befchaue, Entdecke ich in meinem Haare Und auch im Bogen der Braue Weiße und graue. 5 Ich fehe meinem Vater in Japan immer ähnlicher - (Nichts wünfche ich fehnlicher.) 212 Die Zimmervermieterin, Frau Grünfisch (Alt), tritt auf: Terzett: Wirtin (Alt); „Was ist hier für ein Rumoren, meine Tasse ging in Stück‘,'” Johanna (Sopran): aben uns nur unterhalten, plauderten vom Eheglückl" Ferdinand (Tenor): „Bin wie vor den Kopf ge- schlagen, eine Beule blieb zurück.” Nach Abgang der Wirtin findet die einaktige Oper mit der oftgespielten Versöhnungsszene (Motiv a— e; beachte die Zweite Geige!) und der ergreifenden Arie Johannas: „Bin ein rührend bescheidenes Mädchen, das für dich und von dir allein lebt”, (Häschen-, Trautes-Heim- und Erpressungsmotiv sind in feinstem kontrapunk- tischem Zusammenklang orchestral verwoben) Ihren Abschluß. * „Und die Oper mit Häschen‘, gestand Ferdinand verzweifelt, „höre ich nun fast alle Abend. Und dazwischen noch manchmal Im Büro telephonisch als Sendespiel, Gestern war es, glaube ich, das 200. Mal. Und da wollte ich Sie etwas fragen, ganz im Vertrauen.” „Bitte sehr”, sagte Regierungsrat Julius teilnahms- voll. „Wir haben doch viele, verschiedenartige Be- hörden.” „Haben wir”, sagte Julius. „Wir haben doch Ehescheldungskammern.” „Ja. „Sagen Sie, gibt es denn gar keine Verhältnis- trennungskammern?,... Auch nicht für feste Ver- hältnisse?” „Nein“, stellte Julius fest. „Ein festes Verhältnis ist eine Verbindung, die nicht fest genug Ist, um überhaupt gelöst werden zu können.” „Auch mit Ehescheldungsgründen nicht? Diese Beule zum Beispiel würde doch genügen?“ (Das Nachspiel der Oper ging langsam in das Motiv b—g—b über.) „Zur Ehescheldung vielleicht.” „Also muß ich wirklich erst Häschen heiraten, um mich von ihr trennen zu können?! Tausende von Junggesellen — deren Freiheit nur eine heimliche Sklaverei ist und die nicht einmal den Märtyrer spielen können, wie solch Ehemann —, würden Ihnen dankbar sein, wenn Sie die Verhältnistren- nungskammern ins Leben riefen. Sehen Sie doch mal, was sich für diese Reform tun läßt.” Betrübt erhob er sich: „Nun sitzt sie wieder bei mir zu Hause und das Theater geht wieder an: mit derselben Besetzung, denselben Motiven, demselben Text, wenn auch vielleicht ohne den Regieeinfall mit dem Pantoffel und der Beule.” In diesem Augenblick trat Frau Dorette ein, be- grüßte ihn in ihrer bezaubernden Art und fragte: „Haben Sie heute abend auch Oper?" „Ja“, stotterte Ferdinand, „das heißt — nein.” „Sind Sie nicht mehr abonniert?” „Nein, das heißt — ja.” Dies war. das erstemal, daß Frau Dorette die Seele eines Mannes nicht gleich durchschaute. Als Ferdinand das Haus. verließ, spielten Kinder draußen In der Abendsonne. Auf der Bank ließ eins sein Brüderchen auf den Knien refen: „Hopp, hopp, hopp, Ferdchen lauf Galopp...” Und auf dem Rasen hatten sich einige bei den Händchen gefaßt und sangen: „Häschen in der Grube saß und schlief”; und zum Schluß mit überschnappen- den kleinen Stimmen: „Häschen hüpf, Häschen hüpf, Häschen hüpfl" Ach, dachte Ferdinand im Vorübergehen, wäre das ein Finale. für meine Oper! Erinnerung an das Schlaraffenland Wer leugnet das Schlaraffenland? Ich nicht! Und war ich mur ein Wicht, Als mir sein Duft fuhr ins Gesicht, Und wenn Ich’s auch nicht wiederfand. Spanferkel in der Kausperhaut, So gut im Biß! Das ıesche Brot, Vergiß auch nicht die Knackwurst rot: AI das und mehr hab ich geschaut. Der Gugelhupf, die Kücheln rund, Die Striezeln mürb, die Strauben braun, Der feuergoldene Kapaun, Bekannte waren sie dem Mund. Der Waller mit dem Hängebart, Für den war fast zu klein der Tisch, So riesenhaft war dieser Fisch, © Schmaus, von seinem Fleische zart! Der Steinpikz mit dem feuchten Hut Blieb starr, wenn ihn das Messer schnitt, Doch wenn er überm Feuer litt, Wie wallte dann sein grünes Blut Bratwürste waren’s ungezählt, So fingerklein, so gaumenfein. Wie schrie ihr Fett im Feuerschein, Wenn sie der Gabelspieß gestrählt. 213 (9. Nuckel) Ja, Langeweile gab's da nicht. Ein Fingerpfiff des Nachts, ein Schrei, Viel Mädchen waren wohl dabei. Man hielt damals nichts vom Verzicht, Man kannte keinen Überdruß. Wer trank das Bier und schlürfte Wein Vom Faß und schlief nicht selig ein, Noch lächeind in dem Nachgenuß? Der Tod sing wie ein Wirt entlang Und bot die Zeit. Sperrangelweit Sprang auf die Tür zur Ewigkeit Und fernher hörte man Gesang. Ach Gott, was Ich als Kind verstand! Die Vaterstadt hab ich verlor'n Und dennoch ward ich einst gebor'n Tief drinnen im Schlaraffenlandt Hermann Seyboth | VERSPÄTUNG: VON GIGI ich steige langsam die Treppen hinan und flüstre, fast unbewußt, vor mich hin; nicht Worte, die ich dir wiederholen werde. aut dem Bahnhof, kaum daß du aus dem Zug steigst, sondern die du mir sagen wirst, leise, zwischen zwei flüchtigen, bei- nahe gleichgultigen Küssen, zwei offiziellen Küs sen Wir haben zwar vereinbart, ich soll dich zu Hlause erwarten, aber Ich glaube, Ich werde der Lust, zu kommen, nicht widerstehen können, ich werde dich gleich bei der Ankunft überraschen um dich zu sehen, wie du dich dem Ausgang zu- ” wendes! und mit gesenkter Stirn dahingehst, als müßtest du die Menge’ zerteilen, die sich zwi schen de ne Eile und meine Erwartung drängt. „Kleines, liebes Kleines, wie geht's dir?” £s sind zu viele Leute. als daß du mehr sagtest, aber du hası den eıgen!ümlichen Ton, der die Erregung verbirgt und den ich kenne; es wäre Das Nadelöhr - La cruna dell’ ago eg I AMT) VIVIANI mir fast lieber, du sprächst nicht mehr, bis wir zu Hause sind. Auch stelle ıch mir vor, wie du wäh- rend der Fahrt, In einer Ecke des Abteils lehnend mit deinen großen, ruhigen Augen in Gedanken an mich die Frauen betrachtest, die mit dir rei- sen, und wie du, lächelnd bel solchen Gedanken sie anlächelst Du wirst, ohne es zu wollen, man <her schönen Frau den Hof gemacht haben. Alles das, das werde ich dlı nie sagen; Ich denke nut daran, indem du von Minute zu Minute mir ent- gegenkommst, die dich mit ihrer Liebe erwartet Zurückkehren ist eine Lust, Warten eine Qual. Drei- oder viermal habe ich schon die Zeit deiner Ankunft nachgeprüft, auf zwei verschiedenen Fahrplänen, um sicher zu gehen und jeden Ihr: tum auszuschließen. Ich habe mich vor die Uhr gestellt, die hastiger tickt, well ich mir einbilde, sie geht rascher als tF. Blayer TEN „Nee, durch so'n Ding kann wirklich kein Kame! gehn!“ "Ah che! Per questo cosino qua non pud dawvero passare un cammellol,, 214 die andern, und bringe die letzte halbe Stunde damit zu, mir die Nägel zu polieren und die Per- len meiner Kette aufzureihen, die Ich gestern abend aus Zerstreutheit zerriß Dabei versuche ich, mir deine Immer ein wenig zweiflerischen, immer ein wenig quälerischen Gedanken zu den- ken. Ich möchte in dein Gehirn eindringen kön- nen und deine Überzeugungen und Befürchtungen ein wenig durcheinanderwirbeln und nichts als jene unerschütterliche Liebe darin lassen, die mir so fest in der Seele wurzelt. letzt muß ich fort, sonst kommst du, und ich kann dich nicht mehr m't dem Abholen überraschen. Nun, da Ich fürchte zu spdt zu kommen, Überstürzt sich die Uhr, die hastiger tickt, geradezu; ich glaube, sie richtet sich nach meinem Herzschlag. * Verspätung. Zwanzig unerträgliche Minuten. Ich gehe unterdessen auf dem Bahnstelg auf und ab und begegne einem Herrn im Pelz, der schon zweimal die Gepäckträger gefragt hat, ob der Zug von Rom bestimmt auf dem rechten Gleis an- kommt. Die Auskünfte, die er einholt, kommen auch mir zugute, denn ich erwarte denselben Zug, und ich gehe weiter auf und ab, langsamer, ein wenig unsicher, wie jemand, dem es nicht gelingt, ein inneres Zittern zu Überwinden, ganz ähnlich gem, das einem in die Knie fährt, wenn man öffentlich etwas sehr Wichtiges sagen muß Es ist kalt. Auf den Bahnhöfen Ist ale Kälte durch- dringender als in der Stadt. Sie riecht nach Rauch, Eisen, Kohle und Ol und fällt uns, dem Herrn und mir, jedesmal wenn wir an den beiden Enden des Bahnsteiges kehrt machen, In die Flanke. Bel den ersten drei oder vier Begegnungen beachtet mich der Herr im Pelz kaum, dann, wie nach und nach die Zelt vergeht und wir uns aneinander ge- wöhnen, betrachtet er mich aufmerksamer, bleibt stehen, um mich vorbeigehen zu sehen, und sagt schließlich mit gelassonem Lächeln: „Verspätungl” Wobei er leicht hinsus auf die Strecke weist. 3 „Zwanzig Minuten, ist mir gesagt worden.” Die Gepäckträger, die um den’ Ausgang gruppiert sind, bemerken, daß der Herr mit mir einige Worte gewechselt hat, und als Ich an ihnen vor- übergehe, sag! einer ziemlich laut: „Bei Zugverspätungen gibt es Immer jemanden, der davon profitiert.” Es kränkt mich dermaßen, daß Ich fast Lust hätte, zu weinen, und als ich wieder dem Herrn be- gegne, blicke’Ich Ihn bitterböse an. Er lächelt, bleibt stehen und sagt In beschwichtigendem Tone: „Beruhigen Sie sich, es handelt sich nun nur noch um Minuten.” Ich bleibe stehen und fixiere ihn mit Augen, die ich nicht sehen möchte. „Mich stört nicht die Verspätung, sondern das Gerede der Träger. „Hören Sie nicht zu. Sie reden, um sich die Zeit zu vertreiben, und schwatzen belangloses Zeug” „Verletzendes dummes Zeug” . Der Herr begreift den Grund meiner geheime! Erregung nicht, die meine Ungeduld noch stei- gert Plötzlich läßt ein Siränenton mich 'zusammen- schrecken. „Da Ist erl” Aber nicht eln Gepäckträger hat sich gerührt. Ein Zug taucht auf aus der Nacht, zwei frösteinde Scheinwer:er vor sich herstoßend, schaukelt auf den Gleisen hin und her, gleichsam als könnte er sich über die Richtung richt schlüssig werden, und verschwindet schließlich hinter dem Stations- gebäude, etwa zehn erleuchtete Wagen hinter sich herzienend, mit chinesischen Schattenspielen an den varschwitzten Fensterscheiben. „Es ist nicht unsrer. Icı fürchte, die Verspätung wird Inmer größer. Sie warten auch auf den Zug von Rom, nicht wahr?” „Ja. — Aber plötzlich habe ich Angst, der eben eingelaufene Zug könnte der sein, den ich er- warte, er wurde irmümlich auf ein falsches Gleis geleitet. Sie sind noch ungeduldiger als Ich, Wen erwar- ten Sie eigentlich?” Ich starre Ihn verblüfft an. Soll ich ihm denn sagen, daß Ich ausgerechnet meinen Verlobten erwarte? „Jemand Verwandtes.” Der Herr lächelt. „Ich auch Eine Verwandte, Ich wette, daß Sie einen Verwandten erwarten.” Als Ich Ihm nickend zustimme, lächelt eı wieder. „Es ist seltsam, daß unsre Verwandten mit Zügen reisen, die so spät in der Nacht ankommen. Wir werden kaum vor eins zu Hause sein.‘ „Mir macht es nichts aus.” „Sie weiß nicht, daß ich sie abhole, damit überraschen.” „Auch Sie? Ich auch.” „Und jetzt, wo ich hier bin, bereue ich es schon, daß ich gekommen bin. Man soll eine Frau nie Ich will sie überraschen, man läuft dabei Gefahr, selber der Überraschie zu sein.” Der Herr läcnelt nicht mehr „Es ist eine Verwandte, die mir mehr bedeutet, als alle, als alles. Sie kehrt von einem Besuch bei ihrer erkrankten Mutter zurück ..“ einen Augen. blick zögert er — „und ich bin hierher gekom- men, um ihr Gesicht zu sehen, das wahre, nicht jenes, das jeder annimmt auf dem Wege vom Zug zum Ausgang, um die Freunde zu begrüßen und um sicn wieder einzubürgern. — Aber Ich er- zähle Ihnen Dinge, die Sie sicher gar nicht inter- essieren.” Ich fürchte, er könnte wirklich aufhören zu reden, und ich sage schnell: „Nein, nein, im Gegenteil... Auch ich erwarte einen Verwandten wie Sie, auch Ich habe an alles das gedacht, woran Sie denken, und auch mir wird jetzt etwas bange.” „Wenn er Sie nun mit mir sprechen sähe?” „Sobald der Zug einläuft, tun wir, als hätten wir uns gar nicht gesehen. Wir haben ja Zeit genug, um ein wenig auseinanderzugehen. Und was ist schließlich weiter dabei?” Der Herr wiederholt lächelnd: „Es ist wahr, was Ist weiter dabeil,Aber trotz- dem, wenn sie uns so sähen, könnten sie etwas Schlimmes denken ” Ich friere, friere plötzlich so, daß mir die Zähne klappern Der Herr bemerkt es. Er will mich in den geheizten Wartesaal führen und mir etwas Heißes zu trinken anbieten; er bittet, aber Ich lehne es ab. Mir ist, als müsse der Zug ganz leise kommen, wie auf Zehenspitzen, damit wir ihn nicht hören und damit die Ankommenden aus- steigen können, ohne daß wir sie bemerken. Ich lehne ab. Wie ich vorausgesehen hatte, ist der Zug ganz Krieg denk SELELLELETELLTTLILLETEE N soll man dio Zähne bürsten, um dio Spelsorosto gründ- lich zu ontfornon. Hierbei genügt eine kloine Monge Kolıkkma- Zahnpasta. Lotz- toro Ist knapp und mußsohr sparsam verbraucht worden 2 Wer kann co Maier süsicht; mir eiwas WIIIIIIIIDIMDIIDDIDDHN, Hracicttitdt TREE E NN F Eine Geschichte das Kostüms allar Zeiten und Völker vom Altertum bis zur Neuzeit einschlioßlich der Volkstrachten Europas und dar » außarauraodlschen Länder auf 200 Tafeln, von denen 124 Im 04. md. stempein Prospekt xostenlos au zu liefern! Darum paßt auf und sie mit Schrecken an die Ibr verbiei« bende Puizarden denkt Aber wenn wich die Küche noch 10 schlimm ATA werden ale Topfe, Pfannen, Beneche und Gerite | momie die Küche selbst schnell wieder ‚cht mit Tintsu. Feder Mekrdssa, ‚sond. m Ber Berlir-Charbaten 26 Crolaamne Wenn nur jeder fünfundachtzigste stromversorgte Haushalt während der sechs Heizmonate täglich eine Stunde lang einen elektrischen Strahl- ofen von 1000 Watt ohne dringendste Notwendigkeit benützt, so ergibt das einen Gesamt-Stromverbrauch von rund 50 Millionen Kilowatt- stunden. Da kann „Kohlenklau” sich mästen — denn elek! Strom wird meistmit Kohle erzeugt. Die verlorene Kohlenmenge würde ausreichen, um der deutschen ‚flotte einen neuen Kreuzer t daran: möglichst bald nach dem Auf» tauen servieren-Auftauzeit bei Zimmerwärme 4 bis 6 Stunden- üleinchmen, wenn KÜHLKOST MIT DEM yall. Haıda sauber EISKRISTALL frage. Chem. Faorik De Eee Strom Gas oder Kohlen .,, Genddie fs ‚itgemäßenRezepte samım'e. verlang, konenlos die EineWe „HANSA-POST" u." Freude mach und Werte schaff Max Horbat,Markenhi,Hamburg%6/815 Ankauf von Sammlungen Eine Blographie FRIEDRICH HERZFELD. Wilhelm Furtwängler 216 Seiten Großoktav mit $7 Bildern und 2 Karten Gebunden M 10.70. Ein Buch vom Weren und Werden des bekannten Dirigenten und zu- oleich eine feinfühlige Ergründung seiner genialen Künstler- persönlichkeit WILHELM GOLDMANN VERLAG IN LEIPZIG Viertarsendruck, 8 In zweitarbl- qm, 72 In eintarbigem Tiotdruck wlodergegeben sind. 112 Selten Toxtund Tatolorläuterungen sowie 12 Tafeln mit Kostümachnitten. 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Ziokert, München 28, Postt, 128< unserer herrlichen Wehrmacht schildern diese Erinnerungrbücher vom OKW: Sieg in Polen ...... 3.75 Der Große Befehl . . . . 3.60 Trotz allen Gewalten. . 1.50 Serie 1: RM.B.BS. auch einzeln, 4.Nachn. Buchhandlung TFÜNRSCH nissen. 12 Der Untermann - L’uomo sgabello 0 Hegenbarth) „Mensch, da droben, nu aber mal wat von Händel — Liszt jeht mir zu stark uff’s Jenick!" “Eh, quassd, mariuolo ... ebene, anche un po’ di Händel ..,! Liszt mi preme troppo sulla nucalı, geräuschlos eingelaufen, auf den Schienen dahin- gleitend wie auf Samt, in Rot und Schwarz, die Dächer mit Schnee bedeckt. „Sehen Sie, wie recht Ich hatte?‘ Dann setzte ich eilends hinzu: „Guten Abendi” Er grüßt und geht zwei Schritte zur Seite, Die Gepäckträger laufen Im Sturm auf die ersten Klassen zu. Ich lasse die dritter und einige zwel- ter an meinem Blick passleren. Die erste ist ganz hinten, hinter dem Speisewagen. Aus einem der letzten Wagen endlich steigt er, behend, zu- frieden. mit dem strahlenden Gesicht, das er im- mer hat, wenn er sich über etwas freut oder wenn ihm etwas in Erfüllung geht; noch weiß er nicht, daß ich da bin Die Aussteigenden drängen mich zurück; Ich befinde mich wieder neben dem un- bekannten Herrn, der bemüht Ist, mir Durchgang zu verschaffen. Aber mit einem Ruck bleibt er stehen, ich ebenfalls; ich verstecke mich hinter seiner hohen Gestalt, die mich ganz verdeckt, während er sich unter eine Gruppe schwer- bepackter Fremder zu mischen sucht. Mein „Verwandter ist nicht allein, und ich habe sofort begriffen, wer die Frau ist, der er die Hand entgegenstreckt una beim Aussteigen behliflich ist und mit der er einen Augenblick stehenbleibt (ein Gepäckträger nimmt die Koffer beider) und einige Worte wechselt, die bis zu uns dringen, zwar ein wenig mit anderen Stimmen vermengt, ‚aber allzu deutlich noch für unsre Herzen. „Sie waren sehr freundlich, ich werde daran denken.” „Werden Sie mich anrufen?” „Bestimmt. Morgen vormittag, sobald ich frei bin. Wir können den Tee gemeinsam bei mir zu Hause nehmen, denn Ich kann mich nicht öffentlich mit Ihnen sehen lassen.” „Auch ich nicht.” Er nelgt’sich zum Kuß über ihre Hand, da bemer- ken sie, daß der Träger beide Koffer genommen hat und lachen über den Irrtum. „Ich bringe Sie zu einam Taxi. Sind Sie sicher, daß Sie niemand an der Sperre erwartet?” „Ganz sicher.” Ich krampfe mich an den Herrn im Pelz, der sich fast bis in die finstere Türnische eines Büros zu- rückgezogen hat. Er dreht sich unvermittelt um und sieht mich dastehen, totenblaß, mit so stark zitternden Lippen, daß ich nicht zu sprechen ver- mag. Auch er ist blaß, aber er ist ein Mann, er hat ein stärkeres Herz und vermutlich eine weni- ger große und tiefe Liebe als Ich. Sicherlich hat er die Frau erobert, nachdem er sie umworben, begehrt, geliebt hat; ich hingegen habe mich meinem Geliebten geschenkt, das ist etwas ganz andres. Ich fühle mich dermaßen vernichtet, der- maßen am Ende, daß ich zusammenzubrechen fürchte. „Stützen Sie sich, gnädige Frau...” Er lächelte kaum merklich „Ärgern Sie sich nicht. Es Ist Ja nichts Schlimmes. In einer Weile gehen wir nach Hause und tun, als wären wir nicht auf dem Bahnhof gewesen.” „Unmöglich.” he „Inzwischen nehmen Sie etwas Heißes und Kräf- tiges, kommen Sie, Sie dürfen nicht mit dem ver- störten Gesichtchen nach Hause kommen. Ihr Ver- wandter würde wer weiß was denken.” „Sie haben recht.” Wir treten an das Bahnhofsbüfett; die plötzliche Wärme benimmt mir den Atem. Wir setzen uns abseits an einen Ecktisch und er bestellt etwas für mich. Dann stürze Ich das heiße, starke Ge- tränk hinab und fühle mich alsbald besser. „Hören Sie’, sagt der Herr mitleidsvoll, vielleicht mehr um sich selber zu trösten, als um mich ab- zulenken, „wir machen es so: ich bringe Sie im Auto bis ziemlich an Ihr Haus, denn ich kann Sie in diesem Zustand nicht allein lassen. Während der Fahrt schöpfen Sie neuen Mut und können dann mit einer gewissen Ruhe vor Ihn hintreten und wohl mit unverminderter Liebe. Und morgen rufen Sie mich an.” Ich zucke zusammen. „Ich habe Sie ja nicht gebeten, mich zum Tee einzuladen Sie sollen mich nur anrufen, um mir mitzuteilen, ob Sie sich erholt haben. Wir leiden beide an derselben Krankhelt.” a . Ich lasse mich zu einem Auto schleppen. Doch als ich eingestiegen bin, will ich nicht, daß der Herr zusteigt, 3 „Nein, danke. Ich fahre allein. Es geht mir Jetzt besser, es ist vorüber. Ich bin Ihnen sehr dank- bar...” Ich wiederhole beinahe die Dankesworte, die die andre sprach, und ich spüre einen stechenden Schmerz im Herzen. „Sehen Sie, daß es noch nicht vorbei Ist? Ich be- gleite Sie. Sie können kurz vor Ihrem Hause aus- steigen, aber ich lasse Sie nicht allein.” Ich sage kein Wort, drücke mich in die Wagen- ecke, schließe die Augen und öffne sie erst, als der Herr, dessen Namen Ich nicht einmal weiß, ganz sanft sagt: „Wir sind da — gute Nacht, gnädige Frau.” Da- bel reicht er mir seine Visitenkarte. „Es Ist besser, Sie rufen mich an, ich bin morgen den ganzen Tag Im Büro.” Jar Kaum, daß ich ausgestiegen bin, gewahre Ich, während der Herr die Autotür schließt, daß sein Gesicht jetzt plötzlich ganz blaß Ist. — Ich hebe den Kopf; die Fenster meines kleinen Salons sind erleuchtet. Um mit Mut zu machen, versuche ich zu lächeln und lege noch auf der Treppe viel Rot auf die Lippen und viel Puder auf die Wan- gen; Ich maskiere damit meinen Schmerz und meine Enttäuschung. * Andemtags telephoniere ich nicht, Ich gehe per- sönlich zu Herm Prandi, der mich mit melancho- lischer Besorgnis empfängt. Als die Türen zu sel- nem Arbeitszimmer geschlossen sind, bletet er mir einen Klubsessel an, In den ich mich ar- schöpft fallen lasse. „Nun?“ „Nun... Ich liebe ihn nicht mehr.” „Haben Sie es ihm erzählt?" „Nein. Ich kann es ihm nicht erzählen, noch nicht. Und Sie?” „Ich auch nicht. Sie hat gelogen.” „Er auch.“ Pause. Wir denken beide daran, daß im selben Augenblick vielleicht der Mann, den Ich liebte, und die Frau, die der andre vielleicht nicht mehr liebt, dabei sind, den Tee zu nehmen, In einem kleinen, wohldurchwärmten Salon, allein, ohne zu wissen, wie allein... „Wollen wir zusammen eine Tasse Tee trinken?“ Mit einem Ruck stehe ich auf, dann, um die brüske, rebellische Gebärde abzuschwächen, sage ich mit der Sanftmut der Verzweiflung: „Nein... Einen Augenblick... Noch nicht!” (Einzig berechtigte Übersetzung von Thea Weide) LIEBER SIMPLICISSIMUS 10. Nückel) Ich muß schon sagen, Kitty hat viele Tugenden, aber ihre Untugenden gehen nicht in zwei Wasch- körbe. Neuerdings suchte sie alle meine ledigen Freunde zu verehelichen. Eine richtige kleine Agentur hat sie sich zurechtgelegt. Neulich fand ich zufällig einen Brief an ihre Freundin Marietta. „Liebste Marletta”, stand darin, „ich habe jetzt den richtigen Mann für Dich — reich. gutmütig, unabhängig — anbei sein Bild — wie gefällt er Dir, Liebste?” Mich stach der Hafer.- Ich nahm das Bild heraus. Ich legte das Pressepnoto von Bubu, dem Wunder- affen, bei Verschloß den Brief und gab Ihn heimlich zur Post. Nach fünf Tagen kam dıe Antwort. ° „Einzige Kitiyl”, schrieb Marletta, „der Mann ist 216 zwar kein Adonis — aber dieser kluge Blick, die- ses durchgeistigte Gesicht, dieser aparte rote Bart — Ich nehme Ihn! Marietta.” I. HR. * Sie war eine anmutige Junge Frau, aber sie hatte neben dem hübschen Mund schon jene zwei fel- nen Falten der Enttäuschung. Ashtung,/Ehemänner, darIn macht euer Verhalten das Antlitz eurer Frau gleichsam zum Bildnis eures Dorlan Gray Ihr Mann hatte nämlich Jetzt abends Immer sehr lange zu tun. Die Sekre'ärin nieß Editha Drechsler. Die Junge Frau war denn auch schließlich allein ins Konzert gegangen und hatte da denn auch den fleißig plaudernden Herrn Becker kennengelernt. Aber es war Ihr unbehaglich, daß Herr Becker in letzter Zeit immer häufiger und Immer näher kam. Ihr Mann dagegen träumte von einer sachlichen Schreibmaschine mit einer reizlosen Stenotyplstin dahin‘er und von einem Gewissen ohne doppelte Buchführung. Mit solchen Gedanken saßen die beiden am Frühstückstisch, sahen offiziell aneinander vor- über, sahen sich heimlich an und genossen traurig das verlorene Glück. Der vierjährige Peter-Dieter trank seine Milch. Er hielt den Becher mit zwei Händen, sah mit zwei runden Augen über den Rand (trinkende Kinder sehen fast w'e Ertrinkende aus) und wollte Vatl und Mutti unterhalten. Also setzte er den Becher ab und erhob seine unbeschwerte S'Imme: „Muttl, warum heiratet der Onkel Becker nicht einfach das Fräulein Drechsler?” Letzte Reserve „Schau, Fritzl, es kann doch auch eine bloße Kameradschaft zwischen uns bestehen!" — „Gewiß — gewiß — im äußersten Fall!“ Ultima riserva: “Vedi, Fritzl, fra noi due puö esistere anche Il solo cameratismo!,, "Certo ... certo ... in caso estremo!,, 217 {R. Krlesch) Registratur (K. Helligenstaodt) „Endlich muß einmal Ordnung in meine Briefschaften kommen. Ich lege ein- fach Edi ab unter ‚Erledigt‘, Fredi unter ‚Laufend‘ und Rudi unter ‚Dringend'!" Registrazione: “Finalmente devo pure far ordine nelle mie corrispondenze. Metto senz'altro da parte Edi sotto ‘Liquidato,, Fredi sotto ‘Corrente, e Rudi solto "Urgente, !,, 218 DER. MALARIA-LENZ „Is des a Schwindl, oder Is des koa Schwindl?" — Eben sind sie mit der Kompanie vom Strand ge- kommen, wo ein Zauberkünstler seine Vorstellung hielt, Nun wird beim Abendessen eifrig disputiert über die fabelhaften Leistungen des Artisten, der Deutscher war, sich aber „Minorelli" nannte. Der Huber Lenz konnte sich am wenigsten über das Gesehene beruhigen. „Is des a Schwindl, frag i, oder is des koanaßl“ Wild stieß er den Löffel ins Tiroler Gröstl. Das mit dem üblichen Zaubern und Verschwinden- lassen hat Lenz ja weniger bewegt. Nur einmal hat er da mittenhinein laut „Bravol” gerufen. Das war, wie Minorelli ein Trinkglas mit Meersänd füllte und diesen, ohne daß einer zum Mitschauen gekommen wäre, in helles, hochschäumendes Bier verwandelte. Aber wie gesagt, man hat schließ- lich im Krieg hier schon allerhand gesehen an Theatern und Variet&s, in Köln, in Antwerpen und in Athen drüben. Und was das Verschwinden- lassen anbelangt, so kann das der Oberschütze Huber Lenz auch. Ohne daß ein Mensch was da- von merkt. Sei das ein junges Gockerl, welches sich unglücklicherweise zur Nahrungssuche in Lenz‘ Quartiernähe verirrte, oder sonst was. — Nein, was den Huber Lenz zur Begeisterung hin- riß, war der Schlußakt, das Hypnotisieren! Er wandte sich an den Jäger Schnöll, der sehr be- lesen war und über alles Bescheid wußte. „Verstehst Du, wia des mit'n Hypnotisier'n zua- geht?” Schnöll war auch Jetzt, während der Mahlzeit, in ein Buch vertieft, schickte sich aber bereitwillig zum Vortrag an: „Das Wort Hypnose’ ist abgeleitet von Hypnos, dem griechischen Gott des Schlafes. Der Hypnotisör sucht sich ein suggestibles; seelisch leicht zu beeinflussendes Medium und versetzt dieses in Hypnose. Er bewirkt damit einen schlaf- ähnlichen Bewußtseinszustand — — —" „Ahal” unterbrach Lenz. „So is des!" „Rindviechi” dachte er sich wütend noch nebenbei. Da meldete sich der Haslinger Schorschi. „Des ischt ganz oanfach mit der Suggeschtionasch!” berichtete er. „Des ko i al" Lenz schaute böse auf den „Zillachtaler”. Seit damals, wie ihm dieser hinterkünftige Mensch statt dem Kopfwehpulver ein Hunde-Abführ- mittel überreichte, hatte er einen ständigen Hock auf ihn. „Ausgerechnet Du mit Dein Wasserkopfl „Magscht wett'n, daß i Di hypnatisier?" Lenz schenkte dem Zillertaler keinerlei Beachtung mehr. Das Kapitel Hypnose ließ er unabgeschlos- sen und widmete sich dafür eingehend dem kalt- gewordenen Gröstlrest. Das warein Fehler, denn so konnte er nicht sehen, daß der Obergefreite Haslinger seinem Neben- mann leise kichernd etwas Ins Ohr erzählte. — — Es vergingen einige Tage. Die hat Schorschi ge- braucht zur Vorbereitung seines Hypnotisierplanes. Nun konnte die Sache losgehen. Huber Lenz stand am Morgen auf, gesund und frisch wie immer. Sein Schlafgenosse Langmoser Ferdi blickte wie unvermittelt in Lenzeis Gesicht. „Hast net guat g’schlaf'n heut Nacht?“ „|? Warum?” „Weilst so schlecht ausschaustl” „Mir fehlt nix!" Ferdi betrachtete ihn interessierter. „Du schaugst aber ganz furchtbar schlecht aus, jetzt siehg I's erst! Und Deine Aug'n lieg'n ganz tiaf drin!” Besorgt hielt er einen Spiegel hin. Lenz zog die Stirne in Falten. „Woaßt, so ganz und gar wohl fühl’ i mi eigentlich net, des muaß i scho zuageb’n, aber spür'n tua i weiters nix.” „Gib nur obacht, daß d’ koa Malaria kriagst. Näm- Verlag und Druck: Kn Yerantworti. Schrittlelte; Ile Buchhandlungen, H Walter Foltzick, Münch tungsgeschäfte und Postanstalten ii gip gung ab 15, Okt. 1941. — Unverlangie Einsendungen werden anche wenn Porto beille; Kommanditgesellschaft, München, Sondlin; n. Vetantwort!, Anzeigenleltor: Gustay Scho VON WASTL FANDERL lich a so geht's o, daß ma rapid schlecht aus- schaugt!” Eine Stunde später gingen beide auf den Appell- platz. Der Hauptfeldwebel stand da, „Huber, ham’s g’soffen gestern?!’ „Nein, Herr Haupfee'I” „Sind’s krank?" - „Nein, Herr Haupfee’‘i Das heißt, der Kaffee hat mir heut gar net g’schmeckt!” „Selbstverständlich sind S’ krankl Ihr grün's G’sicht leucht ja kilometerweit. Gehen S’ jetzt zur Kammer auf Arbeitsdienst und wann's schlech- ter wird, so melden S’ Ihnen zum Arzt! Am End kriegen S’ Malarial Verstand’n? AbI” Der Spieß drehte sich um und grinste Ins Schreib- büchl. Für ein lustiges Stückl war er Immer zu haben. Bedrückt machte Lenz kehrt, schüttelte den Kopf und ging wie befohlen. Von der Feldküche her erscholl die Stimme des Traum einer Jugend Vor seiner Hütte Im Wald tief drinnen, Gehüllt in grobes, Besticktes Linnen — So seh’ ic ihn mandımal, Gebeugt und uralt, Den letzten der Mohikaner, Erloscıen das Auge und kalt. Das tote Auge, Einst schoß es Blitze, Kühn und verwegen, Vom Pferdesitze... Da brannte die Flamme Im Herzen so rot — Nun blühen viel kleine Blumen Nadı bitterem Sterben und Tod. Die kleinen Blumen — Trug nidıt beim Tanze Die lieblidie Todıter Sie leucıtend-im Kranze —? Die süßeste Stimme, Erloschen auch sie — Nädhllich nur summen die Winde das heimliche Lied der Prärie, Er nur, der letzte Von Unkas’ Söhnen, Hört ewig die Lieder Mannitous tönen — Dann straflt sich des Häuptlings Gebeugte Gestalt: Auf herrlidien Pferden reiten Die Krieger durdı maijungen Wald. An seiner Hütte Vorbei, vorüber — Aus dunklen Gräbern® Ins Lidıt hinüber. Und mitten im Zuge, Im endlosen Ritt, Da reitet auf seinem Schimmel Der letzte der Häuptlinge mit. Herbert Lestiboudois teise:: Einzeinur Straße 80 (Ferniut 1296). Br 7, München. — Der Simplicissimus 50 Pf.; Abonnement im Monat RM, Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München Kochs. „Hel Huber! Bist Du an Tod z' Oding sei G'schäftsreisender, oder bist selber der Tod?” Lenz blieb stehen, verhielt aber jedes Lächeln. „Bist schlecht beinand, weilst so weiß bist im G'sicht?" Lenz nickte. „Ziemlich.“ „Wo fehlt's denn?“ „Ja mel, fast überalll In der Früah hab i no net viel g’spannt, bloß der Kaffee hat mir schon nimma recht g’schmeckt. Und latz werd’s allweil schlech- ter.” „Bist recht müad?” fragte der Koch mit gewich- tiger Neugier. „Und des wial” „Auweh, da hamas schol as so geht's ol” „Was geht 0?" „D’ Malariall" Lenz zuckte wie von einem Hieb getroffen zu- sammen. Für ihn stand es nun fest, er mußte un- bedingt zum Arzt und das unverzüglich. Also schwenkte er um in Richtung Geschäftszimmer, Schreiber Leonhard, der in die Intrige des Ziller- taler Schorschi nicht eingeweiht war, rauchte am Hauseingang eben seine Morgenzigarette. Drin- nen am Schreibtisch war das verboten. „Leonhard, sel so guat und meld an Spiaß, daß i zum Arzt geh”, bat Lenz, „Was fehlt Dir denn, Huber?" „Was fehlt dir denn!” äffte Lenz nach. „Schaug mi nur genau o, nacha kimmst scho drauf, was mir fehlt!” „Du schaust ganz g’sund aus“, wunderte sich der Schreiber. „D‘ Malaria hab i im höchst’n Gradi” erklärte Lenz verzweifelt. Schreiber Leonhard zerdrückte den Stummel in einer Mauerritze, kehrte in die Kanzlei zurück und berichtete dem Hauptfeldwebel. „Stimmt schon”, grinste dieser, „der Huber hat Malaria.” Auf dem Weg zur Sanitätsstube, der im steilen Gefälle in den unteren Ortsteil führte, stieß der Haslinger Schorschi auf den mit gesenktem Kopfe wandelnden Huber Lenz. Völlig zufällig natürlich! Ohne Einleitung schob er seinen Arm stützend über die Hüfte des Kranken und geleitete ihn mit- leidsvoll bis zum Ziel. Lenz ließ dies in Anbe- tracht seines Zustandes dankbar geschehen, an die Hunde-Abführmittel-Affäre erinnerte er sich im Moment absolut nicht. Er dankte dem Kameraden Haslinger sogar innerlich bewegt für die liebe- volle Hilfeleistung, als ihn dieser im Vorzimmer des Krankenreviers einlieferte. Am Mittag stand die Schar der Essenholer mit klappernden Feldkesseln an der Ausgabestelle in lauter, ausgelassener Diskussion versammelt, Unter ihnen, mit sieghaftem Lächeln im Antlitz, als Held des Tages, der Haslinger Schorschi. „Sehng hätt | des mög'n, verstehst, und hör’n, wia daß er g’jammerscht hat beim Oberarzt und wla dumm daß er g’schaugt hat, wia er wieder zum Dienscht gehn hat müass’n, weil d’ Untersuchung einwandfreie Gesundheit ergeb’n hatl!” Schallendes Gelächter hallte über den Platz, ver- siummie aber jäh, als der Huber Lenz um die Ecke bog. Dessen Gesicht war nun in Wirklich- keit kreideweiß, nur sein müder, schleppender Gang von vorhin hätte sich geändert. In raschen Schritten, den Blick geradeaus gerichtet, versuchte er dem Blickfeld der Spötter zu enifliehen. Das, was ‘ihm der Zillertaler mit getrichterten Händen nachschrie, mußte er aber doch anhören. Es war ein einziges Wort nur, jedoch !raf es sein Herz, gleich einer spitzen Lanze: „Suggeschtio- naschlll" hrift: München 2 BZ, Briellach, ıcheint wöchentlich e Bestellungen nehmen 2%. — Anzeigenp nach Preisliste Nr. 7 tüllungsort Mün« Reportage in Washington Etnny) „+... und hier an diesem Tischchen hat sich Außenminister Eden zurecht- gemacht, ehe er seinen Vortrag über den Bolschewismus hielt!‘* Cronaca di Washington: “... e qui, a questo tavolino, si acconclava Il Ministro degli Esteri Eden, prima di tenere la sua conferenza sul bolscevismo!,, 220 München, 14. April 1943 a Pfenni 48. Jahrgang/ Nummer 15 30 nig SimPLIcissimuSs VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDIVGESELLSCHAFT. MÜNCHEN Im anglo-amerikanischen Schönheitssalon (Wilhelm Schulz) E. a „Wie gefällt dir das Löckchen über Stalins Stirn?‘ — „Sehr niedlich! Und ich werde ihn inzwischen maniküren!* Nel Salone di Bellezza anglo-americano: “E che tl pare del ricciolino sulla fronte di Stalin?,, — „Assal grazioso! E intanto io gli fard la cura delle manil,, Alpdrücken - L’incubo = RN IN T TUN, DAS HANDTUCH Auf meiner Ehre liegt ein Handtuch, ein düsteres Handtuch. Goethe pflegte, wenn etwas auf seiner Seele lastend lag, es sich von dieser seiner Seele herunterzuschreiben, und schuf dadurch die un- sterblichen Werke für kommende Geschlechter und für die Oberklässen der höheren Schulen. Ich werde mir dieses Handtuch jetzt auch herunter- schreiben, allerdings mit dem Bewußtsein, nichts für kommende Geschlechter und Oberklassen ge- tan zu haben. Dann kann Ich wieder als ehrlicher Mensch vor irgend etwas hintreten. Also es ist ein gewöhnliches Handtuch, nicht sehr ALP Kennft du den Traum? ... Auf einmal fteht er da, der Schwelnehund, den du fchon lange fuchteft, fteht hart vor Dir, wie aus dem Nichts gewachfen, und grinft dich an... Ein jäher Zorn fchießt hoch. Du hebft die Hand, den Arm, legt aus und hauft - ach nein, du möchteft wohl, doch wie gelähmt find deine Muskeln, jeder Schwungkraft bar, müh’n durch die Luft fich mie durch Hefeteig, und, ftatt zu zünden, landet deine Watfche fanft wie ein Zephir oder Blumenblatt auf des verfluchten Gegners praller Badhe, der höhnifch feirend dir die Zunge zeigt. Ein Herenbann preßt dir die Kehle zu, bis endlich, endlich fich ein wilder Schrei frei macht und du ermwachlt .... Kennft du den Traum? Dr. Omiglaß (Fr. Bllok) groß, aber aus festem Stoff. So ohne weiteres sieht man ihm seine Sonderart gar nicht an, wenn man aber näher hinschaut, merkt man, daß es signiert ist, wie Filmschauspieler und Filmschau- spielerinnen ihr Foto signieren, mitten auf die Fas- sade, auf daß kein Zweifel möglich sei. Auch bei meinem Handtuch ist kein Zweifel möglich. In Flammenschrift ist das Wort eingewoben „Mitropa”. So, jetzt ist's heraus. Ich nahm es einst aus einem Schlafwagen versehentlich mit, dieses Handıuch, Eigentum der Mitteleuropäischen Schlafwagen- und Speisewagengesellschaft, Ich schwöre, es ge- schah nicht mit Absicht. Eines Tages lag es wie- der gewaschen und gebügelt zwischen meiner Wäsche. Der Büglerin wird ein angenehmes Gru- seln über den Rücken gelaufen sein und sie wird mich für einen internationalen Hotel- und Eisen- bahndieb gehalten haben oder eine ähnliche mannhafte Figur ihrer Träume, Dies war bisher das letzte Mal, daß mein Hand- tuch, Verzeihung, das Mitropahandtuch, an die Öffentlichkeit kam. Seit jenem Tage lag es in der untersten lade meines Wäöscheschrankes. Ich mußte es vor dem Zugriff von Zugeherinnen, Zim- mervermieterinnen und Leuten, die mich pfänden wollten, verbergen. Oft hätte ich gerade dies kleine Handtuch gebrauchen können, aber unsicht- bare Hände hielten mich davon zurück. Ich hätte es natürlich zurückschicken müssen. In Stunden ernster Gefahr des Entdecktwerdens beschloß ich dies immer wieder, aber später vergaß ich es doch. Ich wollte es- auf Reisen mitnehmen, um es im Schlafwagen liegen zu lassen, und einmal war es wirklich so weit, daß ich es eingepackt hatte, aber da vergaß ich es liegen zu lassen. Die Angst können Sie sich vorstellen, als ich an eine Grenz- station kam und der Zöllner meinen Koffer unter- suchte. Besonders unten, wo die Zigaretten zu liegen pflegen und die anderen Gegenstände des 222 77 DIHEH KH /L; ZH; Grenzübertritts. Ich brachte das Tuch als Wäsche- ausstattung mit in die Ehe und machte meine Frau zur Mitschuldigen. Mit ehernem Handtuch sind wir. seither aneinander gekettet und bei seinem An- blick fallen uns alle Sprichwörter über unrecht Gut ein. Dieser Tage fiel es mir wieder in die Hände, als es hieß, man solle ein Tuch In den Luftschutzkeller mitbringen, um es sich notfalls vors Gesicht zu binden. Da sagte meine Frau, ich solle das lassen, denn es liege kein Segen auf dem Linnen, Das Handtuch hat oben in der Wohnung das Bom- bardement überstanden, aber ich habe doch be- schlossen, wenigstens ein Bekenntnis abzulegen. Foltzick Hab’ guten Schlaf, Kamerad! Wir haben dich mit Erde zugedecht, Mit guter Erde, die einft lauter Blumen weckt, Und kehrt ins Land der Sommer wieder ein, Dann wird dein Grab ein bunter Hügel fein. Wir aber - ach! wer weiß, wo wir dann find? Vielleicht erzählt es dir der kühle Steppemwind, Vielleicht die Wolke hoch im Abendrot - - Und wenn wir nicht auf diefer Welt mehr find, Dann fehen wir uns wieder nach dem Tod. Hab guten Schlaf, Kamerad! Wir müffen weiter, Immer weiter - - Schmal it im hohen Steppengras der Pfad, Und lang, fo lang der Weg der grauen Steppenreiter =! Hab guten Schlaft Die Nacht will kommen und die kalten Sterne - - Und unfer ift auf Erden und im Himmel Allein die Ferne! Herbert Leftiboudois Churchill und die Emigranten (E. Thöny) „Erstaunlich, wie wichtig die Herren ihre Rolle nehmen! Dabei kostet es mich nur einen Wink und sie verschwinden in der Versenkung!“ Churchill e gli emigranti: “"C'& da stupire nel vedere con che sussiego questi Signori fanno la loro parte! E dire che basta un mio cenno perch& scompariscano nel trabocchetto!,, 223 ZWISCHEN SCHAUKELPFERD UND TIGER Das war einst, als die Liebe begann und das ganze Jahr aus Frühling bestand. Da hing über meinem Mahagonischreibtisch der Reklameabreiß- kalender einer Seifenfabrik. Darauf war in Lebensgröße der Kopf eines Mäd- chens abgebildet, dessen Schönheit nur durch ein Iyrisches Gedicht nachgefühlt werden könnte. Durch ihr Haar floß chinesische Tusche in woh- ligen Strömen. Aus ihren Schaukelpferdaugen tropfte. die Güte, Ihre Lippen aber erinnerten an Vierfruchtmarmelade oder an das Sammetweiche von Plüschsesseln in Wartezimmern. Ja, so sanft und ohne Arg war dieser Mund, daß ich mir an seine Ufer ein Wochenendhaus mit Sonnenblumen dachte, Und sie lächelte so oft ich hinsah oder ein Blatt vom Kalenderblock abriß. Dieses milde Lächeln hatte sie auch am 17. Juni — als es draußen hagelte, — am 21. August — als der Blitz in die Starkstromleitung einschlug — und am 11. Dezember — als ein Schneesturm das Dach eindrückte. Bald war ich in dieses Bild verliebt, küßte es jeden Tag und benützte aus tiefster Zuneigung die darunter angepriesene Vollmilchseife „Aurora”. $o wurde mir allmählich dieser Kopf — im Vier- farbendruck — zum ersehnten Typ. Alles in mir verlangte nach dem lebenden Vorbild. „So eine Frau — oder keinel” Im Bummel durch die Straßen, in Kaffeehäusern, auf Hotelterrassen und an den Verkaufsständen der Seefischhalle sah ich nach meinem Typ aus. Täglich trug Ich ein Stück Auroraseife in der Tasche, um meine Eroberung sogleich damit zu beschenken und meine Sehnsucht beweisen zu können. . Auf der Plattform der Straßenbahnlinie Nr. 9 ent- deckte ich plötzlich diesen Kopf, als wäre er von meinem Abreißkalender mit der Schere ausge- schnitten. Liebliche Haarströme ... Schaukelpferd- augen...plüschgepolsterte Lippen — alles stimmte wie die Normaluhr. Meine Pulse hämmerten gleich einem elektrischen Klavier- und meine Zunge dörrte vor Aufregung. Sie mußte dieses Klavier- spiel und meine Trockenheit bemerkt haben — und schlug die Augen als Jalousien nieder. i..die Güte selbst...‘ dachte ich, trat einen Schritt auf sie zu und stotterte etwas von un- glaublicher Ähnlichkeit... Ideal... Typ... Au- rora... Verzeihung... Vollmilch... Zufall — Und dazwischen hinein drückte ich ihr das Stück Seife in die Hand. Nach zwei Haltestellen hatten wir uns bereits so weit gefunden, daß wir uns für Sonntag wlederfanden. Wir fuhren auf einem Ausflugsdampfer. Sie fütterte die Möven. Wenn ich ein „Ja” erwartete, nickte sie mild mit dem Kopf. In die gewünschten „Nein” schüttelte sie gleichgesinnt ihre Locken. Dann sprach sie von Säulen, Tempeln und Weinlaub im Häar. Ich streichelte sie und gab ihr den wohlig- weichen Namen „Amalie”. Uber dem Dampfersteg hätte ich sie gerne auf den Händen getragen. Aber aus Furcht, sie könnte mir aus Zartheit zerbrechen und vor Milde schmelzen, schwebte ich mit ihr nur Arm in Arm ins Seerestaurant. Dazu gurrte sie wie Tauben... Und Ich dachte, daß mein Typ nur von der Tasse nippt und den Kuchen in Krümchen aufpickt. Aber bis zum Abend hatte sie zwei Portionen Kaffee, vier Stück Torten und drei Wurstbrote ver- zehrt. Zur Nacht besuchten wir zwei Speiselokale. Amalie ließ sich ‚jedesmal nachservieren’ und trank dazu drei Schoppen Mosel und vier Kirsch. Ich bekam für das Wohlergehen meines Typs Angst und zählte heimlich in der Tasche mein VON ERNST HOFERICHTER Bargeld nach. Es reichte zum Glück aus, weil sie nur mehr zwel Eisbecher und Salzburger Nockerl nachbestellte. „Wenn es dir nur nicht schadet, Amalie...?" „Du, warum bist du so häßlich zu mir... das finde ich nicht nett...” erwiderte sie gedemütigt. Um sie meinen Formfehler vergessen zu lassen, sprach Ich von Schwänen, die durch die Fluten ziehen, von wehenden Rosengärten, Zypressen- wäldern und Palmenhainen... Da war sie wieder in ihrer Heimat des Edlen hei- misch geworden — und um zehn Uhr sagte sie w..bestell mir, bitte, einen Wagen...!” „Aber Amalie... wir können doch auch mit dem Autobus zurückfahren...."" w.. jetzt wirst du aber geschmacklos.... Ich wün- sche nicht, daß —” w.. aber, meine Taube, wir haben uns doch auch auf der Platiform...?' ur», Willst du - mich oder —?” „Ober, ein Taxi...l" — Am Haustor hatte sie wieder das Lächeln aus Schneewittchen und Puppenfae. Ihr Gesicht zer- floß beim Abschied zu Märchen und Ich drückte dem Chauffeur als Pfand meine goldene Sprung- deckeluhr in die Hand — — — Wir trafen uns jetzt jeden Tag. Amalie bekam immer mehr Appetit. Eine Freude- an neuen Abendkleidern erwachte in ihr. Ich wuchs in neue Gesellschaftsformen und Manieren im Wagen zurückfahren DIE BEIDEN MÄDCHEN Das Mädchen aus der Stadt ging heut im Dorf fpazieren und pflückte fich ein Blatt, um drauf zu mufizieren. Die Weife, die co blics, mar eine feltene Weile, ich ging und fühlte dies: Sie geht bald auf die Reife, Mir fchien, von Trauer fiel ein Ton aus Ihrem Munde, doch wie zu Tanz und Spiel ging bei ihr die Gefunde. Und lachte überhell, die Freundin zu beleben. Ich überlegte fchnell: Was könnt”ich ihr wohl geben? Es müßt’ ein edler Stein, ftrahlend wie ein Gedanke, oder ein Brief von ihrem Liebften fein - nichts fand ich für Die Kranke, So traurig wie fie war, nahm fie das Blatt vom Munde und nun erft ward mir klar: Wie fchön ift die Gefundel Peter Scher 224 hinein, weil sie mich täglich taktloser und unmög- licher fand. Ich mietete, ihr eine Achtzimmerwohnung. Um alle Stunden ihr zu opfetn, gab ich meinen Beruf auf, „Amalie, jetzt hast du wohl Raum und Zelt genug durch mich...?" im,. mir das auch noch vorzuwerfen, finde ich mehr als kitschig...“ antwortete mein Typ. Drei Tage darauf überraschte Ich sie nach Mitter- nacht in der Neptun-Bar. Mit Taubenlächeln zog sie einem Autohändler die grauen Haare aus den Schläfen — — — : Das Bild meines Ideals explodierte. Mit dem Seifenkalender „Aurora” heizte ich mir den Ofen zur ‚Nacht meiner Enttäuschung’ an. Aus war es mit Sammetlippen, Billardaugen und wie- genden locken... Jäh schlug mein Typ ins Gegenteil um. Wer zuviel Schlagsahne verspeist hat, sehnt sich nach sauren Gurken. Und beim Spaziergang durch die Raub- tierschau des Zoo sah Ich den Gegenpol alles Sanften und Zarten, Sie — neckte mit Ihrem Sonnenschirm einen ben- galischen Tiger, entnahm ihrer Krokodilledertasche etwas Fleisch und warf es zwischen die Gitter- stäbe. Tiger stand gegen Tiger. Und Raubtier gegen Raubtier tauschten Gefühle aus. ır..Ooooh, wie gemein... !” hörte ich im Geiste meine entflogene Taube zischen. Aber diese Er- innerung verstärkte meine Zuneigung für die Tigerdame, die bis in die Mundwinkel hinein der schreiende Gegensatz zu Amalie war. In diesem Mödchenantlitz war alles Sanfte ab- gemäht und alle Milde wegrasiert. Ihre Haare brannten rot wie ein Großfeuer. Die graugrünen Augen waren nur durch den Spalt eines Schlitz- verschlusses sichtbar. Die Lippen waren ein Paar Korallennattern, die mit offenen Augen scheinbar schliefen, Und ihrer Figur glich nichts so sehr als ein Staubsauger, der sich über das Geländer schlängelte. Ich kaufte vom Wärter Fleisch — und beinahe hätte ich die Bestien verwechselt und das erste Stück der Dame zwischen die Zähne geworfen. Ich machte für mich das Heulen einer Hyäne nach. Sie nahm es mit Wohlgefallen auf und durch diese Tierlaute kamen wir uns menschlich näher. Sie liebte Zirkus mit Todesschleifen, verspeiste nur Beefsteak älatartare und sammelte Speere und Dolche. Und konnte wie Natron aufbrausen... Nach einer Stunde warf sie mir eine Portion Italienischen Salat an den Kopf und drohte mir mit der dreizackigen Gabel, als ich für sie be- zahlen wollte. „...Messalina...! schrie Ich. Darauf fiel sie mir um den Hals, wo sie noch lang lag. Sie gab Pfötchen und aß aus der Hand, Die Lektüre von Brehms Tierleben ließ mich tiefer in ihren Charakter eindringen. Und sie wurde zu einem Wunder der Dressur. Und wie alle Tiere war sie im Grunde ihres Wesens ein Engel. Und Onkel Nietzsche sah um die Ecke, wenn er entdeckte, daß jedes schlimme Ding zwei gute Seiten hat. Aber mein Typ verstand das nicht, weil sie es selbst war. Blinzelnd saß sie mit leicht gekrümm- tem Rücken neben mir. Und Angst bekam ich nur, wenn sie von den Nebentischen her mit durchbohrenden Blicken gereizt wurde. Da konnte es sein, daß in ihr die Bestie siegte und In einem Sprung über drei Service hin- schnellte. Aber durch ein Tartarbrot habe ich sie immer be- sänftigen können, Das war einst, als die Liebe be- gann und das ganze Jahr aus Frühling bestand... (R. Kriesch) Verklungene Tage „Früher hat eben so 'n Jraf Millionen für 'n paar Mä’chenbeene hinjeschmissen, aber heute sieht 'se jeder Stiesel for nischt uff der Straße!" Giorni svaniti: “Una volta un qualche contino sprecava dei milioni per un palo di gambe di ragazza ed oggi un bardassa qualunque se le puö guardare per niente sulla stradal,, 225 DIE ROSE VOM KAPRUNER TAL Eigentlich wollte ich Schauspieler werden. Dem Amplezer-Hansgirgl von Antelsbach allein ver- dankt es das Theaterpublikum, daß es sich heute nicht über meine Lakalen, Herolde, Mönche und teitenden Boten zu ärgern braucht. Meine kurze Bühnenlaufbahn trat ich als Jugend- licher Liebhaber belm „Dramatischen Verein Thalla” in G. an, wo die Heinzellner-Resi die Jugendliche Salondame spielte. Die Resl war ein hübsches Mädchen mit kecken Augen und Wan- gen wie reife Pflısiche auf Rahm. Sie war sauber um und um und ließ sich von keinem was vor- machen. „Wer garantiert denn no für a Manns- buld?” sagte sie und zeigte Ihre blitzenden Zähne. Gleichwohl hatte ich das Gefühl, als ob die Resl mich nicht ungern sähe: Da man aber In jungen Jahren nur das bemerkt, was einem ge- rade interessiert, übersah ich dabel völlig, daß die Dorfburschen, denen jedes Blinken in den braunen Augen der Resl verdächtig schien, sich alsbald arg über mich gifteten. Voran der Am- plezer-Hansglrgl, der seit Jahr und Tag auf die Resi spannte und Ihretwegen sogar zahlendes Der Ausweg - L’espediente VON ALFRED UHLMANN Mitglied beim „Dramatischen Vereln Thalla’ war, nachdem man Ihn a's aktiven Spieler abgelehnt hatte, well er als nicht ganz hell auf der Platten galt. Zu damaliger Zeit probten wir an dem Volksstück „Edelweiß und Almenrausch” oder: „Die Rose vom Kapruner Tal“. Der Hansgirgl hockte derweil breit und finster am Ofentisch vom „Roten Och- sen“, paffte verdrossen aus seiner Pfelfe und glotzte In einem fort auf die Heinzellner-Resi. Aber in der Pause raunte er ihr zu: „Resl, du waarst die recht’ für mil DI tat I glei heirat'n!” Die Resi Jedoch verzog den hübschen Mund und warf ihm schnippisch hin: „Mei Ruah Ioß ma, ohdrahta Lackll” Auf diese dramatische Szene am Tisch folgte eine heitere auf der Bühne, in der jedes Wort wie Gift in die zerrissene Seele des Hansgirgl tröp- felte. Da fing nämlich der Held des Stückes, der schneidige Jägerbursch Loisl, an, mit der Heldin zu spenzeln. Die Rose vom Kapruner Tal aber war ausgerechnet die Resl und derJager-Loisl war ich. Wenn mir ein Blick in die Zukunft vergönnt ge- wesen wäre, hätte ich nich jetzt aus dem Staube gemächt; so aber trat ich auf der Bühne sonnig (0 Hemenn) „Was tut eigentlich Egon, wenn er auf einen anderen Mann eifersüchtig Ist?" „Er sagt zu ihm ‚Herzliches Beileid‘! r "Che fa in realtä Egon quando & geloso d’ un altro uomo?,, — "Egli gli dice: 'Le mie cordiali condoglianze, I, 226 lächelnd in die Gaststube des Wirtshauses „Zum Wasserfall”, wo die Wirtstochter Resi in aller Herrgottsfrühe blaue Bauernstrümpfe stopfte. Wie es die Rolle verlangte, spenzelte ich forsch mit der Resi und drängte in sie: „Hätt’st heut’ auf d’ Nacht net a bißl Zeit für mich?” Die Rose vom Kapruner Tal, die ihren wildernden Vater vor meiner tödlichen Büchse erretten wollte, hauchte errötend: „Leicht gang’s”, was also heißt: leicht ging es. Jotzt muß ich die Resl umarmen und sagen: „Gib mir a Bussel, G’schmacherl, liabs!” Die Resi blinzte keck lachend auf den Girg| am Ofentisch und überraschte mich mit einem so herzhaften Kuß, daß Ich wie betäubt dastand, Der Girgl aber hieb mit der Faust auf den Tisch, rum- pelte hoch und brüllte, daß die Luft zitterte: „Saustier, bremsiga, loßt’s nit stehn, d’ Resell Himmikruzifix, di stich ich pfeigrod o wlar a Saul” Mir wars In der nächster Probe nicht gerade sehr wohl, jedoch verhielt sich der Girgl still, bis sein Spezi, der Gerstmaler-Simmerl, erschien. Ihm machte es wohl Spaß, den Girgl zu kitzeln. „Schaugn o, den Jagr”, raunte er, breit grinsend, „der woaß's, wla ma si’s Leb'n schön macht! Der teilt si’s richtl ei: bel d’Nacht schloft ’r Im Wald, aba kaam, daß d’ $Sunn kimmt, fangt ’r mit da Resl 's Speanzeln ol Mel Liaba, dös Is a ganz Hellal” Der Girgl gab nur einen dumpfen Stöhn- laut von sich und sagte verbissen: „Wart no, dem Bazi rolb'n ma’s scho noch ei Auf das hin geschah Jedoch rein gar nichts. Erst am Abend der Premiere von „Edelweiß und Al- menrausch” raunte ein Bursche uns zu: „Paßt’s auf, heunt drlebt's ös was und nix Guatsl" Indes war der Glrgl bei meinem heiklen Auftritt im „Wasserfall“ ganz brav, nachher aber verschwand er mit dem Simmer! aus dem Saal, Der nächste Akt spielte wieder In der Gaststube, wo ich mit dem Steinbeißer-Viktorl, einem Wil- derer, eine Reiberel hatte. Ich saß mit drei Bauern auf der Bank, der Wirt stand am Schank- tisch, das Stichwort für den auftretenden Viktor! tlel..., da hörte man aus einem mächtigen Ge- rumpel hinter der Szene seine eıboste Stimme: „Himmikreizseit'n, loßt's mi einil“ „Halt dei Maul, Sauhammi, damischal Do gehst einil” raunzte auf das hin die Stimme des Simmerls. Eine Tür krachte ins Schloß, dann hörten wir Schritte... und aus den Kullssen trat — der Amplezer-Hansgirgl... | M Es glbt Augenblicke Im Leben, in denen sich der Mensch über alle menschlichen Möglichkeiten erhebt und solche übernatürlichen Taten voll- bringt, daß er sie später mit seinem Verstand nicht mehr begreifen kann. So war es auch hier mit dem Girgl! „Grüaß Good, beinand!” rlef er mit pfiffigem Grinsen In den gestopft vollen Saal. Der vor Staunen starre „Wasserfall-Wirt fiel, als er sein Stichwort vernahm, wie hypnotislert In seine Rolle und plärrte: „S’ Good! A schöns Wetta hamm ma heit! 's G’witta hot si v’rzohgn, dös werd di g’freunl” Der Girgl schlelte ihn schief an und polterte völlig rollenwidrig: „Halt’s Mäu, du Trohpfl Dös geht di an Schmarm o, ob’s G’witta mi g’freut! Schaug no, daß ’s net amal bei dir eischlagt, du damischa Rittal” Die Zuschauer Im Saal brachen in vergnügtes Wiehern aus; der Girgl aber faßte mich scharf ins Auge, kam langsam näher, und was nun folgte, spielte sich viel rascher ab, als man es erzählen kann. Girgl packte mich am Kragen, ich selbst wußte, daß Altrulsmus jetzt fehl am Platze war und daß ich mein Bestes geben mußte, im glei- chen Augenblick trat der „Wasserfall”-Wirt einen wackligen Stuhl zusammen und bückte sich hastig mit unseren anderen Kollegen nach den herum- rollenden Beinen, denn schon drängten Girgis Freunde rablat zur Bühne Die lampe krachte herunter, der schnaubende Viktorl stürmte mit dem Simmerl von hinten her; ein hiiziges Schreien und Schlagen hub an, Tische kippten pumpernd um, Bier peltschte auf den Boden, Glä- ser klirrten scheppernd — ich flog, von Girgl dahin geschleudert, mit unwlderstehlicher Macht an eine Kulisse, die ıhrerseits umfiel und mit der oberen Latte Girgı am Kopf trat. „Aual’ brüllte er wütend, „Sauglump, verreckt's — wenn no glei dö ganz’ Welt untergang...“ Es war eine herrliche Szene, eine vor denen, die In der ganzen Welt Lacherfolg haben. Das Publi- kum lachte denn auch; ja, es Jauchzte und schrie vor Vergnügen. hieb mit den Fäusten auf die Tische, daß dıe Radis hochsprangen und die Maß- krüge umfielen, und spendete rasenden Beifall. Leider klaffı von hier eine breite Lücke in mel- nem Gedächtnis, so daß Ich nichts mehr zu be- richten weiß. Vermutlich ist dies dem Umstand zuzuschreiben, daß deı Girgl eines jener Stuhl- beine erraffen konnte und damit bei mir eine nachhaltige Sirnestrübung bewirkte. Ich weiß nur noch, daß ich, ehe es ganz und gar finster ward, mir gelobte, nie wieder Theater zu spielen... LIEBER SIMPLICISSIMUS © Nücken) Das war im tletsten Frieden, da kam mein Nach- bar vom Reißbrett nebenan statt um 8 Uhr erst um %9 Uhr ins Büro, ging vorsichtig In Deckung und begann mit primitiven Mitteln, Handspiegel und Taschenkämmchen, eine dringend nötige ober- flächliche Toilette. „Also gestern, da hab’ ich ein Freilein kennen g’lernt”, begann er zu schwärmen, „so was Zurückhaltendes, so was Vornehmes, so was Gebüldetes, ich möcht schon fast sagen, Keisches, hab’ ich überhaupt noch net erlebt! Meinen S’, die hätt" mir ihren Vornamen g'sagt? Net um allesl Übrigens, war der Scheff schon da heut? Net? Ich komm’ nämlich grad von der Damel” ©.M. * Man probierte unter Sascha GuitrysLeitung. Eines Schauspielers Auftritt ließ zu wünschen übrig, Gultry mahnte: Nein, so gehe es nicht, er solle aufs neue beginnen, der monsieurl Die Bühne mit einer gewissen — man möchte sagen majestä- tischen Überlegenheit betreten! Der Schauspieler verließ eilends die Bretter, dann erschien er wieder, stelf, die Nase in die Luft gereckt, breitarmig und breitbeinig, daß Gultry Ihn anfuhr: „Aber, mein Lieber, was machen Sie? Ich habe Ihnen nicht gesagt, Sie sollten zu Pferd kommen!” PS. BRSEONO, einlont I mac, un Föntzehn Millionen elektrische Bügeleisen gibt es in deutschen Familien. Wird jedes davon nur eine Viertelstunde im Monat unnötig unter Strom gehalten (etwa durch häufiges, jedesmal neues Anheizen erforderndes Bügeln kleiner Teilmengen), so hat „Kohlenklau” eine leichte Beute! Denn solche Unachtsamkeit ergibt eine jähr- liche Verschwendung von rund 22 Millionen Kilowatistunden — undelektrischerStromwirdmeist mit Kohle erzeugt. Mehr.als eine halbe Million Sack Zement für Bunker, Rollfelder, Brücken usw. lassen sich mit dem vergeudeten Strom herstellen! Darum paßt auf und denkt daran: Faßt den „Kohleuktau”, wo ühe ihm findet! Kampf un Sieg unserer herrlichen Wehrmach schildern diese Erinnerungsbücher vom OKW.: Sieg in Polen ...... 375 Der Große Befehl . . . : 3.60 Trotz allen Gewalten.. . 1.50 Seriet:RM.d.85 auch einzeln, d.Nachn. Buchhandlung TFÄIRSCH oüsseltort-k 12 — DO H— KRWhf An Korlbsuhe UKAILADID IE IR DIA IKAD SIILIETTILIKK KAHN» F — Zutatenvarlust bei Kleingebäck Zucker, Milch, Mehl und Milel G... schade darum, denn das Kleingo- back verbranate. Kohlenklan int schuld, schluchzt die untröstliche Hausfrau, Moral: Auf Kohlenklau Durchlöcherte Kochtöpte —) E heilt Ga Alles-Kitt Alles-Kütt mit Alabronze oder Gipa oder Kreide za einer honigdicken Masse vermengt gibt zum Behelf ein worzägl. Dichtungsmittel für defekte Kochtäöpfe un. achten. Kleingebäck in kalten Ofen einschieben... anleizen und vor- sichtig durchbacken. Rechtzeitig herausnehmen! Milei der zuverlässige Ei- Austauschstofl - Heunen Sie? schon Raumblidwerke - den neuen Buch- typ, der In Publikumakreisen großen Bel- tall'geiunden hat. Jedes Werk, im Format 20x29 ım, enthält Begleiltext. 100 u. mehr Ein Flügel macht noch keinen Pianisten — so macht auch ein Rezeptzettel noch keinen Gesunden, Der Kranke muß die Arztlichen Vorschriflen einhalten. Treiben Mit Tropon-Präparaten haushalten — aln Gebot der Stundel, ISMUr bei AslhumauBronchilis AStHMA:TUDOER um Einnehmen wirkt anlaulbeseitigend 7 iösend / beruhigend + auter Nachtschlaf. Nur In Apotheken — Packung ab RM 1.19 Herstellung nach wie vor In unveränderter Güte. | 3reitkreutz K.G., Berlin-Tempelhof 1/2274 Rumeyplan 46 SELEEES LAREERI RER Was ist Vergeudung? Wenn man miı zu seuchler Zahn- Stereorotosund einen Bildbelrachter Sie eignen sich bestens zu Leistungsprämien. ‚dr Krieguieilnehmer und zu Geschenk- für jeden am Zeitgeschehen In- ten Volkıgenassen. 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Obwohl ich selbst verheiratet bin, habe Ich dieses Junggesellenhelm gemietet, wo mich die schuldige Gattin an bestimmten Tagen aufsucht, Da kommt sie schon!” Die schuldige Gattin (tritt ein): „Es ist etwas pas- siert: Mein Mann Ist tot.” Herr Edmondo:; „Der arme Kerl! Er hat uns nie ge- stört. Grenzenlos war sein Vertrauen in uns. Er hat nie etwas geahnt.’‘ Die schuldige Gattin: „Niel Schüchtern und willen- los wie er war, hätte mein Mann mich nie zu ver- dächtigen gewagt In deiner Eigenschaft als alter Freund wirst du, lieber Geliebter, am Tage seiner Beerdigung ein paar gerührte Worte reden müssen.” Zweites Bild: Die Rache eines Schüchternen Schauplatz: Ein Friedhof. Herr Edmondo (beendet vor dem Grabe seine Rede); „Lebwohl, guter Freund! Ruhe !n Frieden! Der unerbittliche Tod raffte dich hinweg im Alter von neunundfünfzig Jahren Lebwohll” Der Chor der Leidiragenden: „Herr Edmondo hat schön gesprochen. Doch was soll das: man stellt vor dem Grab eine Filmleinwand auf... ?" Der Notar des Verblichenen: „Ich vollstrecka den letzten Willen des Toten. Alles soll dableiben. Der Tote wird eine Ansprache halten.” Chor der Leidtragenden: „Eine Ansprache?” Der Notar des Verblichenen: „Jawohl, Kurze Zeit vor seinem Tode kam meinem Klienten der Ge- danke, in einem Tonfilm die Rede zu halten, die Sie sogleich hören werden. Er beauftragte mich sodann, am Tage sciner Beerdigung diesen spre- chenden Film vorführen zu lassen.” (Er gibt dem Vorführer ein Zeichen. Auf der Leinwand erscheint das Bild des Toten. Er trägt einen schwarzen Geh- rock, waschlederne Handschuhe und in der Hand den Zylinder.) Der gefilmte Verblichene: „Meine Damen und Herren! Sie staunen zweifellos darüber, daß ein Toter am Tage seines Begräbnisses das Wort er- greift. Ich weiß, das Ist nicht Brauch. Allein, ich mache mir den Fortschritt unserer Zeit zunutze, um auf meinem Grabe eine kleine Rede zu halten und Ihnen das Geheimnis meines Lebens zu enthüllen. Während meines ganzen Lebens war ich außer- ordentlich schüchtern. Ich habe nie gewagt, mei- ner Frau gegenüber die Stimme zu erheben. Mir graute vor Szenen. Die Elende nutzte dies aus und betrog mich mit meinem besten Freunde Edmondo, 228 (A Kubin! der hier anwesend ist Zu Lebzeiten hatte Ich nie die Stimme zu erheben gewagt: das soll Jetzt anders werden! Heute, da ich tot bin, habe ich keinen Grund mehr, schüchtern zu sein, nichts kann mich hindern zu rufen: ‚Edmondo, Sie haben an mir gehandelt wie ein Schweinekerll"" Herr Edmondo (vers.ufti): „Abor... Abar...“ Der gefilmte Verblichena: „Wie, Sie haben sich nicht geschämt, Edmondo, auf meinem Grabe eine Rede zu halten. Sie, der mir zwanzig Jahre lang Hörner aufgesetzt hat! Oh, mein Lieber, Sie haben sich eingebildet, ich wüßte nichts von Ihrem fei- gen Verrat? Oho, ich besinne mich auf seine kleinsten Einzelheiten: Meine Frau verliebte sich in Sie am ersten Tage, da ich Sie zum Essen mit heimbrachte. Nach dem Essen, besinnen Sie sich, haben Sie ein pikantes Liedchen gesungen, des- sen Kehrreim Sie hören sollen,..” (Man hört das Lied.) Herr Edmondo: „Das Ist ein Skandall Aufhören| Wenn sich der Tote nicht achtet, soll er wenig- stens den Ort achten, wo wir sindl” Der gefilmte Verblichene: „Und nun will ich Sie, Edmondo, für immer verlassen. Aber ehe ich gehe, möchte ich Ihnen, lieber Don Juan, das fol- gende sagen Seit Jahren betrügt Sie Ihre eigene Frau mit einem Bankbeamten; Ihre ältere Tochter vergnügt sich mit einem Jäger der Schutztruppe, und die jüngere mit einem alten Herrn im vierten Stock. Ihre Hausgehilfin endlich...” (Herr Edmondo stürzt sich auf die Filmleinwand, zerschlägt sie und sinkt ohnmächtig hin.) (Aus dam Italienischen von HBW.) Der Garten Edens (Erich Schilling) Europa als Sowjetparadies Il giardino di Eden: L' Europa ... Paradiso dei Sovieti 229 Der Blickfang (X, Helligenstaodt) „Viel von mir kann er ja durch das Schlüsselloch gar nicht sehen, aber es soll dann doch wenigstens etwas. Besseres sein!" 230 DAS WUNDER DER BLÜTE Japanische Frühlingsgedichte - Nachdichtung von Gerhart ‘Haug BLÜTEN IM SCHNEE Nun schneit's! Die Pflaumenblüten Wollt’ ich dem Liebsten zeigen. Seh’ ich nun Blüten oder Schnee Sich mir vom Baume neigen? Akahito (8. Jahrh.) BITTE Die Pflaumenblüte sprach zu mir im Traum: „Sieh meine Schönheit hier im Morgenduft erglimmen. Laß mich umsonst nicht flattern in den Raum, Auf deinem Weine laß mich schwimmen!“ FRAGE In den Tagen des Frühlings, Wo der Himmel im Glanz Sanft die Erde bezaubert Und das Herz birst vor Liebe, Warum fallen die Blüten da? Tomonori (9. Jahrh.) ANTWORT Kirschblüten! Wenn ihr auf breiten Bergesrücken Viel Tage lang so lieblich weiterblühtet, Würde man so euch lieben? Akahito (8. Jahrh.) Okura (etwa 660-733) IN DER VERBANNUNG Einsamer Bergkirschenbaum! Aller Freunde bin ich nun bar, Einsam wie du. — Nur deine Blüten Die blühen mir noch! Gyoson (1054-1135) REGEN IM FRÜHLING Rauh fällt der Regen in den Kitschenflor! Ö stell’ dir dieses Bild der Wehmut vor: Tropfen und Tränen rinnen still — So ist das Herz — so ist's April! Kuronushi (9. Jahrh.) ALLES. GUTE. KOMMT: VON OBEN „Das Sonntagsblatt hat angerufen”, sagte meine Frau so nebenbei, „es braucht bis morgen früh eine kleine Humoreske, ich habe zugesagt.” „Ah, staunte Ich, „du willst eine Humoreske schreiben?" „Es ist Jetzt vier Uhr nachmittags”, stellte Ursula sachlich fest, „bis morgen hast du noch zwanzig Stunden Zeit, da wirst du wohl so eine Ge- schichte aus dem Ärmel schütteln können?” „Natürlich“, renommierte ich, „ich glaube sogar, ich habe schon etwas, vorderhand steckt es aber noch im Unterbewußtsein.” „Na, dann hol’ es so rasch als möglich herauf. Hier hast du einen Musenkuß, setz’ dich hin und gebäre. Ich werde inzwischen ein wenig Klavier spielen.’ Und sie setzte sich an den Flügel, aber sie spielte nicht nur, sie sang auch, wie Werner Kroll, wenn er Zarah Leander imitiert. Nach einer halben Stunde warf sie den Klavier- deckel zu, daß mir die Augendeckel klapperten. „Nun, wie weit ist die Geschichte schon ge- diehen?‘ drehte sie sich herum. „Wieso?“ fragte ich, „ich habe dir doch zugehört, wie du in den tiefsten Tönen musiziertest.' „Heiliger Strohsack“, rief sie ungehalten, ‚ich spiele, damit ich den Mann nicht störe und er spielt, stait zu arbeiten, Auditorium. Nun aber fix an die Maschine!” Drauf nahm sie am Teetisch Platz und verhielt sich mäuschenstill. Nur ihre Fin- ger trommelten nervös auf der Glasplatte. Sobald sie damit inne hielt, wartete ich, ob sie wieder begänne, und trommelte sie, wartete ich, wann sie damit wieder aufhörte? Nachdem sie sich eine Zeitlang so betätigt hatte, ohne daß ich heraus- bekommen hätte, ob es sich bei dem Spiel um den Hohenfriedberger Marsch oder um Preußens Glorie handelte, war mir noch immer nichts ein- gefallen. „Zum Teufel‘, knurrte ich, „warum hast du zugesagt? Der Genius läßt sich nicht an Ter- mine binden.” „Quatsch“, sagte meine Frau, „das ist nur an- geborene Faulheit”, legte sich auf die Couch und zeigte mir den schönen Rücken. Nun bemühte sich mein Oberbewußtsein bei meinem Unterbewußt- sein anzurufen, ob sich dort nicht ein brauch- VON HEINZ SCHARPF barer Stoff für eine Humoreske vorfände, aber es war keine Verbindung zu bekommen. Nicht der Silberstreif einer Idee wollte auftsuchen, Dafür kam anderes zutage. Zuerst eine junge Tänzerin, welche, na, das ist Privatsache. Dann meldete sich die fällige Steuererklärung, schließlich Jedoch riß es mich so tief in das Unterbewußtsein hinab, daß ich laut aufschnärchte, Doch schon fuhr mir die gepflegte Hand meiner Gattin in den Haar- schopf. „Mensch, mir scheint, du pennst?” posaunte sie mir in die Ohren. „Ich träumte”, wies ich diese vulgäre Redensart zurück, „auf der Suche nach einem Motiv. Du kannst nicht verlangen, daß ich gleich in die Setzmaschine träume. Ich bin kein Roboter.” „Ich dachte, du wärest ein Schriftsteller‘, feixte Ursula, „Aber du hättest besser Baumeister wer- den sollen, denen fällt leichter etwas ein.” „So 'n Bart”, strich ich vom Kinn bis zur Nabel- gegend, dann befahl ich kurz: „Koche mir einen Kaffee und du wirst sehen, wie ich mit Vollgas drauf lostippe.‘ „Richtig“, nickte Ursula, „man muß einfach drauf losschreiben, der Leser wird den Einfall dann schon finden. Aber es Ist der letzte Kaffee, den wir im Hause haben“, warnte sie, „sollen wir ihn nicht lieber für ein Drama aufsparen?” Nach einerStunde war die Kaffeekanne leer,soleer wie das eingespannte PapierinderSchreibmaschine. „Einen Kognak”, stöhnte ich. „Wie, für eine kleine Geschichte auch noch einen Kognak?” entsetzte sich Ursula, „die Herstellungs- kosten deiner Werke fressen uns noch auf.” „Einen Kognak”, strampelte ich mit den Füßen. Nach einer weiteren Stunde war auch die Kognak- flasche geleert. Die Uhr schlug acht. Ich begann den Staub von der Schreibmaschine zu blasen. „Nun denn“, sagte Ursula, „wenn es so weit ist, will ich lieber meine Freundin aufsuchen und dich allein lassen. Aus Trennungs- und Herzeleid sind schon große Literaturwerke entstanden. Leb wohl.” Als meine Frau gegangen war, schlug es neun. Die beste Zeit zum Arbeiten. Aber wer konnte bei einem solchen Kater arbeiten? Ich versuchte ein Kreuzworträtsel zu lösen, doch der erste Mensch mit vier Buchstaben wollte mir nicht ein- fallen. Ich sann und sann. $o saß ich dann noch, als Ursula wieder zurückkam. „Hast du schon etwas“, stürmte sie zur Tür hei „dann zerreiß es, denn ich habe viel was Bes: res, Ich habe nämlich etwas Köstliches erlebt. Und sie lachte aus vollem Halse. „Also auf dem Heimweg, haha, da ist mir was Ulkiges passiert. Da ging ein kleiner dicker Herr hinter mir her und wollte mich anquatschen, In diesem Augen- blick fiel ein Blumenstock auf den Gehsteig herab. Haha, den Mann hättest du sehen sollen, mit wel- chem Sprung der zur Seite sprang. Haha, weißt du, es war zu komisch. Stell’ dir das vor, so ein kleiner Dickwanst, haha, und macht so einen Satz wie ein türmendes Känguruh. Das -mußt du be- schreiben, da kannst du deine Fantasie schweifen lassen.“ „Und was soll daran die Pointe sein?” fragte ich eiskalt bis ans Herz hinan. „Die was?” „Nun das Zündhütchen, der Knalleffekt, der Witz des Ganzen?” „Ja, ist das nicht schlagkräftig genug? Dann laß dem Mann den Blumentopf auf den Kopf fallen, dann springt er noch einmal so hoch, haha. Das Zwerchfell möchte ich sehen, das davon nicht er- schüttert wird, den Bauch werden sie sich halten in der Schriftleitung. Hahal Na, bin ich deine Muse?” Dann ging sie zu Bett und noch im Traum lächte sie über den kleinen dicken Herrn, den meine Fantasie zu einem Rekordspringer machen sollte. Ich aber saß da,. wie mit einem Breit vor dem Kopf, mit brummendem Ober- und 'Unterbewußt- sein und schrieb mit meinem Herzblut diese Gro- teske nieder, wie sie die Muse mir diktiert hatte. Am andern Tag kam ich mit dem Honorar heim. Ursula legte es sofort mit Beschlag. Beschwingt begab sie sich auf den Weg zu ihren Kaffee- und Kognaklieferanten, aber die Lieferanten waren seit Jahren bis auf die letzte Bohne und den letz- ten Tropfen ausverkauft. Um doch was heimzu- bringen, an dem ich mich erfreuen konnte, kam sie mit einem neuen Hut nach Hause. Ja, wenn Frauen Geschäfte abschließen. in, mm DL Verlag und Druck: Knon Verantwortl, Schriltlelter: Walter Foitzick, gültig ab 15, Okt. 1 th Kommanditgesellschalt, Münche: lüncı forantwortl, Anzeigenleiter: G; alle Buchhandlungen, Zeitungsgoschäfte und Postanstalten entgegen. Bezugspreise.: Einzelnumm. zo s 3dt. — Unvortangte Einsendungen werden nur zurückgosandl, wenn Porto beillegl. — Nachdruck verboten. -- Posischackkonto München 920, Erfüllungsort München. jav Sche Pt.; Sendlinger Straße 88 (Fornruf 129). @r, München. — Der Simplicissimus Abonnement Im Monat RM, rlofanschrift: München 2 BZ, Briel eneint EN anal ich. tollungen nehmen nach Preisliste Nr. 7 (0. Gulbransson) Rückkehr aus Afrika } y Ar h N Se ISIS NN Orap Autananssen un „Aber Paulchen, du sollst doch nicht immer die untenstehenden Leute bekleckern! Manieren hast du von den amerikanischen Soldaten angenommen!“ Ritorno dall’ Africa: ‘Ma, Paoluccio, non dovresti mica imbrattar sempre la gente che ti sta sotto! Che maniere hai mai preso dai soldati americani!,, 232 München, 21. April 1943 N 48. Jahrgang/ Nummer 16 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Nach dem Urlaub {E. Thöny) „Woaßt, Maxi, vo' oan Madl Abschied nemma, kannst leicht schaff’n, aber glei’ vo’ fimfe — dees strengt fei’ an!“ Dopo la licenza: "Sal, & facile prender congedo da una ragazza sola, ma da cinque ad una volta ... la & una bella fatica!,, Verbitteru Ng - Esasperazione - „So übe ich grausame Rache an der Menschheit: das prima Lenzgedicht bekommt sie nicht!" “Cosi „.. mi vendico crudelmente coll’ umanitä: essa non avrä il fior fiore della poesia di primavera!,, VOLLER OMNIBUS Ganz voll Ist der Postomnibus, gestrichen voll, teils von Menschen, teils von schlechter Luft. Da hält er wieder einmal und einsteigen: die Dame, der Herr, die Kinderpflegerin und das Kind, Jetzt Ist ‚der Omnibus noch etwas voller und die schlechte Luft etwas wohlriechender vermittels des Parfüms der Dame, Da ein freundlicher Herr ‘im Omnibus ist, bietet er der Pilegerin mit dem Kinde seinen Platz an, und, weil der eingestiegene Herr durch leichtes Lüften des Hutes sich bei dem freund- lichen Herrn bedankt, tut er damit kund, daß er für das Kind verantwortlich zeichnet. Dieses hin- wiederum veranlaßt alle Anwesenden, eingehende Betrachtungen und physlognomische Untersuchun- gen anzustellen, ob er nicht nur im el ‚chtlichen Sinn, sondern auch im naturwissenschaftlichen der Vater sal. Aller Blicke wandern also abwech- selnd zu dem Herrm, der Dame und dem Kinde, wobei in den Kreis der Untersuchungen gelegent- lich auch die sympathische. Pflegerin einbezogen wird. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, zeigt der Vater allerselts sich im Profil und en face, weisend die hereditären Merkmale. Das Publikum zeigt sich höchst befriedigt und nun hätte man sich allgemein den Betrachtungen über die Fülle und die schlechte Luft wieder zu- wenden können, wenn das Kind nicht aus seiner Lethargle erwacht wäre und ein Dada heraus- geschmettert hätte und dabei auf die sehr hüb- schen Belı ind Knie einer gegenübersitzenden Jungen Dame gezeigt hätte, Obwohl der Vater den Beobachtungen seines Sohnes längst zuvorgekommen war und diese nur hätte bestätigen können, tat er nichts dergleichen, sondern mißachtete die Freudenrufe seines Nach- kommen. Die Mutter lächelte, die Pilegerin lächelte mehr und die junge Dame errötete teilweise, tellwelse zog sie an ihrem Röckchen, Der Vater aber stupfte ganz sinnlos mit dem Zeigefinger seinen Sohn Irgendwohln, um ihn verspätet zu veranlassen, sich darüber zu freuen. Nein, das tat der nicht, er freute sich weiter über die Damenbeine und zeig! deutlich und laut. Es schien, als ob der Vater solche Beine für nichts erachtete, denn er wies seinen Sohn auf Kühe, an denen man vorüberfuhr, auf Telegraphenstangen, auf Blumen, und die Mutter unterstützte Ihn darin, Indem sie die Schönheiten der Landschaft unwahr- scheinlich pries. Aber der Sohn ließ sich durch keine bunte Kuh verlocken, Auch er sah die Schön- heit dieser Welt und fand sie außer in der jungen Dame in der Nase, in der ziemlich großen, ziem- lich knolligen, ziemlich geröteten Nase einer älte- und die ihm schöner dünkte als alle Kühe, Blu- men und Telegraphenstangen der Welt zusammen. Er strebte zu dieser Nase hin. Er hatte es ganz gewiß nicht verstanden, warum man seine Begei- sterung an Gottes Schöpfung dadurch zu stören versuchte, daß man ihm immer wieder sagte, er soll schön brav sein. Und als der Omnibus hielt und man ausstieg, winkte er mit der einen Hand den Knien, mit der anderen Hand der Nase einen Abschiedsgruß zu, Foitzick 234 DAS KÄUZCHEN Von Giovanni Pascoli Wo war nur der Mond? Scion ergraufen, verschwimmend wie Perlen, die Räume; aufreckten, daß besser sie schaufen, sich Apfel- und Mandelbäume. Ein metterndes Leuchten in Weiten kam dunkel mit Wolken herzu; ein Rufen kam aus Gebreiten: Sciuht ... Nur selten alitzerlen Sterne im nebelig mildıigen Rauche: ich hörte das Meer in der Ferne; ich hörte ein Knistern im Straudıe; und hörte, im Ilerzen erschallend, verlorenen Klang durdı die Ruh, Ein Adızen, im Leeren verhallend: Sciuhl ;.. In Höhen, schimmerbeladen, verzitlerten Seufzer der Winde; es rültelten kleine Zikaden an silbernen Glöcchen gelinde, (ein Klingeln, verborgen, an Türen, die schlossen wohl ewig sich zu ...). Und dann, an Sterben dies Rühren: Sciuhl «.. Deutscı von Maximilian Brantl Des Rätsels Lösung ee) a N Sep: IN N“ N SANS Docar GBesnR Ss Hang DIN „Was meinst, Katherl, wie der Osterhas zu den vielen Eiern kommt?“ „Ja no — der legt halt schwarz!" La spiegazione dell’ enigma: “In che modo credi tu, Caterinetta, che il coniglio pasquale abbia avuto tante vova?,, — “Eh, sal ... le depone clandestinamente!,, 235 DER AUSWEIS VON SCHLEHDORN Zu Herrn X. kam der neue Aushilfspostbote. Hier wäre ein Paket, er möchte sich als Empfänger ausweisen. „Was gehört dazu?“ „Eine Photographie,” — „Hier ist eine.” „Ja, das sind Sie, fehlt noch die eigenhändige Unterschrift.” X. zog seinen Füllfederhalter und haute seinen Namen unter die Photographie. „Das ist unleserlich, also offenbar echt, Geht in Amerikanische Szene: KARRIERE (6. Brinkmann) ALTE FAHRZEUGE Annaur varnaur SANTIOAUI TATEN samusı Levy Scena americana: CARRIERA Ordnung. Hier haben Sie Ihr Paket,” Denn: wenn die Photographie mit der Unterschrift und die Unterschrift mit dem Empfänger überein- stimmt, muß doch der Photographierte der Emp- fänger sein, Oder was fehlt da noch? — Nachdenklich tappte der Postmann die Treppe hinunter. Ein Mensch ohne Schatten Ist Übel dran, Chamisso hat das am Peter Schlemihl dargestellt. Aber nicht so übel — man braucht Ja nicht in der Sonne zu ‚gehen, und die Nachbar finden Immer etwas von Schatten an uns. Aber ein Mann ohne Ausweis ist eine Tragödie. — Der Vorsteher des Meldeamts war Großvater ge- worden. Wie er den Knaben so daliegen sah, krebsrot vom Schreien und nach Behauptung der Tanten allen Aszendenten wie aus dem Gesicht ge- schnitten, fiel ihm plötzlich auf die dienstlich ein- wandfreie Seele: Da liegt er nun, hilflos, und hat noch keinen Ausweis! — Und es ergriff ihn ein tiefes Mitleid mit der geschäftsunfähigen Kreatur, In.der folgenden Nacht träumte er wie folgt: Zur Person: er selbst war noch ganz klein und lag in der Wiege. Zur Sache: da traten Feen ein, die ihn begabten. Die eine mit voll befriedigender Erfüllung seiner Amtspflichten. Die zweite mit schneller Erreichung von Aufrückungsstellen. Die dritte legte ihm durchaus geordnete Familienverhältnisse in die vorerwähnte Wiege. Die vierte aber, offenbar eine asozlale Fee, rief, als gerade die vorangehenden Foen abgefertigt waren: „Du sollst niemals einen Ausweis haben.” Und tatsächlich (es war ja im Traum), er hatte kei- nen Geburtsschein. Er wurde mit Erfolg geimpft und erhielt keinen Impfschein. Kein Abiturlenten- zeugnis, keinen Wehipaß, nichts... Da faßte er sich ein Herz und besuchte sich selbst auf seinem Dienstzimmer — wenn auch nicht ohne Bedenken, da er immerhin in eigener Sache tätig werden mußte. Um so kühler empfing er sich von seinem Schreib- tisch aus: „Bitte sehr, was führt mich zu mir, bzw. was führt mich zu dir, bzw. Sie zu mir, mich zu Ihnen, egal — also, bitte?” „Ich wollte nur um eine Auskunft bitten.” „Halt — zunächst, haben Sie einen Ausweis?" „Ich komme ja gerade „Haben Sie keine behördlich ausgestellte, mit Lichtbild und Namensunterschrift versehene Kenn- karte?” Er fühlte sich von sich angesehen, wie sich ein ertäppter Verbrecher im Spiegel ansehen würde und sagte kleinlaut: „Nein, aber...” „Dann sind Sie am Ende gar nicht Ic „Du hast mich doch empfangen, weil man sich kennt..." „Wer kennt sich? Ohne Kennkarte glaube ich mir selbst kein Wort, Ein ehrlicher Daumenabdruck ist mir lieber als alle Selbsterkenntnis.“ „Aber wir sind doch eins.” „Mir scheint: Höchst uneins.' „Meine Existenz wird doch durch mein Erscheinen bewiesen.“ „Ihre Existenz interessiert vielleicht die Bevölke- rungsstatistik. Hier Interessiert lediglich Ihre Iden- airär.” „Mit wem?“ „Na, mit Ihnen, mit sich, allem mit dem Ausweis. „Ich wollte Ja gerade „Und weil Sie keinen Ausweis haben, sind Sie eben nicht identisch. Das ist doch klar.” „Können Sie mich, sich, dich, uns nicht, vielleicht identifizieren?” „Ich werde den Teufel tun — in eigener Sache.‘ „Können Sie mir nicht wenigstens bestätigen, daß ich nicht Identisch bin?" „Ja, schon, aber wer stellt den Antrag?” „Nun, ich.” „Dazu gehört ein Ausweisi” Er verlegte sich aufs Bitten: „Kannst du mir nicht vertrauen — nach vierzig einwandfreien Dienst- Jahren?” Aber da kam er an den Unrechten. „Ich vertraue it dir, mit mir — vor 236 nur ordnungsmäßigen Ausweisen, Verstehen Sie?" Nun brach es aus ihm heraus, und er erschrak selbst im Traum Über seine Worte: „Bürokratie Ist das! Einfach Bürokratiel Im Kern aller Bürokratie sitzt das Mißtrauen. Das Mißtrauen zum eigenen Können: je weniger einer wirklicher Beamter ist, um so mehr Bürokrat ist er. Das Mißtrauen gegen die Mitmenschen, das immer ein Zeichen mangeln- den Selbstvertrauens ist. Das Mißtrauen gegen den Sachbearbeiter, der deshalb lange Akten- notizen machen muß...“ „Gegen den Sachbearbeiter? Das geht zu weit. Wissen Sie, Herr, Sie reden hier wie der Marquis Posa. Marquis Posa paßt nicht in ein Meldeamt. Der hatte auch sicher keinen Auswels — er Ist nur eine von Schiller erfundene Figur, Außerdienst- lich“, fuhr er milder fort, „außerdienstlich würden Sie mir In gewisser Weise leid tun. Aber ohne Aus- weis, — da weiß ich auch nicht ein und aus. Da ist meine Weisheit aus. Ohne Ausweis muß Ich Sie hinausweisen. — Das muß Ihnen doch ihr. Gefühl sagen“, schloß er das zwecklose Gespräch, „ein Ausweis ohne Mensch ist möglich, der kommt zu den Akten. Aber ein Mensch ohne Ausweis hat einfach keine Personalien, der ist so gut wie nicht da...” Ganz gebrochen verließ er sein Dienstzimmer, — Da er nicht da war, wich er auf der Straße keinem aus, „Ochsel, schimpfie ein Angerempolter, „Vielleicht“, erwiderte er schuldbewußt, „Ich kann Ihnen den Gegenbeweis jedenfalls nicht durch Dokumente führen.” Er setzte sich In ein Bierlokal. Kummer macht hungrig, Der Kellner kam und ignorlerte Ihn. Er rief: „Oberl” Der Kellner kam und strich alle Spei- sen von der Karte. Er bat um ein kleines Helles. Der Kellner nahm das Salzfaß und die Zahnstocher vom Tisch und kam nicht wieder. „Ist das nun so“, fragte sich der Unglückliche, „oder weiß der es auch schon?“ Nach Hause konnte er nicht. Ohne Heiratsurkunde war seine Ehe so gut wie nichtig. Die armdh Kin- der vaterlos, selne liebe Frau kompromiitlert. In das Dienstgebäude wagte er sich auch nicht zurück. Ohne Ermennungsurkunde — seine ganze Tätigkeit war Amtsanmaßung. Ja, selbst wenn er stürbe, — ohne Totenschein, — da hieß es spuken, todeslänglich. Was soll ich tun? Er verfiel auf einen tollen Plan: er ging auf den Bahnhof, setzte sich vorsätzlich In ein Nichtraucherabteil und steckte sich mit Überlegung handelnd seine letzte Zigarre an. Jetzt werden sie mich identifizieren müssen. Aber nein, der Schaffner kam, kassierte die nach der Eisenbahnverkehrsordnung fälligen zwei Mark Strafe ein und ging. Da fragte der Unglückliche einen Anwalt. „Tja, meinte der schließlich (es war ein erfahrener An- walt), „da bleibt nichts übrig, als daß Sie sich tot erklären lassen. Ihre Frau kann Ja den Antrag stellen. Dann kommen Sie wieder und können an- fechten. Ohne Ausweis, Allerdings müssen Sie da- zu zehn Jahre verschollen sein.” Er schickte sich an, zu verschellen. Aus dem Kino wußte er, daß man in solchen Fällen nur ein klei- nes Köfferchen hat und Funktionen übernehmen muß, die weit unter denen der bisherigen Gehalts- gruppe liegen. Ihm war zumute, wie etwa dem von Ithaka scheidenden Odysseus, dem listen- reichen (auch er war im Dienst ein an Listen so Reicher gewesen), vorausgesetzt, daß Odysseus die ganze Odyssee vorhergewußt hätte. Abschlednehmend umarmte er sein Weib... Da erwachten beide. „Nanu, Formularibert, so stür- misch?" fragte sie. Sein erster Griff war nach der Kennkarte. Er vor- glich Photographie und Spiegelbild: ungebürstet 'war er, unräsiert und im Nachthemd, aber gottlob wieder identisch. Und frohgemut schritt er zum Dienste. * „Nur zum Paradiı meinte Frau Dorette, als ihr Regierungsrat Jullus diese tragische Geschichte erzählte, „nur zum Paradies ist wohl der einzige Ausweis: die Liebe.“ „Ja, entgegnete Julius, „aber ob man hinein- kommt, hängt jeweils von dem Engel ab.” Feiertag {R. Krlesch) „Komm doch, Paul, und sieh dir den prachtvollen Sternenhimmel an!" „Ja — ja — sofort — aber nicht vor dem Mittagessen !"* Giorno di festa: "Ma vieni, Paolo, e guarda che magnifico cielo stellato!,, — “Si... sl... subito ... ma non prima di pranzol,, 237 NICHTS ALS EINE STUNDE IM FRÜHLING Wie ein breites, moosiges Fischmaul kommt der Hügel zu den Gleisan der Straßenbahn herunter. Die Sonne hat ‚aus Ihnen vier weißglühende Schlangen gemacht. In der Ferne, In der Höhe, zwitschert os Im Blauen. Der Mann preßt die ‚Augen zusammen, ob er nicht irgendwo den Punkt finde zu der Vogelmelodie. Doch Ist er schnell geblendet vor so Helle, Welch ein Frühling, denkt er, dreht sich ganz Ins Licht und beginnt die:Knöpfe seines Mantels aufzumachen. Hier ist die Stadt schon fast zu Ende und die Phalanx des Waldes steht in tells göttlicher, teils vom Forstamt für zweckmäßig erachteter Ordnung. In das Dun- kelgrüne haben die Gleise eine Schneise geschla- gen. Zwischen der Oberleitung durch wirbein in zitternder, ‘ungeheuer lebendiger Bewegung die Flugsamen der Tannenzapfen. Ich habe Zelt, über- legt sich der Mann, es eilt mir gar nicht — vielleicht fahre Ich erst mit der übernächsten. Er hat sich umgedreht und die Sonne gibt ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Nun hat er auch den Hut in der Hand und beginnt In einem Ausbruch plötzlichen Mutwillens auf dem rechten Fuß einige Hüpfer zu machen. Die Luft streicht wie Palmkötzchen über sein Gesicht. Dort, wo der Hügel sich nach Norden neigt, liegt noch ein dünner Streifen Schnee. Als das Kind mit dem Schlitten, das zu späten Rodelfahrten aus- gezogen ist, den hüpfenden Mann bemerkt, hält es, allerdings ohne sonderlich erstaunt zu sein, für ein paar Sekunden miiten in der Bewegung des Aufwärtssteigens Inne. Es hat eine lange Überfallhose an und kümmert sich nicht um den Frühling, der doch schon mit blauen Anemo- 'nenaugen am Waldrand liegt, Das Kind zieht mit seinem Schlitten Im Schatten herum, gleitet den Hang herunter, um dann dort, wo die mütterlichen grünen und braunen Farben der Erde beginnen, tuckartig zu enden Da kann es dann sein, daß os auf dem Schlitten sitzen bleibt, mit der Schnur horumtändelt und „Hü’ ruft oder auch nur so vor sich hinschaut, in die Erde hinein, den Kopf ge- senkt. Es ist ein meikwürdiges Kind. Die kleinen Hände sind von einem Sturz her schwarz und voller Erde. Von irgendwo her macht es zweimal Bimbim. Der Mann, der inzwischen den Fuß gewechselt hat und auf dem Linken welterhüpft, Ist In einen ge- wissen sportlichen Ehrgeiz geraten. Immer länger sind die Hupfor geworden, es flattern die Mantel- schösse und die wenigen Haare haben sich von der Stirn gelöst. So stochert er, sonderlich genug anzusehen, halb Rabe und halb Marabu, auf dem Platz herum. Der Freudenausbruch Ist seltsam lautlos und erinnert In seinen flatternden Be- UNTERWEGS Wenn im Sturm die Wetterwolken jagen, grau ins Unermeßliche hinein, wollen wir verzagen und versagen? Nein. Aber, Freunde, keine großen Worte, ob er fällt, der Zeiger, ob er steigt! Wem es Ernst ist mit der engen Pforte schweigt. ‚Wem es Ernst ist mit dem schmalen Pfade, der zum Leben führt, fragt nicht warum. Fragt nicht. Geht ihn « ist’s ein Muß? ist’s Gnade? - stumm. = Dr. Owlglaß VON ROLF FLUGEL wegungsformen an tanzende Vögel. Jetzt, als er einen mächtigen Sprung Über die Schienen machen will, entdeckt er plötzlich das Kind. Schnell, verstört fast, sammelt er die Trümmer und fügt sie wieder zur nahtlosen Welt der Er- wachsenen. Die Krawalte ist locker geworden, das Schuhband ringelt Im Staub, Wie ist doch alles, was um den Leib sich klemmend schnürt und windet, auf gravitätischen Ernst, auf eine ‚gewisse bürgerliche Würde und temperierte Wohlabge- wogenheit eingerichtet. Sein Atem geht noch tlef, er schämt sich vor dem Kind, tupft sich die glän- zende Stirn und ist froh, daß ein lauter tönendes Bimbim eine Wendung einzuleiten scheint. Aha, die Straßenbahn, überlegt er beinahe er- leichtert. Aber es ist die Zither. Ihre mücken- feinen Klänge kommen aus dem offenen Fen- ster eines Hauses. Eine Zither, sinniert der Mann vor sich hin, die werden immer weniger. Zithern nehmen ab wie Alpenrosen. Schon begin- nen seine Gedanken jenen von Latschen um- söumten, mit kantigen Kalkstelnen bedeckten Pfad zu erklattern, an dessen einem höheren Ende sie unweigerlich liegen muß, schindel- gedeckt, In Jodler gehüllt, von Zitherklängen um- webt, von einer sumpfigen Wiese und sanft läutenden Tieren umgeben — die Alm. Wie ein Füllen hüpfen des Mannes Einfälle heute auf der Koppel dieses Frühlingstages. Nun aber ruft er sich ernsthaft zur Ordnung, setzt den Hut tlef in die Stlın, so als sollte dieses schützende Dach mehr als ein Sonnenschirm, ein Symbol sein. „So- so, Übt‘s Töchterll” ruft eine Stimme zum Fenster hinauf, aus dem die Saiten zirpen. Dort Ist ein zottellger Frauenkopf erschlenen, Wieder macht es zweimal, als sollte es eine Bekräftigung sein, Bimbim. Ein Staublumpen wird von einem Arm geschwenkt. Dann ertönt die Antwort: „Der Groß- vater hat Geburtstag — er hat sich die Appen- zeller Glöcker! gewünscht” Der Mann an der Straßenbahnhaltestelle findet. daß diese Appen- zeller Glöcklein ebenso gut an der zartgrünen Birke hängen und Iäuten könnten, bewegt von den Bienen diesen geschäftigen Geistein, die den allerersten Blüten noch um ein paaı Nasenlängen voraus sind. Er geht Jetzt näher an das Fenster hin, aus dem die Musik dringt. Es wird ein lang- aufgeschossenes Kind sein, überlegt er sich, ein Kind, das sich bei den schwierigen Passagen mit der Zunge die Oberlippe leckt, das über leichte Stellen mit Hoppla, Hoppla hinwegspringt, vor schweren Griffen aber ruckartig stockt, um dann mit besagter Zungenspitze die Hürde zu nehmen. Das Bimbim beherrscht es bereits mit der Routine des graubärtigen Wirtsgartenspielers von der Schönau. In diesem Doppelton liegt eir Triumph, ein Stück Sieg, ein Bröserl vom Glück, wie sie der Im Weltall dilettierende Mensch bei der Erzeu- gung von Harmonie empfindet. Uber den Gleisen Ist ein Wartehöuschen. Auf der Bank sitzt ein Mädchen, das die Beine weit über- einandergeschlagen hat. Als des Mannes Blick sich dorthin verirrt, spürt er einen kleinen Schlag gegen das Harz. Er ist fast böse darüber, so aus dem Milden, leichten, Flimmernden gerissen zu werden. Dann wendet er sich plötzlich um, liest heftig eln Plakat und fährt sich mit dem Finger in den Kragen, gerade als wäre er ihm zu eng ge- worden. Das Ist doch zu dumm. denkt er vor sich hin, dreht sich wieder und hat des Mädchens Beine im Blick. Es ist, als ob sich seine Augen festsaugen wollten, so gebannt starren sie auf Jas aus Strumpf und Fleisch gebildete Dunkle und Helle. Dann reißt er sich neuerdings los und pfeift mißtönend in das Appenzeller Glöcklein hineln. Es Ist der Ärger, der sich Luft macht. Wie oft hast du so etwas schon gesehen! Schon er- tappt' er sich neuerdings bei einem Blick, Er dauert nur kuız und endet mit dem wütenden Schwur, daß es der leizte war. So stapfı er in 238 die entgegengesetzte Richtung, schaut auf die Uhr und dann auf die Mulde der Wiese. Das todelnde Kind ist jetzt mitten unter den Hügeln des Maulwurfs gelandet, pflückt in einer neuen Überlegung, andächtig fast, Gänseblümchen und zieht dann den Schlitten über den schon staubig gewordenen Weg seiner Wohnung zu, Der Mann fühlt darüber ein glucksendes Lächeln in seiner Brust aufsteigen. Dann zieht er eine Zeitung aus der Tasche und liest etwas Über Moleküle. Es fesselt ihn nur teilweise, um so mehr, als bald darauf eine Biene mit einem tolpatschigen Schlag, so als wäre sie noch nicht richtig ausgeschlafen, auf seinen Mantelaufschlag platscht. Jetzt Ist er wieder mitten Im Frühlings- woben und auf die besorgte Ansprache einer mit Ihm wartenden älteren Frau: „Sie haben ein Vlech bel Ihnen”, hat er ein Lächeln auf den Lippen, das vom großen Pan entliehen sein könnte. Er sieht so aus, als wollte er erhaben: Gute Fraul sagen, doch ist er, als ein trambahnähnliches Geräusch vom Wald heı sich aufmacht, eher um den rich- tigen Kostplatz für das Tier besorgt. Ob ein Lat- tenzaun dasRichtige Ist? Blüten müßte man haben, ein paar Pfirsichblüten, denkt er schnell, oder Sonnenblumen, riesige Scheiben, die dahlingen wie Eisenbahnsignale Mit einem taschen Blick stellt er fest, daß der Sündenfall von vorhin an der Seite eines Soldaten schäkernd dem Wald zu- schreitet. Es ist Jetzt ein Mädchen wie halt Mäd- chen sind. Mir wäre sie um die Hüften zu dick, stellt der Mann außerordentlich erleichtert fest und wendet sich erneut der Biene zu. Er mag sie nicht einfach wegknipsen. Dann hält er Umschau, ob er keinen Imker fände. Imker sind schwer zu erkennen Es muß etwas geschehen, seufzt er auf- geregt der näherkommenden Straßenbahn ent- gegen Es hält ihn nicht mehr am Platze. Alles Ist da, sieht er, ein Papierkorb, ein Fahrscheinauto- mat, ein Aufruf, Kohle zu sparen — nur für die Biene Ist nichts vorbereitet Schon fällt dor Schat- ten der haltenden Straßenbahn auf Ihn, Die Frau von vorhin blickt streng auf seinen Mantelauf- schlag, macht einen Bogen um Ihn und sagt beim Einsteigen zum Schaffner: „Passen $' auf den aufl” Da erbarmt sich die Blene des Menschen, Als hätte sie einen göttlichen Befehl bekommen, fliegt sie davon. Nun steigt der Mann — und es Ist Ihm so gut zumute — ein; sein Gesicht ist das eines Menschen, der mit der Welt zufrieden Ist. Die Straßenbahn macht Bimblm und führt an. Einmal noch hört er die Appenzeller Glöckchen läuten. Es ist schon ganz von der Ferno gewosen und es war so, als hätten zwei feine Grashalme einander gestreift. DIE WITZIGE DAME Eine Dame, die sich jung empfindet und sich rosa Pänder in die Haare windet, spricht: „Ich bemale mein Gesicht wie man Leinewand bemalt; kritisiert es oder nicht = einen weiß ich, der dies Fild bezahlt und wenn auch nicht aufhängt, so doch will!“ Die hat Witz - schweigt still. Peter Scher Der „Sieger‘‘ von Antwerpen (Erich Schilling) Il “vincitore,, di Anversa 239 Indische Statistik (Erik) „Amery sagte, wir mußten in 374 Fällen auf die Inder das Feuer eröffnen — well. Lhatischläge lassen sich natürlich statistisch nicht erfassen.“ Statistica indiana: “Amery diceva: Noi dovevamo aprire Il fuoco sugli Indiani in 374 casi ... Well! Naturalmente non si pud far la statistica dei colpi di ‘Ihati,!,, ‚240 AUS DER JUGEND ALTER HERREN Sie saßen beisammen, acht alte Herren, und blick- ten von der Terrässe der Osteria weit über Neapel und das Meer hin. Sie waren Professoren, Dichter, Bildhauer, Musiker, auch ein Domherr war dar- unter, Monsignore Grazzi. Immer wieder, wenn sie bei ihren kameradschaftlichen Zusammenkünften ein- oder zweimal im Jahre von der gemeinsamen Schulzeit plauderten, wurden sie plötzlich stille und taten nichts als hie und da einen tiefen Zug des roten Weines zu nehmen und dann wieder versonnen auf das schöne Bild der Stadt, des Meeres und des Himmels zu blicken, Schließlich hatten sie schon ein paar dutzendmal immer wie- der die gleichen Episoden aus ihrer Jugend auf- gewärmt, so daß jeder wußte, wenn der Bild- hauer von dem Streich am Lateinlehrer erzählte, werde der Dichter die Episode mit der Schul- dienerstochter folgen lassen. Je öfter sie also im Laufe der rollenden Jahre zusammengekommen waren, um so weniger Worte fielen; dafür trank man ein Glas Rotwein mehr und freute sich eln- fach, daß man noch immer so vollzählig beisam- men war. So war wieder einmal das Gespräch verstummt, wieder blickten die Alten, das Glas Wein in der Hand, auf die Stadt hinunter, als plötzlich ein Jäm- merliches Kindergeschrei die Stille zerriß. Dazu rief eine zomige Mönnerstimme: „Du Mistbub, ich werde dir geben! Zuerst die Schule zu schwänzen wegen Bauchweh und dann die ganze Marmelade aufzufressen!” Und wie zur deutlicheren Betonung dieser Worte klatschten sausende Hiebe. Es waren keine Lufthiebe, sondern sie saßen gut auf dem Körperteil des Knaben, mit dem er sonst, wenn er ruhlg war, zu sitzen pflegte. Die alten Herren hörten eine Zeitlang zu, dann lächelten sie; alle blickten auf den Domherrn. „Grazzi”, meinte einer, „der Knabe dürfte von dir gelernt haben! Er schreit wie du einst ge- schrien hast, Nur scheint er nicht so wider- standsfähig zu sein, wie du es warst!” Der Domherr schmunzelte. „Ja, ich habe genug Hiebe als Bub bekommen!” „Genug?' unterbrach ihn der Dichter. „Es hat ja schon an Wunder ge- grenzt, was du, beziehungsweise, was dein, hm, du weißt schon, welchen Körperteil ich meine, ausgehalten hatl” „Mit deinem hartgesottenen Hintern”, meinte der Musiker, der die Dinge gerne bei ihrem Namen nannte, „hättest du eigentlich einen anderen Be- ruf wählen sollen. Es ist schade, daß du diesen widerstandsfähigen Körperteil nur zum Sitzen ver- wendest!” Nun war man wieder bei den Erinnerungen ange- langt; und da zeigte es sich, wie es oft zu ge- schehen pflegt: Einer leidet, andere haben daran Ihren Zeitvertreib. Während der Wirt seinen Sohn weiter verdrosch, plauderten die alten Herren von den Hieben, die sie in ihrer Jugend bekommen hatten, Da konnte der Domherr ohne aufzuschnei- den Berichte geben, die so lebendig waren, daß mancher sagte, alles stehe so deutlich vor ihm, daß er sich fast einbilde, der oder jener Körper- teil brenne jetzt noch von den erhaltenen Hleben, Nur der Domherr lächelte und sagte: „Ich spüre nichts! Ich habe auch damals nichts ‚oder nur sehr wenig gespürt!” „Du warst eben am meisten von uns allen eintrai- niert! Wenn es damals schon so etwas wie Welt- rekorde in allen Lächerlichkeiten gegeben hätte, wie man sie heute veranstaltet, würdest du be- stimmt der Weltmeister des widerstandsfähigsten Hintern gewesen sein!” „Und dabei war mein Training ganz einfach!" VON JOSEF ROBERT HARRER sagte der Domherr. „Ich habe mir eben Immer, wenn Ich Hiebe ahnte — und das war fast täglich; denn ich hatte immer etwas auszufressen —, ich habe mir eine Hoseneinlage gemacht. Meist war es die umfangreiche Sonntagszeitung, die für mich die Hiebe erhieltl Obwohl ich so nicht viel von den Hieben spürte, schrie Ich dennoch recht laut, damit der Züchtiger nicht das Geräusch des Pa- plers hörtel” „Du Schwindler!” fuhren da die Freunde über den Domherrn her. „Und trotzdem hast du dir von uns etliche Centesimi geben lassen, wenn du unsere Streiche samt den folgenden Hieben auf dich nahmst! Das gehört heute nach so vielen Jahren noch bestraft!” „Wir werden den Hintern unseres lieben Domherrn vom Wirt verprügeln lassen!” schlug lachend der Musiker vor. Der Domherr wehrte mit dem Be- merken ab, daß er schon längst nicht mehr die Zeitung an der ominösen Stelle verberge, Da sagte der Dichter: „Vergessen wir nicht, daß uns der liebe Grassi, auch wenn er geschwindelt hat, dennoch so manche Prügelstrafen erspart hat. Aber er soll dem Knaben, der da eben von seinem Vater ge- Das Merkmal - La caratteristica ledert wird, sein Geheimnis verraten, das er so lange bel sicn behalten hatl” Man rief den Sohn des Wirtes; heulend kam er. Man tröstete ihn. Dann erzählte ihm der Domherr, wie er es als Bub gemacht hatte, wenn Prügel In Aussicht standen, Da leuchtete das tränennasse Gesicht des Knaben. Dankbar küßte er dem Dom- herrn die Hand... Die Zeit verging. Als sich die alten Herren wie- der in der Osteria trafen, fragten sie im Laufe des Abends den Buben, wie das Mittel des Domherrn gewirkt habe. Der Knabe schüttelte den Kopf und sagte düster: „Gar nichtl” „Komisch!” meinte der Domherr, „Bei mir hat es immer genützt!” Kleinlaut erwiderte der Knabe: „Mein Vater zieht mir nämlich seit neuester Zeit immer die Hose herunter, ehe er dreinhautl Es sei bei den heutigen ‚Zeiten schade um die Hosen, sagt ei Da schwiegen die alten Herren; sie griffen nach den Weinglösern und blickten versonnen auf das schöne Neapel und das blaue Meer. Nur der Dom- herr murmelte: „Arme Jugend von heutel Da hat- ten wir als Kinder doch eine schönere Zeit!" (€. Sturtzkopt) „Eine Dame raucht nicht, Else!“ „Quatsch nich! Wenn man Damenstrümpfe trägt, Ist man 'ne Dame!“ “Elsa, una signora non fumal,, — “Non dir sciocchezze! Una volta che s| portano calze da signora, si & anche una signora!,, 241 Es klopft (K. Helllgenstaodt) d „Halt — noch nicht 'reinkommen — ich hab’ noch keine Schuhe an!“ Bussano! "Alt! ... Non entrare ancora! ... Non ho ancora le scarpe!,, 242 DIE LANDPARTIE VON WERNER STELLY „Nein wirklich“, sagte meine Frau, „wir sollten nicht immer Sonntag nachmittags ins Kino gehen,“ 4 Es war Sonnabend. Ich war aus dem Dienst ge- kommen. Wir saßen bei Tisch und aßen. Ich sah sie an. „Angelika“, sagte ich, sie heißt Angelika, ihre Eltern gaben ihr den Namen, ich bin daran unschuldig. Wir waren schon zu lange verheiratet, um uns noch mit Kosenamen anzu- reden und noch nicht lange genug, um uns gegen- seltig Vater und Mutter zu nennen, „Angelika”, meinte ich, „sagtest du nicht heute früh, ich solle nicht vergessen, die Karten für morgen zu be- sorgen?” „Nun ja. Aber ich finde wirklich, wir sollten ein- mal etwas anderes am Sonntag unternehmen. Im- mer ins Kino.” „Der Film soll aber sehr gut sein, Die Kritik war ausgezeichnet.” „Hast du denn die Karten besorgt?" fragte An- gelika. „Ja, natürlich”, sagte ich und holte die Geld- tasche hervor. Die Karten waren nicht darin. Auch in den Taschen meines Anzuges fand ich sie nicht. „Das verstehe ich nicht’, sagte ich. „Ich habe sie vorhin gekauft, Ich kann sie doch nicht verloren haben.” „Warum kannst du sie nicht verloren haben?“ fragte meine Frau Angelika. „Natürlich hast du sie vorbeigesteckt.” „Was sollen wir denn deiner Meinung nach mor- gen unternehmen?” „Du wirst sie vorbeigesteckt und dabei verloren haben”, sagte Angelika. „Wir sollten einmal eine Tour machen, eine Landpartie, einen kleinen Aus- flug In die Umgebung, Ich möchte wirklich einmal hinaus. Immer in der Stadt, im Lokal, im Kino, zu Hause, Daß dir das gar nicht Über wird, Ich weiß schon nicht mehr, wie ein Baum oder eine Kuh aussieht." „Nun, nun“, meinte Ich, „du übertreibst. Aber gut, meinetwegen, machen wir morgen einen Ausflug.‘ „Ich habe zu Frau Wolkenhauer gesagt, wir kämen morgen nachmittag bei ihnen vorbei.” Wolken- hauer ist unser Mlichmann. Manchmal kommt er, meistens aber kommt sie und bringt uns die Mlich. Sie wohnen außerhalb der Stadt und haben eine kleine Landwirtschaft. „Aha, sagte ich. Angelika sah mich an, Dann sagte sie leiser, als es sonst ihre Art war: „Ich hoffe, sie werden uns auch ein bißchen... Wo sie doch eine Landwirt- schaft haben. Du verstehst?‘ „Aha“, machte ich, Sagen: Sie selbst, hat es Zweck, in einer derartigen Lage seiner Frau zu widersprechen oder Vernunftgründe ins Feld zu führen? Ich war der Überzeugung, daß es keinen Zweck habe. Kinder und Frauen sind, wenn über- haupt, nur durch Erfahrungen belehrbar. Wir fuhren anderntags aufs Land. Das Wetter war » schön. Die Sonne schien warm, Schon im Zuge hielt ich Angelikas Idee mit dem Ausflug für gar nicht so schlecht. Das Getreide stand gut. Es war bald reif. Ja, Kornblumen wollte ich pflücken, ‚einen schönen großen Strauß blauer Kornblumen. Ein paar rote Mohnblumen dazwischen würden gut aussehen, aber sie halten sich nicht, die roten Blätter der Blüte fallen zu bald ab. Das wußte ich noch von früher. Ich wußte überhaupt noch so manches. Es fiel mir wieder ein, als wir im Zuge saßen und durch die sonnenbeschienene Landschaft mit Feldern, Wiesen und Weiden fuhren. Pferde und Kühe stehen auf verschiedene Weise auf. Pferd& erheben sich zuerst mit den Vorderbeinen, Kühe dagegen zuerst mit den Hinterbeinen. So war es doch? Die Kuh hat nicht nur einen Magen, sie hat deren vier; sie heißen: Pansen, Labmagen, Netzmagen und... Wie hieß der vierte? Vier waren @s doch? Wie lange war es her, daß ich das lernte. Es war so lange her, daß ich es wieder Vorlag und. Druc Hirth Kommanditgosellschai Varantwortt, Schriftleiter: Walter Foltzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. Bestellungen nei nstallon entgegen. — Bezugspreise: Einzelnummer 30 PI.: Abonnement Im Monat RM. 1.20 Nachdruck verboten. — Postschackkonto München 5920. Erfüllungsort vergessen haben dürfte. Ich würde im Keller in der Kiste nachsehen, ob die Schulbücher noch da wären. „Ob wir Kaffee bekommen?” fragte Angelika. „Was meinst du?” „Das kann schon sein”, erwiderte ich. „Das ist doch eigentlich das wenigste”, sagte An- gelika. „Sie müssen sich doch auf uns vorbereitet haben. Ich hoffe sogar, daß sie uns ein bißchen...” „Hm, machte ich. „Da bin ich nicht so ganz sicher. Wir bekamen Kaffee. Wolkenhauer führte uns in die gute Stube, Der rote Plüsch roch muffig. In den Sonnenstrahlen tanzten Stäubchen. Auf dem Vertikow stand eine Nippesfigur, ein Schuster- Junge, dessen einer Arm abgebrochen und durch ein Streichholz Im Innern am Körper festgehalten war. Frau Wolkenhauer kam mit der Kaffeekanne her- ein. Sie sprach recht laut. „Nun wollen wir erst einmal Kaffee trinken”, sagte sie, Als sie von einem nicht sehr großen Stück alten Topfkuchens abschnitt, sagte Angelika, wir hätten uns unser Brot mitgebracht, Sie sagte das sehr zögernd, „Dann legen Sie es man auf Ihre Teller, die ich Ihnen da hingestellt habe”, sagte Frau Wolken- hauer. Angelika kramte in ihrer Handtasche und brachte zwei eingewickelte Scheiben Brot zum Vorschein. Wolkenhauer begann von dem Kuchen zu essen, während seine Frau den Kaffee einschenkte. „Hast du keine Milch?“ fragte er. Sie verneinte. „Ein Milchmann und nicht einmal Milch zum Kaffee”, sagte er und lachte. Angelika legte mir und sich je eine Scheibe Brot auf die leeren Kuchenteller, Sie klappte ihr Brot auf, als wolle sie sehen, womit es belegt sei. Es war dünn mit Butter bestrichen. * „Du hättest aber doch ein ganz klein wenig Wurst aufstreichen können”, sagte Angelika zu mir. „Ich habe doch gar nicht...', sagte ich. „Ach richtig”, fiel sie mir ins Wort, „Du hast keine Wurst gefunden. Wir haben unsere Wochenratlon ja schon aufgegessen. Da konntest du natürlich keine aufstreichen.” „Ja“, sagte Frau Wolkenhauer laut, obwohl sie gerade ein Stück Kuchen abgebissen hatte, „man muß jetzt sparen.” „Was machen Ihre Furunkel, Herr Wolkenhauer?" fragte ich. „Sie hatten doch welche im Nacken, nicht wahr?“ „Mein Bruder hatte auch einmal darunter zu lei- den”, sagte Angelika. „Er legte Speck darauf. Das soll sehr gut sein. Das macht geschmeidig. Sie haben doch Speck?“ „Mit den Furunkeln geht es”, sagte Wolkenhauer. „Aber Rheumatismus habe ich. Kein Wunder, wenn man bei Wind und Wetter auf dem Wagen sitzen muß. Manchmal kann ich nachts keln Auge zu- machen vor Schmerzen.” „Mit Schmalz einreiben“, sagte Angelika. „Die Ärzte verordnen ja alles mögliche bei Rheumatis- mus. Das beste sind aber doch immer die alten Hausmittel. Mit Schmalz einreiben und dick mit Watte verbinden. Versuchen Sie das.einmal. Ich denke doch, daß Sie ein bißchen Schmalz im Hause haben.” Frau Wolkenhauer sammelte die Kuchenkrümel neben ihrer Tasse zusammen und steckte sie In den Mund. „Ich habe ihm ein Katzenfell gekauft”, sagte sie, „Das Schmalz essen wir lieber.” Ich bot Wolkenhauer eine von meinen beiden ZI- gärren an, die ich für den Sonntag gespart hatte. Er nahm sie an. Dann sprachen wir vom Wetter, das recht günstig für die Ernte sei. „Der erste Heuschnitt ist gut und trocken herein”, meinte Wolkenhauer, „da ist mir für das Vieh nicht bange. Die Kartoffeln stehen auch gut.” „Und da haben die Hühner natürlich auch gut ge- legt”, sagte Angelika. „Wir haben dieses Jahr besonders viel Hähne ge- habt”, sagte Wolkenhauer. „Wirklich?” fragte Angelika. „Mehr als sonst? Ja, da kann man es wohl aushalten. Wenn man doch auch ab und zu ein Hähnchen braten könnte.” „Ach ja’, sagte Frau Wolkenhauer, „wir halten es schon aus. Uppig Ist es ja auch nicht.” Und dann sah Angelika es ein. Sie erhob sich. „Wir wollen noch ein bißchen gehen”, sagte sie. „Haben Sie schönen Dank für den Kaffee.” „Mehr konnten wir Ihnen leider nicht anbleten”, sögte Frau Wolkenhauer. „Das haben wir auch nicht erwartet”, erwiderte Angelika, Ich pflückte noch einen schönen Strauß blauer Kornblumen. Als ich die Fahrkarten für die Rück- fahrı lösen wollte, fand ich in der rechten Westen- tasche die beiden Kinokarten. „Siehst du“, sagte ich, „daß ich sie nicht vorbei- gesteckt habe“, und zeigte Angelika die Karten. „Das sieht dir wieder so recht ähnlich“, sagte sie. „Wo ich so gern ins Kino gegangen wäre.” LIEBER SIMPLICISSIMUS A N \ (0. Nückel) Der Schuster Jens Nissen in dem Städtchen Bo- gensee auf Fünen (Dänemark) ist „Doppelver- diener”; er betreibt eine gutgehende Schuh- macherwerkstatt und Ist außerdem von der Stadt als Leichenträger angestellt, Seine Kunden sind mit diesem Nebenverdienst gar nicht einver- standen, denn er hat zur Folge, daß sie bei Jens Nissen ewig auf die Ausführung Ihrer Reparaturen warten müssen. Kürzlich war wieder eine Beerdigung und Schuster Nissen entdeckte zu seinem Schrecken im Trauer- zug den Kaufınann Olsen, dessen Schuhe er trotz heftiger Mahnungen schon vier Wochen zum Be- sohlen liegen hatte, Während der Pastor am offe- nen Grabe sprach, schlich er sich zu Olsen hin- über und flüsterte ihm ins Ohr: Straße 80 () mrut 1296). Br . — Unvetlangte Einsendungen werden .nur. zurück, lünct „Sie müssen schon entschuldigen, aber Sie sehen ja, wie beschäftlgt ich heute bin. Aber morgen, Olsen, das garantiere ich Ihnen, morgen kommen Sie dran...” * Zwischen Schweden und Finnland liegen Im Bott- nischen Meerbusen die „Schären“, Das ist eine Gruppe von zahlreichen Inselchen, die so klein sind, daß oft Jede Insel nur von einer Familie be- wohnt wird. Auf einer größeren Insel ist dann meistens ein Kaufmannsladen, wo die „Insulaner” allwöchentlich ihren Haushaltsbedarf decken. Es war im Beginn der barbarischen Kälte des vorigen Winters, als der Bottnische Meerbusen zum Tell bereits zugefroren war. Der alte Wester- man schickte deshalb seine Haushälterin mit einem Peik-Schlitten zur „Kaufmannsinsel” hin- über. Ein Peik-Schlitten ist ein kleiner Schlitten, der nur für eine Person berechnet ist, den man mit einem Stock (Peik) vorwärtsstößt, Durchgefroren kam die alte Haushälterin beim Kaufmann an und überreichte Ihm Westermans ge- mütvolle „Order“, die folgenden Wortlaut hatte: „Gib ihr ein Paket Knäckebrot, 2 Pfund Grütze und ein Kilo Mehl. Das Geld schicke ich mit der Post, da es mir über das Eis mit dem Schlitten noch zu riskant ist..." eitungsgeschäfte und Post- wenn Porto beillegl. — ‚hen. Der Sturm (Wilhelm Schulz) game a. „Ich habe fast nichts mehr zu tun; diese U-Boote nehmen mir alle Arbeit ab!“ La bufera: “Non ho quasi piö nulla da fare; questi sommergibili mi liberano da ogni lavoro!,, 244 München, 28. April 1943 A 48. Jahrgang/ Nummer 17 30 Pfennig SiMmPLIcissimuS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHA MÜNCHEN Versenkte Munition (Erich Schilling) „Frau Hai sind in Trauer?“ — „Jawohl, mein guter Mann hat auf eine amerikanische Granate gebissen !“* Munizioni affondate: "Signora pescecagna, siete in lutto?,, — “Precisamente; il mio buon marito ha dato di morso ad una granata americanal,, Strandgut - Relitti di mare (Ga. Gaggell) ABSCHIED VON MEINEM PASS VON WALTER FOITZICK Ach, ich habe diesen Paß geliebt, er warder erste Paß meines Lebens. Vor Jahren hatte ich ihn er- obert, erkämpft mit der ganzen Energie eines In- dividuums, von dem nur bekannt war, daß es Deutscher ist, das aber nicht nachweisen konnte, ob selne Wiege unter dem sanften Zepter eines Fürsten von Reuß jüngere Linie gestanden habe, oder ob seine Ahnen den mächtigen Königen von Preußen gedient hatten, oder ob es gar die schönheitstrunkenen Augen zum ersten Male zu dem Symbol einer hanseatischen Stadtrepublik aufgeschlagen habe. Es war wirklich ein langer und harter Kampf gewesen, ehe ich meinen Paß erhalten hatte, in den, wie eine blutige Narbe der Vermerk eingekerbt wurde: „Preuße ohne Nachweis‘. Auch diesen Makel habe ich später ausmerzen gekonnt, und ein Nachweis Ist erbracht worden. Nein, das Ehrenschild meines behördlichen Nachweises ist rein. Ach, es war ein so schöner Paß. Vorne prangte die Fotografie eines blonden, haarumwallten Jünglingkopfes, der durch eine Brille kühn allen Paßbeamten Ins blendlaternen- helle Antlitz in manchen nächtlichen Schlafwagen geblickt hatte. Laut vieler Inschriften stellte die- ser Jüngling mich dar. Ein letztes Jugendbildnis, von der Kammerzofe Greichen auf der Terrasse einer ‚Tiergartenvilla in Berlin aufgenommen und von einem deutschen Diplomaten entwickelt und kopiert, ein historisches Bildnis, Wieviele schöne Marken waren in dieses Büchel- chen hineingeklebt worden, braune, blaue, grüne, gelbe, rote, geziert mit den Hoheitszeichen und Wappen Europas, wie die Ruhmeshalle einer sieg- teichen Armee, und manche dieser Wapperl hat- ten sogar die Existenz ihrer Staaten überdauert. Eine ganze Generation von Grenzbeamten dieses Erdteils hatte unverständliche Dinge hineinge- schrieben und hineingestempelt, und mit vielen Sichtvermerken war mein Name in sämtliche Staatsregistraturen der politischen Polizelen ein- gegangen und ruht jetzt in kleinen schwarzen Kartotheksärgen bis ans Ende der Tage. Oh, ich liebte meinen Paß, denn er hatte den Mächtigen meiner Zeit kund getan, daß ich Ich sei. Da ging ich nun eines Tages mit klopfendem Herzen und ängstlichem Gemüt, wie halt der Mensch vor seinen Polizisten tritt, in das zustän- dige Amt und wollte den Lieblingspaß 'verlängern lassen. Ich reichte ihn durch die schmale Schieß- scharte des Schalters und — und er war gewesen. Verlängerung ausgeschlossen, ein neuer muß aus- gestellt werden. Ich versuchte auf seine präch- tige Erhaltung hinzuweisen, auf die Tatsache, daß noch für Dutzende von Stempeln Platz auf leeren Seiten sei, Tummelplatz für Wapperl und Un- leserliches. Man war freundlich aber erbarmungslos: Abgelau- fen wie eine Sanduhrl Der Paß mußte eingezogen werden. Ich warf einen letzten Blick auf die Jugendliche Erscheinung der zweiten Seite. Ich grüßte noch 246 einmal die Hoheitszeichen aller Länder, an denen die Grenzschikanen Europas und meine gelunge- nen Grenzübertritte hingen. Geht mein Paß jetzt in die ewige Ruhe eines Archivs eln, oder verfällt er einer thermischen oder dynamischen Vernichtungsanstalt? Ich grüße ihn zum letzten Male. Einem älteren Lyriker Verfuch's, den Frühling mit dem nötigen Aplomb auch heuer zu beflötigen, mit Inbrunft teils und teile mit Schmiß. Ich fürchte, es gerät dir miß. Die met’rologifchen Tatbeftände und die botan’fchen find am Ende ja ungefähr wie jedes Jahr. Doch in der Suppe fchwimmt ein Haar. Und zwar ein fozufagen graues ... Ja, tritt nur näher und befchau' es: es fiel von deinem eig'nen Kopf in Gottes grünen Suppentopf. Du kannft es, leider, nicht beftreitigen und, nochmals leider, nicht befeitigen. Es ift halt da. Punkt... Sattle drum, wenn fchon nicht ab, Freund, fo doch um, Ratatöochr Der Lenz (R. Krlesch) „Sag’ mal, Evi, warum sind bloß die Männer im Frühling so frech?“ „Ach, weißt du, da sind sie gerade vom Winterschlaf erwacht!" La primavera: “Dimmi, Eva, perche mai gli vomini sono sl sfacclatl soltanto in primavera?,, Ah sal, si sono destatl proprio adesso dal sonno brumale!,, 247 PANTOFFELSALAT VON SCHLEHDORN Es war einmal ein Paar goldner Pantoffel. Klein; so klein, daß sie zu den lebendigen Füßen paß- ten. Sie paßten auch zu dem Spitzengeriesel eines lachsfarbenen Morgenkleides. Und es lebte sich angenehm unter ihnen. Als die beiden nach Padua fuhren, der Stadt des Giotto und des heiligen Antonius, waren die Pan- toffel noch da. Aber als die beiden am nächsten Tag nach Venedig kamen, der Stadt des Tizian und des heiligen Marcus, waren sie nicht mehr da. Und als die beiden endlich in Perugia lande- ten, der Stadt des Perugino, in der Nähe des hei- ligen Franz, hatte man bereits höflich aus Padua geantwortet, sie seien in Zimmer 37 nicht da- geblieben. „Oh, die goldenen Pantoffel”, bedauerte die rei- zende Frau, als sie frühmorgens einen kleinen suchenden Fuß aus dem Bett auf den Teppich streckte, „Oh, die goldenen Pantoffel”, hatte Antonia be- wundert, als sie in dem großen Hotel in Padua das Zimmer 37 für neue Gäste herrichtete. Dann setzte sie mit nicht ganz sauberen Fingern das weiße Häubchen ab, nahm einen schwarzen Schleier über, unter dem sie aussah wie eine kleine Madonna, und ging zu der Kirche Ihres Namensheiligen, die mit ihren Kuppeln von außen wie eine Gasanstalt aussieht, Nicht weit davon stehen im Kreis 7 Dutzend berühmte Paduaner In steinernen Büsten und denken darüber nach, ob ihr Nachbar wirklich berühmt genug ist, hier zu stehen. Und der Gattamelata reitet auf dem Fleck, seit fast 500 Jahren, im Vergleich zu seinem vene- zlanischen Kollegen Colleoni der Generalstäbler unter den Kondottieri. Die kleine Antonia knlete in der großen Kirche und seufzie ein wenig und fragte fromm: „Sieh her, heiliger Antonius, diese kleinen Pantoffel, queste piccoline, piccoline pantoffole. Ich habe sie gewiß nicht'genommen. Aber die Signora war so reizend und der Herr sprach ein so schauriges Italienisch, und als sie am Mittag noch unter dem Bett standen, habe ich gedacht: vielleicht ein An- denken für die kleine Antonia, weil die Signora so reizend war. Und richtig, als ich sie probierte, paßten sie wie angegossen. Da habe ich dem Portier nichts gesagt und habe sie mitgebracht, um sie dir zu zeigen. Erlaub, daß ich sie behalte, heillger Antonius, queste piccoline, piccoline, pantoffole.” Einer von den kleinen Bronzeengeln, der am Grab einen Leuchter hielt, hat ihr gesagt, der Heilige sel einverstanden, „das heißt, behalten darfst du sie nicht, Aber bis die Signora sie zurückverlangt, darfst du sie tragen, wenn du fromm bist.” Matteo, ihr Bräutigam, fand das auch, und das sind nun schon 8 Jahre her; sie sind schon 7 Jahre verheiratet. Und Antonina, die älteste, bewun- dert die langsam verblassenden goldenen Pan- toffel und hört mit großandächtigen Augen zu, wenn die Mammina die erbauliche Geschichte er- zählt, wie der heilige Antonius ihr damals die goldenen Pantoffel geschenkt hat — der gute Heilige. (Aus dem Pantoffelheldenepos des Berliner Dichterkreises um Liesegang.) m».und wat soll ick Ihn‘ sagen. Wie ick rin- komme, find’ ick mein’ Aujust mit 'n Fremdkörper uff die Chäselong und knutschen da. ‚Raus‘, zu det Biest, und ‚hierjeblieben‘ zu ihn; det war een Wort, ‚Det Bändeljebinde und Kno- tenjeknibbel könn’ Se uff die Treppe veranstalten‘, Weg war se. Mein Aujust uff 'n Sofa wie 'n Pud- ding mit Hosenträjer und Schellfischoojen. Bloß ihrn eenen Pantoffel ha’ ick ihr noch nach- schmeißen müssn, — der war janz schiefjelatscht von lauta Seitensprünge.”“ Berliner Untergrundbahn - La Metropolitana di Berlino 248 „Ich muß Sie in Pantoffeln empfangen”, sagte Regierungsrat Gromcette, „aber ich habe als Er- innerung an den Weltkrieg das Zipperiein.” Er hätte mit seinen zusammengewachsenen Augen- brauen und dem melancholischen Zug der Men- schen, die eigentlich Abenteurer sind, auch Trou- badour, Torero, Conquistador oder Kondottiere sein können, und war Regierungsrat, — nirgend- wo als unter den Juristen findet man so viel Men- schen, in denen noch was anderes steckt. Als er mit etwas steifen Beinen zu demkunstreich eingelegten Sekretär ging, den er als Schnaps- schrank benutzte, sah man: es waren tatsächlich graugelb karierte, hinten heruntergetretene Kamel- haarpantoffel — ein Held auf Filzunterlage, Dann erzählte er, Von Reitstiefeln, die er sich früher auf der Wil- helmstraße anfertigen ließ, „wissen Sie, ich habe manchmal Musik gehört, Studentenlieder, Regimentsmärsche, Mädchenlachen und andere Kammermusik, — aber am schönsten klang doch das Singen der ersten Sporen über dem Trottoir.”” Von gefütterten, eingefetteten Jagd- stiefeln sprach er, unter denen der Schnee knirschte und die Äste knackten, wenn man sich lautlos heranpirschte, und besonders, wenn man später davon erzählte, „Ich gehörte damals zu den Klassikern des Jägerlateins.” Und von Frack- schuhen, die, wenn sie alt sind, mit Ihrem krake- lierten Lack und den hängenden Knöpfen ganz besonders verlebt aussehen. „Schuhwerk ist schließlich Kleidung, Pantoffel ist Philosophie. Unsere gute Frau Pudewil In der Por- tierloge: ‚Vata ist eben mal um die Ecke wejen 'n kleines Helles‘, sagt sie und begroßmuttert das ganze Haus, und sitzt und philosophiert In ihren leisen, großen, einwärtsgekehrten Pantof- fen. Die ihren sind allerdings grün und Plüsch“, setzte er als Sachkenner hinzu. „Und Pantoffel ist Poesie. Was wäre ‚Tausend und eine Nacht‘ ohne den beim Erzählen leise wip- penden, rosenduftenden Pantoffel? Was wäre aus Aschenbrödel ohne die Pantoffelprobe gewor- den? ‚Und er war klein und zierlich und ganz gol- den‘, heißt es im Mär- chen.” „a“, ergänzte der Be- (K. Rössing) sucher, der das wußte, „eine glückliche Ehe Ist ein Märchen, wo Er die Pan- toffelprobe bestanden hat. Denn es gibt zweierlei Ar- ten von Ehen (sagt ein kluger Mann): solche, bei denen der Mann unterm Pantoffel steht, und — un- glückliche.” „Und es gibt zwei Aus- klänge männlichen Schick- sals: unter ihm oder auf ihm.” „Lassen Sie gut sein”, trö- stete Regierungsrat Jullus, „man kann auch in Pan- toffeln ein Herr sein.” „Gewiß, aber nur ein alter Herr.” Iv. Die entscheidende Ge- schichte zum Pantoffelsalat muß nun Jeder Ehemann aus Eigenem beitragen. Wenn er sie nur seinem besten Freund nach der zweiten Flasche anvertraut, ist es eine traurige Ge- schichte; zu viel Essig in dem Salat. Wenn er sie aber seiner Frau erzählen kann, sonntags zum Früh- stück, oder abends spät, dann langt sie für mehr als tausend und einen Tag. Schöne Aussichten ans „Sie wollen für heute Abend frei haben, John?“ „Ja, Mylord, ich möchte gerne zu dem Sowjetvortrag ‚Über den Genick- schuß und seine praktische Anwendung in besseren Häusern‘ gehen!“ Belle prospettive: “John, questa sera volete esser libero?,, — ‘Si, Mylord; avrei molta voglia di andare alla conferenza sovietica sopra la scarica nella nuca e il suo pratico uso per famiglie rispettabilil,, 249 DER RETTER DER STADT In der alten deutschen Festungsstadt Thorn lebte zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges ein Mann, der in gewissen ‚verführerischen Augenblicken seines Lebens in bedenkenloser Weise einem Ge- werbe nachging, das die Helligkeit des Tages scheute: er stahl. Er war sonst ein ausgezeich- neter Mann, der seine Familie auf ehrliche Weise durch das Handwerk eines Kesselschmiedes er- nährte, aber hin und wieder kam es über ihn, schön blinkende Gegenstände aus Silber oder Gold in seinen Besitz zu bringen, nicht etwa um sie gegen klingende Münze zu verkaufen sondern um sie In einem geheimen Raume seines Hauses anzusammeln und sich zuweilen, wenn ihn eine diabollsche Lust dazu drängte, an Ihrem lockenden Gefunkel zu erfreuen, Lange Zeit ging alles gut, niemand wußte sich zu erklären, wer der Urheber der Diebstähle sei zumal keine der gestohlenen Sachen je im Handel auftauchte und man also auch keine Spur verfolgen konnte, — da wurde der seltsame Mann eines Nachts bal frischer Tat ertappt uhd ins Gefängnis geworfen. Man durch- suchte seine Wohnung und stieß endlich auch auf jenen geheimen Raum, in dem man nun staunend all die blinkenden Dinge beisammen fand, die schon seit Jahren aus den verschiedenen Haus- halten Thorns entwendet worden waren. Es herrschte ein händeringendes Entsetzen über den Sünder in der braven Stadt und eitel Freude bei allen denen, die ihren so schmerzlich vermißten Besitz an schönen Gold- und Silbersachen nun plötzlich wiedererhielten. Dem Dieb wurde der Prozeß gemacht und da man damals einen Unteischled zwischen gemeinem Diebstahl und krankhafter Anlage nicht kannte, wurde der Mann zum Tode durch den Strang ver- urtellt. Er saß hinter festen Gittern, an denen er vergebens rüttelte, und sah seinem schmachvollen Ende mit einem Empfinden desGrauens entgegen. Gerade In jenen Tagen gelangte das Gerücht in die Stadt, ein schwedisches Heer unter Führung des Generals Wrangel befinde sich im Anmarsch und habe die Absicht, sich für einige Zeit In der Stadt Thorn einzunisten. Man wußte, was das zu bedeuten hatte wo sich ein schwedisches Heer einquartlerte, da zog es nicht eher wieder ab, als bis der letzte Sack Mehl und der letzte klingende Heller aus der Stadt herausgepreßt worden waren. Es wäre also sinnlos ge- wesen, einen solchen Besuch an- zunehmen, und es gab nur ein einziges wirkungsvolles Mittel, ihn zu verhüten: indem man mit gut gezielten Kanonenkugeln zur Abwehr schritt. Zunächst schickte man aber zwei Spione Ins Freie, die auskund- schaften sollten, ob das er- schreckende Gerücht überhaupt auf Wahrheit beruhte. Man nahm einen Schuster und einen Schnei- der dazu, zwei Leute, die In dem Ruf großer Geriebenheit standen; die aber sonst nicht viel taugten, so daß man sich sagte: wenn diese beiden wirk- lich bei. dem Abenteuer zugrunde gehen sollten, so hat die Stadt nicht allzuviel verloren. Die bei- den Auserwählten zogen mit energischen Spcherblicken hin- ERZÄHLUNG VON HANS BETHGE aus, und sie waren etwa eine Meile weit ge- kommen, da hielten sie es für richtig, sich zu- nächst einmal geruhsam in dem Graben neben der Landstraße auszustrecken und einen Teil der mitgenommenen Lebensmittel zu verzehren. Sie tranken auch einen guten Schluck dazu und schlummerten dann, solange ihnen das Schick. sal die suße Gabe des Schlafes vergönnte, Nach dem Erwachen erzählten sie sich lachend allerlei lustige Geschichten, äugten zuweilen vor. sichtig über den Grabenrand, stellten zu ihrer Genugtuung fest, daß bis an den fernen Horizont hin keln Feind zu erblicken war, und nachdem sie so volle vierundzwanzig Stunden faulenzend in dem Graben zugebracht hatten, rüsteten sie sich und kehrten guten Mutes in ihre Heimatstadt Thorn zurück. Sie erzählten doıt von mannigfachen aus- gestandenen Gefahren und berichteten, daß der General Wrangel nicht daran denke, Thorn einen Besuch abzustatten, daß er vielmehr sicheren Nachrichten zufolge bereits in eine andere Rich: tung abmarschlert seı. Die Stadt hörte diese Meldung mit Freuden, und der Schneider sowohl wie der Schuster, deren Verdienste Ja in Wirklichkeit nur darin bestanden, einen Tag lang faul In einem Graben gelegen zu haben, wurden für !hre ausgestandenen Mühen mit besonderen Auszeichnungen belohnt, die sie mit würdigem Ernst, doch ohne Sträuben, ent- gegennahmen. Der Magistrat hatte nun Zeit, sich wieder mit dem gefangenen Dieb zu beschäftigen, und um dem Volk die schon lange erwartete Sensation nicht länger vorzuenthalten wurde die Exekution gleich auf den nächsten Tag festgesetzt. Als am frühen Morgen das Armesünderglöcklein erscholl, setzte sich der Zug nach dem Richtplatz in Bewegung, der Bürgermeister, verschiedene Mitglieder des Magistrates, die Büttel, deren einer den gefessel- ten Dieb an einem Hanfstrick leitete, der Henker, der Pfarrer und eine endlose Schlange des Immer nenglerigen Volkes. DerRichiplatz lag in der Nähe 250 DER „SIMPLICISSIMUS" GRATULIERT SEINEM LIEBEN MITARBEITER HEINRICH KLEY ZUM 80. GEBURTSTAG der Stadtmauer, und der Galgen ragte hoch über den Mauerkranz hinweg. Nachdem dem Sünder noch einmal seine Ver- gehen vorgelesen waren und ein Stadtbeamter den Stab über Ihn gebrochen hatte, führte ihn der Henker zur Leiter, die der Unglückliche bebend und gesenkten Hauptes mit zögernden Schritten emporstieg. Der Henker, von menschlichen Ge- fühlen nicht beseelt, gab ihm einen Stoß in den Rücken und raunte Ihm zu: „Beeile dich. Mann, dir känn weder Gott noch der Teufel mehr helfen.” „Der Teufel nicht’, erwiderte der Dieb, „aber Gott würde es schon können, wenn er wolltel” Damit war er auf der Höhe der leiter angelangt, und der Henker, einige Sprossen unter ihm stehend, begann die Schlinge In seinen Händen zurechtzulegen. Der arme Sünder richtete noch einmal seine Augen in die ferne heimatliche Land- schaft, um einen letzten freundlichen Eindruck mit ins Jenseits hinüberzunehmen, da hob er plötzlich erregt seinen Arm, wies in die Ferne und rlel: „Die Schweden kommen! Das schwedische Hear rückt anl“ Der Henker stieg schnell die letzten Sprossen hin- an, äugte gleichfalls hinauf und rlef: „Er hat recht! Die Schweden kommen! Rettet die Stadt!” Nun entstand ein ungeheurer Tumult, alles flutete wild durcheinander, der Bürgermeister komman- dierte: „Alle Kanoniere an die Geschützel” und jede: tat in Windeseile das, was Ihm in diesem Augenblick das Notwendigste schien. Die Stadt- tore wurden geschlossen, die Frauen kochten in den Waschküchen mächtige Kessel Wasser, um es den Ankommenden von dem Mauerkranz herab siedend auf die Schädel zu gießen, und als sich die Schweden der Stadt auf einen Kanonenschuß genähert hatten, da krachten auch schon die Böller los und schlugen mörderisch in die ersten Reihen des anrückenden Heeres ein. Die Rotten machten halt, sie hatten eine sc energische Ab- wehr nicht erwartet, und da sich die Geschütze Thorns durchaus nicht mit einigen Schreckschüs- sen zufrieden gaben, sondern immer wilder zu brüllen began- nen, so kam schnell das Kom- mando „Kehrtl” und die scnwe- dischen Truppen wendeten sich eiligst rückwärts, um Ihren Marsch auf ruhigeren Straßen fortzu- setzen, die weit um die tapfere Stadt herumführten, Thorn war gerettet. Daß man dem verdienstvollen Bürger, des- sen wachsames Auge Im richtigen Moment den Anlaß zur Rettung ge- geben hatte, das Leben schenkte, braucht kaum erwähnt zu wer den, — aber die Dankbarkeit der Stadt ging weiter: da man die Freude des Retters an schön funkelnden Gegenständen wohl kannte, so machte ihm der Magl- strat kurz entschlossen ein Paar herrlicher silberner Leuchter zum Geschenk, die ihn für alle Zeit daran erinnerten, daß er mit Got- tes Hilfe seine Vaterstadt vor der schrecklichen Heimsuchung durch die schwedischen Heer- scharen, sich selber aber vor dem Tode bewahrt hatte. {fr Bllek) Die Lockspeise en x Par Bl / | ME , u" i N „Nein, Georg, ganz ausgeschlossen, ich kann Ihnen nicht als Eva Modell stehen!" „Auch nicht, wenn Sie den Apfel behalten dürften?“ . L’esca: "No, Giorgio, & ascolutamente escluso ch’ io possa posare da modello di Eva!,, — „Nemmeno se poteste tenervi la mela?,, 251 Der Großvater - Il nonno (0. Hermann) „Sag', Vater, wat hat nur det Kleene, daß es so oft muB?“‘ — „Ach, Emma, det is eben det rasende Tempo der Zeit!" “Dimmi, papä, cosa ha il piccino che ha sl spesso bisogno?,, — Ah, Emma, ne & causa la pazza velocitä del tempo!,, ZWEI Hoch oben im Bergwald steht unsere Hütte. Noch einmal versucht es ein wackeres Häuflein zer- zauster Fichten, Sturm und Blitz Trotz zu bleten Dann beginnt der nackte Fels, Es Ist einsam hieı oben. Nur ein schmaler, von Wurzelwerk über- sponnener Jägersteig führt über Wildwasser und an brausenden Tobeln entlang zu unserer dürf- tigen Behausung. Besteigst du den verwitterten Felsblock, den In grauer Vorzeit die Faust eines Glganten aus den Schroffen gebrochen und her- abgeschleudeit hat, so Öffnet sich ein weite Blick über die begrünte Ebene des bayerischen Vorlandes Silberne Fäden durchziehen es, weiten sich zu Seen und entschwinden im Glast des VON A. WISBECK nördlichen Horizontes Hier und dort hat sich ein Dörflein, ein Marktflecken, in das saftige Weide- land gebettet. Dem Gebirge zu aber häufen sich um den Kern bescheidener Siedelung die kailk- weißen Quadern von Landhäusern, Fremdenheimen und Kurhotels Manchmal, in der schweigsamen Sommernacht, tragt der Wind die abgerissenen Klänge: schmeichelnder Musik aus den Bezirken des Lebens zu unserer Einsamkeit empor. Wir sit- zen auf dem Felsbrocken und rauchen unter dem flimmernden Sternenhimmel unser Pfeifchen.' „Kann mir schon denken, was sich 4a unten tutl* knurrt mit verbissenem Neid mein Arbeitskame- rad, der Maler Schnecker. „Gestatten gnädiges 252 MÄNNER UND STEFANIE Fräulein, daß ich Sie nach Hause begleite?’ ‚Aber nein, lieber Graf, ich wohne doch gleich neber- anl‘ ‚Tut nichts, mein Fräulein — ein kleiner Um- weg durch den Wald — die Nacht ist schön und heiß!" ‚Nur, wenn Sie ganz brav sindl’ ‚Ehren- wort, gnädiges Fräulein!” — — ‚Hildegard, wie kommı es, daß dein Abendkleid zerrissen ist?’ ‚Zerrissen? — — Ach Ja, Mutter, es fällt mir ein: an einem Gartenzaun verfing es sich.'” „Narrl” sage Ich zu Schnecker, „was geht das uns an? Hast du Schnaps? Nein? Nun, dann laß uns schlafen gehen!” Es Ist heiß in der kleinen Hütte, Sterne fınkeln durch das enge Fensterchen unse- rer Kammer. „Mich kann die ganze Welt — —I Tanz mit dem Dollar (©. Gulbransson) „Drück' mich nicht so, lieber Dollar!“ „Sei still, sonst lasse ich dich fallen, mein liebes Pfund! * Danza col dollaro: “Non stringermi sl forte, caro dollaro!,, — "Sta zitta, mia cara sterlina, se no ti faccio cadere!,, 253 Die Philologin (K. Helllgenstaedt) „In der Sprache Homers könnte ich eine elegante Bestellung auf Trockengemüse aufgeben, Aber wie drücke ich es kaufmännisch aus?‘ La cultrice di filologia: “Nella lingua d'Omero potrei dare un’ elegante ordinazione di legumi secchi, ma ... come esprimermi commercialmente?,, 254 höre ich noch im Halbschlaf meinen Kameraden murmeln. Ach ja, das war nun eine verteufelt harte und un- gewohnte Arbeit, zu der wir uns verdingt halten. Denn es galt, mit Säge und Axt eine Trace durch den Hochwald zu brechen. Der Kurverein hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, auf einer leicht zugänglichen Felskanzel einen Aussichts- pavillon mit einem Rundblickfernrohr und Auto- maten zur Abgabe von Pfefferminz, Toilettepapier und Kölnischem Wasser zu errichten. Für Stöckel- schuhe und Florstrümpfe wäre nun aber freilich der ehrwürdige Gamsjägersteig wenig geeignet gewesen. Und so sollte Im Verlauf der Trace ein gangbarer Weg mit Ruhebänken und Erfrischungs- stationen entstehen. Habt ihr schon einmal einen Baum gefällt? Einen richtigen, meine ich, nicht ein Birnböumlein eueres Gartens. Unmerklich beißt sich das Sägeblatt in das sparrige Holz und durch eisenharte Verknor- pelungen zur Dicke des Stammes durch. Aussichts- los erscheint dir dein Tun. Blasen bedecken ur- plötzlich die Innenflächen deiner Hände und plat- zen auf, Blut und Wasser tropft dir von den Fin- gem. Doch du beißt die Zähne zusammen, im Gleichmaß des Atems schiebt und zieht das Hebelwerk deiner Arme. Nun ist es endlich so weit! Die Axt her und einen Keil in die klaffende Wunde getrieben! Und da neigt sich auch schon der Wipfel zur Seite. Klirrend und krachend split- tern Äste, wirbeln Rinde und Nadeln durch die Luft. Dann streckt sich der tote Riese mit diımp- fem Gepolter in das Moos. Mit dem Stolz des Siegers, doch stille Wehmut im Herzen, stehst du vor dem Werk der Vernichtung. Gott möge mir verzeihen! Und nun der nächste Baum — und der nächste —I Man sagt, jade Arbeit müsse gewohnt sein. Aber, wie lange braucht man, um sich an eine Arbeit zu gewöhnen? Wir taten es jedenfalls nicht, son- dern wurden von Tag zu Tag schlaffer, Hätten wir wenigstens hin und wieder mit einem Schluck Schnaps unsere Lebensgeister aufschrecken kön- nen! „Habe ich nicht ein Krüglein Enzian bei dir gesehen?” frage ich Schnecker. „Nein“, erwidert der, und sieht zur Seite. „Es war Heißgetränk, und ich habe damit meinen zerbrochenen Pfeifen- kopf zusammengeklebt.' Daß wir unter diesen Umständen keine Muße fan- den, auf die Erhaltung unseres Äußeren zu achten, versteht sich. Kinn und Wange starrten von Bart- stoppeln, Harz, mit Fichtennadeln vermengt, hatte sich im Haupthaar eingenistet, In Hemd und Hose klafften breite Löcher. Doch, was tat es? Die Hirschkuh, die uns mitunter über den Weg lief, nahm keinen Anstoß, sondern äugte uns mit Ihren sanften Augen liebevoll an und trollte sich lang- sam in das Holz. Es dämmert bereits, als wir von unserer Arbeit auf die Lichtung treten. Da stockt unser Fuß. Was steht vor unserer Hütte? Ein Menschengebilde, wie es scheint, denn es trägt einen himbeerfarbe- nen Pullover, ein kariertes Röckchen und eine Mütze, von der eine Quaste wedelt. „Ein Weib!" schnaubt mein Kamerad, „Ja, eine Dame“ berich- tige ich, denn Schnecker ist manchmal unfein, Vorsichtig, um die Erscheinung nicht zu verscheu- chen, pirschen wir uns an sie heran. Es war Ste- fanle, wie Ich schon an dieser Stelle bemerken will, Damals hielt ich sie für das schönste Mäd- chen des Erdenrundes, aber es mag sein, daß es noch schönere gibt. Doch war ich eben der Ver- gleiche entwöhnt, Jedenfalls, und darauf bestehe ich, hatte sie die Augen einer Gazelle. Ihr Eng: gelocke schimmerte bläulichschwarz unter dem Mützchen hervor. Die herben Formen der Brust prägten sich deutlich ab, und ich mußte mich über Schnecker ärgern, der in seiner unfeinen Weise darauf hinstarrte, während ich nur das zierliche Spiel der Kniescheiben einer verstohlenen Be- trachtung unterzog. „Was wünschen das gnädige Fräulein?” frage ich und versuche vergeblich, einen Harzknollen, der mir über die Stirne fällt, aus meinem Haar zu zerren. „Ich wünsche ein Nachtquartier”, antwortete ohne jede Verängsti- gung das Mädchen, „denn ich habe mich ver- laufen. Wollte auf die Blauwasser-Hütte, und nun kommt die Nacht. Gehört euch diese Baracke?” „Ja, übertreibe ich, „wir sind die Inhaber, und es wird uns eine Ehre sein, Sie zu beherbergen.“ Wir treten in die Hütte, ich mache Licht in der Laterne und deute auf unsere Strohsäcke. „Wählen Siel” sage ich. „Und wer von uns beiden soll auf dem anderen schlafen?” stottert Schnecker. Denn er war wirklich kein feiner Mann. „Wir werden in einem anderen Raum nächtigen!” verweise ich ihn scharf, Ach ja, da war noch ein kleiner Zie- genstall, und seine Streu bewies noch unverkenn- bar seinen Zweck. Aber, was lag daran? Der Ge- danke, daß nebenan eine Frau atmete, mußte ent- schödigen. Wir plaudern noch ein wenig mit der Dame, dann kriechen wir In den Stall und werfen uns auf die Streu. „Wir wäre es, wenn du morgen die Bäume ankerben würdest?” frage ich meinen Kameraden. „Ich habe mir nämlich den Knöchel verstaucht und werde nicht zur Arbeit gehen kön- nen.‘ „Ich auch nicht“, kommt es aus der Ecke heraus, „Ich habe mir den Daumen angesägt.” Das war eine Lüge, wie ich am nächsten Tag fest- stellen konnte, Doch ich wär zu takıvoll, darüber zu sprechen. In der Morgendämmerung schon krieche ich aus dem Stall, gehe zur Quelle hinunter, rasiere mich, so gut es eben geht, und wasche mir den Kopf, Als ich wieder oben bei der Hütte ankomme, sitzt Schnecker frisch rasiert davor und flickt sich das Hemd. Wir tun so, als hätten wir die Ver- änderung unseres Äußeren gar nicht bemerkt. „Hast du Nähzeug?“ fragte ich Schnecker. „Nur diese eine Nadel“, schmunzelte dieser gemeine Kerl und stichelt frisch darauf los. Hätte ich ihm nun vielleicht sagen sollen, daß ein dunkler Harz- knollen in seiner Ohrmuschel saß, sollte Bosheit durch Anstand belohnt werden? Wir saßen schwel- gend nebeneinander, dann tritt Stefanie aus der Hütte. Noch schöner als gestern, dünkt mich, Wenn sie lächelt, blitzen ihre Zähne durch den korallenroten Spalt geschwungener Lippen, über der schmalen, edel gewölbten Stirne gleißt blau- schwarz das wellige Haar. Wir gehen plaudernd in die Hütte, und ich bereite unser gewohntes Frühstück, einen Schmarrn. „Du hast zu wenig Schmalz in die Pfanne gegeben”, sagt mein Kamerad und wirft einen gewichtigen Klumpen auf das Blech. „Nur ein Versehen!” antworte ich und haue noch ein faustgroßes Trumm oben dar- auf, Stefanie sieht lächelnd zu und ist uns behilf- lich, wo sie kann. „Nun muß ich aber bald auf- brechen‘, sagt sie nach dem Frühstück, „ein Be- kannter erwartet mich auf der Blauwasser-Hütte.”“ Es gefällt uns nicht, daß sie dies sagt. Wir schwei- gen und sehen vor uns hin, „Kann mich einer von euch so welt begleiten, daß ich den Weg finde?“ fragt Stefanie. „Mein Freund wird in Sorge um mich sein.” Es gefällt uns noch weniger, wie sie das sagt. „Ich habe mir den Knöchel verstaucht”, entschuldige ich mich, „aber mein Kamerad wird Sie begleiten. Er hat sich nur den Daumen ange- söägt.“ Schnecker sieht mich gehässig an. Die beiden wollen gerade aufbrechen, da hört man Schreie aus der Richtung der Blauwasser- Hütte, Stefanie horcht auf. „Das ist er, das ist er!” ruft sie aufgeregt! und versucht, die Schreie zu erwidern. Aber Ihre Stimme ist zu schwach. „Kann einer von euch jodeln?“, fragt sie uns. „Nein“ sagen wir gleichzeitig, „wir haben es nie gelernt.” Nun kommen die Rufe nöher und schließ- lich tritt ein junger, nach allen Regeln der alpi- nen Mode gekleideter Mann auf die Lichtung. Schon läuft ihm Stefanie entgegen, und wir sehen, wie sich die beiden küssen. Jawohl, das tun sie. „Er war In furchtbarer Sorge und hat mich ge- suchtl” sagt Stefanie, während die beiden in die Hütte treten. „Könnte ich vielleicht bei euch ein kleines Frühstück bekommen?” fragt der junge Herr so nebenbei, denn er blickt unverwandt in Stefanies Gazellenaugen. „Gerne“, grinst Schnek- ker, „wir haben noch eine Handvoll Mehl, und Wasser können wir an der Quelle holen.” Der Junge Mann versucht es, einen Löffel des zähen Fladens hinunterzuwürgen, dann verabschieden sich die beiden. — Und da sitzen wir nun wieder auf dem Felsblock unter dem flimmernden Sternenhimmel und rau- chen unser Pfeifchen, Aus dem Tal schweben die abgerissenen Klänge schmeichelnder Musik zu unserer Einsamkeit empor. „Mich kann die ganze Welt — —” murmelt Schnecker vor sich hin. „Mich auch”, sage ich, „aber eine Flasche Schnaps wäre mir noch lieber.” Mein Kamerad sinn! ein wenig vor sich hin, dann kommt es verlegen von seinen stotternden Lippen; „Überdies fällt mir ein: im Zlegenstall, unter der Streu könnte sich noch ein Krug Enzian finden.” Wir fanden den Krug und tranken Ihn leer. LIEBER SIMPLICISSIMUS 10. Nückol) Der Geiz des Großhändlers Niels Sörensen — er lebte vor dem ersten Weltkrieg — war in Kopen- hagen sprichwörtlich, und als er gestorben war, erzählte man über seine „Himmelfahrt folgendes: Sörensen kam zur Himmelstür zu Petrus. Dieser fragte ihn nun: „Sörensen, was für gute Taten haben Sie auf Erden vollbracht?” — Sörensen dachte nach und dachte nach. Schließlich sagte er: „Ja, ich habe einmal vor 20 Jahren unserer Portierstochter eine Krone als Beihlife zum Kon- firmationskleid geschenkt.” — „War das alles?” — „Richtig, ichhabe auch einmal 40 Ore bei einer Sammlung für arme Kinder gegeben!” — „Das ist ja nicht viel", sagte Petrus, „aber Ich werde mal den lieben Gott fragen Nach einer Weile kam Petrus zurück: „Also Sören- sen, ich soll schön vom lieben Gott grüßen. Hier haben Sie die kr, 1.40 zurück — und nun sollen Sie sich zur Hölle scheren.” * Der Sonderzug für Fronturlauber Wien—Vlissin- gen hatte eben die Mainbrücke bel Kitzingen über- quert und keuchte empor nach Rottendorf, da wachte mein Gegenüber mit der Armbinde „Feld- gendarmen-Korps” auf. „Wat is dat for 'ne Jegend?’ Er kam an die richtige Schmiede: „Wir fahren zwischen Nümberg und Würzburg und schneiden eben die südliche Spitze des Main- dreiecks ab. In einer halben Stunde sind wir in Würzburg.” „Aha’‘, sagte der Mann, ganz im Bilde, „und ick dachte zuerst, dat wär allens noch Bayanl” G.M. * Get Bobby halte eine neue Hausschneiderin. Die Schneiderin schnelderte den dritten Tag: Graf Rudl betrachtete sie verwundert, „Eine gräßliche Person, lieber Bobby!” Die Schneiderin geht Ins andere Zimmer. „Und beim Gehen setzt sie die Füße einwärtsl” „Das macht sie nicht immer!" „Nein?” Graf Bobby schüttelte den Kopf: „Sicher nicht, Im Inserat hatte sie damals geschrie- ben: gehe auch auswärts!” I.H.R. Verlag und Druck: Ki Vorantworti, Schrittleiter: Walter Folt Anstalten onigegen. — Bezugspreis : Einzelnumma & Hirth Kommanditgesellschaft, München, ‚ München, — Der Simplicissimus erscheint wöchent 30 Pi,; Abonnement im Monat RM. 1. Nachdruck verboten. — Poslscheckkonio München 3920. Erlüllungsort München. in, mal. Bostel ‚nverlangto Einsenduni anschrift: München 2 BZ, Brieffach. 'e Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- Ion nur zurückgesändt, wenn Porto beillegl, — Die Kriegsgewinnler von Südamerika (Wilhelm Schulz) „Großartig, dieser Tonnagemangel! Man kann sich so richtig an Weizen vollfressen !" I pescicani dell’ America del sud: “Che bellezza questa mancanza di tonnellaggio! Cosi si possono dare delle grasse scorpacciate di frumento!,, 256 München, 5. Mai 1943 : 48. Jahrgang/ Nummer 18 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN UA ÄHNENSCHLOSS DER LoRDs ötät Gücakanison #3 „Darf ich Mylady zum Umgehen einladen?” — „Nein, danke, Mylord! Seitdem mich gestern dieser einquartierte amerikanische Lümmel in den Popo gezwickt und eine ulkige Rübe genannt hat, ist mir die Lust dazu vergangen!” Nel castello avito dei Lord: “Posso, Mylady, invitarVi a fare un giro di apparizione?,, — “No, grazie, Mylord! Poiche ieri il villanzone di americano, qui acquartierato, m’ ha pizzicato il deretano, dandomi della ridicolo' rapa, me ne & passata la voglial,, Atelierbesuch VIII - Visita di studio VIII (0. Nückel) P. P. Rubens in seiner Werkstatt, Halle VIl, Abtlg. 4B DER ZEIGEFINGER VON WALTER FOITZICK Vor mir geht eine Dame und ein kleiner Junge, Die Dame macht das, was Damen mit kleinen Jun- ‚gen, wenn sie mit ihnen spazieren gehen, meistens tun, sie erziehen ihn. Die Dame verbietet dem kleinen Jungen dasjenige, was er besonders gerne tun möchte. Sie weist ihn auf das Un- gehörige seines Benehmens hin, wenn er mit bei- den Füßen in eine Pfütze treten will, damit es ordentlich spritzt. Da er solches nicht tun darf, sinnt er auf. neue Lustbarkeit und da fällt ihm ein, daß er gestern gerade das Ausspucken entdeckt hat, Zum Glück fällt es ihm ein, denn das kann er gut betreiben, während er an der Hand der Mama weitergeht. Aber auch daran hat die Mut- ter merkwürdigerweise keine rechte Freude und sagt ihm, daß es sich gar nicht schickt. Das Kind seufzt und denkt vielleicht: „Alles Schöne ist verboten” oder auch „Das Leben Ist hart", Da fällt sein Blick auf einen Apfelsinenkarren, und er deutet begehrlich auf die schönen Orangen. Die Mutter aber weiß, was sie dem späteren Fort- kommen ihres Sohnes in der menschlichen Ge- sellschaft schuldig Ist und sagt: „Man zeigt nicht mit dem Finger auf Dinge, die man haben will.” So sagt die Mutter und verbreitet dabei feine Sitte und gutes Benehmen. Gerade gehen wir an dem Denkmal des Kurfürsten Max Emanuel vorbei und mein Blick fällt auf den bronzenen Landesvater, und da sehe ich, wie er seine Hand ausgestreckt hat und mit dem Zeigefinder zeigt. Er weist auf Stadt und Festung Belgrad, die er haben wollte, nehmen wollte mit stürmender Hand, wie man damals sagte. Dem hat vielleicht seine Mama nicht gesagt: „Emanuel, man zeigt nicht mit dem Finger auf Festungen, die man haben will.“ Aber der kleine Bub vor mir hat es Gott sei Dank nicht gesehen, sonst hätte er seiner Mama schön antworten können, wo doch Männer, die in Bronze Irgendwo stehen, sozusagen Vorbilder fürs ganze Volk sind. Und auch auf den Blücher hätte er hinweisen können, der mit dem Finger auf einen Punkt der Landkarte tippt und dabei sagte: „Wo llegt Paris? Paris ist hier. Den Finger drauf, das nehmen wir.” Ja, Prominente benehmen sich häufig etwas un- gewöhnlich und man kann sie nicht restlos zu Erziehungszwecken verwenden, Ich wäre fast zu der Dame hingegangen und hätte gesagt: „Hochverehrte gnädige Frau, das mit dem Zeigefinger ist so eine Sache. Auf den Marktplätzen der ganzen Welt und in vielen großen Hafenstädten stehen Herren in Stein und Bronze und weisen mit gestrecktem Zeigefinger hinaus in die Welt, auf Dinge, die sie haben wollten. Sie dürfen es also ihrem Herrn Sohn nicht allzusehr ‚verargen, wenn auch er seinen Willen zur Macht auf historische Art äußert. Viel- leicht ist er ein kommender Mann und braucht dann den Zeigefinger, um vorbildlich in die Welt zu weisen.” Übrigens, warum hat man den Finger, mit dem man nicht zeigen darf, eigentlich Zeigefinger ge- nannt? 258 P. P. Rubens nella sua bottega d’arte, rimessa VII, sezione 4B ÜBER NACHT Gestern noch lag die Heide brach. Über Nacht ist ein Regen eingefallen, Hat die lange Nacht Auf der kalten Heid’ Hinterm Birkenwald verbracht, Wie im Rausche Hörte ich den Regen lallen. Heute ist die Heide wach! Einer Lumpenmaid Hing der Regen an der Brust. Schau ihr'grünes Kleid, Bürgen stummer Lust! Blumen rot und Blumen blau Tragen süße Not zur Schau. Ob der Heid’ der Himmel rund Giert nach ihrem seligen Mund. FRITZ KNOLLER Maiski und Sikorski Emo) „Aber Brüderchen, wegen lumpiger zwölftausend Offiziere werden Sie uns doch nicht belästigen!" Maiski e Sikorski: ‘Ma, fratellino caro, non ci molesterete mica per diecimila straccioni di ufficiali!,, 259 Der Nörgler - Il criticone 0. Hegenbarth) „Karussell gefahren ist man zu meiner Zeit auch schon, aber mit größerem Ernst!" “Anche al miel templ sl andava in carosello, ma con piö serieläl,, ABENTEUER VON KARL LEMKE Wenn man dies Haus betritt, bleibt die Zeit draußen, empfand Rene. Die schwere Tür schloß sich schnell hinter ihm mit leisem Schnappen. Dicke Teppichläufer machten den Schritt unhör- bar. In Watte gepackt, lag reglose Stille im Raum. Rene sah sich im Dämmerdunkel um. Starre Pal- men in Kübeln, eine Ecke mit Klubsesseln um einen niedrigen Tisch, auf altersdunklen Bildern Gesichter versunkener Zeiten. Wohin führten diese Doppeltüren? War dies über- haupt ein Gasthaus? Der schwere Prunk des Raumes machte einen so privaten Eindruck. Bri- glite wollte ihn hier erwarten. Wie sie nur auf dies seltsame Haus am See gekommen sein mochte? Rene stand eine Weile unschlüssig. Niemand kam; nichts hier erinnerte an einen Restaurationsbetrieb. Nach langem Zögern öffnete Rene eine der Türen auf gut Glück, Er sah in einen Barocksalon, kaum mehr erhellt als der Vorraum. Große Schirm- lampen standen neben kleinen runden Tischen. Jede zeichnete mit ihrem Schein nur einen mäßig großen Kreis. Eine beschien die anmutige Gestalt Brigittes, Ihr kupfernes Haar glänzte dunkel. Wie ist sie schön! dachte Rene, indes er auf das Mädchen zuschritt. Eine heiße Welle ging ihm “ durch Herz und Stirn. Brigitte sah ihm mit weitgeöffneten Augen, in denen Furcht lag, entgegen. „Wir hätten doch nicht hierhergehen sollen”, flüsterte sie, als Rene sich über ihre Hand beugte. „Dies Haus —’ „Wieso? Was hast du?” fragte Ren& besorgt. „Angst, hauchte sie. Nichts regte sich. Kein anderer Gast war da, außer einem sehr alten Herrn, der am Nebentisch in ein Buch vertieft schien, „Du hast bereits für uns bestellt?” sagte Ren& mit Blick auf die Karaffe roten Weines, die auf dem Tisch stand. „Wir hätten doch nicht hierhergehen sollen”, wiederholte Brigitte. Ren6, mit unbestimmter Kopf- bewegung: „Du schlugst dies Haus vor. Du kann- test es.” „Ich kannte es? Ich war zweimal hier. Und beide ‚Male ereignete sich Seltsames. Ich weiß nicht, was mich veranlaßte, unsere Zusammenkunft hier vorzuschlagen...” BR „Was ereignete sich?” „Der Kellner trat ein; er brachte eine Tasse Kaffee mit Kuchen zu jenem Tisch da neben der Tür. Niemand saß dort. Nach einer Weile aber holte er das Gedeck wieder fort... Daß er an zwei lange auseinanderliegenden Tagen genau das Gleiche tat, ließ es mir auffallen.” Ren& lachte, eine Nuance zu laut. Der Klang, den Teppiche, Portieren, Polster sogleich aufschluck- ten, erschreckte ihn. Ein Zufall, wollte er sagen. Brigiites Hand, die plötzlich seinen Arm umklammerte, verhinderte es. Ihre Augen waren schreckhaft weit geöffnet auf die Tür gerichtet. Ren& folgte der Richtung ihres Blickes. Die Tür hatte sich lautlos aufgetan; ein Diener in schwarzer Livree — war es der Kellner? — trug auf einem Tablett eine Kaffee- tasse und ein Stück Kuchen auf einem Teller. Er stellte beides auf das kleine Tischchen neben der Tür, das vom Schein der danebenstehenden Lampe matt bestrahlt wurde, und an dem nie- mand saß. Fast sah es aus, als mache er dabei eine kleine Verbeugung. Dann entfernte er sich lautlos. Eine Stimme ließ Brigitte und Ren& aufschrecken. Der alte Herr am Nebentisch — hatte er schon vorher ihnen so nahe gesessen? — sagte ge- dämpft: „Seit zehn Jahren bringt er seiner Herrin jeden Tag zu dieser Stunde Kaffee und Kuchen —"“ „Aber sie ist nie da —", hauchte Brigitte. „Oh, sie ist schon da”, lachte der Alte leise, „man kann sie nur nicht sehen...’ Des Mädchens feingliederige Hand umkrampfte 260 noch immer Renös Arm. „Wer Ist sie?” flüsterte sie und starrte gebannt auf den kleinen Tisch und den leeren Sessel davor. „Sie Ist nicht, sie war", entgegnete der Alte ebenso leise. „Moorberg, der Beslizer dieses Hauses, hat sie an jenem Tisch kennengelernt. Sie kam oft, immer allein, täglich kam sie zu einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen. Sie war Jung und schön. Moorberg verliebte sich in sie. Und die Frau liebte bald auch ihn. Sie be- zog ein Fremdenzimmer im Hause. Das war eine Zeit —! Kein glücklicheres Liebespaar hat man je gesehen. Ein Jahr Glück... Aber sie war krank, schwer, unheilbar. Die Lunge. Ein Jahr wohnte sie hier; dann starb sie. Sie hatten sich gellebt bis zuletzt, Ach — und auch der Tod sollte sie nicht trennen, schworen sie sich. Sie versprach ihm, auch später immer um ihn zu sein... Seit- dem bringt der Kellner ihr jeden Tag Kaffee und Kuchen, an ihren alten Platz...” „Und holt ihn später wieder fort”, sagte Renö abschließend, Es sollte belustigt klingen; aber der Ton mißlang. Der Alte schüttelte den Kopf. „Nur das Geschirr“, flüsterte er. „Der Kuchen ist jedesmal fort, die Tasse leer... Sehen Sie .nur genau hin.” Brigitte unterdrückte einen Schrei. Ihre Augen wären voll Entsetzen auf den kleinen Tisch ge- richtet. Ihre Hand, die Renös Arm hielt, zitterte. „Sieh nur, sieh —I” hauchte sie. Auch Renös Augen hingen an der Tischplatte. War das Stück Kuchen nicht schon kleiner geworden? Ein Stück- chen bröckelte ab und fiel zu Boden. „Heute hat sie wenig Appetit”, kam die Stimme des Alten nebenan. Sein Umriß, im Halbdunkel des Zimmers nur schattenhaft sichtbar, verlor sich in der schwarzen Draperie an der Wand. Brigitte atmete heftig. „Fort“, flüsterte sie, „ich will fort! Schnell” Ren& legte Geld auf den Tisch, viel mehr, als die Zeche ausmachte. Sie erhoben sich schon, Brigitte an Ren&s Arm geklammert, „Wir müssen an dem Tisch vorbel...”, sagte Ren& tonlos. Des Mädchens „Ja“ klang wie die Stimme eines Kin- des im Schlaf. Sie hasteten vorwärts, der Tür*zu. Ihre Blicke aber konnten nicht los von dem Tisch, an dem Unfaßbares vorging. Noch drei, vier Schritte, In- des Renö schon die Tür aufstieß, sahen sie, wie der Kuchen auf dem Teller sich spaltete... Aus der Tasse verschwand der Rest Kaffee mit leisem Schlapfen. Vorbei. Den Vorraum durchmaßen sie laufend. Draußen. Die schwere Tür fiel hinter ihnen ins Schloß mit bösem, schnappendem Laut, wie hinter entgangener Beute. „Um Gottes willen nicht um- sehen!” keuchte Brigitte heiser. Sie eilten, Arm in Arm. Sterne glänzten. Links lag fahl und un- absehbar der See. „Wohin? fragte Renös ratlose Stimme. „Ich weiß nicht...”, entgegnete das Mädchen. „Kommst du zu mir?‘ fragte er und wußte nicht, woher ihm die Kühnheit kam. „Ja“, sagte Brigitte und drückte sich eng an Ihn. Da war mit einemmal das Dunkel verändert, freundlich. Eine gewaltige Freude überrauschte das grausige Abenteuer und spülte es fort ins Vergessen. MEIN FREUND JOHANNES Johannes wollte verreisen. Ich brachte ihn an die Bahn. Als wir zum Schalter kamen, seine Fahrkarte zu lösen, fanden wir dort eine endlose Schlange vor. „Zu unvernünftig sind die Leute doch!" grollte Johannes. „Daß sie immer alle erst im letzien Moment kommen müssen!” „Darüber solltest du ja eigentlich wohl nicht schimpfen, Johannes. Schließlich hast du es ja auch nicht besser gemacht”, wies ich ihn zurecht. „Ich bin ja auch nur eine Person, Das macht Ja nichts aus”, sagte Johannes. „Aber die vielen!" J. Bieger Mars und Mord (Erich Schliling) Mars: „‚Pfui Teufel! Immer wieder diese Luftangriffe auf Frauen und Kinder, damit will ich nichts zu tun haben!" Marte e |’ Assassinio: Marie: "Maledizione! Sempre nuovi attacchl contro donne e fanciulli! Io non voglio plü averne a che farel,, Graf Bobbys große Stunde Grat Bobby las die Geschichte von der seligen Königin Viktoria, die elnes Tages ihre Seekadet- ten besichtigte Gerade als sie die-Front abschritt, passierte ihr etwas Menschliches. Da abeı Königinnen, beson- ders wenn sie elne Parade abnehmen, gemeinhin sich für höhere Wesen halten, so war ihr die un- freiwillige Äußerung ihres Inneren Zustandes sichtlich peinlich. Ein Seekadett, der als zukünftiger Offizier sich jederzeit für seine Landesfürstin zu opfern hat, trat daher einen Schrit vor die Front und sagte: „Verzeihung, Majestät, das wa: Ich.“ „Das macht nichts, Herr Leutnant‘, sagte geistes- gegenwärtig die Queen. „Verzeihung, Majestät, ich bin nur Fähnrich”, stot- tere der Seekadelt. „Nein“, sah ihn die Königin voll Gefallen an, „Sie sind Leutnant. Denn wer sich bei einem kleinen Wind schon so gelstesgegenwärtig benimmt, der wird auch ein Scnifl Im Sturm führen können." Diese kleine Anekdote las also Graf Bobby, las 261 sie noch einmal und dann sprach er bei sich „Aha, das muß ich mir merken.” Als er dann nach Wien zu einer Waffenübung ein gerückt war, wurde sein Regiment von dem alten Erzherzog Leopold inspiziert. Wie nun Seine Kal- serliche Hoheit die Front abschrltt, war die große Stunde für den Grafen gekommen. Nun, Sie wer- den schon erraten, was dem alten Herrn In die- sem Moment passierte Aufgeregi trat Bobby einen Schritt vor die Front, salutierte und rlef: „Verzelhung, Kalserliche Hohelt, das warn Siel” H. Sch AUF DEN HUND GEKOMMEN Ach, was Ist das Leben lächerlich einfach, wenn die Sonne scheint, die Vögel toll tun und einem die Halme in den Mund wachsen! Herrgott, diese Sommerzeit mit ihrer Lustigkeit und Füllel Du legst dich In’die hohen Ähren und gähnst und schläfst, und abends melkst du anderer Leute Kühe, und die Mägde lassen sich in die Schenkel kneifen, und du bist immer satt und hast nichts als dumme Gedanken. Du ziehst die Fische aus fremden Teichen, und wenn du brav tun und ein neues Leben beginnen willst, pflückst du dir wilde Beeren und stiehlst des Nachts nicht bei einem viel, sondern bei jedem eine Kleinigkeit, Nicola lebt mitten In so einem Sommer; ein königlicher Bettler. Und Nicola ist nicht Immer nur satt oder sinnlich; er denkt nach über die Dinge, Er denkt daran, daß er nicht gern Millionär in einem Sommer sein möchte; ein Millionär kann nicht tun und lassen was er will und muß wohl den ganzen Tag Kopfschmerzen über die Grübe- lel haben, wie es um seine Millionen steht; so ein armer Hund. Ein Millionär kann nicht einmal fremde Kühe auf den Weiden melken, erstens ver- steht er es nicht, und zweitens kann er es nicht tiskieren, deswegen ein paar Tage eingesperrt zu werden. Wahrscheinlich muß dieser arme Hund von Millionär immer vor irgendjemand auf der Hut sein. Sicher, er kann sich viele Kokotten hal- ten. Aber solche Kokotten bringen ihm auf die Dauer nichts als Ärger, sie drohen mit Anzeigen, machen Szenen und wollen Pelzmäntel und Ringe geschenkt haben. Derlel denkt Nicola sich aus, und bei dem Denken kommen ihm Immer neue Einfälle, so noch der: Der Millionär sitzt mit seiner Oberkokotte in einem großen Automobil, und sie fahren durch die Sonnenblumenfelder und sind mächtiger als alle anderen Menschen zusammen; wenigstens glauben sie das, Da wird dem MII- lionär plötzlich so zu Mute, und er nimmt eine Hand vom Steuer und legt sie auf den Schenkel der Oberkokotte, und ein Auge spaziert der Hand nach, Somit hat er also schon seinen hal- ben Verstand verloren. Nun kommt eine Mücke angeschwlırt und fliegt dem Millionär direkt in das gesunde Auge; er nimmt auch die gesunde Hand vom Steuer — der Wagen überschlägt sich, die Oberkokotte und der Millionär brechen den Hals; aus, wle lustig! So freut sich Nicola, daß er kein Millionär und nur ein Bettler ist und Im Sommer lebt, ganz füı sich, ein Bettler und ein Denker Nicola ist aber doch nicht ganz allein, weil er auf seine Art mächtig Ist; unter den Blinden Ist der Einäugige König. Nachmittags setzt er sich auf eine Bank und blinzelt über die Felder und legt sich dann hin; er sonnt sich und läßt die Hand von der Bank herabhängen. Und dann kommt ein anderer Bettler, der schön vor ihm tut, Nicola spürt, halb schon im Schlaf, eine kalte Schnauze und einen warmen Atem an seiner Hand und brummt. vor sich hin „Weg, du alter Schnorrerl” Schließlich aber richtet er sich schimp- Die Nachtschwalbe DieNacht war hellund warm.dieSeelescimwang Im Lidıt, als wollte sie sich Sterne pflücken. Idı lauschte tief, da kam vom Sandsteinrücken Des Ziegenmelkers surrender Gesang. Ich stieg hinan. Da stand die munderliche Nadıtschwalbe vor mir auf am Heidehang Zuckenden Flügelschlags, Es mar, als stridıe Des Todes Vogel ab zum Seelenfang. Heinz Friedrich Kamecke VON KURT GROOS fend auf, nimmt ein Stück Brot oder einen alten Knochen aus der Tasche und spuckt große Bogen und macht gewaltige Worte zu dem hergelaufe- nen Hund, der selt Wochen schon um diese Zeit zu Ihm kommt und den er „Millionär getauft hat. So futtert Nicola den Gast durch aus purer Gut- mütigkeit, Wie gut so ein Sommer macht! Millionär und Nicola freunden sich immer mehr an, so mancherlei haben sie doch gemeinsam mag der eine auch ein Hund und der andere ein Denker seln. Auch an Millionär kann man jetzt sehen, was so ein lustiger Sommer auf sich hat. Als er im Vorfrühling zum erstenmal halbverhun- gert ankam, da standen ihm die Rippen aus dem struppigen Fell heraus, und die Rute hing traurig zu Boden. Nun aber haben Nicola und der Som- mer etwas aus diesem Schatten von Hund und seiner Rute gemacht. „Er Ist so felt geworden, daß er kaum noch laufen kann”, sagt Nicola zu dem Bettler, der gegen Ende des Sommers aus dem Norden zurückkommt, weil es dort schon mit den Frösten anfängt. „Ja, fett wie eine Made”, sagt der Bettler aus dem Norden. Dabei strel- chelt er den mageren Rücken des Hundes. Nicola freut sich, daß ein Dritter gekommen Ist, denn es beginnt auch hier schon kalt zu werden, und es friert sich leichter, wenn ein anderer mit- friert, Die Erntezelt ist Ja noch eine lustige Zelt, dann aber wird es bitter. Nicola und der Mann aus dem Norden, die den ganzen Sommer vor Rüben ausgespuckt haben, beginnen diese Frucht plötzlich zu loben, „Es geht nichts über Rüben”, sagt Nicola, „es ist eine gesunde Kur gegen das viele Fleisch vom Sommer; das Fleisch hat unsere Körper vergiftet.” Auch der Hund kommt täglich zu der Bank, Ihm scheint es noch am wohlsten zu gehen, obgleich er Immer magerer und struppiger wird. Er kaut an den Rüben herum und spuckt sie schließlich aus. „Ich habe Ihn überfüttert während des Som- mers”, prahlt Nicola Nun kommt die ganz bittere Zeit, Es friert, es schneit, es stürmt, und die freundlichen Men- schen sind ausgestorben. Nicola und der Bettler machen lange Märsche, um warm zu bleiben, sie schwärmen dabei von den Zeiten, als es noch Rüben im Überfluß gab. Nicola beginnt, den MIl- llonär zu beneiden, der in Wirklichkeit gar keinen Autounfall gehabt hat und jetzt mit seiner Kokotte auf Eisbärfellen vor einem riesigen Kamin sitzt und heißen Weln trinkt und dazu geröstete Brote mit. Schnepfendreck kaut. Eines Tages sind Nicola und sein Freund am Ende, obgleich sie schon oft so am Ende waren und Gott immer weitergeholfen hat; das hat er. Sie setzen sich auf die Bank, auf der sie Im lustigen Sommer und in der Rübenzeit Immer saßen, und der Mann aus dem Norden, der auch sehr klug und ein Denker ist, sagt, daß etwas geschehen müsse, damit sie nicht verhungern. „Du Schwätzer”, erbost sich Nicola, „mache Rüben aus Schnee, du kannst es ja wohll” „Laß mich nur nach- denken“, meint der Freund; er denkt nach. Plötz- lich hat er seinen großen Einfall, „Willst du Braten essen”, fragt er Nicola, „einen riesigen Braten?” Nicola beißt sich die Eiskrusten aus dem Bart, er ist wütend über diesen halbverhungerten Schwät- zer mit seinem Braten. Aber die Sache hat Ihre Richtigkeit, der Mann aus dem Norden ist ein geschliffener Kopf. „Nicola“, spricht er bedächtig, „Wohltun bringt Zinsen; auch du glaubst an einen Gott, der die Seinen nicht verläßt. Den ganzen lustigen Som- mer hindurch hast du Millionär gefüttert und ge- möstet, er sah schon gar nicht mehr wie ein richtiger Hund aus, alle hielten ihn für ein kleines Schwein. Millionär wird gleich kommen, er kommt ja Immer um diese Zelt. Wir werden wach seln und Ihn packen. in unseren Sack stecken und braten. Danach muß der Mächtige uns noch zu 262 einem Schnaps verhelfen, damtit das fette Essen bekommt.” Ach, auch im Winter ist das Leben lustig, wenn einem so die Braten auf vier Beinen zulaufen! „Breite den Sack schon aus”, ruft Nicola, „es lebe das liebe Närrchen, das jetzt hineinspringtl” Nun warten sie, und das Wasser fließt Ihnen Im Munde zusammen. Sie sind wohlgemut und speien in das Schneetreiben wie die Herren. Sie starren über die weiten frostigen, schneeverwehten und kahlen Felder auf den Waldrand hin, und sie tichten sich plötzlich auf, als ein schmales Etwas austritt, sichernd wie ein Wolf, scheu, mager. Dann sieht Millionär die Freunde auf der Bank, immer schneller kommt er, immer größer wird er, ein über den Schnee hinfliegender Mordsbraten. Nico- las Hände zittern, er legt den Sack auf die. Knie, er lockt und schnalzt mit der Zunge. In immer größeren Sätzen fegt der ausgehungerte Millionär heran, doch ein paar hundert Meter vor selnen Freunden verlangsamt er den Lauf, wittert unsicher, macht einen Halbkreis, bleibt scheu stehen — es sieht wahrhaftig aus, als ob er angestrengt überlege. Dann lockt Nicola wieder, lockt wie eine Nachti- gall, greift in die leere Tasche, und Millionär kommt einige schüchterne Schritte näher, immer ein paar Schritte näher. Aber er hat nachdenk- liche Falten über der Nase, er macht einen un- heimlichen Eindruck, Er sieht aus wie ein Ver- schwörer, der ein warnendes Telegramm bekom- men hat. Doch der Hunger scheint zu siegen, wie in den lustigen Sommern die Liebe slegt; alles kommt sich aus Hunger und Liebe näher. Ganz vorsichtig, ganz geduckt schleicht Millionär an seine beiden Freunde heran; jetzt, Jetzt berührt er fast Nicolas zerrissene Hose. Nicola läuft das Wasser im Munde zusammen, er lüftet den Sack mit der einen Hand und mit der anderen will er den Gefährten der lustigen Tage am zottigen Kragen packen und in den Sack stecken — eine Sekunde, nur eine kleine Sekunde zu frühl Mil- lionär springt zurück, duckt sich Im Sprung, win- selt weh auf, schlägt einen irren Kreis und rennt zurück, Immer wilder, immer unbeherrschter; klei- ner und kleiner wird er, und hinter den Feldern, ganz, ganz welt weg, verschluckt ihn der dunkle, dichte Wald. In Nicolas Augen stehen Tränen, seine Zunge wird trocken, die gleiche Zunge, die eben noch das Wasser Im Munde zusammenlaufen fühlte, „Diese widerliche Kanaillel” sagt der Mann aus dem Norden. Er ist wütend, hungrig und ent- täuscht. „Das hast du von deinen Wohltaten, du Narr, Jetzt läßt er uns Im Stich!" Nicola schimpft nicht. Er sitzt zusammengesunken und fröstelt und grübelt, Er Ist der bessere Den- ker, Er legt den Arm um den Freund. Auch in ihm sitzt der Ekel vor so viel Treulosigkeit von einem Hund, nur tiefer innen. „Wundere dich nicht”, sagt er endlich und seufzt tief, „ich kenne es schon lange; Undank ist der Welt Lohni” Kastanienallee, bevor es grünt Zaun vorn Himmel das schwarze Geäste, da stehst du einsam und ratlos davor, dahinter des Baumes stillfunkelnde Gäste, die Sterne. O falte die Hände, du Tor, und lob mir den Winter! Bald mwird es grünen, bald wiegen die Blüten im Winde sich scimer. dann summen im Baume die goldenen Bienen, — aber die Sterne, die hat er nicht mehr. Helmut Lenhardt Gruß in die Ferne IK. Helligenstaedt) = | „Ob es wohl gut klingt, wenn ich ihm schreibe: ‚Oh, daß doch meine Lippen hundertachtzig Kilometer lang wären I?“ Saluto lontano: “Che risuoni bene se gli scrivo: ‘Magari fossero le mie labbra lunghe centottanta chilometril,?,, Die Macht des Frühlings . Ein Nilpferd, weiblich und gesund, Voll friedlichem Gedankenschwund, Hält nichts vom Frühlingsüberschwang, Noch weniger vom Vogelsang. | } IE N )l N \ ua Das Gähnen macht das Nilpferd faul Und müde macht es zu das Maul. Ob es den Vogel wohl verdaut, Wenn es ihn nicht einmal zerkaut? MEIN FREUND JOHANNES Wir gaben uns wirklich viel Mühe Aber ganz ohne Lärm kann man nun einmal eine schwere Kiste die Treppe nicht hinunterbekommen. Vor- sichtig Ileßen wir sie von Stufe zu Stufe hinab- glelten. Natürlich gab es jedesmal einen dump- fen Bums. Aber Ist das nun wirklich so schlimm? Der Herr vom Eidgeschoß fand es schlimm. Er kam Ins Treppenhaus und fragte: „Geht es nicht vielleicht doch noch etwas lauter?” (Ft Sllok) Die Langeweile quillt empor, Es reißt das Maul auf wie ein Tor. Der Vogel, frech und ungeniert, Ist ahnungslos hineinspaziert. h I] Da singt er aus dem Nasenloch, Voll Staunen sieht’s das Nilpferd noch, Denn selbst im engen Nasenschacht „Nicht nur etwas’, sagte Johannes, „viell” Und er ließ die Kiste los, so daß sie mit einem wahren Donnergepolter die Treppe hinabrutschte, gerade auf den Herrn vom Erdgeschoß zu. Der griff sich an den Kopf, lachte hysterisch auf und floh in seine Wohnung. „Sonderbar“, sagte Johannes nachdenklich. „Ich hätte weiten mögen, er hätte es ironisch gemeint Aber es hat Ihm anscheinend wirklich Spaß ge- macht.” Ö * 264 Zeigt sich des Frühlings grode Macht: % Johannes hatte eine Sekretärin. Oft kam es vor, daß er gewisse Dinge hand schriftlich zu Papier brachte, die sie dann ab tippen mußte. Johannes hatte eine furchtbare Schrift. Aber die Sekretärin entzifferte doch alles, was ar Ihr gab. Sie war ein Genie, in dieser Bezienung. Einmal aber ging es doch schiet. Da las und schrieb sie ein Wort falsch. Johannes merkte es „Na, da hab ich Sie also doch endlich mal rein- gelegtl” sagte er, offenbar sehr befrladigt, 9. Bloger BESUCH IM SCHLOSS „Ich gebe ja zu, daß es fürchterlich ist”, sagte Herr von Maly zu seiner Frau, „aber es nützt nichts, wir müssen ihn einladen. Denn wenn er will, kann er uns enteignen und die Bahn gerade mitten durch unser Schloß führen.” „Seit zehn Jahren war kein hoher Besuch bei uns. Es war so schön ruhig. Aber erinnere dich nur, was damals bei dem Domherrn alles passiert Ist“, seufzte Frau von Maly. „Es wird nicht so schlimm werden. Der Mini- sterialrat kommt nach dem Essen und fährt noch vor dem Nachtmahl weg. Da haben wir keine große Schererei und es kann nicht viel passieren. Wir werden uns heute noch bei Martinek er- kundigen, wie der Ministerialrat ist und wie man alles am besten macht. Du wirst sehen, es wird ganz gut gehen.” So tröstete Herr von Maly seine bestürzte Frau. Dann spannte der Kutscher Hajek ein und sie fuhren zu dem Gutsnachbarn Martinek. Die Sor- gen, die sich Frau Adele machte, waren nicht ganz unbegründet. Es lag eine merkwürdige Luft über dem kleinen Gutsbesitz des Herrn von Maly und seiner Nachbarn, Weitab von der Bahn, mit schönen Wäldern und ausgedehnten Kartoffel- feldern gesegnet, lag das nahrhafte Land, ab- geschlossen von der hastigen Welt der Maschinen und Motoren, wie ein milder Käse unter einer riesigen Glasglocke, Das Leben ging hier seinen älthergebrachten Gang. Die slowakischen Bauern waren arm und spannten Ihre mageren Kühe vor ihre Pflüge und Wagen. Aber auch die Guts- besitzer waren nicht reich, Die eigentümliche Trägheit, die wie ein Fluidum aus der dunklen Ackererde und dem weichen moosigen Wald- boden zu strömen schien, hüllte alle diese Guts- höfe und winzigen Schlößchen in einen Dorm- röschenschlaf. Die Herren nahmen, was die gütige Erde gab, nach Abzug der zwei Drittel, welche das Personal und die Bevölkerung seit urdenk- lichen Zeiten gewohnheltsmäßig stahl. So lebten sie anspruchslos und behaglich durch den Wech- sel der Jahreszeiten. Es fehlte natürlich an allen Ecken und Enden. Im Haushalt des Herm von Maly hatten durchaus nicht alle Stühle ihre vier Beine und es gab viel- leicht kein einziges Stück Geschirr, an dem nicht etwas abgeschlagen war. Die wenigen Gäste, die hie und da kamen, waren schon damit vertraut und’hatten es wohl daheim ebenso. Aber freilich, für einen Ministerialrat war Herrm von Malys Schloß durchaus nicht eingerichtet, Bei Martineks war der Ministerialrat vor einigen Tagen gewesen. Er war ein sehr umgänglicher Mensch, gar nicht herrisch, sondern eher sanft und still, Zur Jause hatte er Kaffee mit Gugelhupf verzehrt, den er auch bei Werners und Filipeks bekommen hatte, Martinek hatte sich erkundigt. Der Ministerialrat war ein Musik- und Naturfreund. Hingegen schien er eine leise Abneigung gegen alte Weiber zu haben. Mit dem Magen war er offenbar nicht ganz in Ordnung. Nicht daß er etwa gerülpst hätte, Goit bewahre, aber er hatte sehr höflich um Speisesoda gebeten, Das Ehepaar Maly nahm diese wertvollen Aus- künfte mit Befriedigung entgegen und fuhr nach dem Kaffee gleich ab. „Wir fahren noch über Kralowetz und nehmen gleich ein Kilo Speisesoda mit”, meinte Herr von Maly. Seine Gattin seufzte: „Stanislaus, glaubst du nicht, daß dem Ministerlalrat schon schlecht sein muß von dem vielen Kaffee mit Gugelhupf? Mit Germ ist das ein schweres Essen. Wäre es VON BRUNO WOLFGANG nicht besser, ihm Tee mit Sandwiches zu geben? Das ist auch feiner.” „Du hast recht. Wir kaufen in Kralowetz noch Tee, Rum, Sardinen, Rollmöpse...”“ „Ja, und endlich können wir die Lachskonserve verwenden, die uns Paul mitgebracht hat.” „Ausgezeichnet. Etwas Wurst, kleine Gurken und das kalte Schweinerne von gestern. Der Mini- sterialrat wird Augen machen! Adele, jetzt kön- nen wir ganz beruhigt sein.” Mit Päckchen reich beladen fuhren sie in der Dämmerung von Kralowetz ab und schliefen im schwankenden Wagen alsbald ein. Daheim frag- ten sie noch die alte Mathilde, ob das fünf- jährige Töchterchen Ada schon schlafe und nichts Besonderes angestellt habe, dann versanken sie in den mit guten mährischen Gänsefedern ge- stopften Betten und bald schlummerte das ganze Schloß dem großen Tage entgegen. Im Stall schnauften die Kühe und ein Käuzchen schrie melancholisch in den Zweigen der alten Linden. Am nächsten Vormittäge gab es viel zu tun. Zu- nächst mußte das Problem der Tante Sophie ge- löst werden. Bei der bekannten Einstellung des Gastes älteren Damen gegenüber war es wohl besser, die Tante nicht zu zeigen. Sie war sehr alt, aber immer noch sehr lebhaft, überaus ge- (Hanna Nagel) „Diese verdammten Gummisohlen! Jetzt hat er nicht mal gehört, daß ich wütend mit dem Fuß gestampft habe!" ""Maledette queste suole di gomma! Adesso egli non ha nemmen sentito con che rabbia io ho pestato I piedi!,, 265 sprächig und ungemein eitel. Zufällig hatte sie auch gerade an diesem Tage ihren Geburtstag, der stets mit einiger Feierlichkeit begangen wurde. Denn sie hatte irgendwelche verbrieften Rechte und lastete gewissermaßen wie eine Hypo- !hek auf dem Gut. Der übliche Gugelhupf war bereits gebacken. Es handelte sich nur darum, die eigentliche Geburtstagsfeier auf das Mittag- essen vorzuverlegen und durch ein Schnäpschen, das Tante Sophie gern zu sich nahm, Ihr Mittags- schläfchen um ein paar Stunden zu verlängern. Dann war alles in Ordnung. Der Vormittag war mit der Mobilisierung des Tafelgeschirs und der Sandwichesfabrikation voll ausgenützt, In entlegenen Zimmern und Rum- pelkammern fanden sich allerlei Schüsseln, die noch zum Dienst einberufen werden konnten. Was an vierbeinigen Sesseln vorhanden war, wurde in das Speisezimmer geschafft. Die beiden wack- ligen Stühle, die nur links belastet werden durf- ten, wurden In irgend einer Kammer aufgehoben. Die gute alte Mathilde, Köchin, Stubenmädchen und Kinderfrau in einer Person, die einzige, die bei dem täglichen stundenlangen Suchen ver- kramter Gebrauchsgegenstände schließlich doch alles fand, wurde wegen ihres Alters für diesen Nachmittag, zu ihren Verwandten nach Kameny geschickt. Ein wenig gekränkt machte sie sich auf den Weg. An ihrer Statt wurde die hübsche Junge Maruschka vom Gemüsegarten einberufen. Sie war frisch und knusprig wie das Gemüse, das ihr Vater baute, schön und bunt wie ein Blumenbeet, auf dem das Auge, auch eines Mini- sterialrates, wohlgefällig ruhen konnte. Die kleine Ada war ein wenig ungehalten, weil ihr der Hals gründlicher als sonst gewaschen wurde und weil sie ein weißes Kleidchen anziehen mußte, das besondere Achtsamkeit verlangte. Auch Tante Sophle war beleidigt, weil die altgewohnte Ein- teilung geändert worden war. Sie blieb schmol- lend auch zu Mittag in ihrem Zimmer. Frau von Maly erzeugte die Sandwiches eigen- händig, wobei ihr Gemahl sie mit Rat und Tat unterstützte, Er war selbst ein großer Freund be- legter Brötchen und konnte sich nicht enthalten, immer wieder zu kosten. Frau Maly mußte dann das Fehlende ersetzen, bis sie ihn endlich ärger- lich ersuchte, die Küche zu verlassen. Es gab ja auch für ihn noch genug zu tun. Er mußte sich rasieren und die feinen Stiefel anziehen. Bald hörte man ihn rufen: „Verdammt, ich krieg die Ludern nicht an! Maruschka, das Federweißl” Maruschka patschte über die Stiege hinauf und hatte überhaupt alle Hände voll zu tun, Be- sonders in der Küche. Es war schon fast vier Uhr, als der Ministerialrat mit seinem Sekretär ziemlich gerädert ankam. Zunächst zog er sich mit Herrn von Maly ins Schreibzimmer zurück und ließ sich an der Hand von Karten und Dokumenten über die Boden- und Besitzverhältnisse informieren. Dann machten die Herren einen kleinen Rundgang durch das Gut und kehrten nach getaner Arbeit in das Schloß zurück. Frau von Maly lud sie zu einer Tasse Tee ein und sie nahmen im Speisezimmer Platz. Herr” von Maly bemerkte sofort, daß seine Frau ge- rötete Augen hatte. Sie zog ihn rasch beiseite und flüsterte ihm mit bebender Stimme zu: „Wir haben fast gar keine Sandwiches mehr, Ich glaube, das ganze Dorf ist zusammengelaufen, um in der Küche zu stehlen.“ In der Tat, die Sandwichesplatten sahen aus wie ein Schlachtfeld. Allen war es unmöglich ge- wesen, von diesen nie gesehenen Kostbarkeiten In der Mittagspause (R. Kılsch) „Schön, daß es den Frühling noch in dieser Qualität gibt!“ „Na ja, das werden halt noch Restbestände sein!" Nella pausa meridiana: ‘Che bellezza che ci sia ancora della prImavera di tal genere!,, — “Eh giä.. saranno ancora avanzi di riserval,, 266 nicht gefesselt zu sein. Und alle hatten sich be- dient; Maruschka, der Gärtner, der Kutscher Hajek, der Heger und seine Lebensgefährtin, die kleine Ada und sogar der Hund Tasso. Mit größ- ter Mühe wurde noch eine Platte zusammen- gestellt. Maruschka trug sie mit unendlicher Vor- sicht die Treppe hinauf. Aber der Geist des Un- heils war nun einmal Im Schwunge. Maruschka, die nur an den höchsten Feiertagen Schuhe zu tragen gewöhnt war, glitt aus, ließ die Platte fallen und rollte mit ihren kräftigen Hüften durch die Überlebenden Sandwiches, die nun an ihrem faltigen Rock hafteten wie ein Schuppenpanzer. Die Hühner kamen eilig herbeigerannt und pick- ten die Reste auf. Maruschka heulte und mußte ebenso wie die Sandwiches außer Dienst gestellt werden. Herr von Maly trieb mit bebender Stimme den Kutscher Hajek an, einzuspannen, die alte Mathilde zu suchen und sofort herbeizuschaffen. Es war aufregend wie der Film „Bring sie lebend heim!” Im Spelsezimmer hatte Frau von Maly bereits den Tee eingeschenkt. Beilmersten Schluck verzogen die Gäste fürchterlich das Gesicht. Frau von Maly stand beinahe das Herz still, als sie kostete, Der Tee war bitter wie Galle. Der Unglückskaufmann In Kralowetz hatte ihr Tausendguldenkraut-Tee gegeben. Das war auch mit tausend Entschuldi- gungen nicht gut zu machen. Der Ministerialrat lächelte zwar höflich. Aber in seinem Innern war gewiß ein bitterer Geschmack zurückgeblieben. Es blieb nichts übrig, als eiligst einen Kaffee zu kochen und Tante Sophie um Ihren Gugelhupf zu bitten. Das war peinlich und die spitzen Worte der beleidigten Tante stächen bis ins Herz. Endlich konnte serviert werden. Mathilde war eingetroffen und brachte den Kaffee mit dem Gugelhupf. „Sie ist schon vierzig Jahre im Hause”, bemerkte Herr von Maly entschuldigend. In die- sem Augenblicke öffnete sich die Tür und herein rauschte eine Gestalt, die so aussah, als wäre sie schon vierhundert Jahre im Hause. Es war Tante Sophie, die durchaus nicht einsah, warum Ihr Licht unter den Scheffel gestellt werden sollte, da sie doch seinerzeit In Ihrem Salon Minister und Abgeordnete dutzendweise emp- fangen hatte. Sie war durch die beiden Schnäps- chen, die ihr Herr von Maly eingegeben hatte, höchst aufgeräumt, hatte fingerdick Rot auf- gelegt und stürzte sich auf den Ministerlalrat wie eine Spinne, die schon jahrelang keine Brummfliege gehabt hat. Drunten fuhr ein Wagen vor. Es war der etwas entferntere Gutsbesitzer Rochus Starck, der sich ein wenig zu früh erkundigen kam, wie der Mini- sterlalrat sel und womit man ihn am besten be- wirte, Er hatte seine Frau und seine Schwägerin mitgebracht. Alle drei zählten zusammen zwel- hundert Jahre, waren aber noch überaus rüstig. Auf Besuch war nicht gerechnet. Maruschka, die sich wieder erholt hatte, schleppte hastig Stühle herbel. Doch kaum hatten sich die Gäste nieder- gesetzt, gab es einen furchtbaren Krach. Das Ehepaar Starck sank rücklings zu Boden und die zuckenden Beine hoben das Tischtuch auf, so daß Kaffee, Kannen, Tassen und Gläser durcheinander kollerten. Die kleine Ada schrie vor Lachen und klatschte in die Hände, Herr Starck und seine Gattin hatten im Eifer des Gesprächs die Stühle rechis anstatt links belastet und waren umgekippt. Glücklicherweise war nichts geschehen, Herr und Frau Maly standen starr vor Schreck, Der Mini- sterialrat sagte verbindlich lächelnd: „Ich glaube, die Tafel ist im wahrsten Sinne des Wortes auf- gehoben.” Man ging nun ins Nebenzimmer, um zu rauchen und zu musizieren. Verzweifelt drehte Herr von Maly an dem Knopf des Radioapparates, der sonst den Lieblingszeitvertrelb der kleinen Ada bildete, aber es kam immer nur eine Art Ma- schinengewehrfeuer heraus. Es wäre Ja auch ein Wunder gewesen, wenn das Radio hier wirklich funktioniert hätte. Der Ministerialrat erklärte nun, daß es Zeit sel aufzubrechen, Zuvor bat er noch um ein wenig Speisesoda. Dafür war Herr von Maly gerüstet und konnte den höchsten Ansprüchen genügen. Auf seinen Wink enteilte Maruschka und zog gleich hinter der Tür die Schuhe aus, um schnel- ler vorwärts zu kommen. Aber der Geist des Unheils gönnte Herm von Maly auch diesen Triumph nicht. Der Ministerialrat begann fürchter- lich zu pusten und zu schlucken. Man hatte ihm statt Soda Federweiß gereicht. Der Wagen fuhr vor. Der Ministerialrat stieg ein. Der Sekretär erschien aber nicht. Plötzlich hörte man irgendwo im ersten Stockwerk klopfen und Hallo rufen. Maruschka kam hastig gelaufen und flüsterte Herrn von Maly etwas ins Ohr. Dieser stürzte sofort zu der kleinen Ada hin, die ver- gnügt kicherte. Sie hatte den Her in einem kleinen unentbehrlichen Kämmerchen eingesperit und den Schlüssel Tasso ans Halsband gebunden. Es dauerte eine Welle, bis der Hund gefangen und der Sekretär befreit war. Dann schwankte der Wagen endlich aus dem Hof. „Du wirst sehn, er wird nun die Bahn absichtlich mitten durch unser Gut führen“, klagte Frau Maly. Aber sie hatte Unrecht. Während draußen auf der Landstraße der Kutscher Hajek das linke Hinter- rad, das sich losgelöst hatte, wieder befestigte, sagte der Ministerialrat zu seinem Sekretär: „Durch diese Gegend wird die Bahn nicht ge- führt, das steht fest, Sonst haben wir täglich ein Eisenbahnunglück. Das einzige, worauf man sich hier verlassen kann, Ist, daß man Kaffee mit Gugelhupf bekommt. Nie wieder rühre ich einen an.” . Ein Wagen überholte die Kutsche des Ministerial- rates, Er hörte nicht, wie Herr Rochus Starck zu seiner Frau sprach: „Und übermorgen, wenn er zu uns kommt, machst du Kaffee mit Gugelhupf. Das hat er gern.” Das abenteuerliche Huhn Von Peter Scher Ein Huhn verfäumte feine Pflicht und legte feine Eier nicht dorthin, wo man wohl münfchen kann, vielmehr bracht’ eo le nebenan. Der Nachbar, prall von Biederfinn, trug fie fogleich zur Nachbarin und bat noch obendrein, dem Huhn nichts Ehrenrühriges anzutun. Da Iprach das Huhn: Wie it der Mann doch gar lo ehrbar, feht Ihn an; nun leg ich, weil es mir fo paßt, dort, 00, wer will, den Schat erfaßt. ag und Druck: Knoı Verantwortl. Schriftleitr: Walter Foltzick, Müncher Anstalten entgegen — Bezugspreise — Der Simpilcissimus erschi Einzelnummer %0 Pf.; Abonnement Iı 1. 1.20. in Nachdruck verboten — Posischockkonto München 5920 Ganz ungeniert am Straßenrand eröffnete es einen »Stand«, als ob gerade Jahrmarkt fel, und fchon kam ein Soldat vorbei. Der bückte fich und fchien vergnüst, als würd’ ihm Gutes zugefügt, dann blickt’ er ie ein Heiliger, doch ging er etivas eiliger. Das Huhn tat künftig, wie es follt', es hatt’ nur eben mal gewollt, daß ein Erlebnis fo wie dies ihm feelifch feine Freiheit ließ, ıngte Einsondui Erfüllungsort LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückei) Fa) 5 Johannes nahm sich ein Paar Strümpfe aus dem Schrank. Seufzend hielt er sie zum Licht. „O Kitiyl © Kitiyl" „Wo fehlt es, Johannes?” „Kannst du mir raten, durch welches der vier Löcher ich hineinschlupfen muß?” IHR. * Und dies geschah in einem hochvornehmen Wein- restaurant, Die dezente Musik spielte Lehär. Der Kellner servierte den hinteren Teil eines Wild- schweines. Der Gast deutete auf die Platte: „Was ist das, Ober?" Der Kellner, verträumt, bei der Melodie: „Das schönste Stück von der ‚lustigen Witwe‘, mein Herri" 2. HR. * Im Burgtheater gab man die Braut von Messina. Der Herr aus Oschatz schüttelte den Kopf, „Jetzt kommt das Stück hier erst heraus?", brummte er. „Das hat man In Leipzig schon vor zwei Jahren gegeben!” I.H.R. Ursache und Wirkung In Dänemark „werden die privaten Banken ohne vorherige Anmeldung stichprobenmäßig von Staats wegen kontrolliert. So ein staatlicher Revisor kam im letzten Sommer in ein Landstädtchen in Jütland von rund 2000 Einwohnern zur Kontrolle einer dor- tigen Genossenschaftsbank, deren Kundenkreis ausschließlich aus den Landwirten des Agrar- Hinterlandes bestand. Das Städichen schlief sei- nen Mittagsschlaf in der sengenden Augusthitze, während es im Banklokal schön kühl und — wie der gestrenge Beamte mit Stirnrunzeln feststellte, völlig menschenleer war. Der Revisor wartele geduldig vor der Schranke für Publikumabfertigung, aber als zehn Minuten vergangen wären, ohne daß jemand kam, ging er hinter die Barriere, setzte sich an den Tisch des Kasslerers, prüfte den Kassenbestand und die Ge- schäftsbücher, ohne daß ihn eine Seele bei seiner Arbeit störte. Als er mit der Buchprüfung fertig war, ging er in das anstoßende Büro des Direk- tors, und hier fand er die Erklärung für den Dorm- röschen-Schlaf der Bank: durch ein Schalterfenster konnte er In ein Hinterzimmer sehen, wo der Direktor, der Kassierer und die zwei Angestellten der Bank in ein offenbar mächtig spannendes Bridge vertieft waren. Das war dem Revisor nun doch zu bunt, und er gedachte, den Herren eine drastische Lehre zu erteilen. Er ging an den offenstehenden Geld- schrank und setzte durch einen Handgriff die Alarmvorrichtung in Betrieb, deren Lärm einen Toten wecken konnte. Dann versteckte er sich hinter einer Gardine, um die weltere Entwicklung abzuwarten. Zunächst geschah gar nichts, die vier Herren spielten ungestört weiter. Aber nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür und schlürfende Schritte näherten sich dem Versteck des Revisors, Vorsichtig steckte er den Kopf heraus und sah — den Kellner des benachbarten Gasthauses, vor- sichtig ein Tablett mit vier Glas schäumenden Bieres balancierend, offenbar laut Vereinbarung die Wirkung der Inbetriebsetzung der Alarmvor- . richtung... Müns Buchhandlungen, ın nur zurückgesändt, ichäfte und Pos g ir wenn Porto beilieg! ıgon wi München, Kronos und der Mord von Katyn (Wilhelm Schulz) „So oft wie in letzter Zeit hat sich meine Feder noch nie gesträubt!"‘ Kronos e la carneficina di Katyn: "Mai la mia penna s'& tanto arricciata come negli ultimi tempil,, 268 30 Pfennig München, 12. Mai 1943 48. Jahrgang / Nummer 19 SimPLIcissimuSs VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN (Wilhelm Schulz) Almosen für Australien ng | F „Es bleiben alle Fenster zu, wenn betteln kommt das Känguruhl* Elemosine per I’ Australia: ‘Le finestre ognun bada di serrare, quando Il canguro viene a mendicarel,, Seelenwanderung - Metempsicosi 0. Haganbarih) „Die Eingeborenen glauben, die Menschenseele fahre in ein Schwein!" „So — 50 — umgekehrt habe Ich es mir schon manchmal gedacht!" "Gl" indigeni &redono che |" anima dell’ uomo passi In un porcol,, — "Ah, cos?! ... lo invece talvolta pensavo che avvenisse Il contrarlo!,, DIE BEIDEN PRINZEN VON HEINZ SCHARPF Es war einmal ein alter König, der nahm eine Junge Frau. Alte Könige nehmen gern junge Prinzessinnen zur Frau, dafür schenken alte Prinzessinnen wieder lieber jungen Landessöhnen ihre Gunst, Seine Majestät sahen, ohne daß man sich einer Majestätsbeleidigung schuldig gemacht hätte, aus wie ein geknickter Nußknacker. Eine sehenswerte Kartoffelnase stand ihm leuchtend im Gesicht, das auch ansonsten durch nichts verschönt wurde, Zu viel zu kurzen Beinen trug er viel zu lange Zieh- harmonikahosen und wenn er lachte, meckerte er wie ein alter Ziegenbock. Das Volk nannte ihn nur den guten König Meckerbart, denn es liebte ihn, weil es unter seiner Herrschaft ebenfalls nach Herzenslust meckern durfte. Die Staatsgeschäfte führte sein treuer Seneschall, der nach dem Motto: „Leben und leben lassen!” in erster Linie selbst nicht schlecht lebte. Seine Familienangehörigen hatte er alle in hohen Staats- stellen untergebracht, sein Sohn war Kommandant der Palastwache. Als die junge Prinzessin ins Schloß einzog, wurde sie von allen Seiten lebhaft bedauert, denn sie war anzusehen wie ein Junger Maientag, an dem die amtliche Wetterprognose schlechtes Wetter prophezeit hatte, so schön. Auch dem Komman- danten der königlichen Leibwache samt seiner Mannschaft tat sie herzlich leid, An der Schwelle des Schlosses erwarteten sie nach altem Brauch die Wunschfeen. Die böse Fee Pfullinde trat vor und verwünschte ihren Eingang mit den Worten; „Nicht einen Erben sollst du dem Lande schenken.” Drauf lächelte sie hämisch und verschwand, nicht gerade einen himmlischen Duft zurücklassend. Das kränkte die gute Fee Karamella, die eben- falls zu Ehren der Prinzessin erschienen war. Da IM VORORTZUG Vielhundertmal durchfuhr ich Diele Strecher ich kenne jeden Baum und jede Hecke. Und doch ift fie mir immer wieder neu. Wer Augen hat, weiß nichts vom Einerlet. Betreffs der meiften Menfchen in dem Wagen läßt fich, Gott Lob und Dank, das gleiche fagen. Ich fchau’ fie an, bald offen, bald verftecht, und habe ftets noch irgendwas entdeckt, mas neu und wert ift, daß man es bedenke. Nur manchmal fpinnt das Schichfal feine Ränke und fest mir Lebewefen vis-ä-vis, die NRörend find für meine Theorie, indem fie mir den ält’ften Senf erzählen und mich’ mit hochbetagten Witen quälen. «+. Was für das Auge gilt (confer zuvor!), gilt keineswegs zugleich auch für das Ohr. Ratatöchr 270 sie aber nach den bestehenden Feengesetzen den Wunsch Pfuilindens nicht zunichte machen konnte, wünschte sie der Prinzessin statt des einen mißgönntenErben einfach deren zwei. Drauf lächelte sie gütig und verschwand in einer Wolke von Patschull. Und richtig, noch war kein Jahr vergangen, er- dröhnten vom Schloß 202 Kanonenschüsse, die die Geburt von königlichen Zwillingen männlichen Geschlechts, zu sechs Pfund das Stück, anzeigten. Das Volk jubelte, der König meckerte, der Sene- schall rieb sich die Hände und die Hofschranzen kamen aus dem Erstaunen nicht heraus. Wieder erschienen die Wunschfeen, ungerufen wie immer, voran die böse Fee Pfullinde. Giftig sah sie nach dem König, der stolzgeschwellt mit leuchtender Kartoffelnase und in seinen Zieh- harmonikahosen nußknackerischer denn je dem freudigen Ereignis gegenüberstand. Sie überlegte nicht lange, sondern legte den beiden Knaben den hämischen Wunsch in die Wiege: „Ihr sollt ganz so werden wie euer Vaterl” Dabei sah das Biest feixend nach der guten Fee Karamella, als wollte sie sagen: „So, jetzt hast du den Salat!” Aber Karamella lächelte nur gütig und schloß sich ebenfalls dem Wunsch der bösen Fee an, worauf diese höchst erbost wieder entschwebte, dies- mal einen noch weniger palastfähigen Geruch zu- rücklassend. Und der Wunsch der Feen erfüllte sich. Die beiden Knaben wuchsen heran und sahen ganz ihrem Vater ähnlich. Sie waren gleich klug und schön und, wie die Palastdamen tuschelten, dem eingangs erwähnten Kommandanten der Pa- lastwache wie aus dem Gesicht geschnitten. John Bulls Rollenwechsel EN or Gvaonandsen $3 INES IS DEI „Wenn man bedenkt, daß ich vor dreieinhalb Jahren noch den Herrn spielte — und jetzt nur noch den Diener!'* Mutamento di parte di John Bull: “Se si pensa che tre anni e mezzo fa lo facevo la parte di padrone e adesso ... non facclo che quella di servitore!,, 271 DIEFRBEINNESSEEIFE Am 28. September erhielt Luka Frkovitsch fol- gende Aufforderung: „Sie werden ersucht, sich am soundsovielten um die und die Zeit in dem und dem Amtsgebäude, Zimmer Nummer soundso einzufinden. Falls Sie dieser Aufforderung nicht Folge leisten, werden Sie zwangsweise vorgeführt,” Der Mann las sich das durch und sagte zu seiner Frau: „Da, ich bin für Freitag vorgeladen.” „Warum? „Das steht nicht da." „Besser wäre es, du gehst gleich morgen hin, denn am Freitag hast du sowieso keine Zeit.” Und Luka machte sich am nächsten Morgen auf den Weg in das betreffende Amtsgebäude. Aber er kam zu früh. Die Parteien wurden erst ab zehn Uhr empfangen und jetzt war es kaum neun. Also spazierte er eine gute Stunde lang auf und Der morsche Baum - L’albero fradicio VON M. MATSCHKOVITSCH-KERN ab und ging dann um zehn Uhr wieder ins Amt. Der Beamte nahm die Aufforderung entgegen, holte das entsprechende Aktenstück hervor und war schon dabei, es aufzuschlagen, als er plötz- lich bemerkte, daß der Mann erst für Freitag be- ordert war. Er schaute Luka verdrießlich an und sagte vorwurfsvoll: „Ist heute Freitag? „Nein, Mittwoch!” „Was wollen Sie also? Können Sie nicht lesen? Da steht doch, daß Sie sich am Freitag melden sollen.” „Ja, aber ich habe am Freitag keine Zeit.” „Das tut mir sehr leid, aber was geht mich das an? Wenn man Sie hierher ruft, müssen Sie eben Zeit haben!” „Sagen Sie mir wenigstens, worum es sich han- delt.” Aber der Beamte wollte nicht: sollte der da nur (A. Paul Weber) 272 fühlen, daß er da nicht so irgendein Schreiber- ling war, sondern daß er eine Macht hatte. Als Luka am Freitag wiederkam, erklärte ihm der Beamte wichtig, daß er sein Gesuch vom 3. April zu wenig taxiert hätte, und daß er noch weitere Stempelmarken aufkleben müsse, ‚Und das konnten Sie mir vorgestern nicht sagen?” meinte Luka vorwurfsvoll. „Oho, das soll wohl eine Kritik sein?” regte sich der Beamte auf. „Wenn auch nicht gerade eine Kritik, aber ich meine doch, daß Ihr Herren Beamten nicht dazu da seid, das Volk zu quälen, sondern um ihm zu helfen.” Entweder wirkten nun Lukas Worte so stark, aber vielleicht war auch das Lebenslicht des Beamten In diesem Augenblick abgebrannt, jedenfalls griff er sich plötzlich aufstöhnend an die Brust, sackte zusammen und fiel leblos zu Boden... und seine kleine Seele flog schnurstracks hinauf in den Him- mel vor das ewige Gericht... * „Wessen Seele bist du?” fragte der Amtsdiener des himmlischen Gerichtes, „Ich bin die Seele des Kajetan Pischmoll, eines Beamten”, flüsterte der Schatten. „Du bist zu früh gekommen. Es ist erst elf Uhr und wir hier fangen genau zur Mittagsstunde an. Setz’ dich da hin und warte.” Pischmoll setzte sich und der Amtsdiener zün- dete sich eine Zigarette an. Beide schwiegen. Kajetans Augen wanderten in dem großen Saale umher und blieben an einer "großen Waage haften. „Was ist denn das?” „Eine Waage.“ „Und was wiegt Ihr da?” „Die Sünden. Du kommst auch auf die Waage.” „Oh, ich habe keine Angst! Ich -bin sündenfrei. Mein Gewissen ist rein wie das eines kleinen Kindes. Wenn es irgend jemand wirklich verdient hat, in den Himmel zu kommen, dann bin ich das, ich, Kajetan Pischmoll.” „Bescheidener, du Grünling, bescheidener!” „Warum bescheidener? Was konnte ich schon sün- digen? Nehmen wir z. B. die Fastentage. Ich habe sie alle eingehalten.” „Lächerlich, als ob das dein Verdienst wärel Wenn dein Gehalt nur weiter gereicht hättel! Nun, und wie warst du in deinem Dienst?” „Im Dienst? Oho, fragt nur meine Vorgesetzen!” „Und was hast du gemacht?” „Ich habe die Parteien aufgerufen und ihnen die Entscheidungen ausgehändigt.” „Ach, du bist dieses Vögelchen? Du Unglücks- rabe, gerade vorgestern war von dir die Rede. Du warst also dieser kleine Inquisitorl Na, du wirst schon dein Teil bekommen!” Der Amtsdiener warf seinen Zigarettenstummel weg und schwieg. . Bald darauf öffnete sich die Tür und der himm- lische Senat schritt in den Saal, „Wieder ist alles voller Staub! Nimm einen Feizen und putze das da ab!” befahl einer der hohen Herren dem Diener. Der schaute sich um und konnte keinen Staubfetzen finden, „Na, dann nimm doch das dal” meinte der Rich- ter und wies auf die Seele des Kajetan Pisch- moll, — Sie war so klein und unscheinbar, daß es sich gar nicht lohnte, über sie ein Urteil zu sprechen. Aber als Staubfetzen konnte sie noch ganz gute Dienste leisten. (A. d. Kroatischen von Dorothea Müller-Neudorf.) Der Glücksbringer aus USA. {Erich Schilling) „Ihr habt Glück gehabt! Wenn nicht auf der ganzen Welt Krieg wäre, hätten wir Euch nicht entdeckt und Ihr hättet nie erfahren, daß es eine automatische Maschinenpistole gibt und wozu sie dient!“ Il portafortuna dagli USA.: “Avete avuto fortuna! Se non ci fosse la guerra In tutto il mondo, noli non avremmo scoperto Voi e Voi non avreste mai sapulo che c'& una pistola automatica e a che uso essa serval,, MEIN FREUND JOHANNES Frau Jonanna liebte es, von Zeit zu Zeit die Möbel In allen Zimmern umzugruppieren. Johan- nes aber liebte das gar nicht. „Warum tust du das nur Immeı?” fragte er. „Ich mag nicht Tag für Tag die gleiche Umgebung um mich haben. Das isı so ermüdend und eln- tönig. Das neue Gesicht des Raumes aber reg! an”. erklärte Frau Johanna. Gewiß" sagte Johannes und verließ das Zimmer E was spöter mußte Frau Johanna den Klempneı holen, weil.Johannes bei dem Versuch, der Toi- lette ein neues Gesicht zu geben, einiges zer- brochen hatte * Es kann jedem mal geschehen, daß er vergißt, ein Taschentuch einzustecken. Mir geschah es, als ich Johannes einst besuchte Und ich merkte es erst, als ich schon bei ihm war. „Kannst du mir ein Taschentuch leihen, Johannes?" fragte ich. „Weil du es bist!” sagte Johannes „Aber gib es mir bald wieder.” 273 Als ich es entgegennahm, stellte Ich fest, daß es eins war, das ich ihm irgendwann mal geliehen hatte. Lächelnd machte Ich Ihn darauf aufmerksam „Dann gib es mir bitte sofort zurück”, sagte Johannes schnell. „Das Ist aber ein recht sonderbares Verlangen. Wie willst du das begründen?“ fragte Ich er- staunt, „Na, sonst findet deine Frau es erst bei dir, und dann sehe ich es ja nie wieder”, erklärte Johannes 2. Blege: GERICHTSBARKEIT IN PRINCETOWN Schon damals, als er noch zur Schule ging, ent- puppte Erik Söderkum sich als juristische Be- gabung von Format, wir prophezeiten ihm eine großartige Karriere. So bestand er denn auch sein Juristisches Abschlußexamen mit Auszeich- nung und erhielt In einer kleinen dänischen Stadt bei einem Advokaten Anstellung als Bevollmäch- tigter. Und seine Tätigkeit wurde zu einem Wendepunkt in der Gerichtsbarkeit des Städichens, Es fing damit an, daß er es als Verteidiger eines Mannes, der einen kleinen Diebstahl begangen hatte, in glänzender Verteidigungsrede durch- setzte, daß der Angeklagte freigesprochen und Anklage gegen den Bestohlenen erhoben wurde, Eine beispiellose Glanzleistung, die seinen Namen berühmt machte. Und die ihm zahlreiche Klienten zuführte, deren Interessen er dann ebenso mit bestem Eıfolg vertrat. Bis eines Tages auf Beschluß der Stadtväter sei- ner Wirksamkelt ein Ende gesetzt wurde, Indem der Bürgermeister seinem Chef nahelegte, den hoffnungsvollen jungen Mann zu entlassen. Wel- ches bald geschah. Doch Eriks Schwester, die in Amerika verhei:atet (Fr. Bllak) VON WILHELM GROSS war, schrieb Ihm, eı möge sofort kommen, denn das Land der goldenen F;eiheit warte auf sein großes Können. Seitdem verschwand Erik aus unserem Gesichis- kreis, Doch nach einiger Zeit traf ich ihr. zufällig auf der Straße wieder. „Nanu, schon wieder da?!” rief ich erstaunt. „Ich glaubte, dir gehe es dort drüben so glänzend!‘ Er aber wehrte heftig ab. „Das verstehst du nicht, mein Lieber. Daran sind die amerikanischen Ver- hältnisse schuld. Die sind nun mal ganz anders als bei uns. Kcmm’, ich will es dir erzählen,” Und in einem kleinen Restaurant bei einem Glas Bier erzählte Erik denn. m.. Ich reiste also zu meiner Schwester, Der Ort lag unmittelbar an der amerikanisch-mexikanischen Grenze und zwar lag die eine Hälfte auf amerika- nischem Boden und hieß Princetown — die andere dagegen, San Bartholom&, auf mexikanischem Territorium. Da Ich nun aber keine amerikanische Einreiseerlaubnis erhielt, ließ ich mich in San Bartholom& nieder Später siedelte ich dann heim- lich nach Princetown über. Was ich ohne Be- denken tat, da mein Schwager dort Sheriff ist. „Sag’, alter Graukopf, wer bist du denn?" „Mein Name ist Bacchus — wir kennen uns vom humanistischen Gymnasium her! {R Es dauerte denn auch gar nicht lange, so hatte ich mir eine gute Praxis geschaffen. Mein Schwa- ger verhaftete die Leute, und Ich sprach sie her- nach frei. Ein lohnendes Geschäft übrigens, bei dem auch der Gerechtigkeit hier und da Genüge getan wurde Da erschien mein Schwager eines Tages In moi- nem Büro. ‚Du', sagte er, ‚Ich habe gestern den ‚Roten Tom’ wegen Mordes verhaftet.“ Das verwunderte mich. Denn der ‚Rote Tom’ war meines Schwagers rechte Hand auf seiner Farm Sehr erstaunt sah ich drein. ‚Ich war leider dazu gezwungen‘, fuhr er erklärend fort. ‚Denn Ich bin Sheriff in einem Lande, In dem die Gerechtigkeit der oberste Grundsatz der Ver- fassung seiner freien Bürger ist. Doch du mußt nun alles daranseizen, daß Tom so bald als mög- lich vom Gericht freigesprochen wird. Und er schilderte mir die Einzelheiten des Falles ‚Es war gestern abend In McKellys Schenke. Tom stand an der Theke und schlürfte nichtsahnend einen Whisky, als plötzlich ‚Maulesel-Jose' das Lokal betrat Du mußt wissen, Jos6 ist Mexikaner und ein Fröhlicher Olymp Il giocondo Olimpo “Dimmi, testa grigia, chi sel tu mai?,, — "Il mio nome & Bacco. Noi ci conosciamo dal tempo dei ginnasio umanistico!,, 274 hitziger Bursche, der rasch den Revolver zur Hand hat. Der also näherte sich Tom. ‚Hallo Tom! Wie geht's dir denn, du Stinktler?" ‚Danke. Und was tust du hier, du mexikanisches Schwein? So standen sie und pöbelten sich eine ganze Weile zum Gaudium der anderen gegenseitig an, Der Wirt begann schon die Flaschen und Gläser fürsorglich In den Hof hinauszuschaffen — denn wer würde ihm den Schaden bezahlen, wenn die Schießerei einsetzte? Aber es geschah vorläufig nichts. Bis dann Jos6 grob zu werden begann, ‚Blldest dir wohl ein, hundertprozentiger Amerikaner zu sein!’ höhnte er. Eine Beleidigung, die Tom natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. — Im nächsten Augenblick lag Jos& am Boden ausgestreckt mit einem win- zigen Loch in der Stirn. ‚Ich hätte ja nun als Amerikaner ob dem Tom zu- gefügten Schimpt beide Augen zugetan’, schloß mein Schwager seinen Bericht, ‚aber ich bin Sheriff und neben mir standen ein Dutzend Männer als Augenzeugen. Doch nun, wie gesagt, sieh zu, daß du Ihn schnellstens wieder freibekommst. Denn in der nächsten Woche beginne ich mit der Schur der Schafe und da brauche ich Ihn dringend. Ich werde darum bereits für übermorgen die Ge- tichtsverhandlung ansetzen. ‚Es wird schwierig sein, ihn freizubekommen’, be- morkte ich. Mein Schwager wurde ärgerlich. ‚Wenn es ein- fach wäre, brauchte ich keinen Rechisanwaltl Doch das eine sage Ich dir: alles, was In die- sor Sache getan wird, muß sich streng an die Regeln der amerikanischen Gesetze halten. Ich bin Sheriff und halte darauf, daß strikte Gerech- tigkeit waltet” ‚Hm — ja’, meinte ich daraufhin, ‚Da bliebe nichts weiter übrig, als auf Totschlag anstatt Mord zu plädieren. Auf Mord steht Erhängen, auf Totschlag Zuchthaus. Wenn man jedoch den Paragraphen über geistige und seelische Minderwertigkeit in Anwendung bringen könnte, käme er vielleicht mit einem Jahr Gefängnis davon — — Mein Schwager griff diesen Gedanken mit Be geisterung auf. ‚Ich bin Toms Arbeitgeber, ich kenne Ihn wie kein zweiter. Ich werde ihm das Zeugnis ausstellen, daß er der größte Schwach- kopf auf Gottes Erdboden ist, ein unmündiges Kind, das nicht mit einem Schleßeisen umzugehen versteht, Und daß er es nur einem gütigen Ge- schick zu verdanken hat, daß er sich nicht selbst totschoß! Aus purem Mitleid nur nahm ich Ihn in mein Haus auf! — — Ich besuchte Tom In seinem Arrest und setzte ihm den Plan meiner Verteidigung auseinander, ‚Nun gut‘, erklärte er, ‚für den Fall, daß Sie mich vor dem Gehängtwerden bewahren, zahle ich Ihnen fünfhundert Dollars. Im anderen Falle aber Jage ich Ihnen eine Kugel durchs Hirt’ — — Darauf suchte ich den Vorsitzenden der Gerichts- geschworenen auf — einen alten weißbärtigen Pelztierjäger. ‚Ich zahle Ihnen hundert Dollar, wenn es Ihnen gelingt, die Geschworenen dahin zu beeinflussen, daß sie auf Totschlag und nicht auf Mord er- kennen’, beschloß Ich meine Rede. ‚Wenn es sich so verhält‘, meinte der Alte nach- denklich. ‚Sie müssen es ja besser wissen, denn Sie sind ja Rechtsanwalt — — Und der Tag der Gerichtsverhandlung kam. Zugegeben, ich war ein bißchen aufgeregt. Doch Ich vertraute auf meine bewährte Eigenschaft als Verteidiger. Der Vertreter der öffentlichen Anklage ergriff als erster das Wort. Er schilderte den Ermordeten als ein Wesen, reiner und unschuldiger als die Engel, und seinen Tod als unersetzlichen Verlust für die mexikanische Natlon, Dann nahm er sich Tom vor. Und er zählte alle großen Verbrechen auf, die in Amerika in den letzten fünfzig Jahren begangen waren. Wenn auch andere für diese Untaten abgeurteilt seien, Tom wäre der eigentliche Täter! Kurzum, er müsse gehängt werden! Zum Segen für die Menschheit, LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) IT Aut dem Programm eines Wilhelm-Busch-Abends fand ich folgende reizende Zusammenstellung Das Programm schließt mit „Abenteuer eines Junggesellen”, worauf der Satz folgt: Regreß- ansprüche bei Fliegeralarm bestehen nach Be- ginn der Vorstellung nicht. F.K.H. und als ein unvergängliches Ruhmesblatt der Ge- richtsbarkeit in Princetown. Nun war die Reihe an mir. Ich sagte meinem Vor- redner ein paar unverbindliche Schmeich: und erklärte, mich seinen Ausführungen vollauf anzuschließen. ‚Aber, meine Herren Mexikaner und Amerikaner‘, fuhr ich alsdann fort, ‚der Anklagevertreter hat leider einen dabei übersehen — Tom Buck. So wie er dort auf der Anklagebank sitzt, scheint eı ein Mensch wie alle anderen zu sein. Aber das ist. nur Schein — — Und ich las die Erklärung vor, die mein Schwager über Toms Geisteszustand abgegeben hatte. Sie blieb nicht ohne Eindruck auf die Zuhörer. ‚Meine Herren Mexikanerl’ fuhr ich dann fort, ‚Wenn solch ein Mann zu Ihnen käme und Sie Schwein, Stinktier, Kinderräuber, Ketzor- oder Neger schimpfte. so würden Sie Ihn doch nur aus- lachen und einen Narren heißen. Denn Sie wissen es selbst, daß Sie herrliche und freie mexika- nische Bürger sind.’ An die Amerikaner gerichtet aber sprach ich weiter: ‚Was aber, meine Herren, würden Sie tun, wenn solch eln Narr käme und Ihre Nationalität und damit Ihr stolzes Vaterland beschimpfen würde?" Ein dumpfes Gemurmel entstand unter den Zu- hörern. ‚Ich glaube nicht, daß Jos& Miguella sich Böses dabei gedacht hat, Es war gewiß nur ein Spaß, ein unglückseliger Spaß. Denn daß es ein solcher nicht gewesen wäre, dazu schätzen Mexikaner und Amerikaner einander viel zu sehr — — Doch leider erkannte Tom — man muß Ihm seine Beschränktheit zugute halten — den Spaß zu spät. Das Geschehene ist daher als tragischer Unfall anzusehen und als nichts anderes. Ich stelle darum Antrag, auf Totschlag zu erkennen und Tom zu der im Gesetz vorgesehenen Mindeststräfe von einem Jahr Gefängnis zu verurteller Ich machte den Richtern eine Verbeugung und trat ab Dabei besah ich mir die Zuhörer. Viele hatten Tränen in den Augen, andere lächelten Tom eı mutigend zu. Die Geschworenen aber machten, als sie sich zur Beratung zurückzogen, unerforsch- liche Gesichter. Der Gerichtsdiener nahm neben Tom Aufstellung. Das beunruhigte mich. Denn Tom brauchte nun ja nur die Hand auszustrecken, um dem Beamten den Revolver aus der Tasche zu ziehen — — Es dauerte eine Viertelstunde — eine halbe — eine ganze. Die Geschworenen kehrten nicht zu- 275 Der Schorsch steht vor Gericht wegen Beleidi- gung. Sagt der Richter: „Sie haben zum Martin Klein- lein gesagt: ‚Du kannst mich kreuzweis...’” „Na“, sagt der Schorsch, „des is net woar, ‚kreiz- weis’ hob i net g'sagt.“ A. F. * Die Geschichte beginnt, wie alle Anekdoten Über diesen Gegenstand, damit, daß ein berühmter Ge- lehrter In einem Vortrag über Weltallfragen vom kosmischen Schicksal unserer Sonne sprach und ihr nur noch eine begrenzte Lebensdauer von — sagen wir: zehn Millionen Jahren zumaß; dann würde sie ausgebrannt sein, und damit wäre dann natürlich alles aus. Auch diesmal meldete sich aus der Hörerschaft die uns allen bekannte Dame, die sichtlich verstört wissen wollte, ob sie wirk- lich recht gehört hatte: Zehn Millionen Jahre? Der Gelehrte bestätigte es. Aber diesmal spielt die Geschichte In Wien, und er hatte das schuld- bewußte Gefühl, die Dame vielleicht unnötig er- "schreckt zu haben. Infolgedessen rückte er mit einer weltmännisch beschwichtigenden Hand- bewegung die Frage ins Reich der tröstlichen Ungewißhelt und fügte hinzu: „Approximativ.” KL rück, Erst nach drei Stunden kamen sie. ‚Die Geschworenen haben auf Totschlag erkannt!‘ verkündigte Ihr Vorsitzender, der alte weißbärtige Pelztierjäg: Tom wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Allseltiger Jubel brach aus und man beglück- wünschte mich. Auch mein Schwager trat an mich heran, Er steckte mir die fünfhundert Dollar zu, die er einstweilen für Tom ausgelegt hatte. ‚Am nächsten Tage suchte mich der alte Pelztier- Jäger in meinem Büro auf. Sogleich zahlte ich ihm die hundert Dollar aus. Ruhig steckte er sie ein und sagte: ‚Ich war bei Tom. Er ist sehr böse auf Siel* ‚Böse auf mich?’ Ich war erstaunt. ‚Jawohl. Wenn er aus dem Gefängnis kommt, will er Sie über den Haufen knallen! Ich erzählte Ihm nämlich, was für Mühe ich mit den anderen Ge- schwofenen gehabt habe. Ich schlug Bill Jones zwei Zähne aus, Jonny Kefferson stieß ich zum Fenster hinaus und den Mexikanern drohte Ich, sie niederzuknallen, Aber schließlich setzte ich es doch durch, daß sie geschlossen für Totschlag stimmten.” ‚Die andern wollten Tom also gehängt sehen?‘ ‚Gehöngtl? | bewahrel Freigesprochen wollten Sie ihn haben! Well Sie doch so gut gesprochen hat- ten. Davon wollte ich aber natürlich nick:s "issen, Denn was verstehen diese Kerle schon von der Justiz! Schließlich gibt es Ja auch noch Gesetz und Gerechtigkeit in den Staaten, und wozu sind denn die RechtsanwBlte dal’ — — ‚Ja siehst du“, schloß Söderkum hier seinen Be- ticht. „Das also Ist der Grund, weshalb Ich ‚Amerika wieder verließ. Ich reiste ab — eine Woche bevor Tom aus dem Gefängnis kam. Ich bin beilelbe kein Feigling — doch sicher Ist sicher. Mein Schwager meinte dann auch, daß es die beste Lösung sei, die fatale Angelegenheit aus der Welt zu schaffen. ‚Denn‘, sagte er beim Ab- schied, ‚das würde ja zu ärgerlich sein, sowohl für mich wie für deine Schwester, wenn dir hier ein Leid geschähel Auch wäre es peinlich, wenn dann dein Mörder freigesprochen werden würde. Doch gar nicht auszudenken wäre es, wenn man Tom verurteilen und ich ihn schließlich ganz und gar verlieren würde, wo Ich Ihn doch schon ein Jahr entbehrte. Na, und so fuhr ich eben zurück. Und das war — scheint auch mir — wirklich die beste Lösung.” Ich nickte nachdenklich. Ja, das schien auch mir die bestel (Aus dem Dänischen von Werner Rietig.) GEHROCKS BÖSER GROSSVATER s Kind hatte ich einen Freund von der Sorte, o Eltern nicht besonders gern als Spielkame- aden Ihrer Kinder und vor allem nicht ihrer wohl- erzogenen kleinen Mädchen sehen. Aber Ich war ihm treu ergeben und bewunderte Ihn sehr, denn er unterschled sich In allem interessant von mei- nem sonstigen Bekanntenkreis. Schon rein äußer- lich: er besaß weder einen Sonntags- noch einen Schulanzug und was der lästigen Dinge mehr sind, sondern seine Bekleidung war gleichförmig wie das Fell der Tiere und bestand aus einem Trainingsanzug, und was für einem! Es war ein Erbstück irgendeiner mildtätigen Seele, die sich Jedenfalls mächtig In der Größe von meinem Freund unterschieden haben mußte, denn er konnte die Hose bis unter die Arme ziehen, und die Jacke reichte bis zu den Kniekehlen. Wir Kin- der hatten diese Gewandung ohne jede Boshelt den „Gehrock” getauft, well sie so feierlich aus- sah, und allmählich übertrug sich dieser Name vom Kleidungsstück auf den Besitzer. Der Geh- rock also hatte noch andere bemerkenswerte Eigenschaften, beisplelswelse brauchte er sich nie den Hals zu waschen, wollte Cowboy werden, und hatte eine Unmenge von Flüchen auf Lager, aber dafür keinen Vater, noch nicht einmal einen toten, Aber er hatte einen Großvater, der mehr aus- machte als zwanzig gewöhnliche Väter zusammen- genommen: der war ein sehr schlechter Mensch, so schlecht. daß man ihn uns In der Schule als Beispiel für das vorhielt, was aus uns würde, wenn wir unsere Aufgaben nicht machten. Er schimpfte den ganzen Tag, mal laut, mal leise. Die Fischdiebe I ladri di pesce VON HEILWIG VON DER MEHDEN Laut Über die Regierung, die schlechte Qualität des Schnapses, die Pastoren und Autofahrer, und leise auf das armselige Leben, das so ein alter Mann führen mußte. Zwischendurch verprügelte er seine Tochter, seinen Enkel und jeden Hund, der ihm über den Weg lief. Wenn er nicht gerade betrunken war, paßte er abends füı ein paaı Groschen auf, daß wir Kinder nicht in den Neu- bauten spielten, und entdeckte er uns dabel, ver- trieb er uns mit Ziegelsteinwürfen. So böse war er! Und eines Tages war er tot. Meine übrigen Freunde und ich erfuhren es durch den Gehrock, der ernst und feierlich im Sonn- tagsanzug eines wchlhabenderen Vetters auf uns zugewandelt kam. Wären wir etwas älter und den Forderungen feinen Benehmens mehr ge- wachsen gewesen, hätten wir ihn gewiß unseres Beileids versichert, So sprach aber nach einem Moment nachdenklichen Schweigens meine Schwe- ster das aus, was wir alle dachten: „Ob er wohl schon In der Hölle ist?“ „Kannste dich drauf verlassen!” antwortete der Leidtragende stolz, denn schließlich hat Ja nicht jeder so enge Beziehungen zur Hölle. „Wie sieht er denn aus?“ fragten wir weiter. Die Entgegnung war ein unbestimmtes „Och“, das vieles und auch wieder gar nichts aussagte. Un- sere Neugler war aufs höchste gespannt, und ich hätte alle meine Spielsachen oder wenigstens beinahe alle darum gegeben, die leblose Hülle einer Seele, die schon In der Hölle schmorte, zu betrachten. Der Gehrock, dem ich das sagte, putzte sich die Nase nachdenklich am Ärmel des vetterlichen Anzugs ab, ehe er uns verkündete, (A Kubin) wer ihm zwanzig Pfennig zahle, dürfe seinen Großvater mal begucken. Nach ungefähr einer Stunde stand Ich mit melner Schwester vor Gehrocks Haus, In der Hand eine zusammengepreßte geschmackvolle Kombination von Heckenrosen, Stiefmütterchen und Vergiß- meinnicht, die ein hochrotes Haarband wunder- hübsch, nur ein bißchen fest, zusammenhlelt, Die Großmutter öffnete uns, murmelte etwas von „guten, braven Kinderchens” und führte uns dann zum lieben Verstorbenen, Da lag er nun ausgestreckt auf seinem Bett, und es war totenstill im Zimmer, nur draußen auf der Dachrinne zankten ein paar Spatzen, Und diese Stille war neben der Tatsache, daß er einen Schlips umhatte und ein langes weißes Hemd trug, das Überraschendste für mich; denn niemals war mir der Gedanke gekommen, daß es auch einmal eine Zeit geben könnte, wo des Gehrocks ewig schimpfender Großvater ganz verstummen würde. Und nun schwieg er nicht nur, sondern sah ganz friedlich aus, kein bißchen wild und verkommen. Sein langes weißes Haar, das sonst wie ein zottiges Fell um seinen Kopf stand, war glattgekömmt, und seine Hände hatte er gefaltet, als ob er betete. Ich fand das geradezu un- gehörig, wo er doch In der Hölle war. Und dann tat er mir plötzlich leid. Ich stellte mir vor, wie er im weißen Hemd mit dem blauen, lustig rotgetupften Schlips und den sauber- gekämmten silbernen Haaren vor der Himmels- tür stand, wo man Ihn nicht einließ, sondern zur schwarzen Hölle hinabjagte, obwohl er jetzt so milde und brav aussah, Vor lauter Mitleid verzieh ich Ihm alle Ziegelsteine, mit denen er nach mir geworfen und mich manchmal auch beinahe ge- troffen hatte. Jedoch dabel fielen mir alle seine schwarzen Taten ein, was mich vollkommen ver- wirrte, denn nun fand ich es wieder recht und billig, daß er In der Hölle weilte, trotz seines weißen Hemdes und der gefalteten Hände. Als ich an diesem Punkt meiner Überlegungen angekommen war, puffte mich meine Schwester, die ein Jahr älter und infolgedessen vlel, viel weltgewandter war, in die Rippen: „Ich glaube, wir müssen mal beten, das tut man so”, tuschelte sie, und ich faltete gehorsam meine Hände, senkte den Kopf und begann: „Ich bin klein...”, und stockte Mein Gott, aus dem Fußboden wuchsen ja grünliche Pilze, und tiefe schwarze Löcher waren darin! Ich sah mich welter um: die Zimmer- decke hatte riesige Sprünge, Spinnweben hingen herab, und im Fenster fehlte eine Scheibe. Armer Großvater, vielleicht war er deshalb ein so böser alter Mann geworden! Das konnte Ich gut ver- stehen, denn ich selbst hatte einmal einen gan- zen Tag gebockt, weil wir ins Kinderzimmer keine Tapete mit blutroten Rosen, sondern nur eine mit Punkten bekamen — und was war das gegen grüne Pilze? Der Großvater lag jetzt ganz still und bockte nicht mehr, aber es half ihm nichts, denn nun war er in der Hölle, wo er ja wegen seiner Schlechtigkeit auch hingehörte. Bloß leid konnte es einem Ja doch tun, Nun hatte er es wieder so schlecht getroffen! Meine Schwester, die wohl alle Abend- und Tisch- gebete durchhatte, zog mich hinaus. „Wie sah er denn aus?” fragten meine Freunde, die die zwanzig Pfennige nicht hatten aufbringen können. Wieder war die Antwort ein unbestimm- tes „Och Dann raffte ich meinen ganzen Mut zusammen: „Vleichts is er doch noch in den Himmel ge- kommen!” „Quatsch, in der Hölle is er, und bra'en muß erl' wies mich der Gehtock zu’echt, denn er wollte seinen Großvater in der Hölle nicht kampflos auf- geben und hatte auch wohl die meisten Prügel von ihm bezogen „In der Hölle is er! — Wollen wir das mal spielen?” — „O ja...” Vergessen alles Mitleid und alle Grübelei über Strafe und Vergebung; denn ich durfte der Teufel sein, der ihn am Höllentor gebührend empfing. Gerügter Verstoß „Freil'n Paula, imuaß auf meinen Paragraph drei aufmerksam machen: ‚Mehr als ein Bräutigam pro Quartal kann der Mieterin nicht gestattet werden'!'‘ Trasgressione ammonita: ‘Signorina Paola, io devo richiamare |" attenzione sul mio paragrafo 3: ‘Ad una pigionale non pud esser permesso piü d'un fidanzato per trimestre, !,, 277 {R. Krlesch) Bescheidenheit (K. Holligenstaadt) „Sag’ mal, Lizzi, du hast wohl schon viele Männer verrückt gemacht?" „Aber nein — bis jetzt sitzt erst ein einziger im Dauerbad!“ Modestia: “Di un po', Lizzi, tu hal certo fatto Impazzire molti vomini?!,, “Ma no; finora non ce n'& che uno.che glace in bagno permanente!,, 278 UM MITTERNACHT GING DIE TÜR AUF „Laut Statistik verschwinden in Paris allein Jähr- lich zwanzigtausend Menschen“, sagte ein Herr aus unserem Kreis. Er sagte es, weil wir gerade davon sprachen, wieviel Leute schon in den Ber- gen verschollen sind. Wir saßen nämlich hoch oben In einer Schutzhütte, trockneten unsere nassen Kleider und unterhielten uns, wie sich eben Touristen unterhalten, die zufällig zusammen- treffen. Der Regen trommelte dazu an die Fenster- läden und durch die Bergnacht heulte der Sturm wie ein Regiment jaulender Katzen, „Ja, ja”, meinte eine noch Junge Lehrerin, „die Welt birgt schreckliche Geheimnisse. Es war in einer Nacht wie dieser, da erlebte ich etwas — mir läuft ‘es noch heute kalt über den Rücken.“ Natürlich wollten wir die Geschichte kennen- lernen und rückten näher zusammen, Bereitwillig begann die Dame zu erzählen: „Vor vier Jahren verbrachte ich meine Ferien auf einer Tour in den Tiroler Bergen, Ich wanderte eigentlich ’ziellos und hatte daheim nur einige Orte angegeben, die ich unbedingt aufsuchen würde und wohin man mir die Post senden sollte. Eines Tages traf ich in Matrei am Brenner ein und begab mich gleich in das Postamt. Unter den Briefen für mich befand sich auch ein Schreiben von Tante Paula. ‚Mein liebes Kind’, hieß es darin, ‚wenn du hier eintriffst, dann suche nur gleich meine Jugendfreundin Hermine auf, sie muß ganz in der Nähe von Matrei wohnen. D: Landsitz heißt ‚Einsiedelei‘, Grüße sie von mir, sie wird sich sicher riesig freuen, zumal wir schon seit Jahren nichts mehr voneinander hörten. Seit jener schrecklichen Geschichte — Diese Geschichte kannte ich gut, denn Tante Paula hatte sie mir an die zweihundertmal erzählt. Sie lernte jene Hermine als Mädchen im Pen- slonat kennen. Zu den Lehrkräften dieser höheren Töchterschule zählte auch ein junger Mann mit flatternder Mähne und abgeschabtem Samtkragen: der Klavlerlehrer. Eines Tages quälten der Mei- ster und die Schülerin Hermine vierhändig das Klavier, Eine—zweije—dreije—vier— Das ‚je' er- starb plötzlich. Kopfschüttelnd wartete die Vor- steherin, die sich zufällig im Nebenzimmer be- fand, eine Weile auf das ‚je‘, da es aber hart- näckig ausblieb, schlich sie sich zur Tür und öffnete rasch. Buml Lehrer und Schülerin küßten sich, Krach! Lehrer und Schülerin flogen hinaus, ein jegliches auf seine Art. Die wahre Liebe überklettert jedes Hindernis und harret aus, Innerhalb von sieben Jahren starben die Eltern des Mädchens und erst nach Ihrem Tod konnten die beiden daran denken, sich zu vereinigen. Hermine erbte das Vermögen und den Landsitz, so daß sie dem armen Musikus ein Heim bieten konnte, Sie heirateten, nachdem es dem Mann gelungen war, In Innsbruck eine Stel- lung zu finden, Ihr Glück dauerte nicht lange und fand einen erschütternden Abschluß. Eines Morgens fuhr der Musiker wie gewöhnlich nach Innsbruck, aber er kam nicht wieder. Ver- gebens forschte man nach ihm. Der Schaffner des letzten Zuges, der von Innsbruck nach dem Brenner fährt, wollte den Mann noch in einem Abteil gesehen haben, aber dann verlor sich jede Spur. Erst im späten Frühjahr, als der letzte Schnee wegschmolz, fand man unterhalb des Bahnkörpers am Ufer des Sill die unkenntliche Leiche eines Mannes. Aus den Gegenständen, die der Tote auf sich trug, konnte man seine Identität mit dem Musiker feststellen. Man nahm an, daß er damals aus dem fahrenden Zug gestürzt sei und sein Körper in dem in jener Nacht herrschen- den Schneesturm verweht worden war. Alle fan- den sich mit dieser Tatsache ab, nur Hermine nicht. Die schrecklichen Monate, die sie zwischen Hoffen und Bangen verbrachte, mußten Ihren Gel- steszustand verwirrt haben. Sie litt unter der fixen Idee, ihr Mann würde wiederkommen. In jeder Nacht machte sie das Abendessen für ihn zurecht, richtete das Bett und stellte sogar die Haus- schuhe bereit, wenn der letzte Zug fällig wurde. Verlag und Druck: Vorantworti, Schriftleiter: Walter Foltzick, München, — Anstalten entgegen. — Bezugspreise: "inzoinunm cn VON RALPH URBAN Nun sollte Ich die unglückliche Frau auf Wunsch von Tante Paulo beruchen und deren Wünsche gal- ten als Befehl. Sie war nämlich als Erbtante anzu- sehen. In ihrem Schreiben hatte sie mir noch auf- getragen, recht delikat zu sein und nur ja keinen wunden Punkt zu berühren, Ich wollte die unangenehme Aufgabe so rasch wie möglich erledigen, fragte die Postmeisterin nach dem Weg und machte mich gleich auf, um noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein. Ich erreichte bald die ‚Einsiedelel‘, Ein massiger, trübsinnig aussehender Bau nach Art alter Berg- klöster. Durch den halbverfallenen Torbogen trat ich in den Hof, Da öffnete sich im Obergeschoß ein Fenster und im Rahmen erschien das hübsche Gesicht einer bejahrten Dame. Sie fragte mich, was ich wünsche. ‚Meine Tante, Fräulein Paula Meier aus Wien, läßt Sie herzlich grüßen‘, sagte ich und stellte mich vor, ‚Paula Meier aus Wien?‘ wiederholte die Dame nachdenklich, ‚ach richtig! Mit ihr bin Ich ja ein- mal in die Schule gegangen. Wenn man alt wird, läßt das Gedächtnis nach, Kommen Sie doch gleich herauf, liebes Kind.‘ Ich wurde herzlichst empfangen, unterhielt mich an- gereg!, vermied es aber geflissentlich, von der Vergangenheit zu reden. Deshalb sprach Ich auch wenig von Tante Pauls. Als ich gehen wollte, hielt mich die Dame zurück. Den ganzen Tag über war ein bedrohliches Gewitter hin und her gezo- gen, das Jetzt mit voller Wucht losbrach, Nun wollte mich die Gastgeberin überhaupt nicht fortlassen und so nahm ich ihre Einladung, die Nacht über in ihrem Hause zu bleiben, gerne an, zumal sie gei- stig ganz normal schien. Dies sollte aber bald anders werden. Es war so gegen acht Uhr abends, als es anfin: Wir saßen In einem altertümlichen Saal, der viel zu groß war, um gemütlich zu sein, und mir krachte der Magen, denn ich hatte seit Mittag nichts ge- gessen. Da fragte mich die Hausfrau, ob ich schon jetzt zu Abend essen wolle oder ob ich mich bis Mitternacht gedulden könne. Ich bejahte an- standshalber und log, daß es mir am liebsten sei, zu Mitternacht zu essen. Da brachte mir die Dame für einstweilen Kaffee und Kuchen. ‚Ich erwarte nämlich meinen Mann‘, sagte ‚Er kommt mit dem letzten Zug aus Innsbruck und speist dann gerne in meiner Gesellschaft. Er wird sich auch riösig freuen, in dieser Einsiedelei einen lieben Gast begrüßen zu dürfen. Ich verspürte eine leichte Gänsehaut. HOHE DINGE Dinge gibt es, die man nicht berührt, hohe Dinge, unbeftechliche, nie zu deutende, zerbrechliche, dem gebührt, der dennoch fle-betaftet, daß fein Herz zur Strafe faftet oder aber daß er Steine in die Hand bekommt ftatt Brotes. Liebe Seele, hüte deine Heimlichkeit wie ihr eo frommt, denn fonft haftet etwas Toteo deinem Welen an und beugt cs nieder und dein Mund entbehrt der Lieder troftvoll heitere Melodien - dank dem Schöpfer, der fie dir verlich'n und hebe lächelnd dein Geficht empor; lebe freudig dankbar, wie es fich gebührt, wenn man hohe Dinge nicht berührt. Peter Scher Es & Hirth Kommaaditgosellschaft, München, Sandlinger Straße 0 (Femiut 1296). Briefanschrift ‚Abonnement Im Monat ‚Ich bin schon etwas beunruhigt‘, fuhr die Haus- frau fort, ‚denn ich habe meinen Mann schon ge- stern zurückerhofft, Er wird wohl in dringenden Geschäften aufgehalten worden sein, aber heute kommt er bestimmt, Er muß heute kommen —' Die Frau stärrte geistesabwesend vor sich hin. Beklommen wanderte meln Blick entlang der Wände und blieb an einem Ölgemälde haften, das das Bildnis eines Mannes mit Löwenmähne dar- stellte. Also das war der Musikus. ‚Das ist mein Mann‘, überraschte mich die Dame In meiner Betrachtung, ‚nicht wahr, ein interessan- ter Künstlerkopf? Er wird Ihnen in natura noch viel besser gefallen.‘ Meine Gänsehaut verstärkte sich, Es wurde immer ungemütlicher, draußen blitzte und donnerte es unaufhörlich, die Hausfrau zeigte sich von Minute zu Minute nervöser. Endlich stand sie auf und legte drei Gedecke auf den Tisch. Dann machte sie sich in der Küche zu schaffen, rumorte Im Schlafzimmer und trug ein Paar Männerhausschuhe durch das Zimmer. Ein peinliches Gefühl beschlich mich, ich bereute, nicht in das Dorf zurückgegan- gen zu sein. Als die Zeiger der Standuhr auf Mitternacht wie- sen, gesellte sich die Dame wieder zu mir. ‚Jetzt kommt der Zug In Matrei an’, meinte sie, ‚in einer Viertelstunde wird mein lieber Mann hier sein!’ Ich wußte nicht recht, wie Ich mich verhalten sollte, so sagte ich: ‚Vielleicht Ist Ihm das Wetter zu schlecht und er kommt erst morgen.” ‚Um Gottes willen!’ kreischte die Frau, ‚Er muß heute kommen, Ich fühle es genau, daß er kommt, er ist schon unterwegsl' Mir wurde banger und bänger. Die Dame lief un- ruhig im Roum umher, richtete dieses und jenes zurecht. Plötzlich stand sie ganz still und lauschte gespannt, Jetzt‘, flüsterte sie, ‚jetzt! Seine Schrittel Wir wollen Ihn überraschen, ich verstecke mich im Schlafzimmer, Er wird Augen machen, wenn er Sie hier sitzen sieht. Hi, hi, hi —' Damit huschte sie In das Schlafzimmer, Ich saß steil wie ein Stock, verzweifelt mit einem schrecklichen Angst- gefühl kömpfend. Und da — Von der Diele herauf klang ein harter Laut, wie wenn Jemand einen großen Schlüssel im Schloß ‚herum t. Dann hörte ich Schritte, zögernde, schlürfende Schritte. Die Treppe war mit Teppi- chen belegt, aber ich hörte an dem Knacken des Holzes wie jemand heraufstieg, langsam aber un- aufhaltsam. Ich hielt es nicht mehr aus, wollte schreien, doch die Angst schnürte mir die Kehle zu. Und Jetzt — Gott, ach Gott! Ich sah, wie sich die Klinke bewegte, und ich fühlte ganz deut- lich, wie sich meine Haare kerzengerade auf- stellten, Langsam, ganz langsam ging die Tür auf, Ich wollte die Augen schließen, um das Schreck- liche nicht sehen zu müssen, aber ich war voll- kommen erstarrt, Es blieb mir nichts erspart, ich mußte sehen, was da hereinkam. Es war das Original zu dem Olgemälde an der Wand: der tote Musikus blickte mich aus trüben Augen welt- verloren an, Steif wie ein Klotz flel Ich vom Stuhl,” Die Lehrerin schwleg Jetzt und starrte In die Glut des Ofens. „Brer —" machte nach einer Weile ein Herr. „Schreckliche Geschichte; aber sie kann doch noch nicht zu Ende sein.” „Nein“, meinte die Lehrerin, „aber Sie dürfen mich nicht auslachen. Als Ich zu mir kam, bemühte sich ein Arzt um mich. Dann klärte sich die Ge- schichte auf, Jene unglückliche Hermine war aus ‚Gram schon vor einigen Jahren gestorben und In der ‚Einsiedelei‘ lebte seither ein anderes Ehe- paar. Der Mann hatte mit dem Musikus nur die Löwenmähne gemein und das Bild an der Wand stellte auch gar nicht den Toten dar, sondern den lebenden Gatten meiner Gastgeberin. Diese hieß gar nicht Hermine, aber das hatte ich natürlich nicht wissen können. Wie sich die Hausfrau spä- ter erinnerte, nannte sich ihre Schulfreundin aus Wien auch gar nicht Paula Meier sondern Paula Schmidt. Aber bei alten Leuten läßt manchmal das Gedächtnis nach.“ München 2 BZ. Bı ch. Simplichsimun arscheint wöchentlich einmal, Bentollungen nahmen alle Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post: 1.20. — Unverlangte Einsendungor baten. = Portscheckkonta" München 5920. eiullungsont Hünchen ‚erden nur zurückgesändt, wenn Porto beillegl. — Geschmacksache (E. Thöny) „Billy hat sich freiwillig für einen Geleitzug zur Verfügung gestellt, um begnadigt zu werden!" „Na, ich weiß nicht, ob mir ertrinken lieber wäre als der elektrische Stuhl?!" Questione di gusti: “Per esser graziato Billy s’ & fatto volontario in un convoglio!,, Ebbe’, io non so se a me gradisse di piü morire annegato che non sulla sedia elettrica?!,, 280 München, 19. Mai 1943 . 48. Jahrgang, Nummer 20, 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Die Konkurrenz (Erich Schilling) „Wirklich ganz beachtlich, aber wir haben doch noch viel wirksamere Methoden!" La concorrenza: "Davvero un modo apprezzabilissimo; ma pure nol abblamo dei metodi ancor molto piü efficaci!,, Mythologische Jagdgesellschaft - Compagnia mitologica di cacca (A. W. Paul) „Wenn Sie mit Menschenmännern nichts zu tun haben wollen, Fräulein Diana, verstehen wir das; aber wir sind doch schließlich schnittiger von Figur!“ "Comprendiomo bene, signorina Diana, Vol non volete soperne della razza uman; ma nol alla fin fine abblamo pure un plö bel taglio di figurat,, DAS SCHÖNE BILD VON WALTER FOITZICK Das Bild stand auf der Straße und war ohne Ein- trittsgeld zu sehen. Es stand auf einer Ottomane und hatte ungefähr deren Länge, hoch war es einen halben Meter. Links von dem Gemälde stand ein Nachtkastl. und auf diesem ein Iaeres Aqua- rlum, rechts eine sehr reichlich gedrehte Säule, die ein alter Bergstiofel krönte. Diese Umgebung kam dem Bilde sehr zugute, denn ihre Erd- gebundenheit hob seinen idealen Inhalt. Man sollte solches auch in Kunstausstellungen be- ‚achten. Das Bild vor dem Trödelladen erregte allgemeines Interesse. Immer standen fünf bis sechs Leute da- vor und betrachteten es eingehend. Es'war aber ‚auch ein sehr Inhaltsreiches Bild. Das meiste war “ darauf abgemalt, was schön und gut und traurig ist. Ich will versuchen, es zu beschreiben. Also, os stellte eine Gegend dar, eine schöne Gegend, und, wie schimmernde Säulentempel be- zeugen, eine südliche Gegend mit Zypressen. ‚Tempel waren lauschig vertellt und eingebettet in viel Blaugrün, In dem gewiß Nachtigallen niste- ten und, wenn es dunkel wurde, ihr klagendes Liebeslied ertönen ließen. Soweit der Hintergrund, namentlich rechts, in Rich- ‚tung auf den Bergstiefel hin. Mitten im Bilde aber sitzt sie, die das alles emp- findet und fühlt, die Tempel und die Zypressen, das weite Tal und das Blaugrün. Sie sitzt natürlich auf einer kühlen Stelnbank an einer verfallenen Mai Reichlich ist sie In Schleier gehüllt, denen es aber nicht gelingt, den jugendlichen Körper ganz zu verbergen. Sie hat den Hut abgelegt und blickt hinaus, das Land der Griechen mit. der Saele suchend, Daß sie ein Leid hat, darüber besteht bei uns Zuschauern kein Zweifel. Sie hat sich fortgestoh- len aus dem lärmenden Kreis der Freunde, darauf kann man wetten. Aha, da sind ja diese verständnislosen Gesellen und Gesellinnen! Sie sitzen links in einer Rosen- laube In der Nähe des leeren Aquariums und tafeln. In strohumflochtenen Flaschen funkelt der Wein nur so. Die fröhliche Gesellschaft ißt von ‚dem Stilleben auf dem Tische, Schinken In Bur- gunder, Fasan, Austern, Käse, Obst und Südfrüchte, Der Kellner scheint vergessen zu haben, die ein- zelnen Gänge abzuse: en. Vie empfindsame Dame diese Schlamp: Einige glühende Goldorangen sind sogar vom Tische gefallen und rollten in die Landschaft hin- ein In die vielen bunten Blumen, die ganz im Vordergrund direkt am Rahmen angebracht sind. Das Bild gefällt uns allen ausnehmend. Bald wird es Abend werden. Die weißen Lämmer- wölkchen werden sich rosa färben, die Zecherei am Tisch wird ausarten — das verspreche ich Ihnen — und die einsame Dame wird die Schleler noch fester um den immer noch jugendlichen Kör- per ziehen. Und dann wird der Trödler Bild, Aqua- tium und den Bergstiefel in das Innere des Ladens stellen. 282 Der fromme Liebhaber Hätt ein Glück sein können mit uns, Über die Maßen! Nun blasen Die höllischen Teufel darein! Wär ein Paradies geworden, Schon auf dieser Erden: Ich dein und du mein! Verschlossen die Pforten! Wir werden Im Jenseits erst glücklich sein! Ob es das gibt? Sagt mancher doch: Nein! ‚Aber der liebt, Meint wohl es müsse so sein! Liebe macht fromm. Warte, und blasen Drüben die Engel Willkomm! GEORG BRITTING Nicht reizen (Wilhelm Schulz) „Verschwinden Sie, Sikorski. Sie sollen das liebe Tierchen nicht reizen, sonst kommt es herauf und frißt uns beide!" Non si stuzzichi: "Via via, Sikorski! Non stuzzicate la cara bestivolina, altrimenti essa vien su e ci divora tutti e duel,, 283 ANGELSPORT VON KONRAD SEIFFERT Angeln? Nein, vom Angeln hielt Ramon nichts, gar nichts. Und die Angler waren seiner Meinung nach ein Überflüssiges und albernes Volk. Ich dagegen dachte und denke anders Über das Angeln. Ich weiß, daß dies ein guter Sport ist. Sind Sie Angler, lieber Herr? Wenn ja, dann stehen Sie ‚auf meiner Seite, Ich will Ihnen hier etwas vom Angeln erzählen. Und da werden Sie sehen, daß es zuweilen doch unter den Anglern Leute geben kann, die eigent- lich niemals auf Fische losgelassen werden sollten. Ja, solchen Leuten begegneten wir, und sie be- stärkten Ramons Abneigung gegen den Angel- sport, Wir waren gerade In die Hauptstadt zurückgekehrt, hatten wenig Geld und sahen uns nach irgendeiner Sache um, die fähig war, uns eine Zeltlang etwas über Wasser zu halten. Da lief uns Arturo Salinas in die Arme, Nein, es Ist wenig Über Ihn zu be- richten. Er fragte uns, ob wir Lust hätten, mit fünf Verrückten aus Gottes eignem Land eine Angel- fahrt nach dem Norden zu machen, auf einer net- ten, seetlchtigen Jacht. Vom Norden waren wir eben gekommen. Eine See- fahrt hatten wir hinter uns. Und Verrückte? Und noch dazu Angler? Ramon hatte keine große Lust, ließ sich dann aber doch mitschleppen. Arturo brachte uns mit den Leuten zusammen. Hundert Pesos sollten wir, der Ramon und ich, verdienen, jeder, selbstverständlich. Und die Verpflegung sollte gut sein. Wir bekamen einen Scheck über zweihundert Pesos, holten uns das Geld am Nach- mittag von der Bank, und am Abend besaßen wir nur noch etwa vier Pasos. Es war weg, das Geld. Ach, lieber Herr, wenn man leicht verdient, dann gibt man auch leicht aus, Das ist eine alte Sache. Und In der Hauptstadt, die gleichzeitig der Haupt- hafen des Landes Ist, kann man sehr leicht Geld ausgeben. Sie können es glauben. Vertragsbrüchig wollten wir nicht werden. Und so gingen wir am andern Tag zu unsern Leu- ten. Sie lachten, als Ich ihnen die Sache mit den zweihundert Pesos erzählte, und am andern Mor- gen fuhren wir ab nach Norden. Die Jacht war ein hübscher Kahn. Einen Motor? Selbstverständ- lich hatte sie einen Motor, einen sehr starken sogar, , Wir kamen schnell nach dem Norden hinauf. Die See war glatt, das Wetter gut und unser Kahn mit das Tüchtigste, was Sie sich auf diesem Gebiet vorstellen können. Es war alles an Bord: von der Eismaschine angefangen bis zu einer reichen Aus- wahl trinkbarer Flüssigkeiten, Und die fünf Verrückten? Nein, ich will sie Ihnen nicht einzeln vorstellen, das führt zu weit. Ich will Ihnen nur sagen, daß es Burschen waren mit fabel- haft rasierten Gesichtern, Angler natürlich, Sport- leute, die mit Ihrem Kahn hergekommen waren, um Haie zu angeln, Ja, Haifische, rein zu ihrem Vergnügen, als Sport, wahr haftig. * DasJagdgebiet hatten sie schonfest- gelegt. Es sollte da Rie: von Halen geben. Und das stimmte dann auch. Wir blieben in Küsten- nähe, liefen eine der kleinen Inseln ‚an, die flach und unbedeutend waren, und richteten dort unser Standquar- tier ein. Nein, Hale liebe ich nicht. Den Mann möchte Ich sehen, der für diese Bestien etwas übrig hatl Was aber unsere fünf Leute taten, das war denn doch eine üble Viecherei, Sie hatten tadellose Haken mitge- bracht, klotzige Sachen, feinster Stahl. Jeder war an einer Kette befestigt und diese dann erst am Angeltau, damit die Haie, wenn sie zuschnapp- ten, den Faden nicht durchbeißen und mit dem Haken abgehen konnten. Gut durch- dacht, die ganze Maschinerie, Unsere Leute hatten Glück bei ihrem Sport. Es ist wahr: ich habe nirgends solche kolossalen Hai- fische gesehen wie dort oben. Sie gingen glatt an den Haken ohne sich zu besinnen, schnappten wie verrückt nach dem stinkenden Köder, zogen die Jacht hinter sich her, Meile um Meile. Und das war es, was uns, den Ramon und mich, so wild machte. Wenn man Jäger ist — und das waren doch unsere Leute —, dann sleht man zu, daß das Wild möglichst schnell vom Leben zum Tode be- fördert wird, Habe ich recht? Aber das taten sie nicht. Ganz Im Gegenteil. Ihr Sport war es, den Kahn hinter dem ziehenden Hal herfahren zu lassen. Man soll mit so einem Biest kein Mitleid haben, Bestimmt nicht, Ich hatte kein Mitleid, Nein, Mitleid war das nicht. Aber diese Methode behagte mir nicht. Dem Ramon auch nicht. Immer wieder meinte ich, sie sollten den Hal am Haken erschießen und heranziehen. Oder umge- kehrt. Neln, das taten sie nicht. Und sie ließen die Jacht Im Schlepp des Fisches, bis der nicht mehr konnte. Manchmal dauerte das lange, zuweilen war es Überröschend schnell vorbei. In unserem Standquartler auf der Insel häuften sich die Kiefer und Rückgrate der erbeuteten Haie. Denn was ein richtiger Sportler ist, der braucht Trophäen. Natürlich. Beim Haifischangler sind das eben Kiefer und Rückgrat des Fisches. Das Zeug stank mächtig. Und die Sonne brannte, Na schön! Wir waren wieder mal abgefahren, an einem Morgen. Kaum hatten wir einen beköderten Haken fallen lassen, da biß ein Hai an. Und was für ein Hail Er zog uns weit in die See hinaus und schien nicht zu ermüden. Manchmal kam er an die Wasseroberfläche, und wir konnten sehen, was für ein Riese das war. Die Angler freuten sich und schlossen ge itig Wetten ab Über die Länge des Fisches. Außerdem sprachen sie von einem Re- kord, den sie da aufstellten. Sie meinten, bisher habe noch kein Mensch so etwas an einem Haken ‚gehabt. Das nennt man Rekord, jawohl. "Also: der Hai zog die Jacht, Die Fahrt ging nach Südosten, dann nach Osten, Es war schon Mittag ‚geworden, da bog das Vieh nach Norden ab. Das Tau brummte wie eine Geigensalte, so straff war es gespannt, Ein Riesenkerl war das da vorn! sammelten sich nun rechts und links von uns Scharen von Haien an, die immer dichter, immer größer wurden. Sie begleiteten uns. Ramon sah mit Unbehagen hin, Schön Ist es nicht, in solch einem kleinen Eimer zwischen Halen dahinzu- ‚schwimmen. Sie können es glauben! Daß die Haie von allen Selten zu uns kamen, war erklärlich. Sie tochen den Braten. Sie sind ja immer da, wo es was zu holen gibt. Blut lockt sie mächtig an. Und hier roch es nach Blut. Was soll ich Ihnen sagen: es wurde Abend, Der Hal zog. Es wurde Nacht. Hai zog noch imm« - Ramon und ich, wir schimpften und fluchten. Aber unsere Angler waren begeistert. So etwas, sagten „Ich war aber doch bei Ihnen schon Immer Kunde!" "Ma io ful glä sempre un vostro clienlel,, 284 sie, habe noch kein Mensch mitgemacht, sie seien die ersten. $ie hätten einen Rekord aufgestellt. Ach, das war uns gleichgültig. Ich will Sie nicht langweilen. Sie fraßen Ihn bei lebendigem Leibe auf: die Haie fraßen den Hai. Als der Rekordfisch müde genug war, fielen sie über ihn her und verspeisten ihn. Das haben diese Bestien zuweilen so an sich. Als unsere Leute merkten, was da los war — es war eine sehr helle Nacht —, fingen sie wie wahn- sinnig an, das Tau einzuholen. Sie beeilten sich sehr dabel, ich muß das anerkennen, und wir halfen ihnen. Aber wir waren doch nicht schnell genug. Denn was wir dann aus dem Wasser holten, das war ein blanker Haken mit einom Stückchen Kiefer, weiter nichts. Und an diesem Knochenstück konnte keln Mensch mehr erkennen, daß es einmal zu einem Rekordfisch gehört hatte. Es gab ein lautes Jammern. In der Nacht noch drehten wir nach Süden ab. Ach, es war eine recht unangenehme Fahrt mit unsern vergrämten Anglern. Am nächsten Tag er- reichten wir unser Standquartier. Ich sagte wohl schon, daß die Insel klein und flach war, es war gar keine richtige Insel, Wir hatten da zwei Zelte aufgebaut, bei denen hatten wir den Mulatten Bob zurückgelassen als Wache. Vor den Zelten, unten, am Wasser, lagen die Trophäen un- serer Angler und stanken. An dieser Stelle ging auch die Jacht vor Anker. Ja, wir kamen an, versorgten das Boot, schleppten an den Strand, was wir mitgebracht hatten, und da begann der Sturm. Es war ein eigenartiger Sturm: der Himmel war klar und wolkenlos, die Sonne schien wie immer, Aber die See war fürchterlich. Sie setzte zeitweilig das ganze Inselchen, die Zelte und uns unter Wasser, warf die Jacht hin und her und spülte fast alles ins Meer, was nicht fest- gemacht war. Und dann war alles wie vorher. Nein, viel geschehen war uns nicht. Wir waren naß ge- worden. Wir trockneten schnell, Unsere Jacht war seetüchtig geblieben. Allerdings mußten wir erst den Motor wieder in Ordnung bringen, Aber das war nicht schlimm, Schlimm für die Angler dagegen war, daß alle ihre Trophäen weg waren. Die See hatto sie wieder zu- rückgeholt. Sie stammten aus ihr. Sie behielt die Kiefer und Rückgrate der Haifische. Diese Tat- sache und das Geheul unserer Angler Über das Unglück rührte uns nicht. Ramon bekam es sogar fertig, ihnen zu zeigen, daß er sich darüber freute, Ich hielt das für nicht ganz richtig. Wir kamen zurück ans Festland. Sie gaben uns noch einmal einen Scheck, zweihundert Pesos, und Ra- mon sagte zu Ihnen, das sel nicht zuviel, und er wolle mit Anglern nie wieder etwas zu tun haben, 'wenn man einen Hai um die Ecke bringen wolle, dann könne man das einfacher und auch billiger haben. Darauf sagten sie nichts, sie lachten bloß. Und sie wußten jetzt ganz genau, daß Ramon kein Angler war, daß er nicht einmal ahnte, was rich- tiger Sport ist. In der Hauptstadt lief uns Arturo Sallnas in die Finger. Ramon fuhr ihn mächtig an und sagte ihm, er solle es nicht noch einmal wagen, uns mit Anglern In Verbindung zu bringen. Arturo war zuerst wie vor den Kopf geschlagen. Aber dann erzählte er, daß er schon etwas anderes für uns habe, eine feine Sache, nein, nichts auf dem Wasser, sondern auf dem Rücken der Pferde. Auf dem Rücken der Pferdel O Glück der Erdel Es war selbstverständlich, daß wir bei sol- chen Aussichten unsere zweiten zwei- hundertPesos amgleichen Tage noch ‚ausgaben. Mit Arturo Salinas. Zwel- hundert Pesos sind eine Menge Geld. Aber der Sprung von den Haien zu den Pferden war groß, Ja, ich muß zugeben, daß ich froh war, den Angel- haken mit dem Sattel vertauschen zu dürfen, obwohl ichgern einmalangle, wahrhaftig, Sie können es glauben! (6. Brinkmann) (R. Kriosch) Eu „Sag’ mal, Olga, wie ist das nun eigentlich in einer jungen Ehe?" „Ganz anders, als du es dir denkst — man ist zeitweise bei ganz klarem Verstand!" Schiarimento: “Ma dimmi, Olga, in realtä come ci si sente da sposi novelli?,, “Tutt’ altro da quello che pensi ... di tempo in tempo si ha il cervello completamente a postol,, 285 Bereit, sieh einen Mann zu fangen, Lüßt Marie ihre Reize prangen. Ihr Hut, entsprechend ihrem Alter, Ist zierlich wie ein Frühlingsfalter. Alt, ‚ —— ee ch REFERATE TEN n EN Der Hut füngt an, sich zu entfalten, Marie ist äußerst ungehalten. Er trinkt und als er ganz besoffen, Steht ihm der blaue Himmel offen. Das Hutwunder (Fr. Bllok) Da, plötzlich, füngt er an zu leben, Der Hut, lüßt seine Flügel beben, Entrollt den Rüssel um zu saugen, Marie traut nicht mehr ihren Augen! 286. Drei Punkte von der Kleiderkarte War wert der Hut, der schöne, zarte. Marie kann es nur schwer verwinden, Daß durch ein Wunder sie verschwinden, 5, EIN MANNESWORT VON HANS FRANCK Man schrieb den 22, August 1813, Der Waffenstill- stand zwischen den Preußen und den Franzosen, der am 4. Juli-geschlossen wurde, war seit elf Tagen abgelaufen. Zwar hatte sich während der Wochen völliger Waffenruhe die europäische Koalltion gegen den Kalser endgültig zusammen- gefunden, aber auch Napoleon war in den ver- wichenen beiden Monaten nicht müßig gewesen. Schlagbereit wie nur je stürmten seine Heere neuen Kämpfen entgegen. indessen er selber sich, von Dresden aus, wider die schlesische, durch Blücher befehligte mittlere Armee seiner Gegner wandte, grifi General Oudinot die aus Schweden, Russen und Preußen gebildete Nord- armee heftig an, welche unter dem Oberbefehl des Kronprinzen von Schweden stand, der als gebürtiger Franzose nicht nur den französischen Namen Bermadotte trug, sondern auch als Ge- mahl der Schwägerin Josef Bonapartes mit dem Kalser von Frankreich durch Familienbande ver- knüpft war, Das Ziel der Angriffe Oudinots lag offen zutage: Er sollte in kürzester Frist Berlin erobern und da- durch den Verbündeten einen Schlag zufügen, der für Ihre gemeinsame Sache allerdings nicht tödlich war, jedoch dem einfachen Volk und den ober- flächlich unterrichteten Ausländern als kriegsentscheidend gelten mußte. Alle Zeichen sprachen dafür, daß Oudinot den Auftrag seines Kalser- lichen Herrn in sehr naher Zeit aus- geführt haben werde. Es gelang ihm, die Nordarmee der Koalitionsmächte zwischen Thyrow und Wittstock zu durchbrechen. Der Paß von Wittstock ging verloren. Thyrow mußte aufge- geben werden, Der Paß von Suhns- dorf war nicht zu halten. Der Rückzug auf Blankenfelde ließ sichdurchkeine Gegenmaßnahmen verhindern. Nur noch knapp drei Meilen waren die ungestüm vorwärtsdrängenden Fran- zosen von Berlin entfernt. In diesen Stunden höchster Not, am Nachmittag des 22, August 1813, rief der Oberbefehlshaber der schwer- bedrohten Nordarmee, Kronprinz Bernadotte, seine Generale zu einem Kriegsrat in das Hauptquartier, wel- ches sich zu Philippstal befand. Wäh- rend man die schwierige Lage be- sprach, erklärte der Kronprinz Immer wieder, daß er dem Feind eine große Schlacht liefern wolle. Aber alle Maß- nahmen, die er vorschlug, alle Pläne, die eı entwickelte, ließen den un schütterlichen Willen zum Halten Ber- Iins schmerzlich vermissen. Denn Bernadotte machte, wenn er kaum seine Absicht, anzugreifen, bekundet hatte, selber dagegen Einwendungen über Einwendungen. Er bezweifelte, daß die Truppen durchhalten würden. Er befürchtete, daß Schweden, Preu- Ben und Russen noch nicht zu einer einheitlichen Armee verschmolzen wären,“ Besondere Sorge bereitete Ihm die Lendwehr, welche zum ersten Male Ins Feuer geführt werden sollte, so daß nicht abzusehen war, wie, ja nicht einmal, ob sie die Schlacht- probe bestand. Der Schrecken aller Schrecken aber war für den Ober- befehlshaber die Möglichkeit, daß Napoleon selber zu Oudinot ge- stoßen sein könne und dann die Nordarmes nicht einem besieg- baren französischen General, sondern dem unbesiegbaren Kaiser der Fran- zosen gegznüberstehe. Er habe, ver- Behelf - Espediente sicherte Bernadotte, glaubwürdige Nachrichten, daß Bonaparte nicht mehr nach Schlesien mar- ‚schiere, sondern, damit die entscheidende Schlacht vor den Toren Berlins geschlagen werde, plötzlich umgekehrt sei. Die Rückwanderung Napoleons entsprach durch- aus den Tatsachen. Allerdings war sie nicht um der Nordarmee willen erfolgt, vielmehr damit die von Böhmen vordringende Hauptarmee des Fürsten Schwarzenberg nicht In seinen Rücken geriete. Da Bernadotte den wahren Grund der Schwen- kung des Kaisers nicht wissen konnte, da er sehr wohl annehmen durfte, daß dieser sich gegen ihn wenden werde, da er alsdann sich einer alles gefährdenden Übermacht hätte stellen müssen, so lief — trotz der mehrfach bekundeten Absicht, den Feind anzugreifen — sein Vorschlag schließlich doch darauf hinaus: Es sei das beste, wenn man den notgedrungen begonnenen Rückzug der Nordarmee weiterführe und statt eine un- sichere, Schlimmstes aufs Spiel setzende Schlacht herauszufordern, im Norden Berlins eine sichere, verschanzte Stellung beziehe, Glücklicherweise sei die Brücke zu Charlottenburg noch unversehrt; auch habe er, um alle gebotene Vorsicht zu üben, bereits eine zweite Brücke bei Moabit, so gut es „So Ist es mit Robert: für ihn bin ich nur ein Stammgericht am Ende der Markenperiode!" “Con Roberto la & casl; per Iui non sono che una pletanza fissa alla fine del perlodo delle march 287 (Hanna Nagel) in der Eile gegangen wäre, für den Rückmarsch herrichten lassen. Keiner von sämtlichen Armeeführern hörte diese Vorschläge des Oberbefehlshabers mit gleich starkem Unmut, mit so heftiger, kaum zu bändigen- der Empörung wie der General Friedrich Wilhelm Graf von Bülow. Da ihm das Wort schon gemeinhin schneller auf die Zunge sprang, als den übrigen Generalen und außerdem sein Herz vor Entschlossenheit glühte, an seinem Tell mitzuhelfen, daß die Schmach von Jena und Auerstädt nicht wieder- kehrte, was nur durch die Parole „Angreifen! Angreifen um jeden Preis, Angreifen immer und überalll“ verhindert werden konnte, so erklärte er rundweg: Berlin dürfe in keinem Fall aul- gegeben werden, Bestimmt nicht freiwillig. Also müsse man die Schlacht vor seinen Toren, koste es was es wolle, wagen. Auch wenn ihnen, was er nicht glaube, morgen Napoleon gegenüber- stehe. Weil Bülows Entschlossenheit sich leicht einmal überschlug und dann als Heftigkeit wieder auf- sprang, weil seine Bestimmtheit selbst durch Nahe- stehende von Schroffheit oftmals nur schwer unter- schieden werden konnte, war diese Erklärung mit solcher Schärfe herausgekommen, wie sie einem General seinem Oberbefehlshaber gegenüber nicht wohlansteht, Bernadotte, bel dem — wie konnte es anders sein? — des gallische Blutserbteil infolge der inneren Aufgewühltheit sich gleichfalls — wie bei Bülow die Deutschheit — stärker geltend machte als im Gleichmaß der Tage, Bermadotte glaubte die peinliche Stille, welche nach den Sätzen des polternden Preußen unter den An- wesenden entstanden war, amschnel sten durch ein Scherzwort zu üb: winden und sagte daher leichthii „Was ist- denn schon Berlin? Eine Stadt.” Jawohl, eine Stadt! rlef, noch mehr In Harnisch geratend, Bülow, der bei vaterländischen Dingen keinen Spaß verstand, Aber nicht elne Stadt wie andere Städte. Sondern die Haupt- stadt Preußens. Das Herz des Wid standes gegen Napoleon! Wenn di ses Herz nicht mehr schlage, selPrei Ben, sei Deutschland, sei Österreich, sei Europa verloren. Das treffe nicht zu, widersprach — nunmehr auch mit vollem Ernst, freilich In durchaus be- herrschter Form — der Kronprinz von Schweden. 1806 hätte man nicht nur Berlin aufgegeben. Sondern das ganze von ihm aus regierte Land Bis zu der Grenze des Russischen Rel- ches wäre man, dem Zwang des Krl ges folgend, zurückgewichen. Und trotzdem sei Preußen nicht unter- gegangen. Es habe sich sogar In einer viel schnelleren Zeit, als Irgend- wer für möglich gehalten hätt holt und gegen den allmächtigen Kal- ser Napoleon erhoben! Gerade darin, daß die Rückwärt lauferei von 1808 sich nicht wie: hole, bestehe ihre gemeinsame Auf- gabe als Heerführer! betonte zom- toten Kopfes Bülow mit äußerstem Nachdruck. Diese Aufgabe könne aber nur dann erfüllt werden, wenn man die Schlachten — statt Ihnen, wie in ihrem Fall vorgesehen, auszuwel- chen — unter allen Umständen an- nehme. Er und seine Truppen jeden- falls, darüber wolle er keinen Zweifel aufkommen lassen, würden die Rück- zugsbrücken nicht benutzen. Weder die Charlottenburger, noch die heim- lich geschlagene bei Moabit. Wenn es nach seinem Willen gegangen wäre, so hätte man nicht elne neue Brücke gebaut, sondern die alte Verlockung - Allettamento W. M. Busch „Wundervoll ist dieser Band Lyrik, unersetzlich heute — übrigens könnte Ich ihn gegen eine noch gut erhaltene Unterhose tauschen! E magnifico questo volume di lirica . oggl non sostitulbile! Del resto lo potrei baratlare con un palo di mutande ben conservatel,, Brücke abgebrochen. Um jeden Rückzug unmöglich zu machen! „Dann“, rief, nun gleichfalls enttlammt, Bernadotte, „Wäre unser aller Los, zu fallen!” Da war es Bülow zur Gewißhelt geworden, daß dem Kronprinzen von Schweden nicht nur die letzte Entschlossenhelt zum Kampf fehle, sondern er vermutete — zu Unrecht, wie sich späterhin ein- wandfrei erwiesen hat —, daß diesem der ernst- hafte Wille mangele, Napoleon, durch dessen Gnade er vom Rechtsanwaltssohn zum Thron- anwärter emporgestiegen war, zu besiegen. Und, vergessend, daß er seinem Vorgesetzten gegen- überstand, sprang der Hitzige hoch, schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie: „Wenn mir bestimmt Ist zu fallen, dann sollen meine Knochen vor, nicht hinter Berlin im mörkischen Sande bleichen.” Alles erwartete, daß Bernadotte, dem der Ober- befehl über die Nordarmee zustand, den auf- begehrenden Untergebenen aus dem Zimmer schickte und ihm die gebührende Strafe seines Königs in Aussicht stellte; zum mindesten aber, ‚daß er Ihm unverzüglich das Ungebührliche seines Tuns und Redens verwies. Indossen das Wort zu rachter Zelt, jener Generals- ruf, der nach außen hin das Zorneswort eines Augenblicks zu sein schien, jedoch in seinem In- nern ein welt über die Zeit hinausreichendes Man- neswort war, es brachte urplötzlich die Befreiung aller aus Dumpfheit und Ungewißheit; so wie der von Donnergepolter begleitete erste Blitz mit einem Schlage die Schwüle und Schwere eines überheißen Sommertages verscheucht, Bernadotte — wohl ein Zauderer, aber keineswegs ein Schwächling — gab, über die Formverletzung seines Generals hinwegsehend, den Gedanken des Rückzuges der Nordarmee bedingungslos auf. Zwar erteilte er nicht, wie der ungestüme Bülow wollte, den Befehl zum allgemeinen Angriff. Doch erhielten die versammelten Generale eindeutige ‚Anweisung, in ihren Stellungen zu verharten. Wenn sie angegriffen wüıden, sollten sie sich, damit Berlin nicht preisgegeben zu werden brauchte, nach besten Kräften wehren. Selber den Kampf aufzunehmen, wurde ihnen — weil die Lage voll- kommen undurchsichtig sei und man noch nicht wissen könne, was Napoleon mit seinem Rück- marsch bezwecke — streng untersagt. So kam der 25, August 1813 heran. Es regnete In Strömen. Trotzdem griff, während der Kaiser sich gegen die Hauptarmee der Verbündeten wandte, Oudinot die Nordarmea an. Und zwar jenen Tell von ihr, den Graf Tauentzien befehligte. Aus- schließlich diesen! Er wollte offenbar Tauentzien von Bülow trennen und auf diese Weise günstige Gelegenheit für einen erneuten Durchbruch schaf- fen, mit dem das Schicksal Berlins besiegelt war. Bülow mußte, da er nicht angegriffen wurde, dem empfangenen, unmißdeutbaren Befehl seines Vor- gesetzten gemäß, urtätig bleiben, mußte jenes nationale Unglück, gegen das er sich bei dem Kriegsrat am Vortage mit aller Kraft gewehrt hatte, zähneknirschend geschehen lassen. Alles in Ihm empörte sich gegen diesen unsinnigen Zwang. Die Entfernung zur Armee Tauentziens betrug nur eine Melle! Diese Lücke galt es zu schließen! Folglich geschah es. Denn solcher Vorsichtsmaßnahme widersprach die Anweisung des Oberbefehls- habers nicht, Aber damit war das Notwendige bel weitem nicht getan! Also Tauentzien kämpfend zu Hilfe ellen? Verboten! Jedoch auch dann, wenn es nicht verboten gewesen wäre, reichte dieses Tun zur Erringung des Sieges nicht aus. Nur der An- griff, und zwar der Angriff auf einem anderen, zweifellos geschwächten Frontabschnitt der Fran- zosen, konnte außer der Entlastung Tauentziens einen entscheidenden Erfolg bringen. Bülow, den der strömende Regen in keiner Welse bekümmerte, ritt selber nach vorn, um die Stellung des Feindes zu erkunden, Es stimmte, was er vermutet hatte: sie war schwach besetzt, war an- zugreifen, wor einzunehmen. Oudinot hatte, um Tauentzien In jedem Falle zu werfen, einen Teil der Truppen aus ihr herausgezogen. Als Bülow pudelnaß von dem Erkundungsritt zu seinen Soldaten zurückkehrte, war der schicksals- mäßige Entschluß gefaßt, Er zwängte ihn in drei, weit über das Schlachtleld hinhallende, von der Truppe mit Jubelgeheul aufgenommene Worte. Diese lauteten: „Wir greifen an“ Weil aber dieser Befeh! gegen den ausdrücklichen Befehl des obersten Heerführers der Nordarmee erteilt worden war, schickte Bülow den Major von Reiche zu Bernadotte, daß der dem Kronprinzen von Schweden die veränderte Kampflage schildere und die Erlaubnis zum Angriff erbitte. Das war eine Sache der Form, Denn der Befehl Bülows ließ sich selbst durch elnen Gegenbefehl seines Vor- gesetzten nicht mehr rückgängig machen. Berna- dotte verhehlte denn auch seinen Unwillen über 288 den eigenmächtigen Entschluß des Ihm unterstell- ten Generals nicht, gab Jedoch nachträglich die erbetene Erlaubnis zum Angriff. Das war eine Sache zum Belächeln Denn schon donnerten Bülows Ka- nonen In das Hauptquartier des Oberbefehlshabers der Nordarmee herüber. Als Reiche daraufhin Ber- nadotte bat, seinem General, der eine schwere Sache begonnen habe, zu Hilfe zu kommen, lehnte der mit den Worten seiner Muttersprache: „J'ai l'ennemi devant moi. Chacun döfend son front!” tundweg ab. Obwohl es recht nahe lag, zu er- widern, daß es nicht darauf ankäme, seinen Frontteil zu behaupten, wohl aber darauf, das Ganze im Auge zu behalten, schwieg der Major. Denn er wußte: Bülow, der in dem gleichen Falle freilich nicht geschwiegen hätte, würde es schon schaffen. Und Bülow schaffte es. Es war inzwischen des Nachmittags fünf Uhr ge- worden, Der Regen hatte, obwohl dies am Vor- mittag unmöglich zu sein schien, noch zugenom- men, So glaubten die Franzosen sich in Ihrer Stel- lung sicher. Aber plötzlich waren die Preußen da. Allüberall sprangen sie durch den Wasservorhang. Die Gewehre der Angreifer freilich versagten. Doch die bis zur Haut durchnäßten Landwehrmän- ner wußten sich zu helfen. Sie drehten Ihre Knarren um und hieben mit den Kolben drein. „Was macht Ihr denn?" fragıe Bülow, der allent- halben, wo es noltat, anfeuernd zur Stelle war, „So fluscht es besserl“ rlaf man ihm lachend zu. „In Ordnung”, tief Bülow lachend von selnem trle- fonden Gaul herunter, „Die Hauptsache, daß wir siegen. Wie, ist gleichgültig.” „Natürlich siegen wirl“ versicherten welterstür- mend die Soldaten. Um acht Uhr, als es bereits zu dunkeln begann, hatte Bülow die Schlacht bei Groß-Beeren gewon- nen. Berlin war gerettet. Dieser erste preußische Sieg wurde das flammende Signal zu einer Reihe weiterer Siege, deren funkelnde Krönung der Ubergang Blüchers über die Katzbach und die Völkerschlacht dar vereinigten Heere bei Leipzig war, Was aber hatte, als die Waage bedenklich schwankte, den Ausschlag nach der Slegesselto hin gegeben? Ein Manneswort zur rechten Zeit, das Wort des Generals Friedrich Wilhelm Graf von Bülow, don man später den Dannewitzer nannte: Es ist für einen Soldaten, wenn ihm vom Schicksal bestimmt wird, zu fallen, besser, daß er vor der zu haltenden Linie als hinter ihr den Tod erleidet. MEIN FREUND JOHANNES Wir drei waren auf einer Flußwanderung, Diesen Tag hatten wir ein tüchtiges Stück geschafft. Nun bauten wir an elnem schönen Platz das Zelt auf, kochten ab und gingen endlich zur Ruhe. Ein Wellchen noch schauten wir schweigend durch den geöffneten Zelteingang hinaus in die Däm- merung. Wellen und Wind rauschten leise. In dor Ferne spielte ein Blinkfeuer, Ein Dampfer tutote. Wirklich, es war sehr stimmungsvoll, Plötzlich schnitt Martins Stimme In den Frieden. „Ich muß euch noch eine lustige Geschichte er- zählen, die ich neulich gehört habe”, meinte er. „Laß man, Martin“, sagte Johannes freundlich, „Ich glaube, wir sind von diesem Tag müde ge- nug und werden auch so einschlafen.” - * Martin hatte manchmal ein wenig schwärmerische Momente. Wir saßen bei Johannes und ließen das Grammo- phon spielen, Es spielte die Unvollendete. „So, beim Anhören dieser Musik, möchte Ich ein- schlafen. Für Immerl” flusterre Martin versonnen. Da stellte Johannes die Platte ab „Du scheinst vergessen zu haben, daß du mir mor- gen früh Im Garten helfen wolltest”. sagte or. „Abends können wir es dann Ja melnetwogen noch einmal spielen.” ). Bieger Unglaubliche Zustände in England (E, Thöny) TE, „Stell dir vor, Sally, gerade hat mich einer einen Schwindler genannt, weil ich ihm Gips für Mehl verkauft habe. Unglaublich, wie der Antisemitismus bei uns zunimmt! Incredibili situazioni in Inghilterra: “Pensa un po’, Sally, proprio adesso un tale mi ha dato del truffatore, perch@ gli ho venduto gesso per farina. E incredibile, come |’ antisemitismo vada crescendo da noil,, Wunder über Wunder Die Legende der hl. Elisabeth, einer Landgräfin von Thüringen, dürfte bekannt sein, doch sei sie in Kürze wiederholt: Als Elisabeth eines Tages mit einem Körblein durch den Wald ging, das Lebens- mittel für einen Bedürftigen enthielt, wurde sie von ihrem Gemahl, dem hartherzigen und geizi- gen Landgrafen Ludwig angehalten. „Was ist in dem Korb?“ herrschte er seine Frau an, Elisabeth schwieg betroffen. Da riß der Landgraf das Körb- lein an sich und öffnete es. Es enthielt Rosen, nur Rosen, sonst nichts. Ein Wunder war ge- schehen! Als Herr Müller von einer mehrtägigen Rundfahrt, die er über das flache Land unternommen hatte, in die Stadt zurückkehrte und einen Handkoffer 289 durch die Sperre des Bahnsteiges zu tragen be- absichtigte, wurde er von einem Herr angehal- ten, der sich hiefür als berechtigt auswies, „Was ist In dem Kofferl?‘ frug der Mann mißtrauisch Herrn Müller. Dieser schwieg betroffen. „Öffnen Sie das Kofferl!" befahl der Herr, Mit etwas zit- terigen Händen schloß Herr Müller den Hand- koffer auf, Er enthielt einen Anzug, Leibwäsche und drei Krawatten, sonst nichts. A. Wisbeck Das Beweisstück (K. Heiligenstaadt) „Natürlich hast du meine Flanellhose auf dem Markt angehabit, Elli. Als ich im Amt niesen mußte, habe ich die Zwiebel mit dem Taschentuch rausgerissen!"* Corpus delicti: *"Naturalmente, Elly, avevi indosso. al mercato i miei calzoni di flanella! Quand' io in ufficio dovetti starnutare, ho tirato fuori la cipolla insieme al fazzoletto da naso!,, 290 DER MAGISCHE BALKON VON PETER SCHER Das geschah vor einer Ewigkeit, als Ich noch eine Sömtjacke trug und mit Ungestüm immer drauf und dran war, Irgendeinen Himmel zu erstürmen. Ich hatte in einem grünumlaubten Berliner Vorort eine Wohnung, zu der ein Balkon gehörte, der nach Süden lag — ein Wunder von einem Balkon, denn er lief an drei Zimmern lang, und man konnte, wenn man wollte, aus jedem Fenster auf ihn hinaus- steigen. Mit diesem Stolz des Hauses hatte es eine ganz merkwürdige Bewandtnis. Sein Anblick wirkte so bezaubernd, daß manche Besucher sich nur mit Aufbletung aller Kräfte von ihm losreißen konnten. Einige wurden sögar derart überwältigt, daß sie bleiben mußten, ob sie wollten oder nicht. Ja, es war ihnen sogar einerlel, ob ich wollte oder nicht — so hinreißend wirkte der Zauber dieses Balkons. Ich entsinne mich des Italleners Angelo, eines tem- peramentvollen Herrn, den ich in Venedig am Lido kennengelernt hatte, wo er mir an einem afrika- nisch glühenden Tag, da wir wie todmatte Karpfen auf dem Sand schmachteten, melodisch röchelnd seine Lebensgeschichte anvertrauto, Er war übri- gens Musikant und blies von Berufs wegen inirgend so ein gelbes Instrument. Rhabarberliedchen Vor einem Gärtnerladen Sah ich den dicken Gnom. Wollt man Gelehrte fragen, Sie würden einem sagen: Das ist ja von’ Rhabarber Jawohl ja, von Rhabarber, Von Rheum ein Rhizom! Idı packt" den Gnom beim krausen Haar, Gab von sich keinen Ton. „Was kost' denn der Rhabarbermurz?“ Fragt icı die Frau im blauen Scurz — „Adh, zahlt ihr mir fünf Groschen Jawohl ja, nur fünf Groschen, So geb ich ihn euch schon!“ Ihr Gnome liebt nicıt sehr die Luft, Im Erdreich haust ihr tief! Idı grub ihn mit dem Spaten ein, Warf audı nodı etwas Mist hinein, Jetzt kannst du Süfte saugen, Jumohl ja, Säfte saugen Mit deinem Mäulchen schief! Der Gnom dankt mir mein weises Tun, Saugt sich voll Erdenkraft — Uralt Alaunerinnern Kommt ihm in seinem Innern, Sein Drang geht nun zur Sonne, ‚Jamohl ja, nun zur Sonne, Bis er es hat geschafft! Schau Kind, das runzlich Blältdıen Als wie dein Händchen klein, Das mwudıs aus seinem Gnomenkopf, Das trieb aus seinem krausen Schopf. Bald ist es suppenschüsselgroß, Jamohl ja, suppenschüsselgroß. — Dann setz’ idı didı hinein! HKAMMERER Verlag und Druck: Knorr & Hin Vorantwortt, Schriftloiti önstalten entgegen. — Bezugsproise: Einzelnummer 30 Himmel, wie war, doch dieser südliche Mensch be- nommen, als ich ihm von meinem Balkon erzählte. „Fünfzehn Meter lang — o mamma mial” rief er. „Und dies In solcher Nöhe der Hauptstadil Ich werde kommen, ich werde sehen, ich bitte um Adresse!” Nun gut, Ich schrieb ihm Straße und Nummer auf, dabei denkend: Nie werde ich dich wiedersehen, mein guter Angelo! Hoho — wie lächerlich hatte ich da die geheimnis- volle Anziehungskraft meines Balkons unterschätzt! Zwei Jahre später klingelt es eines Tages, und wer steht vor mir? Angelo, der Venetianer, Er hat nur ein winziges Köfferchen In der Hand, und unterm Arm trägt er In einem schwarzen Tuchfutteral die unvermeidliche Trompete. „Amico mio”, jauchzt er, mich umarmend, „da bin ich, gekommen zu sehen un grande balcone, wo, bitte, wo ist?“ Ich führte ihn hinaus. „Madre di dio!” jauchzte er und fuhr geblendet zu- rück — „dies sein eine immlische Balkon! Che beilo. — bellissimo — ick nicht sprechen — meine Herz kaputt von bellezzal”“ Das Wunder wirkte so überwältigend auf sein ent- zündliches Gemüt, daß er um Gastfreundschaft bit- ten mußte — zunächst für vierzehn Tage. Als diese Zeit um war, erklärte er unter Tränen, daß der Gedanke, von dom Balkon scheiden zu sollen, ihm das Herz zerreiße, = Ich bat ihn, länger zu bleiben; ich wollte denn doch die Schuld an seinem frühen Untergang nicht auf mich nehmen. Er dankte gerührt und richtete sich wohnlich ein. Nun begann ein romantisches Treiben in der Woh- nung mit dem zauberhaften Balkon. Der Himmel mag wissen, wie Angelo auf den Gedanken verfal- len war, beim Nahen bestimmter Gewalten in seine Trompete zu stoßen. Er tat es einmal hell und schmetternd, wenn der Geldbriefträger erschien und zweimal düster klagend, sobald sich der Ge- richisvollzieher zeigte. Die düsteren Klönge waren aber leider in der Überzahl. So lebten wir dahin, bis sich nach vier Wochen eine zweite romantische Persönlichkelt einstellte, ein philosophierender Bäckergeselle namens Schlagintweit, aus Bayern gebürtig. Diesem Jüng- ling war nicht verborgen geblieben, daß mein Name dann und wann in den Zeitungen stand; aber vor allem waren ihm Wunderdinge von meinem Balkon erzählt worden. Da hatte er sich denn auf- gemacht, um mich zur Durchsicht eines Manuskrip- tes zu bewegen, das den vielversprechenden Titel trug: Über die vierfache Wurzel des Mythos vom Sterben. ‚Aber in der Hauptsache wollte er doch den Balkon sehen dürfen. Na denn mit Gott, ich führte ihn hinaus, wobei ich bemerkte, daß ich seine Abhandlung gelegentlich überfliegen würde, Aber er schien mich kaum zu hören — er sah nur den Balkon, den magischen Balkon, der zwei geißblattumwucherte Lauben auf- wies, an jedem Ende eine. Da wußte ich, es hatte auch ihn gepackt, und wir einigten uns, daß er bleiben solle, bis Ich mit der Durchsicht seiner Abhandlung fertig wäre. Der junge Mensch aus Bayern richtete sich also in der einen Laube ein, der Venetianer In der andern, und beide erzähiten sich ihre Lebensgeschichte, wobel sie froh und unbekümmert meine Zigaretten rauchten. Ich kochte mittlerweile für uns alle. Es war ein un- gemein romantisches Treiben. Über Schlagintweit ist noch zu bemerken, daß er wegen seines verworrenen Philosophierens von einem Bäckermeister In der Provinz davongejagt worden war. In der Einfalt seines Herzens hatte er sich sogleich nach der Reichshauptstadt aufge- Kommanditgosellschaft, München, Sondiinger Straße & (Foinruf 1296). Briofanschrift: München 2 BZ, Pl.; Abonnement im Monat tüllungsort macht, um hier mit Philosophieren sein Brot zu er- werben. Zwei volle Monate dauerte dieses romantische leben, dann versiegte es, wie alles Schöne, plötzlich. Der tönereiche Angelo hatte durch seine vielen schwermütigen Trompetenstöße vom Balkon die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gelenkt. Er wurde vorgeladen und bekam wegen Ruhestörung einen Verweis und den Rat, den Ort zu verlassen, Ich sehe ihn noch, wie er zum letztenmal auf dem Balkon stand und seinem gelben Instrument ein wehmütiges Adaglo entlockte. Bald darauf nahm es auch mit Schlagintweit ein Jähes’Ende. Ich kam gerade noch zur rechten Zeit, um die Aufwärterin vor ihm in Schutz zu nehmen. Der Unselige hatte, durch mein ablehnendes Ver- halten gegen seine Philosophie zum äußersten ge- trieben, der unbescholtenen Frau bereits denersten Absatz aus der „Vierfachen Wurzel des Mythos vom Sterben“ vorgelesen, Da gebot Ich ihm Einhalt, worüber er — zu meinem Leidwesen muß Ich es sagen — auch noch grob wurde und mich des Unverstöndnisses zieh, „Wenn nicht der Balkon wäre...” sagte er, und ich entnahm dem Beben seiner Stimme, wie schwer es ihm fiel, zu scheiden. Da ließ ich auch ihn in Frieden ziehen. Mein Gott, wie lange ist das her und doch wie un- vergessen ist es. Was war das für ein magischer Balkon! LIEBER SIMPLICISSIMUS (0, Nückel) Mein Sohn kommt von einer Kaperfahrı durch das Bergdorf, das Ihm nun schon Heimat geworden ist, aufgeregt und begeistert zurück. „Wo hast du so lange gesteckt?" frage ich streng. „Bei Hans”, sagt er. „Der hat Theater gemacht, Au, das.war fein!” „Theater —?“ Ich wittere unangenehme berufliche Anspielungen. Wie sich ergibt, mit Recht, „Und wie hat er das gemacht?” „Er klaut sich 'n Ei, un nn legt ers, un denn gackert er ganz furchtbar.” KL * Zur Ab-und Notwehr gegen die Fliegen, die sich einem während des Nachmittagsschlafs auf die Nase setzen, hatte ich über meinem Schreibtisch einen jener bekannten, abschoulichen, aber zweck- mäßigen Klebestreifen aufgehängt. Mein Sohn, fünfjährig, beobachtete die mörderischen Erträg- nisse des Fliegenleims mit der uns allen eigenen Mischung aus Gruseln, Jagdeifer, Schadenfreude, Da kam eine Wespe, trunken vom nach mensch- licher Auffassung unrechtmäßig geschleckerten Honig, zum offenen Fenster hereingeschwirrt und stürzte sich, neuen Genüssen nachjagend, auf den Fliegenfänger. Sie merkte sogleich, wie es damit bestellt war, riß sich mit einem wütenden Ruck los und wollte eilends wieder zum Fenster hinaus. Aber der verderbliche Leim hatte ihrem Flug die Sicherheit genommen; sie streilte die Scheibe, blieb hängen und zog, hilflos krabbeind und mit vergeblichem Flügelgesumm, eine kleb- rige Spur über das Glas. Mein Sohn, beobachtete grüblerisch den lehr- teichen Vorgang. Aus seinem erwächenden Hirn rang sich eine allgemein gültige Erkenntnis los und fand eine überraschend aphoristische Prägung: „Wir Menschen können sowas abwischen.” lach, Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nehmen allo Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfto und Post- RM. 1.20. — Unvorlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. . wenn Porto beillegt. — lünchen. Kidnapper und GPU. in USA. (0. Gulbransson) „Aha, der Herr Kollege ist auch geschäftlich unterwegs! Und wen wollen Sie verschwinden lassen?" Kidnapper e GPU. negli USA.: “Ah ... anche il signor collega in giro per affari! E chi volete far scomparire2,, 292 München, 26. Mai 1943 . 48. Jahrgang / Nummer 21 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN (Wilhelm Schulz) Britannias Sorge „Mein Hausarzt Maiski rät mir dringend zu einer Badereise nach dem Kontinent! Ich fürchte aber, ich bin für die Fahrt zu schwach!“ Apprensione di Britannia: “Il mio medico di casa Maiski mi consiglia urgentemente di andare al bagni nel continente; io perö temo d'esser troppo debole per tal viagglol,, Galavorstellung - Roppresentazione di gala Gespräche der Maler Von Walter Foitzick Auf dem Gymnasium habe ich in der Literatur- geschichte den Titel eines Buches gelernt, der lautete: „Gespräche der Malern‘, Wenn ich mich recht entsinne, hat das einer In der Barockzeit geschrieben und es muß ein wich- tiges Buch gewesen sein, sonst hätten wir nicht den Titel gelernt. Ich hätte ihn auch schon längst vergessen, wenn die Maler nicht jenes aufregende „N“ am Schluße gehabt hätten. Nach meinen Er- fahrungen möchte ich aber doch zweifeln, ob alles in dem Buche drin gestanden ist, was Maler so miteinander reden. Ich habe da meine Erfahrungen. Ich komme oft mit Malern zusammen. Sie sitzen am Künstlertisch, und die andern Stammgäste ringsherum wissen, daß hier die Maler sitzen, und sie ahnen, daß in diesen Leuten ein inneres Feuer glüht und daß ihre schönheitstrunkenen Augen, wenn sie nicht zufällig auf einem Kalbsgulasch ruhen, in unbe- kannte Fernen tauchen, ins Ultramarinblaue, wo das schaumgeborene Aktmodell sich dem Zink- weiß der Wellenköpfe entwindet. Weltferne Schwärmer, diese Maler, denken die Herren am Nebentisch, Immer den Drang nach dem schönen Schein im Herzen. Stimmt! Ich weiß sogar, daß derschöne Schein häufig ein Tausendmarkscheinist. Wollt Ihr sie deswegen schelten? Ein tolles Volk, dieses Malervölkchen, stets zu mutwilligen Bil- An A derpreisen aufgelegt. Sie schwärmen von Anstel- lung und Staatsaufträgen und auf Goldgrund träu- men sie sich einen Mäzen, einen rest pastosen. Ich habe in den Briefen Michelangelos gelesen —, was steht drin? Da steht geschrieben, daß er stets knapp mit Kleingeld war, und daß der Papst Julius Il. so knickrig gewesen ist. Und in Albrecht Dürers Briefen habe ich gelesen, und viel schreibt er da von Bilderpreisen, und daß die Leute für Kunst kein Geld ausgeben wollen. Bestimmt aber weiß ich, daß, wenn Michelangelo abends an seinen Stammtisch im Borgo, hinter dem Vatikan, kam, er über Julius massive Worte gesprochen hat, wie sie sicher nicht in den „Ge- sprächen der Malern“ stehen. Von Dürer aber ver- mute ich, daß des öfteren seine Eheliebste, die etwas unaromatisch war, zu Ihm gesagt haben wird: „Albrecht, du bist jetzt auch in dem Alter, wo man eine Staatsanstellung bekommen könnte, sprich doch mal mit Pirkheimern, er soll den Rats- herrn, der das Ressort für Olmalerei innehat, auf dich aufmerksam machen. Schließlich ist es doch nicht notwendig, daß immer nur die Kitschiers die schönen Stellungen bekommen.” Dürer. aber-wird seinen gepflegten Bart gestrichen und gesagt ha- ben: „Liebe Agnes, du hast wohl gesprochen, aber leider sitze ich nicht mit dem zuständigen Refe- renten am gleichen Stammtisch, obwohl ich in- wendig voller Form bin. Übrigens werde ich doch einmal mit Pirkheimern reden.” Aber sowas schreiben die Kunsthistoriker aller Zeiten nicht auf, 294 0. Hogenbarth) Der Forellenfischer Der Donner hat geknallt, Rot schrieb der Blitz sein Zeichen. Die Buchen und die Eichen Stehn regenfeucht erfrischt. Es ist, als hätt der Wald Sich Sommerstaub und Müdigkeit Aus dem Gesicht gewischt. Und wiederum der Kuckuck schreit. Wer jetzt Forellen fischt, Kommt leicht zu seinem Ziele: Denn der sich an den Köder drängt, Dann blitzend an der Angel hängt, Der nasse Fisch, Liegt bald gebraten auf dem Tisch. So brich das Brot und trink den Wein Und lob den Tag im Abendschein — Es folgen ihm noch viele. GEORG BRITTING Träumerei DC Heltigenitasctt „Wie nett Albert das wieder gesagt hat: ein hübsches Bein und ein reines Herz, dann kann ich auf jeden Büstenhalter verzichten!‘ Vaneggiamento: "Che belle parole ha detto di nuovo Alberto! ... ‘Con una graziosa gamba e un cuore puro posso ben rinunciare ad ogni reggipelto!,,, 295 DER BRAND VON KURT GROOS Wenn ich manchmal des Abends durch den Schloß- park schlendere, und wenn ich dann die Kinder- mädchen mit den kleinen weißen, frischgestärkten Schürzen sehe, dann muß ich an Edith denken, ob- gleich sie meinem Gesichtskreis schon seit dreißig Jahren entschwunden ist. Ja, damals waren die Zeiten wohl zu ruhig, und die Leute erfanden sich etwas, damit sie hin und wieder mal ins Gruseln kamen. Und Edith glaubte, was die Leute erfanden. Dieser aufregenden acht Tage vor dreißig Jahren entsinne ich mich noch ziemlich genau, Irgend- einer hatte prophezeit, daß die Welt an dem und dem Tag abends um acht Uhr untergehen würde. Es war eine große Spannung und Angst und Auf- regung In der Welt, besonders unter den Kinder- mädchen und ihresgleichen, die fest an den Welt- untergang glaubten, Am achten Tag der Prophezeiung ging Edith mit uns Kindern im Schloßpark spazieren. Sie ängstigte sich und uns in einem fort und redete von nichts anderem als von dem Weltuntergang. Trotzdem war das mit dem Weltuntergang vielleicht gar nicht das Schlimmste, das Schlimmste für Edith war wohl, daß es einige Stunden vor dem Unter- gang in Sagehorns Holzmühle zu brennen begann; ein Großfeyer, von dem mänche Leute noch Jahre- lang sprachen, Dieses Feuer hat unsere Stadt gewissermaßen berühmt im weiten Umkreis ge- macht. Edith war zur Zeit des Weltunterganges sieb- zehn Jahre, und ich sah einmal, wie sie eine Photographie küßte. Es war ein Photo des Brief- trägers Stolbrink, der später Karriere machte und Briefmarken hinter einem Schalter verkaufte. Mit diesem Briefträger warEdith heimlich verlobt, man sprach schon von der nah bevorstehenden öffent- lichen Verlobung. Man war voll des Stolzes über Herrn Stolbrink, und mit Recht, denn später machte er ja die Schalterkarriere, Aus den Gesprächen meiner Eltern hörte Ich, daß Stolbrink das große Los für Edith war, und mehr äls einmal wurde sie ermahnt, sich seiner würdig zu zeigen. Kinder sind besonders kritisch und grausam; aber Ich muß sagen, daß Ich an Stolbrink nie einen Makel entdecken konnte. Alle seine Handlungen waren auf Korrektheit und darauf ausgerichtet, seinen über ihm stehenden Mitmenschen zu gefallen und den unter ihm Wandelnden ein Vorbild zu geben. Einmal beobachtete mich Herr Stolbrink, wie ich einen Groschen fand, für den ich mir Süßigkeiten kaufen wollte. Er redete so lange eindringlich und quälend aufmich ein, bis er mich dazu gebracht hatte, den Groschen meinenEltern abzuliefern. Das war Herr Stolbrink. Damals merkte ich schon sehr genau, daß Ediths Ge- dänken um den Weltuntergang nicht In erster Linie der Sorge um das eigene Fleisch entsprangen; es waren die Ge- danken an den möglichen Verlust des Briefträgers Stolbrink, die ihr die Tage vor der Katastrophe verdüsterten. Aber dann war auf einmal vor lauter Aufregung der Weltuntergang verges- sen; hinter den hohen Baumkronen des Schloßparkes flammte es rotknisternd auf — Sagehorns Holzmühle lohte wie eine ungeheuere Fackel zum Himmel empor. Die Menschen rannten mit seltsam ge- spannten, mir damals grausam vorkom- menden Gesichtern zum Brandherd. Auch Edith, meine Geschwister und ich‘ standen bald zwischen der schweigen- den, unheimlich starrenden Menschen- menge. Ich fürchtete mich und war gleichzeitig unter einem bisher unbe- kannten, lockenden Bann. Meine kleine Schwester weinte, aber nicht, weil sie sich ängstigte; sie wollte von Edith auf den Arm genommen werden, um alles besser sehen zu kön- nen. Zweimal knallte es kurz hintereinander, und manche duckten sich feige zusammen, und ein Mann neben uns sagte, es seien Benzinfässer explodiert. Ein anderer erzählte gleich darauf, daß in der Holzmühle viel Sprengstoff lagere, und wir wohl alle in die Luft fliegen würden. Bei diesen Worten duckten sich die Umstehenden wieder, ihre Gesichter erschienen mir noch ängst- licher und grausamer, .aber keiner wich von der Stelle. Es war ein schaurig-schöner Brand, und als wir uns alle etwas daran gewöhnt hatten, schaute Ich mich um und sah, daß Ediths Gesicht leuchtete und glühte; sie ließ den Mund ein wenig offen stehen, obgleich sie uns Kindern das jedes- mal verbot. Als der Brand seinen Höhepunkt erreicht hatte, kamen zwel Feuerwehren. Ich hätte damals alles gewettet, daß keiner von diesen beherzten, diesen tollkühnen Männern wieder aus den Flammen zu- rückkehren würde. Doch schon einige Stunden später spielten sie alle Mann Skat im „Prinzen Heinrich“ und tranken große Bierkrüge aus und ließen sich feiern. Die seltsame Wende In unseren Kreis aber brachto August Ramsloh, sonst ein einfacher Eismann, heute aber ein Titan. Er war, gerade als der Brand be- gann, mit seinem Elsfuhrwerk vorbeigekommen und hatte unter den Gaffern als erster angepackt. Er verließ seinen Posten zwischen den Flammen erst, als die Feuerwehr ankam und die beste Arbeit fortnahm. Noch Jahre nachher habe Ich mir alle Helden wie August Ramsloh vorgestellt: jung, stark, erhitzt, die Haare zerzaust und angesengt, den Leder- schurz voll Ruß und Mörtel, auf dem linken Hand- rücken eine blutende Rißwunde. So kam August zu uns. Die Menge machte eine Gasse, eine Gasse dem Großen, dem Verwegenen. August ging schnurstracks auf Edith zu; diese Auszeichnungl Er begrüßte Edith, und sie, die ihn sonst nicht ansah, weil Herr Stolbrink das nicht litt, grüßte wieder und bekam ein unruhiges Gesicht, „Was zu machen ist, ist gemacht”, sagte August Ramsloh großartig, „lassen wir den Rest der alten Bude jetzt ruhig zu Ende brennen!” Er schlenderte bei diesen Worten ein wenig vom Brandherd weg, und Edith und wir Kinder folgten ihm. Wir gingen immer am Rande des Schloßparkes her, der im Süden übergeht in die Koppeln; dort ist es ganz einsam. August Ramsloh redete In seiner sicheren, starken Art ein auf Edith, und Ich sah, daß Edith energisch den Kopf schüttelte, aber nur im Anfang. Nachher nickte sie ein paarmal DENN DU BIST ICH Von Herbert Lestiboudois Du wirst aus meinem Wesen niemals weichen, Du grauer, stummer, namenloser Schalten, du, Denn du bist idı — und ich muß dir nun immer gleidıen In allem, was ic denke, tradıte, tu. Zwei Jahre ist dein Schritt mit mir gegangen, Und als der Tod didı schlug, da gingst du in midı ein, Und deine Dunkelheiten, die zum Lidıte rangen, Das werden meine Dunkelheiten sein. Idı seh’ didı.nodcı in einer Nadıt des Grauens — Du fragtest: „Was ist Got?“ — und rings dieErde barst — — Seitdem ward unser Aug' des Ineinanderschauens Nie müde mehr, solange du lebendig warst. So haben wir uns tief in uns hineingesehen, Und ich bin du gervorden, da du nicht mehr bist, Und deine dunklen Fragen, die durdı meine Seele gehen, Sie ruhen nicht, ch dafß es Tag geworden ist. 296 und seufzte, und August Ramsloh umfaßte sie mit seinen starken Armen, so daß die weiße Schürze beschmutzt wurde, was Edith sonst nie geduldet haben würde; schon gar nicht von August Rams- loh, der mal verächtliche Bemerkungen über den Briefträger Stolbrink gemacht hatte. Es roch Überall nach Brand, nach Brand und Früh- ling. Als die Koppeln mit den dichtbewachsenen Knicks vor uns lagen, tat August Ramsloh etwas, das Ihn In meiner Achtung noch höher steigen ließ. Er schenkte mir eine Mark und sagte, dafür möge ich mir und den Geschwistern einiges beim Zuckerbäcker holen. Nachher sollten wir alle drei wiederkommen und hier auf der letzten Bank am Südflügel des Parkes uns hinsetzen und war- ten, bis er und das Fräulein Edith zurückkämen; sie wollten beide noch einmal zu Sagehorns Mühle, Ich beschloß, August Ramsloh zum Dank für die Mark die Hand zu reichen und eine Verbeugung zu machen, was ich sonst nur sehr ungern tat. Aber dazu kam es nicht, August packte mich wie ein Karnickel am Rockkragen und schwenkte mich hoch über seinen Kopf, daß mir die Luft ausging. Dann setzte er mich ganz vorsichtig nieder und lachte, Das war August Ramslohl Das Letzte, was ich von August hörte, war die zu Edith gemachte Bemerkung: „Die Welt geht Ja heute sowieso unter, da Ist es schon gleich!” „Meinst du wirklich?” fragte Edith, und dann bogen sie in den Weg zu den Koppeln ein, und wir liefen zum Zuckerbäcker und holten für eine Mark Nasch- zeug, mehr als wir sonst im ganzen Monat zu sehen bekamen. Als wir wieder zur Bank zurückkamen — August hatte uns gesagt, daß Eile beileibe nicht not tue —, schlug es achtmal von der Georgikirche. Mir fiel ein, daß jetzt eigentlich die Welt unter- gehen müsse. Ich war enttäuscht, daß nichts ge- schah; vielleicht haben sich die Astrologen um einen Tag verrechnet, dachte ich. Endlich kam Edith zurück, Allein. Meine kleine Schwester war an meiner Seite eingeschlafen, und mein jüngerer Bruder spickte Tannenzapfen in den Sand hinter der Bank. Edith hatte ein ganz anderes Gesicht bekommen, viel größere und fremde Augen, auch der Mund war anders; ich war erstaunt und erschreckt dar- über. Wie im Traum setzte sie sich neben mich und sagte anfangs gar nichts. Wahrscheinlich hatte sie sogar vergessen, daß meine Eltern schimpfen würden, weil wir nicht um acht Uhr zum Abendbrot nach Hause kamen, Dann schlug die Turmuhr der Georgikirche wieder; dieses Mal neun Schläge. Edith proßte das Gesicht in Ihre Hände und legte sich ganz vornüber auf die Schenkel und sagte in einem: „Mein Gott, mein Gott, was nun?” Mir wurde unbehaglich zumute, ich schmiegte mich an sie, die solchen Kummer hatte, und ich fragte, um über- haupt etwas zu sagen, ob die Welt denn nicht untergehe. „Mein Gott, mein Gott", schrie Edith und preßte mich fest an sich, „komm, laß uns beten, daß sie nun wirklich un- tergeht — gütiger Gott, laß sie unter- gehen, laß sie untergehen!” — Die Welt ist nicht untergegangen, ich weiß nicht einmal, ob Edith unterge- gangen ist. Ich muß nur hin und wieder an sie und August Ramsloh denken, wenn ich des Abends die Kindermäd- chen mit ihren kleinen weißen, frisch- gestärktenSchürzen im Schloßpark sehe. Ich zürne in meinen Gedanken dann auch manchmal diesem August Rams- loh, weil Edith seinetwegen ihre Stelle bei uns verlassen mußte. Aber ich denke wieder freundlicher von Ihm, wenn ich an Stolbrinks Schalter die druckfrischen Briefmarken kaufe, die so makellos sind wie er selbst, Olaf Gulbransson, dem Siebziger Wie wird mir? Meine Pulse stocken ... Du thronst, umwogt von Silberlocken, die Krone sitzt ein bißchen scheps. Und huldigend zu deiner fete verneigen sich Geheimeräte und jubelt rückhaltlos der Plebs: Skribenten, düstersernst wie Pinien, orakeln über deine Linien und sezernieren Wisch um Wisch. Du aber sitzest stumm und fächelst, indem du wie ein Augur lächelst, den Bockmist lässig untern Tisch. 297 EEE SS R Da me m = = nn —- [ge en (Fr Bllok \ | ’- „Heil, Fürst der Karikaturisten, in dessen Hirn die $päße nisten nach einem unerforschten Plan!“ — Gehüllt in deinen Krönungsmantel, als Szepter eine Zentnerhantel, hörst du den Sums gelassen an. Auf einmal wirfst du voller Tücke hoch in die Lüfte die Perücke und Kron und Mantel hinterdrein, reckst nackt die Glieder (Bilek, mal’ se!) und lachst und lachst aus vollem Halse, — Und so was will nun siebzig sein! Dr. Owiglaß Amerikanische Szene: Gerettet! - Scena americana: Salvate! (6. Brinkmann) SCHNELL, EIN MESSER! ES WARE SCHADE UM DEN, GUMMI. PISTOLENDUELL Nur wenige Leute aßen um die Mittagszeit Im Grandhotel. Wer zahlı auch gern für ein schlichtes Schnitzei sieben Silberlinge? Tat er es dennoch, so mußte seine Brieftasche wohl gespickt sein und seine Uhr aus purem Golde. So waren auch heute nur sechs Tische besetzt und zu einem dieser von einem einzelnen Herrm besetzten Tische trat plötzlich durch die Tür ein Herr, verneigte sich kurz und bat. „Dart ich Ihre Liebenswürdigkeit eine Minute In Anspruch nenmen?” „Bitte? Worum nandeli es sich?” „len definde mich In eine: entsetzlichen Ver- legennelt” „Geldlicher Art?“ bemerkte der andere Ironisch Der Fremde winkte ab „Nein — nein — wonn es nur das wärel Dann würde ich mich nicht an einen mir völlig tremden Herrn wonden. Es handelt sich um ein Duell,” „Ein Duell?” „)d. Ich habe heute nachmittag ein Pistolen. duell” erklärte der Fremde „Ich bin erst gestern in dieser Stadt angekommen und kenne keinen Menschen, der mir die Ehre eines Sekundanten erweist” „Abeı Sie brauchen doch zwei Sekundanten?” De: Mann in der Notlage nickte: ‚Eben. Sie wären der eine und der zweite könnte VON JO HANNS ROSLER ein Freund von Ihnen sein. Sie haben doch Ehren- männer unter Ihren Freunden?” „Erlauben Siel" „Ich wußte es“, sagte der Fremde und stellte sich vor, Auch der Her am Tisch hatte sich erhoben „Tibor Tilden“ nannte er seinen Namen Als die beiden Freunde und det Duellant in dem kleinen Gehölz ankamen, das als Kampfstötte ver- einbart war. warteten dort bereits drei Herten. Die Duellanten traten abseits währeng sich die vie: Zeugen miteinander bekannt machten Sie schienen wohl alle noch an keinem Duell teil- genommen zu haben. denn jeder achtete sorglich darauf, was der andere tat, um es ihm genau nachzutun. Alle vier waren durch offensichtliches Wonlleben ein wenig beleibt und unbeholfen und es stellte sich bald heraus. daß auch die Sekun- danten des Gegners In ähnlicher Weise erst in letzter Minute geworben worden waren Einer vor. ihnen übernahm das Ami des Unparteiischen. „Der Beleidigte hat die Wahl der Waffen!“ Die Duellanten wählten sich ihre Pistolen. „An die Plätze, meine Herren!“ Die beiden Gegner gingen auf ihre Plätze, „Einsi" Sie kehrten sich den Rücken „Zweil” 298 Die Pistolen hoben sich „Dreil” Kein Schuß ertönte. Die beiden Duellanten schritten mit erhobener Pistole aufeinander zu. In der Mitte trafen sie sich, machten eine scharfe Rechtswendung und gingen direkt mit entsicherter Pistole auf die vier Sekundanten zu. „Dürfen wir um die goldenen Uhren bitten!”, sagte der Herr, der zu Tibor heute mittag an den Tisch getreten war, „ebenso zeigen wir Interesse für goldene Ringe, Tabatieren und Ihre Brief. taschen, meine Herren! Auch auf Krawattenncdain verzichten wir nicht” Die vier Geprellten gehorchten zitternd, Gegen entsicherte Pistolen läßt sich nicht mit Fäusten fechten. Tibor Tilden warf ihnen seine Brieftasche wütend vor die Füße. „Verlogenes Gesindell”, zischte er. Der Andere hob die Brieftasche auf und schüt- telte den Kopt. „Wit haben nicht gelogen, mein Herr", sagte eı sanft, „zwischen diesem Herrn und mit besteht tatsächlich eine Duellforderung Schon seit Jah- ren Aber stets. wenn wir unser Duell austragen wollen. ergibt sich immer wieder eine so gute Gelegenheit wie heute — —" Ausgleich (R.Krloseh) „Ach, Paul, Männer können eben nicht so stark lieben wie Frauen!" — „Nee — nee — aber öfter!“ Compensazione: Ah, Paolo, giä gli vomini non sono capaci di amare sl forte come le donne!,, — “No ... no... pil spesso peröl,, 299 BIERZTZIEGENBOERTSIEBLEAR Den Juli 1939 verbrachte ich im Gebirge, hoch droben, fern in der Einschicht, dort, wo es noch echte Butter und echte Bauern gibt. Die Bauern kannte ich alle seit Jahren schon. An Regen- tagen — die hier zwar gemäß Verkehrsvereins- propaganda selten wie in der Sahara waren — besuchte ich meine Freunde in den weitum ver- streuten Höfen und half ihnen bisweilen bei allor- hand schriftlichen Arbeiten, da es sich mit der Zeit herumgesprochen hatte, daß ich zur Gilde der sogenannten „Tintenschreiber” gehörte. Als geübtem Fragebogenschützen fiel mir denn auch die gewisse Formulartistik nicht allzu schwer. Be- sonders gern besuchte ich damals den Hof des Kendibachers und bearbeitete seine Fragebögen mit einer ausführlichen Gewissenhaftigkeit, ja mit der Akribie des Wissenschaftlers, die jedes ge- wiegte Amtsorgan entzücken mußte. Dort beim Kendlbacher hatte sich 1939 ein reizen- des Wesen eingemietet. Fräulein Ella. Daß sie mir nicht gleichgültig war, ließ sich sehr rasch und zweifelsfrei feststellen. Daß ich ihr nicht, durfte ich aus gewissen Anzeichen hoffen. „Ach, Sie sind so geschickt”, bat Ella eines Tages mit einem Augenaufschlag, für den Ich ihr sogar den Großen Ariernachweis auszuarbeiten ver- sprochen hätte, „könnten Sie mir nicht diese paar Formulare ausfüllen?“ Ich war glücklich. Es galt nun nur, ein schickliches Mittelmaß zu finden, das ermöglichte, Ellas liebe Nähe lange zu genießen, anderseits aber auch durch fixes Tempo meine geistige Wendigkeit in entsprechend vorteilhaftes Licht zu rücken. Leider fand ich das nicht. Die Gegenwart der ontzückenden Kleinen verwirrte mich im Vereine mit dem Wust ihrer und des Kendlbachers Formu- lare, Ich trug in Ellas Fragebogen unter die Rubrik „Fremdsprachliche Kenntnisse’: „Bei Grün- futter täglich 8,5 Liter‘ ein und In die Stammrolle der Kuh „Enzian“ unter „Durchschnittlicher Milch- ertrag”: „Französisch; 4 Jahre Lyzeum‘’ Da waren die unersetzlichen Bögen verpaizt. Sie heulte und nannte mich einen Idioten. Ich schied ver- zweifelt und wäre nicht dort die Höhenluft so anerkannt gesund, vielleicht hätte mir der Kum- mer das Herz gebrochen. So schwer machen wir Menschen uns das Leben. Wie glücklich hötten wir zwei sein können, Sie wollte was von mir und ich was von ihr. Es war nur nicht dasselbe. Dichter nennen das Tragik. Und dabei hätte mein Anliegen keines einzigen Fragebogens bedurft... ‚Am nächsten Tag, Sonnabend, tauchte ein gewis ser Herr Egon auf. Egon trug zu engerlingfarbenen Knien einen blaubedruckten Leinenjanker. Vom spitzen Strohhut wippte eine kacke Feder und am Hosenträger stand gestickt „Seppl hoaß I", was wegen offenkundiger Falschmeldung polizeilich bestraft gehörte. „Gonnerll” jubelte Ella und fiel Ihm um den Hals, wozu Egons Nacken in ausgedehnter Welse Ge- legenheit bot. Mich quälte Eifersucht schlimmer noch als rote Ameisen In der Lederhose. Ich irrte planlos um- her, haderte mit Gott und der Gegend und plötz- lich klärte sich mein Blick, ich sah wieder die Grate und Spitzen, das freundliche Tal mir zu Füßen und im Norden die blau verdämmernde Ebene. Da ward mir Ella so grenzenlos wurscht, daß ich ihr von Herzen den blauleinenen Gonneri gönnte, Um mich zu belohnen für meine neldlose Ent. sagung, bediente sich der liebe Gott eines Ziegen- bockes. Ich trat — wieder ganz mit mir im reinen — aus dem Wald auf den Almboden. Den stillen Frieden der Wildaueralm störte ein greller Fleck. Der Flock war blau. Und ich sah nicht mehr rot. Ella VON OTTO HOFMANN-WELLENHOF und Egon standen innig aneinander geschmiegt dort. Hinter Ihnen nahm ein wackerer Ziegen- bock — vermutlich in seinem Sinn für Harmonie durch die allzu schreienden Farben gekränkt — kurzen Anlauf. Er sehkte das würdige Gehör und preschte prächtig nach vorn. Egon riß Ella mit, Sie fielen ins Gras, sanft und weich — zu weich vielleicht, denn auf einer Alm weiden Kühe. Ich hob In stillem Dank meine Arme nach oben Im Tal rauschte der Bach und die weißen Som- merwolken trieb ein lustiger Wind übers „Birg“. Nun soll man aber nicht nur den ferne waltenden überirdischen Mächten Dank zollen, auch die Werkzeuge, deren sie sich bedienen, seien mit eingeschlossen. Den Ziegenbock kannte Ich. Es war Sedlak und er gehörte dem Wildauer. Ich hatte das kluge Tier bereits einmal fragebogenmäßig bearbeiten müssen, wobei sich gleich bei Punkt 1 „Name?” Schwierigkeiten ergaben. „Tauft ham ma Ihn net!” erklärte der Wildauer lakonisch, welche Auskunft In mir begrelfliche Bedenken und die Furcht vor unabsehbaren Kom- plikationen hervorrief. Ich betrachtete grüblerisch den ungetauften Bock Er wies mir seln Profil. Und wie ich so den lang- gestreckten Schädel, den dünnen Kinnbart und die etwas vorstehende Unterlippe sah. durchzuckte eine Jähe Assozlatlon meine Gedanken: aus den Tiefen der Vergangenheit tauchte das Haupt meines Physiklehrers Sediak auf, jenes Mannes, dem ich verdanke, in die Geheimnisse der At- woodschen Fallmaschine und des Papinschen Topfes eingeweiht worden zu . Und ich schrieb mit festen Leitern hinter 1: „Sedlak”, Hatte ich also damals bereits dem Trefflichen viel- leicht durch diese spontane Namensgebung einen Dienst erwiesen, so schien mir jene Tat für seine heutige Aktion doch nicht hinreichend zu sein. Was kann nun ein „Tintenschreiber“ für einen MORGENFAHRT Wild wälzt sich, aufgeschrekt vom Traum, ein Dorf auf seiner Lagerstatt. Ein Sdıloß treibt hin am Waldessaum Es kugelt mächtig aus dem Raum ein Berg, der keinen Halt mehr hat Die Straßen flattern lang und leer. Ein Teich wird aus dem Land gezerrt. Die Felder sdıleißen kreuz und quer. Die Zäune schwanken hin und her. Die Koppeln werden aufgesperrt Ein Schornstein wird hinwegbemwegt Ein Kirchturm treibt das Gleis entlang Ein Mädchen wird vom Feld gefegt Ein Baum am Badı wird umgesägt. Ein Strom zerbridıt mit schrillem Klang. Dodı dann grüßt alles, was enfscdımand, nodı einmal her als weite Sicht, als sammelte das wirre Land, dem Mensdıenherzen nah verwandt, sich voller Trost im Morgenlidht. K. M. Sdüller 300 Ziegenbock tun? Eine Eingabe machen, daß man ihn zum Ziegenoberbock ‚oder zum Oberziegen- bock ernenne?+Ist das statthaft? In schweren Gedanken wanderte ich heim, Ich suchte Ablenkung beim „Moarwirt“, trank ein, zwei Viertel Weißwein für das Gemüt und einen „G'spritzten” gegen den Durst und blätterte zer- streut In den Illustrierten, die offenbar bereits sehr eifrig von den Stubenfliegen gelesen worden waren. Das Bild eines majestätischen Ziegenbockes in Großaufnahme hielt mein Auge fest. Nach den heutigen Erlebnissen fühlte ich mich zur Lektüre der nebenstehenden Abhandlung verpflichtet. Ich erwartete, lediglich ein Loblied auf den Käse zu finden und eine Statistik über die hundertjährigen Bulgaren. Ach — das tat der, Verfasser in fünf Zeilen ab. Was aber dann folgte, ließ mir den Atem In banger Vorahnung stocken. Armer Sedlakl Da stand nun, daß es der Forschung gelungen sel aus den Ziegen weiß der Himmel was alles zu machen. Ich glaube, sie kommen gleich nach der Braunkohle. Aus den Klauen Zahnbürsten und aus den Hörnern Kämme, aus der Zunge Ochsenmaulsalat und aus den Zähnen Taschenuhren, aus dem Fell, aus der Haut, aus den Haaren, aus dem Blut, aus den Ein- gewelden — Parfüm konnte man aus ihnen ge- winnen, Benzin und Kognak mit 3 Sternen. Was sind wir Menschen doch dagegen mit unserem bißchen Leib und Seele für eine unrentable Kon- struktion! Bedrückt wanderte ich meinem Quartier entgegen. Armer Sedlakl Wer so viel Nutzen In sich birgt, des Leben und Freihelt ist von kurzer Dauer und ich beschloß, ihn zu retten. Schon tags darauf suchte ich mir beim Wildauor die Zweitschrift der Akte Sedlak heraus, setzte mich hin und beantragte, unverzüglich „Im Nach- hange zur Einreichung vom 17. ds.” eine Ergänzung in Spalte 15 „Bemerkungen” aufnehmen zu wollen, derzufolge „o. a. Ziegenbock Sedlak” unter Natur- schutz zu stellen sel. Dann kam der Krieg. Der Akt geriet in Verstoß und ich in. die Kaserne. Viele Monate später — wo waren Wildau, Kendibach und Sedlak? — sollte mir noch einmal das Geschehen dieser fer- nen Sommertage Jäh vor Augen treten. Ich wurde zum Gefreiten befördert und wir felerten die Beförderung weit außer unserer Stel- lung irgendwo Im Grünen. Zum Schluß packte mich unser fürsorglicher Spieß In sein Beiwagen- krad. Die Nacht war spät, die Nacrt war kühl, Das Krad ließ sich nicht anstarten. Der Spieß schimpfte gewaltig: „Heut’ bockt aber das Luderl” In die Nebelschwaden meines Feierzustandes leuchtete plötzlich das Wort „bockt” wie ein Blitz. „Das ist der Sedlak, Herr Hauptwachtmeister!” sagte Ich und machte aus Pietät Anstalt, den Bel- wagen zu verlassen. „Ich hab's ja gewußt, daß man einmal Benzin aus ihm machen wird. Sie haben Sedlak im Tank und darum bockt die Ma- schinel”” „Sedlak?“ fragte argwöhnisch der Hauptwacht- meister. „Was ist denn das für ein chemisches Zeug?“ „Das Ist kein chemisches Zeug”, belehrte ich ihn mit wehmütiger Stimme „das Ist ein Ziegenbock und aus dem haben sie jetzt Benzin gemacht.” Ein rechter Spieß führt den Ehrennamen „Mutter der Kompanie“, und so legte auch dieser liebe- voll seinen Arm um meine Schultern und sprach milde: „Schau, warum sollt’ das eigertlich nicht möglich sein, daß sie heutzutage aus einem Zie- genbock Benzin machen können, wenn es schor möglich. Ist, aus einem Rindviech einen Gefreiten zu machen!” — (Erich Schilling) Anregend „Mensch, Karle, hast du 'ne Arbeitswut!"‘ — „Klar! — Wo ick doch immer denke, ich treff mit jedem Schlag so 'n jottverdammten Plutokraten!' Ineitante: “Ehi, Carlo ... che furia di lavoro hai In corpo!,, — Si capisce! Penso sempre ad ogni colpo di battere su un maledetto plutocrate!,, 301 Du wähnst, hier oben auf den Höh’n sei’s klar und schön, ? und fliehst empört die Nebelschwaden, worinnen sich die Täler baden. Du wetterst auf den blauen Dunst. — Nun, mit Vergunst: hast du, als du heraufgeklommen, dich denn nicht selber mitgenommen? 302 (R. Siock) — sc Dein schwarz verräuchertes Gehirn, die Faltenstirn? .. . Erst gilt's, die eigne Stube fegen. Dann magst dich in die Sonne legen. Dr. OWLGLASS Der Pinguin - Il pinguino (Heh. Kloy) Nutzloses Vieh, man kann ja nicht einmal die Eier von dir essen!" „Gott sei Dank — ich lege eben Immer noch aus Idealistischen Beweggründen!" ""Animale inutile! Nemmeno le tue uova sl possone mangiarel,, "Grazie a Dio! lo le depongo ancor sempre per soll motivi Ideali!,, ABEL MJÖLBYS BRIEFE VON ALEXANDER KELLER Frau Erika Varberg, die Gattin des Kapitäns Sten Varberg, der sich auf einer Auslandfahrt befand, gewährte Herrn’ Stenstorp einen Kuß. Zur Erinn. tung und zum Andenken. Sie küßten sich in der Abenddämmerung in den Trjelle-Anlagen am Sund, Als Frau Varberg, allein, die Trjell Anlagen ver ließ, folgte ihr Abel Mjölby, ein entlassener Ma- trose, der die Kußszene mitangesehen hatte. Er kannte Frau Varberg vom Sehen, ebenso auch den Kapitän Sten Varberg. Mjölby beschloß, aus seiner Kenntnis materiellen Vorteil zu ziehen. Frau Varberg fuhr in die Stadı und ging in eine Kondl- torei, in der der Reeder ihres Mannes, Herr Bolmsö, sich aufzuhalten pflegte, Herr Bolmsö war zufällig abwesend, und Frau Varberg wollte sich soeben entfernen, als sie in der Tür mit Frau Anita Malmböck zusammenstieß. „Was tust du denn hier?” fragte Frau Malmböck erstaunt, „Ich wollte Bolmsö fragen, ob er weiß, wann das Schiff meines Mannes ankommt”, entgegnete Frau Varberg. „Übermorgen früh”, sagte Frau Malmböck. „Ich erfuhr es heute. Setze dich doch zu mir, wir kön- nen dann zusammen nach Hause gehen. Was trinkst du? Tee? Kaffee?“ Sie bestellte zwei Tas- sen Tee. „Du siehst gut aus, Erika. Mir geht es elend schlecht, Ich habe die Empfindung, mein Mann betrügt mich.“ „Wirt ihn doch hinaus!“ entgegnete Frau Varberg. „Diesmal werde ich es auch tun”, sagte Frau Malmböck bitter. „Was tut er denn den ganzen Tag? Nichts! Er lebt von meinem Geld. Wenn ich ihm diesmal auf eine Untreue komme, lasse Ich mich sofort scheiden!" Mjölby hatte sich, in Verfolg seines Planes, so gesetzt, daß er jedes Wort, das die beiden frauen sprachen, hören konnte. Zwei Tische welter, an der Wand, saßen ein Herr und eine Dame, Der Herr versuchte, sein Gesicht hinter einer Zeitung zu verstecken. Er erregte den Argwohn Abel Mjöl- bys, der näherrückte, Er hörte Telle eines Gesprö- ches: „Warum versteckst du dich denn ununter- brochen?” vo 9 und Druck: Knorr Anstalten entgegen, — Bezugsprelse: „Dort sitzt meine Frau... mit Frau Varberg... Wenn sie mich sieht, wirft sie mich hinaus ..., eine Katastrophel,..” Die Dame lachte geringschätzig. Mjölby rief eines der Hausmödchen und fragte es, wer die Dame wäre, die mit Frau Varberg saß. Er bekam die Antwort, daß es Frau Malmböck Mjölby entfernte sich zufrieden. Wenn alles nach Wunsch ging, mußten ihm beide Teile Schweige- geld zahlen. Von einem Fernsprechautomaten rief er Frau Varberg an. Er erkannte ihre Stimme, „Wer spricht?" „Das werden Sie noch rechtzeitig erfahren, Ich habe Sie heute in den Trjelle-Anlagen gesehen Sie haben einen Herm geküßt. Was zahlen Sie, wenn es der Kapitän nicht erfährt?” Frau Varberg eilte erschrocken aus der Zelle, ver- abschledete sich von Frau Malmböck und lief nach Hause. Von Angst geschüttelt lag sie die ganze Nacht wach, Mjölby betrank sich, schlief gut und schrieb am nächsten Tag zwei Briefe, Einen an Frau Malm- böck, den zweiten an Herrn Varberg. Er schrieb keine Adressen und warf die Briefe am nächsten Morgen eigenhändig in die Hausbriefkästen. Kapitän Sten Varberg, der gut angekommen war, fand den Brief, Während Frau Erika zitternd und auf das Schlimmste gefaßt, in ihr Schlafzimmer ellte, las der Kapitän den Brief, „Sie betrügen Ihre Frau. Ich habe Beweise. Wie wollen Sie es verhindern, daß ich mit Ihrer Frau spreche? Abel Mjölby.” Sten Varberg schob den Brief rasch In seine Tasche. „Wenn ich nur wüßte, welcher von meinen Passagieren dieser Mjölby ist", dachte er erschrocken. „Ein anderer konnte nicht wissen, daß ich mich während der Fahrt mit der Amerika- nerin amüsiert habe ...” Er folgte seiner Frau und küßte sie. „Ein Geschäftsbrief”, log er. „Wenn die leute einen doch in Ruhe lassen wollten. — Willst du mit mir ausgehen? Ich möchte dir eine Freude bereiten und dir ein Armband kaufen Mjölby, der auf einer Bank gegenüber dem Hause saß und wartete, sah erstaunt, wie Herr und Frau Varberg, zärtlich aneinandergeschmiegt, aus dem Tor traten, Er wollte Ihnen folgen, als ihn Herr Malmböck aufhlelt. „Sind Sie Abel Mjölby?" „Ja", entgegnete Mjölby erschrocken. „Was wol- len Sie?" „Haben Sie diesen Brief an meine Frau geschrie- ben?" fragte Herr Malmböck und hielt Mjölby einen Brief hin: Mjölby las: „Ich möchte mit Ihnen eine kleine heikle Angelegenheit ordnen, Un- treue muß bestraft werden. Kommen Sie um zehn Uhr zur Bank vor dem Hause Olaf Gade 10, Abel Mjölby.” „Das Ist ein Irrtum”, keuchte Mjölby. Herr Malm- böck faßte ihn und verprügelte Ihn. Frau Varberg sah die Szene. „Sieh doch diesen tohen Menschen an“, sagte sie erregt zu ihrem Gatten. „Er bringt ihn noch um. Du mußt dem ärmen Mann helfen.” „Wie du wünschest”, entgegnete der Kapitän und ging auf die andere Seite der Straße. „Was tun Sie hier?“ herrschte er Malmböck an. „Ich verprügele eben diesen Herrn Mjölby", gegnete Malmböck, ohne innezuhalten. „Abel Mjölby?“ fragte der Kapitän erstaunt. — ‚Ja... Ist Ihnen etwas nicht recht?” „Iteten Sie zur Seite", flüsterte Sten Varberg, „damit ich dem Kerl auch einen Fußtritt geben kann." Er ließ die Tat den Worten folgen, nickte Malmböck zu und ging zu seiner Frau zurück, „Du bist ein roher Seemann‘, sagte Frau Erika und schluckte eine Träne. „Warum hast du dem Mann nicht geholfen? Aber ich verzeihe dir, weil ich dich liebe... Komm, laß uns gehen...” Abel Mjölby rlß sich los und lief davon. Während des Laufens wurde ihm klar, daß er die beiden Briefe vertauscht hatte, Er weinte aus Zorn über seine Gedankenlosigkeit. Herr Malmböck begab sich zu einem Arzt, um seine verstauchte Hand heilen zu lassen, Er litt große Schmerzen. Das war richtig, denn er war der einzige wahre Schul- dige, und auf diese Weise bekamen die Gescheh: nisse nahezu einen moralischen Anstrich. ent- LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Ich hörte einen Pfälzer Bauern beim Umwenden auf dem Acker zu seinem französischen Beute- pferd sagen: „Ach, du liwwer Gott! Verstehsch mich denn gar net, du Lumpenvieh? Des isch keen Wunner, daß ihr den Krieg verlorn habt.” Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße #0 (Fernruf 1298) Vorantwortl. Schriftleiter: Walter Foltzick, "München. — Der Simpilcissimus Einzeinumme, 30 Pl; ac ‚Abonner Das ist aber nett, daß ich dich treffel“ sagt Ottllie zu Ihrer Freundin Berta. „Du kannst mich gleich in die Apotheke begleiten.” Berta geht mit, Ottllie flüstert dem Apotheker, der verständnisvoll nickt, etwas zu, und als die Freun- dinnen wieder auf der Straße stehen, fragt Berta neugierig: „Was hast du denn gekauft, Ottilie?" „Bloß 'n paar Abführpillen.” „Ach nein!“ sagı Berta. „Also, ob du mir's glaubst oder nicht, ich war In den letzten Tagen in minde- stens zehn Apotheken, weil ich mir dasselbe be- sorgen wollte, und bin immer wieder unverrichte- ter Dinge abgezogen. Gewisse Sachen kann ich von einem Apotheker nicht verlangen, Es Ist mir zu peinlichi” „Peinlich?“ sagt Ottliie. „Ich wüßte nicht. Ich habe dem Apotheker gesagt, daß es für dich gehört” H.K.B. schritt: München 2 ch, ‚alte Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- werden nut zurückgesandi, wenn Porto balllegt, — Der heimliche Gerüchtefabrikant (0. Gulbransson) N f Nu „so, jetzt will ich Sie mal abhorchen!“‘ — „Aber bitte, Herr Doktor, nicht weitererzählen!“ Il fabbricante segreto di chiacchiere: "Cosi ... adesso voglio fare | ascoltazione!,, — "Ma Vi prego, Doltore, non ne parlate ad altri!,, 304 München,’ 2. Juni 1943 48, Jahrgang / Nummer 22 firs 5.00 = = = ww VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Brief an Henry Kaiser, Schiffswerft USA. (Erich Schilling) „+... und danken wir Ihnen für die schönen neuen Schiffsserien. Sie haben damit meiner Firma einen großen Dienst erwiesen.“ Lettera al signor Kaiser, cantiere USA.: '...e Vi rigraziamo per le nuove belle serie di navi. Con cid avete reso un gran servigio alla mia Ditta., Die entfliehende Seele - L’anima evanescente (A. Paul Weber) Eine nervöse Dame fährt durch die Maiennacht Der letzte Postomnibus steht am Bahnhof. Die kleinen Lämpchen Im Wagen brennen trübe, es regnet, Der Postwagen Ist gut besetzt, Da wird es am Eingang noch einmal lebendig, eine Familie steigt ein. Die Familie hat natürlich Koffer, es sind nicht eben große Koffer, Es ist auch noch Platz im Wagen. Man hätte die Koffer ruhig auf den Boden, auf einen freien Platz stellen können, aber die Mutter der Familie, eine ältere Dame, ist eine sorgsame Hausfrau, sie will das Gepäck nicht ein- fach herumstellen, sie will sich nicht von ihren Koffern trennen. Vielleicht ist die Dame eine ner- vöse Dame, sie ist sogar bestimmt eine nervöse Dame. Sie klemmt also eine der Handtaschen Ihrer Nachbarin auf die Knie, den andern Koffer Sonntag Leer find die Straßen im Sonntagemind: Die Menfchen hat es ins Freie getrieben. Nur die weißen Wolken find Über der Stadt geblieben. Die Häufer ftehen wie unbemwohnt. Alles fucht draußen das Glück: Einen Atemzug Wald,.einen Weg durch das Korn, Eine Stunde im Dorf, einen Ritterfporn, In der fehwwarzen Schlucht einen filbernen. Born, Von der Welt ein glänzendes Stüch. Und kommen die Schatfucher abends zurück, Verftaubt und vom Sehen fatt, Hängt zwifchen den Wolken der goldene Mond Unbeachtet über der Stadt, Georg Britting nimmt sie selbst auf den Schoß und den dritten, Ja wohin mit dem dritten? Den balanciert sie auf der flachen Hand. Für einen Varietökünstler wäre das schon schwierig gewesen, für eine Nervöse ists geradezu ein unhaltbarer Zustand. Der eine Koffer pendelt, der andere rutscht und der dritte bohrt sich noch tiefer in die Weichtelle der Nach- barin. Beim Anfahren des Wagens geraten Dame und Koffer ins Wanken. Mittlerweile haben wir die Gefahr für uns erkannt, klauben die Dame aus dem Gepäck und jen die Koffer sorgsam auf den Boden. So könnte die Fahrt gut weitergehen, aber nun begehrt In der Dame die ordnende Hausfrau auf. Sie stellt einen ‚Koffer auf die hohe Kante und legt einen andern quer darüber. Die Gesetze des Gleichgewichts sind nicht ihre starke Seite. Wir warten darauf, daß es kippt. Es tut's. Jetzt legt die nervöse Dame ein Bein über beide Koffer und das andere stemmt sie gegen den dritten. Bei der nächsten Kurve wird die Komposition Ins Rutschen geraten. Unsere Befürchtungen gehen in Erfüllung. Es entsteht ein ziemlich unentwirr- bares Gemenge. Der Familienvater scheint Hartes gewöhnt zu sein, er nimmt vieles mit Gleichmut hin, macht nur ge- legentlich kleine Vorschläge, um nicht seine Un- interessierthelt zu zeigen. Die Dame aber steckt voller Einfälle, wie man die Koffer unpraktisch anordnen könnte. Sie Ist darin sehr erfindungsreich. Sie versucht, einen viel zu großen Koffer in ein Netz zu klemmen, legt den andern auf einen Hut, schiebt sich den dritten unter. Wir haben es vorher nicht gewußt, was man mit drei Koffern alles anstellen kann. Das Gepäck saust im Wagen umher, und die kurvenreiche Straße des Gebirgstales kommt. den Plänen der Dame sehr entgegen. " 306 Wir Mitreisenden haben alle Hoffnung aufgege- ben, ihr zu helfen. Wir sind nur in Schutzstellung gegangen, oder heben rhyihmisch die Beine, wenn wieder ein Geschoß heransaust. Die Dame arbeitet wie ein Lastträger, alle vier Gliedmaßen sind gleichzeitig in Bewegung. Sie versteht es, den Objekten alle Tücken zu entlocken. Sie leistet darin wirklich Außerordentliches. Leider müssen wir in der nächsten Station aus- steigen. Als der Omnibus weiterfährt, können wir gerade noch sehen, wie die ordnende Hausfrau jetzt Ihre ganze Kraft zu einem grandiosen End- spurt zusammennimmt. Durch unsere freigewor- denen Plätze wären ganz neue und ungeahnte Möglichkeiten entstanden. Foitzick Nenn es dann, wie du mwillft Wir trafen uns wieder nach langer Frift, Mein Freund, geborener Optimift, rief: »Donnermwetter, altes Haus, du fiehft Ja völlig vergeiftigt ausl« »Was du nicht fagftl« begann ich zu lallen. »Mir ift bis dato nicht aufgefallen ein nennenswerter Zumachs deo Geift'o. Ich fehe nur - und die Waage beweit'o - das äfthetifch fchätsensmwerte Entfchmeben der Fettlubftanz aus den Leibesgeweben. Wie? Oder meinft du, daß dort ein Plus aus dem Minus hier fich ergeben muß? Das glaub’ ich nicht, und wenn fie mich fteinigen. Jedenfalls nicht bei mir und dem meinigen. «..Wir wollen uns auf ‚entkörpert‘ einigenl« Ratatöshr Modetee bei Maiski „Na, was sagen Sie, Mylady, zu unseren neuesten Schöpfungen, sind die Modelle ‚Unschuldsengel‘ und ‚Frommes Lämmchen‘ nicht entzückend?“ Te di moda presso Maiski/; “Ebbe’ che dite, Mylady, delle nostre nuovissime creazioni? „,. Non sono incantevoli questi modelli di “Angelo d’ innocenza, e di 'Pio agnello,?,, 307 0. Hegenbarth), DIE RATTE VON F. L.NEHER Die Ratte kam im. Herbst — ich glaube, es war Im Oktober. Wir sagten: „Die Ratte ist da.“ Ganz einfach „die Ratte”. Sonst haben wir Immer für jedes Tier einen Kosenamen. Meine Frau, ich nenne sie übrigens „Pinscherl“, gab unserem Dackel den Namen „Fünferl”, ich nenne ihn „Waff”,;und die Kinder je nach ihrem Alter rufen ihn mit „Buzi" und „Wau-wau". Sein amtlicher Name aber Ist „Fünferl“; Bären nennt man gern „Teddy“ und Kanarlenvögel „Hansi”, ich nenne den unsrigen „Piepmatz’‘. Der Kater hatte sogleich bei seinem Einzug den Namen „Hinz — er ist übrigens seit einigen Wochen verschollen. Ich glaube, daß die Neigung, Tiere mit liebenswürdi- gen Namen zu belegen, unserem Bedürfnis sie zu humanisieren entspringt. Wir wollen, vielleicht unbewußt, durch diese Namengebungen etwas überbrücken, das sich nicht überbrücken läßt, die Kluft zwischen unserer und ihrer Seele. Als wir noch in Brasilien lebten, entdeckten wir unter der Veranda eine buntgestreifte, armdicke, meter- lange Schlange. Sie war harmlos, Sie lebte gute zwei Jahre auf unserem Boden. Wir nannten sie „Leopold“, Ich könnte nicht sagen, wie uns der Name für dieses Reptil einfiel, zumal wir in der ganzen weiten Familie keinen Leopold haben und auch niemals Untertanen irgendeines Leopold waren und voraussichtlich sein werden. Aber „Leopold“, der sich auf warmen Steinen schmoren ließ, schien uns gesellschaftlich näher zu stehen öls „die Ratte”. Wir sahen ihn oft mit einer sich lebhaft wehrenden großen Grille zwischen seinen kalten dreieckigen Kiefern im Gras verschwinden. Ich bin nun ganz von der Ratte abgekommen. Also, die Ratte hatte keinen Namen, well... — nun ganz einfach, sie hatte etwas an sich, das keinen Namen zuließ. Ich erinnere mich noch gut der ersten Begegnung zwischen der Ratte und mir. Ich ging In den Keller, um einige Äpfel und einen Korb voll Kartoffeln zu holen. Unser Haus ist achtzig Jahre alt, und der Keller gleicht eher einer Höhle als einem kunstgerecht gemauerten Keller. Ich nehme immer eine starke Stablaterne mit hinunter und leuchte gewohnheitsmäßig In die Ecken des kleinen Raumes. Man kann da aller- hand unerwartete und ungebetene Gäste ent- decken, Molche, Salamander, Glasschlangen und ähnliches Getier. An jenem besonderen Oktober- abend, da ich um Äpfel und Kartoffeln in den Keller ging, traf das scharfe Licht der Steblampe auf die Ratte. Sie kauerte in einer Ecke nahe der Wasserleitung und benagte eine Apfelhälfte, Sie flüchtete nicht, sie hielt nur mit Nagen Inne. Sie rührte sich nicht. Sie blieb bewegungslos über dem Apfelrest gekauert, reckte die Schnauze etwas vor und starrte in das Licht. Wir götter- gleichen Zweifüßler aber sind es gewohnt, daß Geschöpfe der Rattenklasse bei unserem Nahen flüchten oder sich vor Angst klein machen. Wir sind erstaunt und alarmiert, wenn diese uralte Überlieferung verletzt wird, Ich näherte meine lampe der Ratte auf Armeslänge und stampfte mit dem Fuß kräftig auf. Sie flüchtete nicht. Statt dessen schien sie flacher zu werden und sich zum Kampf zu stellen. Sie ‘zog ihre graue, schnurr- börtige Oberlippe hoch und ließ ein bösartiges leises Pfeifen hören. Ich gebe zu, daß ich zurückwich und den Keller mit meinen Äpfeln und Kartoffeln rasch verließ. Ich fühlte mich zutiefst verletzt und mein Manns- gehirn suchte sofort nach Waffen und Rache. Waffen sind unsere Stärke und unser Trumpf: wir haben keine Krallen, wir haben scharfe Stahlklin- gen; wir haben keine Giftzähne, wir können Gift- schlangen nur mit künstlichen Waffen töten, Ich kaufte eine Rattenfalle. Diese Rattenfalle war ein tödliches Ding, eine schwere Maschine, das stärkste Modell, das zu haben war. Die Falle war tücklsch. Man konnte sich damit mit größter Leichtigkeit, während man sie stellte, einen Finger amputieren. Die leichteste Erschütterung, die geringste Berührung des Kö- ders, und sie schnappte zu, Sie schnappte eigent- lich nicht zu, sie hieb zu, und das mit einem stählernen Klang, ein für allemal. Ich brachte die mit einem Stückchen Käse versehene Falle in den Keller. Das Licht meiner Laterne spielte in alle Ecken, Winkel und Spinnweben. Die Ratte hatte den Apfel gefressen oder verschleppt und war verschwunden. Ich stellte dis Falle mit größter Vorsicht nieder, da stand sie dann im tiefsten Dunkel, ein unerbittliches, heimtückisches, unbe- seeltes und bereites Instrument des Todes. Noch in der Nacht sprang die Falle. Der Klang dos zuschlagenden Eisens weckte uns. Ich wollte sogleich in den Keller gehen und nachsehen, doch gab ich das Vorhaben auf. Wozu denn? Die Ratte war ja nun tot und nicht mehr wert, daß ich mich im Schlafanzug der Oktoberkälte aus- setzte, Aber gleich am Morgen, noch vor dem Frühstück, ging ich hinunter. Der Käse war weg. Die Falle war leer, Das war im Oktober gewesän. Während der fol- genden drei Monate habe ich die Falle etwa zwanzigmal geködert und gespannt und im Keller abgestellt. Ebensooft ging ich in den Keller, um jedesmal die Falle leer, ohne Ratte und ohne Köder, zu finden. Inzwischen aber machte sich die Ratte als Mit- bewohnerin des Hauses deutlich bemerkbar. Sie sorgte dafür, daß wir nicht zur Ruhe kamen und erlaubte weder meiner Frau noch — was das übelste war — den Kindern, Ihe Gegenwart oder die Tatsache ihrer Existenz, ihrer Freiheit, ihrer Unerschrockenheit und Unbezähmbarkelt zu ver- gessen. Während bitterkalter Winternächte hör- ten wir sie nagen, nagen, nagen, nagen... Wir sahen von unserer Lektüre auf und sagten: „Dje Rattel“ Wir erwachten In unseren Betten und flüsterten: „Die Ratte. Wir kannten sie, die Ratte, Wir wußten, uns: Ratte war kein angst- gejagter flüchtender kleiner Plünderer, der etwa nach verlorenen Krumen suchte, Wir halten sie nun schon.monatelang im Gemäuer und unter Böden nagen und nagen gehört. Schließlich aber hörten wir ihre Schritte wie rollende Erbsen auch über uns, über der Schlafzimmerdecke zuerst und dann Überall in den leeren Dachräumen über uns. Sie wurde herausfordernd, sie war entschlossen und ich nicht minder. Der Kampf war entbrannt. Das war es, es ging ums Ganze, und zwar mit allen Listen der Taktik und mit allen Lehren der Strategie und mit aller Leidenschaft, deren ein Rattengehirm, eingeschlossen in einen kleinen, schmalen grauen Schädel, fähig war. Die Ratte war kein verstohlen eingeschlichener Eindringling mehr, sie war ein erklärter Feind, ein Feind mit dem Mut des Hasses und unerbittlicher Absichten. Die Kampfansage Mann gegen Ratte war klar, es mußte eine noch bessere Rüstung gefunden werden. . Im Februar kaufte ich eine neue Falle, ein Muster, 308 das ausdrücklich Iltisse töten sollte, köderte sie und stellte sie für die Ratte im Keller ab. Ich mußte sie töten, ich mußte ihr das Rückgrat bre- chen. Noch zweimal im Laufe des Winters traten wir — ich und die Ratte — uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und beidemale benahm sie sich genau so wie bei der ersten Begegnung. Sie blieb regungslos niedergekauert. Ihre Augen glommen rötlich in das blendende Licht der Stab- laterne, sie entblößte ihre langen, gelben Vorder- zähne... Als ich am Morgen, nachdem ich die neue Falle aufgestellt hatte, wieder in den Keller ging, dachte ich zuerst, die Falle sei wieder leer und ohne Nutzen zugeschlagen. Dann, als Ich näher sah, bekam ich plötzlich ein übles Gefühl in der Magengrube. Der Käse war weg und die Ratte war weg, aber in der Falle, just innerhalb der scharfen Stahlbügel, lagen säuberlich nebenein- ander die beiden Vorderläufe der Ratte. (Ich hätte beinahe „Arme‘ gesagt.) Die beiden Läufe erinnerten grausig an winzige Hände. Es war kaum eine Spur von Blut zu entdecken. In. der folgenden Nacht hörten wir von der Ratte nichts. Auch nicht in der nächsten und übernächsten Nacht, Eine ganze Woche verging, zwei Wochen... Wir wären sicher, die Ratte war nun tot, Sie wird sich in irgendeinem tiefen Winkel unter den Steinen des Fundamentes ver- blutet haben. Einundzwanzig Nächte vergingen, In der zweiund- zwanzigsten Nacht — wir lagen Im Bett und lasen — hörten. wir ein Geräusch. Tappiti-tapp ... tappltl-tapp.. .. tappiti-tapp . . . Wir wußten sofort, was das war, Die Ratte lebte. Sie kroch oben Im Staub zwischen Dachrinne, Dachsparren und Dachboden auf ihren Vorder- stummeln herum. Sie hatte sich also einundzwan- zig Nächte lang versteckt und mit ihrer schmalen Zunge die Wunden ihrer Stümpfe geleckt. Nun war sie wieder da, und bald würden wir sie wie- der hören, nagen, nagen, nagen... Sie lebte, Sie hatte die Stärke des Hasses. Es läßt sich nicht mehr viel über die Ratte sagen. Eine Woche lang hörten wir Ihr tappiti- tapp, es wurde Immer lebhafter, wir konnten ihre Wege in den Wänden und unter den Dielen ver- folgen, sie lebte unverschömter als je zuvor. Noch dreimal spannte ich die Falle, und dreimal fand ich sie leer, die Ratte hatte den Käse ge- nommen und war nicht getötet worden, Sie war nicht fallenscheu geworden. Unsere Ratte kannte den Terror der Falle, der jedes andere Tier ergriffen hätte, nicht. Wir hörten In der Stille der Nacht die Falle mit dumpfem, stählernem Klang zuschlagen, wir hielten den Atem an, um besser zu lauschen, da plötzlich. .. tapplil-tapp... tappiti-tapp ... Die Ratte kam jedesmal, auf welchen Wegen konnte ich nicht erforschen, hörbar in den Raum über unserem Schlafzimmer. Ich nehme an, daß sie dort den Käse verzehrte. Da hörten wir dann zuweilen merkwürdige Geräusche, ein Rascheln und Schleifen, ein weiches, gedämpftes Fallen und Kratzen — ob sie spielte? Unheimlich zu denken, daß sie spielte, allein und auf den Stum- pen ihrer Läufe. Ich weiß, daß es Tiere gibt, die zuweilen „spielen“, Ein Spiel, ein grausigos Spiel, eine‘Art blutdürstiger Carmagnole voller Lust am Spiel mit dem Tode. Ich habe keinen Zweilel, die Ratte tanzte und spielte einen unheim- lichen triumphierenden Rigmarole voller Entzücken über das vergebliche Zuschlagen des Todes. Dreimal, wie ich schon sagte, entwischte sie. Beim vierten Male hatte ich sie. Ich hatte sie. Die Fallenbügel hatten ihr das Rückgrat gebro- chen, sie war tot. Ich stand im Keller, ließ das Licht der elektrischen Lampe über den gebroche- nen Körper strahlen und blickte mit verknitfenen Augen auf das Bild. „Fünferl”, der Dackel, stand dicht daneben, der ganze Hund angespannt wie eine Sehne, und hielt eine Vorderpfote besinn- lich hoch, er zitterte dabei, Js, ich glaube, daß die Ratte, selbst nachdem die Falle zugeschlagen war, noch eine oder zwei Minuten lebte. Und in jener letzten Minute, da der Stahl ihre Knochen biß, brachte sie es fertig, , den Kopf "bis zum Köder vorzurecken, um das letzte Krümelchen meines Käses zu fassen. Die Rattenschnauze war so sonderbar verzogen, daß sie einem phantasiebegabten Mann erschien wie das höhnische Grinsen letzten Triumphes. töpplil-töpp .. . {R. Krlesch) „Sieh! mal, Otto, nun ist er da, der Sommer!“ „Ja, ja — der wenigstens scheint seinen Lieferungstermin einzuhalten!" Buon esempio: „Vedi un po’, Oltone, che I" estate & glä quil,, — "Giä...giä! Almeno essa pare mantenga il suo termine.di forniture!,, 309 AUS DEM FELDE GESCHLAGEN An jenem Abend hatten Carlo und ich ein kleines Essen vor, wir hatten Fräulein Duda dazu einge- laden, die uns beiden ausnehmend gut gefiel, und ich stand erwartungsvoll am Fenster und blickte in den Garten hinaus, wo Carlo mit un- serem Gast ‚auftauchen mußte. Es war schon etwas später, als wir ausgemacht hatten, aber ich dachte, Fräulein Duda würde sich verspätet haben, Carlo hatte sie abholen wollen, um mit ihr zu mir zu kommen. Ich trank ein Glas Wer- mut und dann noch eins und zweifelte nicht daran, daß Carlo nun bald mit Fräulein Duda an- kommen werde, und freute mich darauf und auf den ganzen Abend, Fräulein Duda gefiel mir wirk- lich ausnehmend gut, wir hatten sie gemeinsam bei Bekannten kennengelernt und wußten weiter nichts von ihr, als daß sie auf irgendeiner Schule für Photographie war. Ich fand sie reizend. Ich dachte, während ich wartend am Fenster stand, daran, wie reizend sie war, mit dunkelblondem, lebendigem Haar und lachendem, vollem Mund, und dann sah ich plötzlich Carlo mit Doktor Ve- aus und nicht mit Fräulein Duda unter den Ka- »stanien auftauchen. Ich verstand nicht, wieso Venus hierherkam und noch dazu an der Seite von Carlo. Ich ahnte, daß irgend etwas nicht geklappt hatte, und wartete darauf, daß sich die beiden vor der Gartentür voneinanddr verabschiedeten, Aber sie gingen schlendernd daran vorbei und verschwanden, und nach einer Weile, während der ich dastand und mich zu ärgern anfing, kamen sie beide von der anderen Seite her wieder zum Vorschein. Ich dachte, jetzt würden sie sich bestimmt vonein- ander verabschieden, und hatte den Eindruck, daß Carlo gebückter ging als vorher, und dann standen sie eine Zeitlang wie unschlüssig vor der Gartentür, und ich hörte das sonora La- chen von Venus. Schließlich sah Ich, wie Carlo langsam die Gartentür aufmachte, und sie kamen beide herein und gingen aufs Haus zu. Carlo starrte vor sich hin, und Venus lächelte einladend. Wir kannten Venus seit langer Zeit, aber wir machten uns nicht viel aus ihm, und keinem von uns wäre es je eingefallen, ihn einzuladen. Wir trafen ihn manchmal da und dort, und es konnte sein, daß andere Leute sich etwas aus ihm mach- ten, aber zu diesen leuten gehörten wir nicht. Er war irgend etwas bei Zeitungen, Korrespon- dent oder etwas Ähnliches, und trug immer Zei- tungen bei sich und war überhaupt sehr gebildet und belesen. Er hatte otwas Künstlerisches In sel- ner Erscheinung, das vielleicht den Frauen ge Uns gefiel es nicht. Er hatte schönes kastanlen- braunes Haar, das anfing grau zu werden und in Locken fiel, und trug sich gern in Beige, Irgend- wie war immer ein Schlmmer von Beige oder Bleu über Ihn gebreitet, wodurch er etwas Gedämpf- tes und Gepflegtes bekam. Er hatte eine hohe und schlanke Gestalt und Immer sehr erlesene Bewegungen; uns war er zu mager. Als Carlo mit Ihm hereinkam, wußte Ich nicht, was ich tun sollte. Das Essen, es war'ein hübsches kaltes Essen, stand angerichtet auf dem Tisch in, der Glasveranda, und ich hatte den Tisch hübsch gedeckt und den Serviertisch daneben geschoben, auf dem eine kalte gebratene Ente stand, und Gläser standen da und der Wein in einem Küh- ler, well wir eine Bowle hatten machen wollen und auf einem kleinen Abstelltisch auf der Glas- veranda stand eine Torte, von der wir angenom- men hatten, daß sie Fräulein Duda besonders zu- sagen würde, Ich hatte nicht die leiseste Absicht, an Ihrer Stelle Venus beim Essen dabeizuhaben, und es war nicht anzunehmen, daß Car!o diese Absicht hatte, außer eı war verrückt geworden. Da keine Zeit mehr war, den Tisch abzuräumen, machte Ich rasch die Flügeltür zu der Glasveranda zu; leider war es eine Tür mit Glasfenstern und nur dünnen Vorhängen, durch die man hindurchsehen konnte. Venus sagte, Carlo habe ihm keine Ruhe gelas- sen, und so sel er auf einen Sprung mit herein- gekommen. Er lächelte. als er es sagte, und schüttelte mir kordial die Hand. „Sie wohnen » hier reizend“, sagte er und fing sofort an, sich umzusehen, „es Ist fast In der Stadt und doch beinah wie auf dem Land.“ + VON RUDOLF SCHNEIDER-SCHELDE „Ja“, sagte ich und versuchte mich so aufzu-. stellen, daß er keine Aussicht auf die Glas- veranda bekam. „Allerllebst”, sagte er, „und so Intim. Ich sehe mit Vergnügen, daß Sie zu leben verstehen, Ich habe es mir immer gedacht; Ihre Erscheinung ist so, daß man den Eindruck hat, Sie verstehen zu leben.“ „Wir sind alte Lebemänner“, sagte Carlo. „So meine ich es nicht‘, sagte Venus. „Sie wis- sen, wie ich's melne.” Er richtete seinen Blick auf ein Bild an der Wand und trat hinzu, „Wo hast du den aufgegabelt?” flüsterte ich Carlo zu. „Er mich”, flüsterte Carlo ebenso leise, „Und die Duda?” fragte ich. „Kann nicht“, flüsterte Carlo zurück. „Ah, das Ist echtes Dixhultidme”, sagte Venus, der vor dem Bild stand und es durch sein Mo- nokel betrachtete, „Es ist die reine Blasphemie; sehr pikant.” „Es ist sechzehntes Jahrhundert”, sagte Carlo. Carlo hatte Kunstgeschichte studiert. „Es ist von Parmigianino, dem Erfinder der interessanten Ma- lerei. Er malte alle seine Madonaen so.” „Sehr Interessant”, sagte Venus und ging welter an der Wand entlang. Es war leicht vorauszu- sehen, daß er nach und nach an die Glastür kom- men würde, wo er dann den Blick auf die Ente haben mußte, wenn ihn nicht irgend etwas ab- hielt. Ich überlegte, was ihn abhalten konnte. „Rauchen Sie?” fragte ich. „Danke, jetzt nicht“, sagte Venus und ging lang- sam weiter an der Wand entlang. „Sie haben lauter Interessante Sachen hier“, sagte er, „man merkt, daß Sie alles mit großer Liebe und Kennt- nis zusammengetragen haben.” „Ich habe die Wohnung möbliert sagte ich. „Oh”, sagte Venus, Er war an der Glastür an- gelangt und mußte die Ente gesehen haben, aber es war nicht sicher, ob sein Ausruf ihr galt. Er blieb eine ganze Welle an der Tür stehen und blickte angelegentlich hinaus. Man konnte von dort, wo er stand, auch über eine Wiese hin- sehen, auf der allerlei Büsche und Sträucher wuchsen, aber es war nicht wahrscheinlich, daß jemand den gedeckten Tisch mit der Ente im Vordergrund dabei übersah. „Ein entzückender Blick“, sagte Venus nach einer Weile und setzte sich in einen Sessel. gemietet” Der Star - Il divo (H. Rommelt) Ich wartete darauf, daß er wieder gehen würde, und hoffte es, aber ich glaubte nicht daran, Für den Fall, daß er die Ente gesehen hatte, wäre es besser gewesen, ihm zu sagen, wie die Sache stand, und ihn zum Essen einzuladen. Es konnte sein, daß er schon gegessen hatte. Es konnte auch sein, daß er die Einladung ausschlug. Wenn er aber die Ente nicht gesehen hatte, dann war es töricht, ihn zum Essen einzuladen; sowohl we- gen der Ente, als auch darum, well wir ihn den ganzen Abend auf dem Hals haben würden. Wäh- tend Venus mit Carlo von Bildern sprach, Über- legte ich, was richtig zu tun sein würde, und wart. Blicke zu Carlo. Im stillen hoffte ich, daß Carlo etwas Entscheidendes unternehmen werde, um Venus wieder an die Luft zu set- zen, und versuchte ihm Zeichen zu geben, aber Carlo sah mich trauernd an und zuckte mit den Schultern. Er redete enisetzliches Blech über Malerei, augenscheinlich in der Hoffnung, Venus zu reizen, aber Venus lächelte und stimmte ihm zu und schien sich äußerst wohl bei uns zu füh- len. Schließlich sagte er, daß er den Abend am liebsten im intimen Kreis bei einer improvisier- ten Unterhaltung verbringe. „Drei Männer so wie wir”, sagte or, „ergeben die beste Gesellschaft.” „Vorausgesetzt, daß sie gegessen haben“, sagte Carlo. „Was mich betrifft”, sagte Venus und schlug die Beine übereinander, „Ich bin infolge der Empfind- lichkelt meines Magens ziemlich unabhängig von jeder Nahrungsaufnahme.” „Wir nicht“, sagte Carlo; „oder, Paul”, fragte er mich, „sind wir unabhängig ‚von der Nahrungs- aufnahme?” „Nicht so ganz“, sagte ich. „Ich vermute, daß Sie schon gegessen haben”, sagte Venus. Es war zuzugeben, daß dies kein schlechter Schachzug von ihm war, Angesichts der Ente konnten wir nicht wagen, mit ja zu antworten, wenn wir aber nein sagten, dann mußten wir Ihn jetzt wohl oder übel einladen. Carlo antwortete mit einer Gegenfrage: „Und Sie?" fragte er, „Oh“, sagte Venus, „bel mir spielt es wirklich keine Rolle. Ich esse abends fast niemals und mache mir auch nichts daraus. Aber es würde mir leld tun, wenn ich Sie vom Essen abgehalten hätte.” „Wir erwarten einen Gast”, sagte Ich und dachte, daß er Jetzt aufstehen und sich verabschieden abeı er blieb sitzen und sagte: „Dann erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Gesell- schaft leiste, bis er kommt.” „Er kommt nicht”, sagte Carlo und verdarb mir das Spiel, „Er kommt nicht?“ fragte Ich mit möglichst viel Überraschung in der Stimme. „Ochsel” sagte Carlo zu mir und zerstörte die Si- tuation vollends, „ich habe es dir doch schon vorhin gesagt.” „Schön’‘, sagte ich entschlossen, „dann wollen wir jetzt essen.” Ich stand auf, und auch Venus stand auf Ich wartete noch einmal darauf, daß er sich verabschieden werde, aber er bewegte sich mit kleinen, 'gefälligen Schritten auf die Ve- randa zu, Es wurde klar, daß nichts mehr zu machen war Ich tauschte ein paar fürchterliche Blicke mit Carlo, und dann fragte Ich Venus, ob er mithalten wolie. Er sagte, er wolle kein Spiel- verderber seln und uns zu Gefallen ein paar Bissen nehmen. Wir gingen auf die Veranda hinaus und setzten uns, Venus setzte sich vor das Gedeck, das Ich für Fräulein: Duda aufgelegt hatte. Er lächelte tlebenswürdig und sah Carlo zu, der die Bowle zusammenschüttete. Ich fragte ihn, ob er Vor- spelse haben wolie, und er antwortete, Vor- speisen vertrage er noch am ehesten, und nahm sich ein tüchtiges Stück Aal auf seinen Teller. Er aß hintereinander ein Drittel des Aals, ein gu- tes Drittel der Ente, und vom Käse und der Torte aß er die Hälfte, Ich habe noch nie einen Mann so essen sehen. ‚Er hatte einen wunderbaren Appetit und einen ebensolchen Durst, und für Jemand mit empfind- lichem Magen leistete er Hervorragendes. Dabei Der gefeierte Pianist 7 er, er = ) et IR af > A Y 2 nr A Oo + . a rg II pianista festeggiato 311 unterhielt er sich noch während des Essens mit uns und redete darüber, daß.solzhe gelegentliche Happen das einzige seien, was ihm keine Be- schwerden verursache. Als die Käseplatte leer war, sah er umher, als erwarte er noch Einiges, Wir hatten alle Mühe gehabt, mitzukommen, ob- wohl Carlo und auch ich ganz anständige Esser sind Aber er schlug uns spielend, und daneben bestritt er die Unterhaltung fast allein; denn außer einem gelegentlichen Nicken oder einem hastigen „ja” brachten weder Carlo noch Ich etwas heraus. Es war wie eine gemischte Olym- piade, bei der wir den kürzeren zogen, und wir hatten uns das Essen anders vorgestellt. In ge- wisser Weise nötigte Venus uns Bewunderung ab. Aber es war eine kalte Bewunderung, bei der das Herz ohne Beteiligung blieb. Ein paarmal ver- suchte Carlo zu lachen und sich zu antiker Ironie zu erheben, aber die Sache war verteufelt ernst, und bei jedem derartigen Versuch verlor er so- viel Zeit, daß Venus ihm vier oder fünf Gabeln vorkam, die nicht mehr einzuholen waren. Die Ente war delikat; es war eine junge, saftige, knusprig gebratene Ente, aber Ich kam nur un- genügend in den vollen Genuß derselben, da ich, um nicht aus dem Rennen zu fallen, genötigt war, große Stücke fast ungekaut hinunterzu- schlucken Carlo erging es ebenso; als wir bei der Torte waren, sah Ich, daß er mit dem Löffel auf sie einhieb, offenbar nur, um einigermaßen zu seinem Recht zu kommen. Aber es nützte uns nichts, Venus siegte. auf der ganzen Linie. Als alle Platten bis auf den Brotkorb leer waren, saß er munte, und vollkommen (rocken da, während Carlo der Schweiß herunterlief und ich mich fühlte wie nach einem Tausendmeterlauf. Etwas später, als Carlo den Kaffee machte und Venus für einen Augenblick hinausgegangen war, hatte Ich zum erstenmal Gelegenheit, mit Carlo zu reden Aber ehe ich den Mund öffnen konnte, winkte er mir ab und sagte: „Schweig! Behalte deine geistreichen Bemerkungen für dich. Ich kann gar nichts dafür. So wenig du dafür kannst, daß du ihn zum Essen eingeladen hast, so wenig kenn Ich dafür, daß ich ihn mitgebracht habe.” „Schön”, sagte ich, „obwohl ich ihn niemals zum Essen hätte einladen müssen, wenn du ihn nicht mitgebracht hättest, Es war die Folge.” „Es Isı der Kausalnexus”, sagte Carlo, „kein Mensch entrinnt ihm.“ „Schön”, sagte ich wieder, „du hast dich be- nommen wie ein Trottel. Warum ist die Duda nicht gekommen?” „Offenbar konnte sie nicht. Es ist jemand bei ihnen krank geworden, Ich giaube, die Schwester Sie kam nicht, und als ich anrief, sagten sie es mir.” „Wer sagte es dir?” „Ich glaube, die andere Schwester. Sie konnte nicht selbst ans Telephon kommen, weil der Arzt gerade da wa” \ „Und als Ersatz hast du mir diesen Venus mit- gebracht?" „Ich habe ihn dir nicht als Ersatz mitgebracht”, sagte Carlo, „sondern er gabelte mich am Tele- phon auf, als ich an die Dudas telephonlerte. Er war vor mir in dem Kasten drin und wartete dann nachhe: eintach auf mich. Sei nıcht bissig, Liebling, oder Ich werde auch bissig und sage dir, daß ich Fräulein Duda Überhaupt nicht für dich, sondern für mich mitgebracht hätte,” „Um mit ihr bei mir zu essen?” „Genau das.“ „Das hättest du mir früher sagen sollen”, sagte ich, „ehe wir den Plan zu dem Abend machten. Ich wäre dann ausgegangen und hätte euch nicht gestört,” „Ich erwartete von deinem Zartgefühl sowieso, daß du uns nicht gestört hättest“, sagte Carlo, „Pardon“, sagte ich, „Ich wußte nicht, daß Erna Duda deine Braut ist Sie hat sich mir gegen- über bisher nicht so verhalten.” „Sondern?'‘ Carlo lachte und sStreckte mir die Hand hin: „Ist es dir recht, wenn wir um sie würfeln? Wenn wir diesen Kerl losgeworden sind, wollen wir das Orakel fragen, wem sie gehören soll, anstatt zu streiten. Wir werden den Sekt trinken —” „Welchen Sekt?” ‚ den ich gerettet habe‘, fuhr Carlo fort. „Ich habe nur Selters in die Bowle gegossen. Ich habe ihm den Sekt nicht gegönnt. Hast du es nicht bemerkt?” . Ich hatte tatsächlich nicht bemerkt, daß nur Wasser In der Bowle war; sie war mir dünn vor- gekommen, aber ich hatte es auf die Anwesen- heit von Venus zurückgeführt. Ich sagte es. „Ich werde uns rehabilitieren“, sagte Carlo, „Ich werde die Ente rächen. Du sollst mit mir zufrieden sein. Wo steckt er eigentlich?” Wir sahen uns nach Venus um und hörten aus dem Badezimmeı das starke Rauschen der Wasserleitung. Wir warteten eine Weile, das Rauschen ließ nicht nach, „Anscheinend badet er jetzt”, sagte Carlo, „es würde mich nicht wun- dern, wenn er die Gewohnheit hätte, nach dem Essen warm zu baden.” Aber Venus hatte sich nur erfrischt. Als der Kaffee fertig war, kam er erftischt zurück und sah neu onduliert und wie gebügelt aus. „Ein Blick auf die Uhr“, sagte er, „hat mich belehrt, daß wir uns verschwatzt haben. Ich muß nun leider gehen.” 5 „Aber Sie werden bestimmt noch eine Tasse Kaffee trinken”, sagte Carlo, „oder zwei.” „Kaffee ist tatsächlich meine einzige Schwäche”, sagte Venus. „Schenk ihm ein, Paul”, sagte Carlo, „wie wärs mit einer Zigarre für den Heimweg?” Ich goß den Kaffee ein, und Venus griff in die Zigarrendose, die ihm Carlo hinhielt, und fischte sich eine Zigarre heraus. „Die kleinen sind besser”, sagte Carlo, „Oh”, antwortete Venus, „ich bin nicht so ein Kenneı.“ Er trank den Kaffee, und Carlo sagte: „Schade, daß Sie weg müssen. Wir haben noch französi- schen Champagner da, es ist das beste für emp- findliche Magen. Geht es nicht, daß Sie bleiben?” „Nein, leider‘, sagte Venus, „ich habe noch eine Verabredung.” „Ist es was Galantes?“ fragte Carlo. „Ich nehme an, daß Sie ein starker Herzenbrecher sind. Leute mit verderbenem Magen sind meist starke Herzenbrecher. Es ist der Kausalnexus.” Venus lächelte. „Galantes?'” sagte er und be- trachtete seine Zigarre. „Vielleicht haben Sie recht mit dem Kausalnexus, — Die Enthaltsam- keit in materiellen Dingen macht den Menschen für die Liebe empfänglicher, Und anzlehender” fügte er hinzu. „Ich hab noch nie gehört, daß ein Mensch, der aus dem Mund rlecht, für die Liebe besonders anziehend ist“, sagte Carlo. Er kam allmählich in Fahrt. „Darf ich noch um ein Täßchen bitten?” sagte Venus zu mir und hielt mir seine Kaffeetasse hin. „Aber dann muß ich wirklich gehen. Ich goß ihm ein, und er sagte lächelnd zu Carlo: „Ein empfindlicher Magen Ist nicht identisch mit einem kranken Magen. Sie haben mißver- standen.” „Ich mag aber Leute nicht, die aus dem Mund IM LAZARETT Hier liege idı im Lazarett, und meine Knodıen tun mir weh, rechts neben mir in seinem Bett träumt Peter Gruhl, still wie ein See. Idı les’ ihm mandımal vor zur Nadıt, denn sprechen kann und darf er nicht, doch alles, was er durdıgemadht, steht hart in seinem Angesidıt Sein Vater fiel bei Scapa Flow. Er hat ein Haus am Semmering und eine kindhaft sdımale Frau, ein holdes, zwanzigjühr'ges Ding Sie kam aus ihrem fernen Land im Zriespalt zwiscıen Angst und Lust, sie nahm des Mannes sdiwere Hand und legte sie auf ihre Brust. — Als ich die Augen aufgemacht, da war sie plötzlidı nidıt mehr da, und nur die Scdwwester Barbara ersciien und rwünschte „Gute Nacıt" Willibald Omansen 312 tlechen”, sagte Carlo. „Paul”, sagte er zu mir, „magst du Leute, die schlecht riechen?” Es war vorauszusehen, daß Carlo jetzt nicht mehr zu halten sein würde. Ich versuchte abzulenken und bot Venus einen Schnaps an, den er dankend annahm. Aber ich hatte kein rechtes Glück mit meinem Ablenkungsversuch. Carlo sagte: „Schnaps ist gut für Mundgeruch; wer darunter leidet, sollte vor jedem Rendezvous mit Schnaps gurgeln.” „Ich habe taısächlich noch ein Rendezvous”, sagte Venus lächelnd zu mir und stand auf. Ich stand auch auf, Carlo blieb sitzen, „Es ist ein Schützling von mir“, sagte Venus, „ein reizen- des Mädchen, ich habe ihr für heute Abend eine Theaterkarte verschafft und hole sie nun ab, Es ist eine Improvisation, Ich liebe Improvisationen. Es ist ein ganz reizendes Mädchen”, wiederholte er schwärmerisch, „eine Photographin.” „Eine Photographin?” fragte ich. Carlo sagte nichts, aber er blickte auf. „Genauer eine Photographlestudentin”, sagte Ve- nus. „Ein Fräulein Duda, Erna Duda.“ Carlo sagte wieder nichts. Ich sagte auch nichts. „Darum müssen Sie mich Jetzt wirklich entschul- digen“, fuhr Venus gewinnend fort, „es war nett bei Ihnen, sehr nett, es war eine nette Improvi- sation. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.” „Hoffentlich!” sagte Carlo und kaute, um mehr zu sagen, aber er brachte nichts heraus Wir drückten einander die Hände, das heißt, Venus drückte die unseren, und ich begleitete ihn hinaus. Ich stand neben ihm an dem Spiegel im Vorplatz und sah ihm zu, wie er seinen Hut, seinen Stock und seine Handschuhe nahm, es wären mattgelbe schweinslederne Handschuhe und ein grauer Hut mit schwarzem Band und einem weißen Seidenfutter Innen und ein Stock aus Bambusrohr, alles sehr fein und wie neu, Ich überlegte, was ich tun konnte, um mir etwas weniger dumm vorzukommen, als Ich mir vor- kam, aber es fiel mir nichts ein. Dann verbeugte sich Venus noch einmal löchelnd zu mir hin und ging. Als Ich wieder Ins Zimmer kam, saß Carlo da und glotzte mich nicht sehr geistreich an, „Was sagst du?” fragte er. „Die Rehabilitierung war wunderbar”, sagte ich. „Wir hätten ihm einfach eins in die Fresse hauen sollen”, sagte Carlo und fing an, sich aufzuregen, „Ist das nicht ein Schweinehund? Die ganze Sache war abgekartet und ausgedacht.” „Gar nicht so übel ausgedacht!” „So eine polierte Saul Was meinst du, was wir mit ihm machen werden?” „Er ist uns über.” „Findest du?” Carlo sprang auf und lief im Zim- mer umher. „Findest du wirklich, daß er uns über ist? — Und ob er uns über ist! Da kann man was zulernen, Freundchen! Ich habe dir Jemand ins Haus gebracht, von dem du was zulernen kannst. Sag dankel” „Danke”, sagte Ich. ‚Wollen wir jetzt den Sakt trinken?” fragte Carlo „nd begann plötzlich zu lachen. „Sag, was du dir denkst?" Ich überlegte und schwieg und sah ihn an. Ich sah, daß er wütend war. „Fein gemacht“, sagte er. „Gestehen wir uns ohne Umschweife, daß es sehr fein gemacht war. Da können wir nicht mit” „Nicht so leicht”, sagte ich. „Aus dem Felde geschlagen!" deklamierte Carlo und lief auf die Veranda hinaus und holte die Flasche Sekt aus dem Kühler, den er unter dem Tisch versteckt hatte, Er kam mit der Flasche und zwei Gläsern zu mir her, öffnete die Flasche, goß die Gläser behutsam voll und reichte mir eins. „Prostl“ sagte er und sah mich mit seinen dunk- len Augen lachend und doch voll Zorn an, „worauf wollen wir trinken? Harr, wir danken dir alle. Tage, daß wir nicht sind wie andere Leutel Trinkl” Sein Auge besänftigte sich, und wir tran- ken. Er goß die Gläser wieder voll, stellte die Flasche zurück in den Kühler und sagte: „Aber den Sekt habe Ich dir doch gerettet, Gib zu, daß es schlau von mir war.” „Außerordentlich schlau.” „Es war tüchtig Ich bin nicht untüchtig. Ich kann's vielleicht noch zu etwas bringen. Wenn die Welt lang genug steht, bringe ich’s vielleicht noch zu etwas.” Er lachte wieder und fragte: „Liebtest du sie sehr?” „Mächtig!" „Lüge nichti Du liebtest sie sehr, und ich liebte Urlaub aus dem Westen - Licenza dall' occldente {F.Blayor) = gr Nu „Woaßt was, Alisi, i fürcht’ tuschuhr,.daß s’ mi dahoam nimma vaschtenga, indem daß ich mir bereits einen franzesischen Aksa zuazog'n hab!“ "Sal, Luigi, temo *toujours, che a casa non mi capiscano piü, perch& mi sono diggiä approprlato un 'accent, francese!,, sie auch sehr. Wir haben alle drei noch einmal Schwein gehabt. Wir sind Glückspilze.” „Na?" sagte ich. , „Schwacher Magen rettet drei edle Herzen”, sagte Carlo, „denn stell’ dir vor, was passiert wäre, wenn wir uns wirklich in sie verliebt hätten.” „Schön. Aber sie war auch noch da; hätte sie einem den Vorzug gegebe: „Sie hat sogar einem den Vorzug gegeben, mein Engell Offenbar haben wir ihr weniger gut gefallen.” „Na also”, sagte ich. „Beruhige dich schon!” „Beruhigen?" fragte Carlo. „Ich denke gar nicht dran, Kannst du verstehen, daß dieser Fatzke ihr besser gefallen hat als unsere beiden ehrlichen Gesichter? Ich kann's verstehen. Es ist der Kausal- nexus, Der Kausalnexus ist eine große Theorie.” „Meinetwegen. Aber ich sehe nicht recht ein, was uns das hilft?“ „Dann verstehst du’s nicht. Ich werde es dir er- klären. Ist Fräulein Duda ein famoses Mädchen ‚oder ist sie’s nicht?" „Sie sah so aus.“ „O du Schlaumeierl Sah sie so aus oder ist sie's? Siehst du die Hintertür, durch die du entwischen willst, damit du dich nicht an eine Unwürdige vergeudet hast? Wie sah sie denn aus?" „Naja“, sagte ich. „Soll ich sie dir entwerfen? Soll ich ein Bild von ihr malen, wert, von Tizian zu sein, oder ist dir Corregio lieber?“ Er trank und begann in die Luft zeichnend sie zu beschreiben, Es wurde ein warmes Bild, es schien mir eher von Burne-Jones zu sein. Ich sagte es ihm. „Auch nicht übel”, sagte er. „Burne-Jones war auch ein großer Maler. Hauptsache, daß es stimmt. Stimmt es?” „Und diese edle Seele verfiel dem Venus”, sagte ich. „O du Enttäuschter, tut sie dir leid? Wenn sie dir in die Hände gefallen wäre, täte sie dir weniger leid? Und wenn sie mir in die Hände gefallen wäre, wie leid täte sie dir dann?” Er sah mich lachend an. „Was für ein Riesenidiot du sein kannst! Mußte sie denn nicht notwendigerweise, wenn sie alle die Qualitäten hat, die wir ihr zu- schreiben, auf eine Fassade hineinfallen? Glänzen ‚denn nicht gerade die Augen des unverdorbenen Menschen am hellsten beim Anblick eines Pa- lasts? — He, wie klingt das?” „Prost”, sagte ich, „ein feiner Palast" „Könnte es nicht von dir sein? Paß auf, ich werde uns doch rehabilitieren!” Er ging und holte die Flasche und goß uns ein. Er war ein bißchen be- 313 trunken, „Es gibt Überhaupt keine Paläste, Lieb- ling, es gibt bloß Verputz. Hast du vergessen, was du lehrst? Ahnst du den Kausalnexus, ahnst du, was Verführung ist?“ Er hob sein’ Glas und roch an dem Wein und blickte aufmerksam auf die Per- len, die es eilig hatten, nach oben zu steigen. „Trinken wir auf die große, blinde und hilflose Natur‘, sagte er im Predigerton, „die so Schönes erschafft wie Fräulein Duda, und so Häßliches wie schlechte Mägen, und das Schöne an das Häß- liche ausliefert, sobald nur das Häßliche, das sie lehrt sich zu verputzen, sich 'wirklich verputzt! War das’ein guter Satz?’ „Geht.” „Er ist,von dir. Trinken wir auf den Teufel und den ohnmächtigen Gott, der zusehen muß, wie wir zusehen, um dann zu philosophieren, wie wir philosophieren, während der Teufel handelt! War das besser?“ Ich lachte. Freund!” rief er und kam auf mich zu und um- armte mich, während er mir den Wein über den Anzug schüttete, „was kann ich denn noch für dich tun? Wollen wir jetzt um Fräulein Duda würfeln, falls sie uns wiedergegeben werden sollte, gesetzt den Fall, daß es Gott wider alles Erwarten gelingen sollte, sie zu erretten?" Der Ideal ist (K. Holllgenstaadt) „‚schlüpfer‘ klingt mir zu sachlich, sagt Rudi immer, im ‚Hösle‘ liegt die wahre Seele der Frau!“ L’idealista; “Rudi dice sempre che la parola ‘calzoncini, ha un suono troppo materiale, mentre la vera anima della donna sta nelle ‘mutandine, },, 314 DEM VERDIENSTE SEINE KRONE Gern und stolz wurden früher Krawattennadeln und Armbänder mit den Initialen hoher Herr- schaften getragen. Man bekam sie für persönliche Verdienste ver- liehen. Huldvollst. War man dichterisch begabt, veröffentlichte man im Residenzboten schwung- volle Namens- und Geburtstagsverse zu Ehren irgendeiner erlauchten Person, war man mit musi- kalischen Talenten ausgestattet, komponierte man zur Silberhochzeit eines fürstlichen Paares, das 25 Jahre lang miteinander im Krieg gelegen, einen schmetternden Jubiläumsmarsch, es genügte aber auch, auf profane Weise die Aufmerksamkeit ällerhöchster Kreise auf sich zu lenken, wie zum Beispiel der Konditor Muntigl, der Erzeuger der Erzherzogin-Valerie-Törtchen. Nach einiger Zeit traf dann ein nach Form und Inhalt stets sich gleichbleibendes Dankschreiben von den Kanzleivorstehungen der aufs Korn ge- nommenen Persönlichkeiten ein, dem für Herren eine in die Augen springende Krawattennadel, für Damen ein goldenes Armband mit dem ein- gravierten Namen des Spenders beilag. Wiederfehen mit meinem Bett Von Karl Lerbs Als’ ich wieder einlief in den heimifchen Hafen, hielt mir mein Bett eine Gardinenpredigt: »Ja, fiehft du«, Iprach es, »jetst bift du hin und erledigt. Spürft du gar keine Reue? Du haft in lauter fremden Betten gefchlafen. Ich hielt dir die Treue. Du ließeft dich von fremden Kiffen verführen; mir war unf’re Verbindung fahrofankt. Mich durfte kein anderer Körper berühren. Und wie haft du mir’s gedankt? Und - was hatteft du Davon?« fo fragte es hart. »Angenehmere Ruhe? Befferen Schlaf Überall haben die Sprungfedern geknarrt. Mal war die Deche zu fchiver, mal war fie zu leicht. Aber nirgendwo hat fie richtig gereicht. Du Schaft Überall gaben fie dir zu wenig Kiffen, und du haft dir dabei den Hals verbogen., Einmal war der ganze Bezug zerriffen. Deinen Pyjama behandelten fie liederlich. Nebenan wurde Immerzu die Spülung gezogen. Und die Stiefel wurden batfch vor die Türen gefchmiffen. Es ift widerlich! 5 Na, jedenfalle bit du gründlichtt gefchlagen und haft bei der Sache nur Schaden genommen. Schließlich und endlich bift du ja wiedergekommen. Haft du Kopfmweh? Schmerzt dich der Magen? Komm her, wir wollen ung wieder vertragen. Nicht wahr, hier ift alles lieb und vertraut? Hier wirft du vergeffen, was dir gefchah. Die Kiffen find grade richtig gebaut, Und die Kuhle in der Matratze ift auch noch da. Hier gibt's kein Geknarre und kein Gebuller, und auch das Laken ift ohne Fehl. Du fehläfft wie ein Säugling mit feinem Schnuller, Du Kamelt Na komm fchon in die germohnte Arche, Den Frieden findft du ja doch nur bei mir, Dich wird kein böfer Nachbar mehr wecken mit feinem Gehufte und feinem Gefchnarche. Du brauchft dich nicht mehr nach der Decke zu ftrecken: Hier ftrecht fich die Decke nach dir.« Verlag und Druck: Knorr & Hirth Vorantwortl, Schriftleiter: Walter Foitzick, Münche: anstallon entgegen. — Bezugspreise . — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal Einzolnummer 30 Pl.; VON HEINZ SCHARPF Nach diesen sichtbaren Auszeichnungen, deren Wert zuweilen im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Kostbarkeit stand, war auch der verlangende Sinn der Ehegatten Haberlander, der Wirtsleute „Zur Teufelswand”, gerichtet. In diesem Wirtshaus, am Fuße des Dachstein gelegen, kehrten wieder- holt illustre Jagdgäste ein, darunter auch der leutselige Herzog Willibald. An dessen Adjutanten nun pirschte sich der Teufelswirt wegen der Er- füllung seines Herzenswunsches weidgerecht heran. Der freundliche Herr gab ihm gern einen Finger- zeig. Herzog Willibald war nicht nur ein eifriger Groß- wildjäger und ein ebensolcher auf kleine Mäd- chen, er war auch als ein leidenschaftlicher In- sektensammler bekannt. Seine Flohsammlung war berühmt, Und hier winkte dem Teufelswirt eine Chance. Wenn er auf diesem Gebiet Seine Hoheit mit etwas überraschen konnte — 5 „Ja, Flöh ham mir grad gnua”, brüstete sich der Teufelswirt, „Natürlich keine gewöhnlichen Exemplare”, meinte der Adjutant. „Ganz große”, lander. „Weder Menschen- noch Hundeflöhe, lie- ber Wirt, aber Gletscherflöhe; Gleischer- flöhe sucht Seine Hoheit.” „Aha, Schneehupfer”, grinste der Teufels- wirt. Und damit war ihm der Weg zu dem ersehnten Krawattenschmuck gewiesen. Von da an stieg er fleißig auf den Dach- steingletscher hinauf, setzte sich in die Sonne und paßte den Flöhen auf. Hatte er einen dieser munteren Springer erwischt, stöpselte er sein kleines, mit Schnaps ge- fülltes Fläschchen auf und ersäufte ihn liebevoll darin. Zu Hause schüttete er dann seine Jagdbeute zur sichereren Auüf- bewahrung in eine größere Flasche um. Als er den Boden derselben schon finger- dick mit solch ediem Wild bedeckt hatte, stürzte eines Tages sein Weib, die rund- liche Frau Elise, aufgeregt mit der Nach- richt daher, Seine Hoheit, der Herzog Willi- bald sei soeben in der Teufelswand ein- gekehrt — mehr brachte sie vorderhand nicht ‚heraus, ächzend fiel sie auf zwei Stühle, Der Teufelswirt knöpfte sich rasch einen Sonntagskragen um seinen stattlichen Kropf und begab sich in die Wirtsstube. Da saß der gute Herzog mit noch einem Herm und sagte: „Grüß’ Gott, Haber- lander, habt’s an guten Speck und an scharfen Schnaps zum Wärmen? Wir müs- sen gleich weiter.” Der Wirt machte seinem Hausnamen Ehre und schoß wie der Teufel in die Küche ab. Während Frau Elise in der Eile beinahe die Kellerstiege hinunterkugelte, um den ältesten Wacholder und den saftigsten Speck heraufzubringen, holte er seine Flohflasche herbei, um sie bei schicklicher Gelegenheit zu überreichen. Frau Elise stellte dann ihre mit dem Wacholder da- neben, schnitt den kemigen Speck in appetitliche Scheiben, verwechselte in der Hast die Flaschen und schenkte dann Seiner Hoheit fleißig aus der Fiohflasche ein. Den Herzog Willibald wärmte der Schnaps prächtig. Er und sein Begleiter sprachen ihm so tüchtig zu, daß bald nur mehr der Bodenbelag zurückblieb. „Was ist denn das für ein merkwürdiger Bodensatz?" fragte der fürstliche Gast, wobei er Frau Elise gönnerhaft um die Taille faßte. versicherte ihm Haber- ruf 129 Abonnement im Monat RM. 1 lellungen nehmen alle Buchhandlungen, ‚20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandi, wenn Porto beiliegt. — Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München Die Teufelswirtin hielt die Flasche gegen das Licht und fühlte ihr Herz stille stehen. Aber rasch gefaßt sprach sie: „Das sind Wacholderkörner, Hoheit, die wecken die Lebensgeister und machen das Blut wieder jung.“ Der hohe Herr zerbiß lachend einige der wunder- tätigen Beeren, glaubte an sich schon eine fühl- bare Wirkung konstatieren zu können und faßte Frau Elise tiefer um die Mitte. Und als er dort genügend lang verweilt hatte, brach er auf. Nach- dem er in seinem Jagdwagen Platz genommen hatte, überreichte ihm der Teufelswirt untertänigst die Flasche, die Frau Elise für den hohen Besuch aus dem Keller heraufgeholt hatte. „A prima Dachsteinfechsung, Hoheit‘, betonte er blinzelnd, worauf der Herzog kreuzvergnügt da- vonfuhr. Nach drei Wochen kam an Herrn Georg Haber- lander eine goldene Krawattennadel und an des- sen Frau Elise ein ebensolches Armband. Diesen Geschenken lag ein Schreiben der herzoglichen Kanzleivorstehung bei, worin der Dank Seiner Hoheit für die prima Dachsteinfechsung ausge- sprochen und ein weiterer baldiger Besuch des hohen Herrn in der Teufelswand in Aussicht ge- stellt wurde, wobei — wie wortwörtlich stand — Seine Hoheit hoffe, dann auch wieder einen so köstlichen, blutauffrischenden Wacholder vorge- setzt zu bekommen. Der Teufelswirt ließ hierauf Ochs, Esel, Welb und Kuh im Stich und ward nicht mehr vom Dachstein herabzubringen. Er suchte dort oben nach seiner inneren Ruhe und nach neuen Wacholderkörnern, wie sie auf dem sonnigen Gletscher herumhüpften. LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Meine Kinder wollten einen Pudel. Also gut — bekamen meine Kinder einen Pudel. „Dressiert ihn recht schön, Kinder!” „Wird gemacht, Vater!” Am Abend kam ich nach Hause, Mümmchen lief mir aufgeregt entgegen, „Er kann schon ein Kunststück!” „Was denn?” „Er steht auf drei Pfoten und hält sich mit der vierten am Schrank fest!“ I.H.R. * Mein Freund Johannes ging zum Zahnarzt. Leicht fiel es Ihm nicht. „Wo tut es denn weh?” fragte der Zahnarzt. „Im letzten Backenzahn rechts unten“, berichtete Johannes. „Das will ich gerne glauben. Da ist ja auch ein tiesengroßes Loch drin“, stellte der Zahnarzt fest. „Ein riesengroßes Loch?” wiederholte Johannes schaudernd. „Ach, dann behandeln Sie doch lieber erst mal einen anderen Zahn.” 1.B. tiefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. Zeitungsgeschäfte und Post- Die artige Britannia (Wilhelm Schulz) „Nein, nein, ich mag nicht mehr mit euch spielen, mein russischer Vormund sieht es nicht gernel'' La garbata Britannia: ‘No no, non ho piö voglia di giocare con Vol; il mio tutore russo non lo vede volentieril,, 316 München, 9. Juni 1943 R 48. Jahrgang / Nummer 23 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Vor der Höhle des Bären „Wenn wir nur wüßten, womit wir ihn herauslocken könnten!" Davanti al covo dell’ orso: ‘Se mal sapessimo con che mezzo poterlo adescar fuorl!,, Neid - Invidia (0. Hogenbarth) „Wissen Sie, meine volle Figur sagt noch nicht, daß ich viel esse!" — „Nee, aber sie ist 'ne Rücksichtslosigkeit gegen andere!" “Sapete, Ia mia figura plena non dice affatto ch” io mangi molto!,, — "No, ma essa & una mancanza di rispetto verso gli altri!,, ÜBER LEDERHOSEN VON WALTER FOITZICK Lederhosen, das Ist ein weltes Feld. Ich habe über sie viele befragt, natürlich Leute aus Oberbayern, die über Lederhosen Bescheid wissen müssen. Es Ist nicht ungefährlich, über Lederhosen Fragen zu stellen. Waren mehrere Befragte beieinander, ge- rleten sie oft In Streit Über Ihre Qualitäten und Verwendungsmöglichkeiten. Manche sagten, man könne sie auch in die Oper anziehen. Die Ansich- ten über Lederhosen gehen weit auseinander. Ich habe nur Weniges einwandfrei feststellen können, zum Beispiel das: die Lederhose muß aus leder bestehen. Das Ist nicht so ohne weiteres klar, denn viele solcher Hosen bestehen eben nicht aus Leder. Voller Verachtung sahen meine Ge- währsmänner auf solche herab. Sie sagten, eine gute Lederhose müsse drel Generationen halten. Das waren Feinschmecker auf dem Gebiet der Lederhosen. Die Patina ist das Schönste. Manche Hosen bestehen nur aus Patina. Sie sind farblos oder eigentlich von der Farbe der Umgebung, ungefähr wie die Fahrzeuge der Wehrmacht, die dem Gelände angepaßt sind. Infolgedessen sind Leute In Lederhosen für feindliche Flieger fast unsichtbar. Aber deswegen werden sie nicht ge- tragen. Die eigentlichen Lederhosen sind ursprünglich schwarz mit grüner Stickerei, Die wirklichen, ech- ten Lederhosen sieht man bei den oberbayeri- schen Bauern. Die feinen, die man am Sonntag trägt, werden von den Kennern nicht geschätzt, dagegen diejenigen, die bei den Gewehren In der Ecke stehen. Sie haben das Aussehen alter Bronzeschwerter und sind ebenso hart. Lederhosen für Kinder sind eine Erfindung der Städter, denn seine Lederhosen soll der Mann zwar nicht von der Wiege, so doch bis zum Grabe tragen. Das Anlegen der ersten Ledernen kommt ‚der Mannbarkeltserklärung mancher Völkerstämme in der Südsee gleich. An der Außenseite des rechten Hosenbeins be- findet sich eine Tasche für den Hirtling, das fest- stehende, manchmal leicht sitzende Messer. Da- her kommt es, daß es In gewissen Fällen als cor- pus delicti auf dem Richtertisch liegt. Dieses Mes- ser dient In friedlichen Zeiten zur Nahrungsauf- nahme, zur Reparierung der Taschenuhr und zur Schönheitspflege, namentlich für diese ist es un- entbehrlich. Am meisten geschätzt sind die Gamsledernen, dann kommen die Hirschledernen, es gibt auch Rindlederne, Roßlederne und Hundslederne, und was dann kommt, ist die dunkle Welt der Surro- gate, Als vor Jahren einmal die Luxussteuer erfunden wurde, gerleten durch einen Reichstagsbeschluß auch die Lederhosen unter die Luxusartikel. Da aber zeigte sich, wozu ein bayerischer Gesandter In Berlin ist. Der schlug mit markii Faust auf einen grünen Tisch und befreite die Lederhose da- von, in der Gesellschaft der Brillantringe und duf- tenden Parfüms zu verbleiben. Es wäre noch manches über den Verschluß der Lederhose zu sagen, der die Form einer Zugbrücke hat und In den oberbayerischen Minneliedern, den ‚Schnaderhüpfin, Rolle spielt. Aber hier wird das Feld immer weiter. Im Spiel der Lüfte Des Nachmittags am Fenfter ftehend und mißgelaunt ins Welte fpähend - der Weftwwind faucht, die Pfeife glimmt -, bemerk’ ich mas, das mich entftimmt, und zwar in Richtung Wohlgefallen: ein Frauenzimmer feh’ Ich wallen, als welches mit des Windes Lift in Widerfpruch geraten Ift. An der mir wohlvertrauten Eche bemächtigt er fich ihrer Röcke, moraus fich ein Afpekt ergibt, den mancher, der ihn wahrnimmt, liebt. Nur gilt der Sat nicht voll und Immer. Zum Beifpiel diefes Frauenzimmer Aft, role mir fcheint, dem Welt, der paßt, figürlich nicht ganz angepaßt. Nun ja, man kann nicht alles kriegen. Die fchlimme Laune zu befiegen, genügt oft fchon als Gegengift ein Mißgefchich, das andre trifft. Ratatöshr 318 MEIN FREUND JOH/ANNES Wir wollten zusammen In die Sommerfrische fahren. Aber nun hatte Johannes plötzlich Bedenken. „Eigentlich kann Ich mir das gar nicht leisten”, er- klärte er, „Den Aufenthalt vielleicht. Aber die teure Reisel” Ich rechnete ein wenig. „Gut, Johannes”, sagte ich dann, „ich will dir die Reise bezahlen. Aber wir müssen dann Ill. Klasse fahren.” „Die ganze, lange Strecke?” fragte Johannes be- denklich. „Das halte Ich nicht aus. Du weißt Ja, wie schlecht Ich gepolstert bin.” „Na ja, wir müssen ja ohnehin ein paarmal um- steigen. Fahren wir also ein Stück zur Erholung Il. Klasse”, entschied Ich. „Schön. Ich werde dann also die Karten besorgen”, schloß Johannes. ‚Am nächsten Morgen brachte er sie mit, Ham- burg—München, München—Innsbruck und so welter, alles Il. Klasse, „Aber Johannes, wir wollten doch ein Stück Ill. fahren!” rief ich ein wenig böse. „Für die S-Bahn habe Ich Ja auch II. besorgt”, sagte Johannes freundlich. * Martin sah kreuzunglücklich aus. Es war ihm deut- lich anzumerken, daß er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Dieser Eindruck wurde noch durch die sonderbaren Bewegungen verstärkt, die er machte. Er drehte und wand sich, zuckte hin und wieder zusammen, kurz, or benahm sich, als wäre er einem Tobsuchtsanfall nahe, „Was Ist denn nur mit dir los, Martin?” fragte Jo- hannes schließlich, nachdem er ihn eine Weile mit steigendem Beiremden beobachtet hatte. „Ach, es ist zum wahnsinnigwerden. Es juckt mich wie toll auf dem Buckel. Gerade da, wo Ich nicht hinlangen kann“, erklärte Martin verzweifelt, „Siehst du, ich hab dir ja damals gleich gesagt, du solltest nicht Kaufmann werden!” sagte Johan- nes bedeutungsvoll. „Was hat denn das Jucken mit meinem Beruf zu tun?” wollte Martin höchst erstaunt wissen. „Das Jucken nichts”, erklärte Johannes. „Aber wenn du nun Schlangenmensch geworden wärest, ‚dann könntest du dich Jetzt auch überall kratzen.” 3. Bieger Praktische Zoologie (0. Gulbransson) % Ef A \ A CE 7 7 Mi | 7 N ? / WW, / , 7 / 7 N} 7 D HN DL: SIMUN A HN, N) 27% Hk „a, ja, Xaver, mir gefällt er auch sehr gut, aber was meinst, wieviel Einmachgläser man für den braucht?“ I A, N Wi DUSDE h LZ Zoologia pratica: "Si sl, Saverio, anch’ esso mi place assal; ma quanti barattoli da conserva credi tu occorrano per esso?,, 319 GROSSAUFNAHME VON WILHELM PLEYER An unsere Soldaten wird — aus der fernen Hei- mat — immer wieder die beteiligte Frage ge- richtet, was sie denn machen, wenn sie momentan oder auch längere Zeit einmal Ruhe haben. Zu gerne möchten die Mütter, die Gattinnen, die Bräute und die Schwestern, ja sogar die Töchter wissen, was man da so tut. Ja, was machen wohl unsere Soldaten dann, wenn sie zu Hause — ach, zu Hause! — gerade dies und das tun, ihre Zeit mit den — achlı — so wohlbekannten, altver- trauten, nicht immer restlos freundlichen, aber nun doch mit Wehmut betrachteten Gepflogenheiten hinbringen würden? Die psychologischen Gründe und die des Herzens für solch beteiligte Frage liegen wahrlich auf der Hand. Ich gedenke jedoch den Rahmen der nachfolgen- den kleinen Geschichte nicht mit einer langen und breiten Beantwortung dieser Frage zu spren- gen — den Rahmen einer kleinen Geschichte, die Ich um so eher prächtig nennen darf, als Ich sie nicht erfunden habe, sondern sie bloß getreu der Wirklichkeit nacherzähle. Ich stelle zunächst ihre beiden Hauptgestalten vor; ich selber bin nur am Rande dieser Ge- schichte beteiligt, insofern, als ich den Kontakt eines Photoapparates auslösen mußte. In der Natur der Sache liegt es, daß die Haupt- gestalt mit dem höheren Dienstgrad der Ältere, Reifere, Ruhigere, in jeder Hinsicht Solidere ist; überdies’ist er verheiratet und hat eine zivile Existenz, die man mit jedem Gewicht dieses Wor- tes bürgerlich nennen darf. Von seiner Frau scheint er vergöttert zu werden, das Verhältnis zur Schwiegermama muß auf wechselseitigem Ent- zücken basieren und das zu seinem Schwieger- vater In dem ständigen Austausch unbegrenzter Hochachtung seinen Ausdruck finden. Seine Kin- derchen aber sind die wohlerzogensten und net- testen von ganz Mitteleuropa, und wie könnte es auch anders sein, — nie würden sie an irgendeiner Lebensäußerung ihres Papas etwas wahrnehmen, was der Entfaltung der Lilienknospe zum schimmernden Kelche auch nur den gering- sten Abbruch tun könntel — Der Dienstjüngere meiner beiden Gestalten jedoch ist von alledem ungefähr das Gegenteil. Nicht nur, daß er im Zivilberuf Zeitung macht, er ist auch unverheiratet und kinderlos und hat also jederzeit seine Gedanken für mancherlei und allerhand frei und eine ungebrochene Lust zu knabenhaften Streichen; und eine dermaßen zur Schau getragene Solidheit wie die seines älteren Kameraden kann nur aufreizend und herausfordernd auf ihn wirken. Darum wird er nicht müde, dem anderen, den er nicht ohne einen Unterton von Verachtung stets mit dessen akademischem Titel „Doktor“ nennt, einen Possen zu spielen, dem möglichst wenig Akademisches eignet, Wenn seine Alte Dame ihm schreibt: „Lieber Erich, was tust du doch immer, wenn du momen- tan nicht Krieg führst?”, dann hat diese Frage viel Sinn; denn es ist ganz allgemein darauf zu ant- worten, daß der Erich dieser Alten Dame immer etwas tut, wenn man ihr auch nicht immer ver- raten könnte, was. Wenn aber Mama oder Mausi an seinen Kameraden Adalbert dieselbe Frage richtet, so kann sie nicht halb so interessant sein; denn es ist darauf nur zu antworten: So recht oder so schlecht es sich In diesem mittelrussi- schen Kaff unfern der Hauptkampflinie tun läßt, lebt euer Adalbert so gesetzt und solid und wohl- verhalten, wie er es zu Hause gewohnt war und wie ihr es nie anders an Ihm gekannt habt. Seiner guten Herkunft und den besten Verhältnissen, in die er hineingeheiratet hat, macht er weder beim Zähneputzen, noch beim Kartoffelschälen, noch bei dem zeitweilig unvermeidbaren Gebrauch des Donnerbalkens die geringste Schande; er ist und bleibt euer wohlgeratener Adalbert. — — Es war ein sonnenheißer Nachmittag. Erich gähnte. Mit elnem traumverlorenen Zug In seinem noch jungen Antlitz erzählte er von zu Hause, von Berlin. Mitten in seiner Erzählung brach er ab, sein Blick bekam etwas Glasiges, und er stärrte auf eine und dieselbe Stelle. Ich sah, daß sich dort auf einem hölzernen Bördchen Adalberts Leica befand. „Wo wollen Sie da das Eiweiß anbringen?” fragte ich Erich, weil er tags zuvor die Schalen von Adal- berts Zigarettentasche mit etwas Eiweiß bastri- chen und nachher wieder die Zigaretten hinein- getan hatte. Erich schüttelte den Kopf. „Ein Mann wie ich wiederholt sich nicht.” Er stand auf, griff nach der Leica und machte sie schußfertig, Nach einem Blick auf die Beleuchtungsverhältnisse wies er mir den Standort an, entledigte sich der Bluse und des Gürtels und entblößte jene monumentale Partie des menschlichen Körpers, von der Come- nius In seinem Orbis pictus wohlweislich abge- sehen hat. So schreckhaft diese hier ausgespro- chene Situation auf den Leser und insbesondere auf die Leserin wirken mag, so wenig Überräschen- des konnte sie für denjenigen haben, der Erich bereits seit einiger Zeit kannte. Zwischen dem hochgezogenen Hemd und der herabgelassenen Hose wölbte sich also jener Körpertell mir beziehungsweise dem Objektiv der Leica zu einer Großaufnahme entgegen. Ich hatte nur noch die Einstellung zu korrigieren, bevor ich belichtete. Dabei kam mir zum Bewußtsein, wie oberflächlich das Urteil ist, es sei doch einer wie der andere. Nein, die individuellen Züge sind auch hier nicht zu verkennen und vermögen gewiß schon einer einzelnen Aufnahme Reiz zu verleihen. Endlich war die Sache richtig und ich belichtete. Durch die eherne Ruhe des Objekts, die Schärfe des Objektivs und die Gunst der Beleuchtung war eine prözise Großaufnahme gewährleistet. Erich brachte seinen Anzug In Ordnung, ohne eine Miene zu verziehen, nahm mir die Kamera ab und brachte sie in den vorigen Zustand und auf den- selben Ort. Einstweilen war nichts weiter darüber zu sprechen. Am Abend saß man wieder gemütlich beisammen, auch Adalbert war nach seinem Dienst dabei. Man unterhlelt sich über dieses und jenes, man sprach auch davon, wie der Krieg, vor allem die jahrelange Entfernung von der Heimat und den früheren Lebensgewohnheiten manchen Menschen verändere, und wie wohl manche Alte Dame und manche Gattin durch diesen Wandel in einiges Erstaunen versetzt werden dürfte. Adalbert hörte mit verschlossener Miene zu und schüttelte den Kopf: „Bei einem Charakter schließen sich solche Überraschungen aus.” — Ich ‘habe nun nichts mehr darüber erfahren kön- nen, was mit diesem Film und unserer Großauf- nahme geworden ist, und muß es ablehnen, meli- nen Lesern eine Erfindung der Phantasie zu bieten, nachdem ich bisher die schlichte Wahrheit be- richtet habe. Doch werden sich meine Leser das Weitere nach dem Schluß dieses Berichtes selbst auszumalen vermögen: Als nämlich Erich gähnend und wie beiläufig an Adalbert die Frage richtete: „Doktor, was machen Sie eigentlich mit Ihren Fil- men, wer entwickelt die?“, da trumpfte der Mann, der wieder einmal zeigen konnte, wie sehr bei ihm alles in Butter war, auf: „Oh, das ist bei mir besonders einfach; meine Schwiegereltern haben nämlich selber ein Photogeschäft.” Ukrainischer Bauer os. Oberbarger) = i el eu _ { vr 320 SALITER VON WILLY PENKNER In Bulgarien werden die Leute steinalt, weil sie statt Alkohol Joghurt trinken, sagt man, in Schle- sien sind die Leute aber ebenfalls von hartnäckl- ger Gesundheit und lang anhaltender Lebenskraft, und da kann es jedenfalls nicht eine durch ein spezielles Milchsäurebakterilum vergorene Milch sein, die das bewirkt, eher der Alkohol, der dor! sicherlich In großen Mengen, aber nicht in größe- ten als anderwärts konsumiert wird, Ich glaube aber, hier muß es der Menschenschlag als solcher tun, der das Lebenskonservierungsmittel in sich hat. Jedenfalls ist die körperliche Widerstands- kraft des ober- und unterschlesischen Menschen- stammes fast sprichwörtlich, und nachfolgende Geschichte hat nicht nur den Vorteil der Unter- haltung, sondern auch den der Wahrheit. Xaver Saliter, es ist der Held unserer Geschichte, wurde im Jahre 1836 in K. geboren, Seine Sippe bestand aus 102 männlichen und 36 weiblichen Menschen, von denen die männlichen, soweit sie das 15. Lebensjahr überschritten hatten, alle Berg- leute waren und sind. Er kam sozusagen In Knap- penunlform zur Welt, und es wäre bei seiner Ge- burt das Paradoxe zur Wahrheit geworden, daß er nämlich im tiefsten Dunkel des Schachtes das Licht der Welt erblickte, Doch diese zwar auch ergötzliche Geschichte gehört nicht hierher, und so will ich gleich in medias res gehen und die weiteren Schicksale des Helden erzählen. Klein Saliter lebte, soweit er sich erinnern kann, In techt ärmlichen Verhältnissen, denn anfangs im Familienverbande waren 19 Geschwister von Vater und Mutter zu ernähren, und später hatte er für fast ebensoviel Kinder zu sorgen; dabei wurde seine emsige Tätigkelt als Ehegatte nicht wie heute, prämilert, und der Staat half noch nicht, diesen armen Leuten diese Lebensfreude materiell zu untermauern. Diese Armut machte aber hart und fest, und weder Tod noch Teufel konnten die Sippe der Salitör davon abbringen, daß ein einziger unter 90 Jahren von dannen ging, und ich bin sicher, daß die jetzt Lebenden diesem guter Beispiel beharrlich folgen werden, Im Jahre 1852, mit 16 Jahren, fuhr Saliter mit sel- nem Vater unter Tag. Er lernte seinen selbstver- ständlichen Beruf von der Pike auf und mit klei- nen Unterbrechungen, die zur Ausheilung seiner auf dem Felde des Bergbaues zugezogenen Ver- wundungen notwendig waren, sollte ihn jeder Tag durch 56 Jahre hindurch und jeder Tag 10 bis 12 Stunden die Erde mit ihrer unheimlichen Ruhe und Finsternis in ihren Bann schlagen. In einer der größten Zechen arbeitete er sich bis zum Ober- steiger empor, und während dieser Zeit griff ins- gesamt sieben Male der Tod nach Saliter, der ihm aber jedesmal eine entschiedene Abfuhr erteilte, ohne allerdings Denkzettel beachtlicher Art am Körper Saliters zu vergessen. Saliter war 21 Jahre alt, als der Tod in Form eines schlagenden Wetters nach dem Leben von 35 Bergleuten griff. 34 Kameraden nahm der Sen- senmann mit, einen mußte er zurücklassen, aber wie sah der Zurückgelassene aus? Saliter wurde am Schädel trepaniert, verlor ein Auge, das durch ein gütlg blickendes gläsernes ersetzt wurde, und arbeitete nach & Wochen mit 4 gebrochenen Rip- pen wieder unter Tag als ob es das selbsiver- ständlichste der Welt wäre. Nicht für 21 Jahre, sondern für 40 Jahre mochte man diesen Mann halten, der struppig und wild aussah, wortkarg wurde und von nun ab gerne ein bißchen mehr ins Glas schaute, wozu Ihm die Bergwerksleitung in Form einer Aufbesserung von 6 Kreuzer in der Woche geholfen haben mochte. Dabei soll nicht gesagt werden, daß Saliter aus- schließlich dem Alkohol fröhntel O nein, er hatte um diese Zeit bereits 3 Kinder und eine sehr nette Braut, die er alsdann nach dem vierten Knaben auch heiratete, Er war der beste Vater und der rührigste Ehemann. Saliter stand im 42, Lebensjahre, als er mit zwei Steigern in einem Förderkorb abstürzte und allein lebend blieb. Sechs Wochen waren alle vier Glie- der Saliters in Gips, nach 9 Wochen außer Gips und er selbst wieder als frisch gebackener Stei- ger im Stollen. Mit diesem Lebensabschnitt sollte sich Saliter auch innerlich verändern. Er wurde gleich seiner äußeren Form streng, ja überstreng mit seinen Untergebenen, wie man das ja oft bei Telegramm an Zeus (Erich Schilling) „Erbitte dringend Rezept, wie man sich in Stier verwandelt. — Roosevelt." Telegramma a Giove: ‘Prego urgenza ricefta: come ci si puö trasformare in toro. — Roosevell.,, jenen Leuten findet, die durch eine harte Schule gegangen, plötzlich Macht Über andere erhalten. Bosonders die jungen akademischen Volontäre hatten unter Saliters Strenge bitter zu leiden, weil er ihnen keinerlei Erleichterungen gewährte, ja viel genauer auf die Erfüllung Ihrer Pflichten drang wie bei den armen Bergleuten; doch auch die empfanden die Härte des vom Schicksal gezeich- neten Mannes sehr, ja die Jüngeren .ertrugen das Kommando Saliters mit Murren, und manch einer sarn Im Ubermut darauf, ihm eins auszuwischen Bevor es aber dazu kam, daß die Jungen zu ihrem Triumph ‚eine Schlappe Saliters knüpfen konnten, wurde dieser durch einen gerissenen Treibriemen, der ihm an den Kopf knallte, auf das Kranken- lager mit einer schweren Gehirnerschütterung ge- worfen, deren Ausheilung bewahre nicht Im Kran- kenhaus, sondern bel der Arbeit abgewartet wurde. Der Schnaps schmeckte Saliter von da ab um so besser, als er dabei sein jämmerliches Kopfweh leichter ertrug, das Ihm monatelang er- halten blieb, Sallters Pflichtbewußtsein stieg nun ins Un- gemessene, und er führte ein Akkordsystem unter Tag ein, was ihn nun zu einem der unbellebtesten Steiger machen sollte. Ihn Über Tag zu haben, 321 war Sinnen und Trachten gerade wieder der Jun- gen Belegschaft. Und so kam, was kommen mußte. Gerade an sel- nem 47. Geburtstag war es, als unser Held im Stollen einen jener dazu bereitgestellten Kübel aufsuchte, um seinen negativen Tribut an das Leben abzustatten, Als Saliter gerade vermerkte, daß welt und breit keine Menschenseele zu sehen war, erfolgte (eigentlich nichts, von Sallter aus gesehen, denn dieser erwachte erst nach 3 Tagen im Hospital) — für uns also erfolgte eine schreck- liche Detonatlon, die Sallter samt dem Gefäße an die Decke schleuderte, woselbst einiges verblieb, während das andere zurück auf den Stollenboden fiel, Verdächtig knickte und knackte es In den Verpölzungen und Verstrebungen des Stollens Dann stand Ruhe, Totenstille im Raume. Den Tätern war das Lachen sehr schnell vergangen, es würde ja auch zuerst In dem Tosen und nachher an der Totenstille erstorben sein. Jedenfalls wußten es mehr als sechs junge Leute, daß eine Spreng- kapsel an den Kübel gelegt war, aber wer war da zu einem Geständnis zu bringen, geschweige denn als Mitwisser auszuforschen? Im Reiche der Halbschatten aber weilte unser Steiger, der Im großen und ganzen erhalten war Im einzelnen aber fehlten sämtliche Oberkiefer- zähne, zwei Fingerglieder, drei Rippen und das Glasauge. Die südliche Gegend Saliters, also jene dem früher erwähnten Gefäß zugekehrte aber er- innerte von da ab an jene dunkelrote Färbung unserer Paviane. Aber die Farbe wäre ja gleich- gültig gewesen, es war vielmehr peinlich, daß Sallter nicht sitzen und rechtschaffen liegen konnte, er stand und lehnte und war groß In sel- nem Schmerze. Bis er wieder mit Hilfe einer Pro- these beißen konnte und wieder sozusagen einen Mann darstellte, sollten sechs Monate vergehen. In dieser langen Zeit aber tat sich sehr viel. Auf die Meldung des Unfalles kam die Staatsanwalt- ” schaft, um festzustellen, ob nur eine Spreng- Patrone oder aber ein Sprengkörper größerer Art dieses Malheur verursachte und um das festzu- stellen, wurde verfügt, daß ein ebensolcher Kübel mit ebensolchem Inhalt mit einer dazu gemachten Puppe mit einer Sprengkapsel In die Luft gejagt werden müßte, Die Herren vom Gericht und die Sachverständigen sollen nur mit Nasenschutzvor- tichtungen an ihr Werk gegangen sein, etwas Positives kam jedenfalls nicht ans Tageslicht und sömtliche Protokolle, Meldungen, Gutachten usw. warten zwecklos geblieben. Nur Saliter war vom Schicksal mehr gezeichnet, irank mehr und diffe- renzierte das zu Trinkende auch mehr, als hätte er sich das Recht erworben, es besser zu ge- nießen. Wir können darin mit ihm fühlen. Nach diesem Fehlgriff des Todes zeugte Saliter nach und nach 11 Kinder. Wo dies geschah, blieb allen ein Rätsel, da Saliters Wohnung aus einer großen Küche bestand, In welcher 4 Betten stan- den, 3 Wiegen schaukelten und Gerät aller Art so aufgestellt war, daß mehrere Personen unmöglich stehen, geschweige sich bewegen konnten. Bos- hafte Leute behaupteten, Saliter brächte öfter Haselnüsse nach Hause, die er seinen flüggen Jungen so unter Tisch und Betten streute, daß sich die junge Schar miteinander raufend unter die Möbel schob, damit jeder möglichst viel erhasche; diesen, vielmehr diese Momente soll Salltor aus- nützen, seiner Frau minniglich zugetan zu sein Wie dem aber In Wirklichkeit auch war, es steht fest, daß ‚die Familie tüchtig anschwoll und der Ernährer ein guter Vater und Ehemann blieb, Frei- lich hatten die Schicksalsprüfungen des Gatten die Frau Saliter frühzeitig obgehärmt und ver- grämt und sie sah nicht mehr mit frohem Mute und sehr lebensbejahend In die Welt. Dafür wuchs Saliter Über Jedes Unglück mehr und mehr über sich selbst hinaus und war nun förmlich stolz, daß er, der schon viermal Totvermutete, noch immer lebte und Leben zeugte. Saliter mußte mit 59 Jahren zwei Verkehrsunfälle absolvieren und mit 62 Jahren, In einem Alter, wo jeder anständige Mann an seine Sklerose denkt und Ordnung macht in seinem Lebensbuch, stürzte der brave Bergmann in der Dunkelheit einer Straße In ein Kellergewölbe, in welchem er hilflos und ohnmächtig bis zum Morgen liegen blieb. Einen Motorradunfall verschaffte ihm ein Junger Student, der ihn nach der Kreishauptstadt mitnahm und in einem Graben landen ließ, während der zweite Coup dem Bergwerksditektor gelang, wel- cher in seinem Rennwagen Saliter mitnahm, um durch einen ‚Reifendefekt gerade bei großer Schnelligkelt und Kurve sich selbst in den Tod zu fahren, Saliter erhielt einen zweiten Beinbruch, Na- senbeinbruch und ein drittes Glasauge zuerkannt. Damit aber war Saliter wirklich zu einem fast un- kenntlichen Menschenwrack geworden und er gab selbst zu, daß er nur mit allergrößter Mühe seinen Pflichten nachkommen könne, Trotzdem hielt er noch 10 Jahre als Obersteiger sein strenges Regi- ment Im Bergwerk aufrecht und wurde mit 72 Jah- ren zur Verwaltung eines Handmagazins und als Hauptportier des Werkes unter Belassung seiner Obersteigerbezüge bestellt. Da war Sallter so techt in selnem Element, hatte er doch die Fabrik- apotheke zu Überwachen, die in einem Kasten der Portiersloge untergebracht war und deren sonstl- ger medizinischer Bestand ergänzt wurde von ein paar Dutzend Flaschen Kognak, Wodka, Kümmel usw,, eine alkoholische Reserve, deren Daseins- berechtigung immer wieder von Saliter unter- strichen wurde, wenn die Bergleute mit größeren und kleineren körperlichen Gebrechen sich zur Labung einfanden Unter diesen zu Labenden wa- ten allerdings sehr viel der akademischen Beleg- schaft, die auffallenderweise sehr oft an Magen- beschwerden verschiedener Grade litten. Aber sehr bereitwillig war Sallter steis bei der Hand mit dem Labetrunk, von dem er, scheinbar um sich von der Qualität des Trunkes zu Überzeugen, selbst ein wenig zu sich nahm, bevor er dem Kranken 1—2 Gläschen übergab. Die Bergwerksdirektion hatte das Empfinden, daß auffallend viel Schnäpse in die Apotheke nach- geliefert würden und ließ einmal Bilanz machen. Man fand, daß ungefähr die dreifache Menge Al- kohol in jener Zeit nachgeschafft wurde, seit eine große Anzahl Studenten als Volontäre dem Werk zugeteilt waren. Und weil die: chnäpse sehr beliebt waren ob ihrer ausgesuchten Qualität (Sallter verstand schon etwas davon) und die Direktion die Meinung ver- trat, daß für viele Zwecke auch eine weniger erst- klassige Qualität genügen würde, so verfügte sie den Ankauf von solchen Spirituosen, die geeignet waren, nicht als besonderes Reizmittel für Magen- verstimmungen zu fungieren. Es ist Tatsache ge- wesen, daß Leute, die notorisch zwei- bis dreimal in der Woche zur Labung kamen, hinfort sehr (6. Brinkmann) „Was sind Sie von Beruf, Junger Mann!“ „Politischer Zeichner. Warum?" "Giovanofto, che professione fate?,, — “Il disegnatore politico. Perchäl,, 322 selten zu sehen waren, da sie angeblich nach Einnahme der Medizin keine Besserung ihrer Be- schwerden verspürten. Es war eine rapide Einsparung von Alkohol er- reicht und Saliter mußte nicht so oft die Schlüssel zücken zu dem allen im Bergwerk so bekannten Schrank. Böse Zungen behaupteten, daß Saliter diesen Rückgang des Konsums erheblich hätte vergrößern können, wenn er sich auch etwas mehr zurück- gehalten hätte beim Kosten. Jedenfalls hütete Sa- liter den Schrank samt Inhalt mit größter Ge- wissenhaftigkeit vor fremden Zugriffen. So ging Jahr für Jahr dahin, Saliter ging zwar schon etwas gebückt, doch ohne Stock, und er machte den Ein- druck eines alten Invaliden, wie sie hie und da zu jener Zeit als Wächter von städtischen oder staatlichen Sammlungen oder Gärten eingesetzt waren. Zu dieser Zelt — Sallter ging in das 91. Lebens- Jahr — hatte Ich dienstlich in der Grube zu tun und hörte gerne In der Portierloge die Lebens- geschichte unseres Helden aus seinem eigenen Munde. Freilich glaubte ich manchmal nicht alles als bare Münze nehmen zu müssen, was er da über seine an das Unerhörte grenzenden Unfälle erzählte, um so mehr, als ich mich wirklich wun- dern mußte, daß ein so geprüfter Mensch noch immer so viel Kraft und Willen bewahrten könnte, wie eben er; doch Immer wurde mir von diesem und jenem die Wahrheit von Saliters Erzählungen bestätigt und Ich selbst sollte nun zosusagen den dramatischen Höhepunkt der Schicksalsschläge, die an Saliter verübt wurden, miterleben. An einem Montag war es, als Sallter auf seinem gewohnten Wege zur Arbeit eine Schutthalde passierte, an deren Rand Kippwagen zum Ab- laden ihrer Last bereit standen, Just als Saliter eine Stelle umging, wo die Gleise nicht viel Platz zum Vorübergehen ließen, kamen die Massen des Gerölls zum Gleiten — zum Stürzen und begruben im Nu den armen Alten mit seiner Pfeife, die nun seine Rettung werden sollte. Durch das Getöse herbeigeführt, kamen viele Menschen und gruben, dem aufsteigenden Pfeifenrauch folgend, nach kurzer Zeit Saliter aus und brachten ihn ellends in seine Loge, wo ich zufällig anwesend war. Der Anblick war schrecklich, der herbeigerufene Arzt bemerkte, daß wohl jede Hille vergebens wäre, da Saliter gewiß tot sein müßte, Ich beugte mich über dos arme Antlitz mit den hundert Wun- den an Wangen und Hals — — und wie ich zu- tlefst erschüttert dieses Häufchen Unglück be- dauerte, hörte ich, ganz ohne Zweifel aus Sallters Munde kommend, ein leises Fauchen und — er- schrocken mein Ohr näher an den Mund brin- gend — ganz deutlich das Wort „Schnapsl” und noch einmal „Schnaps! Ich fuhr auf, rief den Arzt, der herantrat und das Wunder nicht fassen mochte. Doch auch er hörte nun eindeutig das Wort „Schnaps“, Ich eilte zum Schrank, riß ihn ohne Schlüssel auf, ergriff eine Flasche, goß ein Glas voll, eilte zu Saliter, um ihm das Feuerwasser einzuflößen, als dieser sagte: „Vom besseren”. Das verstand Ich aber nicht und beruhig'e Ihn, es wäre das Gewünschte! Saliter nippte, das heißt, ich ließ ein paar Tropfen auf seine Lippen fallen, als er allen vernehmbar lispelte: „Das ist ja nicht der gute, die Flaschen stehen rückwärts.” Diesen Wunsch erfüllte ich und der Alte sank zurück und rührte sich nicht mehr. E Als ich ein paar Tage nach diesem traurigen Ende Saliters im Direktionszimmer bei einer Besprechung saß, wurde vom Diener gemeldet, daß Frau Saliter den Direktor gerne sprechen möchte, was dieser sofort bewilligte, Direktor F. kam nach 10 Minuten zurück und erzählte nur so nebenbei, daß Saliter nur eine Sorge hätte, seinen Posten als Portier nicht zu verlieren. Auf meine ganz erstaunte Frage, wleso eigentlich ein Toter besorgt sein könnte, wurde mir die Er- öffnung, daß Saliter ganz gegen die Feststellung und Annahme der bei seinem Unglück Anwesen- den, inzwischen im Krankenhause ganz zu sich gekommen, einige Operationen durchgemacht und sicherlich am Wege der Genesung sei. Freilich würde diese ein paar Monate in Anspruch nehmen. In Wirklichkeit kam Saliter zwei Monate nach dem Unfall an seinen Dienstort zurück. Er machte noch zwel Jahre, wie ich hörte, als Portier seine Arbeit und zog mit 98 Jahren im Besitze einer Ehrenrente ganz nach Hause, wo er Im 105. Lebensjahre ohne Unfall eines Tages seine Seele den Göttern der Unterwelt übermachte. Sonntagsausflu (R.Krlasch) „Sagen Sie, Fräulein Erika, strengen Sie die achtzig Kilometer nicht an?“ „Ach woher doch — an meiner Nähmaschine mache ich jeden Tag hundertzwanzig! Gita domenicale: “Ditemi, signorina Erica, non Vi affaticano gli ottanta chilometri?,, *Macche! Colla mia macchina da cucire ne faccio ogni giorno centoventi!,, 323 PUNKT DREI VON HANS KARL BRESLAUER „Herhörenl" sagte der Gelreite Lembacher zu den Stubenkameraden. „Heut müssen wir unser Hirn- schmalz zusammentun, weil der Wunderer Alois auf Brautschau geht. Er ist der Jüngste von der Kompanie und hat In solchen Sachen noch keine Erfahrung net... Bist fertig, Alois?“ Feingefühl „Fix und fertigl” antwortete der sich blitzsauber präsentierende Alois. „Schaust net übel aus!“ sagte der Gefreite Lem- bacher zufrieden. „Aber jetzt kommt die Haupt- sach. Die Verhaltungsmaßregeln... Nur keine Dummheiten reden, Alois, verstehst mich? An- fangen tust mit Fömlliensachen, dann redst von der Liebe und hintennach, als Punkt drel, kommt, wie man so sagt, das Resumeel” „Was ist denn das?” fragte der Alois, (0 Hermann) a i 4 „Herr Hagelmaler, gegen vornehmen Damenbesuch habe Ich nichts, aber. bal a Schlampen solchane Latschen tragt, leidet der Ruf meines Hauses!" 324 „Das Ist der Abschluß. So g’wissermaßen die Zu- sammenfassung von dem, was du zuerst g’sagt hast, Wann du dich an die drei Punkte halten tust, nachher kanns net schief gehen. Hast mich ver- standen?” „Jawohll“ sagte der Alois. „Jetzt kann mir nix mehr g’schehn!” „Hat ihm noch einer was zu sagen?” wendete sich der Gefreite Lembacher an die aufmerksam zu- hörenden Kameraden. „Niemand?,.. Alsdann, Alois, nachher kannst abtreten — und schau halt dazu, daß du uns ka Schand net machst!" So saß der Alois etliche Zeit später neben der blldsauberen Emerentia auf dem Diwan, ließ sich den Kaffee und das, Wurstbrot schmecken, sah bald die Emerentia, bald deren Mutter an, die ihm ermunternd zunickte, dachte an die drei Punkte und sagte: „Haben S' leicht eine Schwester, Fräulin Eme- rentla?"” „Nein ...” flüsterte Emerentla. Alois nahm diese die Familienverhältnisse klä- rende Antwort zur Kenntnis, griff, einem Teller mit Zwetschgenkuchen kaum einen Blick schenkend, nach einem neuen Wurstbrot und ging auf den Punkt Liebe über: „Was lieben Sie mehr, Fräulein Emerentla; Zwetsch- genkuchen oder Spockwurst?" „Zwetschgenkuchen!” hauchte Emerentia, die Alols alle Speckwürste der Welt vergönnte. Damit war also die Familie und die Liebe glück- lich erledigt und Alois hatte nur noch den Punkt drei vor sich, das Resumee, wie sich der Gefrelte Lembacher ausgedrückt hatte, weshalb er nach längerem Nachdenken sagte: „Schau’n $‘, Fräulein Emerentla, wie schön wär das, wenn $' jetzt doch eine Schwester haben täten, die was auch keine Speckwurst nicht lie- ben tutl“ * FEUERÜBERFALL Wie es näher kommt! Es pfeift. Es dröhnt und grollt, Feuer, das über die Erde rollt, zuckend in den Boden greift, Dreckfontänen in die Höhe reißt. Alles schüttert, birst und bebt} Was da lebt, weiß erst jetzt, was Leben heißt, duckt sich, atmet kaum. Brüllend spricht nur der Tod, flammt und loht, schmettert Eisen in den Raum zwischen Nacht und jähem Rot. Dröhnend greift es in Graben, Schützenloch. Kommt das Letzte? Kommt es doch? Und es dröhnt. Und es pfeift, aber ferner. — — Und du atmest noch! FRITZ RAST Musterung in USA. (Erik) „und denken Sie daran, daß Sie ausersehen sind, amerikanische Kultur in die Wildnis unserer neuen europäischen Kolonien zu tragen!“ Rassegna negli USA.: ".. .e badate bene che Voi siete prescelto a portare la cultura americana nelle nostre nuove colonie selvagge dell’ Europa, 325 Das einsame Bad CK Heligenstaad) „Paß auf, Steffi, ein junger Mann beobachtet uns!" „Ach Gott, schließlich sind wir doch auch bloß ein Stückchen Natur!“ Il bagno solitario: “Bada, Stefania, un giovane ci sta spiando!,, #Eh, Dio mio, alla fine anche nol non siamo che un pezzetto di natura!,, 326 IKARUS Ein nackter Leib und zwei der Federn, die man dem Vogel Strauß geraubt. Der Jüngling führt auf hohen Rädern hin an den Strand, Und hinter ihm im Festgewand, die ihm geglaubt. Der Sand liegt gelb. Es wehn kaum Winde, In Fernen klirrt das grüne Meer. Er lächelt übers Angebinde und läßt sie los die blauen Tauben Helios und schaut umher. Die Alten nicken, Und er schreitet geölter Haut aufs Katapult: „Adı, daß ich midı zum Flug bereitet, mein junges Ilerz, mein junges, ungeslümes Herz ist daran schuld.“ Und dann geschah — — Icı kann's nicht sagen. Die Vase hat hier einen Riß. Wir schen einen halben Wagen und Münnermünder auf in Klagen: © Helios, dein Flammenstoß marf ihn in Meer und Finsternis. ALBERT HIEMER ARABELLA VON FELIX RIEMKASTEN Eines Tages, als Junge, war ich einmal im Zirkus gewesen. Dort halte mir am meisten das Pferd Arabella gefallen, Es wieherte mutig, es war breit und prächtig gebaut, es hatte einen starken Hals, einen feurigen Blick, und es war über die Maßen prächtig anzusehen, wie es aufgezäumt war, Es funkelte und klirrte von Gold und Rot und Pracht. Auf dem Haupt trug es einen wehenden weißen Federbusch, vor der Brust hatte es eine klirrende, schimmernde Messingplatte. An rot- ledernem Gehönge, mit Glöckchenl — Dieses Pferd Arabella hatte sich meinem Gemütsleben tief eingeprägt; es galt mir als Sinnbild für Reich- tum, Macht und Pracht. Dann, etliche Jahre später und schon etwas rei- fer, als ich ein Jüngling war und zur Tanzstunde ging und wahrscheinlich — wie ich das heute ansehe — weiter nichts darstellte als einen grü- nen Schnösel, einen.Laffen, da sah ich beim Tanz- stundenball ein Mädchen, das mir sofort in die Seele fiel und dort Eindrücke wachtief... Ich dachte angestrengt darüber nach, bis es mir ein- fiel; „Arabellal” Denn dies war der Eindruck, den sie auf mich machte: mächtig, prächtig, edel und dabei gewaltig! Gott bewahre mich davor, selbst heut noch, so kühn zu sein, auch nur Im Traum den Arm um Ihre Hüfte zu legen. Rein instinkthaft mied ich sie, ich vermied es sogar, auch nur an sie heran- zutreten. Sie war viel zu groß für mich, auch zu schwer, Sie war, um es kurz zu sagen, weit über melne Gewalt. Diesen Eindruck teilte ich meinem damaligen Freund Berkersdorf mit ohne zu ahnen, daß Ich damit die Flammen der Liebesglut in ihm auf- schürte. Unheil schuf ich damit, ohne es zu ahnen. Berkersdorf nämlich war ein Kamel. Er hatte Glotz- augen, er hatte einen Stiernack. er hatte an Feingefühl überhaupt nichts, er war eben — wie ich das vorhin schon gesagt hatte — ein Kamel. Er war ein Roß, er war ein Rindvieh. Nur so konnte er die Dreistigkeit haben und den Mut, sich in Arabella zu verlieben, in dieses Mädchen, diese Naturgewalt, Und drüben saß ihre Mutter! Ich war nicht etwa von Neid erfüllt, auch nicht von Eifersucht, ich stand nur, sah und gaffte. Wenn irgend etwas In meiner Seele war, so war es Grausen, vermischt mit Neugler. „An die geh’ ich ran“, schwur Berkersdorf in dem Stil, in dem man als Siebzenjähriger seine Schwüre schwört. „An die geh’ ich ranl" Er wußte nur nicht, wie er es machen sollte, Er tanzte mit ihr, aber er wußte kein Wort zu spre- chen, er schwitzte nur. „Mensch“, flüsterte er mir nach dem Tanze zu, „Mensch, die ist was, da geh’ ich ranl” Beim zweiten Tanz sprach er sogar mit ihr. „Mächtig heiß heut”, offenbarte er ihr. Und fragte: „Schwitzen Sie auch so?" „Und was hat sie geantwortet?” fragte ich. „Mensch“, sagte er stolz, „sie hat gesaı Ich auch! — Also du siehst”, eröffnete er mir, „das ist was, und nun komme mir gefälligst nicht da- zwischen. Die ist für mich!” Weiter aber flel Ihm nichts ein, denn ein Blick auf Arabellas Gliederpracht und Feurigkeit, das Jagte ihn in Angst und schuf ihm kalte Füße. Unbe- dingt aber mußte er sich mit Ihr unterhalten. Er ging also aufgeregt an die Theke, trank sich dort mit zwei Glas Bier etliche G: kraft an und grübelte über die Frage: Wie unterhalte ich mich mit Ihr? — Es fiel Ihm dann etwas ein. „Fräulein“, sagte er beim dritten Tanz, „wissen Sie, was mein Freund von Ihnen gesagt hat?” Das wußte sie nicht, aber sie hatte sofort Ver- dacht und legte einen pfundschweren Blick auf mich, als sie an mir vorübertanzte. „Nein“, sagte zu Berkersdorf. „Was hat denn Ihr Freund gesagt?” „Das sage Ich Ihnen“, sagte er, „wenn Sie mit mir in die Ecke gehen, wo die Palmen stehen. Dort sage ich es Ihnen.” Da ging mit.Ihm In die Ecke, und er, das Rind- vieh, sagte es Ihr. Er meinte, damit groß aufge- stiegen zu sein in Wichtigkeit. „Mein Freund sagt, Sie erinnern Ihn an ein Pferd, Fräulein.” „Wieso?” fragte sie. infach so, überhaupt sol” „So, so“, sagte sie'nur und warf sich sozusagen im stummen Wiehern Ins Geschlrr, in ihr Pracht- geschlrr. Mit den Hufen stampfie sie. Sie sagte os stracks ihrer Mutter, die drüben saß. Da stellte ihre Mutter mich zur Rede, unter den Palmen, und fragte mich, ob es wahr sel, daß ich ihre Toch- ter mit einem Pferd verglichen habe, Da dachte ich: Soll mich der Bei ‚dorf, dieses Rindvieh, vor allen Leuten blamieren? Ich wurde feuerrot und stritt es entrüstet ab und sagte zur Begrün- dung nur, daß Berkersdorf ein gemeiner Mensch sei, Das Lügen sei seine zweite Natur, sagte ich. Daraufhin bedankte sie sich bei mir und ging zum Tanzmeister. Sie verlangte, daß dieser Herr Ber- kersdorf auf der Stelle den Kursus verlassen müßte, andernfalls würde ihre Tochter den Kur- sus verlassen, denn es sollte ein Kursus für fei- nere Leute sein, ein Kursus für Bildung und Schliff, Und Berkersdorf wurde wütend vor Wut und da- mit unfein, und der Skandal war erheblich. Andern- tags vertrimmte er mich auf dem Schulhof und nachher noch In der Tumstunde, und am fol- genden Tag ging er hin, in seinem besten Anzug, um der Mutter der Dame das zu erklären, und daß ich es doch gesagt habe, und daß er nicht ein Lügner sei, und er habe das Fräulein Tochter nie für ein Pferd angesehen, Ja, er sagte sogar, sie sei kein Pferd, das sei von mir nur so be- hauptet. So wurde ihm denn geglaubt und verziehen. Er wurde zum Kaffee dabehalten und sogar einge- laden, öfter wiederzukommen. Das hat er denn auch getan, dieses Rindvieh, Er war sogar noch stolz, daß er mit ihr spazieren gehen durfte, er zeigte es allen Leuten, er prunkte öffentlich als Brautbesitzer. Siebzehn Jahre war er erst alt. Seitdem, wenn Ich mitunter in meine Heimatstadt fahre, sehe ich stets mit Kopfschütteln ihn und seine Gattin, denn er hat sie geheiratet, es war ihm nie gestattet worden, anderswo seine Zeit zu verbringen. Vom siebzehnten Lebensjahre an bis zum fünfunddreißigsten hatte er kein Mäd- chen kennen gelernt als sie, und nachher, als er geheiratet hatte, war ihm das erst recht nicht er- laubt worden. Denn wie soll ein Mensch etwas wollen dürfen, was solchem Majestätsmädchen wie ihr nicht gefiel?! Ich glaube: so, wie er schon damals beim ersten Tanz mit ihr geschwitzt hatte, so hat sie ihn aus dem Schwitzekasten nie her- ausgelassen. Es sah nicht danach aus. LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Johannes kam strahlend. „Ich habe gestern ein Mädchen kennengelernt, das noch nie geküßt hatl” Zellbor fuhr auf: „Das Wunder muß Ich mir ansehen!” Johannes lachte: „Zu spätl Zu spätl" ].H.R. * Dies ereignete sich in Oberbayern, unweit des Tegernsaos. Der Lehrer einer Landschule erläuterte an Hand eines großen Wandbildes den Bau der ägyptischen Pyramiden. Der Pharao in seiner Pracht war auf dem Bild zu sehen, die Würden- träger des Landes, schon weniger prächtig — die Sklavenhändler in weißen Gewändern — alles ‚erklärte er ihnen und wies dann auf die Sklaven. „Und was sind das nun für Leute, die mit ent- blößtem Oberkörper, meist nur mit einer Hose und Sandalen bekleidet, herumstehen?“ Der kleine Obergestenbrandersepp rief: „Das sind die Sommerfrischler, Herr Lehrer!“ I.H.R. * Kitty wollte sich von Johannes scheiden lassen. „Warum, Kitty?” „Johannes‘ Sekretärin trägt meine seidenen Nacht- hemden.” „Hast du es gesehen?“ „Nein. Aber Johannes.“ IHR. Vorlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgoseilschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fornıuf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brioffach. Vorantwortt, Schritt: Walter Foitzick, München. — Der Simplicistimus erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nohmen alle, Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und, post: anstalten ontgegen, — Bozugspreise: Einzeinummer 30 Pl.; Abonnement im Monat RI Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München, M. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurücl ‚gesandt, wenn Porlo beillogt. — Kommunistentheater in London (E. Thöny) „Seid ihr alle umgeschminkt, Genossen? Gleich beginnt unser erster Auftritt. Daß mir aber keiner beim Singen der Königshymne zu grinsen anfängt!" Teatro comunista a Londra: “Vi siete tutti truccati per bene, compagni? Tosto comincla la nostra prima comparsa. Che nessuno perö si metta a ghignare al canto degli Inni Realil,, 328 München, 16. Juni 1943 : 48. Jahrgang / Nummer 24 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN ÜNKBLıSAMS / \ Privosopuie OcıF Cucpranssan us „Auf die Zahl der Opfer kommt es nicht an, die Hauptsache ist, daß wir unsere Ideale hochhalten!*‘ La filosofia dello zio Sam: "Il numero delle vittime non conta; |" importante si & che noi teniamo alti i nostri ideali!,, | Frühling im Osten - Primavera nell'est (Toni Bicht Im Felde) DIE PAUSE VON WALTER FOITZICK Theaterstücke und Konzerte bestehen aus zwei Teilen, aus dem Teil, wo da vorne auf der Bühne einer oder mehrere etwas machen, und aus der Pause. Häufig ist die Pause der angenehmere Teil. In der Pause hat man die Verpflichtung, über das- jenige, was eben gesehen oder gehört wurde, Anerkennendes oder Abfälliges oder Gelstreiches zu sagen, Man sagt solches zu seinen Bekannten. In der Pause sind immer Bekannte. Da sie In Klum- pen beieinanderstehen und man Ihnen nicht aus- weichen kann, stellt man sich zu Ihneı Und da Bekannte Immer wieder Be- kannte haben, wird man immer wieder neuen Leuten vorgestellt, die einem gar nichts angehen. Da Ich weiß, daß Ich die Leute schwer wieder erkennen werde und ein höflicher Mensch sein möchte, lerne ich sie beim Zusammen- stehen auswendig; um sie vielleicht doch wiederzuerkennen. Biswellen ver- neige Ich mich In der Pause planlos in die Menge hinein, und meine Vernei- ‚gung trifft regelmäßig auf Leute, die es ängeht und deren ich mich nicht ent- sinnen kann. Ich erkenne das an Ver- neigungen, die im Umkreis meines Blik- kes entstehen. Dann gehen wir wo- möglich aufeinander zu und fragen gleichzeitig: „Wie geht's?‘ und antwor- ten gleichzeitig, daß es ein sehr Inter- essanter Abend ist, weil wir nicht wis- sen, ‘ob einer von uns mit einem auf Bühne und Podium bekannt, verwandt, verkracht oder verschwägert Ist. Dann stehen wir noch eine Welle und wissen nichts welter zu sagen, oder stellen uns einfach weiteren Unbekannten vor. Ich kenne viele Leute die nur in Pausen zu exI- stieren scheinen, es gibt sie nur dort, dort aber regelmäßig. Sehr gut Ist es, wenn man weiß, daß die Leute Kinder haben. In diesem Falle kann man sich Interessiert nach dem Befinden und den Fort- schritten der Kleinen erkundigen, wobei es meist zweifelhaft bleibt, ob der Nachkomme männlichen oder weiblichen Geschlechts ist, da man sich mit der Unkenntnis davon keine Blöße geben möchte. Selt Jahren kennt mich ein Ehepaar, das sich in REGENMORGEN IM FRÜHLING Zwischen den Nebellaken, die eine schmufzige Nadıt auf fladıem Lager zurücließ, federn sic ungelenk zahllose graue Sperlinge, frühzeitig aufgewacht, sid bekeifend mit unartig lautem Gezänk, Meine Fenster sind narbig mit Feuchte besprengt. Breite Tropfen rinnen auf schleimiger Bahn nieder die Scıeiben, mie dicke Schnecken, gehängt an die tauzühen Blätter von Latticı und Löwenzahn. Gestern lief sonnig ins helle Jahr hin der Weg. Fröstelnd schlag idı den Frühling mir heut aus dem Sinn, Mit den Tropfen am Fensterglas, fahlgrau und träg, ließe icdı nadı und nadı in die Traurigkeit hin. K. M. Schiller 330 jeder Pause nach meiner Tochter erkundigt. Nun habe ich nicht die geringste Andeutung von einer Tochter, aber vor Jahren habe Ich es versäumt, das richtigzustellen, und wie soll ich mich jetzt diesen Leuten gegenüber meiner imaginären Tochter entledigen. Sie wächst In der Phantasie der Familie heran. Ich lasse sie von Schulklasse zu Schulklasse aufsteigen, Masern bekommen, Ausflüge machen, radfahren lernen und an Heu- schnupfen leiden. Es scheint ein kränkliches, aber intelligentes Kind zu sein. Neulich hatte Ich die Jahre unserer Unbekanntschaft unterschätzt und so bekam meine phantastische Tochter Zähnchen In einem Alter, In dem andere Mädchen bereits die Aufnahmeprüfung In die Kunstgewerbeschule machen, Es war sehr, sehr schwer, die Zähnchen wieder abzublegen. Vor jeder Pause bereite ich mich auf das Zusammentreffen mit jener Familie sorgfältig vor, und auf meine Tochter. Ich habe viel Freude an Ihr, aber na- türlich auch manche Sorge. So sagt man doch wohl in elterlichen Ge- sprächen? * Mein Freund Johannes Wir standen am Strande der Nordsee. Mir wurde es poetisch ums Herz, und schausplelernd deklamierte ich: „Brandet heran, ihr Wogen. Greifet mit strafender Hand Über den brechenden Deich tief in das sündige LandI“ Freundlich schaute Johannes mich an. „Vielleicht versuchst du es nachher noch einmal“, sagte er. tzt ebbt es nämlich gerade.” ).Bieger Der Lord und die Kommunisten emo „Es freut mich, meine Genossen, daß Stalin beschlossen hat, ihr seid von jetzt ab ungefährlich!" Il Lord ed i comunisti: „Godo, compagni miei, che Stalin abbia deciso che Voi d’ ora In poi non siate pericolosi!,, 331 LIEBE IN TIROL VON SPRINGENSCHMID Länger als anderswo braucht es, bis in Tirol die liebe über ein Mannsbild kommt, dafür nachher um so ärger. Wenn der Mensch im Paradies, wie es heißt, aus Lehm erschaffen ist, in Tirol aus Holz, aus lärche- nem! Ein Klotz ist der Kluiber Klaus, lärchen durch und durch. Über die dreißig ist er schon und etliches drüber, Und Ist noch allmal seiner Mutter bloß der Bua, und die Weiberleut im Dort, die ledigen, die viel eher als die Mannsbilder spüren, für was sie anders erschaffen sind, neh- men Ihn, den Klaus, auch noch nit als „mannern”, Aber einmal im Frühjahr, wie die schönen Tag sind, herunten Im Dorf alles in der Blüh und oben auf dem Berg das erste Grasl, da packt es den Klaus ganz arg, daß er erst gar nit weiß, was das Ist und was Ihn auf die Höh treibt eigentlich. Bloß dem Herrgott ein wenig in seine Werkstatt schauen, denkt er. „Und auf Gams nebenbei”, Stilwandel - Mutamento di stile meint der Bachler Lenz, der alte, und greift um den Stecken, Den Wald steigen sie auf, alle beide, die eine Stund und die andere. Zu reden haben sie wei- ters nix miteinand. Auf der Gauxalm steht das Jungvieh. Die Mariann, die Sendin, die junge, die saubere, ist bei den Kalben und lockt sie mit einem Jodler, wunder- schön. Meint aber wohl nit die Kalben dabei, meint die Mannsbilder, die zwei, die aus dem Wald dahersteigen, und eigentlich, wenn man es richtig nimmt, bloß den einen, den Klaus; denn der Bachler Lenz, der alte, weißhaarete, ist ja schon drüber, aber für den Klaus, den Jungen, wär Zeit, daß er „mannern“ wird, So schön liegt der Jodier über der Alm, daß der alte Bachler das erstemal an diesem Morgen zu reden anhebt; „Ischt es nit schlan da, Klaus?” fragt or. (004. Oberbarger) N ai I Bye 7 „Ich tu mich schon hart, die Innere Stimme schreit nach pastosem Farbauftrag und die Zeit fordert Sparsamkeit mit dem Materlal I“ "E difficile per me; la voce Interna grida *larga pastosild di colore, ed Il tempo vuole parsimonia di materiale!, 332 Da faßt der Klaus bloß den Felsen an und steigt die Wand hochauf, und erst, wie sie oben auf der Talsenhöh sind, und die Alm liegt tief unten im Grund, tut er dem Bachler Antwort auf seine Frag: „Schlan woll", sagt er, „aber ohne Welberl" „Weiber?” staunt zahnlucket der Bachler Lenz, „hascht du schon eppes mit Weiber, Klaus?” „Nix mit Weiber” sagt der Klaus finster und nimmt, daß er nix mehr sagen braucht, den Gang- steig hinüber zum Grat. Und über die Stund hok- ken sie oben auf dem Rettenstein, dem vorderen. Da liegt sie Jetzt vor ihnen, die Schöpfung Gottes, Berg über Berg, eine ganze Welt voll, „Der Herrgott”, sagt der Klaus und hängt noch immer beim gleichen Gedanken, „der Herrgott ischt ja ah ledig blieben!” „Aber der Tuifel ischt verheirat”, spuckt der Bach- ler Lenz über die Wand, „und treibt die Ledigen zsamm! Was sollen's die Leut auf Erden besser haben als er selber, denkt er, der Tuifll” Und als hätte er mit diesem Worte ihn selber, den Leibhaftigen, beschworen, bleiben ihm auf einmal mitten Im Schauen die Augen stecken; denn drü- ben auf dem hintern Rettenstein...| Er muß das Fernglas nehmen, „Gams?" fragt der Klaus. Der Bachler schüttelt bloß den Kopf, stellt schär- fer noch das Fernglas ein. „Was ischt?” fragt der Klaus wieder. „Viell“ sagt derBachler und laßt kein Blick nit aus. „Was viel?” schreit der Klaus’ ungeduldig und greift um das Glas. Aber der Bachler laßt es nit los. „Klaus, dös Ischt nix für di sagt er ernst. Doch der Klaus hat jetzt das Glas und nimmt den hintern Rettenstein hinein und richtig! „Tuifil” stößt er hervor! Da stehn zwei Leut beinand, mannern und weibern, und haben einand gern. Als wären sie ganz allein auf der Welt, so lang dauert das Bußl. „Verfluechte Tuifl“, spuckt der Klaus, „sie hören nit auf, die zwoal” „Schaug halt nit hin!” meint der Bachler. „Aufhören!” schreit der Klaus, „Tuifl ösl" Der Bachler lacht bloß und hat so seine Gedan- ken dabei, was doch der Teufel, wann er in Tirol auf Liebe geht, alles anstellen muß, daß er so einen Klotz, einen lärchenen, wie den Klaus, in die rechte Art bringt. Oh, wie gern sich die zwei haben, allein, zwi- schen Himmel und Erden! Eine währe Höllenqual für den Klaus. Ganz ins Schwitzen ist er gekom- men, so lang dauert die Lieb auf dem hintern Rettensteln. — Uber die Stund, wie sie über die Felsen abstei- gen, findet der Klaus seine Sprache wieder, die er verloren hat vor lauter die heimliche Lieb an- schauen, „Und für so was steigen dö zwoa aufm Retten- stein, aufm hintern“, sagt er nachdenklich, „dös geaht do welter unten ahl” „Je höher oben die Liab, je schlaner”, blinzelt der ‘alte Bachler und schaut zum Klaus hinüber, merkt wohl, wie schnell er Jetzt ausgreift und über das Steigl springt, als könnt er die Gauxalm nit erwarten. Gar zu jodeln hebt er an Den het der Liebsteufl packt, das kennt er. Und richtig, grad in dem Augenblick, da von un- ten, von der Alm her, der andere Jodler, der welberne, in den seinen, den mannernen, drein- springt, schlagt er über die Baumwurzel hin auf den Weg und lacht: „Aus is, LenzI” „Was Ischt denn aus?” fragt der Bachler und stellt sich dumm, „i glaub eher, es fangt was anl" „Den Haxen hab | mir verstaucht”, deutet. der Klaus. „Marlann“, schreit der Bachler auf die Alm hin- unter, „Hilfe, Marlann! Hilfe! Der Klaus, der Bua, ischt hin, aber a Mannsbild ischt dafür da, a Jungesl Drei Tag braucht der Klaus auf der Gauxalm, bis er auf gleich ist, mit sein Fuß und 'so. Der Ma- rienne aber hat der Teufel längst verziehen, daß sie seinetwegen den alten, krumpen Schafhalter bußt hat auf dem hintern Rettenstein, als wär's ein junger Liebhaber, damit der Klaus auf dem vorderen einmal „mannern“ wird, Ja, der Teufl hat’s nit leicht mit der Liebe In Tiroll Zweifel {Erich Schilling) „Woaßt no, Xaverl, wia i vor dreißig Jahr auf'm Fasching so süaß in dem Nymphengwandl ausg’schaugt hab? — Gib i's jetzt der Spinnstoffsammlung, oder moanst net, daß I ’s do no amal zum Oziag'n brauch?“ Dubbii “Ti ricordi ancora, Saverio, come trent' anni fa ero cosi carina In carnevale nel costume di ninfa? ... Che lo dia adesso alla ‘Raccolta Filatl,, oppure credi tu ch’ Io ne abbisogni un’ altra volta?,, MEIN FREUND JOHANNES Ich wollte meinen Geburtstag feiern. Aber es traf sich recht unglücklich: Alle Freunde, die ich ein- laden könnte, waren auf Reisen. $o beschloß ich also, den Tag still und ohne Feier vorübergehen zu lassen. Entsprechend traf Ich auch keinerlei Vorbereitungen. Wie Ich nun so einsam in meinem Zimmer saß, schellte plötzlich das Telefon. Frau Johanna war es, die mir gratulierte und mir ganz im Vertrauen mitteilte, daß Johannes seine Reise unterbrochen hätte und mich In etwa einer Stunde überraschend besuchen würde. Diese Treue rührte mich zutiefst, und sie sollte auch unbedingt belohnt werden, In aller Eile rannte ich von Laden zu Laden, besorgte Blumen, Kuchen und Wein, um meinen Freund würdig empfangen zu können. Und wirklich, als er kam, sah es nett und anhei- melnd bel mir aus. Er hielt auch mit seinem Lob keineswegs zurück. „Ja, Johannes, was würdest du erst sagen, wenn du wüßtest, daß noch vor einer Stunde alles trüb und leer bei mir war, Ich kann dir nämlich ver- raten, daß ich gar nicht feiern wollte, bis deine Frau mich vor einer Stunde von deinem netten Plan, mich zu überraschen, In Kenntnis setzte. Ich habe mich tüchtig beeilen müssen, um noch recht- zeitig alles vorzubereiten!” "vo. „Es Ist doch wirklich kein Verlaß auf die Frauen”, knurrte Johannes. „Ich hatte ihr ausdrücklich auf- _ getragen, schon zwei Stunden vorher anzurufen!” * Johannes hatte dem Rauchen abgeschworen, Ich weiß nicht, ob er den Schwur lange gehalten hat, aber nach drei Tagen, als ich Ihn besuchte, mußte ich jedenfalls feststellen, daß er ihn zum mindesten an diesem Tage nicht hielt. „Was soll Ich machen“, erklärte er auf meine ern- sten Vorhaltungen, „ich kann es nun mal nicht leiden, wenn unnütze Gegenstände im Zimmer herumstehen, Und denkst du, es machte sich hier jemand die Mühe, die Aschbecher wegzuräumen?” 3. Bleger Der Unbefangene II disinvolto (C. Sturtzkopf) „Wenn Sie wüßten wer Ich bin, würden Sie mich nicht ‚Rindvieh‘ heißen!" „Na ja, dann ist's doch nur gut, daß ich ’s nicht weiß!“ "Se Voi sapeste chi sono lo, non mi chiamereste "Buaccio!, „ “Ewvia, allora va pur bene ch’ lo non lo sappial,, LONDON Von Paul Verlaine Ach, ist's nicht wirklich traurig! Und endet das nicht bös! Ja, nicht einmal bestürzt darf man darüber sein. ’s ist wirklich wie der Tod des Tiers, das ganz allein, Vergeh’nden Blicks, sein Blut sieht rinnen ins Gefäß. Denn London dampft und kreischt. O welche Stadt der Bibel! Das Gaslicht zuckt und schwimmt. Die Schilder glühen rot. Die Häuser schrumpfen ein und stehen da wie tot, Wie kleine alte Weiblein, grauenhaft und übel. All das Vergang’ne springt, miaut und quietscht und kreischt Im Nebel rot und gelb und schmutzig von „Sohos“ Und von „Indeeds‘ und von „All rights‘ und von „‚Haös“. Nein, wirklich, ’s ist zu martervoll, zu hoffnungslos! Nein, wirklich, ’s ist zu übel, es endet wirklich trüb. Oh, fiel’ ein Feuerregen auf diese Stadt der Bibel! Deutsch von Gerhart Haug Telegraphenmast Nr. 1346 VON JOSEF ROBERT HARRER Was hatte schon Gonzalez davon, daß sich in seiner kleinen Vaterstadt Pun- “ tarenas In Costa Rica einige Volksschulen befanden, wo man lesen, schrei- ben und andere unangenehme Dinge lernen konnte? Nichts hatte er davon, denn er zog lieber Im Freien herum, er lag am Ufer des Stillen Ozeans, er träumte in den blauen Himmel, er phantasierte den Wolken auf ihrer Reise nach und er streifte durch die üppigen Wälder und Fluren,. Weil er aber dabei doch gerne zugriff, wo es etwas zu tun gab, brachte er abends im- mer einige Centavos heim, so daß sein rumliebender Vater sagte: „Ach, lassen wir den Jungen, wie er ist! Wenn er nur Geld verdient! Der alte Onkel Cleto kann sogar mit roter Tinte schreiben und dennoch muß er sich den Schnaps von reicheren Mestizen zahlen lassen!” Und nun war Gonzalez dank seiner flinken Beine und seiner ausgezeich- neten Kletterkunst seit etlichen Jahren Staatsangestellter. Er, der Analpha- bet, trug die mit silbernen Borten verzierte Uniform eines Post- und Tele- graphenbeamten Costa Ricas. Ein. Zwanzigstel der dreitausend Kilometer langen Telegraphenleitung stand unter seiner Obsorge; und zwar gehörte Gonzalez zu der Kontrollabteilung, die nichts anderes zu tun hatte, als die Telegraphenmaste daran zu hindern, daß sie sich wieder in lebende Bäume verwandelten. Bei der üppigen, überquellenden Vegetation Mittelamerikas trieben besonders nach den tropischen Regengüssen die Maste, so dürr und ausgetrocknet man sie auch aufgestellt hatte, aus dem toten Holz Schößlinge, die in unglaublich kurzer Zeit weiterwucherten, die Drähte durcheinanderbrachten und Kurzschlüsse verursachten. Gonzalez brauchte zu seiner Arbeit weder das Lesen noch das Schreiben, gerade daß er die Nummern der Maste ablesen konnte. Er wanderte die Leitungen entlang und entfernte von den Masten die Triebe und Schößlinge. Da.er, wie gesagt, ein guter Kletterer war, machte ihm die Arbeit keine Mühe. Ja, er freute sich, wenn ein Mast am höchsten Ende einen Schöß- ling trug; denn dann konnte er weiter in das Land blicken, wenn er hin- aufgekletiert war, um mit dem scharfen Messer den Trieb abzuschneiden. Es war ein beneidenswertes Leben, das Gonzalez führte. Wenn er biswei- len mit seinen Jugendfreunden zusammentraf, die fleißig die Schule be- sucht hatten, sagte er: „Ihr seid dafür bestraft worden, weil ihr nicht die Schule geschwänzt habıl Ihr schreibt in dicke, staubige Bücher, Ihr sitzt in dunklen Stuben, während ich draußen arbeite, wo die Bäume wachsen und die Wolken wandern und wo ich manchmal zwischen zwei Telegraphenmasten einem hübschen Mädchen begegne, das mir einen Kuß schenkti Denkt doch, einen Kuß während des Dienstes, für Yen mich der Staat bezahlt!” Einmal brüstete er sich wieder mit seinem freien Leben. Da meinte einer, der gleichfalls Postangestellter war, aber ein schreibender Beamter, wie Gonzalez zu sagen pflegte: „Dein Beruf, lieber Gonzalez, wird leider bald ein Ende haben! Unsere Direktion in San Jos& hat ein modernes Mittel angekauft, eine scharfe chemische Flüssigkeit. Mit dieser werden alle Telegraphenmaste angestri- chen, dann werden sie für immer das Treiben lassen, dann werden sie für Immer totes Holz sein... Du mußt der Post den Rücken kehren oder — lesen und schreiben lernen, damit man dich als Briefträger einstellen kannl” Gonzalez erbleichte. Nach einer Pause fragte er leise: „Ist das kein Scherz von dir?” Nein, es war kein Scherz! Schon wenige Wochen später teilte ihm sein Vorstand mit, daß er sich zu entscheiden habe. Entweder „Post lebewohll" oder „Lerne lesen und schreiben!” ... Nun mußte sich Gonzalez doch für die Schule enischließen. Während im ganzen Lande die Telegraphenmaste bestrichen wurden, saß er In einer Schule und versuchte, das nachzuholen, was er vor etlichen Jahren ver- säumt hatte. Die Monate vergingen; Gonzalez war unglücklich, Seit einer Woche rauschte nun derTropenregen. Es war, als köme der warme Himmel hernieder. Das Land duftete von Blüten und von Lebenskraft. Und plötzlich hielt es Gonzalez nicht mehr aus. Er warf die Hefte weg und stürzte hinaus, er rannte in den Regen wie In ein lang entbehrtes Glück. Ohne zu überlegen, lief er die Wege, die er sonst gegangen war, von einem Telegraphenmast zum anderen. Da standen sie, kahl, grau, ganz ge- tötet von der verfluchten Flüssigkeit, mit der man sie angestrichen hatte. Und rings dampften die Wälder vom werdenden Leben. Gonzalez hatte die Schule vergessen. Ach, er würde schon etwas finden, wovon er leben konnte. Plötzlich stutzte er. Er stand Im rauschenden Regen, der duftete und sang. Vor ihm ragte ein Telegraphenmast, der nicht tot war. Schon trieben einige kleine Zweige aus Ihm 'heraus. Träumte er? Gonzalez griff zögernd nach dem Schößling. Und dann weinte er vor Glück. Rasch schnitt er den Schöß- ling ab und rannte in die Stadt zurück. Atemlos stürzte er zum Postvor- steher: „Dal rief er aus. „Da, dal Sehen Sie nur! Vom Telegraphenmast Nr. 13461” — „Ja, der Regen des Himmels ist stärker als wir Menschenl” sagte der Beamte. Drei Tage später trugen fast alle Telegraphenmaste Schößlinge. Und drei Tage später durfte Gonzalez wieder die silberverzierte Uniform anziehen und hinausgehen. Seine 150 Kilometer warteten auf ihn. Und wieder schnitt Gonzalez die Schößlinge von den Telegraphenmasten ab und wieder küßte er die Mädchen, die ihm begegneten. 334 {R. Krlesch) 1 „Ist ’s nicht scheußlich, Fritz? Überall liegen Menschen herum!" „Na ja, aber auf der Straßenbahn ist es noch voller!" Ristoro: “Che orrore, Fritz! Quanta gente giace qui tutt! in giro!, — "Eh si; ma nel tram c’ & ancora plü calcal,, 335 DIE SPARBÜCHSE VON BRUNO WOLFGANG Gegen sieben Uhr abends kam Herr Scholz zu Doktor Lindtner. „Zieh dich an. Du gehst mit mir zur Geburtstags- feler für Geheimrat Müsel, Es ist sein neunzigster Geburtstag, eine große Sache, Es kommen viele Persönlichkeiten hin und es gibt sogar Wein. Um dem alten Herrn eine besondere Freude zu ma- chen, wollen wir alle im Frack erscheinen. Also vorwärts!” „Du weißt doch, daß ich nichts anzuziehen habe”, erwiderte Doktor Lindtner verdrießlich. „Das mußt du erst beweisen, Offne den Schrank.“ Dr. Lindtner öffnete den Schrank, In dem nichts hing als der gewendete Überzieher, derTouristen- anzug, der leichte Sommerrock, ein unmoderner Frack und in der Ecke etwas langes, sorgfältig In Leinwand Eingeschlagenes, leise baumelnd wie ein Gehenkter. „Was Ist das?“ fragte Herr Scholz streng. „Ist das dein neuer Frack?” „Nein. Ich habe nur diesen alten. Und der war mir schon vor zehn Jahren viel zu eng.” „Aber was Ist unter dieser Leinwand?” „Also, wenn du es durchaus wissen willst: meine Sparbüchse." „Wie? 5 „Ja, es Ist meine Sparbüchse. Aber um dir das zu erklären, müßte Ich dir eine ganze Geschichte erzählen.” „Bitte, erzähle. Wir haben noch eine gute Stunde Zeit. Dafür verpflichtest du dich, nachher unbe- dingt mit mir zu der Feler zu gehen.” „Wenn mir mein Frack paßt“, ergänzte Dr, Lindt- ner hinterlistig. „Einverstanden.” Während sich Scholz In seinem Stuhl erwartungs- voll zurechtsetzte, hob Lindtner vorsichtig den langen Leinwandsack vom Haken und öffnete ihn. Es erschien eln alter, unglaublich schäbiger Mantel, anscheinend militärischer Herkunft, Der Kragen ähnelte einer gekrümmten Speckschwarte, die Knopflöcher waren so ausgewetzt, als wären sie der Einfachheit halber mit kleinen Granaten durch das Tuch geschossen worden. Die Knöpfe hatten die verschiedensten Größen und Farben, soferne sie nicht überhaupt fehlten. In den beiden Seiten- taschen, deren ausgefranste Klappen wie haarige Ohren wegstanden, zog Irgend etwas Gewich- tiges wie eine Handvoll Kieselsteine den faden- scheinigen Stoff abwärts In gefährlicher Spannung. „Das ist der Mantel meines Kriegskameraden Will Kratoch, den Ich aber noch immer Kratochwill nenne, wie er früher hieß. Wir dienten im Welt- krieg beide bel der Artillerie und standen eine Zeitlang nebeneinander an der russischen Front in Polen. Dann verloren wir uns aus den Augen und trafen uns erst nach der mörderischen Brussi- low-Offensive, bei der größere Teile unseres Korps abgeschnitten wurden, in der Kriegsgefan- genschaft wieder, Im Lager von Tschita. Kratoch- will war alles eher als ein Soldat, Er war stats mehr einFreund des beschaulichen als des tätigen Lebens gewesen. Im Ziyil schien er es trotz sei- nen dreißig Jahren noch zu keinem rechten bür- gerlichen Beruf gebracht zu haben, In den Listen stand er immer als Privatgelehrter, und anschei- nend hatte er von den Zinsen des Vermögens ge- lebt, das ihm sein Vater, ein tüchtiger Versiche- tungsagent, hinterlassen hatte. Er behauptete, an einem großen nationalökonomischen Werk zu arbeiten, er besaß umfassende, wenn auch nicht sehr gründliche Kenntnisse, hatte viel gelesen, ver- stand oberflächlich mehrere Sprachen und kannte, wie es schien, alle irgendwie hervorragenden Persönlichkeiten der Politik und Finanzwelt. Da er im Lager kein Material für seine wissen- schaftlichen Arbeiten hatte, überließ er sich völlig dem Nichtstun. Nie habe ich einen Menschen mit solcher Innigkeit und geradezu künstlerischer Technik faulenzen gesehen. Sein Interesse an der Heimkehr war gering. Die Nationalökonomie ent- behrte er offenbar leicht. Hingegen wußte er in Verpflegungsangelegenheiten manches tiefgrün- dige Wort zu sprechen. Das Lagerleben, das die anderen verfluchten, schlug ihm vortrefflich an. Er gedieh prächtig und bald führte er den stattlich- sten Bauch des Lagers zwischen den Strohsäcken der riesigen Säle spazieren. Ich hielt dieses Leben trotz allen Beschäftigungs- und Zerstreuungsversuchen\nach drel Jahren nicht mehr aus. Bel einer günstigen Gelegenheit machte ich mich davon und es gelang mir, wie du weißt, im Jahre 1918 die Heimat wieder zu erreichen. Kratochwill war natürlich in Sibirien geblieben und ich hörte nichts mehr von ihm. ImJahre 1921 sah ich Ihn zum ersten Male wieder, als er eben aus einem besseren Stadtcafe auf die Straße trat. Ich trug natürlich schon längst wieder Zivil. Er aber trug noch Uniform, worum sich In dieser unerfreulichen Zeit niemand küm- merte. Der Mantel war damals noch sehr schön und wurde von der rundlichen Gestalt Kratoch- wills prall ausgefüllt. Wir bogrüßten uns herzlich. Er erzählte mir, daß er vor wenigen Monaten zu- rückgekehrt sei und nun auf die Flüssigmachung (W. Becker) Prometheus - Prometeo selner Kapitallen In den Nachfolgestaaten warte. „Bist du noch immer im Staatsdienst?” fragte er schließlich. „Unsinn. Ein Mensch wie du müßte sich doch etwas Besseres finden. Ich gebe dir den guten Rat, geh zu Direktor Markowsky bel der ‚Zilliag‘, bestelle ihm einen schönen Gruß von mir und sag ihm, er soll dich als Reklamechef an- stellen. Das wäre etwas für dich. Man hat mir den Posten angetragen. Aber meine Gehaltsansprüche waren ihnen etwas zu hoch.” Ich dankte ihm herzlich und wir reichten uns die Hände zum Abschied, Kratochwill hielt meine Hand noch etwas länger fest. „Sei nicht böse... dumme Geschichte... ich muß mir ein Auto neh- men, weil Ich bei einem Advokaten wegen meiner Auslandspapiere eine dringende Sitzung habe. Gerade jetzt, beim Zahlen, habe ich gesehen, daß ich nichts mehr bei mir habe, Die Banken sind schon gesperrt. Und ich kann doch den Wagen nicht gut mit einem Scheck bezahlen. Vielleicht könntest du so gut sein, mir 30000 Kronen zu leihen. Morgen früh schicke ich sie sofort,” 30 000 Kronen waren damals nicht gerade viel. Ich gab sie ihm selbstverständlich. Er steckte das Geld einfach in die linke Manteltasche und ging. Daß er nichts schickte, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Dann traf ich ihn zufällig an einem Vor- mittag bei der Oper, mit großer Aufmerksamkeit den Theaterzettel der abendlichen Festvorstellung studierend, „Servus Lindtner“, „Servus Kratochwill.” „Ich heiße jetzt Will Kratoch”, bemerkte er mit Z > SI I S S ij „Da schaugts her! D’ Geierwally!“' 336 wichtiger Miene. „Nicht etwa, weil ich Iyrischer Dichter geworden bin, sondern weil ich Aussicht auf einen leitenden Posten bei einer großen deutschen Exportfirma habe und slawische An- klönge vermeiden will. Schade, daß heute kein einziger Parkettsitz in der Oper mehr zu haben ist. Meine Angelegenheiten in den Nachfolge- staaten sind noch immer nicht erledigt, was sagst du. Hättest du vielleicht zufällig fünf Schilling bei dir? Ich habe ein Geburtstagsgeschenk ein- zukaufen. Übrigens rate ich dir, kaufe ‚Polonia Naphta‘, das ist jetzt das Beste. Aber schau, daß du gesperrte Syndikatsstücke bekommst.” Ich gab ihm fünf von meinen acht Schillingen, er steckte sie in die rechte Tasche und wir verab- schiedeten uns freundschaftlich. Er trug noch im- mer denselben Mantel und steckte mein Geld immer noch in die Manteltasche. Ansonsten aber trug er schon Zivil. Sein Filzhut war so verblaßt und verbogen, daß ihn auch der romantischste Musiker verschmäht hätte. Der Mantel hatte schon stark gelitten und hatte nichts mehr gemein mit Mänteln, die man sonst auf leitenden Posten an- trifft. Kratochwill selbst war auffallend mager geworden. So begegnete ich ihm nun alle Jahre zwei- bis dreimal. Jedesmal war er ein wenig in Verlegen- heit, gewöhnlich stand er vor einer Reise, um eine Stellung anzutreten. Da durfte ich wohl nicht nein sagen. Übrigens waren die Fahrten nie weit und ihre Preise in der jeweils geltenden Valuta meinen Verhältnissen durchaus angepaßt. Im Durchschnitt drei Schilling, Lustbarkeitssteuer und Warenumsatzsteuer inbegriffen. Von einer Begeg- nung zur anderen wurde Kratochwill magerer. Sein unrasiertes Gesicht sah runzlig aus wie ein ge- bratener Apfel. Der Mäntel sah schon ungefähr so aus, wie du ihn hier siehst. Er trug ihn auch bel der größten Hitze und immer zugeknöpft, ver- mutlich um einen noch ärmlicheren Anzug zu ver- decken. Wahrscheinlich diente ihm der Mantel auch als Nachthemd, Bettdecke oder Tischtuch. Aımer Kratochwill, Es ging ihm wirklich schlecht, Vielleicht hätte er sich sogar entschlossen zu arbeiten. Aber zum Äußersten wollte er sich doch erst entschließen, wenn seine Auslandsangelegen- heiten geklärt waren (obwohl der Betrag, um den es sich handelte, viel zu klein war, um ihm ein Rentnerdasein zu ermöglichen). Auch mußte man damals schon um Arbeit kämpfen, und er war kein Kämpfer, Zuletzt sah ich ihn vor drei Jahren. Einmal im SPANISCHE WINDMÜHLE Schwer war der Wein der „Venta”, — slolzer Trug! Nun träum' ich tief in meinen leeren Krug Und sehe Spaniens Himmel rasdı verbleidıen. Der Mühlenflügel schlägt des Kreuzes Zeichen: Vier Arme himmelan die Erde reichen Mit Händen, die bescdwmoören und die segnen. Gott sendet Sonne, läßt ein wenig regnen. Der dürre Acker scwillt, gebiert das Brot. Zermalmt von einem Mühlstein, stirbt die Not, So wirst du, sellsam Wesen, zum Symbol Des ewigen Geschehns. Von Pol zu Pol Spannst du den Kreis, den einst Cervantes sah, Den Kreis der Phantasie ums arme Leben, Das Kreuz der Illusion im steten Streben, Und minkst du Don Quichoten, — Idı bin da! Rainer Prevot Frühling, einmal im Herbst. Schüchtern wagte ich die Frage: „Nun, Kratochwill, wie geht's?” „Du wirst lachen”, erwiderte er, „ich heirate.” Ich war so verblüfft, daß ich zu lachen vergaß. Unwillkürlich streifte ich mit einem Blick seinen Mantel, den immer gleichen, den ewigen, den kaum noch menschlichen Mantel, der ihm bereits angewachsen schien. „Ja, da staunst du”, fuhr er fort. „Schön bin ich ja nicht und auch nicht gerade elegant. Aber du weißt ja, wie die Weiber sind. Die Meinige fliegt auf mich, du möchtest es nicht glauben. Ihr Vater hat eine große Selcherei. Ubrigens kann ich dir dann vielleicht eine Nebenbeschäftigung verschaf- fen, Steuerberechnungen oder irgend etwas der- gleichen. Unser Umsatz ist sehr groß. Im Sommer soll die Hochzeit sein, Dann bin ich endlich sa- niert. Wenn du aber jetzt zufällig zwei Schilling übrig hättest, wäre mir wirklich gedient. Ich habe jetzt viele Repräsentationsauslagen, Autofahrten, Blumen, du wirst schon sehen, wenn du einmal heiratest. Bis zur Hochzeit muß man alles selber zahlen. Eine ekelhafte Zeit...“ Es war der Letzte des Monats. Ich erschrak ein wenig und zog verlegen meine Geldbörse her- vor. Er half mir das Geld hervorschütteln. Zwei Schilling krochen ängstlich heraus, „Na also, siehst du’, sagte Kratochwill gütig und erspähte mit scharfem Blick noch einen Halbschilling in einer Falte. „Da ist ja noch eine Kleinigkeit auf Ziga- retten. Ich habe schon drei Tage nichts geraucht, Halt, und gib mir noch deine Adresse. Du wirst uns hoffentlich das Vergnügen machen, wenn wir dich einladen.” Dann ging er fort in seinem Man- tel, und ich sah ihn noch von ferne bereits rau- chend In die Straßenbahn einsteigen. Ich war blank und ging ohne zu rauchen zu Fuß nach Hause. Das letztemal war dann im Herbst. Er kam in meine Wohnung, erstaunlich verändert, gewaschen, rasiert und in einem neuen Mantel mittlerer Qua- lität. In der Hand trug er ein ungeschickt ver- schnürtes Paket, „Servus Lindiner”, sagte er ermst, „du wirst jetzt staunen, Ich fahre nach Sumatra.” Verstört kalkullerte ich rasch, ob meine ganze Wohnungseinrichtung für eine Fahrkarte nach Su- matra ausreiche. Kratochwill erriet meine Ge- danken. „Sei außer Sorge, ich habe schon meinen Schiffsplatz, Von meiner Frau bin ich geschieden. Es war gräßlich. Ich rate dir, heirate nie. Ich werde mich drüben im Tabakgroßhandel betäti- gen. Wenn gute Aussichten sind, werde ich dir schreiben. Vielleicht kannst du auch drüben dein Glück machen.” Gewohnheitsmäßig glitt meine Hand in die Ge- gend der geldbewährenden Hosentasche. „Nein", wehrte Kratochwill mit seltsamer Milde ab. „Ich brauche nichts. Das zahlt die Gesellschaft. Ich bin dir eine Kleinigkeit schuldig. Das werde ich von dort aus durch die Bank von England regeln las- sen. Ob wir uns noch einmal im leben sehen werden, weiß ich nicht. Ich möchte dir nur ein kleines Andenken zurücklassen, keinen Wertgegen- stand, nur eine einfache Erinnerung. Er übergab mir das Paket und entfernte sich bald. Ich habe seither nichts mehr von ihm gehört. Das Paket enthielt den wohlbekannten alten Man- tel. Was Kratochwill zu diesem sonderbaren Ge- schenk bewogen haben mochte, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht wollte er weniger mir als dem alten Mantel etwas Gutes erweisen und dem treuen Diener bei einer verläßlichen Persönlich- keit, die ich ja zweifellos war, eine Art Alters- versorgung bieten. Ich ließ den Mantel ein Jahr lang an der Luft hängen, dann wies ich ihm einen freien Platz im Schrank an, Aber damit war die Sache noch nicht zu Ende. Ich behaupte Immer, daß die Dinge ebenso wie die Tiere bei iangem Umgange mit Menschen etwas von der Seele ihrer Herren annehmen. Es war bestimmt keine Sinnestäuschung, als ich einmal beim Öffnen des Schrankes den Mantel rasch flüstern hörte: „Ver- zeih, ich bin in Verlegenheit... wenn du eine Kleinigkeit hättest... drei Schilling fünfzig Und hinter diesen Worten stand hypnotisch Kra- 337 LIEBER SIMPLICISSIMUS 10. Nückel) Mit Walter machten wir schon etwas mit. Nie hatte er Geld bei sich. Immer, wenn es ans Zah- len ging, hatte er dieselbe Ausrede: „Verlegt es für mich, meine Freunde! Ich habe meine Brief- tasche daheim in meinem Schreibtisch liegen lassen!” Vier Wochen fielen wir ihm darauf hinein. Als wir aber jüngst im Caf& Herrenhof saßen — Wir saßen sehr lange. Die Polizeistunde nahte. Der Kellner kam: „Die Rechnung, meine Herren!” Walter sogleich: „Verlegt es für mich, meine Freundel Ich habe meine Brieftasche daheim in meinem Schreibtisch liegen lassen!” In dieser Minute erschienen auf unseren Wink vier Möbelpacker in der Tür und schleppten Walters schweren Schreibtisch bis zu seinem Platz und stellten ihn vor ihm nieder. Wir hatten Ihn heim- lich herbringen lassen. J.H.R. * Meine Mutter war die beste Mutter der Welt. Eines Tages führte Ich sie in Wien ins Burgtheater. Man gab Shakespeares Sommernachtstraum, Beim Heimweg sagte meine gute Mutter kopfschüttelnd: „Und das schöne Stück, was du geschrieben hast, haben sie zurückgewiesen!” J.H.R. * Ich hatte eine neue Sekretärin. Als ich den ersten Brief las — „Fräulein!“ tobte ich, „Sie schreiben Philister mit For“ Die Sekretärin sagte: „Verzeihung! Aber das V auf der Maschine ist kaputt.” J.H.R. tochwills mahnender Geist. Halb unbewußt nahm ich das Geld aus meiner Börse und steckte es in die wohlbekannte Manteltasche. Das wiederholte sich nun öfters und so ist der Mantel in der Tat meine Sparbüchse geworden. Ich weiß nicht, wieviel er enthält, ich zähle nicht nach. Ich denke: Vielleicht führt das unbegreif- liche Leben Freund Kratochwill einst wieder über die Ringstraße. Und wenn er dann zwecks An- trittes eines leitenden Postens eine Fahrkarte, wenn er Blumen für eine schöne Frau, die Ihn an- betet, oder einen Sitz in der Oper braucht, um die Neuinszenierung des Tristan nicht zu ver- säumen, dann soll ihm der alte Mantel dienen wie einst. Bisher ist Kratochwill nicht wiederge- kommen. Ich spare weiter.“ „Aber jetzt gehen wir“, sagte Scholz und erhob sich. „Schade, daß wir nicht auf einen Masken- ball gehen. Da hättest du in dem Mantel als Fi- nanzminister eines kleinen Staates Eindruck ma- chen können. Doch jetzt zieh den Frack an.” Doktor Lindtner lächelte. Denn nun hoffte er zu triumphieren. Aber er holte sich eine völlige Nie- derlage. Denn er war in den letzten Jahren so möger geworden, daß ihm der Frack wieder tadellos paßte. Zwanzig Minuten später war Lindtner fertig. Er steckte dem Mantel noch sieb- zig Pfennig zu, die er durch das heutige Essen ersparte. Dann gingen sie zum Fest, Das Geheimnis (K. Hetigenstaedh) - a - _ „Siehst du, Fifi, nur ein einziger Mann weiß, daß ich dieses Hemdchen trage!‘ „Vielleicht wird 's sich doch bald weiter herumsprechen!“ Il segreto: “Vedi, Fifi, soltanto un unico uomo sa che Io porto questa camiciuola!,, — “Forse presto ne correrä la voce in giro!,, 338 DER HOLZPIATZ (0, Nückel) Wo kann das sein? Vielleicht an der Ilz, Die sich der Donau spendet. Ein Lagerplatz von Holz gesäumt, Grellweiß, mondüberschäumt, Träumt. Die Säge schweigt, die am Tage schrie. Im Stalle brummelt das Vieh, Stiere, Kühe und Kälbchen. In Nestern schlummern dieSchwälbchen. Das Haus, darum die Nachtluft streicht, Von Wassernebel und Staub gebleicht, Duftet nach Rinde und Spänen. Und gelben Baumharztränen. Eine zerzauste Fichte im Vordergrund Im Hintergrund [schauert. Rollen Hügel kugelrund Und haben die Landschaft zugemauert, Und mittendrin ein Mann mit Hund. Alois — Gestalt aus Volksbuchbildern, Als junger Bursche tat er wildern Aut Weiber, Fasanen und Hirsche — Kehrt raunzend heim vom Wirtshaustische. Es knirscht der angeschwemmte Kies Hohl unter dem Schuh des Alois. Dort duften die Wälder nach moosigem Filz, Die Postwirtshäuser nach Bier und Milz. Eine Stimmung: zeitabgewendet. Ein Lagerplatz, mit Holz belegt, Unwirklich weiß, windkalt umfegt, Raunend sich regt: Uralte bayrische Bauerngötter, Rauschbeutel, Perchten,Viecher, Spötter, Mit Hörnern, Fratzen, Haarwulstzehen Heimtückisch hinter dem Mann hergehen. Anton Schnack Verlag und Druck: Knorr & Hirh Kommanditgenell anstalten entgegen. — Bezugspreise Einzolnummer 30 Pl.; München, Sondlinger $ ‚Abonnement Im Monat RM. 1.20. 0 (Fornruf 1296). Brlofanschrift Vorantwortl. Schriftlolter: Walter Foltzick, München, — Der Simplicisimus erscheint wöchentlich einmal. Bestellungen nohmen alle Buchhandlung — Unverlangte Einsendungen werden nur Zurückgesi Mtnchen 2 BZ, Brioffach Zeitungsgeschäfte und Post- dt, wenn Porto beiliegl. — Nachdruck verbolen. — Poslschockkonio München 5920, Erfüllungsort München, (Wilhelm Schulz) Der Rekonvaleszent spricht Die du so voll grüner Winkel bist, Mitten inne lockt ein Stuhl zum Ruh’n: Vegetiere fromm in Gottes Hut! Mütterchen Natur, geh, schenk’ mir einen, „Mache dir's behaglich, raste, säume! Keine Damen gibt's hier, keine Herren, wo die Sonne stets bereit, zu scheinen, See und Berge glänzen durch die Bäume. keine Apparate, die da plärren ...“ und der Himmel ohne Bomben ist. Wag’ es einmal kecklich, nichts zu tun! — Mütterchen Natur, geh, sei so gut! Dr. OWLGLASS 340 München, 23. Juni 1943 48. Jahrgang / Nummer 25 ffrs 5.00 SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Der hungrige Tschunkingdrache (Erich Schilling) „Tut mir leid, meine Herren, mit leerem Magen kann man nicht Feuer speien!' Il drago affamato di Tschunking: "Mi dispiace, signori; a stomaco vuoto non si pud sputar fuori fuocol,, Atelierbesuch IX - Visita di studio IX (0. Nückel) Modellpause bei Fr. Bilek IN FREMDEN BETTEN Das könnte der Titel einer Novellensammlung sein, die die Erlebnisse eines Jungen Mannes darstellt. Es ist aber eine ganz gewöhnliche Überschrift, die auf Sonderbarkeiten von Betten aufmerksam machen soll, in denen wir für gewöhnlich nicht zu schlafen pflegen. Da ist das „Bauernbett”. Es hat ein festgestopftes Glück und Glas Kein Glück kann ewig dauern und lebt’ es hinter Mauern im tiefft verborgenen Gelaß. Erig? Ach »eiwig«, was Ift denn das? +. Glück und Glas! Es muß doch einmal fterben und wie ein Kelch zerfcherben. Morgen vielleicht fchon ift es gar oder, wenn’s hoch kommt, übers Jahr. «.. Hart, aber wahr! © Lebensring, du-bunter! Wir tauchen auf und unter und beißen all ins grüne Gras. Ift kein Beftand, ift kein Verlaß. ... Glück und Glas! Dr. Omiglaß Federbett als Zudecke. Da der menschliche Körper, roh und ungalant gesprochen, im allgemeinen die Form eines Zylinders hat, berührt er sich mit der Wurstform des festgestopften Federbettes im gün- stigsten Falle nur in einer mathematischen Linie, in gewissen Fällen schrumpft diese Linie sogar zu einem Punkt zusammen, auf dem das Federbett gleich einer. Magnetnadel drehbar angebracht ist. Es gehört die ganze erdgebundene Kultur des Bauernvolkes dazu, unter solchem Bett gut zu schlafen. Bei Ungeübten gerät diese Bedeckung in kreisende Bewegungen, und sollten Sie zufällig doch einschlafen, so werden Sie Ihr Federbett am nächsten Morgen unschwer in einer entfernten Zimmerecke wiederfinden. 1 Interessanter finde ich eine gewisse Art von Hotel- betten, sie bieten eine immerwährende Unter- haltung. Hier vertritt die uns vor den Unbilden des Klimas schützende Bedeckung eine Wolldecke, die mit einem schönen, sauberen Laken mangelhaft verbunden ist. Das sieht durchaus ordentlich und hygienisch aus. Wenn Slie-abends Ihr Hotelzimmer betreten, ist eine Ecke einladend aufgeklappt: bitte bedienen Sie sich meiner! “ Sie bedienen sich und fahren unter Decke und Laken. Da fühlen Sie, daß beide am Fußende fest verklemmt sind. Sie. sind diesen Aufenthalt im Steckkissen nicht gewohnt, ünd mit einem wuch- tigen Emporschleudern der Beine lösen Sie die Verklemmung. Unglücklicher, was haben Sie ge- tan? Jetzt kommt das Chaos. Nie wieder werden Sie den Kosmos aus Plumeau, Wolldecke und Laken herstellen können. Ich habe ermste Männer in dieser Situation weinen sehen. Im Bett wälzte sich 342 Pausa di modello presso Fr. Bilek ein schauerliches Gemenge aus Laken, ernstem Mann, Kissen und Wolldecken umher, Immer wieder gerät man in die falsche Schicht, und doch war die Anordnung wie eine Prinzregententorte geplant. Solche Kämpfe machen müde. Am Morgen wachen Sie auf einem Schlachtfelde auf, völlig unbedeckt. Nur um den Hals tragen Sie ein tauartiges Gebilde, das war am Abend das schöne weiße Laken, Foitzick EIN PEDANT Der Island-Maler Assmundur Jonasson hat kürzlich in Reykjavik die alte St.-Olavs-Kirche gemalt. Zu diesem Zweck hatte er seine Staffelei in einer der alten Gäßchen aufgebaut. Selbstverständlich fanden sich auch Zuschauer ein, die Interessiert den Fortschritt des Bildes betrachteten. Assmundur Jonasson hatte nun schon beinah drei Wochen an dem Bild gearbeitet und war beinah fertig. Jeden Tag hatte unter seinen eifrigen Zu- schauern ein alter Fischer gestanden, der stumm „ das Bild betrachtete und ab und zu einen ver- gleichenden Blick auf die Kitche warf. Er hatte bis jetzt noch nie ein Wort geäußert, deshalb war der Maler sehr erstaunt, als der Fischer ihn plötzlich auf die Schulter klopfte. Als Jonasson sich fragend umwandte, zog der Fischer .eine riesige altmodische Taschenuhr her- aus, dann deutete er auf die Kirchturmuhr und sagte: „Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß die Kirchenuhr drei Minuten nachgeht...” Er konnte es in seinem Lokalpatriotismus nicht über das Herz bringen, zuzusehen, wie eine falschgehende Kirchenuhr auf einem Bilde ver- ewigt wurde... Der Händedruck in Algier zwischen Giraud und de Gaulle (0. Gulbransson) Von vorne ... Davanti.... . ... und von hinten! ä _ + edi dietro! La stretta di mano in Algeri fra Giraud e de Gaulle 343 RISSIEBEINEEEINF HINMEMTET Uber einen berühmten dänischen Artisten — wir wollen ihn hier Knick nennen —, der für seinen außerordentlichen Geiz bekannt ist, werden viele lustige Geschichten erzählt, unter anderen die folgende, die den Vorteil hat, daß sie durchaus wahr ist. Ein Kollege des Artisten Knick — ein Kunstrad- fahrer, den wir Knack nennen wollen — war gestorben und Im Himmel angekommen. Auf einer kleinen rosa Wolke stand er nun mit seinem Fahrrad vor dem goldenen Tor und wollte gerne hinein. An dasTor waren mit großen Buchstaben die lockenden Worte: „Im siebenten Himmel” ge- malt, Knack stellt sich auf die Zehen, klopfte und wartete einen Augenblick. Niemand kam. In der Ferne hörte er das wütende Bellen von einem Himmelhund. Dann klingelte er mit seiner Fahr- radglocke, doch auch dies war ohne Resultat. Vielleicht sind sie In den Wald gefahren, dachte er, und wollte nochmals klingeln. Gerade in die- sem Augenblick schwebte ein Engel vorbei und lächelte ihm freundlich zu. Zu seinem Erstaunen entdeckte der Kunstradfahrer jetzt, daß der Engel seine leibhaftige alte Tante Hansigne war, die Ihn einmal um 500 Kronen betrogen hatte. Hier- über geriet er in größte Wut, denn faktisch war es Ja er, der die vergoldeten Flügel und die Glo- rie derTanteHansigne bezahlt hatte. Schnurstracks sprang er auf sein Fahrrad, um die betrügerische, herumfliegende Engeltante zu verfolgen. Sie ver- schwand aber, schneller als eine Katze mit den Augen blinzeln kann, die Milchstraße entlang. Da das Radfahren auf dieser Straße strengsiens ver- boten Ist, dort dürfen nur Fußgänger, Sternguk- ker, kleine Engel und Himmelstürmer spazieren gehen, fuhr Knack wieder zum Himmelstor zurück, Trotzdem er ein sehr tüchtiger Kunstradfahrer war, punktierte sein Fahrrad unglücklicherweise auf einem Stern, und ärgerlich schmiß er es auf die rosa Wolke hin. Dadurch entstand ein Loch in der Wolke, und ein furchtbares Regenwetter brach über die Erde los. Jetzt entdeckte Knack neben dem Tor ein kleines Fenster mit schönen Gardinen und himmelblauen Topfpflanzen ausgeschmückt, Er klopfte leise an die Fensterscheibe, die aus feinstem Sternenschein gemacht war. Die Gardine wurde nun beiseite ge- schoben, und der alte Sankt Peter, der Pförtner des Himmelreiches, öff- nete das Fenster. Aus seinem langen, weißen Bart guckte ein kleiner Para- diesvogel heraus und piepste munter seinen Morgengesang. Knack nahm den Hut ab, während er seinen Geldbeutel aus der Tasche nahm, denn er glaubte, daß man, ebenso wie im Zirkus, eine Eintrittskarte zum Himmelreich kaufen mußte. „Eine Karte für sagte er, Sankt Peter guckte ihn an: „Wieso?“ brummte er, „Parkett A?” „Ach, es ist vielleicht ausverkauft? Dann geben Sie mir Parkett B.“ Parkett A, bitte”, VON ERIK STOCKMARR Sankt Peter gab ihm jetzt eine kleine Nagelfeile. „Als erste Aufgabe”, sagte er, „mußt du zur Erde hinunterfahren und den Gipfel vom Mont Everest mit dieser kleinen Nagelfeile absägen. Wenn das erledigt ist, kommst du wieder zu mir.” „Jawohl“, antwortete Knack. „Und wann geht der Zug?” „Der Zug? Hier geht kein Zug. Ich stelle dir aber eine Sternschnuppe zur Verfügung. Wenn du das Ziel erreicht hast, springst du ganz einfach ab. Verstanden?” „Jawohll,” Der alte Pförtner des siebenten Himmels beugte sich nach vorne, blinzelte mit dem einen Auge und flüsterte Knack ins Ohr: „Und wenn du die Venus passierst, dann grüße sie bitte von mir und sage, ich komme morgen abend zu ihr.” Knack lächelte und nickte, während der kleine Paradiesvogel in Sankt Peters Bart ein paar Stro- phen aus dem Lied von Lili Marleen piepste: „So woll'n wir uns da wiedersehn, bei der Laterne woll'n wir stehn, wie einst Lili Marleen....” Sankt Peter nahm jetzt das Telefon und drehte die Scheibe: „Ich möchte mit Frau Oberengel Möller in der Buchhalterei sprechen”, sagte or. „Sie hat heute Schnupfen“, antwortete eine Stimme, „liegt im Himmelbett mit der Nase hoch.” „Kruziadaxel: Dann geben Sie mir den Stern- schnuppensekretär, Herrn Kleinpeter.” „Apparat 525, Jawohl.” Herr Kleinpeter kam zum Telefon. „Eine Sternschnuppe, bitte”, sagte Sankt Peter, ” „aber schnell.” „Soll geschehen.” Eine halbe Stunde später saß Knack auf dem Gip- fel des Mont Everest und fing mit der Nagelfeile seine mühsame Arbeit an. Tausend Jahre vergingen, dann hatte er endlich den Gipfel des Berges abgefeilt und stand wie- der vor dem goldenen Tor des Himmelreiches. Er " DER’ STELLUNGSHUND Die treueste wohl aller Hundeseelen Hat uns der alle Dorfschmied jüngst vermadht. Der Hund darf in der Stellung nidıt mehr fehlen, Da er voll Eifer mit uns Landsern wacht. l’en wem er stammt, das ist und bleibt verscuvommen, Er kläfft den Mond an, keiner weiß warum. Wir lassen aber gar nichts auf ihn kommen: Das grelle Lidıt des Werfers macht ihn stumm. Er mittert früh die feindlidien Masdıinen, Und sein Gehör geht wie ein Hordıgerät. „Hör einmal‘, knurrte der alte Wächter böse und klapste nach ein paar klei- nen, unartigen Engeln, die wie freche Mücken an seiner Nase vorbeiflogen, „hier gibt es keine Eintrittskarten zu kaufen. Nur der, der die drei Auf- gaben, die ich ihm stelle, löst, kommt in den Himmel hinein. Willst du den Versuch machen?” Knack nickte, Er mödıte gern den Werfer selbst bedienen — — Brüllt die Kanonenbatterie, er steht! Uns fehlte viel, wenn wir ihn nicıt mehr hätten. Ein Kamerad ist uns das treue Tier. Und jeder denkt, wenn wir ihn an uns ketten, Bleibt audı das Glück beim kleinsten Kanonier. Heinz Friedrich Kamecke 344 überreichte Sankı Peter die Nagelfeile, die in- zwischen noch kleiner geworden war. „Erledigt“, sagte er. „Gut“, brummte der alte Mann. „Und jetzt kommt die zweite Aufgabe.” Er gab Knack einen Teelöffel. „Nun mußt du wie- der auf die Erde fahren und mit diesem kleinen Löffel das Wasser des Mittelmeeres in die Ost- see übergießen.” Knack nahm den Teelöffel. x „Leider habe Ich heute keine Sternschnuppen für deine Niederfahrt”, fuhr Sankt Peter fort, „die sind ja augenblicklich rationiert worden. Der große Bär hat eben heute Freisonntag, und die Kometen sind Ins Bette gegangen, aber du kannst auf einem Regentropfen hinunterfahren, das geht ja auch schnell.” Er nahm das Telefon und fragte nach dem Regen- wetterdirektor Naß. „Geben Sie mir bitte ein recht schönes Regen- wetter, Herr Naß, und dazu noch eine handvoll "Wind und einen Regenschirm.” „Jawohl, Petermann.” Knack sprang auf den Regentropfen und winkte dem alten Pförtner freudig zu. „Bring mir ein paar Zigarren mit“, rief Sankt Peter, indem er das Fenster schloß. „Jawohl.” Zweitausend Jahre vergingen, dann kam Knack wieder zurück. Ein bißchen müde war er, denn es ist Ja ziemlich anstrengend in ständiger Fahrt zwi- schen den beiden Meeren zu sein, und all das Wasser vom Mittelmeer mit einem Teelöffel in die Ostsee zu gießen. Doch, das war nun alles erledigt. „Gut", sagte Sankt Peter und nahm den Teelöffel, „Und nun ist nur noch die letzte Aufgabe übrig, dann kannst du in den Himmel kommen, mein Freund. Deine Flügel habe ich schon bestellt.” „Und worin besteht denn meine letzte Aufgabe?” fragte Knack. „Jetzt sollst du deinen Kollegen Knick In Kopenhagen besuchen und von ihm — eine Krone borgen!” Kaum hatte Sankt Peter diese Worte geäußert, als Knack einen Schrei aus- stieß, wie eine Gazelle auf sein Fahr- rad sprang, und dann fuhr er direkt in die Hölle hinunter, denn er wußte, daß es eine ‘vollständig unmögliche Aufgabe war, eine Krone von dem geizigen Knick zu entleihen. Man kann ja schließlich auch zuviel von einem Menschen verlangen. Dann lieber sofort in die Hölle fahren. . In der Hölle wurde er vom Oberteufel selbst empfangen, Es war Schneewet- ter und furchtbar kalt, so daß er sein Hinterteil über dem großen Kessel wärmen mußte. Die kleinen Teufel- * kinder kniffen ihn in den Hintern und kicherten entzückt. Knack bekam so- fort eine Durchlaßkarte für das Höllen- teich, ein paar Badehosen, zwei Hör- ner an die Stirn und einen langen schönen Schwanz. Der Höllenhund bellte, und Tante Hansigne lachte im siebenten Himmel. \ Wie gesagt, diese Geschichte ist wirklich wahr, denn Knack hat sie mir selbst erzählt, und er lügt nie. Er haßt das Lügen. Ebenso wie Lügereil ich. Diese verdammte Nelson Rockefellers klingende Botschaft rem „Ich.werde Ihnen eine Botschaft an unsere südamerikanischen Freunde diktieren!“* „soll ich ein Telegramm oder gleich ein Scheckformular verwenden?“ Messaggio a moneta sonante di Nelson Rockefeller: “Vi detterö un messagglo al nostri amicl dell'America del sud!,, — “Devo adoperare un modulo di telegramma o sen’ altro uno di cheque?,, 345 ACHTUNG VOR HUMORISTEN Herr Milchner saß in seinem zentral gelegenen," hübsch ausgestatteten Zimmer, zum Mietpreis von 40 RM,, alles mit inbegriffen, Bad, Telefon und eine nette Wirtin, und las in der Zeitung. Dabei fiel sein Auge auf eine Humoreske mit dem Titel: „Wie bekommt man leicht ein möbliertes Zim- mer?" Er las diese Groteske mit um so größerem Vergnügen, als er kurz vorher die Klage seines Schulfeindes Rogner mit anhören mußte, der nir- gends ein Zimmer für sich auftreiben konnte, Aber das war bei diesem ekelhaften Kerl nicht weiter verwunderlich, bei seinem Anblick wurde den Wirtinnen ja die Milch sauer, der Lulatsch Sommerreise - Viaggio d' estate VON HEINZ SCHARPF war von einer Trockenheit, die nur noch von sei- ner Dürre übertroffen wurde. Im Büro pflegte man ihn nur den Blinddarm zu nennen, so überflüssig und gereizt war er, Haha, lachte Herr Milchner, als er die Geschichte zu Ende gelesen hatte, dem Manne kann gehol- fen werden! Und er schrieb sofort die Humoreske mit ganz kleinen, den örtlichen Verhältnissen an- gepaßten Änderungen ab, um sie ihm zuzuschik- ken, unbekümmert darum, daß er sich damit mit fremden Federn schmückte. Aber das tun ja die Kurzgeschichtenschreiber häufig. DerBriefanHerrn Rogner und die Humoreske des Autors lauteten: (Magon) „Also, Onkelchen, wenn du uns deinen Besuch vier Wochen vorher ansagst, kann ich dir durch Beziehungen noch ein Kinderbettchen verschaffen !" "Dunque, zietto, se tu ci preawvisi la tua visita quattro settimane prima, posso ancora procurarti mediante relazioni un lettuccio da bambini!,, 346 „Anbei will ich Ihnen einen Rat geben, wie Sie mit Leichtigkeit zu einem möblierten Zimmer kommen können. Sie spionieren den Inhaber eines gemütlichen Zimmers, der jung verheiratet und eifersüchtig auf seine Frau ist, aus. Ich denke da z. B, an ein Ehepaar wie Müllers, wo wir beide einmal in Un- kenntnis unserer jahrelangen hühnchenrupfenden Beziehungen zusammen eingeladen waren, ein- mal und nie wieder. Dann setzen Sie sich an Ihren Schreibtisch und schreiben dem Mann sowie seiner kleinen, tem- peramentvollen Frau zwei verschiedene Briefe. Der Brief an die Frau lautet: ‚Gnädige Frau! Ihr Gatte betrügt Sie! Wenn Sie sich davon über- zeugen wollen, so gehen Sie morgen um acht Uhr abends In die Wagnerstraße 15, zweiten Stock, und.läuten dort an. Ihr Mann, der ja nichts ahnt, wird Ihnen die Tür öffnen. Sie stürzen Ins Zimmer und erwischen ihn in flagranti mit Ihrer Nebenbuhlerin. Auf jeden Fall nehmen Sie einen Revolver mit. Ein Freund. Dem Gatten schreiben Sie folgenden Brief: ‚Hören Sie, Sie gehörnter Siegfried, Ihre Junge Frau betrügt Sie. Wenn Sie sich davon über- zeugen wollen, so gehen Sie morgen um acht Uhr abends in die Wagnerstraße 15, zweitenStock, und läuten dort an. Dann wird Ihnen derjenige öffnen, der Ihre Familienehre beschmutzt hat. Sie erwischen ihn mit Ihrer Gattin in flagranti. Auf jeden Fall nehmen Sie einen Revolver mit. Eine Freundin.‘ Dem Herrn in der Wagnerstraße schreiben Sie dann den dritten Brief: ‚Gewissensbisse zwingen mich, Ihnen ein Ge- ständnis zu machen. Ich gehöre gezwungener- maßen einer Einbrecherbande an, die morgen abends bei Ihnen einbrechen will. Wenn man in Ihr Heim einzudringen versucht, so überlegen Sie nicht lange und schießen gleich drauf los, Ein aufrichtiger Warner.“ Wenn Sie diese drei Briefe abgesandt haben, so warten Sie ruhig das Resultat ab, Etwas wird passieren. Entwoder wird der Mann die Frau erschießen oder die Frau erschießt den Mann — oder der Mann wird von dem Herrn in der Wagnerstraße niedergeknallt oder umgekehrt, der Herr, der die Einbrecher erwartet, tötet den Mann. Mit einem Wort, es wird sich ein blutiges Drama abspielen — aber für Sie wird es nur von Nutzen sein. In dem einen oder in dem anderen Falle wird irgend jemand ins Gefängnis oder auf den Friedhof kommen, und dann wird für Sie ein Zimmer frei. Mieten Sie es sofort und Sie haben endlich eine Bleibe und stehen unter Mieter- schutz. Sie dürfen nicht erschreckt sein, wenn Ihnen nachts die Geister der ermordeten Frau oder Ihres Mannes, oder des Herrn aus der Wag- nerstraße erscheinen. Ein Zimmer mit Geistern ist noch Immer besser als gar kein Zimmer ohne Geister oder eines mit Wanzen. Herr Rogner. Ver- fahren Sie nach diesem Rezept und der Erfolg wird nicht ausbleiben. Ihr Milchner.” Nachdem er diesen Brief geschrieben hatte, brachte er ihn zur Post, Haha, lachte er dabel, von diesen Humoristen kann sich jeder eine Scheibe abschneiden, das wäre gelacht. Nach fünf Tagen hatte Herr Rogner ein Zimmer. Ein zentral gelegenes, hübsch ausgestattetes Zim- mer, zum Mietpreis von 40 RM., alles mitinbegrif- fen, Bad, Telefon und eine nette Wirtin. Das Zim- mer des Herrn Milchner. Vom Wohnungsamt zu- gewiesen. Herr Milchner erhielt von einem anderen Amt für längere Zeit einen anderen Aufenthalt zugeteilt. Pünktlichkeit (R-Krlesch) „Wie unangenehm, schon vor einer halben Stunde solite ich bei Robert sein!“ „Tut nichts — erst nach zwei Stunden sucht sich der Kavalier einen Ersatz! Puntualitä: “Come mi spiace! Dovevo trovarmi da Roberto glä mezz' ora fa!,, “Non importa nulla! Solo dopo due ore il Cavaliere si cerca una supplente!,, 347 Der Nutznießer - II profittatore 0. Hogenbarth) „Merkwürdig — früher war ich Vorstand von einem Raucherklub, und heute suche ich meine Freunde nur noch unter Nichtrauchern!“ "Strano dawvero! Prima ero presidente d'un club di "Fumatori, ed oggl cerco amicl solo tra | ‘Non-fumatori,!,, PUNKTE VON SCHLEHDORN Eine Fliege setzte sich auf den Sockel des Dank- mals jenes seinerzeit unsterblichen Mannes, setzte Just da, wo „dankbare Vaterstadt” stand, einen Punkt, der nicht eben ein Gesichtspunkt war, und erklärte: „Ich bin die historische Kritik.” „Sie sind sehr selbstbewußt”,meinte Regierungsrat Jullus, der auf einer Bank gesessen und gewartet hatte, ob das Denkmal endlich das korkzleher- behoste Standbein mit dem dito Spielbein wech- seln, und wielange es noch mit dickem entschlos- sonom Finger auf die Feuerwehr gegenüber deu- ten würde. Aber die Fliege wies darauf hin: „Was Punkte wert sind, besonders heute, das können Berufene bei Jedem sportlichen Wettkampf feststellen.” Dann erzählte sie: „Ich ‚war jüngst beim Familientag der Familie Punkt. — Eine Fliege ist schließlich in Jedem Sitzungssaal; so bleiben wir auf dem laufenden. Sie waren fast alle erschienen. Auch die dunklen Punkte, die gar’ nicht geladen waren, und der i-Punkt, obwohl er nur zu einer Nebenlinie ge- hört, Der Scheltelpunkt und der Schnittpunkt kamen sichtlich gerade vom Friseur. Der Null- punkt saß mit seinem gofrorenen Lächeln etwas dummlich an der Tür, Den Berührungspunkten sah man an, daß sie schon mancherlel hinter sich hatten, und der An- ziehungspunkt zeigte die süffisante Miene des Unwiderstehlichen. Ich suchte gerade den Höhepunkt, der für jedes Leben anders aussieht, da trat der ehrenwerte Hauptpunkt ein, der Einberufer dieses Familien- tags, und ergriff sogleich das Wort: „Liebe Vettern! Ich habe Sie bei unserm Vetter, dem Treffpunkt — er führt dieses große Hatel, und der Aussichtspunkt wohnt gleich nebenan —, versammelt, und Sie sind, nach unserer Familien- tradition pünktlich erschienen.” Er könne, fuhr Redner fort, nicht alle Punkt für Punkt begrüßen, Er erwähne nur Seine Exzellenz — den Ehrenpunkt —, dieser war, auf den Stütz- punkt gelehnt, eingetreten, und zierte, wegen sol- nes Alters nicht mehr so empfindlich wie.früher, hochverdient den Kreis. Ferner Seine Eminonz — den Kardinalpunkt —, der saß als rotleuchtender Fleck im Raum, wird aber selten noch genannt. Man spricht mehr vom Angelpunkt, dieser tat in der Tür mit der Geduld, die Angeln auszeichnet, frischgedlt seine Pflicht. Auch der Hauptverkehrs- punkt hatte sich frelgemacht, war aber etwas ner- Violinsolo - A solo di violino vös, Entschuldigt wegen Dienst fehlte der trigo- nometrische Punkt; er stand hoch auf dem Berg auf drei Beinen und ließ sich anpellen. Die Frage der Unterbringung der Familie sollte der Kosten- punkt regeln..\, „Lebe Vettern!“, führte der Senior aus, „nichts ist so notwendig auf der Welt wie wir. Ohne uns gäbe es nicht einmal Nebenpunkte, die sich wich- tig machen können. Ohne uns entstünde keine Linie; theoretisch gehören dazu nur zwei Punkte, meist stellen aber welt mehr freiwillig zur Ver- fügung. Also, ohne uns kein Aquator, keine Bau- fluchtlinie, keine Richtlinien. Was wäre die Welt ohne unseren verehrten Vet- ter Schwerpunkt.” (Der saß breit imSesselundhatte einen Bauch.) „Alles fiele um oder flöge davon. Oder ohne die Standpunkte.” Die standen steif in Ihrem Smoking und verbeugten sich feierlich. „Schon der große Archimedes verlangte nur dos moi pou sto (gib mir einen Standpunkt), und Ich werde die Erde bewegen, und Professor Schulze- Rhombus meint, er habe das pou (pou Ist Im Griechischen beinah soviel wie Punkt) gefunden: sein Schreibtisch sel der Mittelpunkt der Welt, von dem aus er die Erde, ja viel mehr, die ganze Weltanschauung bewegen werde— vorausgesetzt, daß er für sein neues Werk einen Verleger finde. Gleichzeitig gibt z. B. der Kunsthistoriker Dr. Fritz Faltenwurf, seine Arbeit „Entscheldende Punkte des Pointilismus” heraus. Ein Jurist liebt nichts so sehr wie Punktensachen, Und Goethe meint (oder läßt meinen): es sei „ihr ganzes Weh und Ach, so tausendfach, aus einem Punkte zu kurleren.” Damit komme ich zum einzigen Punkt unserer Tagesordnung: Einer unserer Vottern, der Dollpunkt natürlich, hat sich bedauerlicherweise mit einem Komma eingelassen. Also eine Mesalliance. Wir haben Fälle, wo Punkte graziöse, kapriziöse Kringel heimführten, Künstlerinnen, Ausländerin- nen und so; dann entstanden Fragezeichen — aber Fragen können reizend sein, und wenn alle beantwortet sind, wird das Glück langweilig. An- dere erhoben ihre Blicke zu hochgestellten Strl- chen und Imponlerten dann als Ausrufungszolchen in höheren Kommandostellen, Aber ein Semikolon — der Name schon klingt be- denklich nach Rassenmischung — hat keine an- gemessene Stellung In der Interpunktion, Er bleibt eine halbe Sache. Nachher werden womöglich noch die Gönsefüßchen („Anführungsstriche”, wie sie sich überheblich nennen), als Kusinen ange- laufen kommen...” Der springende Punkt, der schon lange unruhlg auf dem Stuhl gezappelt, fuhr auf: „Das Ist der Gipfelpunkt! der Tiefpunkt ist das!” Der Streitpunkt, der Siedepunkt und der Knoten- punkt (der jetzt die Anstellung bei der Elsen- Mech. Kay) Imbaulamento Kofferpacken (Fr. Bilek) bahn hat) wollten Krach machen — sonst wäre es ja kein richtiger Familientag. Auch der Brenn- punkt eilte schon herbei, Der Ruhepunkt besänf- tigte alle, Und der Kontrapunkt, der eine Brille trägt und lange Haare, meinte: „Nun, es muß doch auch Dissonanzen geben, wo bliebe sonst die Har- monie?" „Zur Sache“, rief der Wendepunkt. Schließlich schlug der Kernpunkt vor; „Das Semi- kolon wird mitten in den Satz gesetzt; hat nur Halbsätze abzuteilen; dann kann es keine Dumm- heiten machen; und ein ehrlicher Punkt schließt das Ganze ab.“ So wurde beschlossen. Einstimmig) bei Stimm- enthaltung der Zweifelspunkte. Und der Haupt- punkt schloß mit dem Appell: „Liebe Vetterni Wenn Sie heiraten, nehmen Sie 349 eine Frau aus unsern Kreisen. Dann entsteht ein Doppelpunkt, und hinter dem fängt oft die reizendste Unterhaltung an. Und wenn sie sehr reizend wird, macht der taktvolle Schriftsteller einen Gedankenstrich (eine Barriere von Punkten: Eintritt verboten!) oder es kommen drei Pünkt- chen und mehr. Das Ist dann eine ersprießliche Ehe... Ich schließe. den. geschäftlichen Tell.” Punkt, Im Sonnenbad A) „Der guckt so rüber. Ich glaube, du hast schlecht verdunkelt!" Nel bagno.di sole: “Quegli guarda da questa parte; credo che tu abbia oscurato male!,, 350 DER MÜDE SEPP VON HERBERT A. LOHLEIN Sepp Kranewitter, der Senn von der Schluifl-Alm, ist ein uriges Mannsbild von gewaltigen Füßen, mit Händen, die einen Stierschädel zu Knie- beugen zwingt und einem dichten Fell über Seele und Brust, Aber er hat so seine Mucken. So haßt er die Fremden, das Fußwaschen, das Bartschaben und das Nasenputzen, Deswegen hatte ihn seine einzige Braut, die Monl aus Maria Taferl, die er einmal vor Jahrzehnten kurzfristig besaß, verlassen. Sie brachte ihm da einmal ein Rasiermesser, vier Sacktücher und lehrte ihm das Füßewaschen, Unklugerweise ver- bot sie ihm auch noch das Pfeifensuzeln. Die Bes- serung hielt denn auch nur zwei Tage an. Dann ging die Moni wieder und der Sepp schneuzte wie ehe- dem auf den Almboden, schlenkerte den Staub von den Zehen und suzelte wieder am Pfeifen- stiel, daß das Wasser im Kloben kochte. Dies zur notwendigen Einleitung, wie sehr die Dinge auf dieser Welt ins Drehen kommen können. Der Sepp hätte denn auch weiterhin seine irdischen Tage zwischen Kühen und Geißen stum- pensuzelnderweise dahingelebt, wenn nicht die- ser wunderliche Almsommer über die völlig un- bekannte Schluifl-Alm hergefallen wäre! Der Schluifl- steig glich ausgetretenen Filzlatschen und die Almgeißen bohnerten verachtungsvoll hinter den Talwanzen her. Die Kühe stolperten bis hinauf zum Huifunzener Törlgrat, um sich das saudumme Juchhugeschrei aus den Ohrwascheln zu wedeln. In hellen Scharen waren sie heraufgestöckelt: Blond, gelb, kupferrot und pechschwarz. „Mäd- chen", wie sie der Sepp In seinem ganzen leben noch nicht gesehen hatte, geschweige denn aus nächster Entfernung hätte betrachten dürfen. Mißtrauisch und scheu wie ein einsam geworde- ner Plätzboden-Hirsch war der Kranewitter Sepp anfangs von den seltenen und niegesehenen Madeln in den Stall geflüchtet. Aber die putzigen Dinger mit den knallroten Schnäbeln, dauergewellt und lüstern nach Heuboden und Vollmilch, mit Sonnenbrillen wie Käslaibe. und weißen, reißver- schlossenen Leinenhöschen trabten dem Sepp bis in die letzten Fugen seiner Milchbude nach. Kram- ten aus Taschen und Koffern Zigaretten, Stumpen, Rauchtebakpakete, zwinkerten vielsagend und nannten ihn ihren „zünftigen Seppel“. Das Mäd- chen Margot aus Berlin-Schmargendorf, puppig und erotisch verspielt, hielt den Sepp für düm- mer, als er aussah, setzte sich neben das Butter- faß und trällerte die neuartige Melodie: „Schenkt man sich Stumpen in Tirol, weiß man, was das bedeuten soll,.." Zog ferner ein herzförmiges Feuerzeug aus dem Busenausschnitt und bot dem Sepp die Flamme. „Kruzitürken ...!” sagte der, zündete den Stum- pen an und fraß ihn von hinten an vor Aufregung. Bald hockten sie einträchtig nebeneinander auf dem Melkeimer, und der Sepp sog an dem exo- tischen Gedüftel, das ihn umfächelte, und wei- dete in der seltsam bemalten Gesichtslandschaft herum wie seine Kühe auf der Schluiflalm, Wieder hatte er kein Sacktuch in der Nähe. Aber o Wun- der! Die Mädchen waren zutraulich, spielten mit dem Sepp, fragten kichernd nach dem Heuboden und ALLERHAND Ein Taufendfüßler, nicht mehr jung an Jahren, war in einer Kneipe gehörig verfackt. So kam er mitten auf der Straße aus dem Takt und wurde überfahren. Er hat fich etliche Beine gebrochen, zıı an der Zahl. Jetzt liegt er im Spital B und die Schwelter fortiert fchon feit Wochen Knochen, Wolfgang Borchert ag und Druck. Knı Verantworti. Schriftleiter: Walter Foitzic anstalten entgegen. — & Hirth Kommandlige: München. — Der Simplicissimus zugspreise: Einzelnummer 30 Pf.; Aboı frivol nach den Butterballen. Da kehrte auch der Sepp wieder zu sich selbst zurück, schneuzte auf den Almboden, rülpste, wann es ihm paßte und spielte mit allem, was man ihm anbot, Der sündige Ruf des Schluifl Sepp drang bis nach Maria Taferl hinunter und erreichte auch das un- gläubige Ohr der Moni und ihres jetzigen Gat- ten, des Korbinian, der mittlerweile Senn bei der Huifunzener Urschi, einem schelchhaxerten Dra- chen geworden war, wie der Korbi seine Brot- geberin nannte. Als der Sepp an einem ruhigen, stillen Herbsttag auf dem Viehgatter hockte und seine gewaltigen Füße gedankenverloren hin und her schaukelte, kam der Korbi vom Hulfunzener -Törlgrat herunter auf die Schluiflalm zu. Seine Begrüßung ließ er- kennen, daß er im Bilde war: „Grüaß di, du alter Saubärl“ Geschmeichelt grinste der Sepp auf den armen Teufel, der bei der Moni in fester Hand war: „Bischt mir ja bloß neidi auf meine zwaravierzg Moidin, die wo bei mir zur Diät warn!” Der Korbi horchte auf. „Was ischt dös für a Sau- stall mit der Diät?” „Diät? sagte der Sepp überlegen und spuckte über die Achsel. „Ma siecht scho, daß du vo Hui- funzn bischt! Diät — das ischt, wenn a empfind- licher Magen kane Kartoffl und ka Kraut vertragn kann und vom Dokter a Vollmülli und an Butter verschriebn kriagt und a Zigarrn- oder Schnaps- gschäft drin in der Stadt hat, hascht mi, du dal- kerter Tuifl?” Es war eine Weile still auf der Schluiflalm. Dann sagte der Korbi nichts als: „Aha...“ Kam aber doch nicht zu Rande damit: „Und die Moidin, die zwaravierzge? „Die gehn drein...” ergänzte der Sepp auf- klärend. „Kruzitürken!” sagte jetzt auch der Korbi und blickte auf den Sepp wie auf einen preisgekrön- ten Stierbändiger. „Magscht was z’ rauchen?” fragte schließlich der Sepp leutselig. „Geh’ eini in d’ Kuch! und lang in den zwatn Schuber vom Kaschtn. Da kannscht dir was aussi holn.“ Der Korbi ließ sich das nicht zweimal sagen, ging hinein und zählte in dem Schubladen 17 Pakete Rauchtabak, 32 Schachteln Zigaretten aller Sorten, fünf Kisten Zigarren und vier Patentfeuerzeuge, darunter zwei rote In Herzform. „Hölltuifl!” entfuhr es dem Korbi, „Wia hascht dös bloß firti bracht?1” Der Sepp schnickelte hochmütig mit den Fingern: „Wann ma ka Depp is und wann aner was gleich- siecht, dann bringscht di Moidin gar nimmer anl Hab ane ghabt— Margot hat si sich ghaßn, sie war aus Berlin-Schmargendorf und solchn rotn Haar- schüppel hat’s ghabt, daß di glei beim Anschaun brinnt hat — diesölbige war ma nimma oichi- gangen ins Hotöl. Ihr hat mei Heubodn so guet gfalln und | dazue, daß i ihr vazöllt hab, wia d’ Goaßn jetz im Summer vo die Flöh plagt san, Da is erscht auf und davo, dös Gschmacherl. Hat mi hintennachi greut! Dann hab i ane ghabt — Helde- marie aus Köln, sie war anazwanzge alt und blondi Sakramenter...“ Der Sepp hielt eine Welle an und schleckte nachträglich noch vor Vergnü- gen über die Bartstoppeln — „dös Moidi hat d’ Mülli gsuffn wia meine Kaibl und allweil hat sie sich, bals in Heubodn auffigschloffn is, zerscht auszogn..." „Saubär, alter!“ röchelte der Korbl wieder. „Er- zähl weiter...“ „Laß dir Zeit — sie hat si‘ nachert a wieder azogn, aber net vül. Bloß so a schwarz- seidernes Zuigs.” „Was ischt dös nachher gwesn und für was ghört si dös?" fragte der Korbi lauernd. „I waß a net recht. Sie hat allweil ‚Pütschamma’ dazue gsagt. Des Komische war, daß sie nachher dös ‚Pütschamma’ doch a wieder auszogn hat...” „Dös ischt aber doch a Blödsinn?“ Ischai scheint wöchentlich einmal. 'nnement Im Nachdruck verbote „Freili — mir war s’ ja a liaber ohne dös Glump. | man halt, es ghört si dazue, daß d’ Mannsbülder recht wild wern solln.” „Bischt nacha du wüld worn drauf?” fragie der Korbi bohrend wie ein lüsterner Schraubenzieher. „Auf d' Letzt nimma sol” gestand der Sepp ehr- lich. „Aber was i dir noch sagn wollt: Alles, was deiner Moni an mir amal net paßt hat, dös war dene Moidin wurscht. Dös kannscht alles deiner Moni saukalt verzölln, Dös hätt si alles a habn könna.” „Sie werd halt ka Diät braucht habn!” erwiderte der Korbi ohne Wimperzucken. „Und überhaupts hat d’ Moni recht guet verdient, Sie war Zimmer- madl drunt im ‚Alpenhof‘ z' Maria Taferl. ’s ischt & schöns Gschäftl gwesn, den Summer, Habn manche zehn Markl springn lassn für a Zimmer. Und habn manche an Gusto ghabt aufn Terlaner, wos doch kan gibt, hascht mi? Sie habn dann halt an Terlaner im Maßkrueg kriagt aufs Zimmer auffl. Und dei ‚Diät' ham mir a ghabt, in da Kuchi draußn, versteht si. Es hat scho a Köpfl herghört, daß ma net alles durchinanda bracht hat, aber d’ Moni war bald eing'arbat in dene Schlich. Und wanns du manst, d’ Huifunzener Urschi is aufn Kopf gfalln, dann bist aufn Holzweg. Da is man- cher Bursch auffikumma und hat ‚liabe Urschi’ zu ihr gsagt. No ja, der hat dann halt a ka Wasser gsuffn. Ischt ja net z'neldn gwesn, so a Loder. A hundertvierzg Markl hat s’ zambracht, d’ Urschi, mitsamt dem, daß schelchhaxert is. Aber was tuescht jetz, wo d’ Salson rum Isch2?" fragte der Korbi lauernd. „etz denk | manchmal nach über d’ Wölt und d' Weiber...” bekannte derSepp mit müder Stimme. „Geschtern no hab i den letztn rotn Haarschüp- pel außikehrt zum Flöz und a paar Schaufeln Zigaretinstumpn dazue, 's Heu is zamgflackt und an schwarzseidern Pütschamma hab I drin in der Schubladn. Den hat s’ ma da lassn zum An- denken und i sollt ihr ab und zu anButter schickn, hat s’ gwuislt,“ „Tuascht nacha dös?" fragte der Korbi neugierig. „An Dreck...” sagte der Sepp saukalt, „Sie werd an neu'n Pütschamma habn, denk |, und an neu’n Loder. Soll ihr der an Butter und Oar verschaffen. Was rum Ischt, ischt rum.” „Warum bischt jetz du froh, daß rum Ischt?” fragte staunend der Korbi, der einmal scheu über die schwarze, knisternde Seide des Pütschamma hin- schnupperte, „Ja mei...”, bekannte der Sepp reumütig. „Waßt — es ischt ja alles ganz schian gwesn — aber jetz hätt is bald nimma derpackn kinnal Da ischt des Kuahmelkn a Dreck dagegen!" — — LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Peter Silie ließ sich photographieren. Peter Silie betrachtete wütend sein Porträt. „Miserabell Miserabell Die Photographie läßt mir überhaupt keine Gerechtigkeit widerfahren!'', knurrte er. Der Photograph rief: „Herr! Was Sie brauchen ist keine Gerechtigkeit — Sie brauchen Gnadel” 3.H.R. * Zu Zelibor, dem Komponisten, kam eine mollerte Wiener-lieder-Sängerin. Ungeniert setzte sie sich auf die. Tasten des Klaviers. Zelibor lächelte höflich: „Das kann ich auch, schöne Frau — nur ist mein Anschlag nicht so weich — —" IHR. ruf 1296). Briefanschrifi: München 2 BZ, Brieftach. Bestellungen nehmen Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegi. — Postscheckkonto München 5920, Erfüllungsort München. Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- Wunder der USA.-Technik (Wilhelm Schuiz) „+. und hier sehen Sie meinen neuesten Offensive-Wahrsageautomat. Er fabriziert in der Stunde bis zu sechstausend verschiedene Vorhersagen von Achsenoffensiven!" Miracolo di tecnica statunitense: “... e qui vedete il mio ultimo autömato delle profezie di offensive. Esso costruisce in un’ ora financo seimila diverse predizioni di offensive dell’ Assel,, 352 München, 30. Juni 1943 Pfenni enni 48. Jahrgang / Nummer 26 30 g SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Politisches Exerzieren in England ans ey ne ee Te nn „Die Herren vom rechten Flügel haben das Linksum noch immer nicht begriffen. Das muß ruckartig gehen!" Esercitazioni politiche in Inghilterra: “I signori dell’ ala destra non hanno ancora compreso il ‘Fianco a sinistra!,. La conversione dev’ essere subitaneal,, Schachspieler - Givocatori di scacchi NN van Rechte Seite, linke Seite Er und sie gehen ins Konzert, Sie haben noch zwei Karten bekommen, eine ganz vorne, wo die sehr feinen Leute sitzen, und eine ganz hinten, wo auch feine Leute sitzen. Emil ist Kavalier, er läßt Emille den Platz der ganz feinen Leute und begnügt sich mit dem andern. Nach der ersten Pause kommt Emilie und sagt: „Lieber, tu mir den Gefallen und setz’ dich nach vorne auf meinen Platz; du sollst es auch gut haben.“ Er kann ihr nichts abschlagen und so geht er nach vorne, wo die ganz feinen Leute sitzen. Als er sich gerade setzen will, kommt ein Herr und will,sich auf denselben Platz setzen. Die Männer funkeln sich an, und Emil setzt sich, Jetzt beginnt der übliche Krach von Menschen, deren Rechtsgefühl beleidigt ist. „Ich habe doch schon ...“, zischt der fremde Herr. Klim, Plim, Plim beginnt der Klaviervirtuose und die Leute machen „Pstl“ Emil sitzt auf seinem Platz und hört nichts von dem schönen Musikstück und der Virtuosität vor lauter Empörung. Der fremde Herr steht neben ihm und hört auch nichts, auch vor Empörung. Applaus. „Werden Sie jetzt meinen Platz räumen?” — „Ich habe den Platz bezahlt!" — Klim, Plim, Plim — „Pstl” Beide hören wieder nichts. Applaus, Der fremde Herr hat jetzt Gelegenheit überzukochen. „Zeigen Sie mir Ihre Eintrittskartel” Darauf hat Emil nur gewartet. Wie der Gesandte eines mäch- tigen Herrn die Kriegserklärung, so zieht er selne Eintrittskarte aus der Tasche und überreicht sie dem Todfeind. Jetzt hätte dieser zerschmettert zusammensinken müssen, aber er sinkt nicht. Mit höhnischer Verachtung sagt er nur: „Dieses Kino- billett hat hier keine Gültigkeit.” Emil starrt auf das Kinobillett. Emil stammelt, Emil benimmt sich wie ein Hampelmann, indem er gleichzeitig mit beiden Armen in die rechte und linke Tasche fährt und sucht. „Unverschämtheitl” sagt der fremde Herr nur und setzt sich auf seinen Platz. Emil möchte jetzt ein Staubkorn sein und vom Winde weggeblasen werden oder wie Morgen- nebel zergehen. Um Ihn herum sind nur höhnische Gesichter. Aber er wird nicht fortgeblasen, er zergeht nicht, er muß auf seinen zwei Beinen lang- sam abgehen. Nun findet er die richtige Eintrittskarte, er sieht nach. Natürlich links statt rechts. Verdammt! Jetzt wird er sich durch die Tat rechtfertigen, jetzt wird er diesem verdammiten Pack zeigen, daß er recht- mäßiger Inhaber eines so feinen Platzes ist. Er geht auf den ihm gebührenden Platz zu, doch jetzt Ist gerade große Pause. Alles strömt aus dem Saal, nur Emil blelbt auf seinem Platz alleine sitzen, unbeachtet vom Volke. Die Pause ist beendet. Die Leute strömen herbei, auch Emilie. „Möchtest du mich vielleicht jetzt wieder nach vorne lassen, Lieber?“ Emil ist noch immer Kavalier, Emil geht in die hintere Linie. Als er sich gerade auf seinen Platz in der hintersten Reihe setzen will, kommt der feine fremde Herr vorüber. Emil hat sich nie rechtfertigen können. Foitzick 354 (Fr. Bilek) FE IH TG GT CF EZ SOEEEE SIE SOLLE Alter Satiriker Mit den Zähnen hat cs angefangen. In die Binfen find fie ihm gegangen. Erft zum Kauen die und die zum Beißen. Adh, es war ein ftändiges Verfchleißen! Immerhin: mit Hilfe des Dentiften war's ihm möglich, neu fich aufzurüften. Liebreich trocknet feines Kummers Träne ein patentes Adoptivgezähne. Aber dann, als Sommers letste Rofe, pflücht den Giftzahn die Paradentofe. Diefer ift ihm, nach den andern allen, Eines Tages gleichfalls ausgefallen. Und was nun?,, .. Er ift ganz fanft geworden, außerftand, noch geiftig wen zu morden. Weisheitsfprüche Iprudelnd faft wie Goethe, Ichlurft er durch die eig’ne Abendröte, Ratatöshkr nferenz in Hotspring (Anal Sehe „Die Ernährungskonferenz war wirklich ein großer Erfolg. Jetzt stehen hier schon zwei Kehrichttonnen!" La conferenza dell’ alimentazione a Hotspring: “La conferenza dell’ alimentazione ebbe davvero un gran successo. Giä adesso ci stanno qui due recipienti di latta colmi d’ immondezze!,, 355 GEESOMINFSPIELTESCHIERSÄL „Wer sind die?“ fragte Gelsomin, die vier Knöpfe seines Hemdes zuknöpfend, das er über der Brust offen trug. „Offiziere des Königs. Heute Ist Jagd.” „Kommt er hier vorbei, der König?" „Ich glaube,” ’ „Werd’ ich Ihn sehen können?” „Mir klettern auf die Eiche hinterm Haus: von dort oben können wir ihn sehen, ohne daß man uns bemerkt. Es ist besser so...” x „Hast du den König schon mal gesehen?” „oft. „Wie ist eff" Pillac zuckte mit den Achseln und wußte für den ersten Augenblick nicht, was er antworten sollte. Der König! Als ob es möglich wäre, daß ein Bauer, wie er, den König, den König von Frankreich be- schreiben könntel Dann sagte er mit erschüttern- der Einfachheit: „Er ist... Er ist eben Ludwig XV.I” Der andere sagte leise und überzeugt: „Ahl“ Und er begann zu zittern, denn von weitem ver- nahm man Pferdegetrappel und die Waldhörner, die zum ‚Sammeln bliesen. Pillac und Gelsomin raten an die hohe Eiche, kletterten am Stamme empor und machten sich’s in den Ästen bequem. Unfern, auf einer kleinen Lichtung mit frischem Grün und kühlem dunklen Schatten, hatten Diener ein Frühstück Im Freien hergerichtet. Welch kostbares Tischtuch und Siiberzeug! Er- lesenste Leckerbissen und üppige Kissen, um be- quem sich zu setzen oder gar auszustrecken wäh- rend der Mittagstuhe,... Aus dem Walde brach eine Reitergruppe hervor und erschien am Rande der Lichtung. „Ist das der König?“ fragte Gelsomin, indem er auf Ludwig XV. wies, der Madame de Chäteau- roux die Hand reichte, um ihr aus dem Sattel zu helfen. Ja.” „Und das andre ist.., die Königin?" „Nein. Das ist die Geliebte des Königs." Gelsomin ließ abermals ein „Ah’ hören und riß vor Staunen weit die Augen auf, Dann flüsterte er: „Sie kommt mir nicht sonderlich froh vor. Wie kann man nur an der Seite des Königs traurig sein!” Pillac antwortete nicht. Alle beide schauten sie aufmerksam Ludwig XV. zu, der auf einem präch- tigen Kissen saß, neben sich die Herzogin von Chäteauroux, mit der er leise sprach; ab und zu gähnte er, ohne Rücksicht auf seine Dame. Die schöne Frau trank hastig zwei Glas Champagner, dann lächelte sie schon ein wenig lebhafter und beteiligte sich an der Unterhaltung. Der König von Frankreich schüttelte seine Müdigkeit ab; er hörte zu gähnen auf, und das Frühstück verlief äußerst heiter. Die schöne Herzogin aber, die Immer mehr erblaßte, vermochte kaum dem graziösen Ge- schwätz der erlesenen Runde zu folgen: sie fühlte, daß das Herz des Königs nicht mehr ihr ge- hörte, sie fühlte, daß ihre Schönheit nicht mehr Macht hatte über des Königs Wünsche, und sie litt entsetzlich unter so offenbarer Machtlosigkeilt, denn sie liebte ihren erlauchten Geliebten den- noch. „Da kommt jemand“, rief Gelsomin und zeigte nach der Straße und auf ein blaues Kabriolett, das mit einem weiß- und rosafarbenen Sonnendach überspannt war, und das von einem feurigen Pferde gezogen wurde. „Oh, eine schöne Damel” rief arglos Gelsomin und beschattete die Augen mit der Hand. „Eine schöne Dame!” „Sie hat einen kleinen Mohren, der das Sonnen- dach hält, sieh mall“ Pillac wies mit dem Zeigefinger. „Einen richtigen kleinen Mohren. Das ist die schönste Dame, die ich kenne. Sie ist noch viel VON GIGI VIVIANI schöner als die Herzogin von Chäteauroux...” „Wer ist das?” „Madame d'’Etioles.“ Und er sagte wiederum „Ah”; well der Name ihm neu war, weil die Dame, ganz in einer weiß- und rosafarbenen Wolke von Spitzen und Seide, sich mit ihrem Kabriolett immer mehr der Lichtung näherte, wo der König und die Edlen von Frank- reich im Begriff waren, ihr Frühstück zu beenden. „Ob’ der König sie sieht?” flüsterte Gelsomin zitternd. Pillac zog die Schultern hoch. Er antwortete nicht. Das Kabriolett der Madame d’Etioles verlangsamte "das Tempo, und das feurige Roß wechselte aus dem kurzen Trab in Schritt. Unter dem Sonnen- schirm, den der kleine schwarze Diener hielt, saß Madame d'Etloles und lächelte scharmant vor sich hin oder der Sonne dieses wunderbaren Tages zu, dem blauen Himmel und dem lichtgrünen Wald oder vielleicht auch gewissen geheimen Gedan- ken von künftiger Macht und künftigem Ruhm. Die schöne Dame lenkte ihr blaues Kabriolett nicht zufällig in das Jagdrevier Sr. Majestät König Lud- wigs XV. Als sie an die Lichtung kam, zügelte sie ihr jun- ges, nervöses Pferd ein wenig, wendete sich leicht gegen die Gruppe der Kavaliere und Da- men und lächelte. Dann, als sie in der Gruppe sehr rasch Ludwig XV. erkannt hatte, lächelte sie noch bezaubernder; sie heftete ihre großen, be- tedten und ausdrucksvollen Augen auf den König von: Frankreich. Dann flog das blaue Kabriolett, von dem temperamentvollen, ausgeruhten jungen Tiere gezogen, davon wie der Wind, nichts als eine Wolke von Duft, Jugend, Lebendigkelt, Liebe hinter sich lassend. Gelsomin hatte den Atem angehalten und seine großen, unschuldigen Augen aufgesperrt, um Ja alles zu sehen: die Dame im blauen Kabriolett, die Im Grase sitzenden Kavaliere, die eifrig ihrem Dienst nachkommenden Lakeien. Weder war ihm das Zittern entgangen, das Madame de Chäteau- roux befallen hatte, so daß sie genötigt war, das Sektglas niederzusetzen (sie hätte es sonst ihrem königlichen Geliebten über die Knie gegossen), noch die Blässe dieser schönen, in ihren Gebieter verliebten Dame, jene seltsame Blässe, In der sich die Eifersucht verriet. Und ebensowenig hatte er den aufmerksamen, wohlgefälligen und freund- lichen Blick des Monarchen versäumt, der die un- verhoffte Erscheinung bewundert hatte und, als sie vorüber war, wie in dankbarer Erinnerung lächelte, so munter und frisch und mit so unver- hohlener Freude, daß es ihm einen zornigen Blick der Herzogin eintrug. Ludwig XV. fragte seine Kavaliere: „Wer ist die schöne Dame?” „Madame d'Etioles, Sire.” Und die Herzogin sprach von der Jagd. Nachdem DER PIANIST Schöne Liebe überm Glänzen, Dunkles Haar zurückgelegt, Leise wendet er das Blatt um mit den Tünzen. Seine Hände sind erregt. Immer nur die Tasten, und es will nidıt enden. Eine Sarabande liegt bereit. Ein paar Frauen sitzen an den Wänden und verträumen und verlädheln ihre Zeit. ” Albert Hiemer 356 sie sich mit ihrem königlichen Gellebten erhoben hatte, ergingen sie sich ein wenig im kühlen Waldesschatten und stiegen dann wieder in den Sattel, Das Wild war zusammengetrieben, und die Meute verfolgte die Fährte. Ludwig XV. liebte die Jagd über alles... Ganz erregt noch kletterte Gelsomin aus dem hohen Eichbaum. „Ich gehe nach Hause”, sagte er zu, seinem Freunde Pillac. „Ich bin glücklich, daß ich den König gesehen habe, aber noch glücklicher, daß ich Madame d'Etioles sah. Nie habe Ich eine schö- nere Dame erblickt.” Und Gelsomin schlug den Waldweg ein, um in das Dorf zurückzukehren, In dem ihn die Eltern erwarteten. Er ging gesenkten Kopfes, die Hände in den Taschen und mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen: derart lebte die schöne Dame in seinem Geiste und seinem Herzen, daß er Ihr im Gehen unbewußt zulächelte, Plötzlich jedoch er- schreckte ihn der gelle Schrei einer Frau, Er eilte quer durch den Wald der Straße zu und kam eben zurecht, dem kleinen Mohren zu helfen, dieschöne Dame vom Boden aufzuheben und sie über das Gras bis zu einem Baume zu schleppen, der dem schönen, ohnmächtigen Geschöpf als Rückenlehne dienen sollte, Das.Kabriolett war umgestürzt, und das Pferd, das wütend mit den Hinterbeinen schlug, hatte sich in der Aufregung In die Deichseln und die Zügel verstrickt, hilflos lag es auf der Flanke und schlug, um seine Wut auszutoben, mit den Beinen. „Was machen wir? Was machen wir?” fragte Gel- somin verloren und ganz verwirrt von der Nähe dieses Geschöpfes, das er für ein Traumbild ge- halten. Der kleine Mohr riet besorgt: „Ein wenig Wasser...” Wo aber schnell Wasser finden? O Gott! Gelso- min fiel nichts ein, und in seiner Verwirrung dachte er nicht einmal an das plätschernde Bäch- lein, das zwei Schritte entfernt vorüberfloß..Dann, als er sich plötzlich daran erinnerte, lief er davon, um fast im selben Augenblick zurückzukehren, mit einem großen, rot und blau karlerten, baumwol- lenen Sacktuch, das von frischem Wasser troff, und weil er nicht wußte, was er beginnen sollte, fuhr er damit sanft, oh, so sanft, über der Ohn- mächtigen blasse Stirn. Inzwischen hatte der kleine Mohr das Riech- fläschchen im Handbeutel seiner Herrin entdeckt und ließ sie daran riechen. Madame d’Etioles öffnete die Augen ein wenig und schloß sie sogleich wieder; sie versuchte schwach zu lächeln und hauchte mit dünner Stimme: „Wo bin ich?" „Im Wald", antwortete der kleine Mohr. Und die beiden warteten nun, daß die schöne Frau wieder zu Bewußtsein köme, um wieder Be- fehle geben zu können. Gelsomin kniete bei ihr mit dem Taschentuch in der Hand und betrachtete verwundert die Leibhaftigkeit dieses schönen, flüchtigen Traumes, und er zitterte ein wenig furchtsam, wenn seine Blicke über das herrliche rosafarbene Kleid glitten, das ganz von Wasser- tropfen übersät war. Solch schönes Kleid! Und vielleicht für Immer verdorben! — Aber die Dame sagte wieder etwas: „Meinen Spiegel, schnell!” Und der kleine Mohr reichte den Spiegel, den zu halten-sie noch nicht die Kraft hatte. Da, indes der Mohr Puder, Stift und Pflästerchen suchte, hielt Gelsomin, noch immer imKnien, den kleinen, zise- lierten Spiegel, darin die schöne Dame aus sei- nem Traum unter kleinen Zornesausbrüchen den leider heillosen Zustand ihrer Toilette prüfte, „Ein ruiniertes Kleid, mein Kind!” „Madame waren ohnmächtig.” „Wer bist du?” „Ich heiße Gelsomin, Madame...” Die schöne d’Etioles warf mit einer mutwilligen Bewegung den Spiegel beiseite und heftete ihren großen, bezaubernden Blick auf den hübschen Burschen, der regungslos bel ihr kniete und glück- lich war, sie so nahe sehen und hören zu dürfen. „Wenn die Zeit gekommen ist, Knabe, werde ich an dich denken.” „Madame...“ „Du kommst an dem Tage nach Etioles, an dem Madame de Chäteauroux nicht mehr die Geliebte des Königs sein wird... Was hast du gelernt?” „Ich bin Gärtner, Madame...“ Da löste Madame d’Etioles einen Fliederzweig von ihrem Gürtel und legte ihn in die Hände des Burschen. „Zur Erinnerung“, sagte sie. „Und nun hilf mei- nem Mohren Pferd und Wagen aufrichten.” Gelsomin stand auf, um dem kleinen Mohren zu helfen. Er fühlte die Manneskraft in seinem Arm. Dann beugte er das Knie, damit die Dame besser in den Wagen steigen konnte, und blieb mitten auf der Straße stehen, um sie enteilen zu sehen, fern, in einer goldenen Wolke... Er betrachtete die Blüten, die sie ihm geschenkt hatte, und dachte verwirrt an den König und die Herzogin von Chäteauroux. „Ach wasl” brummte er. „Ich werde mit Pillac sprechen. Was weiß ich von der Herzogin von Chäteauroux, dem König und von Madame d’Etiolas!” Er nahm wieder den Weg durch den Wald. Von ferne begleitete ihn der Hörnerklang und das Echo der Flintenschüsse, Ein aufgescheuchter Hirsch setzte vorüber, die Meute der Hunde hin- terdrein. Flink wie ein Eichhörnchen kletterte Gelsomin, er- schreckt, auf den erstbesten Baum, wo er regungs- los blieb und Ausschau hielt, Der Hirsch verschwand und die Hunde ihm nach; dann kam ein Reiter mit verhängtem Zügel, dann ein andrer, dann eine ganze Gruppe. Gelsomin. wies ihnen mit der Hand die Richtung, und die Reiter stürzten sich auf die frische Spur. Es folgten einige Damen, dann erschien die Her- zogin, ganz errötet von dem tollen Ritt, ganz glühend. Hinter ihr kam König Ludwig; er blickte bald links, bald rechts und schien sich unschlüs- sig, welchen Weg er einschlagen solle. Unter dem Baume, auf welchem Gelsomin saß, hielt der König und sah neugierig zu dem Bur- schen auf. Ohne zu wissen, was er tat, ließ Gelsomin aus seiner Höhe den Fliederzweig hinabfallen auf den Sattel des Königs und stammelte leise: „Madame d’Etioles... hat Ihn mir gegeben, Sire.” Der König lächelte und führte die Blume der Frau, die einst die Beherrscherin von Frankreich werden sollte, an die Lippen. — Gelsomin wartete, bis alle Reiter vorüber waren, dann kletterte er aus dem Baume und ließ sich trübsinnig am Boden nieder, Er kam sich traurig und verlassen vor. Er hatte die Stirn einer über- Irdisch schönen Dame berührt und hatte die Blu- men dieser Frau dem König von Frankreich zuge- worfen. Er fühlte dunkel, eine bedeutsame Geste getan zu haben, eine Geste, die der Anlaß zu etwas seln konnte, was man Schicksal nennt. Und bedrückt von so dunkler und schwerer Ahnung, kehrte er zurück in sein einfaches Haus, in seinen kleinen, dufienden Garten, den blau- und rosa- farbenen Traum: d’Etioles... im Herzen, Bald. darauf, auf einem Maskenball, warf, Lud- wig XV,, König von Frankreich, einer Maske mit flammendem Blick das Taschentuch zu; sie hatte ihn während des ganzen Abends durch Ihre An- mut und ihren Geist gefesselt. Madame de Chätesuroux trat die Herrschaft an Madame d’Etioles ab, die, als Madame Pompa- dour, den Gärtner Gelsomin ebensowenig ver- gaß, wie Ludwig XV. den blassen Fliederzweig des fremden Bauernburschen, der auf einen Baum In seinem Jagdrevier geklettert war. (Übersetzung von Thea Weide.) Auf Zimmersuche - In cerca di stanza (©. Sturtzkopf) „Wenn Sie's genau wissen wollen: einem ‚Stier‘ vermiete ich det Vorderzimmer überhaupt nich, und denn hat Ihr Fräulein Braut ooch noch ‚Zwillinge im Quadranten' — — Jott behütel" “Se volete saperlo esaltamente: Di norma io non affıtto la stanza sulla strada ad un Toro, e per giunta la vostra fidanzata ha anche | 'Gemelll nel quadrante, „.. Che Dio me ne guardi!,, DIE MAHNUNG In Stockholm gibt es hunderte von kleinen Peı sionen, wo Studenten, kleine Angestellte, Vi käuferinnen usw, wohnen, die nicht das Geld haben, sich eine eigene Wohnung zu leisten. Sehr angenehm Ist es nicht, in so einer Pension zu wohnen, weil irgendwo immer ein Störenfried sitzt, der intrigiert oder Krach macht. Die Pension „Svealund“ wurde schon seit Jahren von dem alternden Fräulein Hansson in Furcht und Schrek- ken gehalten. Sie war Angestellte In einer Tele- fongesellschaft, zahlte ihre Miete und das Pen- sionsgeld pünktlich, es war also leider kein Grund vorhanden, die streltsüchtige, sauere Dame vor die Tür zu setzen, und die anderen Bewohner der Pension, meist junge Leute, mußten dieses „Haus- kreuz‘ über sich ergehen lassen, Aber seit ein paar Wochen war die Situation ein bißchen anders geworden. Ein Junger, hübscher Student aus Upsala hatte seinen Einzug In „Svea- und” gehalten, und alle atmeten auf. Denn der junge Mann nahm nicht die geringste Rücksicht auf die sauere Miene des alten Fräuleins, er 357 ignorlerte vollständig die bösen Blicke und die spitzen Bemerkungen, und schien sich augen- scheinlich glänzend zu amüsieren, Vor ein paar Tagen war der Junge Mann zu einem Fest eingeladen, und er kam erst nach Hause, als draußen. schon das erste Frührot Stockholms Dächer beleuchtete. Man kann nicht sagen, daß er gerade leise war, und selbstverständlich wurde Fräulein Hansson, die das Zimmer neben dem Jungen Manne bewohnte, wach. Wütend klopfte sie en die Wand — aber der junge Mann reagierte Überhaupt gar nicht, Beim Mittagessen am nächsten Tag sagte Fräulein Hansson spitz: „Haben Sie nicht gehört, deß ich heute nacht bei Ihnen an die Wand geklopft habe?" Atemlose Stille der übrigen Pensionsgäste. Aber der Junge Mann äntwortete fröhlich: „Sie müssen tausendmal entschuldigen, Fräulein Hansson, gehört habe ich Ihr Klopfen selbstver- ständlich, aber ich war so gräßlich müde, ich konnte nicht rüberkommen! Vielleicht ein ander- mal, wenn Sie wieder klopfen!" Fräulein Hansson kündigte zum nächsten Ersten. TAUSEND NACKTE BEINCHEN J&, davon sprach der Spieß bei der Parole, von den nackten Beinchen, für die jeder sich melden könnte, Alle meldeten sich! Können Sie sich ein Bild davon machen, was es heißt, wenn man einem Landser verspricht, nackte Beinchen zu sehen? Einem Landser überdies, der seit neun Monaten mindestens das Sowjetparadies genießt, der schon zum xten Male eingesehen hat, daß sein Urlaub aus taktischen Gründen weiterhin der Zukunft vorbehalten bleiben mußte, Nein, das können Sie nicht! Das muß man erlebt haben. Ich habe das erlebt, Ubrigens, Mädchenbeine meine ich natürlich. Das ist ja so — Sie werden das schon gemerkt haben —, wenn man von Beinchen spricht, meint man meistens Mädchenbeinchen. Die Männer- beinchen schneiden demgegenüber schlecht ab, man straft sie mit Mißachtung, man meint sie ganz einfach nicht. „Abmarsch zum Variete, morgen früh 9 Uhr, nach Wandel’der Zeit - Tempi mutati VON G. HEMPELL Jelisawetowka, Führung Uffz. Droste” und schmun- zelnd: „Tausend nackte Beinchen”, ja, so hatte der Spieß wörtlich gesagt. Jelisawetowka war für russische Verhältnisse und im Hinblick auf nackte Beinchen nicht weit, nur 15 km. Hin und zurück 30 km. Was sind 30 km für einen Landser in Ruß- land, der nur noch dreistellige Kilometerzahlen zu achten weiß. Die Stimmung der Truppe war daher nicht nur gut, nein, sie war sogar ausgezeichnet. Erinnerungen an nackte Beinchen wurden ausge- tauscht, Die zarten, schlanken der kleinen Lilo, die stämmigen, festen der derben Resi und die brau- nen, sehnigen der herben Marlandl, sie alle fan- den enthusiastische Verehrer und Verteidiger und kämpften um den Schönheitspreis, Die Träume der Grenadiere gingen in dieser Nacht nicht um Bolschewisten und Kanonenkugeln, nein, sie gin- gen um 1000 nackte Beinchen. Und endlich am nächsten Morgen — keiner kam zu spät — ging es den Mädchenbeinen wirklich (0. Herrmann) „Sixt, Reserl, heut! weiß a Mann scho glei, wia a Madl unt’ ausschaugt, aber dein’ Vata selig hat ’s hi'ghaut, wia er meine Knia g’sehgn hat!" "Vedi, Teresina, oggigiorno un uomo sa subito come & falta soflo una ragazza; ma la buon’ anima di fuo padre rimase a bocca aperta al solo vedere i mlei ginocchi!,, 358 entgegen. Ich muß es noch einmal betonen, daß es in Rußland geschah, daher war die Straße nach . eine breiige Matschspur. So kämpften sich die Kommißstiefel durch den Brei den 1000 nack- ten Beinchen entgegen. Dabei sahen die Landser ein, daß man den Beinchen allerdings niemals hätte zumuten können, etwa durch diesen Brei nach vorn zu ihnen in die Frontlinie zu kommen. Nein, das konnte man wirklich nicht, man mußte ihnen schon etwas entgegenkommen. Frontvarietöl Große Bretterbude, Podium, ange- nehme Überfüllung. Der Vorhang öffnet sich, nein, es erscheinen keine nackten Beinchen, o nein — das wissen sie ja auch — die nackten Beinchen kommen nie gleich, sie lassen auf sich warten. Dafür erscheint zunächst der Zauberer Luzifer, So- viel steht fest, ein Zauberer von Format; er zau- bert die unmöglichsten Sachen aus den unmög- lichsten Ecken. Spielend beherrscht er eine Un- zahl phantastischer Tricks. Es ist gradezu unheim- lich. Er läßt allerhand verschwinden, der Zauberer Luzifer, nur er selbst verschwindet nicht. Der Bei- fall kann noch so groß sein, er beherrscht welter das Podium. Doch einmal kommt die Pause. Und wieder öffnet sieh der Vorhang. Was glauben Sie wohl, wer jetzt erscheint? Luzifer, der Zauberer, und nicht die nackten Beinchen. Es ist unglaub- lich, was dieser Mann noch alles zaubern kann: Fähnchen, Tücher, Eier, nur eins zaubert er nicht herbei, die nackten Beinchen. Auch eine Jung- frau zum Zersägen hat er leider nicht vorrätig. Schließlich ist das Variet6 aus. Zauberer Luzifer weg, Variet& aus! Ein Teufelskerl, dieser Luzifer, macht das ganze Variet6 allein ohne nackte Bein- chen. Man muß sich die nackten Beinchen ver- kneifen. Ja, das müssen die Grenadiere, os ist sehr traurig. Enttäuschte Kommißstiefel kämpften sich heim- wärts durch den Brei, Vielleicht kommen die nack- ten Beinchen später mal, man soll die Hoffnung nicht aufgeben, Da brennt ein Haus! Es Ist die Sauna. Sie müssen das wissen, daß in Rußland Häuser sehr plötzlich anfangen zu brennen. Es Ist das nichts Aufregendes welter. Viel geht nicht dabei verloren. Nitschewol Aber seinen Spaß, den hat man daran. Was soll Ich Ihnen sagen, vor der Tür des Hauses — es brennt lichterloh — er- scheinen nackte Beinchen. Braune, sehnige, be- haarte, frisch gewaschene Beinchen. Landserbein- chen! Schneller als die Beinchen war das Feuer gewesen. Die Beinchen hatten die dazu gehörigen Unterhosen nicht mehr erreicht. Schicksall Direkt aus der Badetonne mußten die Beinchen das Weite suchen. Da stehen die Beinchen nun, sie sind etwas unsicher, merklich von dem Ablauf der Geschehnisse nicht erbaut. Ja, lieber Leser, so kamen die Grenadiere doch noch zu dem Anblick nackter Beinchen. Nicht zu den richtigen, ersehnten Beinchen, Nein, gewiß nicht. Es mußte wohl so sein, daß die Mädchen- beinchen der Zukunft vorbehalten bleiben sollten Wie meinen Sie? Ja, ganz recht, wie der Urlaub. Schließlich sind Mädchenbeinchen ja auch etwas ganz Seltenes, 30 km sind da noch nicht immer ausreichend. Man fährt da besser gleich mit der Eisenbahn, das Ist sicherer. Dann nähert man sich jedenfalls ‘ganz bestimmten Beinchen, das. ist immer das Beste, Sie wissen das sicher auch. Es kann vorkommen, daß die Beinchen dann sogar etwas entgegenkommen, wenigstens bis zum Bahnhof. Aber wie ich Ihnen schon sagte, darauf müssen die Grenadiere noch etwas ‚warten und übrigens, ihren Spaß haben sie doch gehabt, die Grenadiere, oder meinen Sie nicht? Plänkelei {R. Kriesch) „Euere Jerippe sind ja for 'nen Mann bloß 'n fleischloser Tag!" „Na ja, und du bist dafür bloß Stammjericht!“ Scaramuccia: “] vostri scheletri per un vomo sono soltanto un giorno di magrol,, “Eh si; ma tu all’ incontro sei soltanto una pietanza usualel,, 359 Der Tiger - La tigre RAUM UND ZEIT VON SCHLEHDORN Rolfwolf und Christheide treffen sich unter der Normaluhr, Adam und Eva trafen sich nicht weit vom Baum der Erkenntnis. Der Hans und die Grete unter dem Denkmal von Goethe. Irgendwo wer- den sich die Betreffenden immer treffen. Uber die Normaluhr ist schon viel geschrieben worden. Regierungsrat Julius vergleicht sie einer gewissen Art von Beamten, die entweder im Dienst sind, korrekt ohne Erbarmen, oder entschul- digt durch ein Pappschild „Außer Betrieb”, also in Urlaub oder in Reparatur. Schon der Name „normal“ klingt anspruchsvoll und langwellig, aber keiner hat den Mut, es nicht sein zu wollen. Dabei sind nicht nur Trottel, sondern auch Genies nicht normal, also gäbe es immer eine Entschul- digung. Die Normaluhr Ist auch einer der Fälle, wo die Technik leicht taktlos wird. Für ihn zerlegt sie die Wartezeit in perlodische Lieferungen zu 5 Mi- nuten (die 5 wird auf dem Zifferblatt nicht etwa durch Zahlen dargestellt, sondern durch Blöcke. Sachlich — häßlich + unpraktisch.) Sie serviert ihm die Gefühlsskala: geschmeichelte Eitelkeit (sie kommt!) — Unruhe (kommt nicht!) — Erwar- tung (kommt!) — Ärger (kommt nicht!) — Sehn- sucht (kommt!) — verletzte Eitelkeii (kommt nicht!) — alle 5 Minuten neu. Für sie ist die Normaluhr ein ferngeleiteter Vor- wurf der Verspätung. Aber der Vorwurf wird der Normaluhr auffallenderwelse meist nicht übel- genommen. Es gibt auch pünktliche Frauen, — aber die sind hernach gestrenge Herrinnnen, und verzeihen we- der kleine Feuer für fremde Damen, noch Asche auf dem eigenen Anzug. Dann gibt es Frauen, die 5 Minuten zu früh kom- men, — vor denen hüte dich; denn in den 5 Minu- ten kann man nur kritisieren oder spionieren oder intrigieren. Frau Dorette kommt immer mit einer reizenden Verspätung, entweder mit ihrem Lächeln oder mit ihrem Wagen voll Grazie um die Ecke, — warum hat noch kein Maler Venus am Volant gemalt? Und es Ist so hübsch zu hören, was sie gerade in den Minuten der Verspätung alles erlebt hat. Die Normaluhr ist im Grunde ironisch. Sie weiß, daß ein Rosenstrauß rettungslos lächerlich wird, wenn man ihn zwanzigmal auf kleinem Raum hin und her tragen wird, Und ebenso traurig abge- blüht wirken die Versetzten (männliche Sorte) und die Sitzengebliebenen (weibliche), deren Tragik es ist, daß sie sich komisch finden, und die sich ebenso genieren, noch zu bleiben, wie schon zu gehen. Eine taktvolle Kommunalverwaltung sollte vor jeder Normaluhr zwei Elektrische halten lassen, — zwei, denn wenn eine kommt, warten alle mit läs- siger Miene gerade auf die andere. Und ein Findiger wird das Kennenlernen zwischen den versetzten Herren und den sitzengebliebenen Damen arrangieren. Sie kennen sich ja bereits vom Ansehen, Sie haben sich gegenseitig nichts vorzuwerfen. Und im Kunstdung der Resignation erblüht manch stilles Glück. Aber dann würden 360 (A. Paul Weber) Schwarzwartende kommen, die gar nicht verab- redet sind, sondern nur am Ausverkauf profitieren » wollen... Als Rolfwolf gerade im Begriff ist, zu gehen (man ist Immer gerade im Begriff, zu gehen), kommt Christheide, „Mensch, sagt sie In moderner Sach- lichkeit, „da bist du ja.” „Ich wäre jetzt woanders hingegangen“, brummt er. Damit bringt er Jedoch das Raumproblem in die Sachbetrachtung, die der geneigte Leser bis- her nur unter dem Gesichtspunkt des Zeitproblems vorgenommen haben dürfte, * Zugleich mit Rolfwolf und Christheide treffen sich nämlich der Raum und die Zeit unter der Normal- uhr. Denn wenn sie nicht zusammenträfen, ver- fehlten sich alle. An der flachen Normaluhr zur richtigen Zeit ist um nichts besser, als umgekehrt, und die Formel für Pünktlichkeit ist Wurzel R -+ Z — Pü oder ähnlich. Die Zeit Ist zierlich, geradezu ein Strich, etwas nervös, — deshalb so reizvoll in der Jugend und im Alter so lästig. Sie hat immer neue Namen, z. Z. heißt sie Inge, Er, der Raum, ist breit, man merkt ihm seine drei Dimensionen an, und wenn er einen Vornamen hätte, hieße er Max. „Ei, du liebe Zeit“, sagte er gemütlich, „wie geht's?” „Ach, der alte Raum, wie steht's?” „Danke, zeitgemäß“, sagte der Raum, „ich bin ganz voll Geopolitik. Und Sie?" „Ich komme schon gar nicht mehr zu mir selber. Ich werde immer weniger bei so vielen Verkehrs- einrichtungen, mit denen man hier zehn Minuten, dort zwei Minuten spart.” „Und was macht man mit den gesparten Minuten?” „In denen arbeitet man” fieberhaft neue Zeit- ersparnisse aus.” „Ja', sagte er überlegen, „und dabei leben Sie jeden Augenblick von der Hand in den Mund, aus der Zukunft in die Vergangenheit, Ich dagegen bin immer komplett gegenwärtig.” „Erlauben Sie mal”, erwiderte die Zeit, „Ich bin, nach Kant, die formale Bedingung a prlorl aller Erscheinungen überhaupt. Sie nur die for- male Bedingung aller äußeren Erscheinungen. Und wenn diese Erscheinungen nicht wären, lägen Sie leer da, wie eine Schaupackung im Laden- fenster.” „Und Sie wären überhaupt nicht dal Nach neue- ster Forschung sind Sie doch nur meine vierte Dimension.” Der Raum wollte so welterstreiten. Aber die Zeit hatte dazu keine Zeit. Denn es war eine bedeutsame Zelt und mußte repräsentieren. „Bis sich so was im Raum herumgesprochen hat!” dachte sie kopfschüttelnd, winkte Ihrer treuen Dienerin, der Normaluhr zu, ließ den Raum stehen und enteilte, ? * Auch Regierungsrat Julius ging unter der Normal- uhr auf und ab. Und dachte nach über Zeit und Raum. \ Man hat immer zu wenig Zeit, außer beim Warten, d. h, dann merkt man sie am meisten. Den Zahn der Zeit merkt man eben auch nur, wenn er hohl Ist. Und in dem unendlichen Raum der großen Stadt, Ja der ganzen Welt, interessiert einen nur das einzige erwartete Wesen, Mit dem Ist man durch eine gedachte Linie verbunden, aber diese ge- dachte Linie ist aus Gummiband, Und von allem was da kreucht und fleucht, Interessiert einen nur die einzige Autonummer 5726. Das Warten nennt Treitschke eine aristokratische Kunst, Militässund Damen erziehen uns dazu. War- ten will nicht als Tortur, sondern als Vorfreude angesehen werden, oder wenigstens als beides zugleich, mit den verklärten Augen des Märtyrers, In möglichst wenig Zeit möglichst viel Raum hin- ter sich bringen, — das Ist der Sinn der Verkehrs- unternehmungen. Der Sinn des Ruhestands ist genau das Umgekehrte. Zuletzt braucht man nur noch einen Sessel, Zum Urlaub gehört, daß man die Zeit laufen läßt und den Raum genießt; See oder hohe Berge oder Himmel. Der Horizont ist immer so welt, wie du gekommen bist. E Im Dienst Ist das Problem sauber gelöst: die Amtsräume sind numeriert (Regierungsrat Julius hat Nr. 217), und die Dienstzeit Ist durch Verord- nung geregelt, — Warten ist eine poetische Tätigkeit (es kommt nur darauf an, auf wen). Man denke an Penelope oder Gudrun oder Iphigenie. „Es stunt ein frouwe alleine und warte uber hei- den...”, singt Dietmar v. Eist. Das Bildchen Ist so hübsch, daß den Illustratoren verboten sein sollte, es zeichnen zu wollen, „Ich kam gegangen zuo der ouwe dö was min friedel komen &" singt Walther von der Vogelweide, d. h. unter den Linden an der Heide hatte sie ihn also warten lassen (um 1200). F „Kust er mich? wol tusendstunt, tandaradeil” (Heute würde man sagen: „Mensch, primal) Oder man hört bei Mozart den Grafen und Su- sanne: „Du kommst in Garten?” — „Ja.” — „Läßt mich nicht warten?“ — „Nein," „Läßt mich nicht warten?” — „Ja.“ — „Ja?l" — „Ihr findet mich bereit!" Worauf dann Susanne den Grafen versetzt, was In diesem Fall ganz in der Ordnung ist. — Es sollte einer die Geschichte des Wartens schrei- ben, vielleicht ein Beamter im Wartestand, der im Warthegau lebt... In diesem Augenblick kam Dorette angefahren, hielt mit lautlos überlegener Eleganz genau vor ihm, lud ihn ein, neben Ihrem Führersitz Platz zu nehmen, „Raum ist in dem kleinsten Wagen”, lächelte sie, „und bis zum Abendessen ist noch zwei Stunden Zeit...“ Die armen Seelen, die noch unter der Normaluhr Höchstleistung = La piö superba impresa {F. Bleyer) „Paß mal auf, Fritz, nun mache ich mich so schön, daß die Mächens um 'nen Kuß von mir stundenlang Schlange stehen!“ “Attenzione, Fritz! Adesso mi faccio sl bello che le ragazze/per un mio bacio faranno ore di cdot, im Fegefeuer des Wartens standen — es sind immer andere, aber Immer welche da —, sahen ihnen mit unerlösten Blicken nach. Tachometer und Manometer taten ihre Schuldig- keit. Sie sind von Raum und Zeit vorübergehend angestellt, während Meridiane und Normaluhren 361 als Berufsbeamte fungieren. Und den Nutznießern der technischen Epoche klang als lieblicher Ton der Radau, fandaradeil, des Straßenverkehrs Unter den Linden. Und wieder hatten. sich Raum und Zeit getroffen, — aber beide wurden vergessen ..,; Kritik (X. Helligenstaedt) „Na, und was sagt dein Mann zu deiner Malerei? „Er sagt: ‚Die Verknappung der Pinsel wird sich noch segensreich auswirken‘! Critica: “Ebbene, che dice tuo marito della tua pittura?,, — "Egli dice: 'La penuria dei pennelli apporterä I suoi buoni frutti,!,, 362 KLEINES ABENTEUER VON HANS FAHRWOHL Mein Leben, das Leben einer Frau, ist wunderbar ruhig verlaufen, ohne alle Abenteuer. Ich bin Ber- linerin und habe fast das ganze Leben in meiner Vaterstadt verbracht. Man sollte meinen, eine Weltstadt trüge ganz von selbst das eine oder andere Abenteuer an seine Bewohner heran — aber nein, ich habe nichts davon zu spüren be- kommen. Ich eigne mich wohl nicht für Abenteuer, deshalb haben sie auch meine Wege nicht ge- kreuzt, Nur einmal habe ich ein Erlebnis gehabt, das außerordentlich merkwürdig war, ein Erlebnis, das zwar mein Innerstes nicht berührte, das aber von einem so märchenhaften Schimmer umflossen ist, daß ich es heute erzählen möchte. Es war ein schöner, sonnenverklärter Nachmittag, Ich war Jung, saß in hellem Kleid auf einer Bank im Tiergarten und sah den vorübertreibenden Spazlergängern zu. Die Sonne spielte auf dem Weg und auf dem saftgrünen Rasen, zuweilen schrie eine Ente vom Teich herüber, und durch die Luft schwangen sich mit weichem Flügelschlag große Waldtauben von Baum zu Baum, Unter den Spaziergängern bemerkte ich einen schlanken, gut aussehenden Mann, der mich, er ging sehr langsam, mit seinen braunen sympathl- DIE WEINKUH Lieber Ringelnatz, ich sage es in einem Satz Daß du lebst, ist keine Frage! Dem Zauberer Kutteldaddeldu ließ Gott einmal das Kunftftück zu: Ein Rind fo zu bezaubern, daß ihm Wein entfloß wie einem Faß. Er melkte es drauf Tag und Nacht und es hat viel Ertrag gebracht; der befte Rüdesheimer floß aus feinem Euter Dich und groß. Und dürftete man überall, die Weinkuh fand in Kuttels Stall und war bereit als gutes Tier; ich trank bisweilen auch von Ihr. Wir Iiebten und wir lobten fie, wir zechten und erprobten fie; es war ein Jubel immerzu in Kuttels Stall um Daddels Kuh. Doch einmal endet jedes Glück, der liebe Gott zog fich zurück und fagte eines Tages: Halt - ihr ruiniert fie mit Gemalt! Ste foll nun wieder milchen. Punkt, Da war'n wir alle eingetunkt und meinten, weil fie milchen follt’ und haben Gott kein’ Dank gezollt. So geht es hin, fo geht es her, der Zauberer zaubert längft nicht mehr; er ift beim lieben Gott zu Gaft und macht nach all dem Zauber Raft. Peter Scher Vorlag und Druck: Knorr anstalten entgegen. — Bezugspreise Hirth Kommanditgesollschaft Varantwortl. Schriftleiter: Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus Einzelnummer 30 Pf.; Abonnemen! schen Augen aufmerksam betrachtete. Es dauerte nicht lange, da kam er von der anderen Seite her wieder an mir vorüber und richtete seine wie verwunderten Augen von neuem auf mich, so daß ich mir sagte: jetzt ist es Zeit, daß ich aufstehe und weiterwandere, Ich erhob mich also und schritt unter den von der Sonne des Nachmittags goldig durchwobenen Baumkronen gemächlich dahin. In der Nähe des Lützowplatzes trat ich in die Stadt ein, begab mich in eine mir vertraute Konditorei und ließ mich an einem derwelßgedeckten Tische nieder. Es dauerte nicht lange, da öffnete sich die Tür, und der schlanke Mann mit den sympathischen braunen Augen trat ein, Jetzt passiert eiwas, sagte ich mir. Er kam an meinen Tisch, verbeugte sich leicht und fragte in ruhiger, zurückhaltender Weise, ob ich erlaube, daß er an meinem Tisch Platz nehme. Es würde ihm eine besondere Freude sein. „Nein“, sagte ich lächelnd, „ich möchte, daß Sie sich nicht zu mir setzen.” „Das bedauere ich aufrichtig”, erwiderte er, „es wäre mir so wichtig, mich mit Ihnen zu unter- halten.“ „Nein“, sagte Ich In entschiedenem Tone, doch ohne unfreundlich zu sein, „bitte nicht.” „Darf ich Sie dann wenigstens bitten, mir Ihre Adresse zu geben?“ fragte er, „ich möchte Ihnen ein paar Worte schreiben — nicht jetzt, sondern erst nach Jahren. Wollen Sie?” „Gut”, entgegnete ich. Es schien mir zwar voll- kommen rätselhaft, warum er mir nach Jahren schreiben wollte, aber ich sagte mir, das ist kein Risiko für mich. So holte ich das Notizbuch aus der Handtasche, riß einBlatt heraus, schrieb meine Adresse darauf und gab es ihm. Er nahm das Blatt, verneigte sich, bedankte sich mit ein paar kurzen freundlichen Worten und verließ den Raum. Ich sehe noch, wie er mit seiner aufrechten und biegsamen Gestalt, ohne rückwärts zu blik- ken, die Konditorei verließ. Sonderbar, dachte ich, es ist völlig unbegreiflich, was das heißen soll. Ein sympathischer, vielleicht sogar ein reizender Mensch, doch von einem Ver- halten, das für mich ganz undurchsichtig ist. Dann machte ich mich an die Schokolade, die duftend vor mir stand. Mitunter dachte ich noch an die kleine Szene zu- rück, schließlich entschwand sie aus meinem Ge- dächtnis. Genau nach fünf Jahren erhielt Ich einen Brief, Auf dem Umschlag eine Handschrift, die ich nicht kannte, und der Name eines Absenders, der mir gleichfalls unbekannt war. Ich öffnete und las mit wachsendem Erstaunen das folgende: „Heute endlich schreibe ich Ihnen den Brief, den ich Ihnen versprochen habe. Fünf Jahre sind seit unserer Begegnung verflossen. Heute endlich möchte ich Ihnen eine Aufklärung geben für das, was damals geschehen Ist. Ich war verlobt, aber nach einiger Zeit traten Zwelfel in mir auf, ob meine Wahl die richtige sei. Unruhe erfüllte mich, Bedenken stürmten auf mich ein, Ich war unentschlossen, was ich tun sollte — da sah ich Sie an jenem heiteren Nachmittag auf der Bank im Tiergarten, und ein schnelles Gefühl nahm von mir Besitz: hier Ist ein Mensch, der ver- mutlich ganz anders zu dir paßt als deine Ver- lobte, mache den Versuch, ihn kennenzulernen, vielleicht wird dein Leben erst jetzt in die rich- tige Bahn geleitet, versuche das Schicksal mit aller Kühnheit zu dir herüberzuziehen. So sagte ich mir und folgte Ihnen. Wie ein ver- lockendes Versprechen schritten Sie in der Sonne vor mir her. Sie ahnen nicht, was damals alles in mir durcheinanderstürzte. Ich nahm mir vor: Wenn Sie sich mir geneigt zeigen sollten, so wollte ich alles daransetzen, Sie zu gewinnen. Würden Sie mich deutlich abweisen, so wollte ich mich mit meiner Verlobten verbinden, so wie es von An- scheint wöchentlich © (Formnruf 1296). Br mal, Bosiellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandi, wenn Porto beiliegt, — fang an geplant war. Die Vorsehung sollte spre- chen: mit diesem Vorsatz betrat ich kurz nach Ihnen die Konditorei — und erfuhr eine so ener- gische und deutliche Abweisung, daß mein Weg klar vorgezeichnet war. Ich heiratete nach kurzer Zelt meine Braut, und heute, nach fünf Jahren, kann ich sagen: unsere Ehe hat sich zu ‚einem Glück entwickelt, wie ich es kaum zu hoffen gewagt hatte. Wir haben zwei reizende Kinder, die unser Stolz und unsere Freude sind und uns das Dasein verschönen, Es ist alles in Ordnung, und unser Leben geht einen ruhigen, klaren, beglückenden Gang. Dieses wollte ich Ihnen schreiben, damit Sie end- lich eine Aufklärung bekommen für mein Verhal- ten von damals, das Ihnen sicher äußerst wunder- lich erschien. Leben Sie wohl und haben Sie Dankl" Ich hielt die Zeilen nachdenklich in der Hand, und jener sonnige Nachmittag vor fünf Jahren stieg wieder vor mir auf. Ich sah ihn wieder mit seinen großen, verwunderten Augen Im Tiergarten lang- sam an mir vorüberschreiten — und dann die Szene in der Konditorei, wo er mich in so zurück- haltender Weise fragte, ob er bei mir Platz neh- men dürfte. Ich gestehe, es hätte mich damals schon interessiert, mich ein Weilchen mit ihm zu unterhalten, doch kam für mich nur eins in Be- tracht: Ihn unbarmherzig abzuweisen. Meine Wei- gerung war wohl begründet. Ich hatte nämlich jene Konditorei aufgesucht, weil ich mich mit — meinem Mann dorthin verabredet hatte. LIEBER SIMPLICISSIMUS 10. Nückel) Wer schlecht reist, hat es sich selbst zuzuschrei- ben. Ich gebe euch hier das Rezept zum ange- nehmen Leben, ein kleines Erlebnis auf der Eisen- bahn: Ich saß im Zug von Wien nach Berlin. Das Abteil war übervoll, Ich zog eine Tüte aus der Tasche. Entnahm ihr einBonbon und schob es in den Mund. Das ganze Abteil schaute neiderfüllt. Eine Dame, dick und rund, fragte genäschig: „Hätten Sie auch eines für mich?” „Aber gern, gnädige Frau.” Ich hielt ihr die Tüte hin. „Sehr liebenswürdig!” „Wollen Sie nicht noch eines?” „Wenn ich darf?“ Sie durfte. Ich blickte mich in der Reihe um. „Wünscht noch jemand von den Herrschaften ein Zuckerl?” Alle wollten, Sie schleckten und schleckten. Darf ich verraten, daß ich von Prag an herrlich bequem im Abteil saß? Denn immer wieder ver- ließ dieser oder jener der Mitreisenden in höch- ster Geschwindigkeit das Abteil, um so bald nicht wieder aufzutauchen. Die Tüte enthielt bis auf mein erstes Bonbon Laxinkonfekt. IHR. * Rudi erzählt Bobby: „Du, denk dir nur, der Baron Schreckenstein, dessen Frau erst vor einem halben Jahr gestorben ist, hat sich schon wieder verlobtl" Meint Bobby: „Nur gut, daß die arme Baronin... das nicht mehr erlebt hatl" FH. fanschrift: München 2 BZ, Brieffach. Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München Im Kabarett der alliierten Komiker (Erich. Schilling) „Und nun meine Herrschaften werden Sie sich totlachen über den Grotesksong des kleinen Emigranten: ‚Ich glaube immer noch an die Atlantik-Carta'!' Nel tabarino dei comici alleati: "Ed ora, signori miei, scoppierete dalle risa al canto grottesco dei piccoli emigranti: *Dell' Atlantico alla Carta io credo ognor ... io credo ognor,!,, 364 | In ä München, 7. Juli 1943 =; 48. Jahrgang Nummer 27 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN G Vm AÄLLIIERTEN G G SIE GESRAUSCHT ETIIITER „Halt, halt, noch keine Siegesmeldung ausgeben, das ist ja keine Insel, das kommt nur von einer Fliege!“ Alleati ebbri di vittorie: “Alt, alt! Non date fuori ancora nessuna nolizia di vittoria! Non & un’ isola, ma solo un... escremento di moscal,, / Ukrainische Landschaft - Paesaggio ucraino os. Oberbergar) Der Achtzehnhundertsechsundsiebziger Gestern gab ihn mir die Kellnerin belm Wechseln heraus. Es war ein ganz gewöhnlicher Pfennig, ein kupferner. „Ach, Verzeihung, der gilt nicht mehr”, sagte sie und wollte ihn wieder zurücknehmen. Ich bat sie, ihn mir zu überlassen. Ich besah ihn genauer, er trug die Jahreszahl achtzehnhundert- sechsundsiebzig. Das war sein Geburtsjahr, sein Prägejahr. Siebenundsechzig Jahre ist er heute alt, ein Pfennig in den besten Jahren, ziemlich gut erhalten. An der Oberfläche etwas abge- griffen, aber was kann man schon von einem Siebenundsechzigjährigen anders erwarten. Na, und außer Kurs gesetzt ist er auch schon. Er ist halt im Ruhestand, „Deutsches Reich” ist deutlich auf Ihm zu lesen. Fünf Jahre war dieses deutsche Reich damals alt, als der Pfennig mit blankem Prägeglanz In die Welt: schaute. Der alte Kalser Wilhelm regierte, und Bismarck lebte und Moltke, und viele, von denen man heute spricht, lebten noch nicht. Man telefonierte noch nicht damals, Benzin diente nur zum Flecke reinigen, das Fliegen war eine Spezialität der Vögel und Insekten, und Rundfunk — ach du lieber Gott, wer wußte da- mals was vom Rundfunk, die Ätherwellen steckten in den Kinderschuhen; in der Luft und in der Stratosphäre herrschten geradezu paradiesische Zustände. So war es damals, als mein neuer Freund seine Wanderschaft begann. In Berlin kam er zur Welt, wie aus seinem Münzzeichen erkennbar ist, in einer ziemlich kleinen Stadt Berlin, die gerade groß werden wollte. Es waren die Gründerjahre, und mein Pfennig mag damals schon nicht viel ge- golten haben, damals, als die Maurer mit der Droschke zum Bau fuhren, so viele silberne Mark- stücke erhielten sie, hat man mir erzählt. Er mag viel erlebt haben, der Pfennig, aber es waren sicher die kleinen Erlebnisse kleiner Leute. Wie oft mag er letzter Pfennig gewesen sein? Er ‚ging durch müde Bettlerhände und durch kleine Kinderhände, die für Ihn ein Zuckerl kauften. In große Spekulationen war er gewiß niemals ver- wickelt. Vielleicht machte er Reisen In den Taschen von Handwerksburschen, kreuz und quer auf Deutschlands Landstraßen, bis er bei mir in Mün- chen landete. Es ist ein treuer Pfennig, ein wertbeständiger, Er hat die Stürme dieser ganzen Zeit durchgehalten. Was ist aus seinen Brüdern aus Nickel geworden? Metallplätichen von geringem Wert. Aber der alte Pfennig war geblieben. Wer wird auch einem Pfennig etwas tunl Er hat durchgehalten durch die schlimme Zeit der Inflation, irgendwo in einer alten Geldbörse, in einem Täschchen, wo er neben Spielmarken lag, dieser lächerliche Pfennig, von dem man damals dreißigtausendmillionen Stück haben mußte, um eine einzige Semmel zu kaufen. Es war eine schlimme, unwürdige Zeit für meinen Pfennig, .bis er wieder geehrt wurde und seinen Jüngeren Brüdern gleichgeachtet. Und nun ist er wieder zum Kupferscheibchen geworden, und alles was draufsteht hat keine Bedeutung mehr. Ich habe diesen Achtzehnhundertsechsundsiebziger wieder In ein Kästchen getan zu den Spielmarken, dem falschen Frankenstück und den beiden Trach- tenknöpfen. Bin doch gespannt, was der noch or- lebt. Foitzick Kleines Malhör mit Moral Ein Gartenrötel, dumm und jung, - noch eben faß eo auf der Eibe - flog gegen meine Fenfterfcheibe. Ergebnis: Hirnerfchütterung. Da liegt's nun zwifchen den Violen. Stirbt’s? Oder wird es fich erholen? Das arme Kerlchen tut mir leid. Ich ftreichle facht fein Federkleid und fet' es auf die flache Hand. Sein Atem fliegt, die Füßchen krallen fich feft und leiten Widerftand, Doch fehließlich läßt es fich's gefallen. - Wie herzerquichlich zeigt fich hier der Einklang zwifchen Menfch und Tier! +... Auf einmal wird er unterbrochen. Die neuerwachten Pulfe pochen, und - fchmupp - das Vöglein trennt von mir fich pfeilfchnell und zwar in Richtung Pfirfich, mit Hinterlegung einer Gabe, für die ich nicht Verwendung habe, Darf ich dem Rötel feinen kargen Befitsftand an Fiduz verargen? Zwar bin ich felbft kein Böferoicht. Doch wer fich wahrhaft auskennt, fpricht: Trau’ keinem homo sapiens nicht! Ratatöchr Polnische Funkreportage aus dem Sowjetparadies (E. Thöny) N Ah vr 1»... und wir Polen sehen in der Sowjetunion einer gesicherten Zukunft entgegen! Radiocorrispondenza polacca dal Paradiso dei Sovieti: '*... e noi Polacchi nell'Unione Sovletica ci aspettiamo un sicuro avvenirel'" 367 PIEPENBRINKS RAPPEL Piepenbrink ist der guimütigste Mensch von der Welt. Aber da er zwei Zentner wiegt und ein wenig zu Schlagfluß neigt, drängt das überschüs- sige Blut manchmal unerwartet nach oben. Dann wird er von Jähzornsausbrüchen heimgesucht, die ihn nicht weniger überraschen als andere. Da sitzt er zum Beispiel am Nachmittag in seinem Polsterstuhl. Die altmodische Meerschaumpfeife, die schon der Stolz seines Vaters gewesen war, dampft gemütlich; ebenso der duftende starke Kaffee. Alles scheint einen Zustand wahren Be- hagens einleiten zu sollen. Plötzlich schießt Piepenbrink die Erinnerung an einen Bekannten durch den Kopf, der ewig seine Rechnung nicht In Ordnung bringt, sich obendrein Geld auslelht und endlose Zeit nicht zurückzahlt, Eine fahrige Bewegung mit der Hand, der die be- tühmte Pfeife anvertraut Ist, läßt sich nicht ver- hindern. Die tlefroten Backen gehen ins Bläuliche über; Ja man kann ruhig sagen, die Farbe nähert sich dem Violett. Die Füße wer- den angezogen, der Körper be- reitet sich mit einem Ruck zum Aufspringen vor. Noch scheint der Anfall abklingen zu wollen — da,gibt eine abermals hochstür- mende Blutwelle den entschelden- den Anstoß, Piepenbrink springt empor, wirft die Pfeife hin, stürzt aus dem Zimmer, blickt sich draußen gleich einem gerelzten Stier In der Arena um, erwischt einen Gegenstand, zertrümmert Ihn wortlos und kehrt aufatmend in sein Zimmer zurück, um nun in vollem Behagen seine Pfeife wieder zur Hand zu nehmen und seinen Mokka zu schlürfen. Auf diese Art hat er im Verlauf des letzten Jahres Spazierstöcke, Bilder, Kaffeemaschinen und son- stige Gegenstände zwar dem wirtschaftlichen Umlauf entzogen, aber durch Neuanschaffung dop- pelt wieder eingefügt. Einmal entging er mit knapper Not der Versuchung, die schon etwas morsche Haushälterin gleichfalls in Ihre Bestandteile zu zerlegen; zum Glück hatte sich im letzten. Augenblick die ihm angeborene Gutmütlgkeit aber doch noch zur Geltung bringen können. Na, schön und recht — solange er zum Ausgleich seiner An- wandlungen nur tote Dinge be- schädigte, ging es Ja an, denn es war seine Sache, wie er sich benachteiligte, um sich zu nützen. Aber eines Tages, bei einem be- sonders heftigen Rappel, geschah das Ungewöhnliche, daß der Zu- stand Formen annahm, die be- denkliche Folgen zeitigten. Piepenbrinks Nachbar, Gendarme- riekommandant Kühhagel, hatte ihm in der vorigen Woche beim Tarocksplel eine Schlappe bei- gebracht, die seinem Ansehen als Meisterspieler ernsthaft Ab- bruch tat. Das Ereignis, von dem die ganze Stadt sprach, hatte Piepenbrink stark geärgert. Im- merhin wurde es durch auf- regende berufliche Vorgänge ver- drängt und die Herren begegne- ten einander, als ob nichts ge- schehen wäre. Alles schien in bester Ordnung. Erfahrung VON PETER SCHER Da, als Plepenbrink eines Nachmittags bei Kaffee und Pfeife saß und eben in die Gefilde süßen Behagens eingehen wollte, meldete sich der ver- dammte Rappel besonders heftig. Die Vorstellung seines Unterliegens bei einem Spiel, dessen siegreiches Bestehen jedermann von ihm erwartet hatte, spiegelte sich auf einmal als eine Schmach von fürchterlichen Ausmaßen in seinem Hirn. Er sah den Kommandanten in der Haltung eines höhnisch überlegenen Gegners den besten Tarockern des Stammtisches Vortrag halten. Das Blut stieg ihm siedend hoch. Herr-remm! hustete er wütend, dann schmiß er die Pfeife hin, sprang hoch, daß der alte Lehnstuhl ächzte, stürmte hinaus und zwar mit solchem Ungestüm, daß er, wie von einem Katapult geschleudert, auf der Straße vor dem Haus landete, wo er einem im selben Augenblick vorüberkommenden Herrn eine saftige Ohrfeige verabreichte. Alles ging blitz- arig vor sich. Piepenbrink wußte beim besten Esperlenza „Brauchst keine Angst zu haben, Mädel, ich bin ein anständiger Mensch!" „Ja — Ja —, dös san zuerst die meisten!" "Nessuna paura, ragazza! lo sono un uomo onestol,, “Gid....glä... lo sono da principio i plü!,. 368 Willen nicht, wie er dazugekommen war — und der Fremde, der sich fluchend die Backe rieb, wußte es noch weniger. Das Vorkommnis hatte betrübliche Folgen, denn der, dem die Ohrfeige eigentlich gegolten hatte, nämlich der Kommandant Kühhagel, war Im Hause gegenüber gerade am Fenster gewesen und so- mit Zeuge einer Tathandlung geworden, die nach gerichtlichem Austrag verlangte. Derjenige hin- gegen, der unschuldigerweise die Ohrfeige emp- fangen hatte, war ein angesehener Geschäftsmann aus der Hauptstadt, der eigens In das entlegene Städtchen gereist war, um Piepenbrink in einer Darlehnsangelegenheit ein sehr erwünschtes An- gebot persönlich zu überbringen. So kann es kommen, wenn man sich hemmungs- los den Urgewalten überläßt, Daß er für seine menschenfreundliche Ansicht ge- ohrfeigt worden war, erschien dem Fremden als eine Missetat, die nach fürchterlicher Sühne schrie. Er schäumte vor Zorn und über- häufte Piepenbrink mit Beschimp- fungen, die wiederum als Unter- lage zu einer Gegenklage Ihrer Bedoutung nicht verlustig gingen. So war denn binnen einer Viertel- stunde aus dem friedlichsten Zu- stand der Welt ein Chaos ent- ‚ standen und nur, weil Piepen- brink, der die Gutmütigkeit in Person ist, ausnahmsweise nicht an Dinge, sondern an ein Mit- geschöpf Hand anlegte. Verstimmt und erschüttert begab er sich zu- rück in sein Zimmer. Die kalte Pfeife in den Händen, nippte er am kalten Kaffee und eine dunkle Frage ging ihm durch den Sinn: Wie er künftig eine allenfalls notwendig werdende Ohrfeige so an den Mann bringen könne, daß beiden Beteiligten damit ge- dient sei. Allerdings kein leicht zu lösen- des Problem! 0. Hegenbarth) * Mein Freund Johannes Es war ein Buch mit kleinen Ar- beiten meines Freundes Johannes erschienen. Natürlich wollten wir alle ein Exemplar mit handschriftlicher Widmung haben. Auch Frau Jo- hanna wünschte ein solches. „Aber liebe Frau”, sagte Johan- nes, „dir steht doch immer das Exemplar zur Verfügung, das ich für mich selber zurückbehalte.” „Ach, es könnte ja doch mal sein, daß wir nicht zusammen sind, und ich möchte es doch immer bei mirhaben”, hatte sie einzuwenden. „Na ja, dann gib mal eins her”, sagte Johannes, zog seinen Tinten- stift und schrieb: ‚Seiner ehemaligen Frau Johanna. Johannes.“ Frau Johanna las es. „Aber was soll denn das bedeu- ten!” rief sie bestürzt. „Nur um sicher zu gehen”, erklärte Johannes. „Es könnte ja doch mal sein, daß wir uns scheiden lassen.” J.Bileger Rotspanier in Mexiko {Erich Schilling) „Unsere Vorräte gehen zur Neige, Genosse Negrin, wir müssen wieder auffüllen!“ „Du hast recht, Prieto, wir müssen Europa retten. Dort läßt sich bestimmt etwas für uns holen!“ Spagnuoli rossi nel Messico: “Le nostre provvigloni, compagno Negrin, vanno declinando; bisogna ricompletarle!,, “Hal ragione, Prieto; dobblamo salvare I" Europa e lä c'& sicuro da pigliare qualche cosa per noll,, 369 EIN WIEDERSEHEN VON KURT GROOS Nichts, gar nichts geschah, und doch war diese Nacht für mich eine der seltsamsten Nächte, durch die ich gehen mußte, Eigentlich hätte ich weit auszuholen und von ganz früher zu beginnen. Aber es Ist so viel Unaussprechliches damals gewesen. Schließlich ist es aber auch nichts anderes, als daß ich sie zehn Jahre nicht mehr sah und sie nicht vergessen konnte; das Ist alles. Ihr Bruder, der Bildhauer, hatte uns eingeladen. Es gab genügend Anlaß für Ihn, ein Fest zu feiern und glücklich zu sein. Seine Skulpturen waren in einer Sonderschau der Hauptstadt ausgestellt worden, eine Schau, die die Blicke der Welt auf den vom Jungen Ruhm Erhobenen zog. Der festliche Abend fiel mit dem Tag der Eröff- nung der Schau zusammen. Gegen Mittag, die Menschen hatten sich verlaufen, ging Ich noch einmal durch die Säle, die des Freundes Werke bargen. Auch ihr Antlitz sah ich dort, von des Bruders meisterlicher Hand geformt aus blaßrotem Stein. Da mußte ich wieder nur an sie denken, und es war doch schon so lange her, Der rötliche Stein war wie verzaubert durch Ihre Schönheit; aber mar. konnte nicht sehen daran, daß ihr Ge- sicht wie Licht schimmerte, Wie lange'man so etwas mit sich herumträgt. Und sie hatte mir nur zweimal geschrieben, ganz im Anfang, zweimal in zehn langen Jahren, Vielleicht entsann sie sich meiner nun gar nicht mehr; sie war so berühmt geworden. Die Menschen feierten sie allüberall, und wo sie hinkam, hinterließ sie eine leuchtende Spur, weil ihr Gesicht aus lauter Licht war. Von ihrer Stimme hatte einer gesagt, daß diese Stimme Steine zum Lächeln bringe. Abends, als man den jungen Bildhauer feierte, hielt irgendein bekannter Mann eine Rede, und der bekannte Mann erwähnte auch die Schwester des Künstlers, die gefeierte Schauspielerin, und fand schöne Vergleiche von ihr zu Ihrem Bruder. Der bekannte Mann sagte, daß die Götter sich in beiden spiegelten, und am Schluß der Rede er- hoben wir uns; wir tranken auf die Kunst und auf den Jungen Ruhm und die Zukunft, auf das Glück. „Ja, sie spielt jetzt in Stockholm‘’, hörte Ich Jeman- den sagen, „schade, daß sie nicht unter uns sein kann" h Nun muß ich erwähnen, daß mich, obgleich Ich in derlei sonst nicht gerade empfindlich bin, an diesem Abend ein Mensch In geradezu abstoßen- der Weise einzig und allein schon durch seine bloße Anwesenheit verletzte. Ich habe noch nach- her geprüft, ob diese heftige Abneigung, dieser Widerwillen, ja dieses Ekelgefühl bei mir viel- leicht doch nur hypochondrisch ausgelöst waren, Aber mitgeladene Freunde versicherten später, durch seine Anwesenheit gleich unangenehm be- rührt gewesen zu sein. Auch das Hotel, das ihn zu diesem Abend schickte, bedauerte, nur ihn frei gehabt zu haben; der zuerst zum Servieren vor- gesehene Kellner war plötzlich erkrankt. Ich kann mich nicht entsinnen, Je einem Menschen mit gleich nackten Augen und einem gemeineren Mund begegnet zu sein, Als er die Speisen auf- trug, verging mir schon der Appetit beim Anblick seiner grausam wirkenden, rötlich behaarten Hände. Verwunderlich schlen mir, daß er einen tadellosen, ganz hervorragend gearbeiteten Frack und einwandfreie Wäsche trug. Aus seinen Be- wegungen konnte man sehen, daß sein Körper muskulös war; das rohe Gesicht mit den nackten Augen war das Gesicht eines Sklaven, der plötz- lich frei und frech geworden ist, ein abschreckend häßliches, allerdings sehr hartes Gesicht. Die rechte Backe war irgendwann mal zerschnitten und schlecht vernäht worden; die breite graurote Narbe saß unter dem groben Backenknochen wie der Wulst eines Peitschenhiebes. Man mache mir und denen, die er in gleicher Weise abstieß, nicht den Vorwurf, daß wir uns von Äußerlichkeiten fangen ließen — dieser Mensch, von dem ich nach vielen Jahren noch einmal hörte, fand sein Ende bei einem Flucht- versuch aus dem Zuchthaus. Weshalb er dort hin- gekommen Ist, weiß Ich nicht; Ich habe auch nie danach gefragt. Als die Gläser gefüllt wurden, kam das Tele- gramm. Ihr Bruder war außer sich vor Freude; eine halbe Stunde später holte er sie selbst vom Flughafen ab. Sie begrüßte mich zuerst. Aber das lag an nichts anderem, als daß ihr Bruder sie zuerst zu mir hinführte. Ihr Gesicht war noch immer wie aus lauter Licht, und als sie mir die Hand reichte, lächelte sie ein wenig verlegen. Es lag auch allein an ihrem Bruder, daß sie sich neben mich setzte. „Sieben Jahre, es sind doch sicher sieben Jahre, seltdem wir uns nicht mehr gesehen haben”, sagte sie. „Es sind zehn Jahre‘, sagte Ich, „zehn Jahre.” Als der Kellner mit den nackten Augen und den grausamen Händen unsere Kelche füllte, sah Ich Angelikas Augen erschreckt auf ihn gerichtet; ihre Hand zitterte ein wenig, als er den Wein in ihr Glas gab. Was mich aber am meisten verstörte, war das empörende Verhalten dieses Menschen, der während des Eingießens unverwandt und frech In dös Gesicht meiner Nachbarin starrte. Bei die- sem frechen Anstarren achtete er nicht auf das Glas; er. schüttete den Weln über den Kelchrand, über das Tischtuch und ihre schmale Hand, die zusammenzuckte, Nun aber brachte dieser Mensch das Maß meiner Verwirrung zum Überlaufen, denn statt eine Entschuldigung auszusprechen, stieß er einen gemeinen Fluch über sein Mißgeschick leise vor sich hin. Im gleichen Augenblick ließ ich mich zu der mir noch heute unverständlichen Hem- mungslosigkeit hinreißen, ihn vor das Schien- bein zu treten. Gottlob bemerkte niemand diese peinliche Entgleisung; nur Angelika sagte leise zu ‚mir hin: „Ach, es Ist ja nichts!” In dem Wider- wörtigen mit der Narbe zeigte sich plötzlich der Sklave. „Verzeihung, wie unachtsam ich warl“ flüsterte er mit ganz weicher Stimme, die gar nicht zu Ihm paßte. Und dann beugte er sich tief zu Angelika und sagte sehr leise etwas zu ihr alleln hin, das ich nicht verstand. Er entschuldigte sIch wohl noch einmal. Ich sah Angelika erröten und ihn mit seltsamen, fast erstarrten Augen an- schauen; es schien sich mit ihrem Widerwillen gegen diesen Menschen wohl auch Angst zu ver- binden. Ich glaubte in ihrem Gesicht zu lesen, wie sich das Vollendete und Schöne gegen das Hößliche und Niedrige zur Wehr setzten. Als einer der letzten Gäste varließ ich die Feier. Ich verließ sie als ein Glücklicher, denn für den nächsten Nachmittag hatte ich eine Verabredung mit Angelika treffen können. Ja, sie hatte zuge- sagt, sie erinnerte sich gern unserer gemeinsam verbrachten Jugendstunden. Aber ich sollte sie schon in der gleichen Nacht noch einmal sehen und dann nie mehr wieder, Nach der Feier konnte ich nicht nach Hause finden. Die Nacht war lau und lockend und voller Duft; eine Nacht der Liebenden. Der nahegelegene alte Park zog mich an, und Ich verlor mich in ihm wie ein Verzauberter in einem Irrgarten. Ich sah die Liebenden, Ich sah sie engumschlungen in den strauchumwucherten Seitenwegen; sie störten meine Einsamkeit nicht, denn wen sehen die Lie- benden in solchen Nächten? Es war wundervoll, so zwischen den sich Ver- fallenen einherzugehen; manchmal erhellte eine Bogenlampe das dunkle Gewirr der Sträucher und Bäume 2u funkelndem Grünspan, und dann blieb ich stehen und beobachtete die Scharen der Nachtfalter, die sich in das gleißende Licht stürz- ten, immer und Immer wieder in taumelnder Gier In das Verderben stürzten — warum wohl? 370 Auf einmal war es mir, als ob ein riesiger grauer Stein in meine Träume fiel. Mein Herz stockte, und ich blieb stehen. Und auch die schlanke mädchenhafte Gestalt vor mir und der neben ihr blieben stehen, und er zog sie zu sich und preßte sie in seine Arme, und sle gab nicht nach, sie schmiegte sich eng zu ihm hin, sie beugte das Gesicht aus lauter Licht zurück und ließ sich sel- nem Mund. Der mit der Narbe sah mich nicht, auch Angelika sah mich nicht. Auch jetzt nicht, als sie die großen Augen aufschlug. Diese versunkenen Augen sahen nichts, Inihnen waren nur Hingabe und Geheimnis. BETTLEKTURE VON KARL LERBS Nun haft du wieder zwei Stunden gelefen, und eo follte doch höchftens eine halbe dauern. Noch immer weißt du nicht: Wer ift es gemwefen? Wer tät in der Bibliothek den Finanzmann belauern, um ihn mit der Sokratesbüfte zu erfchlagen? Ach, es ift ein furchtbares Knäuel von Fragen, Da verfagt die abgefeimtefte Pfychologie. Acht ftehen zur Ausmahl. Verdächtig ift jeder. Im Leugnen find fie zäh wie Sohlenleder, aber keiner hat ein richtiges Alibl. Wars der Neffe, der Herren» und Wechfelreiter? (Wenn ja: Was enthielt das verfchwundene Teftament?) Wars der heimliche Belucher auf der Feuerleiter, den keiner kennt? Wars die kränkliche Hausdame mit dem falfchen Blich? ‚Schlug die Schaufpielerin mit dem tiefen Organ, die mehrere Zeugen um zehn ins Haus gehen fahn, den Direktor mit der Büfte ins Genich? (Gemeint ift natürlich die Sokratesbüfte.) Ja, wer das wüßte! Wir wollen auch den Chauffeur nicht vergeffen: Man fand bei Ihm einen falfchen Paß. Er hatte auf den Toten einen giftigen Haß, und er hat fchon mal wegen Urkundenfälfchung gefeffen. Na, und dann Ift da des Direktors Kollege. Die beiden haben fich immerzu angebrüllt. Sie kamen einander bei der Schaufpielerin Ins Gehege. Und wo jener abends war, ift in Dunkel gehüllt. Jedenfalls in der Zeit gegen zehn. Und er hat fich dabei die Hofe zerriffen. Womsösglich ift der Mann Ichizophren. Kann man tiffen? Wars die ftille Tante im Ichlohmeißen Haar? ‚Auch fie lag um zehn noch nicht in den Kiffen. Na - und ob der Kriminalkommiffar überhaupt einer war? Am Schluffe des Buches - Das weißt du - fteht: Es hat das Ding ein Neunter gedreht, der immer ganz unverdächtig war. Nun piekt dich die Neugier: Schlag auf und lies. Allein ein Sportsmann kann fich bemeiftern. Er läßt die ganze Verdächtigenfchar mitfamt ihren faulen Allbis durch feine nächtlichen Träume geiftern. Sei gewarnt: Du wirft dir die Hirnhaut verkleiftern. Ich kenne einen - frag nicht, wie er hieß -, der ift auf folche Weife verdorben. Er wurde immer magrer und gelber. Leider it er daran nicht geftorben. Er fchreibt jett felber. Die Folgen (R. Kriesch) „Ob wohl wieder einmal ein ordentlicher Badeanzug in Mode kommt?‘ „Kann schon sein, aber es wäre der Ruin des Familienbades!" Le conseguenze: “Che venga mai di moda un costume da bagno come s’ addice?,, “Puö essere; ma ne verrebbe la rovina del bagno di famiglial,, 371 POMPEJANISCHES PARFÜ VON JOSEF ROBERT HARRER Toronay war ein Blumennarr; deshalb hatte er auch den Beruf eines Parfümerzeugers gewählt. Von Budapest aus flogen die duftenden, beglük- kenden Kleinigkeiten seiner Produktion nach allen Himmelsrichtungen; so hatten auch Toronay-Par- füms in aller Welt einen guten Ruf. Mitten im Winter hatte Toronay plötzlich Sehnsucht nach dem Süden. Er sagte: „Ich muß wirkliche, lebende, leuchtende Blumen um mich haben!” So machte er ein paar Tage später auf seiner Reise nach dem Süden in Neapel erste Station. So sehr sich auch seine schöne Tochter Ilonka freute, sonnige Tage in Italien verleben zu kön- nen, fühlte sie sich doch einsam, weil Michael Mentös, der erste Chemiker des Betriebes, nicht mitgereist war, Auch ein junger Kunstgelehrter, ein feuriger Neapolitäner, der ihr stürmisch den Hof machte, ließ sie den geliebten Michael nicht vergessen. Eines Tages sagte der Kunstgelehrte: „Schönste Frau aus Ungarn, ich will Ihnen zeigen, wie Ich Sie schätze! Bel den letzten Ausgrabungen Unterschied = Differenza in Pompejl habe ich diese antike Puderdose ge- funden. Ich schenke sie Ihnen!” Ilonka freute sich über dieses Geschenk. Als sie die Dose öffnete, fand sie noch ein wenig Puder. Sie eilte mit der Dose zu ihrem Vater. Dieser war begeistert, „Ilonka, wenn ich denke, daß eine meiner Puder- dosen, eine Toronay-Puderdose, nach zweitausend Jahren gefunden wird! Vielleicht wird man dann staunen, was für wunderbare Parfüms wir —" „Nein, Vater“, unterbrach ihn seine Tochter, „von deinem Parfüm wird man nichts mehr spüren!” Da wurde Toronay traurig. „Du hast recht, Ilonkal Wenn man nur hinter das Geheimnis kommen könntel Wie dieser bald zwei- tausend Jahre älte Puder duftetl Was haben nur die Duftkünstler im Altertum ihren Parfüms bei- gemengt, daß sich der Duft über die vielen Jahr- hunderte hin erhalten hat! Unsere besten Parfüms, auch die meiner genialen Konkurrenten in Frank- telch, haben nur vergänglichen Duftl... Und da In dieser uralten Puderdosel Was für ein wunder- (0. Hermann) „Mein Mann ist ganz Materialist. Das Höchste Ist ihm ein Rindsbraten!* „Der meine Ist ganz Idealist. Dus Höchste wäre Ihm Burgunderschinken!" "Mio marito & un vero materialista; per lul nulla di plö sublime d’ un rosbiff “Il mio & un vero Idealista; per ul il colmo sarebbe un prosclutto di Borgogna!,. 372 barer Rosenduftl Wenn man nur hinter dieses Geheimnis kommen könntel Man würde der be- rühmteste Parfümeur der Welt sein!” „Vielleicht kann Mentös Michael —!” meinte Ilonka. „Hör mir mit Mentös auf! Du bist eben in ihn ver- liebt!“ „Er liebt mich auch, Vater!” „Ich wünsche mir Mentös nicht als Schwiegersohn! Als Chemiker schätze Ich Ihn sehr, aber —" „So laß einfach den Chemiker Mentös kommen!” Schließlich siegte Toronays Begeisterung für Par- füms, Er telegraphierte Mentös; ein paar Tage später traf dieser in Neapel ein. Er brachte seinen Koffer mit Instrumenten, mit chemischen Flüssig- keiten und mit allem, was zur Untersuchung des wunderbar duftenden pompejanischen Puders notwendig war. Tagelang schloß er sich in sein Hotelzimmer ein. Er war verzweifelt; denn er konnte nicht hinter das Geheimnis kommen. Der alte Toronay spöltelte über Ihn. „Bisher fand ich nichts anderes, als was wir Par- fümerzeuger auch verwenden!” sagte Michael bitter. „Schließlich muß ich mich damit trösten, daß sich schon seit Jahren die besten Chemiker über dem Geheimnis der Parfüms des Altertums den Kopf zerbrechen!” „Michael wird das Geheimnis finden, davon bin ich überzeugtl’ sagte Ilonka. Michael nickte dem Mädchen dankbar zu. Als dann der alte Toronay seinen Spaziergang machte, sagte Ilonka: „Ich werde dir helfen, Michaell Lach mich nicht aus! Viele Entdeckungen sind schon von soge- nannten Nichtfachleuten, von Außenseitern der Wissenschaft gemacht worden!” Sie durfte also an den Untersuchungen Michaels teilnehmen. Und bald darauf hatte auch Michael mit Hilfe des Mädchens das Geheimnis gefunden. „Ich kenne das Geheimnis, das Geheimnis des pompejanischen Parfüms!” sagte er abends zu Toronay. Dieser strahlte über das ganze Gesicht und fragte hastig, worin es bestehe. „Ich verrate es erst dann, bis ich Sie, lieber Chat, als meinen lieben Schwiegervater betrachten darf” „Erpressung! Gar nich!s wissen Sie und wollen nur —" „Ehrenwort, Herr Toronay! Ich kenne das ganze Duftgeheimnisi” Da hatte Toronay keine Ruhe mehr, er fand keinen Schlaf, er mußte Jede Sekunde nur an das Ge- heimnis denken. So gab er drei Tage später seine Einwilligung. Er fügte hinzu: „Schließlich ist es auch in meinem Geschäfts- interesse, einen so tüchtigen, vielleicht den tüch- tigsten Parfümchemiker der Welt, ganz eng an mein Unternehmen zu fesseln!” Nach der Hochzeit trat Toronay auf Michael zu. „Sol Lieber Michael, nun bin ich dein Schwleger- vater! Nun verrate mir das Geheimnis des pom- pejanischen Parfüms!” Ehe noch Michael antworten konnte, rief Ilonka lachend: „Das Geheimnis, lieber Vater, besteht darin, daß ich auf das Puder, ehe Ich dir die Dose zeigte, ain paar Tropfen Parfüm geträufelt hattel” Da wurde Toronay böse. Es kostete viel Mühe, Ihn zu besänftigen. „Lieber Schwiegervater”, sagte Michael, „vergib den kleinen Schwindel mit dem pompejanischen Parfüm! Aber was tun nicht zwei Verliebte, um ihr Ziel zu erreichen?” „Ach, ich ärgere mich weniger über euren Schwin- del; denn so kann ich noch glauben, daß der Puder seinen ursprünglichen Duft In den Jahr- hunderten doch verloren hatl Etwas anderes ärgert mich viel mehr! Und zwar, daß Ilonka kein Toro- nay-Parfüm verwendet hatte, sondern —" „Ja, Vater”, unterbrach Ihn Ilonka, „sondern ein gewöhnliches Rosenparfüm aus Neapell Aber konnte ich ein Toronay-Parfüm verwenden? Das hättest du doch sofort erkannt, Vater!” Toronay lächelte jetzt. Das stimme, meinte er. Jetzt aber müsse sie diese Puderdose sofort dem Italiener zurückschicken. Ein so wertvolles antikes Stück müsse in ein Museum kommen. „Solche Stücke gibt es genug, lieber Vater!” sagte lächelnd Ilonka. „Die werden von Andenken- Firmen am laufenden Band erzeugtl” (fr. Bilok) - Petri Heil! Buona pesca! 373 (K. Holligenstandt) „Glaubst du eigentlich an ewige Liebe und Treue?" „Selbstverständlich, falls beide Teile sehr vorsichtig sind!" 374 HOKUSPOKUS VON ERIK STOCKMARR Johansen hatte sich einen guten Fensterplatz im Zuge ausgesucht und setzte sich behaglich zu- recht, Außer ihm saß nur noch ein Herr im Abteil. Der Herr nahm eine Zigarre aus der Tasche und wollte sie anzünden, doch Johansen kam ihm zu- vor und reichte ihm ein Streichholz. Er langweilte sich immer im Zuge und wollte gerne ein Ge- spräch einleiten. Der Herr dankte und bot Johan- sen eine Zigarre aus seinem Etul an. „Danke, danke, das ist viel zuviel.‘ „Ach nein, ich habe genug davon.” „So? Sie sind vielleicht Zigarrenhändler?” Der Herr schüttelte den Kopf. „Aber woher bekommen Sie denn so schöne Zigarren?” „Aus der Luft, mein Herr. Ich bin Zauberkünstler.” „Wirklich? Das ist sehr interessant”, sagte Johan- sen. „Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle?” „Das ist nicht nötig“, antwortete der Zauber- künstler, „Sie heißen Johansen, sind Handels- reisender in Unterhosen, am 7. Juli 1893 geboren. Übrigens fehlen Ihnen am linken Fuß zwei Zehen. Stimmt, nicht wahr?” „Jawohl, das stimmt. können Sie doch ....?” „Ach, das Ist nicht schwer. Ich bin auch Gedan- kenleser.” „Gedankenleser| Sehr interessant, Können Sie vielleicht noch mehr über mich erzählen?” „Natürlich. Selbstverständlich.” „Versuchen Sie es noch einmal, bitte.” „Gerne. Lassen Sie mal sehen. Ja. Ich will Ihnen z. B. erzählen, was Sie in Ihrer Brieftasche haben.“ „Ausgezeichnet.” „Sie haben eine Photographie von Ihrer Frau, ein Aber wie in aller Welt paar quittierte Rechnungen und einige Geldzettel,” „Stimmt.“ „Und wieviel Geld habe ich?” „Soweit ich weiß, haben Sie ein paar tausend Kronen.” Johansen lächelte: „Da haben Sie sich getäuscht.” „Sagen wir dann 5000.” „Nein. 10.000.” „Wirklich? Merkwürdig. Na ja, ab und zu kann ich ja auch einen Fehler machen.” Johansen nahm die Brieftasche hervor und zeigte die Scheine. 10 Tausendkronenscheine. „Sehen Sie.” ‚Ja wirklich.” „Ihre Fähigkeiten sind aber trotzdem ganz eigen- artig. Fabelhaft ist das.” * Nachdem sie eine halbe Stunde gefahren waren, hielt der Zug an einer kleinen Station, und der Zauberkünstler nahm seinen Koffer und seinen Hut. „Tja, ich muß leider aussteigen, ich soll heute Abend ein Engagement hier in der Stadt antreten. Also auf Wiedersehen, mein Herr.” „Auf Wiedersehen, Herr Zauberkünstler, und vielen Dank für Ihre angenehme Gesellschaft. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.” „Danke gleichfalls.” Ein paar Minuten später saß der „Zauberkünst- ler“ in einem anderen Zug und fuhr nach Kopen- hagen, von wo er gekommen war. Im Koffer hatte er Johansens Brieftasche mit den 10000 Kronen, seinen Füllfederhalter und sein silbernes Zigarren- etui. Hokuspokusi DER FREUNDSCHAFTSDIENST VON HEINZ SCHARPF Der Kinninger Toni ist Besitzer eines ebenso tapferen wie eifersüchtigen Herzens. Als wackerer Gebirgsjäger im Norden kennt er keine Furcht, aber für sein Mädel In Fronlelten, da zittert er. Denn die Evi ist noch ganz jung und: unerfahren und die Männer „z’Fronleiten” sind alle ralfinierte Draufgänger, Sooft ein Kamerad auf Urlaub in Kinningers Heimat fährt, gibt ihm der eifersüch- tige Toni unter vier Augen den ehrenvollen Auf- trag mit, daheim ein wenig nach dem Rechten zu sehen. Und jeder kam bisher noch mit der Nach- richt zurück, daß sich die Evi des besten Leu- munds erfreue. Drauf fiel dem Kinninger jedesmal ein Stein vom Herzen, so schwer, daß man es bis in die Polargegend plumpsen hätte hören müssen. Mit der Zeit rücken dann auch für den Toni die Tage des Urlaubs näher. Und eines Morgens ist es so weit. Aber als die. Urlaubsscheine verteilt werden, ist der Kinninger wieder einmal durch- gefallen, muß er sich noch einige Zeit gedulden. Dafür darf sein Freund Hannes heim, der überall da steht, wo die Sau sich scheueit. „Hannes”, sagt der Toni zu ihm beim Abschied, „schaust a weng nach bei der Evi ihr'm Fenster- stock, du verstehst mi schon. Der Hannes verspricht es ihm in die Hand hinein und fährt los. Doch als er dann zu Hause ist, heidi, da hat der Hallodri anderes zu tun, als Kundschafterdienste zu leisten. Er kennt in Fronleiten ein Dutzend Freundinnen von früher her, denen er die Ehre seines Besuches erweisen muß, dabei vergißt er ganz auf die Evi. Nach zwei Wochen, in denen er das heimatliche Tal ziemlich durchgefensterlt hat, schaltet er einen wohlverdienten Rasttag ein, bezieht er Ruhestellung hinter der Liebesfront. Bis spät in die Nacht hinein sitzt er im Wirtshaus. Dann macht er sich auf den Heimweg Und da fällt ihm end- lich das Versprechen ein, das er seinem Freund gegeben hat. Sein Inneres erteilt ihm sofort den Befehl, nachzusehen, ob am Fensterstock Evis noch die Dornröschen blühn? Unten am Bach liegt das Bauernanwesen, in dem sie haust. Im schwa- chen Mondlicht sind seine Umrisse deutlich zu erkennen. Der Hannes nähert sich ihm, als ginge es an einen feindlichen Bunker heran. Der feuchte Wiesengrund dämpft seine Schritte. Dann steht er vor dem Haus, nichts rührt sich weit und breit. Er kennt der Evi ihr Fenster, ohne jemals die Evi durchs Fenster kennen gelernt zu haben. Ob er einen Stein hinaufwerfen und ihr Grüße von ihrem Toni bestellen soll? Plötzlich ertönt ein Pfiff vom Nußbaum her und das Mädchen erscheint oben im Fensterrahmen. Oha, denkt der Hannes, da geht's ja lustig zu, da bin I grad zur rechten Zelt kommen, Gleich dar- auf lehnt ein Bursch die Leiter ans Haus und steigt gewandt die Sprossen empor. Da aber springt der Hannes herbel, reißt die Leiter weg, daß der Kerl wie ein Sack herabpurzelt, und dann versetzt ihm der Hannes ein paar Zünftige mit einer Zaun- latte, wie sie zu diesem Zweck auf dem Lande jederzeit zur Hand sind. „Du windiger Hund, du“, ruft er dabei, „an recht an schön’ Gruaß vom Kin- ninger soll i dir ausrichten und du sollst ihm sein Fensterstock dalassen.” Oben stößt die Evi einen Schrei aus, aber der unten gibt keinen Ton mehr von sich, mitten unter der Balz ist er verstummt, wie ein getroffener . Hahn. Befriedigt geht der Hannes weiter, im Ge- fühl, ein gutes Freundeswerk vollbracht zu haben. Aber mit seiner inneren Ruhe ist es vorbei. Tellfi, Teifi, denkt er bei sich, wie soll @r das nun sel- nem Freund draußen flüstern? Kruzitürken, flucht er, die Weiber, die Weiber! Nein, beschließt er dann, er wird dem Toni gar nichts sagen, soll er selber draufkommen, wie weit es mit der Un- schuld von dem Madel her ist, eine Sache, auf die einer oft lange nicht draufkommt. In den nächsten Nächten hat der Hannes wieder auswärts Dienst, da kommt er auf bessere Ge- danken. Nach fünf Tagen aber steht plötzlich der Kinnin- ger vor ihm, wie er leibt und lebt, nur nicht so gesund, sondern als Verwundeter, geschient und verbunden. „Ja, Toni”, ruft der Hannes, „wo hat's denn di erwischt? Bei an Bolschewistenangriff?” „Na“, brummt der Kinninger. „Oder bei an Stoßtruppunternehmen?” „Na“, brummt der Kinninger. „Ja, wo denn nacha?“ „Beim Fensterin, auf der Loata”, gesteht der Kin- ninger. Da weiß der Hannes erst nichts zu sagen, Dann aber spricht er mit dem Brustton der Überzeu- gung: „Da hast es jetzt g’sehn, Toni, was I dir für a guter Freund bin!” LIEBER SIMPLICISSIMUS „Bobby”, sagı Felix, „willst du mich begleiten? Ich möchte schauen, ob ich irgendwo eine Laub- söge auftrelben kann?!” „Zu was brauchst denn so was, LixI?' fragt Bobby. „Na, zu was denn sonst, als zu Laubsägearbeiten!” „Wijegerl“, meint Bobby kopfschüttelnd, „Ist denn so eine Arbeit net anstrengend, bei der man auf den Bäumen umeinanderkraxeln muß?" H.K.B. * Rudi führt Bobby in seine Bibliothek. Dort zeigt er ihm voll Besitzerstolz ein erlesenes Werk und meint: „Dieses Buch habe ich schon selt drei Jahren!” Melnt Bobby nachdenklich: „Da höttest du es aber wirklich schon... zurück- geben können!” F.H. E- (0. Nückel) Mitten im einsamsten Dickicht stand vor dem er- schrockenen Wanderer plötzlich ein wüster Kerl — barfuß, zerlumpt, in der Rechten ein Schieß- eisen, Das Gesicht in demütig-traurige Falten ge- legt, sprach er mit wehleidiger Stimme: „Unterstützen Sie einen armen Mann — außer diesem geladenen Revolver hab’ ich nichts auf der Welt...” h FW. * In Wien gibt es unweit des Grabens ein vege- tarisches Restaurant. Ich fragte den Wirt: „Warum stellen Sie immer künstliche Blumen auf den Tisch?” Der Wirt lachte: „Die echten Blumen stehen auf der Speisekartel” JH. R. Verlag und Druck. Knorr & Hirth Kommandit, Vorantworti. Schriftielter: Walter Foltzick, München. — Der Simp! anstalten enigogen. — Bozugspreise: Einzelnummer 30 PI., In ‚chen, Sendlinger Straße issimus erscheint wöchentlich einmal. Bes Abonnement im Monat RM 1.20. — Unverlan; ingen nehmen all gte Einsendungen werden nur zurückgesandt, Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München. hrift: München 2 BZ, Br Buchhandlungen, Zeitur lach. joschäfte und Pı Porto beiliegt. Die Exil-Brüder in Washington (Wilhelm Schulz) „Haben Sie einen Unfall gehabt?‘ — „Nein, ich hatte nur eine freundschaftlich politische Besprechung mit meinen Landsleuten!" I fratelli d’esilio in Washington: "Avete avuto un Infortunio?" — „No; ho avuto soltanto un’ amichevole discussione politica coi miel compatrioti!,, 376 München, 14. Juli 1943 fl 48. Jahrgang Nummer 28 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS Roosevelt und die Kultur tErich. Schilling) S “ - 11 ” 4. BSYENaTIteRFE „Du glaubst mit deinen Bomben den Geist der Kultur zu vernichten — du armseliger kleiner Geist!‘ Roosevelt e la cultura: "Tu colle tue bombe credi di annientare lo spirito della cultura «.. tu, miserabile, meschino spirlio!,, Sägewerk im Böhmerwald - segheria nella Foresta Boema (A. Kubin) DER PATERNOSTER VON WALTER FOITZICK In dem großen Geschäftshaus ist ein Paternoster eingebaut, wissen Sie, so ein Fahrstuhl, der immerzu geht und keine Türen hat. Paternoster klingt recht altertümlich, nach gotischer Dombau- hütte, nach frommer Technik und nach Alchimie mit ausgestopften Krokodilen und Salamandern. Aber es klingt nur so, denn der Paternoster geht mit Elektrizität und von ausgestopften Krokodilen Ist weit und breit keine Spur. Manche Leute, die es nicht gewohnt sind, mit dem Paternoster zu fahren, fürchten sich vor ihm. Sie glauben, den "Zeitpunkt zu verpassen, wo man aus- und einsteigen soll’Sie haben es nicht gern, wenn er an den Stationen nicht anhält. Ordnungs- liebende Leute wollen, daß ein Fahrzeug da hält, wo man aussteigt. Das kann der Mensch ver- langen. Die andern aber freuen sich gerade darüber, viel- leicht sind das die unordentlichen Leute. Sie sehen den Reiz des Paternosters darin, daß man wäh- rend der Fahrt auf- und abspringen darf. Überall ist solches sonst verboten, Bei der Straßenbahn, bei der Eisenbahn und sogar beim Karussell. Beim Paternoster aber ist es geboten, wer mitfahren will, muß während der Fahrt auf-und abspringen. Und manche Leute springen gern während einer Fahrt auf und ab. Jahrhundertelang war dieses untersagt. Ich bin überzeugt, auch die ägyptische Polizei des alten Reiches hatte schon Vorschriften erlassen, daß es nicht erlaubt sei, auf Nilschiffe während der Fahrt aufzuspringen. Sehr Neugierige und Wagemutige fahren sogar obenherum und untendurch. Die Gebrauchsanwei- Vom Schulefchwänzen Menfchen, die die Schule fchwänzen, find fie deshalb Miffetäter? Der Defekt läßt fich ergänzen, einmal früher, einmal Ipäter. Haben fie nur Mut und Grüsse, tiffen fie fich durchzufeten, und mit flott gefchwung’'ner Mütse landen fie auf ihren Pläten. Vor des Lebens Schule freilich drückebergernd auszumeichen, diefer Fall ift unverzeihlich und nicht mieder zu begleichen. Erftens wird's nur um fo fchlimmer, und zu Bergen werden Hügel; zweitens gilt man als ein Schwimmer und kriegt drittens trotdem Prügel. Ratatöehr 378 sung des Paternosters sagt zwar, daß es unge- fährlich sei, aber es graust einem doch ein biß- chen. Jeder hofft oder fürchtet, daß sich unten oder oben etwas Unvorschriftsmäßiges ereignen könnte, und man vielleicht von oben mit dem Kopf voran herunterkommen oder von unten mit den Füßen aufsteigen könnte. Doch das geschieht niemals. Sonst begegnet man nur immer Leuten, die von rechts oder links oder von vorn oder hinten kommen, hler treffen wir endlich mal Be- kannte, die erscheinen von oben oder unten. Mal sieht man von einem die Beine zuerst und mal den Kopf. Und manche erkennt man gleich an den Beinen und manche am Hut. Und wenn einem nun das Detail sympathisch Ist, kann man warien, bis die anderen Teile im Ausschnitt erscheinen, Wie schön ist es, Leute in einem Stockwerk an uns vorüberfahren zu sehen. Sie tauchen aus dem Nichts auf und verschwinden wieder im Nichts, wie durchreisende Verwandte im Sommer. Man möchte mit dem Taschentuch winken. Es ist nicht ganz leicht, das richtige Gesicht zu machen, wenn man so aneinander vorbeigleitet, ganz dicht, nur in einer Entfernung von einigen Zentimetern. Innenstehende machen unwillkürlich. eine ein- ladende Handbewegung zum Einsteigen. Da regt sich eben der Fahrstuhlführer, der in Jedem Men- schen schlummert. Man möchte sagen: „Bitte ein- steigen, dritter Stock, Kinderwäsche, Vereins- abzeichen und Büstenhalter.” Neueste Ordnung in Indien Wilhelm Schulz) „Man merkt, daß unser neuer Vizekönig General ist. Jetzt hängen die Inder fabelhaft in Reih und Glied!“ Nuovissimo ordine in India: "Si vede che il nostro nuovo Vicer& & un Generale. Adesso gl’ Indiani pendono meravigliosamente in fila!,, 379 DER SPEZIALIST VON SCHLEHDORN w..und dann möchte ich”, äußerte Regierungsrat Julius, der mit Frau Dorette in einer klappernden Kleinbahn über Sonntag aufs Land fuhr, „In der Sonne liegen, auf einer Wiese, einer garantiert entkäferten, still im hohen, grünen Gras (Musik von Brahms), und schla—a—a—ten ...” „Ein tiefer Gedanke", sagte der Herr mit dem be- deutenden Hut und der grünen Brille, „im Schlafen bin ich nämlich Spezialist. Vielleicht der einzige auf dem Kontinent. Heute ist alles spezialisiert, für Motoren, Blinddarm oder Steuerrecht, — aber alles für wache Sachen, Dabei schläft der Mensch ein Drittel seines Lebens, Normalerweise von ein- undfünfzig Jahren also siebzehn. Kinder und Fein- schmecker sogar mehr. Jugend schläft, weil sie müde Ist vom Tag, Alter, weil es müde ist von den Jahren; unser Leben, sagt der Philosoph, liegt zwischen Schlaf und Schlaf. Demnach ist der Schlaf der primäre Zustand. Aber wer bekennt sich ehrlich zum Schlafen? Man tenommlert mit durchwachten Nächten, mit Früh- aufsteherel, wenn es keiner nachprüfen kann. Aber wer treibt Schlafen als Sport oder als Kunst oder (wie ich) als Wissenschaft?” Frau Dorette erinnerte an den wackeren Battista auf Capri, der allmorgendlich um dieselbe Stunde seiner sonnigen Bank zustrebte, sich langlegte und schlief, die Mütze ins unrasierte Gesicht ge- schoben, privat in aller Öffentlichkeit, ohne Ärger, Neid und Interesse an Mitwelt und Nachruhm — der schlafende Philosoph. „Wer schläft, stiehlt keine Fische”, sagt der Italiener. „Wer schläft, der sündigt nicht”, bestätigt der Spe- zialist, „es Ist eben der einzige moralische Zustand. Der Fehler Ist, daß er bisher nur von Medizinern und Psychologen bearbeitet worden Ist. Erstere fanden in schlaflosen Nächten die Schlafsteue- tungszentrumshypothese. Letztere den Unterschied zwischen Ermüdungsschlaf und Relzmangelschlaf.” Aha, dachte Julius, das ist der, den unser Klub- bruder Fritz schläft, seit er das ältere Fräulein Berutsunfall - Infortunio professionale Pfeifer geheiratet hat. Und laut bemerkte er: „Irgendwas stimmt da auch. nicht. Abends kann man nicht einschlafen, morgens nicht ausschlafen und tags, besonders bei Fachvorträgen, wenn ein Sachverständiger die Steuerquellen rieseln läßt, kämpft man wieder mit dem Schlaf.” „Das kommt”, erklärte der Dormitologe, „weil man den Tag fälschlich nach dem Wachen einteilt und nicht nach dem Schlafen. Keiner fragt abends: haben Sie gut gewacht? oder sagt morgens: wachen Sie gut! Keiner spricht von Wachwagen, Wachanzug oder Wachmütze, Das Wesentliche ist eben der Schlaf.” Er erzählte, er habe zu den alten Hausmitteln (wo- gendes Kornfeld, Zählen bis tausend) ein neues Schlafpulver und eine Einschlafmaschine konstru- lert, aus der Zarah Leander mit gleichmütigem Baß ein Wiegenlied singt. „Das Schlaflied, wissen Sie, war die früheste Musik.” „Ich denke, das Liebeslied, sagte Frau Dorette. „Vielleicht beides zugleich“, meinte Julius. „Ubri- gens könnten Sie die herrliche Schlafarie König Philipps Il. im Don Carlos von Verdi durch zwei Tabletten Ihres Schlafmittels ersetzen.“ „Spotten Sie nicht über den Schlaf (denken Sie an Macbeth)! Weil er schlafen will, wirkt Philipp in der Oper menschlicher als bei Schiller. Und erst Azucena, die häßliche Alte mit dem schönen Alt: ‚In unsere Heimat kehren wir wieder...‘ Oder im Egmont die letzte Szene, gerade beim Schlaf greift Beethoven ein, Von Brunhilde gar nicht erst zu reden, Kurz: Schlaf ist der eigentlich poetische Zustand. Und nun die bildende Kunst: Giorgiones Venus, um diese allein zu nennen, wäre nur halb so rei- zend, wenn sie wachte. Wer weiß, ob sie dann uns viel Kluges sagen würde? Das tiefe Atmen des gesunden Schläfers hat den gleichmäßigen Rhythmus des Wellenschlags. Schlaf ist also der einzig harmonische Zustand.” N „Wenn einer nicht schnarcht”, sagte Dorette. „Ein interessantes Gebiet”, dozierte der Spezia- list, „das Ich vermittels des Schnarchseismogra- phen erforsche. Freilich, als ich gestern eine junge Dame fragte: darf ich diese Nacht eine Tief- schnarchaufnahme von Ihnen auf. Schallplatten (6. Brinkmann) „Unser Koch Ist das Opfer einer Explosion geworden, als er eine neue Puddingsoße ausprobieren wollte!‘ "|I:nostro cuoco & stolo vittima d’ un’ esplosione, mentre voleva provare un nuovo succo da bedino!,, 380 machen?, lehnte sie seltsamerweise ab. Es fehlt noch das Verständnis für die dormitologische Wissenschaft, für die Somnologie. Man müßte da- für einen Lehrstuhl schaffen.” „Einen Ohrenstuhl vielleicht”, meinte Dorette. Und während der Spezialist seine Vorlesung fort- setzte, war Julius bereits zu den praktischen Ubungen übergegangen. Wie durch einen Schleier hörte er die Darlegungen über die entscheidende politische Bedeutung des Schlafs, von der Regie- rungsmaxime Julius Cäsars: „Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, mit kahlen Köpfen und die nachts gut schlafen“ bis zu Napoleon, der wäh- rend der Schlacht bei Leipzig schlief... Dann war auch er eingeschlafen. Und träumte, wie einst der Traum in den Schlaf gekommen ist: Da wurde ein Engel auf die neugeschaffene Erde geschickt, der trug In dem einen Arm eine Flasche, darin war der Schlaf (Eva sollte dem ‚Adam im Schlaf geschenkt werden), In dem ande- ren Arm eine Flasche, voll von Wahnvorstellungen (die sollte für künftige Literaten sichergestellt werden). Der Engel flog immer ordnungsmäßig auf der äußersten rechten Seite der Luftlinie und lang- weilte sich sehr. Da naschte er ein bißchen an der Flasche voll Schlaf: eine angenehm leichte Schwere ergriff ihn und er überließ sich, seiner selbst nicht mehr bewußt, dem seligen Segelflug der eigenen Schwingen, Später setzte er dann das Fehlende aus der anderen Flasche zu, aus der mit den Wahn- ideen. Und damit waren die Träume in den Schlaf gekommen. Als er dann später dem vorgesetzten Erzengel meldete: „Gehorsamstes Hallelujah, Be- fehl ausgeführt”, da hätte der ihn zusammen- gestaucht, wenn es sowas in der Dienstvorschrift der himmlischen Heerscharen gäbe, Aber damit wäre ja auch nichts zu ändern gewesen, Und Julius träumte welter: er müßte Dornröschen interviewen in ihrer Eigenschaft als Rekordschlä- ferin. „Was dachten Sie, als Sie nach hundert Jah- ten aufwachten?” — „Ich dachte”, antwortete Dornröschen, „ob der Prinz nicht am Ende nur aus dem Märchen wäre oder gar aus dem Film. Und dann dachte ich, wie ich mit meinem Kostüm von vor hundert Jahren in die Mode passen würde, — aber es ging, man trug sich gerade wieder roman- tisch.” Und Julius träumte, der Herr mit der grünen Brille hätte ein Komitee gebildet, um dem Schlaf ein Denkmal zu setzen. Es entstand ein Streit um den Künstler, der unter Berufung auf Ovid den Schlaf schlafend darstellen wollte, — man stellt doch auch den großen Chirurgen nicht auf dem Opera- tionstisch liegend dar, und den Barbier nicht in eingeseiftem Zustand. Der Schlaf ist doch der ein- zige, der nicht schläft (außer dem Nachtwach- beamten), Bei der Enthüllung gab es wieder eine Peinlichkeit: das Denkmal war nicht fertig gewor- den, der Festredner hatte sich verschlafen, das Publikum stand und gähnte, Gerade stieß man ihn, Julius, auf die Rednertribüne,... Da wachte er auf, Der Herr mit der grünen Brille hatte nichts ge- merkt. Der war eben mit der Psychologie des Sie- benschläfers und des Murmeltiers zu Ende, und führte aus: „Sehen Sie, das Roß schläft im Stehen, der Affe Im Sitzen, der Mensch im Liegen, aber die Fledermaus! Die Fledermaus schläft aufge- hängt, aufgereiht, den Kopf nach unten. Welche Ordnung, welche Ersparnis an Wohnraum! Wieder hilft der Schlaf, ein Problem zu lösen. Übrigens kennen Sie mein Werk: ‚Der Schlaf von Endymion bis zur Neuzeit’? Sie wissen nicht, wer Endymion war? Das war der liebliche Schäfer, den Selene auf dem Berge Latmos einschläferte, um ihn ungestört küssen zu können. Man könnte sich den Vorgang auch anders denken, indessen das führt zu weit.” „Ja, wenn der Schlaf seine Memoiren schriebe”, sagte Julius, „mit allem Drum und Dran und bei—" Da hielt der Zug. Und während er den Koffer aus dem Wagen hob, brachte er noch den Gedanken vor, der ihm im Schlaf gekommen: man müßte dem Schlaf ein Denkmal setzen. „Ausgezeichnet“, stimmte der Dormitologe zu. „Und als Aufschrift darauf: Schlafen ist das Zweit- schönste —.” . „Wieso?”, fragte verständnislos hinter ihm drein der Spezialist, Das vollschlanke Tonmodell (Fr. aller) Il modello di creta dalle forme snelle tornite 881 Überfahrt am Tegernsee - Traversata sul Tegernsee (Magon) FAHRT INEBIENZRIERBST VONA WISBECK Damals strich Ich wieder einmal, nach langen Jah- ren, durch das Frankenland, den Main hinab, an allen den Dörfern, Märkten, Städichen vorüber, die unter den Hängen sanft gewellter Rebenhügel In stiller Versonnenheit still vor sich hinträumen. Geruhsam, als wolle er sich die Gegend so recht mit Muße besehen, windet sich der Fluß durch das gesegnete Tal. Nein. er hat es nicht eilig, aus die- sen lieblichen Gefilden nach der Wüstenei des großen Wassers zu streben. Noch verströmt die Sonne ihre letzte Kraft über die Hügel, trächtig von Trauben steht der Weinstock, Seht, wie er die prallen Bündel goldgebräunter Kugeln kaum mehr zu tragen vermagl Hinauf, ihr Mädle, hinauf inden Wingert, und schleppt, was ihr schleppen könnt zur Kelter! Nachts aber gibt es ein Flüstern und Wispern In Gassen und Gäßchen, in Torwinkeln umschlingen sich inbrünstig die Schatten — ja, küßt euch noch, laßt eure heißen Herzen aneinan- derschlagen, bald steht der Weinstock entblättert, legt der Tod seine Hand auf braches Landi Schon neigt sich der Tag dem Ende zu, da taucht noch, aus den blauen Schleiern der Dämmerung zum Licht der ersten Sterne strebend, die Veste des Märienberges vor mir auf. Würzburg! Ja, ich kenne dich, du unvergleichliche Stadt des Fran- kenlandes! Ich kenne die edlen Schätze aus Stein, Holz und Schmiedeeisen, die du aus großer Zeit noch birgst, kenne deine träumenden Gassen, kenne draußen das verbuhlte Schlößchen, In dem Würzburgs Fürstbischöfe zwischen tändelnden Göttern und wippenden Reifröcken gottselige Sommernächte zelebrierten. Aber ich kenne auch deine verschwiegenen Kneipen und Bäcken, In deren kühlen Kellern die dunklen Fässer ruhen. Hel, wie das milde Gold des „Leisten“ in die Kelche rinnt, wie der würzige „Stein“ aus den Rö- mern duftetl Und sieh‘, In diesem verwinkelten Gäßchen, hinter der verschnörkelten Türe, liegt auch noch immer die Kneipe, in der ich allabendlich mit Agathe saß! Hier der Tisch — wahrhaftig, noch Ist auf sei- ner ausgewaschenen Platte, zerfasert und ver- scheuert freilich, das Herz erkennbar, das ich heimlich darein ritztel Wein her! Vergessen alle Jahre, die das Leben dazwischen warfl Trink, Agathe, trink, ich sehe es gern, wenn sich deine dürstenden Lippen feuchten. Ein Hoch allen schö- nen Frauen der Welt, dir aber, Agathe, flüstere ich ein einziges Wort ins Ohr: „Geliebtel” Und nun noch ein letztes Schöpple oder ein vor- letztes — wer kann das vorher wissen? Nein, Agathe, du sollst meiner grauen Haare wegen nicht sagen, Ich sei alt geworden und fürchte mich vor dem Weinl Sieh, wie ich ihn meisterel Ich hatte dich vergessen, verzelh es mir, Agathe, aber nun will ich das Haus aufsuchen, in dem du ge- wohnt hast. Drüben, im Gewirre alter Gassen. Kaum pfiff ich leise, da schlug mir schon deine klopfende Brust entgegen, brannte dein Kuß auf meinen Lippen. „Agathe, ich dachte den ganzen Tag nur an dich, die Sonne lief zu langsam ihre Bahn. Es fiel mir ein, daß Ich gestern vergaß, deine Augen zu küssen. Nun bin ich dal” Ob ich wohl den Weg noch finde? Die Nacht ist zwar mondklar, doch strauchelt mein Fuß des öfte- ren, verfehlt den Randstein und verfängt sich am anderen. Woher kommt der Riß in meinem Ärmel? Und trug Ich nicht einen Hut auf dem Kopf? Wes- halb winden sich die Häuser in Krämpfen? Auf der alten Brücke erfaßt mich gelinder Schwindel, am Steinblld des heiligen Kilian muß ich rasten. Still, im Geflirre silbernen Lichtes, zieht der Main dahin. Ube: mir baumelt der Mond, zwei andere um- kreisen Ihn. Ein alter Herr bleibt vor mir stehen, sieht mir aufmerksam 'n das Gesicht. „So, so”, sagt er, „du bist es alsol”’ — „Ja’, sage ich, „du hast es erraten, ich bin’s, und Übermorgen wüßte ich vielleicht auch, wer du bist. Heute aber kommst du mir. so entfernt vor. Und warum zitterst du?” „Für deinen Zustand wäre Tierkohle, carbo medizi- nalis, das geeignete Mittel“, meint mit tiefem Ernst der Herr, „sie absorbiert die Giftstoffe des Alkohols und führt sie ohne Beeinträchtigung der Herztätigkeit dem Darm zu.” „Blödsinn“, sage Ich ein wenig schroff, „warum soll ich Kohlen fressen, well mich das Leben freut? Für deinen Zustand aber empfehle ich: lasse dich so lange künstlich mit Rizinusöl ernähren, bis es dir leichter wird im Gemütl” „So etwas an Besoffenheit ist mir doch im Leben noch nie vorgekommen“, knurrt der Mann bitter. entgegne ich und halte mich an der Kra- watte des Herrn fest, „besoffen bin ich durchaus keinesfalls nicht, sondern im Gegenteil, Ich tue keinem Menschen etwas zu leide und gehe still meinen geraden Weg. Wenn du aber in meiner Hose suchst, wirst du noch drei Mark darin finden, die wollen wir versaufen!” „Das fehlte gerade nochl“ faucht der Mann, „mich von einem Süffling einladen lassen!” „EinenLahmarsch wie dich sollte man jahrelang kopfüber in einen Ententeich hän- gen, bis er genug Wasser gesoffen hat“, antworte ich, nun wirklich ein wenig verärgert. Da ent- reißt mir der Herr wortlos seine Krawatte und eilt von hinnen. Nun zu Agathel Ja, da steht es noch, das alte Häuschen mit seinem hohen Glebel, von dem das Mondlicht tropft! Hier, das dritte Fenster war es. Erscheint nicht ein braungelocktes Köpfchen zwi- schen den weißen Gardinen? Ich pfeife leise, dann lauter. Dann auf den Fingern. Das Fenster wird ge- 382 öffnet, ein altes Weib in’schlampigem Nachtkittel beugt sich heraus. „Komm herunter, braunlockiges Engelchen!” rufe ich hinauf, „ich habe noch drei Markl”" „Unverschämter Lümmell” kreischt es herab. Das Fenster klirrt zu. Sonderbar, denke ich mir. Nun ist man doch nur gut und höflich zu den Menschen, Ist bereit, Ihrer Freude die letzte Barschaft zu opfern, und wird von ihnen gekränkt und beleidigt. Traurigkeit überkommt mich. Gut, ich will mich aus der Ge- meinschaft dieser harten Herzen zurückziehen, will eine Hütte im tiefen Wald bauen und von Beeren und Wurzeln leben. Ein frischer Quell ver- sorgt mich mit Wasser, Vögelein singen im Geäste über mir, ein Rehlein schmiegt sich an meine Knie, weither, vom Tal herauf, klingen die Glocken. Vielleicht könnte ich mir für den Sonntag auch ein Kaninchen züchten. — In diesen Gedanken gehe ich so vor mich hin. Nun bin Ich wieder auf der anderen Seite der Stadt. Verschlungen sind die Pfade ‚des „Glacis“, und manchmal hemmt ein Baumstamm meinen Fuß. Hier, auf dieser Bank könnte ich ein wenig rasten. Oder sind es zwei Bänke? Gleichviel, auf die eine will Ich mich hin- strecken und träumen. Von Agathe, Ja, Geliebte, lege wieder deine Hand in die meine und lasse uns plaudern von kommendem Glück! Komm, lasse dir diesen Kranz blauer Blüten um die schmale Stirn winden, blicke hinauf zum Schwarm der Sterne und lasse mich deine Augen küssen! Ich liebe dich! Was ist das? Eine Hand zerrt an meinem Arm, eine zarte Sitmme redet auf mich ein. Ach ja, da habe Ich nun doch die Bank verfehlt und mich quer über den Weg gestreckt, Ein Junges Mädchen steht vor mir. „Sind Sie krank?” frägt es mitleidvoll und richtet mich auf, Es reicht mir seinen Arm, geleltet mich zur Bank. Wir setzen uns. Ganz welß Ist nun die Nacht, über die zermürbten Reste efeuum- sponnener Bastionen fließt milchiges Licht, Kein Laut ringsum. „Sie kommen wohl welt her?" frägt die Kleine. „Ja”, sage ich, und der Geist des Wei- nes Ist nun zerstoben, „ich komme welt her — sehr weit, aus meiner Jugendzeit komme ich.” Schweigen. „Fürchten Sie sich nicht?” frage Ich das Mädchen, „mit einem fremden Mann in dieser Einsamkeit? Wenn ich nun meinen Arm um Sie legen wollte?” Das Mädchen sieht mich erstaunt an und lacht dann fröhlich auf. „Nein, Ich fürchte mich nicht vor Ihnen. Sie könnten ja fast schon mein Großvater sein!“ Richtig, richtig, so Ist es und nicht anders. Vorbei die Trunkenhelt des Her- zens, vorüber der Rausch des Lebens! Nur der Wein wirft noch den Wiederschein entschwunde- nen Glückes in eine ausgebrannte Brust. „Habe Ich Sie gekränkt, sind Sie traurig?” frägt das Mäd- chen und legt seine kleine Hand mit festem Druck auf die meine. „Nein, du gutes Kind“, sage ich, „ich bin nicht traurig. Sieh, wie das Mondlicht aus den Bäumen träufe!t, wie die Sterne über uns ziehen! Schön ist die Welt und schön das Leben, und ewig werden sie dem gehören, der nicht auf- hört, sie zu lieben.” Die Patientin (K. Heiligenstaodt) even En ui -3 „Wenn ich nur wüßte, ob er sich für mich als Ganzes oder nur für meinen gereizten Blinddarm interessiert!?“ La paziente: Oh se sapessi s’ egli s’ interessa per me ... in tutto e per tutlo o soltanto ... pel mio irritato infestino cieco!?,, 383 ICH HABE BESUCH VON BERTO PEROTTI „Aber bitte, nehmen Sie Platz! Nehmen Sie Platzi” Die Eheleute Lambda zwängen sich einer nach dem andern durch die schmale Tür und schauen sich erstaunt um. Ein „Ausgezeichnet“ schlüpft ihnen über die Lippen, und sie beginnen einen Rundgang durch mein Zimmer. Nun, ich will mich nicht rühmen, aber ich habe einen ziemlich schwierigen Charakter und rege mich über jede Kleinigkeit auf. Ich kann nun mal Bewegung und Unruhe um mich herum nicht ertragen, Gleich denke ich: „Hier stehen schöne Stühle, ein paar sind sogar gepolstert; ein Sofa mit sieben, Kissen ist auch vorhanden. Warum machen sid davon keinen Gebrauch? Warum setzen sie sich nicht?” Herr Lambda trägt eine schwarze Jacke mit Schwalbenschwänzen und etwas zu kurze Hosen. In seiner Jugendzeit ging man so, Und er kann sich nicht damit abfinden, älter geworden zu sein. Aus diesem Grunde kleidet er sich wie ein Jüng- ling. Frau Lambda schaut sich mit der Lorgnette um. Von Ihrem Strohhut baumelt ein Bündel ver- schimmelter Weintrauben herab. Wenigstens scheint es so. Es könnte vielleicht auch ein Feldblumen- sträußchen sein oder auch nur Beeren. Übrigens geht mich das gar nichts an. Schließlich kann jeder auf seinem Hute nach Belieben Beeren, Blu- men, Zweige oder sonst etwas tragen. Der kleine Lambda Ist ein Prachtkind. Wie alt wird er sein? Vielleicht fünf Jahre. „Wie heißt du denn, du klei- nes Kerlchen? Hast du den Vati lieb und auch die Mutti?” Spricht man nicht so zu Kindern, wenn die Mutter mit strahlenden Augen daneben steht? Aber diesem Bürschchen würde es besser gefal- len, mit melnem Grammophon zu spielen. Beson- deres Vergnügen bereitet es Ihm, die Platten über den Boden rollen zu lassen und dann darauf herumzukauen, als wären sie aus Lakritze. Und nun spricht der Vatl. „Ausgezeichnetl Ganz ausge- zeichnetl” meint er und zieht aus den geräumigen Hosentaschen ein umfangreiches, buntgewürfeltes Taschentuch hervor, mit dem er sich die Stirn trocknet und die Nase putzt. Was sind doch Ta- schentücher für eine nsreiche Erfindung! Stimmt das nicht? Man trocknet sich damit den Schweiß ab, man putzt sich damit dieNase, manch- mal fährt man damit rasch einmal über die staubl- gen Schuhe; bisweilen sind sie zum Polieren der Brille nützlich; man knüpft in sie den berühmten Knoten, um sich an etwas zu erinnern; man schwenkt sie, um einem lieben Freund einen At schledsgruß zuzuwinken; man trocknet sich die üblichen Tränlein ab. . Aber nun verschwindet das Riesentuch in Herrn Lambdas umfangreicher Hosentasche. Herr Lambda öffnet den Mund, gähnt vorschriftsmäßig, überlegt ein wenig und meint: „Ausgezeichnetl Ausgezeichnet!” Im Grunds ge- nommen ist mir Herr Lambda sehr sympathisch, weil ef ein Mensch von wenig Worten ist. Ich bin sicher, daß sich in ihm ein Tatmensch verbirgt, über den sich die Welt im gegebenen Augenblick wundern würde Jemand klopft. Es sind die Ehe- leute Chlantl. Zum Teufel, laß sie eintreten! Herz- lich willkommen! Ihn ziert ein großer herab- hängender Schnurrbert, hinter dem sich jenes dünne Lächeln verkriecht, das ab und zu aus sei- nen faltigen Augen tritt. Seine Frau reicht mir die Hand, damit ich sie küsse. Ich zähle: eins, zwel, drei, vier Ringe. Der erste aus Gold, der zweite aus Silber, die andern auch aus Gold. Die Finger- nägel sind wohl gepflegt und leuchten vor Lack. Und trotzdem küsse ich diese Hand nicht. Es tut mir leid, Ich weiß nicht, wie ich mich entschuldi- gen soll; aber ich werde niemals eine, solche stumpfsinnige, anmaßende Hand küssen Herr Chianti seızt sich auf dasSofa, zwischen das grüne Kissen und das mit demRosenkränzchen. Ich möchte an ihm vorbeigehen und ihn am Bart zupfen und sagen, es sei der Wind gewesen; oder auch mich mit zerknirschter Miene über ihn beugen und flüstern: „Wie wenig gefällst du mir doch!“ Aber Ich weiß genau, daß dann Herr Lambda aus seinen Betrachtungen aufwachen und erklären würde: „Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!” Aber umGottes- willen, passenSie doch auf denKleinen aufl Sehen Sie denn nicht, daß er mir beinahe die Porzellan- figur kaputtgemacht hätte? Giuditta, komm herl Giuditta ist — falls Sie es noch nicht wissen — mein Zimmermädchen. Ja, trotz meines ärm- lichen Aussehens leiste ich mir ein Zimmer- mädchen. Also Giuditta kommt mit einem Tablett voller Tassen näher. Wollen wir Kaffee trinken oder lieber Tee? Meine Gäste betrach- ten die Tassen wie einer, der sich von einer unbekannten Gefahr bedroht fühlt. „Ja”, sagt Herr Lambda. „Schwierig”, murmelt Herr Chianti und zwirbelt an seinem Schnurrbart. Aber Frau Chianti, die von allen vielleicht die diplomatischste Ist, bemerkt halblaut: „Ich würde Kaffee wählen.“ Da gleitet die Angorakatze zwischen die Beine der Gäste. Sie Ist ein Geschenk meiner Tante Ca- milla, Sie heißt Dongo und ist manchmal von einer erstaunlichen Ungezwungenhelt. Sie gleitet an den Beinen der Frau Chianti vorbei, die auffährt, man weiß aber nicht, ob aus Vergnügen oder vor Schreck. Dann knabbert sie an dem linken Rock- schoß des Herrn Lambda. Siehst du, daß Dongo heute guter Laune ist? Das ist die Richtigel Auf Jeden Fall möchte ich nicht gern, daß sie einen Rockschoß verschlingt oder sogar auf gehelmnis- volle Welse den Inhalt des Anzuges aufsaugt. Lassen wir ihre Fehler dahingehen! Herr Lambda Ist ein guter Kerl und außerdem dient er mir als Ablenkung. Sagen Sie mir doch, was ich tun sollte, wenn ich‘mich auf du und du mit diesem schreck- lichen Schnurrbart desHerrnChlanti befände, ohne die Möglichkeit zu haben, den Blick an den Schwalbenschwänzen des Herm Lambda zu stär- ken? Aber da kommt Giuditta mit der großen Kaffeekanne. Sieh mal, wie der Dampf zur Decke emporsteigt! Er muß siedend heiß sein! Frau Lambda beäugt mit der lorgnette die Kaffee- kanne, schaut nach dem Dampf, der wollüstig auf- steigt, betrachtet das ernste Gesicht Gludittas, in der Hoffnung, aus dessen Anzeichen eins der Geheimnisse, die ihr am Herzen liegen, zu enthül- len. Ihre Nase schnüffelt krampfhaft in der Luft, um die Spuren des Aromas, an das sie sich noch gut erinnert, zu finden. Dann schüttelt sie den Kopf, als wollte sie sagen: „Nein, nein, ich habe mich getäuscht.” Und sie dreht sich um, um die Vitrine mit den Nippsachen In Augenschein zu nehmen. Bubil Herzblättchen! Willst du eine Tasse Kaffee? Willst du einen Bonbon? Ja? Er will die Katze am Schwanz ziehen. Ich sehe schon die japanische Vase, die stolz mein Klavier ziert, mit großem Getöse hinunterfallen Gleich wird auch die große Kristallschale In Trümmer gehen. Aber Gluditta Ist eine Perle von Mädchen. Sie nimmt Dongo auf den Arm und geht in die Küche mit Ihr. So beginnt die Unterhaltung. Herr. Chianti lacht. Ja, Ich hätte nicht geglaubt, daß die Bartspitzen des Herrn Chianti auch lachen könnten und so BERGWANDERUNG Daß der Wind weht, Das ist gut. Im Wildbadh steht Mit kalten Blut Die Forelle auf der Hut. Und nun donnerts auf im Wald. Von einem, der die Holzaxt scimang, Und nun knallt vom Berg ein Schuß, Der den Bock wohl niederzwang. Wars für ihn auch nicdıl gemeint, Madıts dem Fische doch Verdruft, Und er zuckt audı scıon davon, Blitzendschnelles Schwarzes. Lang nodı, wie ein Harfenton, Wie ein kleines Kind, das weint, Klagt das Edio durdı die Kluft, Und der Wind bringt her den Duft, Sdimweren Duft des Harzös. Georg Britting 384 fröhlich auf- und abwippen. Noch weniger wußte ich, daß unter diesem Schnurrbart sich solche roten fleischigen Lippen verbergen. Mir steigt direkt ein Zweifel auf, ob sich Herr Chianti nicht den Bart wachsen ließ, um seine sinnlichen Lippen zu verbergen. Verstohlen beobachtete ich, daß Herr Lambda viel Mühe aufbringt, um seine Rock- schösse nicht zu zerknittern, während Frau Chianti Sorge trägt, ihre Hand neben den Tassenhenkel zu halten und dabei liebevoll ihre vier Ringe be- trachtet. Mir tut es sehr leid, aber mir gefallen die Hände der Giuditta tausendmal besser, Und da kommt Giuditta mit dem Kuchentablett. In Wirklichkeit schäme Ich mich, ein Zimmermädchen wie Gluditta zu haben. Außerdem schäme ich mich, daß ein Geschöpf wie sie gezwungen Ist, eine Dame mit Würstelfingern und einen Alten mit einem Busch von Bart zu bedienen. Ich glaube, gegen die Menschheit gesündigt zu haben. Gegen die Menschheit und gegen die Anmut. Was geschähe, wenn einer dieser Herren unfreundlich gegen Gluditta wäre? Ich würde mich In großer Ver- legenheit befinden, und ich wüßte auch nicht, wie ich sie rächen sollte. Frau Chlantl, bitte, ein Stück Kuchen! Da pas- sierte, was passieren mußte, Frau Lambdas Goldjunge hat die Tasse zerschlagen, die schöne dampfende Flüssigkeit dringt auf die pollerte Tischplatte, den gestickten Untersatz und die gestrelften Hosen des Herrn Chiantl. Möge dich Gott vor der Wut eines buschigen Schnurr- bartes beschützen! Etwas Donnerähnliches bricht aus dem Haargestrüpp, dann öffnet sich ein gro- ßer Mund, dem Worte entströmen.... meln Gott, was für Wortel Flegell Tolpaisch! Unselige Krea- turl Zuerst Ist das Ehepaar Lambda bestürzt über das Unglück, dann machen sie große Augen über den Hagel von Verwünschungen. Das, nein, das ist doch wirklich zuviell Aber Frau Chlanti greift ein, um die erhitzten Gemüter zu besänftigen. Geh, laß dich nicht auslachen! Wenn es Bohnen- kaffee wäre, könnte man Bedenken tragen, aber das da... das ist doch nur warmes Wasser. So etwas gibt keine Flecke Und Giuditta kann ein Lächeln nicht unterdrücken. Ich betrachte ihr schö- nes Gesicht, ihre feinen Hände. Sie brauchen keine Ringe. Aber dann geht sie hinaus, und ich sehe, wie Herr Lambda mit seinem großen Taschentuch die Hosen des Herrn Chianti bearbeitet. Sehen Sie? Noch eine Anwendungsweise des Taschen- tuchs! Allmählich klärt sich die Miene des Belel- digten auf, Ruhe nach dem Sturm. Ich stelle fest, daß von seinem Schnurrbart zwei seltsame Trop- fen herabhängen. Morgentau. Das Weintrauben- büschel auf dem Hute von Frau Lambda zittert schüchtern. (Ich weiß es Jetzt genau, daß es Wein- trauben sind), während Frau Chianti einen großen altertümlichen Fächer In Bewegung setzt: die Jagd auf das Wildschwein oder ein spanischer Stier- kampf; irgend so etwas Ähnliches. Ein Stück Ku- chen kracht zwischen den Zähnen von Frau Lambda, die ständig mit düsterer Besorgnis den Kaffeefleck auf Herm Chlantis Hosen betrachtet. Darauf kommt die Unterhaltung wieder In Fluß. Haben Sie gehört? Der Sohn von Conti Ist durch- gefallen. Das Ehepaar Lampredi ist geschieden. Donnerwetter! Ist das wahr? Herrn Lambdas Augen fallen auf das Klavier. Verwünscht, daß ich es nicht hinter einem Wandschirm verborgen habel Seine Rockschösse fliegen und er setzt sich auf den drehbaren Schemel. Ich werde Ihnen einStück aus einer Oper vorspielen. Er versucht die Tasta- tur, schlägt ein paar Akkorde an, und erklärt ent- setzt: „Es Ist verstimmtl“ Aus den kurzen Hosen des Herrn Lambda schaut ein geheimnisvolles Bänd- chen hervor..Früher band man lange Unterhosen mit einem Band zu. Und Herr Lambda Ist bei sei- ner Jugendzeit stehengeblieben. Daher erscheint er so alt, Frau Chlantl führt die Tasse an die Lip- pen, schneidet eine Grimasse und murmelt: „Das ist eine ernste Angelegenheitl” HerrLambda stürzt auf seinen Platz und ruft beeindruckt aus: „Was ist geschehen? Was haben Sie gesagt?” Herr Chianti schaut ihn erstaunt-an und meint: „Wer? Ich habe nichts gesagt!" So kommt die Unterhal- tung wieder mehr oder weniger flüssig und geist- reich in Gang, bis die Stunde des Aufbruchs naht. Herr Chlanit zieht die große goldene Uhr aus der Westentasche, schaut lange darauf, hält sie ans Ohr, überlegt und sagt: „Die Zelt vergeht. Wie doch die Zeit vergeht!” Und mit verstörten Augen betrachtet er den Kaffeefleck auf den Hosen. Die fleischige Hand streicht darüber, während aller Blicke auf seinen Schoß gerichtet sind. Herr Lambda Ist zerstreut. Fortgesetzt starıt er den Fleck an, Die Scheinbeerdigung der Komintern En „Du mußt lauter heulen, Genosse, sonst merken die Leute, daß wir einen leeren Sarg zu Grabe tragen!“ II finto seppellimento dei Komintern: "Compagno, devi urlare piü forte, altrimenti la gente s’ accorge che noi sotterriamo un feretro vuoto!,, 385 Ansprüche (R.Kıosch) „Üppige Formen und Sinn für alles Edle verlangt Paul von der Frau, die er liebt... Na ja, vorerst wird ihm mein Edelsinn genügen müssen! Pretese‘; “Paolo dalla donna che ama, richiede forme esuberanti e senso per tutto ciö che v'&dinobile ... Eh via! Egli dovrä dapprima accontentarsi della mia nobiltä d’ animo!,, 386 steckt ein Stückchen Kuchen in den Mund, kaut langsam und meint nachdenklich: „Ausgezeichneil Ausgezeichnet!” — „Hat sich was, ausgezeichnet!” ruft Frau Chianti aus und steht plötzlich mit zor- niger Miene auf, Herr Lambda schüttelt sich, be- obachtet sie, läßt die Augen von einem zum an- dern schweiten und stöhnt verwirrt: „Was ist los?” Der Besuch ist beendet. Auch das Kind, das Schätz- chen, hat es gemerkt. Es fängt an zu weinen und reibt sich die Augen. Die Mutter nimmt es auf den Arm und betastet es überall ein bißchen, auf der Suche nach irgendwelcher verdächtiger Feuchtig- keit, Dann sagt sie: „Nein! Es ist nur müdel” Herr Chianti nimmt ein Stück Kuchen und reicht es dem süßen Balg, der es aber zur Erde wirft und weiter weint, Da zieht Herr Lambda sein großes Taschen- tuch und trocknet seine Nase. „Schnaubel Schnaube tüchtig!" sagt er. Das Kind schnaubt und hört auf zu weinen. Alle schauen erstaunt auf Herrn Lambda, der das kostbare Tuch zusammenfaltet und in die Tasche steckt. Das Kind lacht nun und winkt seinem Vater zu. Es möchte noch einmal schnauben. Das gefällt ihm. Aber nun hat Herr Chianti zum zweitenmal seine goldene Uhr her- vorgezogen. Diesmal hält er sie nicht einmal ans Ohr. Seine dichten Augenbrauen sind ein wenig gerunzelt, die Spitzen seines Schnurrbartes zittern; er ist vom Sofa aufgestanden und läuft durchs Zimmer auf der Suche nach seinem Stock. Aber nein! Aber nein! Den Stock hat er im Vorraum ge- lassen, „Giuditta, Giudittal Bring den Stock dem Herrn!” — „Aber lassen Sie doch! Bemühen Sie sich nicht!“ Herr Lambda erhebt sich mit seinen beiden Schwalbenschwänzen und schaut mit ver- störten Augen auf den Boden seiner Tasse. Dann durchschreitet er den dunklen Korridor. Jemand tritt der Katze auf den Schwanz, sie macht eine blitzschnelle Wendung und flüchtet ins Zimmer, Was gibt's? Was ist los? Beinahe wäre Herrm Lambda die Brille von der Nase gerutscht. Wo ist mein Hut? Nein, das ist nicht meiner, er ist zu groß. Wie zu groß? Der buschige Bart bewegt sich drohend. Die beiden Ehepaare steigen die enge Treppe hinunter, einer nach dem andern. Ich sehe noch eine Bartspitze des Herrn Chianti und mich überfällt von neuem eine schreckliche Versuchung. Aberich denke: „Das wird ein andermal gemacht!” Herr Lambda trocknet sich die Stirn mit dem Taschentuch und ehe er verschwindet, dreht er sich um und ruft jovial lächelnd: „Ausgezeichnetl Aus- gezeichnet!” (Aus dem Italienischen v. Charlotte Opitz) Appell - Appello (fonl Bichl Im Felde) „Solsbrav!Wer fleißig legt, kriegt Urlaub, wer im Rückstand bleibt, wird als Suppenhuhn abgestellt!“ "Cosi va bene! Chi & assiduo a far uova, ottiene la licenza, ch Invece rimane in arretrato, viene servito come pollo allesso!,, -DIEFQUALENTHEORTLE VON GERT SASCHA Emsig pfeifend war ich damit beschäftigt, ein großes Stück Leinwand über den Keilrahmen zu spannen, um mit der Kohlenskizze meines neuen Gemäldes: „Elefantenküken zermalmen ein Nil- pferd” zu beginnen. Dies Werk sollte die Empfangs- halle eines Zoologischen Gartens zieren. — Eben wollte ich mein Pfeifchen stopfen, als Pro- fessor Prodohari ins Atelier stürzte. Er war, wie immer, zehn Jahre jünger. Aus seinen Augenblitzte unerbittlicher Forschungstrieb, als er mich anfuhr: „Zieh dich an! Laß alles stehen und liegen und komm mit!” Da ich wußte, daß Frage oder Widerspruch bei Prodoharis kategorischen Weisungen unnütze Kraft- vergeudung gewesen wäre, hob ich die Pfeife, die mir vor Schreck aus dem Munde gefallen war, wieder auf und eilte bald mit wehenden Mantel- zipfeln an Prodoharis Seite über die Straße. In seiner Praxis angekommen, ließ er mich im an- helmelnden Operationsstuhl Platz nehmen, schlüpfte hurtig in seinen weißen Kittel, sah mich prüfend an und fragte: „Gehörst du als Malbeflissener zu den Geistes- arbeitern?” - Eine unbekannte Falle witternd, antwortete ich vor- sichtig: „Wie man’s nimmt!” — „Dacht‘ ich mir! Also in medias res! — Ich brauche für den Richtigkeltsbeweis meiner neuesten Theorie ein lebendes denkendes Versuchsobjekt, und das kannst nur du sein!” „Um Himmels willen!” rief ich und wollte fliehen, — „du willst mir wieder was einspritzen, wie die Feuerwehr, so daß ich einschrumpfe, wie ein alter Winterrettich! Nein! Hilfel” — Aber Prodohari drückte mich wieder auf den Sessel zurück und beruhigte mich: „Diesmal handelt es sich nicht um eine simple sub- kutane Injektion, sondern um etwas für dich ganz Ungewöhnliches und Schwieriges! — Du sollst jetzt... denken! Intensiv denken! Würdest du der Wissenschaft dies Opfer bringen?” „Für die Wissenschaft würde ich einen Besen ver- speisen, der in Seifenwasser gestanden hat!” „Schön! — Kennst du die Quantentheorie?” Ich gestand, daß für mich die Quantentheorie ein böhmisches Dorf sel. „Hör zu: Wenn ein Körper erhitzt wird, dann... na?” „Dann schwitzt erl" „Nein — dann sendet er Strahlen aus! — Neuer- dings aber vertritt man die Theorie, daß der hitzte Körper auch Teile seiner selbst, also Mole- küle, abschleudert! Verstanden?” „Gewiß! Der schwitzende Körper spielt mit seinen Molekülen Fußball‘ „Er gibt also Quantitäten, — Quanten, — her. Da- her der Name: Quantentheoriel — In logischer Fortführung dieser Anschauung stelle ich die These auf, daß lebende Körper nicht nur Quantitäten, sondern, z. B. bei hochgradigen Denkvorgängen, — auch Qualitäten abgeben! Diese neue und um- wälzende Theorie, die ich meinen Kollegen als fetten wissenschaftlichen Brocken zuwerfe, nenne ich kurz: ‚Qualentheorle’i — Nun soll dein hoch- touriges Kleinhirn die Wahrheit meiner Qualen- theorie unter Beweis stellen!” — Meine Besorgnis, Vie Qualentheorie könne bei mir zur Qualen-Praxis werden, wußte Prodohari zu zer- streuen: „Zuerst steigst du auf die Miwa, meine hochemp- findliche Milligrammwage, dann gehst du in meine neukonstrulerte Caqua, Camera qualitatis, in der ich die Emanationen deines Denkens durch mei- nen Hirmwellenprojektionsapparat auf eine Art photographischer Platte festhalte. Nach diesem Ex- periment in der Caqua stellst du dich wieder auf die Miwa, wo ich eine eventuelle Gewichtsdiffe- tenz feststellen werde!“ Also sprach Prodohari. Ich aber begab mich mit angehaltenem Atem auf die Miwa-Plattform, wo der Professor genau 70999999 Milligramm Ge- wicht ablas. In der Caqua, einer Art verfinsterter Telefonzelle, schnallte er einen Riemen um mei- nen’ Kopf, an dessen Stirnseite eine Art Objektiv befestigt war. Prodohari sagte: „Nun konzentriere alle deine inneren Qualitäten auf den bevorstehenden Denkprozeß! Grüble ab- gründig und sinne tiefschürfend über ein, x-belie- biges Thema!” Damit schloß er die Caqua, und ich stand, einer schwach phosphoreszierenden Platte gegenüber, im Finstern. Was lag mir näher, als über die Kom- position meines Gemäldes: ‚Elefantenküken zer- malmen ein Nilpferd‘, nachzudenken? — Nach fünf Minuten anstrengender zoologischer Hirntätigkeit entließ mich Prodohari aus der Caqua, „Gedulde dich nochmals fünf Minuten!” rief er aufgeregt, — „ich entwickle nur die Plattel” Mit diesen Worten verschwand er im Nebenraum. Interessiert betrachtete ich den gläsernen Instru- mententisch. Besonders bewunderte ich die eigen- artig geformten, merkwürdig geschwungenen und leicht gebogenen Scheren, — Nach einiger Zeit kehrte Prodohari strahlend, die Platte in der Hand schwenkend, zurück. „Heurekal“ frohlockte er. „Triumph! Meine Qualen- theorie marschiert! Schau her! Dal Die Plattel Du hast natürlich wieder einmal nur an dich selbst gedacht! Denn was zeigt die Platte?... Ein Rhino- zerosil” Eben wollte ich erwidern, als er schon fortfuhr: „Die Fixierungsmöglichkeit reflektorischer und motorischer Hirnzellentätigkeit, als Basis der Qualentheorie, Ist damit zur Evidenz erwiesen! — Nun zum zweiten Experiment! Besteige die Miwal” Sorgfältig studierte Prodoharl die Skala der emp- findlichen Waage. „Slehst du?” jauchzte er, „eine zweifelsfreie Ge- wichtsminderung um 1999 Milligramm! Ein strikter Beweis für die Ausstoßung von einigen Millionen vitaler Moleküle! Meine Herren Kollegen werden auf ihren nächsten Kongressen über Diskussions- mangel nicht zu klagen haben! — Deine wissen- schaftliche Hilfsstellung aber wird auf einer Mar- mortafel im Treppenhaus der Alma mater In Ge- stalt eines goldenen Nilpferdes eingegraben werden!“ Nach diesen herzlichen Worten vermochte ich es nicht über mich zu bringen, den Lauf kühner Theorien durch ein banales Geständnis zu hem- men! — Nie werde ich daher die Ursache der 1999 Milligramm Gewichtsminderung aufkläreni — Kein Lebewesen wird je erfahren, daß ich mir während Prodöharis Abwesenheit mit den schönen gebogenen Scheren die Nägel geschnitten habel LIEBER SIMPLICISSIMUS It or nn (0. el e 2) Trat da in den ersten Maientagen im Badischen ein Junglehrer seine erste Stelle an und wurde am hohen Rathausfenster vom Bürgermeister mit der Umgebung des Dörfleins vertraut gemacht. Dabei zeigte sich der etwas schwärmerisch veranlagte Junge Erzieher besonders von der blühenden Pracht der Obstgärten sehr beeindruckt und verglich das Bild mit einem „wogenden Blütenmeer”, Worauf das Ortsoberhaupt die Hände über dem Bäuchlein faltete und voll Stolz murmelte: ‚8, und sehen Sie, das gibt alles, alles Most" & E.O, S. In einem Dort im Egerlande beklagte sich’ ein alter Bauer bei seinem Pfarrer bitter Über das an- haltende schlechte Wetter, das ihm die ganze Ernte zu vernichten drohte. Der Pfarrer suchte den Mann mit der Hoffnung auf bessere Jahre zu trösten. „Im übrigen“, sprach er mit mahnend erhobenem Finger, „mußt du trotzdem dankbar sein für alles, was Vorsehung und Natur uns schicken. Selbst die Vögel unter dem Himmel haben doch jeden Tag ihr Futter.” N „Na ja“ — der Alte blieb störrisch — „von mei- nem Korn... lag und Druck: Knorr Verantworti. Schriftlelter: Walter Foltzick. München. anstellen entgegen. — Bozugspreise: Einzelnumme: 30 Pf. ‚chaft, München, Sendling: Abonnement Im Monat Straße 80 (Fermruf 12%). Brlet ielssimus erscheint wöchentlich einmal. Besiellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- RM. 1,20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beilleg!, — schrift: München 2 BZ, Brieffach. Nachdruck verboten, — Poslscheckkonto München 5920, Erfüllungsort München. Löwenjagd in Afrika SLaF Auconanssaom Ur /li: \ | eo. er ? ZN N MN Rh Sa eg S N K Ile N N Sn „Nicht schießen, Onkel Sam, ich bin ja der britische Löwe!“ „Schön, aber merke dir, der König der Wüste bin von jetzt ab ich!" | < W] Caccia al leone in Africa: ‘Non sparare, zio Sam! lo sono il leone britannico!,, “Bene! Bada perö che d’ora Innanzi il Re del deserto sono lo!, 388 München, 21. Juli 1943 B 48. Jahrgang / Nummer 29 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Der Yankee und die Göttin der Kunst (Wilhelm Schulz) öl. „Warum soll ich auf die Rücksicht nehmen — ich kenne diese Person ja gar nicht!“ N Yankee e la Dea dell’ Arte: “Perch& devo aver riguardo d’ essa? lo non conosco affatto questa personal,, Entwicklung - Sviluppo „Denk bloß, Emil, so'n Biest tut den ganzen Tag nischt anders als fressen und schlafen!" „Da sieht man erst, wie weit sich der Mensch schon von der Natur entfernt hat!“ (). Hegenbarth) "Pensa un po', Emilio, una tale bestia non fa altro che mangiare @ dormire tutto Il giorno!,, — “Solo da questo si vede quanto I" uomo sl sla digglä allontanato dalla natura!,, DER HERR AUS DER JUGENDZEIT Ich traf Oskar in der Weinstube, Oskar aß Wurst mitLinsen und trank dazu ein Viertel Roten. Oskar war sichtlich nervös, Es fiel mir auf, daß er dem Essen und Trinken nicht die Aufmerksamkeit wid- mete, die man sonst an Ihm bei dieser Beschäf- tigung gewohnt war. Immer wieder blickte er zur Tür. Manchmal wollte er sogar plötzlich aufstehen. „Was hast du denn, Oskar?” „Ach, ich erwarte einen alten Schulkameraden. Habe keine Ahnung, wer er ist und wie er aus- sieht. Ein Bekannter rief mich vorhin an und sagte: Ein alter Schulkamerad wollte mich hier aufsu- chen. Ich liebe solche Überraschungen gar nicht!” Oskar hatte weder die richtige Freude an dem Wein noch an der Wurst mit den Linsen. Jetzt ging wieder die Tür auf und herein trat ein Herr mit wehendem Vollbart. Er blickte suchend in der Wirtsstube umher, Gerade wollte Oskär aufstehen und ihn mit den Worten begrüßen... Mit welchen Worten wollte er ihn überhaupt be- grüßen? Sollte er sagen: „Du hast dich aber gar nicht verändert!” oder „Jetzt haben wir uns aber lange nicht mehr gesehen!” Und dann etwas über die feuchte Witterung sagen? — Aber er konnte sich nicht entsinnen, daß einer mit Vollbart in seiner Klasse gewesen war, und da sagte auch schon die Kellnerin: „Guten Abend, Herr Hauptkassier, die Herren sitzen drüben.” Oskar war glücklich, daß der Herr kein Schul- kamerad war. Kaum hatte er wieder zum Rotwein gegriffen, da ging nochmals die Tür auf, und jetzt, ja das war der typische Jugendfreund. Der Herr kam gerade auf unseren Tisch zu. Oskar breitete schon’ die Arme aus, um ihn herzlich zu empfangen,. wie man Jugendfreunde begrüßt, die einem vollkommen gleichgültig sind. Der vermeintliche Herr aus der Jugendzeit aber zog etwas aus der Tasche und bot Lotterielose zum Kaufe an. Oskar war sichtlich erleichtert und deckte sich bis zum Hals mit Lot- terielosen ein. Dann warteten wir wieder, aber es kam niemand, Ich sagte zu Oskar, daß es ja auch möglich sei, der Jugendfreund säße bereits hier. Oskars Augen wanderten umher und prüften alle alleinsitzen- den Herren auf Jugendfreundschaft. Der Mann konnte ja vorzeitig gealtert sein. Womöglich war es der mit dem weißen Schnauzbart. Oskar überlegte, ob er hinübergehen solle und sagen: „Verzeihen Sie, mein Herr, sind Sie vielleicht Jugendfreund?“ Es wurde ein recht ungemütlicher Abend. Ich offerierte ihm noch verschiedene Leute als brauch- bare Schulkameraden, dicke, dünne, alte, Junge, offensichtlich Verheiratete und typische Jungge- sellen. Oskar lächelte hierhin und verneigte sich schüchtern dorthin, aber niemand wollte ihn zum Jugendfreunde. Da trank Oskar seinen Wein aus und sagte ver- ärgert: „Ich kann Jugendfreunde überhaupt nicht leiden, sie stören sogar die Gemütlichkeit, wenn sie nicht kommen.” Foitzick 390 ELEMENTARISCHES Aus des Alltags trüber Soße, in dem Arm die Badehofe, wandelt man hinab zum Fluß, wegzubaden den. Verdruß. Länger kann man’s nicht verkraften, bloß am Irdifchen zu haften. Ein mobil’res Element wird von Leib und Geift erfehnt. Frei uns in die Luft zu heben und darin herumzufchmeben, ift uns ja, Gott fei’s geklagt, vorerft leider noch verfagt. Doch in fommerlichen Zeiten fchmimmend durch das Naß zu gleiten, u fteht auch heut fchon jedermann völlig frei, fofern er’s kann. Herrfcher zweier Elemente, rührt die Beine man und Hände und empfindet um und um fich als ein Amphibium. Ratatöshr Martinique „Nun hat er mir diesen guten Bissen auch noch weggeschnappt!'‘ Martinica: “Ecco ch’ egli m’ ha strappato via anche questo buon boccone!,, 391 WIR WAREN GÄSTE VON KONRAD SEIFFERT Eduardo Cardomida lud uns ein, den Ramon und mich. Wir sollten seine lieben Gäste sein. Wir sollten monatelang auf seiner Hazienda bleiben. Alles, was wir gern halten, sollte uns zur Ver- fügung stehen. Diese Einladung nahmen wir an. Cardomida war uns zu Dank verpflichtet. Bei einem Geschäft hatte er viel Geld verdient. Und wir waren es gewesen, die ihm dieses Geschäft er- möglicht hatten. Er hätte uns von seinem Gewinn einen Teil abgeben können. Aber so etwas wagte er uns nicht anzubieten. Auf der 'Hazienda Cardomidas wurden wir mit einer Herzlichkeit begrüßt und empfangen, die uns seit langem unbekannt war. Nein, es war nicht des Geldes wegen, das Cardomida durch uns ver- dient hatte: es war die Freude eines Mannes über das Wiedersehen mit zwei Menschen, die er schätzte und liebte. Auch Dofia Josefina, seine Frau, freute sich über unser Erscheinen. Und die beiden Töchter des Ehepaares, Dofia Elvira und Dofia Blanca, waren zwei hübsche Mädchen. Wir waren entzückt von Ihnen, als wir sie sahen, Sie hatten gar nichts von Jener Zimperlichkeit an sich, die einem gesunden Mann oft so zuwider ist. An dem Abend, an dem wir ankamen, gab es ein Festessen. Es erschien viel Wein und Likör auf ‚dem Tisch. Wenn wir da richtig zugegriffen hätten, hach, das wäre eine Trinkerei geworden! Aber wir wußten ja, daß wir uns beherrschen mußten in der Gegenwart der drei Damen. Das Essen? Ja, es gab da vor allem Charque, Ich weiß nicht, lieber Herr, ob Sie das Zeug kennen. Charque Ist getrocknetes Rindileisch, Es soll nahr- haft sein, aber Ich muß das bezweifeln. Charque wird an der Sonne getrocknet. Das Fleisch wird in lange Streifen geschnitten und aufgehängt. Es trocknet schnell, wenn die Sonne heiß genug brennt. Und das tut sie oft. Nein, in der Regenzeit kannı man kein Fleisch trocknen. Wenn die Fleischstreifen In der Sonne hängen, dann kommen die Fliegen und alle Tierchen, die Flügel haben. Die setzen sich auf das trocknende Fleisch. Sie ahnen gar nicht, was alles Flügel hatl_ Ist das Fleisch trocken, dann wird es in Ballen ge- preßt, landauf, landab verschickt, durch den Schmutz gewälzt, durch den Staub gezogen. Es wird naß und wieder trocken. Zuweilen setzt es Schimmel an. Dann sieht es nicht sehr appetitlich aus. Und es wird gekocht und gegessen, Dochl Man würzt es sehr scharf. Die Tunke, in der es schwimmt, treibt einem das Wasser In die Augen und einen Feuerbrand bis in den Magen hinunter. Wer das Zeug nicht kennt und ahnungslos den Mund davon voll nimmt, der geht an innerem Brand schnell und lautlos zugrunde. Sagen? Nein, sagen kann er da nicht viel. Man trinkt dazu. Und die Getränke, die den Brand löschen sollen, sind auch keine zahmen Ange- legenheiten, Sie können es glauben, lieber Herr! Solch Trockenfleisch also setzte man uns vor. Ra- mon und ich, wir würgten daran herum. Denn Charque Ist in der Regel sehr zäh. Und was wir bel Don Eduardo bekamen, das war besonders zäh. Wir standen innerlich versengt, hungrig, durstig, mit schwankenden Knien und zitternden Händen vom Tisch auf, konnten nur noch krächzen, sagten, wir seien reichlich müde, verabschiedeten uns und gingen schlafen. Ach, wir schliefen schlecht. Es schläft sich nicht gut In solch einem Zustand, nein, wahrhaftig nicht. Am nächsten .Morgen waren Don Eduardo und Dofia Josefina reizend zu uns. Die beiden jungen Damen auch, Das Frühstück war gut, Ich muß das zugeben. Aber mittags gab es wieder etwas, das war un- genießbar, irgendetwas Ledernes, nein, es war wohl kein Charque, aber es war nicht viel anders. Und wieder war alles mit vielen vielen höllischen Gewürzen gewürzt, die uns, den Ramon und mich, fast umwarfen. Wir waren doch allerhand ge- wohnt. Dies aber war uns doch zu stark. Am Abend war es nicht viel anders. Und so ging das jeden Tag. Es war klar, daß wir von innen heraus verbrennen mußten, wenn wir das auf die Dauer mitmachten. Ach, lieber Herr, ein Mensch gewöhnt sich an mancherlei. Und auch wir wären auf der Hazienda Don Eduardos vielleicht doch nicht verbrannt, sondern hätten mit der Zeit ganz brauchbare Esser für scharfe Gewürze abgegeben. Aber wir konnten nicht einsehen, daß wir dabei so leiden sollten. Und wir wollten auch nicht immer nur auf Leder beißen. So etwas macht die Zähne nicht scharf, sondern stumpf. Stumpfe Zähne aber sind nicht schön. Und vor allem wollten wir satt werden. Jawohl, wir waren Fleischesser. Aber wir waren keine Trockenfleischesser, Es Ist da ein Unter- schied, ich weiß nicht, ob Sie den kennen und wie ich Ihnen das klar machen soll. Aber es ist ein Unterschied, Sie können es glauben. Nach einer Woche, ih der wir die ständige Qual der unbarmherzigen Gewürze und des zähen le- ders bei jedem Essen über uns ergehen lassen mußten, waren wir so ziemlich am Ende. Wir hatten uns den Aufenthalt als Gäste Don Eduardos anders, ganz anders vorgestellt. Jetzt waren wir innerlich verbrannt. Wir waren halb verhungert. Unsere Lip- pen waren rissig, unser Magen eine einzige Wunde. Wir sahen alles in einem roten Dunst, der vor unsern entzündeten Augen hin und her trieb. Wir hatten noch kein vernünftiges Wort mit den beiden Mädchen gesprochen. Sie warteten darauf. Wir sahen es deutlich. Sie warteten vielleicht auch noch auf verschiedenes andere, ich weiß es nicht genau. Und ich sagte zu Ramon: „Hier muß sich etwas ändern, wenn wir nicht kaputt gehen wollen! Ent- weder wir verschwinden — oder wir suchen uns selber etwas Vernünftiges zu essen!" Ramon wollte nicht verschwinden, noch nicht. Und nun tat er etwas ganz Falsches. Er war im Lande geboren, er kannte die Sitten und die Angewohn- heiten seiner Landsleute. Ich war nur ein Zuge- reister. Ich konnte nicht wissen, daß das, was Ramon nun tat, ein starker Verstoß gegen jeden Anstand war. Schlimm? Nein, schlimm war es eigentlich gar nicht, Das sagten wir uns. Und das werden auch Sie sich sagen, lieber Herr, wenn Sie erfahren, was der Ramon tat, Aber darauf kommt es Ja niemals an. Es kommt immer darauf an, wie die ändere Seite über das denkt, was Sie tun oder unterlassen. Also: Ramon meinte, wir könnten ein Pekarl, ein DER REGEN Der Regen singt seine Lieder. Es mill dir nicıt gefallen, Daß die Regentropfen knallen? Warum nidıt? "Sieh die Apfelbäume an: Sie standen nodı nie so behaglic und grün Im Garten! : Und die Sonne, die alte, kommt wieder: Du braudıst nur zu warten! Dann sdhallen die Bädıe am Morgen so kühn, Friscdı dampft es aus jeder Spalte, Die Erdbeeren glühn, Und die Welt sieht aus wie gesegnet: Was ist ihr denn schon groß begegnet? Gestern hat es geregnet! Georg Britting 392 Wildschwein, schießen, die besten Stücke des Tieres der Hausfrau überreichen und sie bitten, uns einen herzhaften Pekaribraten vorzusetzen. Da hätten wir mal etwas Frisches gehabt, was nicht ledern war. Und wir konnten vielleicht auch erreichen, daß man mit den Gewürzen sparsamer umging. Pekaris gab es in Mengen. Sie bevölkerten den Busch und die Savanne zu Hunderten. An einem Vormittag kamen wir mit zwei Schweineschinken an, sagten unser Sprüchlein auf — und das Ge- sicht der Hausfrau wurde zu Eis. Sie sah auf die Schinken, sah uns an, sah an uns vorbei, ließ uns stehen und verschwand, ohne ein Wort zu sagen. „Was ist das nun?” fragte Ich den Ramon. Der murmelte etwas vor sich hin, machte ein ernstes Gesicht und zog mich weg. Wir nahmen die Pekarischinken mit in unser Zimmer, wo wir sie aufhängten. Mittags gab es ‚etwas Ledernes mit Gewürzen. Niemand am Tisch sagte einen Ton. Dofa Josefina zeigte uns, daß sie tödlich beleidigt war. Don Eduardo sah sehr bekümmert drein. Die beiden Mädchen waren verlegen. Wir standen, wie Immer, hungrig und Innerlich verbrannt auf, Ich fragte den Ramon, was denn eigentlich ge- schehen sei, Und er sagte mir, geschehen sel nicht viel, es sei eben nicht üblich, daß ein Gast etwas beitrage zu seiner Ernährung. Das hätten wir getan, nun sei das Unglück da, hier sel kaum noch etwas gutzumachen, mit unserm Aufenthalt bel Don Eduardo werde es wohl zu Ende sein. Ich dachte an die beiden Mädchen, es waren hübsche Mädchen, wahrhaftig. Sollten wir eines Pekaris wegen um verschiedenes kommen, was uns vielleicht hätte geboten werden können? Wir sollten. Gegen Abend nahmen wir einen unserer Schin- ken und gingen damit in den Busch. Dort mach- ten wir ein Feuer an, steckten das Fleisch an einen Spieß, und Ramon zauberte einen Spieß- braten, der großartig war. Zum erstenmal seit unserer Ankunft auf der Hazienda Don Eduardos wurden wir satt. Zum erstenmal wurde unser Inne- tes nicht versengt. Und der Duft, ach, lieber Herr, der Duft des Bratens war allein schon etwas wert Es gab an diesem Abend bel Dofia Josefina nichts anderes zu essen als sonst. Aber das machte uns nicht vielaus. Wirhielten uns an die Flüssigkeiten. Und Ramon bekam es in seiner Freude fertig, einen Trinkspruch auf Dofia Joselina anzubringen. Trinksprüche sind Glückssache, Sie müssen das zugeben. Ramons Trinkspruch war eine unglück- liche Angelegenheit. Ramon erreichte es mit sei- nen wohlmeinenden Worten, daß Dofia Josefina aufstand, etwas von Unverschämtheit zischte und verschwand. Ihr folgten die beiden Mädchen auf dem Fuße, Nach einer Weile meinte Don Eduardo, der bis Jetzt kein Wort gesagt hatte: „Ja, so Ist das!" Dann verließ auch er das Zimmer. Ramon und ich, wir blieben allein zurück. In wel- cher Stimmung wir uns befanden, das brauche ich Ihnen nicht zu schildern. Das können Sie sich selber ausmalen. ® Es war alles verdorben, das war uns klar. Und weil uns das klar war, deshalb nahmen wir noch etwas von den trinkbaren Flüssigkeiten zu uns, die auf dem Tische standen, Ja, wir tranken recht kräftig. Denn jetzt brauchten wir ja keine Rück- sicht mehr zu nehmen auf die Damen. An diesem Abend verließen, wir das Haus Don Eduardos. Es stellte sich heraus, daß unsere Pferde bereits gesattelt worden waren. Ein zarter Wink war dasl Wir versuchten, uns von der Familie zu verabschieden. Es gelang uns nicht, auch nur eins ihrer Mitglieder zu sprechen. Also ritten wir davon, ziemlich lustig und recht laut, das kam von den Flüssigkeiten, die wir etwas zu schnell, zu hastig hinuntergegossen hatten. Den zweiten Pekarischinken nahmen wir mit. Wir banden Ihn hinter Ramons Sattel fest und aßen ihn dann noch in der Nacht auf, als wir Rast machten. Er schmeckte uns nicht schlechter als der erste, wahrhaftig nicht! „Timeo Danaos...“ cum „Rühr bloß die Puderdose nicht an — hier ist gestern ein amerikanischer Flieger drübergeflogen!“ “Timeo Danaos...„: "No, non toccare la scatola della cipria! Jeri vi & volato sopra un aviatore americano!,, 393 Hexenfußball - Partita di calcio delle streghe (Fr. Bllok) TÜREN | = Sat N TIROL VON JO HANNS ROSLER „Sonderbar Ist es mit den Türen bestellt”, dachte Josef Hinzelmann, als er durch Tirols Dörfer ging, „alte Bauernhäuser liegen am Wege, unverfälscht in ihrer Bauweise erhalten, mit geschnitzten Bal- konen, oft am Balkenwerk noch die Jahreszahl früherer Jahrhunderte. Schwarze Holzschindeln decken die schiefen Dächer, meterdick sind die Fensterbänke und die eichenen Türstöcke weisen Schnitzereien längst vergangener Jahrhunderte auf, nur die Türen selbst — jedes Haus hat eine moderne, sachliche und häßliche Tür. Sehen dies die Bewohner nicht? Ist es nicht eine Schande, ein so schönes Haus sein eigen zu nennen und an der Tür achtlos vorüberzugehen? Wenn ich einmal ein solchas Haus besitzen werde — —" Der Gedanke an die alte Tür ließ ihn nicht mehr los, immer tiefer ergriff die Tür Besitz von seinem Denken und als er eines Tages bei einem Einöd- bauern eine uralte Tür sah, mit Holznägeln be- nagelt, beschloß er, um jeden Preis diese Tür zu erwerben. Der Bauer, dem der Hof gehörte, war längst gestorben, die Pächtersleute, die nichts da- gegen hatten, eine neue Tür zu bekommen, wie- sen Hinzelmann mit seinem Begehr an die Erben. Und hier erlebte Hinzelmann eine neue Über- raschung: die Tür selbst war nicht zu verkaufen, hingegen wurde Ihm das ganze Haus mit der Tür zu einem so billigen Preis angeboten, den er gern für die Tür allein zu zahlen bereit war. So kam es, daß Hinzelmann, der in eine alte Tür ver- liebt war, ein altes Haus kaufte und beschloß, es mit Möbeln aus der Zeit einzurichten und darin zu leben. Josef Hinzelmann erwarb zunächst ein breites Bauernbett mit einem gemalten Himmel, auf dem sich zwei Schutzengel gerade Gute Nacht wün- schen, eine völlig verfehlte Geste, denn Schutz- engel sollen über uns wachen, wenn wir uns schlafen legen. Dann kaufte sich Hinzelmann einen alten Tisch; Stühle, Schränke mit den vier Jahreszeiten in bunter Malerei oder den sieben Todsünden naturgetreu dargestellt, und jedesmal, wenn er mit einem neuen alten Stück an der Tür vorüberging, nickte er der Tür vertraut zu als wollte er sagen: „Siehe, das tue ich für dich!” Mit dem Kaufen kam die Freude an den alten Dingen, später das Verständnis, nie jedoch der Verstand: Hinzelmann kaufte, bis das Haus barst. Schmiedeeiserne Steigbügel und Grabkreuze trug er heim, hölzerne Madonnen, alte Bauernuhren, Betpulte, Engelsköpfe, die desto teurer wurden, Je freundlicher sie in das irdische Dasein schau- ten, während übellaunige Engelsköpfe für billiges Geld zu haben waren, woraus Junge Fräuleins etwas lernen mögen — — alles dies brachte Hinzelmann in sein Haus, das immer wertvoller wurde, da auch die Handwerker ein und aus gin- gen, Platz und Raum für die gesammelten Schätze zu schaffen. Die Fußböden wurden erneuert, die windschlefen Fensterstöcke ersetzt, das Dach er- neuert, nur die Tür blieb in ihrer alten adligen Schönheit mit ihrem schweren eingerosteten Schloß, das keinem Schlüssel nachgab. An wind- stillen Abenden lehnte man die Tür einfach an und ihre eigene Schwere hielt sie an der Stelle. Herbststürmen jedoch gab sie allzuwillig nach und der Riegel fand nur kurzen Halt in dem müden, morschen Holz. Die alte Tür betreute nicht das Haus, sie war wie ein alter Mensch: leicht zu überreden. Und als Hinzelmann eines Tages, um 394 en pe AR eine Feuerversicherung abzuschließen, den Wert seines Hausrates schätzen ließ, erschrak er über die hohe Summe, die er nun ‚wohl gegen Feuer, keinesfalls aber gegen Diebstahl geschützt hatte. Er sah die alte Tür nicht mehr wohlgefällig an, die nur noch das Gnadenbrot aß und ihn hinderte, das Haus mehrere Stunden allein zu lassen. Als er gar eines Morgens Spuren eines ungebete- nen Gastes im Haus entdeckte, war es mit seiner Langmut zu Ende. Er warf der windschlefen Tür einen bitterbösen Blick zu und ging zu dem Schreiner des Ortes, sich eine neue sachliche Tür aus festem Holz mit festem Schloß zu be- stellen. „Sonderbar ist es um die Türen bel diesen alten Häusern bestellt“, sagen Jetzt die Leute, wenn sie an Hinzelmanns Haus vorbeikommen, „sieh dieses schöne Haus, wie unverfälscht In seiner alten Bau- weise, mit seinen geschnitzten Balkonen und sel- nen tiefen Fenstern, nur diese moderne und häß- liche Türl Wenn ich einmal ein solches Haus be- sitzen werde — —" MEIN FREUND JOHANNES Johannes kam zu mir. „Wollen wir uns heute abend irgendeiner Aus- schweifung hingeben?” fragte „Das habe ich keineswegs vor”, entgegnete ich bestimmt. „Ich eigentlich auch nicht. Aber wir sollten es uns jetzt fest vornehmen und uns dann nachher dazu überwinden, es doch nicht zu tun“, meinte er nachdenklich. „Und wozu das Ganze?” fragte ich erstaunt. „Ja, sieh mal, dann könnten wir uns morgen dar- über freuen, daß wir so vernünftig waren und des- halb keinen Kater haben“, erklärte Johannes. ).B. Stimmungen IR. Krlosch „Herrlich ist doch so ein Stück Natur in seiner prangenden Fülle und Unberührtheitl" „Werd’ nicht pathetisch wie 'n Mann, der den Übergang sucht!“ Sentimenti: "Quanto & bella qui la natura nello splendore della sua pienezza e verginitäl,, “Non fare adesso la patetica, come un uomo che cerca d’ incedervi sopral,, 395 DAS MÄDCHEN UND DIE GERANIE Das Mansardenfenster war weit geöffnet, den rechteckigen Ausschnitt füllten Himmel und die tuhenden Riesenschäfchen weißer Wolken. Die rotbraune und schiefergraue Landschaft darunter bestand aus schrägen Dächern, aus Kaminen, aus fernen Türmen und Drähten, aus Mauern und Alta- nen, von Katzen und Kaminkehrern gelegentlich schweigend und gelenkig belebt. Das Mädchen lehnte am Fenster. Es schien noch unbeweglicher als das stille Verhaltensein der Dinge um sie, als die unhörbaren Gesänge in den Antennendrähten, als die friedlich zu Ende gegangene Wolkenfahrt, als der kaum geflüsterte Rhythmus des nieder- gehenden Lichtes. Zwischen Ihren Augen lag eine Welle des Haares wie die Schwinge eines schwar- zen Vogels, Von der Goldflut der schon versun- kenen Sonne abgewendet, sah sie, das Gesicht nach unten gebeugt, In die violette Dämmernis des kahlen Hofes. Auf ihrer linken Wange lag der sanfte Widerschein einer roten Geranienblüte; ein Schimmer noch traf Ihre tiefschwarzen Locken. Die Blume stand In einem Topf am Gesims des Fen- sters und jetzt zupfte das Mädchen ein verdorrtes Blatt ab. Dann warf sie es In die Tiefe. Sie sah es dunkler und dunkler, den Schatten zugehörig wer- den. Ein Frösteln lief um die hochgezogenen Schul- tern, So wartete sie auf den Geliebten. Als es dunkel wurde, schloß sie das Fenster und zog die Vorhänge zu. Vor Ihnen stand sie, eine schmale, zärtlich geformte Silhouette, vor dem letzten Schimmer des vergehenden Tages. Dann, nach einer kurzen Weile, knipste sie das Licht an, setzte sich mit hochgezogenen Beinen in einen breiten Stuhl und begann in einem Buch zu lesen. Uber den klugen Augen waren die schmalen Brauen etwas überhöht wie in leichter Ironie, Der Mund war das Reifste in diesem Gesicht, wenn es auch noch nicht allzulange her war, daß er zum erstenmal dem zehrenden Kuß des Mannes sich bot. Uber dem Körper läg die bedenkenlos ver- schwenderische Pracht der ersten Jugend. Um so stärker war der Widerspruch, der aus den Be- wegungen kam, Ihre Melancholie war nicht zu übersehen. Nein, sie horchte nicht mehr auf Schritte, auf das Läuten der Glocke. Sie wartete auch nicht eigentlich; die Zeit verstrich eben und unter gläsernen Himmeln schwiegen alle Glocken. Sie sah tief in ihr Herz, wo die Liebe brannte, diese unendliche, würdelos gewordene Liebe zu diesem Mann. Noch war nichts geschehen, kein Wort eines Endes gesprochen. Er ist feig, dachte sie In einer Welle aufflammenden Zornes und wie haben wir uns versichert, Immer-ehrlich zu einan- der zu sein. Nun Ist alles anders und jeder neue Tag Ist eine neue Lüge. Ulla zog die Knie bis ans Kinn. Das Buch war aus Ihrem Schoß gefallen. Nicht einmal den Windstoß hörte sie, der mit blechernen Fingern über die Dächer trommelte, schnell verschwand wie ein von Erdenschwere los- gelöster Geist, wieder ankam, diesmal auf stamp- fenden Rossen, eine Mähne von Regen an die Fenster schüttelnd. Im Bett ist sie noch lange wach gelegen, bis der Traum ihr quälend und doch voller Süße den Geliebten in die Arme legte. Als es am nächsten Abend läutete, hielt'ihr Herz für einen Augenblick im Schlagen ein. Sie sprang auf und drückte die Hand an die nun wieder laut und stark pochende Stelle an der Brust. Dann hielt sie sich vor, langsam zur Tür zu gehen. Sie sagte vor sich hin: Er ist es ja gar nicht, es ist die Mo- nika. Das sagte sie vor sich hin, ohne es zu glau- ben. Er ist es, nur er. Es war aber kein Jubel, eher das Wissen und die Spannung um die Entschei- dung. — Ewig, grübelte Ulla für ein paar Sekunden im Dunkel vor der geschlossenen Tür: Ewig — was ist das? Wie viele Wochen ist das her — da fiel dieses Wort. Ewig gibt es für uns ja gar nicht — wer hat denn dieses Ewig überhaupt erfunden? Da zählte sie noch schnell die Tage, die Wochen. Eine ewige Liebe kann also — fünf Monate dau- VON ROLF FLUGEL ern. Dann geht sie zu Ende und eine andere ewige Liebe — — — Da schellte die Glocke laut und fordernd. Ulla öffnete: „Ach du bist es!” — „Ja, ich bin es!” Die Antwort war wohl um einige Grade zu laut; zu forsch auch versuchte er das Mädchen zu umarmen. Ulla drängte sich von ihm weg, ging vor ihm ins Zimmer. Es sah einer Flucht gleich. „Wie geht es?” — Es gibt eine Höflich- keit, die hat den Schmerz frischer Wunden. „Ach“, sagte sie nur und rückte an der Porzellanfigur auf dem Bücherbrett. Den Mann hielt es aber nicht lange auf dem Sessel, „Ahl” rief er und deutete auf die vom späten Abendlicht beschienene Wand, „war das Bild nicht früher auf der andern Seite?” Nun kam er zu dem kleinen Schreibpult. „Das Kalenderblatt ist von gestern.“ Er brachte das mit der Zelt In Ordnung, stolperte Über den Teppich und verlangte etwas zum Rauchen. Nie war Ihre Schönheit gleichzeitig flammender und schmerz- licher als jetzt. Sie hatte zu schwarzen Haaren blaue Augen. So stand sie vor dem Blaugrund im Rahmen des offenen Fensters. Die Farben gingen nicht zusammen, aber doch empfand man sie als einen verwirrenden Akkord. Nie war sie schöner und lockender als jeızt, wo die flüchtigen Schat- ten einer Düsternis das strahlende Gepränge ihrer Jugend noch erhöhten. Der Mann schien auch etwas zu spüren von ihrer brennenden Kühle, die von Ihr ausging. Er zog sie jetzt zu sich und küßte sie. Ihre Augen verdunkelten sich und tief senkte sie die Lider, um nichts von der quälenden Lust zu verraten, die die Küsse ihr bereiteten. Dann ließ er sie wieder frei und stand neben dem Stuhl. Es ist elne Schande, dachte sle vor sich hin, es ist einfach eine Schande und es überstürzten sich die Worte aus ihrem Mund: „Ich will nicht mehrl” — Der Mann sah einen Augenblick über- tascht zu ihr hin, ein schneller Hohn zuckte in seinen Augen, dann hob er leicht die Schulter und sagte gleichgültig, Ja fast unwillig: „Aber Ulla, wegen der Geschichte — das Ist doch längst vor- SCHLEHENLIED Von Herbert Fritsche Verblüht sind rings die Schlehen Nach kurzer Frühlingsfrist, Der Sommer läßt geschehen, Was seines Amtes ist, Die Früchte müssen reifen, Es reift der Kern darin — — Nur Wissende begreifen Des Werdens Weg und Sinn. Als noch die Blüten schäumten Und hell am Bergeshang Ihr junges Schicksal träumten, Kam ich den Pfad entlang. Die Schlehenhecke streckte Mir einen Zweig zum Mund. Ich nahm ihn: Bitter schmeckte Der grüne Blütengrund. Nun sind die weißen Sterne Vom Sommerwind verspielt, Doch keimt im bittren Kerne, Was auf die Zukunft zielt. Wer dies begreift, wird stille Und bleibt fortan gewiß: Es webt ein wacher Wille In jeder Bitternis. 396 beil” — „Mag sein — dann kommt eine andere und wieder eine andere — lauter Ewigkeit — eine nach der andern.” Und dann leiser und wie als wäre sie allein im Zimmer: „Ich habe nicht so viel Ewigkeiten — kann sein — Ich habe nur die eine — — —” Er versuchte ein Lachen, doch miß- glückte es zweifellos. Es glich eher dem häßlichen Schrei eines Tieres. Ich habe einen Ekel vor Ihm, sInnierte das Mädchen, um ihre Abwehr zu ver- stärken, aber als er sie jetzt mit einer brutalen, ölig routinierten Geschmeidigkeit neuerdings in seine Arme schloß, spürte sie voll eines tödlichen Schmerzes wieder-das Verlangen in allen Glie- dern. Ich bin einfach verdorben, so Jagten ihre Gedanken, diese armen, kummeryollen Gedanken wie kleine Vögel im engen Käfig flatternd hin und her, verdorben und der Schandpfahl ist meine Heimat. Sie wehrte sich kaum, als seine Hand nach ihr griff. In diesem saugenden Strudel gab es nichts mehr als Nacht, flammende Nacht, halb- offene Münder und erlösungsloses Ertrinken. Es gibt kein Erbarmen. „Kleine Ulla, nun bist du wieder vernünftig!” So ist die Welt des Mannes, so folgerichtig, von einer solch erbärmlichen Logik. Männer haben die Arlthmetik erfunden und das Ziffernsystem. Sie entdecken den Wald, indem sie die Bäume zählen und die Liebe — Ulla stand Jetzt am Fenster — sie zählen auch in der Liebe — eins, zwei, Ewigkeit, eins, zwei, hoppla Ewigkeit. Für einen kurzen Augenblick schwang der von breiten Schwingen: getragene Leib eines Vogels durch den Himmel, Erst als er längst verschwunden war, ertönte sein Schrei. Wieder dämmerte der Schacht des Hofes in den verwesenden Farben des sterbenden Lichts. Ulla beugte sich über das Gesims. Ihre hängenden Locken bewegie ein zögernder Wind. Ach, da unten lag Ja der Stock mit der Geranienblüte, ein blutrot leuchtender Ball auf dem kleinen Grab- hügel der eigenen Erde, Der Mann hörte ihren kurzen Ruf. „Was Ist?” — „Die Geraniel" Er kam neben sie an das Fenster, Ein blauroter Himmel flammte als Echo der gestürzten Sonne. Aus dem immer mehr in sich zusammensinkenden Schwarz in der Tiefe des Hofes hob sich wie ein blutendes Haupt die Geranienblüte. Das Mädchen richtete sich auf. Plötzlich schien ihre Demut, ihre Verzagt- helt In Stolz verwandelt. „Das ist nämlich so, daß sie sich selbst hinuntergestürzt hat.” Das sagte sie sehr bestimmt. Der Mann hob mit einer plötzlichen Bewegung den Kopf. „Wer hat sich hinunter- gestürzt?” — „Die Geraniel’' — „Die Geranie hat sich hinuntergestürzt?” Ulla nickte, „Sie mußte es nämlich tun — sle hatte keinen anderen Ausweg mehr.” Der Mann richtete an seiner Krawatte, Er hatte im Glas des einen zurückstehenden Fenster- flügels sein Bild entdeckt. Er stand schon tief im Düstern und nur die kräftige Farbe der Binde war noch klar zu erkennen. „Unsinn — das ist ja Un- sinn!” — Alle Dinge, Stühle, Tisch, Schrank und Bild, der Mantel, der unachtsam über die Kom- mode geworfen war, hatten ihre Gestalt verloren. Sie waren im Dahinsiechen des Lichtes in einer schrecklichen Auflösung begriffen. Der Mann schüt- telte mit eckiger Bewegung diese Stimmung ab. „Das ist natürlich der Wind gewesen, der Sturm- wind von gestern abend.” Er war verblüfft, wie schwer er sich tat, an seine eigenen Worte, an diese doch so natürliche Erklärung zu glauben. Des Mädchens Stimme — er konnte ihr ‚Gesicht kaum mehr erkennen — antwortete ohne Erregung und ohne Betonung: „Was blieb ihr denn noch übrig, da sie den Wind liebtel” Der Mann ant- wortele irgendwo aus dem Dunkel her und es war ein unsicheres Flackern in seiner Frage: „Es ist also ein Selbstmord gewesen?" Darauf bekam er keine Erwiderung. Das Mädchen erzählte jetzt die Geschichte von der Geranie und dem Wind und es war, als würde sie es aus einem Buch heraus- lesen, so ohne Zögern und so im richtigen Satz- bau war es hergesagt: „Sie Ist die einzige Ge- ranie gewesen im welten Geviert des Hofes. Als ihre erste Blüte zu ihrem eigenen Entzücken sich entfaltete, kam der Wind zu ihr. Sicher ist er schon früher dagewesen, aber sie spürte ihn nicht. Nun strich er mit zärtlichen Fingern über sie hin, daß sie zum erstenmal erschauerte. Es fügten ihre Blüten sich daraufhin zu köstlichen Kugeln, Mit leisem Seufzen, spielerisch und mit der scheuen Zärtlichkeit eines schüchternen Liebhabers kam er zu ihr und mit den sicheren derben Griffen des Sieggewohnten. Einmal fragt sie ihn mehr aus einer glücklichen Laune als aus Sorge heraus, während sie seinen süßen Hauch um Ihre Blätter wand, ob er sie denn auch allein liebe und was er denn treibe, wenn er fern von Ihr weile. Da blase er In die Räder der Windmühlen, da spanne er weiße Segel auf vielen blauen Meeren. Natür- lich liebe er sie allein, natürlich, und er hatte ein mutwilliges Lachen, liebe er sie allein. Dabei wies er auf das Geviert des Hofes mit seinen vielen Fenstern, Dort stand der grüne Stiftenkopf eines Schnittlauchtopfes, dort der stachlige Rundschädel einer Kaktuspflanze. Was sie denn von ihm glaube. Sie sei die Schönste, die Allerschönste Im roten Tanzkleid ihrer herrlicherblühten Jugend. Es war ein Jubilleren in den Lüften, wenn kam, und wenn er mit Dachziegeln schmiß, liebte sie den Ungebärdigen nur mit um so heißerer Flamme. Das Glück der Geranie war grenzenlos, sie schmückte sich mit Immer neuen Blüten. Eines Tages stand auf dem Nachbarfenster eine zweite Geranie, eine hellrote, Als der Wind kam, stutzte er einen Augenblick und machte dann vergnügte Augen, Dann stürzte er zu Ihr und es war eigent- lich wie immer. Im Fortgehen’ strich er, so wie man mit kecken Fingern einmal über die Saiten einer Harfe streicht, der Hellroten über die Blätter. Bald teilte der Wind zwischen der Dunklen und der Hellroten die Blicke seiner Augen, den Wohl- laut seiner Stimme, die Zärtlickheit seiner Finger. Bald würde er die Hallrote bevorzugen. Um dies nicht mehr zu erleben”, so schloß nun das Mäd- chen Ulla und ihre Stimme, diese dunkle Stimme In der gepreßten Blindheit eines grenzenlosen Raumes, kam zu Ende, „beschloß die Geranie, zu sterben.” Ja, da war nun schwer dagegen anzukommen. Der Mann, der schon vorher mehrmals eine dieses Nachtgespinst zerreißende Antwort versucht hatte, schwieg zunächst. Zwischen drinnen und draußen war nun kaum .mehr ein Unterschied. Es flutete eine gnadenlose Nacht mit lauen Stößen in die Mansardenstube. Schließlich ertönte ein krächzen- der Laut: „Ich muß jetzt fort!“ und dann ohne Ab- schied, schon vom Gang draußen, wo man seine stolpernden eiligen Schritte hörte: „Morgen ruf Ich anl“ Eine Tür fiel ins Schloß und Jetzt klang es, als wäre es durchs Schlüsselloch gerufen: „Es wird alles gut!” — Es schienen keine Sterne und kein Mond. Wie könnten Elfen tanzen auf blau- grünen, leuchtenden Wiesen, wo könnten die Geister sich dem Menschen im Reigen verbinden! Es gab keinen Stern für Ulla, keinen Prunkstern und keinen, der seinen Glanz mehr aus den Ahnungen des menschlichen Herzens als aus der Wirklichkeit bezieht, keinen von den Allerkleinsten, den noch eine Mädchenhand umschließen könnte. Schon hat Ulla, vornübergebeugt, ihr Haupt der Tiefe v mählt, Dort unten — das konnte genau so gut der Himmel sein. Was uns anzieht, ist das immer die Tiefe? Das Mädchen hatte jetzt keine Gedanken weiter. Es war nichts mehr als ein Teil des dunklen umrißlosen Raumes, verschwunden wie Tintenzeug, Buch, Lampe und Messinghahn. Tropfen fielen in ein Becken. Es war der schwerfällige Augenauf- schlag einer schläfrig gewordenen Zeit, Was galt es auch noch zu erjagen? Für kurze Augenblicke gab es ein schweres Rauschen in der Luft, ein laut- loses, schaukelndes, schwarzes Schweben, eine Himmelfahrt vielleicht, die von der Höhe kam, die ein Unteres war. Von Irgendwoher glaubte man ein kurzes ächzendes Geräusch zu spüren. Es war wie der fauchende Schwingenschlag eines torkeln- den Nachtvogels. Sport della pesca all'’amo Angelsport - (F. Bloyer) „Bei den Fischen kein Glück, bei den Männern kein Glück — sollte Ich vielleicht falsche Köder verwenden?" “Nessuna fortuna col pesci! Nessuna fortuna cogli vomini!... Che forse sia falsa I’ esca che adopero?,, EINE AKTUELLE FRAGE Im März dieses Jahres starb in Kopenhagen die berühmte dänische Schauspielerin Betty Nansen. Frau Nansen, die In Frederiksberg ihr eigenes Theater leitete, galt Im ganzen Norden als eine der bedeutendsten Tragödinnen. Vor dem Krieg reiste sie mit ihrem eigenen Ensemble in ganz Europa auf Gastspielreise, An einem heißen Sommertag spielte Betty Nansen mit ihrer Truppe in Skagen. Da das Wetter so schön war, gingen die Leute lieber an den Strand, als abends ins Theater. In dem Stück hatte Betty Nansen ein Medium darzustellen, das in Trance fiel und dann die Seelen der Verstorbenen her- beirufen konnte. Der Schauspieler Peter Fjelstrup war Betty Nansens Partner. Er hatte, wenn das Medium in Trance fiel, die Frage zu stellen: „Hallo, ist da Jemand?” Diesen einen Satz hatte Fjelstrup auf alle mög- 397 lichen und unmöglichen Arten schon hervorge- bracht, mal mit hoher, mal mit tiefer Stimme, mal leise flüsternd, und dann wieder laut brüllend. Frau Nansen mußte immer darauf gefaßt sein, daß Fjelstrup sie aus der Fassung brachte, aber bis Jetzt hatte sie sich noch Immer beherrschen können. An diesem heißen Sommerabend aber war der Thestersaal fast ganz leer. Ja, man kann wirklich sagen, es waren Überhaupt keine Zuschauer. Als nun die bekannte Szene zwischen dem Medium und Fjelstrup kam, geschah folgendes: Fjelstrup rief laut: Hallo! Dann lauschte er, schüttelte den Kopf, ging bis an die Rampe heran und rlef über den leeren Zuschauerraum: „Hallo, ist da jemand?“ Frau Betty Nansen bekam einen solchen Lach- krampf, daß sie zehn Minuten lang nicht weiter- spielen konnte. ,, - Rivalität (K. Helligenstaedt) „Schau mal, die da drüben hat genau deinen Badeanzug an... .!" „Pah — typischer Fall von Schaupackung!"* Rivalitä: “Guarda un po’, quella laggiö porta un costume precisamente come il tuo....!,, “Ma che! Un caso tipico di campione da mostra!,, 398 BUCH FÜR FRAUEN VON JOSEF ROBERT HARRER Grinetti, Professor der Philosophie, berühmter Psychologe und Kenner der Frauen, ist weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt und geehrt. Denn sein „Buch für Frauen‘ gibt der an sich holden Weiblichkeit ein gewaltiges Arsenal von Waffen im Kampfe um den Mann. Und die Frauen vergöttern ihn, der, modern wie keiner, ihnen für jeglichen Männertyp den richtigen Kampf- plan in seinem „Buch für Frauen” darlegt. Es gab Frauen, die über Grinetti lächelten; wenn sie aber sein Buch lasen, sagten sie bewundernd: „Oh, dieser Grinettil Auch Ich habe von diesem Zau- berer neue Methoden gelernt!” Es würde uninteressant sein, über Professor Gri- netti elne Geschichte zu erzählen, auch wenn sie noch so kurz wäre, wenn nicht die merkwürdige, Ja unglaubliche Tatsache bestünde, daß sich der Professor selbst aus den Frauen gar nichts machte. Er Ist tatsächlich ein Lehrer der Praxis, der aber selbst Immer Theoretiker bleibt. Was seine Person betrifft, hat er keinen Blick, keinen Gedanken, keine Minute für die Frauen übrig. Daß ihn die Frauen dankbar bewundern, das läßt ihn kalt, ihn, den berühmten Frauenkenner; und vielleicht eben deshalb, weil er ein Frauenkenner ist! Seine Freunde, auch die Weiberfeinde unter ihnen, die dank seinem Buche alle bereits von Frauen in das goldene Netz der Ehe gezogen worden sind, wollen auch den Professor „bekehren”, wie sie sagen, Sie verschenken sein „Buch für Frauen” an schöne Vertreterinnen der holden Weiblichkeit und bestürmen sie, den reichen, stattlichen, im besten Alter stehenden Grinetti einzufangen und zwar mit seinen eigenen Methoden. Es ist vergeb- lich. Selbst Frauen, die Siege zu sammeln gewohnt sind, die die des Herbstwindes über die dürren Blätter In den Schatten stellt, selbst sie haben bei Grinetti keinen Erfolg. So hieß es bald, um Gri- netti zur Strecke zu bringen, müsse eine neue Pompadour, eine Kleopatra, eine moderne Phryne kommen, Das ging so welt, daß eine große mondäne Zeit- schrift, die durch ihre boshafte Schreibweise be- kannt war, eines Tages den Frauen vorwarf, daß sie eben zu schwach, zu wenig schön und viel zu temperamentlos seien, als daß sie den großen Grinetti fesseln könnten. Gleichzeitig wurde iro- nisch ein Preisausschreiben angekündigt, das jener Frau einen bemerkenswerten Preis in Aussicht stellte, die den Sieg über Grinetti erringen werde. „Wir werden aber leider nie in der Lage sein, den Preis zu verteilen, weil es eine solche Frau nicht gibtl” Ein Junges, schönes Mädchen, das schon längst heimlich ein Auge auf Grinetti geworfen hatte, las diese Zeilen und ärgerte sich, daß man den Frauen immer wieder Vorwürfe machte, daß sie alle ihre Künste an Grinettl vergeblich versuchten. Sie nahm Grinettis Buch noch einmal gründlich vor, sie grübelte Nächte lang und kam endlich zu einem Plan. Sie fand Gelegenheit, mit dem berühmten Profes- sor zusammenzukommen; er empfing ja jede Frau, die ihn aufsuchte, Er lächelte gütig und mitleidig. Aber das tapfere Fräulein ließ nicht locker, es ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Es entspann sich ein Rededuell, an dem der Professor umso- mehr Freude und Behagen fand, als ihm das Mäd- chen keine verliebten Augen machte. Die beiden trafen sich öfter, sie debattierten, sie stritten, und das Mädchen wurde ihm sympathisch. Verlag und Druck anstalten entgegen, — Bezugspreise Knorr & Hirth Kommanditg Verantwortl. Schriftlelter: Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal, Einzelnummer 30 Pf.; (69. Gaggell) Aussichten - Prospetiive „Glaubst du, Eduard, daß es auch für uns dermaleinst ein Wiedersehen geben wird?" „Ich fürchte, ich fürchte, Amalie!" *Credi tu, Edoardo, che anche nol ci rivedremo un giorno?,, — "Lo temo, sl, Amalia; lo temol,, Eine Woche später wurde der Professor unruhig, seine Antworten klangen zerfahren. Und wieder eine Woche später war Grinetti be- siegt. Er bat das Mädchen um einen Kuß. Mit einem Wort, Grinetti war Hals über Kopf in das hübsche Mädchen verliebt. Als sie geheiratet hatten, fragte ein Freund Grinettis heimlich die Junge Frau, wie es ihr nur habe gelingen können, den unnahbaren Professor zu gewinnen. Sie lächelte und sagte: „Eigentlich war es ganz leicht! Ich habe sein ‚Buch für Frauen‘ genau studiert und dann praktisch in allen Punkten das Gegenteil dessen gemacht, was Grinettl als Regel aufgestellt hattel” LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) „Jessas na“, sagı Frau Papanek zu Frau Wrtilek, „alsdann, na so was! Haben S’ alsdann do wieder g’heirat? Na hörn S‘ aufl Und gestern hab i Ihna mit'n Herrn Gemahl g’sehn! — Aber wissen $’, ans versteh’| bei der Sach net —” „Was verstengen S’ denn net, Frau Papanek?” „No jo“, sagt Frau Papanek, „es geht mi ja nix an, net wahr ja, und dann sind die Gusto und Ohrfeigen ja allemal verschieden; aber daß gar so an klanen Menschen g’heirat haben! A so a IIschaft, München, Sondlinger Stra; Abonnement im Monat RM. 1.20. 0 (Fernruf 1296). Briefanschrift Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegt. — große und starke Frau wie Sie ane sein tuan — und so a gschmachtiger; klaner Mann —” „Schaun $’, Frau Papanek", antwortet darauf Frau Wrtilek, „i hab mir halt denkt, soll i a Wittfrau bleiben oder no amal heiraten? Na — und da hab i halt von de zwa Übeln das klanere g’wählt!” H.K.B. * „Wissen $’, Fräulein Lilly”, sagt Bobby, als er mit Lilly die Treppen des Wiener Hochhauses hinaufklettert, „früher, wie der Lift noch gegangen ist, war das doch viel angenehmer!” „Das glaub ich!” lacht Lilly, „Aber ich. bin immer mit dem Paternoster da gefahren, das war viel lustiger!" „Jessas na, der Paternosterl” Bobby bleibt stehen und betrachtet sinnend den stillgelegten Pater- noster. „Fräulein Lilly“, meint er nach einer klel- nen Weile, „ob Sie mir's glauben oder net, wie er noch funktioniert hat, der Paternoster,. bin ich einmal dagestanden und hab die Kasterin zählt — aber nach fünf Stunden hab ich's aufgeben — weil immer noch neue kommen sindI” H.K.B. München 2 BZ, Brieffach. Zellungsgeschäfte und Post- Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München, Im dunklen Amerika {E. Thöny) „Auf welchem Kriegsschauplatz ist denn dein Junge, daß du so Angst um sein Leben hast?“ „Er ist nicht im Krieg; er ist Arbeiter in Detroit, das ist viel gefährlicher!“ Nell’ oscura America: “In che teatro della guerra si trova mal tuo figlio, che temi tanto per la sua vita?,, “Egli non & in guerra; & lavoratore a Detroit e ciö & assal pl pericolosol,, 400 München, 28. Juli 1943 i 48. Jahrgang/ Nummer 30 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Der englische Konservative (E. Thöny) 1 „Ich verstehe gar nicht, warum ich früher das rote Tuch nicht leiden konnte, da ist doch gar nichts dahinter!‘ Il conservativo inglese: ‘Non capisco affatto perch& io prima non potessi soffrire il panno rosso. Non c' & proprio nulla.di misterioso sotto!,, Der Pomologe - Il pomologo {R. v. Hoerschelmann) Mitteilung an eine Unbekannte Montag, den 19, Juli 1943, nachmittags 14 Uhr 26 habe ich Ihn zum letztenmal gesehen, Er lag hinter dem Museum auf der Gehbahn und streckte alle fünfe von sich. Ich weiß die Zeit genau, denn ich habe auf die Uhr gesehen, wie alle Detektive tun, wenn sie etwas entdecken, und ich hätte auch große Rauchwolken aus meiner Pfeife geblasen, wie auch die Detektive in solchen Fällen tun, da ich aber keine Pfeife bei mir hatte, konnte ich keine Wolken blasen. Ich sah, wie ein alter Herr von oben auf ihn herunterblickte und den Kopf schüttelte. Vermut- lich hat er, von diesem besonderen Fall ausgehend, etwas Allgemeines gesagt, über die Menschen, über die Zeit, über die Vergänglichkeit, Dann kam ein junger Mann und schleuderte ihn mit der Stockspitze ein Stückchen weiter gegen das Museum zu. Dann liefen zwei Buben herbei, “und der eine hob Ihn auf und schmiß ihn dem andern ins Gesicht, worauf eine kleine Prügelei mit unentschiedenem Ausgang entstand. Dann kam ein Mann und sagte zu mir herüber: „Den hat jemand verloren.” Er nickte dabei mit dem Kopf und drückte dadurch sein Beileid aus. Ich faßte mir ein Herz und hob Ihn auf. Ich wartete aber damit, bis Leute vorbeikamen, die es sehen konn- ten, denn ich wollte nicht in den Verdacht kom- men, es heimlich zu tun. Es war wirklich ein sehr schöner Handschuh. Hier sein Signalement: Nappa- leder, außen dunkelblau, innen karminrot, weiß zusammengesteppt. Das Eleganteste, was man zur Zeit nicht mehr auf dem Markt findet, ich fand ihn aber auf der Straße. Er war funkelnagelneu. Man sollte ihn aufs Fundbüro bringen, den schönen Handschuh, dachte ich. Aber dann hätte ich ihn in die Tasche stecken müssen und was hätten die Leute von mir gedacht! Ich gestehe, ich hatte Angst vor dem Verdacht. Ich legte ihn deshalb vorsichtig über das niedrige Gitter und dachte dabei das Übliche. Ich wollte weitergehen. Also, gnädige Frau, es muß heraus! Wenn Sie diese Zeilen erreichen, ist Ihr rechter Handschuh nicht mehr. Ein Hündchen kam, gnädige Frau, schnup- perte an ihm, biß hinein, schleuderte ihn sich um die Schnauze, wie Hündchen tun, und tat dann noch etwas, was Hündchen gerne tun. Meine Dame, es wird Ihnen kaum ein Trost sein, aber ich kann Ihnen sagen, es war ein sehr feiner und gepflegter Hund, Ich konnte Ihren Handschuh nicht mehr retten, ich habe ihm Ihre letzten Grüße bestellt. Foitzick 402 DER TOD IN DER RUINE So liebt's Die Katze und fo liebt’s Die Eule: In Trümmern liegt das Schloß unter dem Mond Von niemand mehr, von Ratten nur, bewohnt. Zur Eule fast der Tod: Nun, Bruder, heule Den Jammerton! Er Ichnt an einer Säule, Die blieb, als lette, vom Verfall verfchont. Ob fich die Jagd heut nacht denn auch gelohnt? Fragt er die Katze dann. Moder und Fäule Dampft aus den Trümmern her. Er atmet tief: Das ift fo der Geruch, wie ich ihn mag! Ihr Freunde, kommt, und fest euch neben mich! Sie kamen beide, die ihr Herr fo rief: Die Katse kam mit leifem Pfotenfchlich, Die Eule kam mit fchiwerem Flügelfchlag. Georg Britting MEIN FREUND JOHANNES Martin und Johannes hatten mir in meinem Garten geholfen. Als es begann, zu dämmern, brachten wir die Geräte in den Schuppen. „So, liebe Freunde, nun möchte Ich euch zum Dank ein schönes, kühles Glas Wein vorsetzen”, sagte ich. Damit waren sie durchaus einverstanden, Wir gingen also hinein, und während ich die Flasche aus dem Keller holte, machten die andern sich daran, ihre Hände zu waschen. Ich hatte eben eingeschenkt, als Martin auch schon fertig war und ins Wohnzimmer kam. Er mußte sich sehr be- eilt haben. In sichtlicher Vorfreude auf den Genuß schaute er auf die Gläser, die ganz gleichmäßig zu füllen mir mißlungen war, „Welches Glas ist für mich?” fragte er und blickte dabei deutlich und begehrlich auf das vollste, Johannes hörte es draußen. „Das anderel” rief er schnell, * Renate hatte uns gebeten, Ihr unser Koffergram- mophon zu leihen. Nun war sie auf unsere Zusage hin erschienen, es abzuholen. „Ich mußte schon selber kommen”, erklärte sie. „Es hatte sonst niemand Zeit, und wir wollten es Ja gerne heute Abend schon haben. — Ist es auch nicht allzuschwer?” „Nein, nein, vielleicht 5 Pfund“, log Johannes, Beruhigt zog Renate damit ab. „Aber Johannes”, schalt ich, „Wie kannst du so schwindeln! Du weißt doch genau, daß das Ding mit Platten mindestens 20 Pfund wiegt.” „Natürlich weiß ich das“, verteidigte sich Johan- nes ruhlg. „Aber Ich weiß auch, daß Renate sich nicht gerne so abschleppt.” * Wir kannten einen, der hatte sich auf das Schrei- ben ‚von Operetten-Texten geworfen. Nicht ohne Erfolg übrigens, Eines Tages besuchten wir ihn in seiner Behausung. Er empfing uns freundlich und führte uns in sein Arbeitszimmer. Das war wirklich nett und an- heimeind eingerichtet. An den Wänden hingen schöne und, wie uns schien, wertvolle Bilder. An- erkennend betrachteten wir sie. „Originale?” fragte Johannes. Ich hätte nicht ge- fragt. Sowas hat man doch selber zu sehen, „Nein. Nur gute Kopien alter Arbeiten“, wehrte unser Gastgeber bescheiden ab. „Leider muß ich mir daran genügen lassen.” „Wie bei Ihren Texten“, nickt Johannes verständ- nisvoll. J.Bieger Der Gangster beim Übungsschießen (Wilhelm Schulz) nn 0 en „Kann der Zielfigur nicht eine Polizeiuniform angezogen werden? Da treffe ich besser, darauf habe ich mich eingeschossen !"* Il gangster nell’ esercizio di tiro a segno: "Non si puö mettere indosso alla figura di bersaglio un’ uniforme di poliziotto? La ci colpisco meglio, perch& ce n’ ho buona pratica!,, 403 Janus — John Bull (0. Gutbrannan) verrichtet seine Abendandacht. Giano — John Bull fa le sue devozioni della sera. 404 ALS MARGOT GING VON SCHLEHDORN Es war einmal ein großstädtischer Kleinkonsumtions- betrieb, dessen Belegschaft, nachdem der einzige Arbeitnehmer einen Arbeitsplatzwechsel vorge- nommen hatte, sich ledig!ich aus zwei Arbeit. gebern zusammensetzte, die im Verhältnis mit- äarbeitender Familienangehöriger standen. Kürzer: der Haushalt bestand aus einem Ehepaar, da die Hausangestellte Margot — wie sich Marie ausbedungen hatte, gerufen zu werden — zum Ersten endgültig gegangen war. Margot gehörte zu den Glücklichen, die stets mit sich zufrieden, und zu den Unglückiichen, die steis mit der Welt unzufrieden sind. Unten trip- pelte sie auf recht hübschen seidenen Beinen, oben war sie — sagen wir — selbstbewußt. „Schließlich und endlich weiß ich ja auch, was ich zu beanspruchen habe”, pflegte sie zu sagen. Ihre Träume waren echte Kintopp-Pflanzen. Eines Tages 'würde Er auf sie zutreten, dan hellgrauen Hut ziehen und sprechen: „Gestatten, Graf Licht- burg-Filmeck” oder: „Mein Name ist Millionär Müller“, und fortfahren: „Dich, Margst, hatte ich gesucht durch fremde Lande.” Darauf sie selbst: „Ja, mein Herr, das hätten Sie einfacher haben können Schließlich und endlich weiß Ich ja auch, was ich zu beanspruchen haba.“ Also Margot hatte gestern das Haus verlassen und wirft nun ab morgen beiDr. Schwarz das gute Meißner entzwei und kocht in ihrer Weise, so daß Schellfisch mit Senfsoße und Schokoladen- pudding gleichschmecken, nämlich nach gar nichts, und wünscht schon nachmittags auszu- gehen, „schließlich und endlich weiß ich ja auch ...” usw. Zurück blieo (außer dem Sachschaden) ein unbe- seizter Arbeitsplatz die Arbeit dazu und — die Arbeitgeber, Er, Dr. Emil Schachtelhirm, der Haus- haltungsvorstand, besser Haushaltungsaufsichts- ratsvorsitzender (denn die laufenden Geschäfte überließ er seiner Frau), war in der Abteilung Or- genisation und Statistik einer Großwirtschafts- stelle tätig — daher oben die Einleitung, Seine Fıau Barbara war „ohne Beruf” — als ob Hausfrau kein Beruf wäre und nicht einer der schwersten, schönsten, notwendigsten und natürlichsten. Haus- frauen gab es schon, als die Menschen noch in Höhlen wohnten, una noch kein Postbote oder Gasmann oder Portier klingelte. „Entschuldige einen Augenblick”, sagte Barbara und ging öffnen. Dann setzten sie sich wieder zusammen (Barbara stopfte Strümpfe) und erwogen, wie dieser Per- sonalausfall sich ersetzen ließe. „Könnte ich nicht die Arbeit im Nebenberut er- ledigen?” meinte er, „arbeitsrechtlich wäre das ohne Bedenken, zumal ich jetzt dre! Tage dienst- frei bin” „Wie würdest du wohl aussehen mit Tändelschürz- chen und Häubchen”, spottete sie, Er strich sich über den handbreiten Scheitel und erwiderte: „Schließlich und endlich weiß ich ja auch, was ich zu beanspruchen habe. Aber etwas helfen könnte ich dir” Und begab sich in die Küche, wo er bisher nur gelegentlich zuschauend, sozu- sagen zu. Betriebsbesichtigungen, geweilt hatte, Mit dem ersten Blick bemerkte er zahlreiche Mängel, Das ist immer so: tüchtige Menschen möchten beim Eintritt In eine neue Dienststelle alles reformieren; mit der Zeit werden die Dinge immer größer und man selbst immer kleiner, ge- nau wie im Gebirge, wenn man erst anfängt, zu klettern. In der Küche wurden z. B. ein halb ab- gebrochene: Holzlöffel und e'ne Gabel mit nur noch zwei Zinken am meisten benutzt Da fanden sich nebeneinander vier aufhöänabare Porzellan- dosen „Grief“, „Salz”, „Mehl“, „Mehl”. „Wieso zweimal Mehl?” „Na. in dem ander ist das Salz.” „Und in dem für Salz?" „Darln ist doch der Zucker, Dummchen.” „Und In Grieß?” „Na, die Nudeln.” Bitte. man stelle sich bei Akten Ähnliches vor. Etwa In den Generalakten „Jubiläen und Extra- gratifikationen” die Müllabfuhr und die Beschwer- den. Dann wären Organisation und Statistik un- möglich „Also zunächst muß hier einmal Ordnung aeschaf- fen werden“, beschloß er. Und während Barbara das Haus verließ, ordnete er das Salz in die Dose für Salz ein usw. (Übrigens, haben Sie schon mal Erdbeeren mit Salz gegessen? Schachtelhirns taten das am Abend.) Dann begann er mit der Inven- tarisierung: Pfeffer läßt sich abwiegen, Lorbeer- blätter zählt man. Und all die kleinen Tütchen mußte Frau Barbara wieder einpacken, als sie mit einem vollen Netz (zwei Kohlköpfe, Putzsand, Obst, Streichhölzer usw.) heimkehrte. „Ja, hast du denn kein Eingangsbuch, kein Ma- terialbestandsverzeichnis, keine Verwendungs- nachweisung?” Kopfschüttelnd zog er sich in sein Zimmer zurück und begann mit der betriebs- wirtschaftlichen Planung. Zwischen leitender und ausführender Tätigkeit besteht nun einmal ein unabdingbarer Unterschied. Eine Arbeitszerlegung nach sachlichen Gesichtspunkten erschien logisch geboten. Zunächst mußte Innen- und Außendienst getrennt werden Und so welter. Inzwischen hatte Frau Barbara die Zimmer geord- net, die Betten gemacht, gekocht, den Tisch ge- deckt und rief ihn zum Essen. Er legte ihr einen Organisationsplan vor. „Du hast recht”, sagte sie, „vielleicht deckst du heute abend den Tisch.” (Wie schwer es ist, von drei Sorten Löffeln die richtigen zu wählen und wie leicht, drei Sorten Teller zu verwechseln, wurde ihm am Abend klar.) Nach Tisch arbeitete er die betrieblichen Sofort- Maßnahmen aus. Seine Frau hatte Inzwischen das Geschirr abgewaschen, Hemden gebügelt und rief Ihn nun zum Kaffee. Dabei legte er ihr bereits den Entwurf eines Inserates vor: „Für kleineren I ) Konsumtionsbetrieb wird ein Materialverwalter, ein Kassenbeamter, ein Beamter für den Außen- dienst und außerdem Personal für Küche und Zimmerreinigung gesucht.” „Wären denn alle die Leute beschäftigt?” sagte sie. „Na, und ob! Notfalls mit Zuständigkeitsabgren- zung. Bei zwei Angestellten ist ein dritter jeweils zur Beaufsichtigung zu verwenden, Bei fünfen wird schon ein Steuer- und Lohnbüro erforderlich. Kind, das Ist doch der Segen der Organisation, daß sie Menschen für die Arbeit und Arbeit für die Menschen findet.“ Am Abend dieses Tages war Frau Barbara, recht- schaffen müde, sofort eingeschlafen. Schließlich und endlich weiß die Natur ja auch, was sie zu beanspruchen hat. Dr. Emil Schachtelhirn aber lag noch wach und gelangte zu folgenden Feststel- lungen: „1. Es erscheint fraglich, ob sich Männer überhaupt für die Konsumtionswirtschaft elgnen, Ihre Stärke liegt wohl mehr in der Produktion, der Organisa- tion. Bei begnadeten Naiuren darin, die Produk- tion zu organisieren oder Organisation zu pro- duzieren. 2. Erstaunlich, was so eine Hausfrau leistet! Wie macht sie das, ohne Kartothek und Wirtschafts- planung? Vielleicht Ist da etwas, was sich der statistischen Erfassung entzieht. Ich bewundere Barbara hundertprozentig. Hundert Prozent natür- lich als Annäherungswert genommen. 3. Der Haushalt jedoch, diese für die Konsumtion nicht wegdenkbare Einrichtung, erweist sich als eine ökonomisch zurückgebliebene Organisations- form, Was ließe sich da organisieren mit Schnell- heftern und Schreibmaschine, Gummistempel und Hollerith. Solch Haushalt Ist eben unterorgani- siert — heillos unterorganisiert.” Dann schlief auch er ein, nach dem mühsamen Tag, als Margot ging. 'G. Brinkmann) „Wir hatten schon immer die Absicht, die Steinsammlung wegen Platzmangels zu verkaufen. Aber jetzt will mein Mann auch nicht!" "Noi avevamo gi& sempre l'intenzlone di vendere, per mancanza di spazio la collezione delle pietre. Ma adesso neanche mio marito lo vuolel,, 405 HOCHZEIT IM VOLLMOND Das war einmal vor Jahren. Und alles Vergangene sieht wie ein Märchen aus... Und die Betty — das war eine feine Natur, Von morgens bis abends verkaufte sie Brauselimo- naden. Ihre Backen glichen zwei Portionen Him- beergefrorenem. So rot! Ihre Augendeckel waren mit einer Beißzange aufgezwickt. Die Nase schaute gleich einem krummgeschlagenen Nagel unent- wegt gen Himmel, Sie wohnte bei einer Schnei- dersfamilie, Möbliert, Da mußte sie zuarst durch die Küche hindurch, die zugleich Werkstatt war. Halbfertige Knabenanzüge hingen als Säulen- heilige an der Wand herum. Es roch nach Bügel- eisen und aufgewärmtem Kaffee. Ihr Zimmer hatte kein Schloß. Im Ofenrohr hielt sie das Sparkassen- buch und die Invalldenkarte aufbewahrt. Uber Ihrem Bett dennerte und biltze die Schlacht bei Austerlitz als glänzender Öldruck. Daneben hing im Goldrahmen ein Osterhase, der Tag und Nacht an einer Salatstaude fraß... Da sie achtzehn alt war, wurde sie verliebt und mondsüchtig. Und das Limonadenfräulein verlobte sich mit einem blauen Trambahnschaffner. Wenn sie untertags Ärger hatte, lief sie des nachts im Hemd die ganze Wohnung aus. Wie ein lebendig gewordener Trauml... Sie zählte un- sichtbares Geld In die leere Luft hinein und bot eisfrische Limonaden an. Die Hausfrau fürchtete sich vor Ihr, als ob sie ein Kirchhofgeist wäre. Sie zog unter der Decke die Füße an sich, ver- kroch sich wie ein Igel in das Bergwerk ihrer Kissen und schwitzte. In einer solchen Nacht gebar einmal die durch- ängstigte Schneidersfrau einen schlauen Gedan- ken. Sie stellte vor das Bett das Zimmerfräuleins eine Badewanne mit kaltem Wasser anf. Da müßte die Nachtwandlerin hineintreten und erwachen. Das würde sie heilen. Getan wie gedacht. Aber Fräulein Betty hlelt das’ schillernde Naß für ein mondlichtglitzarndes Freibad. Und schwamm und spritzte lustig drin herum. Bis das möblierte Zim- mer zu einem Zirkus unter Wasser wurde... Und der im dritten Stock wohnende Postadjunkt über seinem Bett Bäche rauschen hörte und von einem Wolkenbruch träumte. Und Betty blieb weiterhin mondsüchtig. Es gab nichts, das half. Und als ihr einmal die Tagesein- nahme gestohlen ward, stieg sie um Mitternacht über die Dächer der umliegenden Nachbarschaft. Die Arme hielt sie wie Maikäferfühler vorge- streckt, So suchte sie alle Kamine, Waschauf- hängen und Dachrinnen ab. Da, wo die kleinen Vorstadtgassen In die ersten Wiesen und Felder hineinlauifen, stand Ihr Limo- nadenhäuschen. Rosarot, wie ein Briefpapier, war es an einen giftiggrünen Lattenzaun gelehnt. Drum herum brannte die Sonne einen klabrigen Durst. Drinnen saß Betty und »stickte Sofakissen. Mit einem Auge sah sie auf das halbfertige „M” des vorgezeichneten Musters „Mahlzeit” — und mit dem anderen durchsuchte sie draußen die Straße nach vorbeihuschenden Kundschaften. Schon von weitem schaute sie es ihnen ab, ob sie durstig waren. Und dann hatte sie schnell, wie mit einem Taschenfeuerzeug gemacht, ein einiadendes L&- cheln Übers ganze Gesicht hin verteilt... Und schon zischten aus Nickelhähnchen rote, grüne und gelbe Strahlen. Drüben stand ein Trambahnhäuschen. Auf der Bank davor spielten die Schaffner mit Kiesel- steinen „Mühlfahren“ Da lernte sie ihren Jo- hannes kennen. Immer — wenn er ein klein wenig Zeit hatte, sprang er zu ihr über die Straße, daß das Kleingeld in seiner Ledertasche wie eine Meerschweinchensparkasse schepperte Der wußte "nichts davon, daß sie mondsüchtig war. Er war ein Stiller. Seine Fragen und Antworten machte er mit Blicken. Oft lächelte er in sich hinein — niemand wußte warum. Er schon, VON ERNST HOFERICHTER Seine Ohren konnte er in eine fächelnde Bewe- gung versetzen, daß man glaubte — es zieht. Zuweilen brachte er ihr eine Haarspange, ein Witzblatt, einen Schauerroman oder eine Nagel- teile... Und dann küßte sie ihn über den Schank- tisch hin, daß es wie von einer Geißelschnur schnalzte. Wenn er im Dienst auf seinem Wagen an Ihr vor- überfuhr, ließ er ein wenig bremsen und läuten, daß die Passagiere glaubıen, oben zei die Lei- tungsstange ausgesprungen. Über diese Art von halbamtlichem Gruß freute sich das Limonaden- fräulein gar sehr — aber noch viel mehr über das wohlige Bewußtsein, daß ihreıwegen immer ein Trambahnwagen voll Menschen etwas auf- gehalten wurde. Das war so schön...l Und im Sommer wollten sie Hochzeit machen. Da mußte er sich einen Zylinderhut kaufen, Sie nahm ihm mit einem Bindfaden um den Kopf herum das Maß. „D’ Haar derfast aber zuvor aa no schneld'n lass'n” — „Brauchst as ja grad sag’n...!" — „Weil’s dir sonst unter'n Hut ’naus- wachs’n.” — „Schau, brauchst as ja grad sag’n .. .!“ — „Sonst siechst wia a spinnata Künstler aus — und I müaßt mi’ z’ tot schama...l" — „Freill, brauchst as Ja grad sag’n...” 1 Und die Tage kamen und gingen. Was sie da alles noch zu besorgen hatte... Während der Geschäftsstunden schrieb sie sich In Ihrem Li- monadenhäuschen die vielen kleinen Dinge auf das Weiße eines Zeitungsrandes zusammen. Und abends rannte sie in all den winzigen Vorstadt- läden aus und ein, wo die Türklingeln wie Mini- strantenschellen läuten. Da wurde sie müde und bekam schöne Träume. Und schon lange war sie nicht mehr mondsüchtig gewesen. Aber im Ka- lender stand gerade über dem Hochzeitstage der beginnende Vollmond angeschrieben. Sie hatte sich diesen Tag so blühend ausgemalt. So — wie wenn man von früh bis nachts aus einer Praline- schachtel essen würde. Oder: wie ein Dauer- abonnement auf dem Karussell „Der Himmel auf Erden“, das draußen vor der Stadt mitten in einer Wiese stand. Und der Bräutigam sollte wie ein servieronder Kellner zu ihr Ins Zimmer tanzen. Und der Morgen kam. Zum Fenster sprang die Sonne herein und zur Tür dar bestellte Friseur. Und als der Bäcker das warme Kaffeebrot unter den Briefkasten hing, war sie eine strahlend LERCHE IM SOMMER Nodı hast du nicht dein letztes Lied versungen, Nodı himmelst du dich überm Korn hinauf, Wo sdion der Klatsdımohn flammt mit Feuerzungen Und mo die Hundskamille prahlt zu Hauf. Dodı wenn durdıs sommerreife Halmgedränge Der Schnitter mähend seinen Weg sic bahnt, Geht wohl ein Zittern sanft durch die Gesänge, Als wenn dein kleines Herz den Tod schon ahnt. Nodı aber wird das Blau von dir durcıdrungen, Nodı streut dein Jubel goldne Körner hin. Und hast du dich für diesmal ausgesungen, Bleibt uns noch dein Geschenk: ein heitrer Sinn. Heinz Friedrich Kamecke 406 weiße Braut. Gerade so schön, wie sie in den Auslagen der Photographen ausgesiellt sind... Dann klingelte es, und da stand draußen — Jo- hannes, der Bräutigam. Während sie sich mit stürmischem Anprall küßten, stieß er sich an der Gasbeleuchtung den Zylinder vom Kopf, daß er unter die Beitlade rollte. Und jetzt sah sie, daß er das Haarschneiden vergessen hatte. Da weinte sie lange... Und als es die Hausfrau in die Küche hinaushörte kamen ihr auch die Tränen. Johannes strich sich daraufhin verlegen seine Fri- sur mit den Händen glatt und suchte nach be- freienden Worten In seiner Brust herum. Endlich sagte er: „Wenigstens ist das Wetter schön... wenigstens regnet’s nicht... es macht sich auf...” Da mußte sie aber noch mehr heulen, In einer Zündholzschachtel hatte er ihr, wie Im- mer, für ihren Laubfrosch Fliegen mitgebracht. Die stellte er jetzt mitten auf den Tisch... und man hörte in der bangen Stilie nichts, als ein leises Summen und Surren.. Und da es lange genug gedauert hatte, fing sie mit einammale zu kichern an. Und wie Sonnenstrahlen durch rieselnden Re- gen fallen, so sah Jetzt Ihr Lachen und Weinen aus. Und als das Limonadenfräulein und der Tram- bahnschaffner als Braut und Bräutigam vor dem Haustor in die Droschke einstlegen, öffneten sich tingsum in der Straße alle Fenster. Wi» vor einer durchziehenden Prozession... Das Wiegen und Schaukeln des Wagens, der über das holperige Pflaster enger Gassen zur Trauung fuhr, gefiel ihr sehr. Sie wurde ganz lustig davon. Er sagte, das sel er schon gewohnt — und erzählte ihr sogleich die Geschichte von dem Trambahnwagen, der frisch lackiert mitten in einen Konditoreiladen hin- einfuhr, so daß er ganz voll mit Schaumrollen und Cremeschnitten wurde. Während er sprach, zupfte sie ihm weiße Fäden von seinem Braten- tock ab und hätte gern dieser Straßenbahnwägen sein wollen. Da sie zu den Stufen zum Standes- amt emporstiegen, sagte sie. ihm no-h: „Tu fei’ nicht deine Ohrwatschl rühr'n, daß d’ Leut net lacha müass'n...l” Und er dann: „...Und tu du nur net schlageln...1” 4 Das waren Ihre letzten Gespräche im ledigen Stand. Dann sind sie ein Paar geworden... Und dann kamen die Stunden mit Essen und Trin- ken. Da saßen sie Im Nebenzimmer der kleinen Vorstadtwirtschaft um einen langen weißgedeck- ten Tisch herum. Eine schaukelnda Gesellschaft aus zweierlei Verwandtschaften kicherte und quiekste an den Wänden entlang, stieß sich vor Lachen gegenseitig in die Rippen. Jemand konnte ein Schwein nachmachen wie es grunzt, wenn es verladen wird. Ein anderer gab mit seiner Zigarre Rauchkunststücke zum besten, wobei or — zum Erstaunen aller — den Dampf an den Ohren her- ausblies. Ein Leihhauskassier erzählte die Ge- schichte von dem Pfarrer, dem Kleiderkasten und der neugierigen Köchin... Dazwischen hinein trom- melte dor Klavierspieler auf dem Tafelpiano stamp- fende Militärmärsche, hopsende Reiterattacken und saftige Bauernwalzer. Vom Fensterbrett herüber sangen noch spät In der Nacht trillernde Harzer. Tanzende Paare schoben sich zwischen Tische und Stühle. Und wie aus einer Mehlkiste wirbelte der Staub auf. Allmählich lachten alle ohne Grund. Weil sie die ganze Welt wie durch eine rosa Fenstersche'be sahen . Und aucn die Braut ward durstig und lustig. Von allen Seiten her hielt man Ihr schaukelnden Wein entgegen. Kaum mehr dachte sie Jetzt an ihr einsam stehendes Limona- denhäuschen mit den Himbeer-, Waldmeister- und Zitronensäften. Der Boden unter den Füßen kam ihr ganz weich vor. Wie Faderbatten. Und in Ihrem Innern wurde es weit und leicht, Luft- ballongefühle machten sie schwebend. Die Zim- merwände fuhren um sie herum Karussall. Und die Das kleine Glück (R. Krlosch) „Weißt du, Erna, so ein neuer Hut bedeutet gewiß nicht das ganze Erdenglück, aber ewig der alte verbraucht verflixt viel inneren Reichtum !* La piccola fortuna: ‘Sal, Erna, un cappello nuovo non significa certo una piena felicitä in terra, ma portandone eternamente uno di vecchio, si sciupa orribilmente la ricchezza dell’ animal, 407 (©. Sturtzkopf) Amerikanische Kulturpioniere Pionleri della cultura americani USA TE \ ) A 7a „Armer Daddy, ich werde dir den neuesten Roman mitgeben. Sie haben drüben keine Bibliotheken mehr!“ "Povero Daddy, lo ıi dard Il pi recente romanzo da poriar teco, Lagglü non hanno plö biblioteche!,, Gaslichter bekamen blaue Ringe um die Augen. Und in der Stube qualmte es wie in einer Wasch- küche. Alle umarmten und küßten sich gegen- seitig. Einige lagen unter den Tischen und sangen aus den Tiefen herauf leise Lieder, Roter Wein tann ihnen durch die Zipfel des weißen Tisch- tuches auf die Köpfe... Und einer meinte, es regnet... Gegen Mitternacht fühlte die Braut mit einem Male Blei In Ihre Glieder tropfen. Und die, Augen- deckel wurden zu eisernen Rolläden. Ihr Bräuti- gam saß In einer Ecke am Boden und erklärte einem Kaminkehrermeister die Geschichte von dem Trambahnwagen, der in einan Konditorei- laden hineinfuhr... Und sie fand noch gerade in Johannes’ Manteltasche den Wohnungsschlüssel, mit dem sie sich am Stiegengeländer die vier Stockwerke zum ehelichen Schlafzimmer empor- 209 .. So vervielfacht sahen sich nünmehr gegenseitig die hochzei'lichen Gäste. daß niemand die Braut vermißte. Bis plötzlich gegen die dJämmernde 408 Frühe zu die Hausfrau des Limonadenfräuleins die Türe aufriß und in den Dampf hineinschrie:; m. .Jessasmarlaundjosef— Leut’ — Die Braut lauft drob’n mondsüchtig auf die Dächer umanandl” — — — Da fiel es über alle wie kalte Dusche herab. Der Bräutigam Johannes, der noch immer in seiner Ecke saß, hatte augenblickl'ch die Emp- findung, daß sein Straßenbahnwagen in aller Wirklichkeit zum zweitenmal in jenen Konditorei- laden gefahren sei... Dann begann er ganz me- chanisch, wie ein aufgezogener Blechschutzmann, die Stiege zu seiner Wohnung hinanfzutorkeln. Und alle anderen hinterdrein. In der Schlafkam- mer waren die Fenster stadeltorweit geöffnet, Der Mond floß als ausgelaufener Kuchentelg am Boden herum... Draußen fluteten silberne Bäche über Giebel und Dächer. Und in diesen Fluten watete Johannes’ Braut, als wären’s Regenpfützen. Der weiße Schleier flatterte als hochzeitliche Fahne im Morgenwind. In der Hand hielt sie eine Flasche und ein Trinkglas und schenkte Limonaden ein, Jemand schlug vor, man sollte sie bei Ihrem Namen rufen, ein Bäckergeselle hielt ein paar lockende Pfiffe für wirksamer, — und er steckte schon sämtliche Finger In den Mund, als eine approbierte Badersfrau noch rechtzeitig davor warnte: „Um Gotteswillen, solchene Leit’ derf ma‘ net aufschrecka — sonst fallen’s runter und san maustot...” Aber trotzdem meinte ein Schweinemetzger, ob man es nicht mit einem Kübel voll kalten Wassers probieren solle... So riet man hin und her — und her und hin. Alle standen beisammen, wie um ein offenes Grab. Eine verregnete Trauergesellschaft, Und sie konnten die Empfindung nicht loswerden, daß jedem einzelnen unter Ihnen — ein Kanarien- vogel ausgekommen sel. Johannes zitterte wie eine elektrische Ladenklingel, Seine Aügen hatten das Leuchten von Sparbrennern eines Spiritusglüh. lichts angenommen. Und dann schämte er sich so, weil er eine Braut erwischte, die nachts über die Dächer läuft. Ein Nachtgespenst, vor dem sich die ganze Nachbarschaft gruselti Im Verein werden sie alle über ihn Witze machen... Bald öffneten sich auch die umliegenden Fenster, Hausfrauen sahen mit Opaernguckern durchs Küchenfenster auf dieDächer. Familienväter stiegen mit den Zimmerfräulein zu den Altanen empor, mit Feldstechern bewaffnet. Alle hielten sie nach der mondsüchtigen Braut Ausschau. Die war Jetzt in einem Wald voll aufgehängter Steckerlwasch verschwunden. Einige glaubten, sie werde bei der Feuermauer wieder zum Vorschein kommen, andere meinten, hinter den Kamin der Wasch- anstalt. Da hörte man mit einem Mal ein helles Lied... Sie sang aus den wehenden Hemdchen, Unterhosen und leinenen Decken heraus; „Geht's und verkauft's mei Gwandi «..1 bin im Himmi .. „1 Als der Bräutigam ihre Stimme aus den flattern- den Linnen hörte, versank alle Welt vor ihm. Wie durch ein enges Rohr sah er nur mehr nach jener Stelle hin, wo seine Liebste sang... Und schon schwang er sich Über das Fensterbrett, lief an dem hervorspringenden Mauergesims entlang... der winkenden Wäsche zul Wie in ein Frühlings- gebüsch...! Unten im Hof hatte sich inzwischen ahnungslos der Gesangverein zu einem Hochzeits- ständchen versammelt, Aus einem mostigen Keller gurgelte der Chor in den rosarot aufsteigenden Morgen hinein: „Das Wandern Ist des Müllers Lust...“ Johannes hatte seine Braut gerade noch an der Schleppe erfaßt, als sie eben auf einem Kamin- kehrersteig zu des Nachbars Dach hinüberwandeln wollte. Wie einen entlaufenen Stallhasen nahm er sie in seine Arme und trug sie In die hochzeit- liche Kammer. Die war dann auch schnell von Gästen leer. Und bald durchbabte die enge Stube ein weißes Fest. Ihre Körper glitten wie Kähne einander zu. Und vom Hof herauf sang es: „...das Wa-andern.” Und jetzt gab es kein Wort mehr — Das war die Nacht, in der das Limonadenfräulein zum letztenmal mondsüchtig geworden ist... Die Unverdauliche (Fr. Bilek) L’ indigesta 409 Karriere (ie) „Du willst uns verlassen, Nicki?‘ — „Yes, my baby — ich mache mir selbständig — in prima Büro für Nachkriegsplanung in der Monroe-Street .. .!" Carriera: “Nicki, tu vuol abbandonarci?,, — “Yes, my baby, ... mi faccio indipendente ... con un bürd di prima classe per Il progetto nella Monroe-Street .. .!,, 410 DIE BÄRENJAGD VON GEZA GARDONYI Jedes Jahr im Dezember fahre ich zu meinem Freund Jancsi Janosiy. W:r haben zusammen stu- diert, aber haben es beide nicht weit gebracht. Er isı Bauer geworden und ich wurde ein „Herr“, aber ich habe auch nie Geld, Gleich am nächsten Morgen, in frühester Däm- merung, alarmierte mich Jancsi — ich solle sofort aufstehen, der Waldhüter hätte einen Bären ge- meldet, Ich verspürte nun zwar gar keine Lust zum Bären, aber mit Jancsi kann man nicht reden. Er glaubt, daß Gott Jeden Menschen zu.n Jäger schuf, und daß es nichts Interessanteres auf der Welt gibt, öls wenn im Horgos Wald sich ein Bär herum- treibt. Recht mißmutig zog ich mich also an, wählte mir das leichteste Gewehr aus, hängte in meinen Gürtel drei Dolche und steckte einen guten Ro- man in die Tasche. Wir pflegten nämlich so zu jagen, daß Jancsi von morgens bis abends mit zäher Geduld auf nichts lauerte und ich mich in meinen Pelzmantel hüllte und las. Auch Jetzt geschah es so. — Jancsi nahm am Rande einer Schlucht Aufstellung, mich aber schickte er zu einem entfernt stehenden Schleh- dornstrauch. Der Waldhüter ging mit den Treibern in den Wald. Ich legte das Gewehr neben mich, zündete eine Zigarre an und las. Es war neblig. Jancsi stand unbeweglich ungefähr fünfzig Schritte von mir entfernt. Während Ich las, fiel mir ein, daß kein Baum in der Nähe war; wenn der Bär auftauchte und das Gewehr nicht losgehen würde, so wäre nichts zum Hinaufklettern da. Ich schaute mich um und sah einige Schritte von mir elne Hüterhütte. Ich hob mein Gewehr auf, und damit Jancsl mich nicht bemerkte, schlich ich mich hinter den Sand- hügeln gebückt zur Hütte. Auf einmal ein Schuß — die Kugel pfiff an mei- nem Ohr vorbei. Bumm! ein zweiter Schuß: er traf den Lauf meines Gewehres. „Bist du verrückt geworden!‘ schrie ich. Dann rannte ich und war mit ein, zwei Sprüngen in der Hütte, (W. M. Busch) = IR % 7 Vom Futter meines Pelzes riß ein Nagel in der Tür ein Stück heraus, Ich drehte mich um, um es aufzuheben, aber Jancsi war noch immer hinter mir mit seiner Knarre. Na, das war kein Spaß. Was sollte ich tun? Steckte ich den Kopf hinaus, würde er sogleich schießen, bliebe ich in der Hütte, zündete er sie über mir an. Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht, Ich durchstieß die andere Seite der Hütte und sprang in den Graben. Selbstverständlich ging Ich dann nach Hause, Ich sagte zu Jancsis Frau Etelka, daß mir das Warten langweilig geworden sei. Die gute Seele schrie beinahe auf, als sie das Fütter meines schönen Stadtpelzes sah... „Ich will ihn zusammennähen“, sagte sie und suchte in ihrer Tischlade herum. „Lassen Sie es gut sein‘, antwortete Ich, „morgen suche Ich das fehlende Stück.” Ich streckte mich am Kanapee aus und las Ihr aus dem Roman vor. Nach Sonnenuntergang kam Jancsi. Seine Augen glänzten. „Na, wo ist der Bär?“ fragte ich ihn. Er zog sich aus. Dann goß er eine heiße Wein- suppe in sich hinein, „Also“, sagte er, „schade, daß du nach Hause gegangen bist, Denn gerade In deiner Richtung kam der Bär.” „Es war ein riesengroßes Vieh, Er konnte einen Klafter hoch gewesen sein. Ich sah ihn, als er zur Hüterhütte trottete. Schnell entschlossen laß ich auf ihn einen Schuß los. Sein linker Hinterfuß ist getroffen. Gequält brüllt er auf und flüchtet hinkend in die Hütte. Ich schleße zum zweitenmal. Mein Bär verschwindet in der Hütte. Jetzt hab’ ich dich, Meister Petzl — denke ich. Schnell stoße ich zwei Patronen in mein Gewehr und laufe zur Hüterhütte. Der Böse wartet auf mich. Er steckt den Kopf her- aus. Ich schließe doppelt auf ihn. Er zieht sich zu- rück, Wieder lade ich mein Gewehr, und piff- paff, jage ich wieder zwei Schüsse durch die Tür. Da wird aber das Tier grimmig. Wutschnaubend kommt es hervor und stellt sich auf die Hinter- füße, Es Ist drei Kopf größer als ich. Augen wie zwel feurige Kugeln. Sein Rachen schäumt, Es fleischt die Hauer, hebt die Vorderfüße gegen ‚den Himmel und stürmt gerade auf mich zu.” „Jesus, Marial” schreit Etelka, Jancsi fährt unter heldenhaften Gebärden fort: „Ihr könnt euch denken, daß ich keine Zeit hatte, mein Gewehr zu laden. — Ich dachte an dich, meine liebe Etelka, und an Gott. — Dann reiß‘ ich meinen Dolch hervor und warte ent- schlossen, bis der Bär sich auf mich wirft. Er söumte damit auch nicht. Seine Krallen fürch- terlich gegen mich spreizend, fällt er mich an. Ein anderer Mensch wäre erschrocken, aber ich verlor meine Nerven nicht: schnell hocke ich mich nieder, halte meinen linken Arm schützend vor mich und stoße meinen Dolch bis zum Griff in den Bären.“ Vor Entsetzen blaß, fragt Etelka: „Hast du Ihn ins Herz getroffen?” „Nein. Mein Stich glitt unter seiner Achsel durch. Wir umarmen einander. Ich halte seinen Leib mit solcher Kraft umfaßt, daß seine Rippen krachen. Der Bär kann seine Krallen nicht benützen, aber auch ich nicht meine Hand, Der heiße Atem des Bären verbrennt fast mein Gesicht. Endlich fühle ich, daß meine Kraft nachläßt. Einer muß sterben, entweder ich oder der Bär, — denke ich, Darauf laß ich ihn ganz plötzlich los, gebe ihm aber einen solchen Fußtritt in den Bauch, daß er momentan zusammensackt. Und was glaubt ihr, was dann geschah?“ „Der Waldhüter erschoß ihn.” „Keine Spfür. Er kehrte mir den Rücken und rennt wieder in die Hütte hinein. Ich greife schnell zum Gewehr, werfe zwei Patronen hinein, und damit rumm bumm hinein in die Hütte. Ich warte, ob er sich bewegt. Es rührt sich nichts. Dann blicke ich hinein und sehe, daß es drinnen hell ist: auf der anderen Seite Ist ein Riß in der Wand der Hütte, Er hat sie durchbrochen und ist geflohen. Ich blicke ihm nach, aber er hinkt schon am Waldrand. Bis Ich mein Gewehr wieder laden konnte, verlor ich ihn aus den Augen, Ihr könnt euch vorstellen, wie ich mich geärgert habe. Ich hätte Ihm gerne wenigstens eine Tatze abge- schnitten. Aber Ich habe’ trotzdem ein Andenken von ihm mitgebracht.” „Was denn?” „Was? Ein Stück aus seinem Fell, das während dem Ringen herausgerissen worden ist, Hier ist es. Daß ihr nicht glaubt, Ich erzähle nur Märchen.” Damit öffnete Jancsi seinen Tornister und wirft mit großem Triumph das aus meinem Pelz her- ausgerissene Stück Fell vor uns hin. (Aus d. Ungarischen v. Martha v. Agoraszto-Zöllner.) LIEBER SIMPLICISSIMUS 10. Nückel) Bei einer der letzten Wahlen auf Island wurde festgestellt, daß auf den Wahllisten der Stadt Akureiry eine ganze Menge Leute aufgestellt waren, die In Wirklichkeit schon längst tot waren, und eine ganze Reihe Leute hatten Wahlschwindel verübt, Indem sie im Namen dieser Toten gestimmt hatten. Deshalb mußte die Wahl für ungültig er- klärt werden, und ein neuer Termin wurde ange- setzt. Das benutzten die Parteien natürlich zu einem neuen Wahlkampf. Ein Wahlredner in Reykjavik aber hatte Pech, er begann nämlich seine Wahlrede mit dem bekannten iIsländishen Vaterlandslled: „Steig empor aus dem Grab Du Geschlecht, das gestorben In diesem Moment erhob sich ein Polizeibeamter im Saal und sagte unter dem Jubel der Anwesen- den laut und deutlich: „Nee, nee, diesmal geht das nicht so — jeder muß eine Legitimationskarte zur Wahl mitbringen...” * In ein Autogramm-Album schrieb Liliencron ein- mal folgenden Spruch: „Schließe nicht immer von dir auf andere. Es gibt auch anständige Menschen.” * Johannes bat mich, ihm ein wenig Geld zu leihen. „Werde ich es auch bestimmt zurückbekommen, Johannes?" fragte Ich. „Ich schreibe dir einen Schuldschein aus“, be- rtuhigte er mich. Er ging also an seinen Schreibtisch, entnahm die- sem ein Blatt Papier, zog den Füllhalter und wollte beginnen. Dann aber zögerte er, „Ich glaube, es Ist besser, ich gebe es dir un- beschrieben“, meinte er, „Dann ist es doch nicht ganz wertlos für dich.” J. Bieger Vorlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgosollschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fermruf 1296). Briefanschriti: München 2 BZ, Brieffach. Vorantworti. Schriftiei Anstalten onigege: 1: Walter Foltzick, München. — Der Simp) Bezugsproise: Einzelnummer 30 Pf.; issimus erscheint wöchentlich einmal. B. Abonnement im Monat RM. 1.20. — Unverl lungen nehmen ai Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- Nachdruck verboten. — Posischackkonto München 5920. Erfüllungsort München. Die Verlobung (K. Helligenstaadt) „+. und dann hat er einfach um deine Hand gebeten?" — „Ja— denk mul — um die Hand auch!" Fidanzamento: "... e pol ha chiesto senz’ altro la tua mano?,, — "Si; pensa un po’, anche la mano!,, 412 f | München, 4. Au ’ N „4. August 1943 . | 48. Jahrgang / Nummer 31 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN OLar Aucaransson 43 ATLANTIK - ÜHARTA wZ. RTL Y 4 \ Kr: z ? GL, / z AB / % 7 LT. Z f = > DH, 3 4 GG, L > 3 35 / G, 5 ne FE WEERÄRE 73 EEE: „Papa Neptun, da bringe ich dir etwas Lustiges zum Lesen — das scheint jemand über Bord geworfen zu haben!" La “Carta Atlantica,,: "Papa Nettuno, &ccoti qualcosa d’ allegro da leggere ... Pare che qualcuno I* abbia buttata gid da bordo in mare!,, Der Kunstproduzent - Il produttore d’arte „+... ja, aber nur gegen Abgabe alter Bilder!" x Herr und Frau Schnutenfeger Von Paul Westergaard Kürzlich las ich in einer ausländischen Zeitung, daß ein Barbier zum Leiter für das Amt für Hygiene und Gesundheitswesen der Hauptstadt seines Landes berufen wurde. Unwillkürlich mußte Ich dabel an meinen früheren Barbier Schnutenfeger denken, der In einer stillen Seitenstraße unweit des Hauptbahnhofes sein Ladengeschäft hat. Ihn würde es gewiß freuen, wenn er erfahren könnte, daß einer seiner Kollegen zum Direktor des besagten Gesundheitsamtes avancierte. Ob ich ihm daher nicht meine Aufwartung machen soll, um ihm davon zu berichten? Es war freilich schon racht lange her, seit ich seine Barbierstube das letztemal aufsuchte. Ich siedelte nämlich vor einigen Jahren in einen anderen Stadt- teil über, wo ich das Vergnügen habe, von einem Barbier bedient zu werden, der um ein nicht Ge- rtinges properer ist als Schnutenfeger. Schnutenfegers Barbierstube war klein und eng. Frau Schnutenfeger half Immer fleißig mit im Ge- schäft. Sie pflegte einzuseifen, während erschabte. Ich habe noch heute eine Narbe, die ich geduldig trage als eine Erinnerung an Schnutenfeger und sein Messer. Frau Schnutenfeger indessen, die verstand ihr Handwerk, das muß man Ihr lassen. Das spassigste aber dabei war, daß man beim Einselfen Immer riechen konnte, was es bei Schnutenfegers zum Mittagessen gab. „Nal“ neckte ich sie einmal, „heute gibt es bei Ihnen Hering, Frau Schnutenfeger.” „Wieso wissen Sie denn das?” erwiderte sie maß- los verwundert. „Das können Sie doch gar nicht gerochen haben! Ich habe die Heringe ja noch gar nicht auf die Pfanne gesetzti Bloß ausgenommen habe ich sie.” „Ija, eine gewisse übernatürliche Begabung —”, erklärte ich geheimnisvoll, Aber eines Tages sollte ich den kürzeren ziehen. Es war mir nämlich trotz meines ausgesprochenen Geruchsinnes unmöglich festzustellen, was das Ehepaar diesmal zu Mittag essen würde. „Nun, Herr Petersen, heute können Sie schwerlich erraten, was wir essen”, lächelte Frau Schnuten- feger und entblößte dabei ihren einsamen Vorder- zahn. „Nein, wirklich nicht. Heute ist mir meine über- natürliche Begabung versagt geblieben. Offenbar weil es draußen so nebelig ist...” „Nee, Herr, Ihre Begabung in allen Ehren. Doch wenn ich Ihnen etwas anvertrauen darf, wir essen nämlich heute bei meinen Schwiegereltern!” Da hatte ich es! Es war also auf eine Art ganz unter- haltsam und nett in Meister Schnutenfegers Bar- blerstube. Und Je mehr ich nachdenke, habe ich wahrhaftig ein schlechtes Gewissen, daß ich mich so lange nicht bei ihm sehen ließ. Nun aber werde ich gehen. Gleich morgen schon. Er muß doch auch wissen, daß einer seiner Kol- legen es zum leitenden Direktor des Amtes für Hygiene und Gesundheitswesen gebracht hatl Er wird sich darüber freuen und stolz sein. Also werde ich gehen — man soll energisch sein. Wenn auch die Properkeit — — na Ja — — und so welter... (Aus dem Dänischen von Werner Rietig.) 414 (6. Brinkmann) “,....eh sl, ma soltanto verso consegna di quadri antichi!,, ALARM »Dies hier«, fo Iprach’s im Traum, »ift die Hyäne. Sie it weit über hundert Jahre alt... .« Ich fah fie an, die gräßliche Geftalt, und kraulte zaghaft die gefträubte Mähne, Wutgeifernd blechte fie die gelben Zähne... Was it... Jäh fuhr ich aus des Traumes Schacht. Was ift denn?... Vollmondglänzend fchmwieg die Nacht. Ich laufchte ... Und da heulte die Sirene. Getigert war mit einem Mal der Himmel. Fahlgelbe Bänder zuckten hin und her, durchfchlängelten das Wolkenfchaumgerimmel. Und ferne Schläge hört’ ich, dumpf und fchwer.... So fchwer und dumpf fchlug auch in mir das Herz, fchlugen viel taufend Herzen allerwärts.... Aber, o Wunder, horch, im Nachbargarten, im finftern Ställchen, hub der wachre Hahn fein frohes Morgenlied zu krähen an, als könnt” er’s nimmer, nimmermehr erwarten. Vertrauter, lieber, tröftlicher Gefang! Der Tag bricht an... es dauert nicht mehr lang! Dr. Owlglaß Der Europaverteiler (Winelm Schu „Vorläufig müßt ihr mit dem Papier vorlieb nehmen. Das soll aber nur die Vorspeise sein, die richtige Mahlzeit kommt erst nach dem Kriege!“ Il dispensiere d’ Europa: “Per ora dovete accontentarvl della carta. Ma questa deve essere soltanto I" antipasto; Il vero pasto viene solo dopo la querral,, 415 DAS SPUKBEGRÄBNIS VON ADOLF JOHANSSON Nur zwei Dinge waren es, die den alten Ehren- mann, den Major auf Elgdala, quälten, aber sie waren auch im höchsten Maße widerwärtig. Erstens gab es auf Gottes grüner Erde nichts, was ihm seine Seelenruhe so rauben konnie wie die ver- ‚dammten Wilddiebe, die Immer wieder auf seinem Grund und Boden Ihr Wesen trieben. Zweitens... Schtl — Der strengste Tagesbefehl, den der alte Major in seinem ganzen Leben her- ausgegeben hatte, handelte gerade von diesem — zweiten: Das dumme Gerede sollte endlich ver- stummen! Aber wen es doch zu hören gelüstete, der brauchte nur an der Knechtsstube und an der Mögdekam- mer zu lauschen. „Der Teufel soll mich holen, wenn sie sich jetzt nicht wieder gezeigt haben!” Es verhlelt sich nämlich so, daß der Major einen Sohn gehabt hatte. Es war zwar ein prächtiger Mensch gewesen, aber ein bißchen leichtsinnig, ein Herzensknicker und fröhlicher Gesellschafter und ein großer Zecher. Jetzt war er schon seit ein paar Jahren tot, und sein Sarg hatte in dem großen öden Kornspeicher am Waldrande ge- standen. Wie es auch sein mochte, eins war ge- wiß: er fand keine Ruhe in seinem Grabe, obwohl die alte Lena, die Gutsmagd, die fast als einzige der Dienstboten dem Jungen Leutnant von Herzen gut gewesen war, dem Sarge heimlich eine Schaufel Feuerkohlen nachgeworfen hatte als er fortgetragen wurde, Aber es war Ihr nicht ge- lungen, ihm heimlich Leinensamen zuzustecken, der zwischen Mitternacht und dem ersten Hahnen- schrei helfen sollte. Daran scheiterte es wohl, glaubte man in der Gesindestube. Vor einigen Monaten war die Hausmagd eines Nachts, als schon alle Lichter auf dem Hofe ge- löscht waren, halb angezogen mit dem großen Schlüsselbunde in der Hand über den Grasplatz geschlürft, und als sie zufällig durch das Herz in der Tür hinausschaute, sah sie, wie der Leichen- zug aus dem Kornspeicher herausgezogen kam. Es waren schwarzgekleidete He In stelfen Hüten und kreideweißen Handschuhen. Sie trugen den Sarg, und der letzte blieb einen Augenblick stehen, um die Tür des Schuppens zu schließen — ganz damals, als sich der wirkliche Leichenzug einst In Bewegung gesetzt hatte, Was die Hausmagd gesehen hatte, verbreitete sich natürlich wie “ein Lauffeuer, und ebenso fest wie Jeder Gutsangestellte daran glaubte, so er- grimmt war der Major über dieses lästerliche Gerede. Aber er war Ja auch nicht dabei gewesen, als die Hausmagd In Janer Nacht totenbleich In die Gesindestube gestürzt war und dort zitternd gelegen hatte. Es war gerade an einem solchen Abend, als der Major plötzlich durch einen heftigen, vom Hof kommenden Schrei aus seinen Träumen gerissen wurde. Schneller als er es selbst für möglich gehalten hatte, war er auf- gesprungen und hatte hinter der Gar- dine hinausgeschaut, Ein kalter wei- Ber Septembermond funkelte in den Tautropfen des Grases, und der schwarze Schatten des Kornspeichers zeichnete sich scharf auf dem weißen Hofplatz ab. Dort unten stand eine der Stallmägde, die Hände am Kopf, wie am Boden festgewurzelt. Und zehn Schritt vor ihr... Ja, Schock- schwernot,.. Herrjesses... der lel- chenzugl Es war also wahr. Lautlos zog er mit dem Sarge vorüber. Die Männer stemmten Ihre eine Schulter unter dem schweren Sarg hoch in die Höhe, und die Schatten folgten ihnen wie lange gewundene Rieseneldechsen. Der Wald lag dicht neben dem Schup- pen, und dort schien sich der Lei- chenzug aufzulösan und zu verflüch- tigen. Früh am anderen Morgen stand der Verwalter, den der Major hatte rufen lassen, an der alten wurmstichigen Tür und drehte seine Mütze in der Hand. „Nun, Andersson“, begann der Major, „willst du heut nacht im Kornspeicher schlafen?” „Aber“, kam die zögernde Antwort, „Herr Major wissen, daß... und erst vorige Nacht...” „Du kriegst auch eine Belohnung. Und du kannst dir auch noch einen Mann mitnehmen. Ich will, daß dies ewige — hm — Gerede ein Ende hat, verstehst du? Na, ist es abgemacht?” „Ja, Herr Major, dann ist's wohl abgemacht." Als es Abend wurde, saßen der Verwalter und der Großknecht in einer der großen Kornkisten versteckt. Uber den Boden sickerte das Mond- licht in einen schmalen Streifen hinein und leuch- tete In den Tautropfen des Spinngewebs vor der Fensterluke. Ab und zu knabberte eine Maus unter dem Fußboden, und hin und wieder tickte die Totenuhr In den Wänden. Abgesehen von dem Lichtstreifen war es pechschwarz in dem großen Speicher. An der äußersten Glebelwand hatte der Sarg einst auf schwarzen Holzböcken gestanden, Dorthin glitten auch häufig die scheuen und ängstlichen Blicke des Verwalters und des Großknechts, Die Stunden verrannen. Der Wind rauschte, und der Zweig eines Baumes schlug gegen die Wand. Der Verwalter dachte an die Schnapsflasche, die er in seine Jackentasche gesteckt hatte, und stieß den Knecht in die Seite, Kluck, kluck, klang es durchs Dunkel, Plötzlich wurde es an der Tür hell. Ein Strom von Mondlicht flel herein. Dann wurden zwei Schatten sichtbar, und im nächsten Augenblick traten die ersten Herren des leichenzuges mit dem Sarg über die Schwelle. Die Gesichter waren kreide- weiß, und die Schatten sahen im Mondlicht blau aus. Ein Paar der steifen Kirchenhüte nach dem anderen neigte sich in der Türöffnung, wenn sich Ihre Träger auf der Schwelle bückten. Kurze Zeit darauf krochen zwei verängstigte Menschen mit klappernden Zähnen aus der großen Kornkiste heraus. Der Major fluchte durchaus nicht, als er vernahm, Das Königsspiel Von Herbert Lestiboudois Wenn's, wie so oft, uns wieder einmal überkam In jenen Nächten draußen, jenen schlaflos langen, Daß dieses Unaussprechliche kein Ende nahm, Dies Ungefüge in uns, das wir nie durchdrangen, Das nie Gestalt war, das da wogte und zerging Wie Schatten bald und bald wie kalte Nebelschauer — Ein Netz verstrickter, undeutbarer Menschentrauer, Darin die Seele irrend, wirrend sich verfing — Dann, du mein Freund, mein stiller, bester Kamerad, Mein Bruder du — dann war es tröstliches Beginnen, Wenn mich dein Wort anrief, an deine Seite bat, Um Zug für Zug dem Königsspiele nachzusinnen, Dann war es gut, dies Beieinandersein, so nah, Daß unser Atem überm Brett sich traf: wir saßen Die Nächte durch, gebeugt, zergrübelt — und vergaßen Was Undeutbares in und über uns geschah. Der Nachtwind röhrte, die Geschütze brüllten dumpf, Das Echo rollte schaurig durch die schwarzen Wälder — Wir aber spielten, bis der letzte Kerzenstumpf Erloschen war am Rand der vierundsechzig Felder. Bis daß es finster war um Bauer, Ki So jäh verfinstert wie der Glanz der Königinnen — Wir hatten nichts mehr zu verlieren, zu gewinnen, Als rings das Erdendunkel wie der Bruder Wurm. 416 ig, Turm, wie die Sache abgelaufen war, er verdoppelte nur die Belohnung, wenn der Verwalter noch eine Nacht im Kornspeicher zubringen wollte, Aber wenn er das Zehnfache geboten hätte, wäre es doch vergeblich gewesen, Und das Gerücht von dem Spukleichenzuge brei- tete sich so aus, daß ein paar Mägde kamen und um ihre Entlassung baten. Der Major überlegte ernsthaft, ob er nicht das ganze berüchtigte Ge- bäude abreißen lassen sollte. Ehe es so weit kam, ereignete sich Jedoch etwas, was das Abreißen des Schuppens völlig unnötig machte. Es war eine kalte Septembernacht, und der Major konnte keinen Schlaf finden. Er wälzte sich in den verschwitzten Bettlaken, die an seinem Körper klebten und all seinen Bewegungen folgten, Wie gewöhnlich hatte der Major über die Wild- diebe nachgegrübelt und konnte darüber nicht einschlafen. Plötzlich richtete er sich im Bett auf. Es war erst zwei Uhr. Jetzt wollte er der vermaledeiten Wild- dieberei ein Ende machen. Ein Exempel statuieren. Er zog sich an, füllte seine Schnapsflasche und schlich sich die knarrende Treppe hinunter. Ahl Die Nachtluft schlug ihm kalt und feucht ent- gegen. Der Major schob seinen Hut aus der Stirn und atmete tief. Die Dämmerung lag blau über dem Hofplatz, wo der Tau in den Gräsern glitzerte, Der Wald stand schwarz hinter dem Kornspeicher, und jenseits leuchtete das Moor durch das lichte Föhrengehölz. Am Moore hatte sich der Major in einer Weidendickung ein weiches Lager bereitet, dorthin lenkte er seine Schritte, um den Wild- dieben aufzulauern. Das Warten in der ‚Weidendickung wurde ihm lang. Eine kalte Feuchtigkeit stieg vom Moore auf. — Endlich graute der Morgen. Plötzlich duckte sich der Major tiefer und spähte durch die Zweige. Ein Absatzeisen klirrte gegen einen Stein am Waldrande, und ein Gesicht mit rotem kurzen Schnauzbart und blinzelnden Augen tauchte hinter den Zweigen auf. Im nächsten Augenblick war es wieder verschwunden, aber der Major hatte den kleinen Fuchs-Olle, die raub- lüsternen Züge des Kätnerburschen erkannt. Olle kroch auf allen vieren nach einer Schilfbank hinaus, die etwa zwanzig Meter von dem Versteck des Majors entfernt lag. Hin und wieder wandte or den Kopf und guckte mißtraulsch nach allen Selten aus. „Sieh da...” Ein kapltaler Eichbulle trat aus den Büschen des Waldes und schritt mit wiegendem Gang über das Moor. Ja- je, das war der Zwölfender, der ihm vor ein paar Tagen gemeldet worden war. Der Atem dampfte ihm aus den Nüstern, als er in fünfzig Schritt Ent- fernung die gebogene Muffel hob und Im Winde schnob, Pängl Der Major fuhr wie von einer Natter gestochen In die Höhe. „Ha — das verflixte Luder...” Schäumend vor Wut stand der Major vor dem unglücklichen Schützen. Fuchs- Olle ließ alles über sich ergehen, Er stärrte mit hoffnungslosem Blick vor sich hin, „...anzeigen und Gefäng- nis...“ Das zündete. Olle begann endlich zu begreifen. Streckte die gefalteten Hände dem Major entgegen. „Nein, nein, nicht Gefängnisl... Die Mutter liegt krank zu Haus und kann sich ohne mich nicht helfen. Um Gottes willen, bester Herr Major, meine Mutter..." Nun war es so, daß der Major trotz seines barschen Äußeren ein weiches Herz in der Brust trug. Sein weißer Knebelbart zitterte. „Hm, hm, tja, deine Mutter, tja...” Die flehende Stimme wurde immer eindringlicher. Der Major räusperte sich, „Na ja, ich will Gnade vor Recht ergehen lassen — deiner Mutter wegen — wenn du ein paar Nächte im Kornspeicher wachen willst. Du kriegst auch ehrlich bezahlt, und wenn du den Spuk dort aus der Welt schaffst...” Olle blieb nichts anderes übrig, er mußte den Auftrag annehmen, und ob- wohl ihm übel zumute war, dankte er Wilsons Geist {Erich Schilling) „Diese Botschaft kenne ich doch, die ist ja von mir. Ich bin nur neugierig, wer diesmal darauf hereinfällt!?‘ Lo spirito di Wilson: "“Questo messaggio lo conosco, |"ho falto io. Sono curioso di vedere chi questa volta ci cade dentro!?,, dem Major, so gut er es konnte. So begab es sich, daß der Fuchs-Olle am selben Abend in einer Ecke des Kornspeichers auf einem wackligen Melkschemel saß. Neben ihm in einer Flasche stand der köstliche Whisky des Majors, und quer über seinen Knien hielt er das unselige Jagd- gewehr, das man ihm wieder ausgehändigt ha.te, $o vergingen einige Tage, Olie schlief tagsüber und verbrachte die Nächte im Kornspeicher In Gesellschaft der Whiskyflasche und der Büchse. Als er am vierten Abend über die Schwelle trat und die Tür hinter sich schloß, warf er nicht ein- mal mehr einen Blick nach der linken Ecke, in welcher der Sarg gestanden hatte, sondern ging gleich nach dem Lager, das er sich bereitet hatte Und bald lag er in tiefem Whiskyschlummer. Aber auf einmal erwachte er. Er streckte sich und nahm einen Schluck aus der Flasche. Waren da Mäuse? — Da raschelte etwas Im Spei- cher. Ein Deckel wurde aufgelegt: Fuchs-Olle griff nach seiner Büchse und starrte ins Dunkel. Plötzlich wurde er völlig wach. Die Spannung kitzelte ihm den Magen, seine Finger zitterten wie in Jagdfieber. Schwere Schritte schlürften vorüber. Zwei schwarze Schatten — ein Sarg... Olle stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Dann brannte er einen Schuß ab und taumelte auf sein Lager zurück. Der schwarze Leichenzug raste nach der Tür. Schreie hallten. Mit einem Krach fiel der Sarg auf den Boden. Als Olle wieder zu sich kam, stand der Major im 417 Mantel mit bloßen Beinen neben ihm. Mitten auf dem Fußboden lag ein Mann mit gefesselten Hän- den neben dem offenen Sarge, der mit Korn an- gefüllt war, Fünf bis sechs Mägde und einige Knechte lieten von einer Kornk'ste nach der anderen. „Ja, hier haben sie elwas genommen, und hier.“ „Für 150 Kronen Roggen haben sie gestohlen”, rief der Verwalter, „Ja, mindestens für 150 Kronen!” „Jesses, Jesses”, schnatterten die Mägde, „ach du meine Zeit, und wir glaubten, es sel eine ehr- liche Leichel” Aber der Major klopfte Olle auf die Schulter und versprach ihm goldene Berge und grüne Wälder Und Fuchs-Olle blinzelte unter den roten Augen- brauen in sellger Betrunkenhelt. (Aus dem Schwedischen von Ilse Meyer-Lüne) DASSIKEELBIDESTGEÜCKS VON GIGI VIVIANI „Du siehst blaß aus, Kleines.” „Ich habe heute Nacht nicht geschlafen.” „Warum?” „Well du nicht da warst. Aber wir wollen nicht von mir reden. Erzähl von deiner Reisel Erzähl vor allen Dingen von der blonden Frau, zu der du gefahren bist!” - „Sprechen wir von ihrl‘ Aber ich möchte eigentlich gar nicht von ihr sprechen, lieber von mir. Ich wünschte auch, die beiden hätten In Paris einzig von mir gesprochen; er: meine Gaben preisend; sie: unbändig neidisch auf unsere große, mich einzig und unvergleichlich dünkende Liebe. „Hast du ihr von mir erzählt?” „Natürlich. „Was hat sie gesagt?” „Ich habe ihr die Fotos von dir gezeigt. Sie sagte, du wärest sehr hübsch.” „Ob das aufrichtig:gemeint war?“ „Sie hatte Ja keinen Grund, zu lügen. Als einstige Geliebte hätte sie eher alle Ursache gehabt, das Gegenteil zu sagen.” Trotzdem, ich fühle mich durch diese Großmut, die„ich instinktiv durchschaue, In keiner Weise verpflichtet. Diese Frau Ist, glaub ich, viel zu klug, als daß sie auch nur im Entferntesten etwas gegef mich vorbrächte, „Was sagte sie denn, als sie dich wiedersah?” „Ausgeschimpft hat sie mich, well Ich mit einer Ve:spätung von änderthalb Tag elntraf.” Diesmal bleibe ich wie vom Schlag gerührt stehen und starre ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Ist es möglich, daß es eine Frau gibt, die fähig ist,“ihn auszuschimpfen? Daß eine Frau den Mut fand und die Geschmacklosigkeit besaß, ihm häß- liche Worte zu sagen? Plötzlich faßt er mich bel den Schultern (meine ihm unerklörliche Bestürzung belustigt Ihn) und dirigiert mich zu einem Wagen, mit dem wir nach Hause fahren. Nun muß ich unbedingt alles wissen, was in den dreißig Stunden seiner Abwesenheit geschehen ist, die der Mann, dar mich liebt, mit einer herausfordernd schönen, klugen, blonden Jungen Frau verlebte, die er vor zwei Jahren ge- liebt hat. Sie rief meinen Geliebten unvermutet nach Paris, zur Erledigung etwelcher Geschäfte, bei denen seine Gegenwart und sein Rat unent- behrlich waren. Mit jenem Fatalismus, der meine zweite Natur ist, ließ ich ihn reisen, Ich wollte Ihn nicht begleiten, weil es wie Mißtrauen aus- geschen hätte, als sei Ich seiner Treue nicht sicher. Ist sie noch sehr schön, die blonde Frau?” Er antwortet nicht gleich, well er einem anderen Gedanken nachhängt, der ihn nicht losläßt. „Ich mag dieses ängstliche und verzweifelte Ge- sichtchen nicht sehen, Kleines. Es wäre mir lieber gewesen, du hättest auf mich gehört und mich begleitet; so hättest du sehen können, wie grund- verschieden meine Liebe zu dir von der Liebe Ist, die Ich zu Ihr hegte.” Zu Hause angekommen verspüre ich so etwas wie ein Gefühl der Beruhigung. Ich hänge zärtlich an meinem kleinen Heim, das beinahe schön ist, von Teppichen durchwärmt, von Vorhängen verdun- kelt, von Licht durchströmt, wenn ich bei Sonne die Fenster aufreiße, und das so still ist, als läge es irgendwo versteckt auf dem Lande und nicht inmitten der Stadı. Ich weiß, auch mein Geliebter ist gern in meinem Heim, und ich scheine ihn wiederzugewinnen, nun er ins Nest zurückgekehrt Ist. „Du hasi auf meine Frage nicht geantwortet: Ist sie noch sehr schön, die blonde Frau?” Er rasiert sich gerade (die Stoppeln von nahezu zwei Tagen) und antwortet mit kleinen Pausen; er lacht über meine Besorgnis, die ich mir zwar nicht anmerken lassen will, aber mit jedem Wort verrate, Sie ist noch sehr schön. Als ich nur mit meinem grauen Köfferchen ankam, protestierte sie gleich: warum ich nicht den Smoking mitgebracht hätte. „Warum nicht gar den Frack?” Er merkt nicht, daß ich im Begriff bin, böse zu werden, „Für den dreitägigen Aufenthalt in Paris hatte sie so viele Toiletten mitgebracht, wie für vierzehn Tage ausreichen würden odar noch zu viele wären. Am Nachmittag trug sie einen anderen Pelz als am Vormittag und war äußerst gareizt, weil ich keinen Abendanzug mitgebracht hatte und sie nicht auf den Montmartre begleiten konnte, wo sie einen dritten Pelz entfalten wollte, einen Her- melin, den schönsten der acht in Frankfurt existie- renden.” Ich sehe zaghaft an meinem schmucklosen seide- nen Fähnchen hinab. Und gleich demütigt mich diese Verzagtheit, die ich nicht überwinden kann und die mich zu ersticken droht. „Na und?” „Wir sind in die Umgebung von Paris gefahren, mit ihrem Auto, einem deutschen Wagen, Sport- typ, wunderhübsch. Sie hat ausgezeichnet chauf- fieren gelernt. Wir sind auch die Pferde ansehen gewesen, die sie für ihren Berliner Rennstall ge- kauft hat. zwei prächtige Kerle.” „Kann sie reiten?” „Wie eine Amazone.” „Und dann?” „Dann ist sie nach Hause gefahren, in der Nacht. Ich sollte sie nach Deutschland begleiten. Zum Glück hatte ich kein deutsches Visum.“ „Andernfalls hättest du sie begleitet...” Er dreht sich unversehens um (auf die Gefahr hin, sich zu schneiden). „Übrigens, Kleines, Ich hab dich noch nie so ge- sehen.” „Mag sein. Du bist Ja auch noch nie verreist, um dich mit einer blonden Frau zu treffen, die dir nicht gleichgültig war. Im Grund hatte ich nicht unrecht, wenn. ich annahm, daß die blonde Frau mehr an,eine Vergnügungsreise dachte als an eine geschäftliche Besprechung. Das beweisen die vielen Toiletten und Pelze, die sie mit nach Paris nahm.” „Wahrhaftig. Das hab ich weder gedacht noch gemerkt.” „Wie bescheiden!” „Nein, tatsächlich.” Zum zweiten Male verstumme Ich. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Ich sehe meinen Ge- liebten neben der blonden Frau sitzen, d'e bis an die Nasenspitze in ihren Pelz gehüllt ist und mög- lichst virtuos ihren mächtigen, luxurlösen Wagen zu steuern sucht; ich sehe meinen Geliebten am gedeckten Tisch der blonden Frau gegenüber- sitzen, die überelegant angezogen und mit Bril- lanten und Perlen beladen ist; icn sehe ihn, wie ‚er mit seinen Händen leicht die bebenden Nüstern zweier Rennpferde streicnelt, und neben ihm steht die schöne, sportliche Frau. Ihr ganzes Wesen ist so grundverschieden von meinem, so fern, so unendlich viel verlockender als meines, daß mich wieder das Bewußtsein meiner Minderwertigkeit überkommt und mich im Halse würgt. Ich hätte große Lust, zu weinen. Auch mein Heim gefällt mir nicht mehr. Die Möbel, die ich mühevoll bei den Antiquitätenhändlern ausgesucht hatte, kom- men mir alt und verbraucht vor, die Kissen banal, die Teppiche ärmlich. Mein Mantel und das Filz- hütchen, das ich beim Nachhausekommen auf einen Stuhl geworfen habe, sind und bleiben armselig, geschmacklos und unelegant, auch wenn sie mir gut stehen und mich jünger machen. Nichts gefällt mir mehr. Auch ich selber nicht. Im Gegen- tell} ich wundre mich, daß ich meinem Geliebten gefalle, wo ich doch nicht blond bin, nichts Schönes anzuziehen habe, keine kostbaren Pelze besitze, „Was hast du denn? Du sprichst doch gar nicht mehr mit deinem armen Freund, der in so Über- großer Eile zu seinem Kleinen zurückgekehrt ist.“ „Und wann habt ihr von euren Geschäften ge- sprochen?” „Gleich nachdem ich angekommen bin. Eine halbe Stunde im ganzen.“ „Achl“ Tränen schleßen mir in die Augen, und ich kann sie nicht länger zurückhalten. Er stäubt sich mein Kölnisches Wasser ins Gesicht und sieht mich an. „Du weinst?“ Er schließt mich sogleich in seine Arme. „Warum weinst du? Bist du nicht glücklich, daß ich umgehend nach Hause gekommen bin, daß ich dir haarklein erzählt habe, was geschehen ist und was wir gesprochen haben?” „Nein.“ Er sieht mich entsetzt an. „Du bist unglücklich?” 418 „Ich bin unglücklich, weil du bei deiner Rückkehr solch ein ärmliches Kleines vorgefunden hast, ohne Schmucksachen, ohne Pelze, dazu bestimmt, zu Fuß vom Bahnhof nach Hause zu gehen...” „Dummchen! Kleines Dummchen..., Wie kannst du glauben, Ich interessiere mich für einen Luxus, der nicht mir gehört.” Er versteht nicht, versteht nicht meine Qual, die mich erfüllt und die Ich dennoch als unwürdig empfinde; aber sie ist so stark, daß ichs nicht hindern kann, wenn sie mich pelnigt .. Mein Ge- liebter macht sich zum Baden zurecht; ich lasse -ihn allein und ziehe mich In meinen Salon zurück, wo ich weinen kann, ohne daß er es sieht, und wo ich versuchen will, mich wieder mit mir selber auszusöhnen, mit meinem Heim und meinen Klei- dern. Ich weiß, nur wenn ich allein >in, kann ich mich zu mir selber zurückfinden. Niemand, nicht einmal mein Gellebter könnte mir mein Selbst- bewußtsein wiedergeben. Ich weiß nicht, ob meine Zärtlichkeit das Wohlgefallen aufzuwiegen vermag, das ein Hermelinmantel, der schönste der acht in Frankfurt existierenden, den Sinnen und Augen bietet. Ich glaube, in diesem Augenblick würde Ich mit Wonne jenen kostbaren Pelz vernichten, der sich mit königlicher Miene voll Verachtung ‚gegen mich wendet. Ich könnte ja sagen, es mache mir nichts aus. Das ist aber nicht wahr. Es schmerzt mich tief, daß ich ihm, der so viel Schönhelt ge- noß, nicht 'erhabenere Schönheit zu bieten ver- mag, die ihn alles vergessen lassen könnte, was seine Augen bis gesiern sahen. Aber ich kann es nicht, und diese Unfähigkeit betrübt mich; es ist, wie wern jemand schwer krank Ist und zweifelt, je wieder gesund zu werden. „Kleines!” Ich zucke zusammen wie auf frischer Tat ertappt. „Was ist?“ “ „Kleines, ich bin ins Bett gegangen, weil ich so müde und abgespannt bin. Bist du nicht auch techt abgespannt?” „Nein.” „Oder wenigstens müde?” „Nein.“ „Willst du nicht herüberkommen und mir beim Schlafen Gesellschaft leisten?” „Nein.” Es ist nicht wahr, daß ich nicht will. Ich will nur nicht, daß er abermals mein allzu bescheidenes Kleidchen dem anderen, dem allzu üppigen Kleide gegenüberstellen kann; ich will nicht, daß er meine bescheidene Wäsche unwillkürlich mit der wer weiß wie mit Spitzen und Stickerei verzierten der blonden Frau vergleicht... Aber plötzlich kommt eine ungeahnte Süßigkeit über mich, und ein Schauer durchfährt mich, der auf mich über- sprang, als mein Gellebter mich rlef. „Kleines, ich friere. Wenn du mich nicht wärmen kommst, kann ich nicht einschlafen...” Diese Ausrede kenne ich, damit maskiert er den Wunsch, mich ganz eng in seine Arme zu schlie- Ben, Und instinktiv lasse ich mein Kleidchen fellen, die Höschen, die Strümpfe... Ich werde mich ihm darbringen, wie ich bin, ohne elegante Toilette, ohne seidenes Hamd, ohne langes blon- des Haar. Ich werde ihm meinen kleinen bloßen Körper darbringen, mit der weißen Haut, dem Bubenkopf, der leisen Anschmiegsamkeit und dem Geheimnis der Lust, das ihn berauscht. Und ebenso glücklich wie vor seinar Reise betrete ich die Kammer, die mich wohlig aufnimmt und freundlich wie ehedem, schön wie ehedem ist und mir wieder gefällt. Er empfängt mich mit einem ‘kleinen Freuden- schrel und richtet sich im Bett auf. „Oh, Kleines, endlich! Du hast mich noch nie so lange warten lassen. Komm schnell... Du wirst dir in diesem Kostüm den Schnupfen holen!” Er lacht. Er ist bei mir wieder zum Kinde ge- worden. Und ich eile in seine Arme und freue mich meiner Nacktheit. „Ich habe nichts Schöneres anzuziehen als das!” sage Ich mit schwachem Lächeln und verberge mein Gesicht ihm zwischen Hals und Schultern. „Ich weiß nicht, ob es In Frankfurt acht schönere oder weniger schöne Felle...” „Still! Frankfurt existiert nicht mehr, Hermelin verabscheue ich, Autos sind mir widerlich, Renn- pferde sind etwas Unangenehmes, mein Kleines dagegen Ist das Glück.” Ich schließe die Augen, um andächtig das einzig- dastehende Kleid vorzuführen, das keine Schnei- derin konleren kann: das Kleid des Glücks, (Aus dem Italienischen von Thea Welde.) Das strenge Mädchen Krisen „Aber Lisbeth, auch in einer ungebügelten Hose kann ein Mann mit seelischen Qualitäten stecken!" „Und du glaubst, daß die durchs Bügeln leiden würden?“ La ragazza severa: ‘Ma, Lisetta, anche entro calzoni non stirati puö esservi un uomo con belle qualitä di spiritol,, “E credi tu che queste potrebbero soffrir danno dalla stiralura?,, 419 EIINIEZVEIRTIEVIEEIERESSAGIEIIE VON HANS REIMANN Ortrud kam aus dem Kino. Ihr Mann hatte einen Geschäftsfreund aufgesucht, mit dem er freund- schaftlichen Verkehr aufrecht erhalten mußte. Man konnte ihn getrost allein gehen lassen, Der Geschäftsfreund hatte keine Töchter, sondern nur einen im Stimmwechsel befindlichen Sohn sowie eine Gattin, die auch einem weniger an- spruchsvollen Menschen als Ortruds Mann unge- fährlich war, Es regnete in Strömen. Ortrud pferchte sich in eine überfüllte Straßenbahn. Das letzte Stück mußte sie laufen, da half alles nichts, denn bis zum Stadtrand war der Fortschritt noch nicht fort- geschritten. Unterwegs fingerte sie in der Handtasche vor- sorglich nach dem Hausschlüssel, Er machte sich durch hartnäckiges Fehlen bemerkbar. Ortrud trat unter einen dichtbelaubten Baum und kramte hastig alles um und um, Kein Schlüssel. Sie trabte Training - Allenamento weiter und zerbrach sich den Kopf, warum und wo sie den unentbehrlichen Gegenstand ver- gessen haben und wer daran schuld sein mochte. Sämtliche diesbezüglichen Fragen blieben offen. Sie wohnten In einem Zweifamilienhaus. Die an- dere Partei war mit Sack und Pack verreist. Ortrud zögerte, ehe sie dem verschlossenen Ge- bäude tropfend näherschwebte. In der Nähe be- fand sich ein Telefonautomat. Den merkte sie als letzte Rettung vor, obschon Ihr peinlich war, bei Erwins Geschäftsfreund anzuläuten. Sie landete vor dem finsteren Haus. Läutete. Nichts. Folglich war Erwin nocn nicht eingetroffen. Sie rannte zum Fernsprecher und rief an, Ein ver- schlafener Baß, zunächst unwirsch, dann mühe- voll wirsch, bedauerte, daß Erwin weder da ge- wesen sel, noch daß man ihn erwartet habe, Be- dauerte außerordentlich, Es war dreiviertel zwölf geworden. Ortrud Jagte (0. Hermann) „Siehst du, Ria, nun kann Ich bereits dämonisch schauen — aber es strengt mich noch furchtbar an!" , “Vedi, Rio, ora posso gi& fare gli occhi diabolici. Ma che fatica terribile Juora per met, 420 zurück — umwölkt von schwärzlichen Gedanken, durchweicht vom unaufhaltsamen Regen, schwan- kend zwischen heller Verzweiflung und krampli- gem Optimismus. Auch ein boshafter Racheplan spukte im Hintergrund. Nach wie vor lag das Haus in unbarmherzigem Dunkel. Ortrud sagte etwas Unschönas vor sich hin. Die Lampe Im Herrenzimmer war noch warm, Das konnte man allerdings nicht von draußen fest- stellen. Die Lampe im Schlafzimmer war einen Grad wärmer. Auch dies blieb der guten Ortrud verborgen. Leise weinend, hockte sie sich auf die oberste Treppenstufe und wartete auf Erwin, den ‚Gatten, Erwin, der Gatte, duselte soeben ein. Er hatte seinen Plan aufgegeben, den Geschäftsfreund an- zurufen, statt dessen im „Mohren“ einige Partien Billard gespielt und sich wieder nach Hause ver- fügt. Ortrud war selbstverständlich noch nicht aus dem Kino zurück. Sicher hatte sie eine Freun- din getroffen und tratschte Irgendwo mit Ihr. Erwin war seiner Ortrud durchaus treu, und Ortrud war ihrem Erwin treu, das stand fest wie das Einmal- eins. Sie würde schon kommen, Ihn schlafend finden, sich geräuschlos Ins Bettchen legen und morgen früh an seiner Seite erwachen — wie gewohnt und obrigkeitlicherseits genehmigt. Mit der satten Zufriedenheit eines braven Haus- haltvorstands schnarchte Erwin leise in die Kissen. c Im Morgendämmer platzte Ortrud ins Schlafzim- mer, nachdem sie von der Aufwartefrau eingelas- sen worden war. Es entstand ein bewegter Mor- gen. Ortrud glaubte ihrem Gatten keine Silbe. Bestimmt war er, während sie schlummerte, be- hutsam über sie hinweggestiegen, um sein nächt- liches Abenteuer nicht zu verraten. Erwin empörte sich über diesen ungehauerlichen Verdacht und drehte den Spieß um. Hatte sie einen Zeugen dafür, daß sie die geschlagene Nacht im Haustor gehockt hatte? Erwins Gewährsmann, der Billard- partner, kam bis elf Uhr in Beiracht. Ortruds Ge- währsmann, der wirsch gewordene Geschäfts- freund, hätte lediglich ihren abendlichen Anruf, die Aufwartefrau hingegen ihre morgendliche Anwesenheit vor der Tür zu bestätigen vermocht. Im übrigen klaffte da eine Lücke, die mit Miß- trauen, Verdächtigungen und Vorwürfen auszu- füllen dem Gemahl anheim 'gastellt blieb. Ortrud drehte ihrerselts den Spieß 'ım, doch Erwin er- brachte ohne weiteres den Nachweis, daß er mit Wachs in den Ohren geschlafen habe, weil ihn ein quakender Frosch schier verrückt gemacht habe. Dem Geräusch nach zu urteilen, war das Biest mindestens so groß gewesen wie ein Kalb. Er trage sich mit der Absicht, einen Jagdschein zu beantragen. Woraufhin Ortrud sich entrüstete, er möge bitte die Angelegenheit nicht ins Lächer- liche ziehen. Woraufhln Erwin beteuerte, es sel ihm heiliger Ernst, Diesen Stoff klemmte sich der Teufel unter den Atm und verteilte ihn in mehreren Abschriften. Bald erzählte einer am Stammtisch die Geschichte als wahres Erlebnis seines Schwagers. Im Frisör- laden wurde sie von einer Dame als die Tragödie einer Jung verheirateten Freundin berichtet. Ein Ehemann servierte sie "als auf der Trambahn er- lauscht und knüpfte daran belehrende Ausfüh- tungen über die Sinnlosigkeit der Eifersucht. Ein Filmschriftsteller verlegte die Begebenheit der Reihe nach in den wilden Westen, den zahmen Norden und den charmanten Südan, umrankte das Histörchen mit Historie, merzte die Historie wlie- der aus und ließ den Vorfall um 1900 spielen, ge- staltete Ihn jedoch, die Jahrhundertwende ver- werfend, zu einer Urlaubernovalle um, durch- blätterte Ganghofer, Karl May, Wilhelm Raabe und Gottfried Keller und legte schließlich den Stoff in die Mappe „Unerledigt, aber dringend”. Ein Dichter hängte das Thema einige Tage zwischen die Doppelfenster, holte es dann her- ein und garnierte das Ganze so lange mit Versen, bis vom anekdotischen Kern aber auch nichts mehr zu erkennen war. Der Teufel grinste In seinen Spitzbart und lauerte. Sonntagnachmittag beim Pascha - Pomeriggio domenicale presso Il Pasciä Bisher hatte keiner der Belieferten das Wesent- liche getroffen. Konnte man Ortrud trauen? Konnte man Erwin trauen? Hatte Ortrud geflunkert? Hatte Erwin geflunkert? Hatten beide geflunkert? Hatten beide die Wahrheit gesagt? Die Zeit war gegen den Teufel, Seine Hoffnung schwand. Nirgendwo ward in einer Apotheke heimlich nach Zyankall gefragt, in den Waffen- läden erschienen lediglich die alten Kunden und ersuchten um Schrot oder Rehposten, die Seiler bemerkten keine wesentliche Umsatzsteigerung, die Gasanstalt buchte nicht den geringsten Mehr- verbrauch, Äxte und Hämmer wurden im selben Umfang verlangt wie ehedem, und die Feuerwehr hatte weder Leidenschaftsausbrüche zu löschen noch zerhackte Kommoden wegzuräumen. Dem Teufel schwante, daß er sich mit selner Geschichte verspätet habe, Trotzdem saß er noch immer und laueı Bis s Tages Ortrud und Erwin davon ver- nahmen und sich augurisch anlächelten. Binnen kurzem hatten sie den Urheber der Albern- helt erkannt und begaben sich Hand in Hand zu Ihm, Der Teufel erbleichte bis In den Schweil, die jen nahen sah. Ortrud hatte sich nommen, schnippisch aufzutreten, aber wie Frauen so sind: im entscheidenden Moment kippte sie um, klopfte dem Teufel leutselig auf die zot- tige Schulter und sagte: schlechte Romane gelesen, mein ni" Erwin aber, durch janftmut seiner Gattin auf- gebracht, pflanzte sich breitbeinig vor dem Höllen- fürsten auf und donnerte: „Wissen Sie, was Sie mich können? Sie können mich am Berlichingen ergötzen....” Da entschwand der Teufel unter Hinterlassung von allerhand H:S. Erwin und Ortrud sind endgültig versöhnt. Bei allen anderen, die davon wußten, Ist längst Gras über den Vorfall gewachsen, Mich aber zwickte und „Sie haben zuviel {Fr. Bilek) zwackte es, dauernd ging mir die verteufelte Sache durch den Kopf. Wie, sagte ich mir wieder und wied: 'jenn uns Ortrud und Erwin, In still- schweigendem Einverständnis, geleimt hätten? Und ich sprach mit jedem von beiden unter vier Augen. Ortrud versicherte mir, nicht im Kino ge- wesen zu seln. Erwin versicherte mir, nicht Billard gespielt zu haben. Im trauten Beisammensein war der Abend von Ihnen verbracht worden. Der Teu- tel hatte das Ganze aus der Luft gegriffen. Auf so plumpe Weise entstehen oft beinah Tragödien. Von der bewußten Einladung Ich hörte, wie ein Mann ganz empört zu einem andern sagte: „Der Ding ist schon ein ganz Im- pertinenter Menschl” = „Hat er dir leicht eppes an’tragen?“ fragte sein Freund. „Da wär nix dabei”, erwiderte der andere, „das Ist man gewöhnt, das ist boarisch — aber woaßt, was er zu mir gesagt hat? Sie dürfen mich — hat er gesagt ie dürfen mich, wenn ich ein- mal Zeit habe! So ein impertinenter Menschl” * 421 Das Amt hatte dankenswerterweise verfügt, daß zur Vereinfachung des Verkehrs In Zuschriften aus Publikumskreisen die Höflichkeitsfloskeln gänzlich wegfallen und „auf knappstem Raum in der natür- lichsten Form” geantwortet werden möge, „Daran soll's nicht fehlen!” sagte der Hinterwim- mer Beni, von dem IrrtUmlich ein Betrag einge- fordert worden war, den er schon vor längerer Zeit bezahlı hatte. Er schrieb auf die Umseite der Mahnung: „Am A...” Aber das war dem Amt auch wieder nicht recht. P. Sch, Ohne Badeanzug „Ich finde, das Wasser ist heute furchtbar kalt!‘ „Du hättest halt mehr anziehen sollen!“ 422 IK. Helligenstandt) BEINAHE EIN WUNDERMANN VON FRITZ MICHAEL Er war ein Siebenmonatskind, d. h. er hatte, als seine an und für sich gleichaltrigen Kameraden das Licht dieser einmaligen Welt erblickten, schon Ereignisse von zukunfisschwangerer Bedeutung hinter sich. Er war in der gesamten Verwandtschaft herumgereicht worden. Tanten hatten Ihn geküßt, ohne sich um sein entsetztes Schreien zu küm- mern; sie hatten Ihn goldig, süß und reizend ge- tunden, obwohl er nur ein kleines rotes Bündel war, und sie hatten gewünscht, daß er ein Wun- derkind werden möchte, Dieses schien er sich zu Herzen genommen zu haben, denn er wurde es wirklich. Aber nicht etwa, daß er irgendein Wunderkind geworden wäre, nein, er war ein Wunderkind mit allen Schikanen, ein Hyper wunderkind. ke Als seine schon oben erwähnten Lebensgenossen noch Dati statt Vater sagten, sprach er schon fran- zösisch, koptisch und malalisch perfekt. Nach- dem er einmal diese Umgangssprachen be- herrschte, fielen ihm auch die anderen bedeutend leichter und nach kurzer Zeit übersetzte er Karl May Ins Sanskrit und in dreißig indische Dialekte. Sein Zahlengedächtnis war mehr als enorm. Mit fünf Jahren behlelt er eine einunddreißigstellige Zahl mit Quersumme, nachdem man ihm diese einmal vorgelesen hatte. Außerdem wußte er alle Zahlen über die Gewinnung von landwirtschaft- lichen Erzeugnissen und industriellen Rohstoffen im Britischen Weltreich in den Jahren 1801 bis 1911. Piston, Mandoline, Okarina und Querpfeife spielte er ohne Noten, alle anderen Instrumente, nachdem ihm die Handhabung einmal gezeigt worden war. Seine Eltern waren stolz auf Ihn und hatten sein Bild auf dem Vertiko stehen. Daneben stand eine Vase mit verwelkten Gräsern und eine Gruppe „Hirsch ein Reh verfolgend“, letzteres hatte er aus einer Bierflasche selbst geblasen. Er war aber nicht nur künstlerisch begabt, son- dern auch praktisch, Aus einer alten Kehrschaufel verfertigte er eine handgehämmerte Obstschale, die, nachdem sie versilbert worden war, eine Zeit- lang im Schaufenster eines Goldschmiedes ge- zeigt wurde. Während den anderen Altersgenossen noch die Nase lief, ohne daß sich jemand so recht darum (Hanna Nagel) 0. Hogenbarth) „Glaub mir, mein Kind: wenn auch Ich damals meinem Herzen nachgegeben hätte, wärest du heute ein Affenpinscher!" *Credi, figliuol mio, se anch’ io avessi ceduto allora al mio cuore, oggi tu saresti un cane grifone!,, gekümmert hätte, und sie sich bei Balgereien die Hosenböden zerrissen, schrieb er einen Roman. In seinem fünfzehnten Lebensjahr endlich rutschte er auf einer Bananenschale aus. Statt sich aber das Schlüsselbein zu brechen, rettete er sich durch einen Salto rückwärts, kam aber einem Lastauto zu nahe und wäre ohne Zweifel überfahren wör- den, wenn er sich nicht — geistesgegenwärtig wie er war — unter die Mitte des Wagens ge- rollt hätte, so daß dieser, ohne selbst Schaden zu nehmen, über ihn hinwegfuhr und nur einen Tropfen DI auf seiner Krawatte hinterließ. Er war alles, was man sich denken konnte: Künst- ler, Artist, Athlet usw., daneben spielte er Polo, Golf, Skat und Romme, obgleich letzteres ver- boten war. Den Tanten wurde er nun nicht mehr herumge- reicht, Diese hatte er schon längst wie Marlonet- ten hinter den Kulissen des Lebens verschwinden lassen, obwohl er doch nur ihren Wünschen seine Fähigkeiten verdankte. Aber Undank ist der Welt Lohn, auch bei Wunderkindern. Er wurde einem internationalen Publikum vorgeführt, welches wie wahnsinnig klatschte, als er sich selbstbewußt lä- chelnd auf der Bühne zeigte, eine rote „Haut- den-Lukas-Rose” Im Knopfloch, die er als Drei- jähriger bei einem Schützenfest geschlagen hatte, wobei der Mast, an dem der Lukas hochsauste, zerbrochen war. Inzwischen war nun auch die Zeit gekommen, in der er ein Mann hätte werden sollen, natürlich nur, was das Alter anbetrifft, denn In den anderen Sparten war er es schon längst, Aber ein Wun- derkind ist schon eine Seltenheit, ein Wunder- mann dagegen ist noch seltener. Im Alter neigen wir alle dazu, an einem behaglich auswattiertem Lebenslauf Geschmack zu finden. Daß er diese Neigung auch verspürte, sollte Ihm zum Verhäng- nis werden. Das Schicksal, das ihn für eine so außerordentliche Laufbahn vorgesehen hatte, nahm ihm seinen neuen Entschluß recht krumm. Noch während er mit der Beschaffung der Watte für den besagten Lebenslauf beschäftigt war, stach ihn eine an und für sich harmlose Mücke und — — jedenfalls am anderen Tage war er tot. DER ALTE LÖWE VON PETER SCHER Guter Gott, mit drei noch festen Zähnen muß? er sicdı ein grimmiger Löre mähnen; aus ersciöpftem Busen muß er brüllen, traurig muß? er sein Gebrest enthüllen: Daß er nicht mehr ist, was er gewesen — und dies alles für bescheidene Spesen. Adh, wie gern wär er nicht auf der Höhe, säß vorm Hüttdıen, fing mit Andadıt Flöhe, medelte bescheiden mit dem Scdimweifchen, krödımohl audı mal durch ein Kinderreifchen — aber Sprung und Tatzenschlag zu mimen, das mill einem Opa nicht geziemen. LIEBER SIMPLICISSIMUS (9. Nückel) Die beiden Boxer gingen aufeinander los. Höflich fragte der eine den anderen: „Ich will Ihnen die Sache gern angenehm machen — was für Traum- bilder wünschen Sie?“ Beye * Ein Mädchen im Gebirge schenkte mir sein Ver- trauen und erzählte von dem Heiratsantrag, den der Lenz, ein Holzknecht, ihr mit dem schlichten Satz gemacht hatte: „Magst mi oder magst mi net? Wenn d’ mi magst, is guat un wenn d’ mi net magst, nacha kost mi...” Ich fragte: „Und was hast du ihm geantwortet?“ ‚Koan vo di zwoa Anträg ha | an- P. Sch. Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschalt, München, Sondlinger Straße 30 (Fomruf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. Verantwortl. Schriftleiter: Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. anstalten entgegen. — Bezugspreise: Einzelnummer 30 Pl.; Abonneı 2 im Monat RM. 1 Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen Zeitungsgeschäfte und Post- 0. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München KAMERADEN Von Wilhelm Pleyer (E. Thöny) Kamerad, wenn mir marfchieren Kamerad, du follft Dich freuen, Kameraden gibt es viele In das fremde Land hinein, Daß der befte Freund noch dein, Und kein Menfch ift ganz allein, Wenn mir fingen, mufizieren, Unter Alten, unter Neuen Treu marfchieren fie zum Ziele, Tönt ein dunkles Fragen drein: Noch marfchieren wir zu zwei’'n. Fröhlich fchwenken fie den Wein. Ich oder du, du oder Ich, Ich oder du, du oder Ich, Ich oder du, du oder Ich, Einer muß der Erfte fein, Einer muß der Erfte fein, Einer muß der Erfte fein, Ich oder du, du oder ich, Ich oder du, du oder Ich, Ich oder du, du oder Ich, Tönt ein dunkles Fragen drein. Noch marfchieren wir zu zwei'n. Und der andre fchwenkt den Wein. München, 11. August 1943 48. Jahrgang / Nummer 32 SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Aufstieg in USA. (Wilhelm Schulz) „Was macht eigentlich unser Freund, der Kidnapper, der damals einige Kinderchen umbrachte?‘* „Oh, der hat's weit gebracht. Der betreibt es jetzt im Großen: er ist Bombenflieger geworden!“ Ascesa negli USA.: "In realtä che fa il nostro amico infanticida che allora ammazzava alcuni bambini?,, “Oh, & salito molto in alto! Adesso lavora all’ ingrosso; s’ & fatto aviatore bombardiere!, Die Mondsüchtige = La sonnambula WANN IST MAN ALT? —a 7 VON SCHLEHDORN Eintagsfliegen leben bekanntlich 2 Tagı wahr- scheinlich sind sie am Abend des zweiten alte Herrschaften und haben 3 Stunden lang Anspruch auf achtungsvolles Zuhören der Jungfliegenschaft. Menschen leben durchschnittlich 2 Menschenalter, — und dann noch einige Jahre jenseits der Alters- grenze, erstaunlich rüstig mit ihrer lieben Frau. Also: lange nicht so lange wie etwa der Elefant, — das hängt wohl mit dem dicken Fell zusammen, — oder gar die Schildkröte, — die früh gewöhnt wird, sich in sich selbst zurückzuziehen. Lange nicht so lange wie die Stechpalme Im Krematorium oder die Rebe, von deren Wein gute Freunde auf unser Gedächtnis trinken. Man wird sonach nicht alt; und daß man plötzlich alt ist, das ist auch einer der Widersprüche zwischen der Logik, die recht hat, und dem Leben, das recht behält. Aber: wann Ist man alt? Die Frage ist nicht neu. Da Regierungsrat Julius wieder einen seiner immer häufigeren Geburtstage hatte, kam sie von selbst. Und sich von selbst: wenn man sich diese Frage stellt, ist man alt. ‚Auch hier Ist allos relativ. So sind z.B. alte Harren älter als ältere Herren. Dafür sind aber junge Damen noch jünger als jüngere Damen. So hübsch höflich ist der Sprachgebrauch. „Solange man noch neue Gewohnheiten annimmt und noch Widerspruch vertragen kann”, sagte Marie v. Ebner-Eschenbach, „ist man nicht alt“, und die Sandrock: „solange man noch Theater spielen kann.” Dies gilt nicht nur für die Bühne und nicht nur für die Damen. „Ihr Männer seid alt“, meinte Frau Dorette, „wenn Ihr anfangt festzustellen, wie Jung ihr noch seid. Wenn Ihr z.B. noch auf die fahrende Elektrische springen konntet...“ Hoffnungslos ist der Fall, wenn dann dem Auf- und Kurzatmenden eine Junge Dame ihren Platz anbietet. Als sich einmal die jungen Mädchen einer Stadt verschworen, vor jedem Herrn über 40 in der Bahn aufzustehen, vergreiste der Ort zusehends. Ein Philosoph würde vielleicht antworten; wenn das Vergnügen am Leben ab — und die Angst vor dem Tode zunimmt. Oder; wenn die Erinnerung weltsichtig und das Gedächtnis kurzsichtig wird. ‚Oder: wenn man merkt, daß die meisten Gegen- Von der Macht des Gemüts IR der Barbeftand an leckern Dingen momentan verblüht, - muß der Menfch gleich immer meckern? Wozu hat er dao Gemütt Liefert es doch Seelenhräfte, mittels derer man behend ftatt für Wein für Himbeerfätte, ftatt für Wurft für Quark entbrennt. Manches krumme oder fchiefe Urteil wird zurechtgefchient, wenn man fich der Perfpektive des Gemütes Fromm bedient. Ratatöchr 426 (Fr. Bilok) INN SS sätze nur Unterschiede sind und die Unterschiede oft nur Übergänge. Ein Weltkind: wenn der Rausch billig wird und der Kater ernsthaft. Oder: wenn einer schon wie- der anfängt, mit seinen Erfolgen bei Frauen zu prahlen. Ein Weltmann: wenn die Liebeserklärungen wie Zitate klingen. Oder: wenn man sich berechtigt glaubt, entweder grämlich oder gütig zu werden. Ein einst beachteter Mann ist alt, wenn er be- schließt, seine Memoiren zu schreiben, — noch älter, wenn er beschließt, es doch zu lassen. Alt ist man, wenn man „zu sagen pflegt”, was man früher sagte. Oder: wenn man das noch könnte, was man früher — einfach tat. Uberhaupt: wenn man mit Stolz „noch” und mit Trauer „schon“ sagt — in der Jugend ist das genau umgekehrt. Alt Ist man, wenn man findet, daß alte Freunde recht alt geworden sind. „Du hast dich aber gar nicht verändert”, sagt man In solchem Fall und sieht hernach selbst einmal in den Spiegel. Regierungsrat Julius war alt, als heute bei der Gratulation Marianne gestand: „Ich möchte einen Mann heiraten, wie Onkel Julius in Jung.” Wobei sie vergaß, daß ein Junger Onkel bestenfalls ein Vettar ist, „Ja, wenn man vor Ungefährlichkeit schon wieder gefährlich wird — oder es werden könnte, wenn man wollte — aber es nicht will, weil das gefähr- lich werden könnte, — siehst du, Kind, dann ist man alt, Und er beschloß, sich an einer der feinsten Künste zu versuchen: mit Anstand alt zu werden und es mit Geschmack zu seln. „Glückt das”, sagte Frau Dorette, „so ist man eigentlich nicht alt." Wann also... Mögen sich andere, Jüngere, die es angeht, ihre Köpfe zerbrecnen. Wolkenkratzermaßstab en „Ich verstehe nicht, warum man sich wegen einer kleinen Basilika so aufregen kann, sie ist doch höchstens vier Stockwerke hoch!‘ Misura di grattacieli: "Non capisco perch& ci si agiti tanto a causa d’ una piccola Basilica che tull'al piü ha un’ altezza di quattro piani!,, 427 ÜBER ALLEM NATUR VON HANS FRANCK Da die Stadt Groß-Kluckow beim Beginn des 14. Jahrhunderts Ihre Tochter, die Gemeinde Klein- Kluckow zur Welt brachte, vergaß sie, daß Kinder heranwachsen und später einmal weit größeren Daseinsraum brauchen als In der ersten Lebens- zeit. Denn der Neugeborenen wurde ein Gebiet- chen angewiesen: eingezwängt von dem Fluß- gelände, welches dem Staat, und dem Dünen- gelände, welches der Stadt gehörte. In ihrer frühesten Jugend nahm Klein-Kluckow die Ab- hängigkeit von dem Vater Staat und der Mutter Stadt als eine Notwendigkeit hin. Aber auch Städte. wachsen heran. Gewiß, es geht damit nicht so schnell wie bei den Menschen. Doch auch Städte reifen! Zu Anfang des 19. Jahrhun- derts also, erklärte Klein-Kluckow der Mutter Groß-Kluckow: „Ich bin jetzt erwachsen und werde fortan eigene Wege gehen.” Diese bat, beschwor das ungezogene Kind, von dem gefähr- lichen Vorhaben abzulassen; schalt, drohte, rief den vielbeschäftigten Vater Staat zur Hilfe. Und tatsächlich, es gelang, die sich streckende Toch- ter durch Versprechungen und weise Lehren noch einmal zu begütigen. Doch zu Anfang unseres Jahrhunderts setzte jener denkwürdige Kampf ein, den schließlich, damit wieder Friede zwi- schen Mutter und Kind werde, die Natur mit einem Machtwort beenden mußte. Im Jahre 1907 hatte zu Klein-Kluckow der Ge- meindevorsteher und Badedirektor, ein früherer Oberleutnant, der wegen Schulden den Rock des Kaisers an den Nagel hängen mußte, endgültig abgewirtschaftet. Darauf wählte man einen Ver- waltungsbeamten auf den verantwortungsvollen Doppelposten. Wilhelm Sigbert, der Neugewählte, war das, was man einen ganzen Kerl zu nennen pflegt: Groß, breitschultrig, straff, mit dickem hochgewichsten Schnurrbart im geröteten Gesicht, fünfzigjährig, Witwer ohne Kinder, so daß er seine durch nichts zu ermüdende Arbeitskraft ungemin- dert den öffentlichen Angelegenheiten widmen konnte, schlagfertiger Redner und nicht nur kör- perlich stiernackig. Nach einer Woche war Wilhelm Sigbert, obwohl das Ihm unterstellte ausgewachsene Gemeln- wesen in ‘den staatlichen Registern noch immer als Dorf geführt wurde, nicht nur im Besitz des Bürgermeistertitels, sondern er hatte auch sein hohes Lebensziel erkannt: Klein-Kluckow mußte durch seine umsichtigen Maßnahmen zum Welt- bad gemacht werden! Er legte Wege und Prome- naden an. Er baute ein Warmbad. Er bestrafte, ohne Ansehen der Person, jeden, der die Straße nicht ordnungsgemäß fegte, Er schnauzte Höchstselber die Bewohner an, wenn sie ihre Hauswände, die Einfriedigung Ihrer Vorgärten, die Blumenbeete nicht in einem weltbadwürdigen Zustand her- richteten und erhielten, Die Kinder liefen weg, wenn der Herr Bürger- meister — spazierstockfuchtelnd — nahte. Die Er- wachsenen zitterten, wenn Wilhelm Sigbert — stiefelknarrend — von der Straße abbog und auf ihr Haus zuschritt. Aber des Abends, wenn sie beim Kaufmann, am Biertisch, auf der Vorgarten- bank seine allerneueste, im „Amtlichen Bade- blatt” erlassene Verordnung lasen und bespra- chen, schmunzelten die Klein-Kluckower. Denn, soviel auch immer ‘der einzelne an dieser oder jener Regierungshandlung des neuen Oberhaup- tes auszusetzen hatte, darüber herrschte sehr bald Einmütigkeit: Endlich hatte man den rich- tigen Mann gefunden, den Mann, der Klein-Klu- ckow in ein Weltbad verwandeln würde, so daß dann jeder mit Scheffeln zurück bekam, was er jetzt mit Löffeln fortgeben mußte. Als Wilhelm Sigbert noch. nicht ein Jahr lang Klein-Kluckow segensreich regiert hatte, hieß er bei jung und alt, bei Mann und Frau, bei vomehm und gering nur noch: Wilhelm der Siegreiche. Es konnte nicht ausbleiben, daß der ungestüme neue Bürgermeister bei seinem Beginnen, aus dem bescheidenen Badeörtchen Klein-Kluckow ein glanzvolles Weltbad zu machen, in schwere Kämpfe mit dem Vater Staat und der Mutter natürlichen! — zu eng bemessen hatten. Als das Hafenbauamt durch seine Beschwerden dazu ge- zwungen wär, erholungstörende Ramm-, Pflaster- und Baggerarbeiten nicht mehr während der drei- monatigen Saison, sondern nur noch während der neunmonatigen Nicht-Saison vorzunehmen — da wandte Wilhelm der Siegreiche, ermutigt durch die unerwartet schnelle Niederlage des Vaters, sich unverzüglich gegen die Mutter, die Stadt Groß-Kluckow. Seit Großvaters Zeiten nämlich besaß jeder bes- sere Groß-Kluckower Bürger am Strand ein „Zelt” in Klein-Kluckow, Diese sogenannten Zelte waren kleine Holzhäuser mit einem winzigen Innenraum, in den man bei Regen flüchten konnte, mit einer seewärts gelegenen Veranda, auf der man bei gutem Wetter Sonne und Meerluft ungehindert zu genießen vermochte. Zur Erhöhung der Gemüt- lichkeit hatte man sie durch Tische, Stühle, Liege- vorrichtungen, Spirituskochgelegenheiten und an- dere Einrichtungen nach Möglichkeit einer Stadt- wohnung angenähert. Dicht bei dicht standen sie am ganzen Strand entlang und riegelten nicht nur die neuangelegte Kurpromenade vollständig von dem ohnehin lediglich im Badeprospekt breiten Sandstrand ab, sondern sahen außerdem von rückwärts — von der Promenade her — so aus, als habe man ein Regiment Bedürfnisanstalten in Reih und Glied aufmarschieren lassen. Selbstverständlich mißfiel Wilhelm dem Sieg- reichen diese Großvätereinrichtung auf das aller- heftigste..Sollte Klein-Kluckow in der Tat zu einem Weltbad werden, dann mußten die „Zelte“ der Groß-Kluckower unbedingt verschwinden. Freilich mit einem Frontalangriff wie bei .der Ungehörig- keit des Vaters Staat war es diesmal nicht getan. Daß Wilhelm der Siegreiche bei seinem Amts- antritt die „Zelte“ vorfand, besagte natürlich nichts, Er hatte bereits viele UÜbernommenhelten mit Erfolg beseitigt. Aber ebensowenig wie sich das Recht der Groß-Kluckower Bürger, an dieser Stelle Gebäude zu errichten — denn darum han- delte es sich längst; nicht mehr, wie ehedem um bewegliche Zeltel — aus den Akten und Karten nachweisen ließ, genau so schwer konnte man dieses Recht ableugnen. Strand und Düne waren den Vorfahren als Grund und Boden offenbar viel zu wertlos gewesen, als daß durch genaue {R. Krlesch) Stadt verwickelt wurde, die ihrem Kinde den ° Lebensraum selbst bei natürlichem Wachstum — um wie vieles mehr bei dem angestrebten un- 428 Zeichnungen festgelegt war: Hier hört Groß-Klu- ckow auf — hier fängt Klein-Kluckow an. Es hieß in den Urkunden nur: Strand für Klein-Kluckow — Dünengelände für Groß-Kluckow, Frontalangriff mithin ausgeschlossen! Man mußte langsam vor- gehen. Wilhelm der Siegreiche, der Beherrscher von Klein-Kluckow, belegte also durch Gemeinderats- beschluß jedes Strandgebäude der Groß-Klucko- wer Bürger mit einer jährlichen Steuer von 3 Mark. Die Besteuerten murrten. Aber sie bezahlten, um weiterhin von ihren „Zelten” aus ungestört das Meer genießen zu können, den geringfügigen Be- trag. Wilhelm der Siegreiche setzte daraufhin durch, daß im nächsten Jahr die neueingeführte, viel zu niedrige Strandgebäudesteuer auf 10 Mark pro anno erhöht wurde. Da brach die Empörung der Groß-Kluckower Bür- ger offen aus. Wohin sollte das führen? Wer wußte denn, ob man im kommenden Jahr nicht schon 20 Mark „Zelt“-Steuer bezahlen sollte! Oder gar 100 Mark? Dem Klein-Kluckower Tyrannen war auch das zuzutrauen. Womöglich verlangte er, ge- stützt auf nichts als auf seine Unverschämtheit, eines Tages den Abbruch sämtlicher „Zelte“, von denen aus man für billiges Geld an den Freuden und Segnungen des Meeres ebenso gut teilhaben konnte wie die Klein:Kluckower Badegäste, welche dafür Unsummen ausgeben mußten. Wo blieb der eigene Bürgermeister? Wo der hei- mische Magistrat? Es kam zu einer „Kleinen Anfrage” im Groß-Klu- ckower Stadtparlament. Der Magistrat zu Groß-Kluckow schrieb also an den Gemeindevorsteher Wilhelm Sigbert zu Klein- Kluckow: Es werde hiermit um sofortige Auf- hebung der den Groß-Kluckower Bürgern un- rechtmäßigerweise auferlegten Strandzeltsteuer ersucht. Im vorigen Jahr sei, um des lieben Frie- dens willen, der geforderte Betrag gezahlt wor- den. Ohne daß diese, sozusagen eine freiwillige Beihilfe für die durch ihre Badeausgaben stark mitgenommene Tochtergemeinde darstellende Be- zahlung die Anerkenntnis des Rechtes der Strand- zeltbesteuerung in sich geschlossen hätte. Auch in diesem Jahre wäre von den friedliebenden Groß-Kluckower Bürgern gewiß genau so verfah- ren und Klein-Kluckow ein Geschenk nicht ver- weigert worden. Forderung und Erhöhung aber zwöngen Magistrat und Bürgerschaft, nunmehr den Rechtsstandpunkt einzunehmen. Die Strandzelte der Groß-Kluckower Bürger ständen auf Dünen- gelände! Die Dünen aber gehörten — laut Ur- kunde und Siegel — der Stadt Groß-Kluckow, nicht dem von ihr der Schiffahrt halber an der Mündung der Klucke gegründeten Dorf Klein-Klu- <kow, dem nur der Strand als Eigentum zustehe. Der Bürgermeister zu Klein-Kluckow an den Bür- germeister zu Groß-Kluckow: Die geforderte Zelt- Steuer sei zu Recht beschlossen worden. Die Strandzelte ständen auf Klein-Kluckower, nicht auf Groß-Kluckower Boden. Wie schon ihr Name sage, selen sie auf dem Strand erbaut. Der Strand aber gehöre, wie In dem unangebrachten Protest- schreiben richtig gesagt sei, zu Klein-Kluckow. Ständen die Strandzelte auf Groß-Kluckower Grund, so würden sie Dünenzelte heißen. An eine Aufhebung der rechtmäßigen Steuer werde kei- nesfalls gedacht. Am selben Abend, als dieser Brief in einem der drei Klein-Kluckower Postkästen lag, brachte Wilhelm der Siegreiche unter vielfachen „Hört! Hörtl”- und „Pfui”-Rufen das Schreiben des Groß- Kluckower Magistrates in seiner Gemeindever- sammlung zur Vorlesung und schloß, immer wie- der.vom lärmenden Beifall der Gemeinderatsmit- glieder unterbrochen, die Bekanntgabe seines Antwortschreibens an. Als er unter kaum enden- wollenden Bravorufen die Abschrift zusammen- faltete, konnte der Umjubelte sich nicht enthalten, hinzuzufügen: „Jeder Groß-Kluckower Schuster und Schneider hat in Klein-Kluckow ein ‚Zelt’ an bevorzugtester Stelle unseres unvergleichlichen Strandes. Ohne Kurtaxe zu zahlen, machen sie von allen Kureinrichtungen unseres aufblühenden Badeortes uneingeschränkten Gebrauch. Völlig gratis hören sie, auf der sogenannten Veranda ihrer Holzkisten im kreuzbeinigen Faulenzer liegend, unsere von einem erstklassigen Kurorchester aus- geführten Kurkonzerte. Scharenweise sind Bade- gäste wieder abgereist, weil sie von der Kur- promenade aus nur auf einem Umweg an den Roosevelts Soldaten Christi in Sizilien t£rich Schilling) „Wir können stolz sein, Jimmy, daß wir mit unserer hohen amerikanischen Kultur dieses Barbarentum vernichten dürfen!" 1 soldati in Cristo di Roosevelt in Sicilia: „JImmy, possiamo andar orgogliosi che ci sia dato colla nostra alla cultura americana di annientare questo stato di barbarie!,, Strand gelangen können oder sich zwischen den Strandzelten durchzwängen müssen! Wenn dieser Schaden durch Irgendwelche Einnahmen von den Groß-Kluckowern wieder aufgewogen würde, möchte es noch angehen. Aber an Verdienst hat Klein-Kluckow durch dieses knauserige falsche Badepublikum im ganzen Jahr nicht eine einzige Markl Jeder bringt sich für den Tag sein Essen und Trinken in einem Handkoffer, in einer Papp- schachtel, in Zeitungspapier, das am anderen Morgen überall am Strande herumliegt und für Geld von unserm Strandwärter aufgesammelt werden muß, aus seiner Stadtwohnung mit, Sobald es dunkel wird, fahren sie allesamt mit dem Zuge wieder ab, um nur keln Geld für Nachtquartler In einem unserer Hotels ausgeben zu müssen. Mit diesen Zecken im gesunden Fleisch unseres blühen- den, weltbekannten Gemeinwesens muß endlich aufgeräumt werden!” Diese in Klein-Kluckow abgefeuerte Rede Wil- heims des Siegreichen schlug zu Groß-Kluckow ein wie eine Bombe. Kleinkalibrige Geschosse — Zeltungsartikel, Eingesandtes — flogen in großer Zahl nach Klein-Kluckow zurück, Der Gemeinde- krieg war da. Der Magistrat zu Groß-Kluckow wies seine Bürger an, die geforderte Strandzeltsteuer in Höhe von 10 Mark nicht zu zahlen. Er komme für alle Fol- gen auf. Die Gemeinde Klein-Kluckow reichte bei dem zu 429 Groß-Kluckow befindlichen Gericht Klage gegen die Stadt Groß-Kluckow ein, die Ihre Bürger zur Steuerverweigerung aufgefordert und damit einen ordnungsgemäß gefaßten Entschluß der Gemeinde- versammlung sabotiert hatte, Das Gericht zu Groß-Kluckow entschied: Die Strandzelte der Groß-Kluckower stehen auf dem Dünengelände. Das Dünengelände gehört "der Stadt Groß-Kluckow. Also Ist die Gemeinde Klein- Kluckow nicht berechtigt, von Gebäulichkelten, die nicht auf Ihrem Grunde stehen, Steuern zu er- heben. Wilhelm der Siegreiche ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er werde Berufung bel der höhe- ren Instanz einlegen! Mit 10 gegen 2 Stimmen wurde vom Gemeinderat die Zustimmung zur Ein- legung der Revision erteilt. Die höhere, nicht zu Groß-Kluckow befindliche In- stanz entschied: Die Strandzelte stehen nicht auf dem Dünengelände der Stadt Groß-Kluckow, son- dern auf dem Meeresstrand. Die Gemeinde Klein- Kluckow ist als Besitzerin des Grundes berech- tigt, eine Gebäudesteuer von den darauf erbau- ten Holzhäusern zu erheben. Klein-Kluckow triumphierte und brachte seinem „genialen Oberhaupt” einen Fackelzug, an dem die Badegäste teils aus Überzeugung, teils der Abwechslung halber zu vielen Hunderten teil- nahmen. Die Stadt Groß-Kluckow tobte. Der Magistrat jedoch ließ sich durch das gefällte Urteil nicht belrren. Noch stand der Spruch des obersten deutschen Gerichtshofes aus. Um aber während der langen Wartezeit die Em- pörung und Ungeduld der Groß-Kluckower Bürger nicht gar zu sehr anschwellen zu lassen, griff der Magistrat einstweilen zu einer gegen Klein- Kluckow gerichteten Verwaltungsmaßnahme. Man beschloß, für das Betreten des städtischen Strand- waldes von den Klein-Kluckower Badegästen eine Monatsgebühr inHöhe von 3Mark zu erheben und zur Kontrolle auf Namen des Inhabers lautende Erlaubniskarten einzuführen, die persönlich Im Rat- haus zu Groß-Kluckow abgeholt werden mußten. Diese Verfügung der Stadt Groß-Kluckow war ein schwerer Schlag für die Weltbadträume Wilhelms des Siegreichen. Nun reiste in der Tat ein großer Teil der Badegäste ab, Die Zurückbleibenden aber schimpften mit den Klein-Kluckowern um die Wette auf Wilhelm den Siegreichen. Plötzlich gab es keinen unfählgeren Beamten In ganz Deutsch- land als den bisher zum Genie ausgerufenen. Jeder hatte es vorher gewußt, daß eines Tages die Weltbadpläne des Großmannssüchtigen zu- sömmenklappen würden wie ein Kartenhaus. Weltbad? Unsinn! Wilhelm der Siegreiche? Lächer- lich! Man war sich völlig einig: Sobald wie mög- lich mußte Wilhelm Sigbert, der sich den Bürger- meistertitel bei dem Gemeinderat erschlichen hatte — denn Klein-Kluckow war bis auf den Tag noch nicht zur Stadt erklärt! — für immer ver- schwinden! Wilhelm der Siegreiche hielt diesem Sturm un- erschütterlich stand.’ Noch war der letzte ent- scheidende Spruch nicht gefallen. Der höchste deutsche Gerichtshof aber, dessen war er sicher, würde die Berufung der Stadt Groß-Kluckow ver- werten und damit das Urteil der zweiten Instanz rechtskräftig werden! Sobald das jedoch der Fall war, hatte Klein-Kluckow Groß-Kluckow In der Hand. Durch rücksichtlose Hinaufsetzung dei Strandzeltsteuer war der Magistrat jederzeit zu zwingen, im Interesse seiner Bürger die Verord- nung zur Lösung eines Walderlaubnisscheines für die Klein-Kluckower Badegäste zurücknehmen zu müssen. Das Reichsgericht erkannte für Recht: Der Revi- sion der Stadt Groß-Kluckow werd. und die Sache zur nochmaligen die Vorderinstanz zurückverwiesen. Der Vorder- richter habe die Frage des Besitzrechtes für den Grund und Boden, auf dem die Groß-Kluckower Strandzelte errichtet wären, nicht nach allen Sei- ten hin geprüft. Es sei dem Vorderrichter nämlich entgangen, daß vor der Fällung des Spruches die Frage hätte untersucht werden müssen, ob der Teil des Strandes, auf dem die Badezelte stän- den, In der Tat Klein-Kluckow gehöre oder einem bisher nicht herangezogenen Dritten. Das All- gemeine Preußische Landrecht (von dem Friedrich der Große bekanntlich, als er es gegen seine Gewohnheit ungelesen unterschrieb, zur Entschul- digung seines Tuns gesagt hat: „Es Ist sehr dickel”), das Allgemeine Preußische Landrecht habe in der Strandfrage die Auffassung des Rö- mischen Rechtes übernommen. Der Standpunkt des Römischen Rachtes aber sei: Soweit, wie die Wellen des Meeres bei stärkster Flut zu rollen vermöchten, reiche der öffentliche Strand, erst jenseits dieser von der Natur gezogenen Grenz- linie beginne das private Besitzrecht. Mithin müßte, was bisher nicht geschehen wäre, zunächst einmal an Ort und Stelle festgestellt werden, ob die Strandzelte auf fiskalischem Grunde ständen oder nicht. Erst wenn die Frage über die Besitz- rechte des Staates einwandfrei geklärt sei, könne in der Klagesache der Gemeinde Klein-Kluckow gegen die Stadt Groß-Kluckow wegen Verweige- rung der Strandzeltsteuer endgültig entschieden werden. Lasse sich nämlich der Nachweis erbrin- gen: Die Strandzelte der Groß-Kluckower Bürger zu Klein-Kluckow stehen auf den Wellen zugäng- lichem, öffentlichem Grunde, so entfalle die Klage des Badeortes gegen ihre Mutterstadt. Laute die Antwort aber: auf privatem Grunde, so sei man dort angelangt, von wo die Schlichtung des Streites zwischen Groß-Kluckow und Klein-Kluckow ihren Ausgang hätte nehmen müssen. Denn es sel nicht statthaft, einem von zwei darum Streitenden ein Besitzrecht zuzusprechen, solange noch die Möglichkeit bestehe, daß es keinem von beiden gehöre. Mithin wie erkannt: Zur nochmaligen Ver- handlung an die Vorderinstanz zurückverwiesen. Und es triumphierte der bisher daneben stehende schadenfrohe Dritte, der Direktor des Hafenbau- amtes, der die Niederlage wegen der erhoölung- störenden, für die Dauer der „Saison ihm be- hördlich untersagten Ramm-, Pflaster- und Bagger- Arbeiten noch immer nicht verwunden hatte. Na- türlich standen die Groß-Kluckower Strandzelte auf fiskallschem Grund! Wo sonst? Sahr viel weiter als heute ein Mensch glaube, ergreife eine rich- tige Sturmflut mit ihren Wellen von dem Küsten- lande Besitz. Das lasse sich einwandfrei fest- stellen! Und der Hafenbaudirektor erbat zwecks Feststel- lung des staatlichen Besitzrechtes an den Strand von Klein-Kluckow um Entsendung eines mit der Materie vetrauten Beamten. Die Regierung entsprach diesem Ansuchen und schickte einen Jungen, trotz seiner 26 Jahre be- reits als Überaus gewissenhaft befundenen Regie- rungslandmesser, namens Marlow, nach Klein- Kluckow. Marlow kam zunächst einmal zu der Überzeugung, daß die „Zelte“ der Groß-Kluckower Bürger eine äußerst angenehme Einrichtung selen. Bald hier, bald da lud man den emsigen jungen Beamten ein, auf einer der Strandhausveranden Platz zu nehmen, sich ein wenig auszuruhen, ein kleines Gespräch zu führen: über das Wetter und über die See, über das herausfordernde Benehmen der auswärtigen weiblichen Badegäste und das gesittete Betragen der Stadttöchter, sowie über manches andere noch, Selbstverständlich nicht über den Prozeß zwischen Groß-Kluckow und Klein-Kluckow, für den er seine Feststellungen völlig objektiv treffen mi I Man bot Marlow zu tauchen, zu trinken, zu essen an. Und er ließ sich alles Dargebotene zur Erhöhung seines Wohlbefin- dens in dem bildsauberen Badeort zwar nicht unwidersprochen, aber gern gefallen. Die allgemeine Freundlichkeit der Groß-Kluckower kühlte sich freilich plötzlich und stark wie des abends ein hochsommerlich warmer Soptember- tag ab, als man sich der Überzeugung nicht län- ger verschließen konnte, daß der Junge Regie- tungslandmesser ein „Zelt” vor allen andern auf- fällig zu bevorzugen begann. Dafür hatte Marlow es denn freilich In dem auserwählten Strand- häuschen so himmlisch, daß er es im Paradies, welches Ihm wegen seiner unantastbaren Redlich- keit sicher war, nicht himmlischer haben werde. Besagtes Strandzelt-Holzhöuschen, in dem er nicht nur — wie bisher in den anderen — die Abend- stunden außerdienstlich verbrachte, sondern sehr bald auch die Mittagszeit, die Frühstückspause und die Kaffeepause, in das er sogar, well er seine Ge:öäte darin untergebracht hatte, Übertag auch dienstlich immer wieder einkehrte, gehörte nämlich einer Witwe aus Groß-Kluckow, die mit zwei schlanken Töchtern, einer dunklen und einer blonden, gesegnet war. Eine Zeitlang wußten die Groß-Kluckower Strandzeltbesitzer trotz aller Scharfäugigkelt und Hellhörigkeit nicht: Die Dunkle AUGUST Wie ein Bräutigam kommt der August, Heiterkeit beflügelt seine Sohlen. Heiß und herrlidı strömt in ihm die Lust, Seine Braut, die Ernte, heimzuholen. Vollerglüht ist sie und reif genug, Alles dem Geliebten zu gerähren. Golden wogt durdıs Tor der Hodhzeitszug, Bis das Paar versinkt im Duft der Ahren. Heinz Friedridi Kamecke 430 oder die Blonde? Die Ältere oder die Jüngere? Aber dann gab es darüber keinen Zweifel mehr: Die Ältere, die Schwarzhaarigel Es war — 1912 schrieb man unterdessen — ein ungewöhnlich schöner Sommer. Ein sonnellim- mernder Tag reihte sich an den andern wie die Perlen einer Kette. Was Wunder also, daß die Feststellung, ob die Groß-Kluckower Strandzelte zu Klein-Kluckow auf fiskalischem oder privatem Grund standen, all- dieweil bei einer Sturmflut wie sie seit Menschen- gedenken nicht stattgefunden hatte, die Wellen bis zu ihnen gepeltscht werden konnten oder nicht, sich als ungewöhnlich schwer erwies. Der Junge Reglerungslandmesser, obwohl er die Vor- züge eines Strandzeltes sozusagen am eigenen Leibe unleugbar erfahren hatte, machte In großer Objektivität seine Landvermessung mit Theodollt, Bussole, Winkelspiegel und sonstigen landmosse- rischen Geräten ungewöhnlich eingehend. Mehr- fach erinnerte die Regierung den äußerst um- sichtigen Beamten an den noch Immer ausstehen- den Bericht. Aber Marlow konnte mit Recht auf die ungewöhnliche Schwierigkeit und die unge- wöhnliche Bedeutsamkeit der ihm anvertrauten Aufgabe hinweisen. Schließlich aber — der Sommer ging zu Ende, die Bewerbung um die Hand der ältesten Tochter der verwitweten Strandzeltbesitzerin war in vol- ler Form erfolgt, das Jawort nicht verweigert worden — schließlich mußte Marlow als Ergebnis seiner Untersuchung der vorgesetzten Behörde berichten: Sämtliche zu Klein-Kluckow errichteten Strandzelte der Groß-Kluckower stehen auf fiska- lischem Gelände, denn es ist unzweifelhaft nach- weisbar, daß bei Sturmflut die Wellen des Mee- res über den Strandstreifen, auf welchem die Strandzelte errichtet sind, in früheren Zelten ver- schiedentlich hinweggespült sind, Auf Grund dieser Feststellungen des jungen Reglerungslandmessers Marlow wurde im Novem- ber 1912 die Klage der Gemeinde Klein-Kluckow gegen die Stadt Groß-Kluckow wegen Verweige- rung der Strandzeltsteuer in letzter Instanz end- gültig abgewiesen, Alle Kosten des vier Jahre dauernden Prozesses wurden Klein-Kluckow auf- erlegt. Die Klein-Kluckower waren außer sich. Ihre go- sammelte Wut richtete sich gegen Wilhelm den Siegreichen, Der durfte sich — wollte er nicht Gefahr laufen, beschimpft, bedroht, verprügelt zu werden — bei Tag auf der Straße nicht mehr sehen lassen. Summa: Den Kindern ein Gespött, den Erwachsenen ein Gegenstand der Verach- tung, erledigt! Bei der nächsten Gemeindevor- steherwahl, die glücklicherweise schon im Januar 1913 stattfand, würde men sich einen Tüchtigeren wählen. Einen penslonierten Offizier! Einen zucht- vollen Mann, der in seinem früheren Beruf gelernt hatte, nicht wie ein Wahnsinniger mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, sondern sie orst zu beschließen, zu unterminieren, um dann da in der Tat den Sieg zu erfechten, wo Wilhelm Sigbert nur mit dem Maul gesiegt hatte. Weihnachten 1912 wütete ein Sturm gegen die Küste wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der wuchs sich In den letzten Tagen des Jahres zu einem Orkan aus, Niemand aus Klein-Kluckow konnte sich Silvester auch nur vor die Haustür wagen. Als es am Neujahrsmorgen endlich aufklarte und das Ungewitter sich gegen Mittag legte, erkann- ten die Klein-Kluckower ihren Strand nicht wle- der: Wüst und leer wie die Erde vor der Erschaf- fung des Lichtes lag er da. Nicht nur die beiden Badeanstalten, sondern auch sämtliche „Zelte” der Groß-Kluckower hatte das Meer verschlun- gen. Kein Brett von ihnen allen war übrig ge- blieben. Diesem Spruch des Allerobersten Richters beug- ten sich beide: Mutter und Tochter. Stillschwei- gend begruben Groß-Kluckow und Klein-Kluckow den jahrelangen Streit. Kein Strandzelt der Groß-Kluckower Bürger steht also heutigen Tages zu Klein-Kluckow zwischen Kurpromenade und Meer. Den Strandwald darf von den Badegästen betreten wer mag, aus dem Meeressand Bauten aufführen wen es dazu treibt. Ein Weltbad ist Klein-Kluckow, das zwischen dem staatlichen Hafenaelände und dem städtischen Dünengelände eingezwänute dörfliche Gemein- wesen, das im Januar 1913 Wilhelm den Sieg- teichen auf Lebenszeit zu seinem Oberhaupt wählte. ein Weltbad ist Klein-Kluckow noch immer nicht geworden. Die Anrede Bruch TEE „Mutti, kannst du mir nicht einen netten Kosenamen für Albert sagen?" „Doch — ich habe zu deinem Vater zuerst ‚Mein Wilder‘ und später ‚Mein Braver‘ gesagt!" Appellativo: '‘Mammina, non potresti suggerirmi un bel vezzeggiativo per Alberto?,, “Cer.o; a uo padre ho detto dapprima 'Selvaggio mio!, e plö ‚ardi 'Bontä mial,!, 431 MENSCHENFRESSER IN SCHWEDEN In meiner grünsten Jugend verbrachte ich einen Sommer, einen herrlichen Sommer, als Menschen- fresser in Schweden, Es Ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß in Skandinavien Menschenfresser leben, das ist aber doch der Fall. Das heißt rich- tige, waschechte Menschenfresser, die sich von dicken Missionären, Entdeckungsreisenden und änderen Leckerbissen ernähren, gibt es hier natür- lich nicht, es lebt aber ein Vetter von den rich- tigen Menschenfressern in Skandinavien. Und so ein Kerl bin ich also gewesen, Ich reiste während des erwähnten Sommers mit einem Zirkus in Schweden herum, um ein Buch über das Artistenleben zu schreiben, da kam eines Tages der Direktor zu mir und fragte mich, ob ich am Abend als Menschenfresser arbeiten wollte. Ich nahm natürlich sein freundliches An- gebot sofort an. Das wird später einmal meinen Sohn mit Stolz erfüllen, dachte ich, wenn er der Lehrerin in der Schule erzählen kann, daß sein Vater ein Menschenfresser gewesen ist. Die Zirkusmenschenfresser sind ganz gewöhn- liche, friedliche Leute, die in den Sommermonaten mit irgendeinem Zirkus, als Menschentiere ange- kleidet, herumreisen, um ein bißchen Geld zu verdienen. Nur von den kleineren Zirkussen wer- den Menschenfressernummern vorgeführt, und nur in den ganz kleinen Provinzstädtchen, wo die Ein- wohner noch ein bißchen naiv und leichtgläubig sind und keine näheren Kenntnisse von den zoolo- gischen Merkwürdigkeiten besitzen. Den ganzen Tag hat der Menschenfrasser frei, kann im Gras liegen, baden gehen oder Mädchen küssen und sonst alles tun, wozu er Lust hat. Am Abend aber muß er arbeiten. Das Kostüm, das er bei seinem Auftreten benulzt, ist ein großes Tierfell, gewöhnlich ein Bärentell, in das er hineinkriecht. Er schminkt sein Gesicht ganz schwarz, wodurch die Augen unheimlich leuchten, befestigt am Kopf eine scheußliche, strotzende Perücke und an der Nase eine dicke, dunkelrote Schnauze, die mitten Im Gesicht wie eine schöne, vollreife Tomate sitzt. Zulatzt klebt er einige lange Schnurrbarthaare unter die Schnauze und nimmt ein Riesongebiß in den Mund Nun Ist das Un- goheuer zu seiner Arbeit bereit. Ganz einfach, nicht wahr? Doch jetzt zu dem abendlichen Auf- treten im Zirkus, so wie es sich für mich während meines Gastspieles als Menschenfresser ergab! Stellen Sie sich bitte vor, daß wir uns in einer Vorübung - Allenamento 0 Hogenbarth) „Sie müssen ganzstill stehen, dürfen die Stellung der Beine nicht ändern!“ — „Kann ich, Herr Professor, bin kürzlich acht Stunden Eisenbahn gefahren!" "Doyete star ferma immobile e non mutare la posizione delle gambe!,. — "Si, ci sono capace, signor Professore. DI recente ho fatto otto ore di ferrovlalı, VON ERIK STOCKMARR kleinen, schwedischen Provinzstadt befinden, und daß drinnen Im Zirkuszelt tausend Menschen sitzen und gespannt auf den Augenblick warten, wo das Ungeheuer in die Manege kommt. Ich stehe in meinem malerischen Menschenfresserkostüm hin ter der „Gardine”, wie man den roten Teppich nennt, und plaudere gemütlich mit einer schönen, Jungen Artistin, als der Sprechstallmeister den Zu- schauern meine Ankunft meldet. Ich gehe in mei- nen Käfig, einen Zirkuswagen, dessen drei Seiten ‚aus dicken, eisernen Stangen bestehen. Zehn starke Männer schieben den Wagen in die Manege. Da bin ich also nunl Ich grüße die vielen Menschen mit einem fürchterlichen Urwaldgebrüll und rolle unheimlich mit den Augen. Wie ein verrückter Floh sptinge ich im Käfig herum, schlage ein paar Purzelbäume und rüttle wild an den eisernen Stangen, während ich unheimliche Gesichter schneide. Mucksmäuschenstill sitzen die Zuschauer auf ihren Plätzen, wagen kaum zu atmen und gucken einander angstvoll an, denn die meisten dieser harmlosen Menschen glauben, daß es sich um einen richtigen Menschenfresser handle. Da- mit sie auch welter nicht zu zweifeln beginnen, stoße ich noch ein paar Brüller aus, bewege meine Tomatenschnauze hin und her und heule darauf herzzerreißend wie eine wahnsinnige Eule, Ein paar ältere Damen in der ersten Reihe erheben sich erschüttert, um sich schleunigst nach Hause zu begeben Ich schaue sie wütend an und zische ihnen nach. Zitternd verlassen sie das Zelt. Der Sprechstallmeister, der einen Revolver in der Hand hält, tritt nun an meinen Käfig heran und erzählt mit angstvoller Stimme ein grausames ‚Abenteuer, das ich, um den Eindruck zu verstär- ken, für diese Gelegenheit verfaßt habe; denn ich bin doch, neben meiner Anstellung als Menschen: frasser, auch Schriftsteller. „Tief im afrikanischen Urwald”, erzählt der Sprech- ställmeister, „hat man dieses fürchterliche, Men- schentler gefangen und es unter großen Schwie- rigkeiten nach Europa transportiert. Der Schiffs- koch und zwei Vollmatrosen wurden mit Haut und Haaren gefressen, und der Kapitän verlor sowohl seine Naso wie auch seine Frau. Nur die Hüte und die Vollbärte der Gefressenen wurden zurück- gelassen, und dann die Beine natürlich, die das Untier ausspuckte; denn Matrosenbeine maa er nicht. Dagegen hat er Frauenbeine natürlich gerne.” (Ein Schauer geht durch die vielen Men- schen im Zirkus.) „Obwohl der Menschenfresser mehrere Jahre in seinem Käfig verbracht hat”, fährt dor Sprechstallmeister fort, „Isterdoch heute ebenso gefährlich wie damals.” Um diese mahnenden Worte zu unterstreichen, schmeißt er nun ein weißes Huhn in den Käfig hinein. Das Huhn Ist aber nur aus Pappe und Fe- dern gemacht, was jedoch kein Mensch ent- decken kann. Schnell beiße ich den Hühnerkopf ab und spucke ihn in die Manene heraus, wäh- rend ich mir voll Wohlbehagen die Schnauze lecke. „Uuuuuschl” sagt ein Herr und bebt vor Schrecken. „Dieses grausame Untier“, erzählt der Sprechstall- meister weiter, „das in der Gefangenschaft mit weißen Hühnern und jungen vierzehnjährigen Meerfrauen und Meerfräulein — von den Fidji- Inseln Importiert — gefüttert wird, duldet nur einen Menschen In seiner Nähe, nämlich seine bildhübsche Pflegemutter, eine Junge, weiße, blonde Frau. Durch mühsame Erziehungsarbeit und febelhafte Geduld Ist es ihr gelungen, den Men- schenfressor so zu zähmen, daß er am Abend auf ihrem Schoß sitzt, während sie ihm kleine süße Wiegenlieder vorsingt.” Durch diese Äußerung fühlen die Zuschauer sich augenscheinlich ein bißchen erleichtert, und als die Pflegemutter, Fräulein Blondhaar, in einen weißen Kittel gekleidet, in die Manege tritt, wird sie mit begeistertem Beifall und Bravorufen emp- fangen. Sie geht zum Käfig hin, und ich grüße sie „alleruntertänigst, indem Ich mich tief verbeuge und in größter Bewunderung meinen schwarzen Zilinderhut abnehme. (Ich trug Immer einen Zilin- der auf dem Kopf, um den Eindruck ein bißchen versöhnender zu machen!) -Fräulein Blondhaar steckt die Hand in den Käfig und gibt mir einen kleinen Kuchen, indem sie mir liebevoll über mein Foll streichelt, 432 „Haep“, sagt sie und macht ein kleines süßes Knickschen, Ich wedele freudestrahlend mit meinem langen, aus Fell genähten Schwanz und schnurre wie eine Katze. „Ich glaube, er ist in sie verliebt”, flüstert eine Dame im Parkett, Das stimmt wirklich, denn im privaten Leben bin ich mit Fräulein Blondhaar verlobt und bin in sie bis über die Ohren verliebt, Ein älterer Herr lehnt sich an seine Frau, seufzt tief und sagt: „Ach wäre ich doch auch ein Menschenfressarl“ Sie knallt ihm eine warme Ohrfeige, faßt ihn am Kragen und verläßt das Zelt mit ihm. Fräulein Blondhaar macht nun eine Verbeugung und zieht sich zurück, um in unserem privaten Zirkuswagen für das Abendessen zu sorgen. Und damit ist die Vorführung zu Ende, der Käfig wird wieder von starkon Männern herausgeschoben, und ich nehme von den Zuschauern Abschied, indem ich wütend in die eisernen Stangen beiße und mein schreck- liches Urwaldgebrüll ausstoße. Sobald der Wagen wieder hinter der Gardine ist, bin ich ein freier Mann, verlasse den Käfig und gehe in meinen privaten Zirkuswagen, wo ich wohne, und wo Fräulein Blondhaar mich mit heißem Kaffee und noch heißeren Küssen empfängt. In einer kleinen schwedischen Stadt aber war Ich gerade mit meinem Auftreten fertig geworden und saß noch In meinem Wagen In voller Ausstattung, um mich abzuschminken, als der Zirkusdirektor wie ein Sturmwind in den Wagen stürzte: „Um Gottes willen!“ rief er atemlos, „gehen Sie schnell in Ihren Köflg hinein, der Polizeimeister kommt, or darf Sie hier nicht sehen! Kommen Sie, bitte, schnell” „Wieso? Ich verstehe nicht?" „Hören Sie zu. Der Polizeimeister der Stadt, Herr Blomquist, hat eben der Vorstellung beige- wohnt und hat einen furchtbaren Schrecken vor Ihrer Menschenfresserei bekommen. Er ist vor Angst ganz außer sich, er fürchtet, daß das Untler aus dem Zirkus flüchten und die Einwohner der Stadt überfallen und fressen könnte, Er glaubt ja, daß Sie ein richtiger Menschenfresser sind und will sich nun davon überzeugen, daß diese wilde Kreatur gut und sicher hinter Schloß und Riegel sitzt, denn die Verantwortung für die Unglücke, die sonst passieren könnten, will er nicht auf sich nehmen, sagt er. Also komm, komm — wir müssen uns beeilen.” R Fräulein Blondhaar gab mir ein paar Kuchen mit, und weg waren wir. Eine Minute später lag ich im frischen Heu in DAS KARUSSELL Ich fteh' vor einem Karuffell, erft scht es langfam, fpäter fchnell und mie ein gut jonglierter Teller dreht es fich fchnell und immer fchneller, Die Pferde kreifen wie im Tanz, den Kopf am Schweif des Vordermann. Im tollen Wirbel, Roß und Kind kaum noch zu unterfcheiden find. Wer fo betrachtend, lange fteht, weiß nicht mehr, wer und was fich dreht. Man meint, man fei eventuell am Ende felbft ein Karuffell. So denke ich mir ungefähr die Welt vom Standpunkt großer Bär, Und machte nicht Kopernikuo fchon damals mit dem Märchen Schluß, daß fich Die Erde nicht bewegt, ich hätte jetzt es angeregt. Doch dazu ift es nun zu fpät. - Man weiß fchon längft, um mas fich's dreht. Frig Vöttiner Das Angebot (Magon) HD AUFRAALUTM En so „Sagen Sie, liebe Frau, könnte man wohl Butter, Schmalz und Eier bei Ihnen bekommen?" „Naa, aber a guat erhalten's Odelfaß tat’ i markenfrei vakaffal'* L’ offerta: “Ditemi, buona donna, non si potrebbe aver da Vol del burro, dello strutto e delle vova?,, "Eh no; ma avrei da vendere senza fagliando un barilotto, ben conservalo, da concime!,, meinem Käfig hinter der Manege und knurrte un- heimlich. Gerade hatte ich die Tür geschlossen, als der Zirkusdirektor und der Polizeimeister auf den Sattelplatz traten. Ich gab ein furchtbares Geheul von mir, so daß der Hut des Polizei- meisters vor Schreck wegflog. „Und hier sitzt er Tag und Nacht?” stotterte der Besuchende, „Natürlich“, antwortete der Direktor. „Und er kann nicht ausbrechen?“ „Kommt gar nicht in Frage, Übrigens ist er ein sehr neiter und harmloser Kerl, wenn er außer- halb der Manege ist. In Stockholm spazierte ich jeden Tag mit ihm durch die Straßen, und wir tranken unseren Nachmittagskaffee In einer Kon- ditorel, Doch führte ich ihn natürlich an einer Schnur.” „Das dürfen Sie hier bestimmt nicht machen”, sagte der strenge Wächter der Justiz. „Selbstverständlich nicht, Aber jetzt müssen wir schnell gehen, Herr Blomquist, denn das Tier hat einen furchtbaren Haß auf alle uniformierten Leute, insbesondere Polizeimeister. In Göteborg hat er das eine Bein des dortigen Polizeibeamten abge- bissen, und nachher seine Frau als Dessert ge- fressen.” 433 „Huuuuh, Huuuuuuuuuhl”“ schrie ich und rüttelte wild an den eisernen Stangen, Und weg war der Mann. * „Denk dir”, sagte ich zu Fräulein Blondhaar, als wir nachher beim Kaffeetisch saßen, „er glaubte wirklich, ich wollte ihn fressen. Wie blödsinnig! Wenn ich überhaupt Jemand fressen würde, dann doch höchstens.., ja, weißt du wen?” „Mich?“ sagte sie und gab mir lächelnd einen Kuß, „Ja, antwortete ich und küßte sie, (K. Heillgenstaedt) „Und womit entschuldigt sich Egon, daß er eine Freundin hat?“ „Er sagt: ‚Beruhige dich, mein Kind, sie ist ganz dein Typ!“ Conforto: “E come si scusa Egon d’ avere un’ altra amica?,, — "Egli dice: ‘Sta tranquilla, bambina mia; ella & tutta il tuo tipo,!,, 434 DURCHZBIELBEUME VON H. DORR Ungeduldig blickte Martin nach der Uhr, denn die verabredete Zeit war längst vorüber und Maria war noch immer nicht erschienen. Pünktlich um fünf wollte sie da sein, und nun war es fast sechs Uhr. „Hörst du, Peter”, erzählte er wohl schon zum zehntenmal an diesem Nachmittag seinem klei- nen, braunen Dackel, der ihm ebensooft mit un- verminderter Aufmerksamkeit gelauscht hatte, „hörst du, heute kommt Marla zu uns, das schönste und beste Frauchen, das wir beide jemals ge- sehen haben. Und ich hoffe, du wirst hübsch artig sein, alter Junge, wirst weder vorlaut bellen, noch am Teetisch um ein Stück Zucker betteln, ver- standen? Dafür aber wirst du schön Pfötchen geben, wenn Frauchen es wünscht, und nachher gefälligst in deinem Körbchen verschwinden. Sie muß einen guten Eindruck bekommen von uns beiden und sehen, daß du ein wohlerzogener Hund bist. Ich liebe das Frauchen nämlich und möchte, daß es für Immer bei uns bleibt, ver- standen?” Bei diesen Worten rückte Martin hier ein Kissen und dort eine Tasse zurecht, pflückte ein welkes Blatt von den Blumen, die in der Mitte des fest- lich gedeckten Tisches standen und steckte ab und zu einen Keks in den Mund, während der Hund, erfreut über die lange Zwiesprache mit seinem Herrn, dessen Bewegungen aufmerksam verfolgte. Nur der Schatten einer kleinen Ent- täuschung lag in den braunen Dackelaugen, daß nicht wie sonst auch für ihn hin und wieder ein kleiner Happen durch die Luft geflogen kam. — Und MEIN FREUND JOHANNES Es Ist Jetzt schon so lange her, daß ich es ruhig erzählen darf, Da wurde Johannes einmal von seiner Mutter da- bei erwischt, wie er mit auch für einen zwölf- jährigen Jungen ungewöhnlich schmutzigen Füße: in sein Bett steigen wollte, Es bestand der be- gründete Verdacht, daß er das auch sonst zu tun pflegte. Der Zustand der Bettlaken machte es wahrscheinlich. Man darf deshalb auch annehmen, daß die Mutter nicht ganz zufällig gerade in diesem Augenblick in das Zimmer trat, Wie dem auch sei, sie nahm die Gelegenheit wahr, Johannes ins Gewissen zu reden. „Stelle dir nur mal vor, du hast auf der Straße einen Unfall und mußt sofort ins Krankenhaus ge- bracht werden, Was meinst du wohl, was dann die Ärzte und Schwestern von dir denken, 'wenn sie deine schmutzigen Füße zu sehen bekommen? Sie werden denken, daß du ein ganz großer Schmutzfink bist! — Möchtest du das wohl gerne?” „Nein, Mutter‘, sagte Johannes. „Willst du dann in Zukunft dafür sorgen, daß sie das nicht zu denken brauchen?“ „Ja, Mutter“, sagte Johannes. „Ich werde von nun ab ganz besonders vorsichtig auf der Straße sein.” * Martin war Onkel geworden. Das erfüllte ihn mit maßlosem Stolz, Dauernd erzählte er von seiner Nichte, Wie niedlich und klug sie wäre, und so welter, So lange er nur das tat, war es noch auszuhalten, Aber bald kamen die ersten Fotos. Wir hatten sie zu bewundern. Nun, mein Geschmack sind so ganz Neugeborene nie gewesen. Auch Martins Nichte machte da keine Ausnahme, Wie ein hilfloses kleines Aff- chen lag sie im Arm ihrer Mutter. Dahinter waren einige Bäume zu sehen. Verlegen beschaute Ich mir das Bildchen. Ich bin sonst Martin gegenüber nicht so zartfühlend ge- wesen, aber In dieser Sache mochte ich ihn nicht kränken. „Wirklich sehr nett“, urteilte ich also. „Ja, recht hübsch“, bestätigte Johannes. „Wo steht diese Baumgruppe nur noch?" . Bieger wieder sah Martin nach der Uhr. Schon wollte er jede Hoffnung auf diesen mit so hohen Erwar- tungen erfüllten Besuch aufgeben — da, endlich klingelte es, Mit einem Sprung war er ander Türe, setzte sein glücklichstes, strahlendstes Jungen- lächeln auf und öffnete. Draußen aber stand nicht die zarte blonde Frau Maria mit den unwahr- scheinlich veilchenblauen Augen, sondern der Postbote mit einem Eilbrief von Ihr. Hastig riß Martin den Umschlag auf und starrte sekunden- lang verständnislos und entgeistert auf das eine einzige Wort, das der Brief enthielt. Schwarz auf weiß stand da geschrieben: Flegel, nichts wel- ter als Flegel! Fürs erste versetzte Martin dem unschuldigen Peter, der ihm erwartungsvoll und schweifwedelnd nachgeeilt war, einen etwas unangebrachten Fuß- tritt, worauf der Hund sofort die Schwingungen seines Gefühlsbarometers einstellte und jämmer- lich jaulend unter den Tisch kroch, um von dort aus schwer gekränkt und mißtrauisch hervorzu- äugen. Sein Herr aber ließ sich in einen Stuhl fallen und starrte noch Immer fassungslos auf die seltsame Botschaft. Langsam versuchte er, seine fliegenden Gedanken zu ordnen und sich die Ereignisse des gestrigen Tages Ins Gedächtnis zurückzurufen. Es war doch alles in bester Ordnung gewesen. Er hatte mit Frau Maria einen schönen, zauberhaften Abend verbracht, Sie wären in einem kleinen gemütlichen Lokal gesessen und bei einer Flasche Wein hatte er endlich den Mut gefunden, der schon seit lan- gem angebeteten Frau seine Liebe zu gestehen. Maria hatte dazu nur fein gelächelt und ihm zört- lich über die Haare gestrichen. Aber mit Augen hatte sie ihn angesehen, aus denen ihm eine Welt von Zuneigung entgegenzublicken schien. Ehe sie auseinandergingen, erwähnte Marla noch, daß sie morgen Geburtstag hätte und ließ ihn scherzend raten, der wievielte es wohl sein mochte. Martin war einen Augenblick in arger Verlegen- heit, denn nichts konnte er schlechter, als das Alter der Frauen schätzen. Und gerade bei Maria, dieser schönen, reizenden und bestimmt sehr jun- gen Witwe schien ihm dies unmöglich, denn sie konnte ebensogut schon gegen dreißig sein, wenn sie auch in manchen Momenten, so wie eben in diesem, ganz bedeutend jünger aussah und es wahrscheinlich auch tatsächlich war. Um also Zeit zu gewinnen und ihr gleichzeitig eine sinnige Aufmerksamkeit zu erweisen, hatte er auf Ihre weitere dringende Frage nach ihrem Alter lächelnd geantwortet: „Ich will es Ihnen durch die Blume sagen und werde mir gestatten, Ihnen morgen so viele rote Rosen ins Haus zu schicken, als Ihnen Lebensjahre blühten!” . „Schön gesagt“, hatte Maria fröhlich ausgerufen, „und wenn Sie annähernd richtig geraten haben, dürfen Sie mich morgen um fünf Uhr zum Tee er- warten und ich will meinen Geburtstag mit Ihnen ganz allein verbringen.” Martin war überglücklich gewesen. Schon am frühen Morgen war er in den Blumenladen geeilt und hatte sich nach reiflicher, in einer fast schlaf- losen Nacht durchdachten Überlegung dazu ent- schlossen, zwanzig Stück roter Rosen zu schicken. Er hatte noch den Auftrag gegeben, ganz be- sonders große, ausgewählte Prachtexemplare zu schicken und war nun sicher, das Richtige getan zu haben, denn es mußte Maria, wenn sie auch vielleicht tatsächlich schon älter war, sicher freuen, von ihm so jung eingeschätzt zu werden. Und nun kam statt ihr dieser Brief, der doch un- möglich die Antwort auf seine zarte Geste sein konnte. Plötzlich durchzuckte Ihn ein Gedanke. Man hatte vielleicht überhaupt vergessen, die Blumen bei ihr abzugeben oder hatte sie an eine falsche Adresse gesandt und sie war mit Recht über diese grobe Unaufmerksamkeit erzürmnt. Er mußte sich augenblicklich Gewißheit verschaffen und stürzte in den Blumenladen, die erschrockene Ver- käuferin mit den hastig hervorgestoßenen Worten überfallend: „Haben Sie die heute morgens bestellten zwanzig (K. Rössing) Jilustriertes Sprichwort: „Spitze Nase, spitzes Kinn, da steckt der Satan leibhaftig drin!" Proverbio Illustrato: "Chi naso acuto e acuto mento avrä, Satana in carne ed ossa occulteräl,, Stück roten Rosen auch wirklich an die ange- gebene Adresse gesandt?” Das kleine Blumenmädchen wurde ein wenig ver- legen, als der aufgeregte Kunde vor ihr stand, dann aber sagte sie rasch und freundlich: „Gewiß, mein Herr, wir haben die Blumen abge- geben. Allerdings’‘, fügte sie bedauernd hinzu, „von den gewünschten ganz großen Exemplaren war nicht mehr genügend Vorrat da. Ich habe mir daher erlaubt, zum gleichen Preis natürlich, vierzig Stück einer etwas kleineren, aber eben- falls sehr schönen, wohlduftenden Sorte zu schicken.” Und als sie merkte, wie des Kunden Blick immer starrer wurde und sie schließlich fast zu erdolchen drohte, setzte sie bedauernd hinzu: „Sie werden doch deswegen nicht ungehalten sein, mein Herr?” „Nein, ich nicht”, erklärte Martin mit wütendem Sarkasmus und warf die schwere Glastüre klirrend hinter sich zu, was das Mädchen zu der philo- sophischen Bemerkung veranlaßte: „Ich glaube, er war doch ungehalten, der Herr!” LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Bammers gingen in die Kunstausstellung. Bammer blieb vor einem Aktbild stehen und be- trachtete mit liebkosenden Blicken. Seine Frau murrte: „Was gibt es denn da groß zu sehen?” „Aber, Alwine”, seufzte Bammer, „Ich bewundere doch nur den prächtigen Rahmen!" p.b. I a Verlag und Druck: Knorr & Hirtk Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Verantworll, Schriftleiter: Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus ersc wöchentlich anstalten enigegen. — Bezugspreise: Einzelnummer 30 Pf.; Bo 80 (Fernruf 1296). Briefanschrifi: München 2 BZ, Brieffach. mal. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- Abonnement im Monat RM. 1.20. — Unverlangie Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegt. — Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920, Erfüllungsort München. Britannias allzustürmischer Liebhaber (0. Gulbransson) Auaf Auteranssan (3 f ua N IA N N „Onkelchen Sam, du faßt mich ja um die Kehle statt um die Taille!“ Amante impetuoso di Britannia: ‘Ma, zietto Sam, tu mi stringi alla gola invece che alla vital, 436 München, 18. August 1943 k 48. Jahrgang / Nummer 33 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Die Jagd nach dem Sieg (erieh Sehlling Alla caccia della vittorla! Stolz - Orgoglio (0. Hermann) „Daß deine persönliche Note ausgerechnet Im ständigen Einschnappen besteht, Ist wirklich lästig, Egon!" „Menschen mit starkem Charakter sind immer lästig, meine Liebe!‘ "Che la tua nofa personale consista precisamente nel pigliar tutto In mala parte & cosa davvero molesta, Egon!,, "Gli uomini di forte carattere sono sempre molesti, cara mial,, D DER UNZULÄNGI. VON SCHLEHDORN Der Unzulängl. war (obwohl zweites Kind) schon Im slebenten Monat geboren und war so klein und beschelden geblieben, daß er alles mit Abkürzun- gen schrieb und sogar in Abkürzungen dachte. Also ähnlich wie, die Inserate in den „Neuesten Nachrichten“, als da sind: „Dame üb, 30, vollschl. warmh. fraul. Gem, su. ebensolch. bess. Herrn zw. Heir. k. z. I. Vermttl, Papkrb.” Der Unzulängl. hatte mit Jullus die Schulbank ge- drückt. Später hatte er die erste jur. Prüfg. nicht bestand, da bedankte er sich und nahm e. kl. Stellg, b. e. Versich.Ges. (Bür. od. Kzlei. od. Exped.) an. Bei der „Heiwelhagag”, der Heidelberg-Wei- marer Hagel-Versicherungs-Aktien-Gesellschaft. Gewiß, das Gehalt war besch., das Leben war eben besch., aber die Stimmung ganz besch. Wo- bei „besch.” im ersten Fall beschämend, im zwei- ten bescheiden und im dritten natürlich beschau- lich heißt. Denn so Ist das. Leute, die nichts geworden sind, sind meist viel friedlicher als solche, die dauernd aufsteigen müssen und dann leicht den Absatz des Vorankletternden ins Gesicht bekommen. Nicht losgemachte Boote schaukeln weniger auf den Wellen des Ozeans. Ein angepflockter Wallach geht ‚seltener durch als ein freilaufender Hengst. Der Unzulängl, war gerade auf dem Heimweg vom Dienst. Das war das Einzige, was er nicht abkürzte. Denn der Bürovorsteher hatte den Geduckten noch geduckt (groß ist man, wenn die Kleinen kleiner werden), und daheim wartete die Frau, die ihn geheiratet hatte, um seine Seele mit Sandpapier abzureiben. Da war Dienst noch schöner. So sparte der Unzulängl. das Fahrgeld auf der U- oder S-Bahn, freute sich an den asthmatischen Firmenschildern, wie Aboag (das klingt wie kurz nach Tisch in minderen Schänken) oder BzBG. (darin faucht noch die Lokomotive), und fand im- mer neue Abkürzungen. Als Regierungsrat Jullus ihn traf, strahlte er, ent- schuldigte sich und kam bald auf sein coupiertes Steckenpferd, sein Ameisenei des Kolumbus zu sprechen: wie kol. bequ. u. bill. die allg. Einführg. d. Abkrzg. in d, Schriftspr. wäre. „Denk mal, Din-Format hätte die Größe des Ab- reißkalenders. Man könnte dann geradezu aus der Maschine ins Stenogramm übertragen. Die Typen würden geschont, nur der Punkt vielleicht überanstrengt. Man könnte ein Viertel aller Steno- typistinnen entlassen. Das würden freilich leider gerade die Hübschesten sein. Die Post brauchte mangels Masse nur alle 3 Tage ausgetragen zu werden.” Er wurde Immer größer im Verkleinern. Der Große Brockhaus könnte in einem einzigen Bande er- scheinen und die Devisenbestimmungen in nur zweien. In der Zeitung könnte z. B. eine Kurz- geschichte auf 11 Zeilen abgedruckt werden, be- sonders, wenn man alles wegließe, was jedermann schon weiß, liebe und so. Welch eine Ersparn. an Pers. und Mat. und Pap. Allerdings fiele wegen des Formats von den 3 überlieferten Benutzungs- möglichkeiten der Zeitung die als Einwickelpapier fort, Plötzlich sah er auf die Uhr: „Entschuldige“, sagte er, „meine Frau...” Das war die Abkürzung für eine ganze Tragödie. Er zog einen Zigarrenstummel aus der Tasche (zu Hause durfte er wohl nicht rauchen), Jullus gab Ihm Feuer, und schon im Abgehen sagte der Un- zulängl.: „Danke verbindlpunkt“ 438 Desillufionifierung »Hoch hinauf ins himmlifche Blau flattert zärtlich ein Kohlmweißlingpärchen, über dem grünen Gezweig der Buchen, über geflederten Efchenmwipfeln, hoch hinauf und felig verliebt. Ach, wer fo fich vom Boden der Erde, von der Materie löfen dürfte, gaukelnd, fchiwebend, Seele geworden, filberne Seele Im himmlifchen Blautl« * Seele? Seelet? Ja, Pfeifendechelt Denn was refultiert aus dem Ausflug? Eier, du Schwärmer, und mas für Eier! Raupen, du Schafskopf, und was für Raupen! Da find deine, die du im Kopf haft, reine Waifenknaben dagegen. Sind fie erft ausgchrochen, dann ift dein Kohl im Garten, der weiße, der blaue, (Weiß, und Blau, wie du fiehft, wiederholt fich) futfch, geliefert, kaputt, perdü, und du kannft an den Strünken nagen. Siehft du alfo wieder ein Pärchen hoch im Blau, dann hol’ deine Flinte und fehieß’ ugs das Gefindel herunter, diefe rüchfichtslofen Erotiker, wenn dir an Blau= oder Weißkrautgemüfe mit Kartoffelpuffern was liegt! (Grade genug, daß Die Schweinsbraten rar find!) Ratatöshr Der unlautere Wettbewerb „Wie geht das Geschäft, Mrs. Smith?“ — „Schlecht. Seitdem Roosevelt umsonst eine bessere Zukunft vorhersagt, will sich niemand mehr von mir gegen Bezahlung wahrsagen lassen!" La concorrenza sleale: “Come vanno gli affarl, Mrs. Smith?,, — “Male; da quando Roosevelt ha predetto grautuitamente un miglior avvenire, nessuno vuole piö sentire profezie da me verso pagamento!,, 439 (Wilhelm Schulz) Führung in Washington Drm Auiomansson „... und hier war das Porträt Monroes. Er ist leider aus dem Rahmen gefallen!“ qui c’era il ritratto di Monroe. Purtroppo & caduto giü dalla cornice!,, Guida in Washington; ",..e 440 PEDRO ERBT VON RAINER PREVOT Als Pedro, der kleine Pedro, fern im Licht des rasch sinkenden Mittelmeer-Abends den schnee- weißen Mauerkranz der stolzen afrikanischen Stadt auf dem blauesten aller Meere aufsteigen sah, raffte er sein armseliges Gebein zusammen und suchte sich klarzumachen, warum er sich seit zwei Tagen auf großer Fahrt befand, elendig- lich in sich verkrümmt und ausgehöhlt vom Übel des Meeres, Und angesichts seines Reiseziels riß ihn das stolze Bewußtsein hoch, ein Erbe zu sein. Vor vier Tagen hatte seine Mutter, die einen Fisch- handel beirleb Im spanischen Hafenviertel von Marseille, die würdige Sefiora Soledad, zu ihm gesagt: „Pedro, mein Sohn, Seforito unserer Familie, dein ehrwürdiger Oheim in Tanger, mein Bruder Don Manolo Sanchez de Palacio ist ge- storben, Er war ein Geizhals, Der Teufel hat seine Seele geholt. Mich, seine leibliche Schwester, hat er darben lassen, aber er war ein reicher Mann und du bist sein einziger Erbe. Sein schöner Tep- pichladen ist in der breiten Straße, die vom Hafen steil zur Kasbah hinaufführt. Du wirst Ihn schon finden; geh hin, mein Sohn Pedro, und erbel"” Dann hatte Ihm der alte penslonierte Notar aus dem Nebenhaus, der Immer um den Fischbadarf für seine sonntägliche Bouillabaisse feilschte und dafür auch mal was Rechtes tun konnte, ein Schreiben mitgegeben für einen Kollegen in Tanger. Er hatte die notwendigen Auswelspapiere in einen Umschlag gesteckt, der In Pedros Hemd eingenäht wurde. So ausgerüstet und allen Schutz- heiligen belohlen, mit Ausnahme leider des bis- her unbekannten Patrons gegen die Seekrankheit, hatte Pedro die ganze Tücke des fälschlich als ölglatt beleumundeten mediterranen Tümpels mit leızter Kraft überstanden. Er s3ß nun in der Hafen- barkasse, vorsichtshalber Über ihren Rand ge- beugt und hatte nur einen Wunsch: Ein Bett, mit oder ohne Wanzen, aber garantiert unbeweglich und horizontal. Noch waren seine Beine des Gleichgewichtes nicht ganz sicher, als er wie ein Paket auf dem Landungskai abgesetzt, von wildem Gebrüll und Gefuchtel empfangen und nach Ziel und Wünschen ausgeforscht wurde, Pedro verteidigte sein Hand- köfferchen wie ein Überfallener unter Seeräubern. Das konnte er selber tragen! Und den Weg würde er auch finden. Es ging einfach durch das mäch- tige maurische Stadttor und das europälsche Hafenviertel zur Araberstadt hinauf. Aber ihm wurde etwas bang In diesem Gewimmel, das noch viel toller war als in Marseille. Die bedäch- tig schwankendenr Kamele, die Wasserträger mit Ihren Bocksfellen, die langen hageren Eseltreiber aus dem Sudan mit ihrem eintönigen „Balekl... Balekl” (Platz dal), womit sie die Mange teilten, In der klein und schmächtig Pedro mit seinem Köfferchen verschwand. Doch wie Ihm so bang wurde um sein Ziel und der Universalerbe Don Manolos sich immer mehr als lächeriicher Zwerg im Reich der Riesen fühlte, erblickte er plötzlich seitwärts, an eine weiße Hauswand gelehnt, ein Mädchen, das an einer Zuckerstange lutschte und Ihm dabei mit schwarzen Augen und blltzenden Zähnen zulächelte. Daß sie keine Maurische, son- dern eine Spanische sein mußte, verriet Ihm Ihre Kleidung mit Kamm und Fransantuch. Die fragst du, dachte Pedro, und näherte sich dem glut- äuglgen Kind mit der Bitte, ob sie wisse, wo das Geschäftshaus des ehrenwerten Don Manolo de Palaclo sich befinde. „Was willst du dort?" klang auswelchend die Gegenfrage. „Erben!“ meinte Pedro selbstbewußt, „Was gibst du mir, wenn ich dir's verrate?” In Pedro regte sich der Kavalier: „Was möchtest du haben?” fragte er königlich. „Fünf Pesetas!”... „Danke“, sagte Pedro, „dafür finde Ich mich schon selbst zurecht.” „Gar nichts wirst du finden, wenn ich dich nicht führe. Und dann erbt ein anderer!" Sie lachte verächtlich. „Ich gebe dir eine Pesetal” sagte Pedro. „Gib zweil Und erst trinken wir zusammen eine Anisetiel” Sie hatte ihn beim Ärmel gefaßt und zog ihn zur großen, Kaffeeterrasse, von der man weit über das Meer schaute, Und als sie ihr Tisch- chen gefunden hatten im Schatten einer hohen Palme, die so verstaubt war wie eine alte Theater- kulisse, fragte er: „Wie heißt du?” „Ich bin Senorita Carmencita und eine Tänzerin.” Dabei schwang sie die Hüfte und reckte sich hoch: „Und du?” „Ich heiße Don Pedro und wlil ein berühmter Torero werden“, gab er stolz zurück. Nun schwie- gen sie und beobachteien die Wirkung ihrer aus- gespielten Trümpfe. Das erste Ergebnis war, daß sie nicht mehr wagten, sich zu duzen, Uber der alten staubigen Palme strahlte das blankste Blau und weit drüben zwischen diesem Himmel und dem blaueren Meer, das nun plötz- lich ganz ruhig lag, leuchtete ein schmaler gelber Streifen, „Ist das Spanien?” fragte Pedro mit leuchtendem Auge. „38, es ist Spanien. Dort werde ich hingehen, um eine große Tänzerin zu werden.” Sie sagte das mit dem Mund, mit den Augen und mehr noch mit der Hüfte, „Meine große Schwester Manuela tanzt in Cadiz.” „Ich geh mit. Ihnen“, entfuhr es ihm, „wenn ich geerbt habe, nehm ich Sie mit, und wir werden zusammen berühmt. Wollen Sie, Senorita?" „38,DonPedro, aber In derNase bohren dürfenSie nicht mehr, wenn Sie ein großer Torero sein wollen.” Eine Glutwelle schoß ihm Ins Gesicht, Er nahm Haltung an, wie er es in Marseille gelernt hatte, wenn man vom fernen Spanien sprach. Und nun sah er es zum erstenmal. Und es war nur ein kleiner gelber Streifen zwischen Meer und Him- mel, aber der schien aus reinem Gold. Eine Ungeduld packte ihn, Er zahlte das nach scharfer Minze duftende Geiränk. „Da Ich Ihnen einen Kuß geben, Seforita?” fragte er schüchtern im Schatten der Palme, Sie zögerte ‚Ja, aber nur auf den Nacken, Don Pedro. Kommen Sie, zuerst wird geerbtl” (© Sturtzkopf), „Weißt du, Gerüchte sind ja eben doch immer nur unvollständig!“ Freilich, freilich, da muß man schon selber noch etwas dazu machen!" “Ma sal, le voci che corrono sono sempre qualcosa d’ incompleto!,, "Certo, cerlo; e cosi bisogna agglungervi anche un pochino di proprio!,, 441 (Fr. Bilok) „Glaub mir, Miezerl, ich hab’ dich gern!" „Alles Lüge, sonst wärst du schon längst en Kater geworden!“ “Credimi, io 1i voglio bene, gattina mial,, *Tutte menzogne! Altrimentl saresti divenuto giä da molto tempo un gattol,, DER SCHULDLOSE VON HORST IRMLER „..und darum beschwöre Ich dich noch einmal, mein Lieber, — — verbrenne diese schändlichen Spuren meiner Geschwätzigkeit, sobald du die gelesen hast und streue die Asche In alle Winde, — — es ist tatsächlich bitter notwendig. ‚Aber Irgendwie muß ich dir ja doch den ganzen Sachverhalt unseres mißglückten Zusammentreffens verständlich machen, obwohl die Sache gar nicht so einfach zu erklären ist, und ich bereits auch mit der Möglichkeit rechne, dıß du mir ab sofort mit einer gehörigen Dosis Rattengift nach dem Leben trachtest. Sozusagen aus — aus gekränkter Sippenehre. Höre, und du wirst meine Schuld'osigkeit herausfühlen, Am 7. Mai, Schlag sieben Uhr, war ich verab- redungsgemäß In Kinsburg angekommen. In dem von dir empfohlenen Hotel Bollavue hatte ich zu- erst ein gefühlvolles Wortgefecht mit dem Por- tier, der nach Gin und Branntwein roch — und nur schwerlich zu bewegen war, einzusahen, wie dringend notwendig ich ein Zimmer brauchte. Er verschanzte sich hinter alleilei Einwänden und ttaute wohl auch meiner Börse keine zu großen Sprünge zu. Als ich ihm aber sag'e, wieviel tausend Kilometer ich zurückgelegt hatte, um am ersten Urlaubstag nach vielen Mönaten einen lieben, guten, vorwundeten Kameraden aufzu- suchen, bat er mich beinah um Verzeihung und drückte mir ein gepfoffertes Preiskärichen in die Hand mit dem Bemerken: „Da nehmen Sie nur, — das Ist der Zimmeraus- weis für ein Doppelzimmer mit Bad. Ich berechne os ihnen aber nur als Einzelzimmer, und wenn es auch telegrafisch bereits einem Hochzeitspaar zu- gesagı war, das macht nichts. Die sind auch anders- wo noch unterzubringen. Ich werde schon Irgend- etwas Improvisieren!“ Und dann machte er, ganz dem vornehmen Haus entsprechend, le Verbaugung vor mir oder meiner abgewetzten Uniform, und zeigte mit ele- ganter Bewegung zur großen Hoteltreppe. da geht es hinauf. Dar Lift ist außer und Ihr Gepäck schicke Ich sofort nach Ihr Zimmer liegt im ersten Stock, genau gegenüber der Haupttreppe. Sie können es nicht verfehlen. Einen Pagen kann Ich Ihnen leider nicht mitgeben zum Zimmer zeigen, Sie wissen, die Personaleinschränkungen, der Kriegl...” Und hier geht die Geschicht. jentlich erst losl Ich kann dir nur sagen: Es ist eine schöne Ge- schichte. Ich gehe die breite, mit purpurroten Läufern be- 442 legte und mit vergoldetem Geländer versehene Treppe hinauf, durchschreite den langen Flur und da bin ich auch schon vor dem Zimmer Nr. 77 an- gelangt und öffne die Doppeltür. Instinktiv taste ich nach dem Schalter, finde diesen Jedoch nicht gleich, bemerke aber staıt dessen sofort, daß vom Badezimmer durch die halboffene Tür ein breiter Lichtstrahl mir entgegenleuchiet, — und plim-plam irgendwer im Wasser fröhlich planscht. Ja, ja, ich entsinne mich noch dunkel, daß ich tatsächlich rückwärts wie ein Krebs aus dem Raum getreten bin und die Türe ganz sachte und be- hutsam wieder schließe, einmal kurz und befreit schnaufe, wie nach einem gefährlichen Spähtrupp und dann aus meiner Rocktasche das Zimmer- kärtchen geschwind heraushole, schaue und ver- gleiche und doch nur feststellen kann: Das ist mein Zimmer für 12.50 RM. plus 15% Bedienungs- geld. Na alsol — Alle meine Bedenken verschwinden und deshalb haue Ich kräftig auf die Klinke und gehe schnur- stracks abermals hinein. Ein dicker Teppich vor- schlingt meine Schritte und bei diesem lautlosen Schreiten werde ich schon wieder unsicher und ahne schon, — jetzt mache Ich bestimmt etwas falsch, — und da ist es schon, Da stehe ich, der der Zivilisation so lang Ent- wöhnte, auf der Schwelle eines prächtigen: zitro- nengelben Marmorbades und erblicke, während ich den Atem anhalte, ein wunderhübsches Mäd- chen unter der sprühenden Dusche. Den relzen- den Rücken mir zugewandat steht sie aufrecht da und an Ihren schlanken Hüften brechen sich glifzernd die silbernen Wasserstrahlen. Und dann fängt dieses ahnungslose Mädchen auch noch zu singen an, — so ganz zart und flink trala- lala die Tonleiter hinauf und tralalala die Tonleiter hinunter, und dann streckt sie die Arme in die Höhe und Ich sehe noch eine Kleinigkeit mehr — — — und die ist schön, — sehr schön. — Und ich stehe wie gebannt und verzaubert und vergesse meine ganze gute Erziehung und alles, — und lausche und blinzle so lange in dieses Mörchenland hinein, bis ich nach Sekunden mein Herz am Halse jämmerlich schlagen höre und er- schreckt auf leisen Sohlen den Rückweg zu er- schleichen versuche, Ich bin wie glanzgeblendet und das Dämmer- licht im Zimmer erschwert überdies das Auffinden meines Koppels, das Ich beim Eintroten so schwung- voll in einen Sessel geworfen habe, — aber dann habe ich es doch und die reitende Tür auch, — oder vielmehr beinah, denn plötzlich wird sie auf- gerissen und das Licht flammt auf und ich .er- schrecke über die plötzliche Halle, und mir gegen- über steht ein blutjunges blitzblankes Zimmer- mädchen. Sie starrt mich entgeistert an und eine Blutwelle jagt ihr über Stirn und Wangen und ich höre mich sprechen, ohne daß Ich as’ weiß, ob ‚das die richtigen Worte sind: „Ich muß mich doch verlaufen haben!” Und ich selbst muß dabei ein Gesicht gemacht haben wie ein Hirtenbub, dan man mitten in der Nacht weckt mit dem Verlangen, ein Stück aus dem Cornelius Nepos zu übersetzen, Aber was ist denn? Das Mädchen hört ja gar nicht auf meine verzweifelte Rechtfertigung, son- dern schaut unverwandt auf meine Hände, In denen ich das Koppel halte, und als Ich fragen will, was denn los sei, halte ich schon beim er- sten Worte inne und entdecke in meinen Händen an der Revolvertasche verfitzt, — und mir wird auf einmal unböndig heiß, — anklagend ein kaum zwei Handflächen großes weißes Batisthöschen. Ich schüttle den Kopf und gebe mit zittrigen Fin- gern das unfreiwillige Beutestück zurück, „Da nehmen Siel” — Und da lächelt gotilob das Mädchen wieder und streicht mich In Gedanken und Gnaden ganz sicherlich endgültig aus der Liste der Fassaden- kleiterer, weist aber immer noch stumm auf den Sessel, auf dem meine Revolvertasche lag, und ich sehe dort noch andere winzige Dinge liegen, von denen man kaum glaubt, daß das ein Hemd- chen oder ein Halter oder ein Strumpfgürtel sein soll. Und in diesem Augenblick war ich so ziemlich sicher und überzeugt, daß der Trottel von Portier mir ein falsches Zimmer angewiesen hatte, und so etwas ähnliches muß ich wohl auch gesagt Das Bad im Walde (0. Nückel) BE | Me ARE AR NAT URS ae 7 EEE Il bagno nella foresta 443 haben, denn ich geiange ohne neuerliche Zwi- schenfälle aus dem verhexten Zimmer und will die Treppe in schnellen Sprüngen heruntereilen, als mir das Mädchen mit liegender Schürze nach- gelaufen kommt und zuruft; „Ach, warten Sie doch einen ganz kleinen Augen- blick, Herr Soldat!” Ich lehne mich etwas erschöpft an das Treppen- geländer und meine entsetzten Augen jagen ha- stig sämtliche Knöpfe und Haken an meiner Uni- form ab, ob da nicht eventuell doch noch so ein verräterisches Ding baumelt und mich süßer Sün- den bezichtigt, die Ich nie begangen habe. Jedoch ich bemerke nichts — und als ich mich umwende, hat sich auch das Mädchen gefaßt und löst das Rätsel ganz geschwind, Indem sie mir gesteht, daß das Zimmer tatsächlich das meinige sei und auch in fünf Minuten endgültig und un- gestört mir gehören soll, solange ich es nur will. Sie selbst aber müsse sich vieimais enischuldigen, denn sie sei es gewesen, die dem Hausverbot zum Trotz, so ein bissel aus Bequemlichkelt und Leichtsinn der Jungen Hausdame da ein Bad an- gerichtet habe, wo es ihr am besten gepaßt habe, Immer in dem Glauben, daß das Zimmer erst spät In der Nacht besetzt werde, und’ sie bitte recht herzlich davon abzusehen, unten im Büro den Vortall zu erzählen. Da söße ein ver- kalkter Knacker und es gäbe sonst für sie ein mächtiges Donnerweiter, und der brächte es auch glattweg fertig, durch sinnlose Verhöre, warum das passieren konnte, sie und das Fräuleih Irene aufzuhalten, und das ginge schon aus dem Grunde nicht, weil das Fräulein In die Stadt müßte, — gleich, — — um, nun um eben auch einen Sol- daten zu treffen. — — — „Ja, Ja, selbstverständlich”, antwortete ich, „es ist alles gut und von mir wird kein Sterbenswört- chen über die Lippen kommen, ganz gawißl"— — Und dann warte Ich noch fünf Minuten auf dem Flur und höre eine Tür schlagen, — meine Tür. Drehe mich aber nicht um, da ich bange bin, daß ich rot werden könnte, rot wie junger Klatsch- mohn, — trotz 32 bewegter Lebensjahre. Aber die lange Zeit an der Front, — Ja der Krieg, — macht einen für solche Dinge furchtbar emafindsam. Und was nun kommt ist unwesentlich und deshalb mache Ich einen langen Gedankenstrich — — — ratsch, da steht er — — — und es Ist möglich, mir ohne Verzögerung durch die Schwingtür zu felgen, die mich pünktlich um acht Uhr In das Weinrestaurant führt, wo wir uns, wie brieflich verabredet, treffen wollten. Ich erspähe sofort unsere alte Nische und schnup- pere — köstlich — die Luft Ist schwer von Wein und auf dem Tische steht ein kleines mahnendes Schild „Reserviert‘‘, Jemand berührt meinen Arm. Es Ist unser stets glattrasierter Herr Oberkellner im Frack. Er hat mich trotz jahrelanger Abwesenheit sofort er- kannt, begrüßt mich stürmisch und ergeben und dienert um mich herum, als hätte ich ihm gestern erst zum leiztenmal die Hand gedrückt. „Ach, da sind Sie Ja endlich”, rief er, „ich bin über alles Informiert und Ihr Freund, Herr Thomas, muß gleich kommen. — Ihren Tisch habe ich auch AUGUST Die Bäume stehn so schwer im Laub, Wie nicht im danzen Jahr. Ein wenig liegt auf den Blättern Staub, Und der Himmel ist audı nidıt ganz klar. Der Anfang ist, die Mitte vorbei, Dahin der Frühling, der schöne Mai, Der ersten Liebkosung Sparsamkeit: Wir haben jetzt August! Und mie eine Frau mit üppiger Brust, Erfahren in Kuß und Lust, Liegt abends der Wald unterm Monde bereit. Georg Britting noch halten können, — fein, — was? — Und Sie werden staunen, wie der verletzte Fuß von Herrn Thomas kaum noch zu merken ist..., erstaunliche Fortschritte hat er gemacht, — — erstaunlichel ...” Dann rufen Ihn schon wieder andere Pflichten von mir weg, und Ich setze mich in den Sessel, der mit safrangelber Seide überzogen war und habe den Blick frei über das ganze Lokal und sehe na- türlich das allernächste nicht, was Ich wahrhaftig sehen mußte, daß nämlich auf dem Tische drei Gedecke aufgelegt sind, und da kommt der Herr Oberkellner wieder auf meinen Tisch zugesteuert und führt eine junge Dame an meinen Tisch und sagt, auf mich weisend: „Das ist unser langent- behrter Herr Lukasl” Und die Dame neigt eine ganze Kleinigkelt das Köpfchen und streckt mir eine winzige Hand hin und spricht: „Ja, das muß er sein”, lächelt ganz lieblich und unbefangen und fährt fort zu reden: „Das ist be- stimmt ein schlechter Tausch, statt des guten Freundes sich mit mir zu begnügen. Ich bin Irene, Ihres Freundes Thomas oft übersehene und schlecht behandelte Cousine. Thomas läßt sich tausendmal entschuldigen, — — äber er durfte nicht kommen. Schwester Margot Im Lazarett und Ich, — wir haben das so ein bißchen hintertrieben, — Ja, Ja, — — — bestimmtl Denken Sie nur, die fast verheilte Wunde ist wieder aufgebrochen und trotzdem wollte er hierherhumpeln, — und das ging doch wohl nicht, soviel er auch grollte und brummte, er mußte Ins Beıt. Und da es keine andere Möglichkeit gab, Sie zu verständigen, bin Ich gekommen, um Sie zu begrüßen. Schwester Margot wollte auch noch kommen, aber sie hat mich schändlich im Stich gelassen und so muß ich Sie über den ersten vertanen Urlaubstag trö- sten, so gut es angeht!” „Oh, bitte, nehmen Sie Platz, — und zu trösten bin ich In keiner Weise, im Gegentell, das Ist ein glückliches Beginnen!” Und wie ich sie so anschaue, taucht in meiner Erinnerung mit schwindelnder SüßigKeit das Ver- hängnis von Zimmer Nr. 77 auf, und ich denke, — und da denke Ich ausnahmsweise einmal richtig: Von der Seite, mein Gott, von der Seite sieht die Junge Dame wie die kleine Wasserfee aus. Aber das kann doch wohl nicht möglich sein, — das war doch eine, — na, — wie heißt doch diese Art von Hausdrachen gleich? — Und wenn es auch ein himmlischer Drachen war —I — — — ach Ja, jetzt weiß ich, — eine Hausdame — und hier, hier sitzt mir die Cousine meines liebsten Freundes gegenüber. . Ich sehe ihr mutig in die Augen, sinke aber den- noch wie betäubt In den Sessel zurück und ziehe eine dicke Wolke aus der Zigarette, „Warum sehen Sie mich so prüfend an?” fragte sle, „Darf ich das nicht?” „8, — aber weswegen?” — „Ich finde eine verblüffende Ähnlichkeit mit... Thomas, Ihrem Vetter.” „Finden Sie?" — und dann war wieder einmal bei mir alle Ver- nunft zum Teufel und ich sagte welter, während ich Weln In die Gläser goß: „Übrigens finde ich Sie schön, schön und ver- lockendi” Sie nahm das Glas, setzte es an den Mund, und eus Ihren halbgesenkten Lidern hervor traf mich ein erschreckter Blick, und Ihre Wangen erglühten tlefor. Ich reichte ihr Toast und Fleisch, „Schneiden Sie mir ein kleines Stück abI” bat sie mich. „ist's so recht?” ‚38, danke” Und vier oder fünf Herzschläge später sprach sie: „Es war gar nicht so leicht, Uber den Abend frei zu verfügen. Ich bin erst wenige Wochen In der Stadt und in einem großen Hotel Tag und Nacht eingesperrt.” — — — Das geht mir wie ein Stich ‘durzh und durch, — sie it esl — — — „Was Ist Ihnen, Sie sehen mit einem Male ganz anders aus.” 444 „Wieso?“ fragte ich. „Sie haben alle Farbe verloren und sind kaum wieder zu erkennen.” „So, — da muß ich flink ein wenig nachhelfen”, und ich goß die Gläser voll. Aber ich mußte noch mehr hören: „Ach, so ein festlicher Abend“, plauderte sie munter weiter, „läßt mich fast vergessen, daß ich heute schon zehn Stunden treppauf, treppab ge- laufen bin, von einem Zimmer in das andere, um unsere gestrenge Etagengouvernante im Hotel ein wenig zu entlasten, Das Ist mein Arbeitsgobiet, — ein sehr vielseitiges, und Sie ahnen nicht, was es da alles zu tun glbt, wo Ich doch erst so ein ganz kleiner, bescheidener Hoielspatz bin.” Ich biß mir auf die Lippen. — Nun wußte ich es wirklich ganz genau, das wär keine Zauberei oder Augenverblendung, — sie war es. — — — Jedenfalls wurde der Adend riesig nett. Es war mir unmöglich, die Augen von Irene loszureißen. Ich wäre ihr ohne Verzögerung in die Hölle ge- folgt oder in den siebten Himmel, Eine Welle von Liebreiz und Eigenart offenbarte sich mir, sie war ein Wunder der Jugend und gleichzeitig voll zauberhaftester Fraulichkeit. Und dann war es auch schon 10 Uhr, und sie sagte: „Oh, wie schade, aber Ich muß gehen, die ge- strenge Etagengouvernante, — — — Sie ahnen nicht, die kann schrecklich poltern und böse sein, —— aber morgen, morgen, Lukas, das müssen Sie mir versprechen, wo wir so gute Freunde gewor- den sind, morgen bleiben Sie noch hier und wir besuchen Thomas. Ja?" Da wappne ich mich gegen die glimmende Ver- suchung und gebe ihr mit einer unverdienten Barschheit und mit einer Mlione, als brüte Ich über einen baldigen Selbstmord, zur Antwort: „Ich kann der Einladung nicht Folge leisten. Es ist Ja gar kein Urlaub, den Ich habe, Irene, sondern eine genau begrenzte Dianstreise, und morgen in aller«Herrgottsfrühe muß ich schon welter.” Bei Jedem Worte, das ich sagte, war mir, als hätte Ich Schwefel zu schlucken. „Wie schade“, meinte sie, und ihr reizendes un- schuldiges Gesicht nahm einen traurigen Aus- druck an. Und dann gingen wir durch die stillen Straßen, und ein naher glitzernder Sternenhimmel stand über uns. Sie ging neben mir. Ihr leichter wie- gender Gang beglückte mich über alle Maßen — und ich hatte bestimmt‘ erhöhte Temperatur. Es war etwas Lässiges, Losgebundenes In Ihren Be- wegungen, Sie waren so weich, so zerlließend, und ich war nahe dran zu bitten, doch noch einen Tag in Ihrer Nähe bleiben zu dürfen, Und da waren wir auch schon vor dem Hotel Bellevue, und sie sagte: „Da bin ich zu Hause, — das Ist meine Zwingburg. Gute Nacht! — — — und wo wohnen Sie denn eigentlich?” „Da am Bahnhofl“ hörte ich mich lügen. „Gute Nacht, Irene, es war ein zauberhafter Abend...” Und das war schon wieder die volle Wahrheit. — Siehst du nun, daß es nicht meine Schuld war, Thomas, wenn wir uns diesmal nicht sahen? ... DER TRUTHAHN Der Truthahn spreizte sein Gefieder, - weil ihn ein roter Sonnenschirm reizte; ein Fräulein stürzte vor Schreck fast nieder. Das Tier mit seinem roten Schnabel stieß Töne aus, daf es erklang mie nahender Weltenuntergang oder wie Drachengeheul in einer Fabel Die Bäuerin ladıte und mußte sidı schneuzen; das Fäulein gedadıte den Feldieg in Zukunft nicht mehr zu kreuzen. Peter Scher Der Maßstab 8. Keen) „So ein Krautkopf ist halt ein bisserl groß für mich, Frau Schmidt!“ — „No, aber der Herr, mit dem $’ gestern ganga san, hat aa koan kloana Kopf aufg’habt, Fräul'n Franzi!“ La misura: “Ma, cara Schmidt, quella testa di cavolo & un po’ grossa per mel,, — “Ah cche?!... Il signore, che leri era in vostra compagnia, signorina Franz, non aveva certo una testa pid piccola!,, 445 Vorbild (K. Helligenstandt) „Wie kommt das, Fritz: vor unserer Ehe hast du viel mehr auf dein Äußeres geachtet?" „Nun ja, auch das Vogelmännchen wirft einmal sein Brautkleid ab!“ Esempio: “Com'&, Fritz, che prima del nostro matrimonio avevl piö cura del tuo esteriore?,, — "Eh, sal, anche I* uccello maschlo fa la muda delle penne!,, 446 BADENDE BUBEN VON EUGEN ROTH Buben, braun und blondgeschopft Die Strümpfe In die Schuh gestopft, Übern Rücken gehängt Waten, wild nach Indianertaten Durch die Sümpfe, Von Mücken bedrängt, Durch die grüngrauen Flußauen . .. Weidenstümpfe, Birken, Erlen. Eschen Schmaler Wege Breschen Ins Dickicht hinein. Hoch aus dem Blauen Das Licht durch die Zweige tropft. Einen Gertenspeer der eine Sich schnitzt, Eine Weidenflöte der andre sich klopft. Den Mund gespitzt Probt er voraus das leichte Lied. So traben sie durch Busch und Ried. Draußen über die heißen, weißen Steine blitzend Im Sonnengleißen Der Inn kalt kochend zieht. Aber die Buben drinnen Im Busche schleichen und kriechen Wo die Pappeln flocken Die Faulbäume riechen Wo hundert Wässer Stocken und rinnen, Froschäugige Tümpel Wo angeschwemmt Und im Schlick verschlämmt Alte Flaschen und Büchsen und Fässer Und morsches Gerümpel Geheimnisvoll, fremd Locken. Eine Ente aufrauscht mit Geflatter, Erschrocken [Geschnatter Oder eine Ringelnatter Schlüpft unters Wurzelgeflecht Oder im Altwasser steht ein glatter Grüngoldner Hecht. Aber nun, aus der grünen Grotte Von hundert Gerüchen gewürzt Nesseldurchflackert, lattichgeschürzt Kommt mit Schreien die Rotte Herausgestürzt Schmatzend im Schlamm Herauf zu den Weiden Am Uferdamm, Sich rasch zu entkleiden. Das sind nicht mehr bayerische Buben Entronnen Den dumpfen Stuben Gewonnen Dem neuen, dem unbekannten Gotte Verloren dem Lamm Dem Kreuze zum Spotte: Diedanacktaufden Steinen sich sonnen, Barbaren sind es, end junge Heiden Von iGlans marannen Wie das Wasser, das grüne Und weiße Auch zerre und reiße Wilder Wichel sie packt: ln Schlanke und kühne Werfen sie sich in das Brausen. Vorbei, wo mit Grausen Das Riff die schnelle Strudelnde Welle Zerhackt. Immer wieder hüpfen sie Orden bralen Szillde Glieder N RegEtern Ha HorsVlopfandiliegen wie Die Then ne Wo der Sand, der feine, heiße In der Glut des Lichtes backt. Endlich, in der Sonne Neigen Wird ihr lautes Rufen stiller. Tode Pipralzweigen Rauscht des Abendwindes Thriller. Frierend. klamm Steigen sie hinauf zum Uferdamm, Zitternd schlüpfen sie in Hemd, nackt... Hose. Strumpf und Schuh. Laufen schnaufend, abendfremd Durch das Grauen Der verzaubert stillen Auen Ihrem Dorfe zu. Schweigend traben sie und rennen. Hundert Kerzen brennen Im Gotteshaus. Lieblich, in der Blumen Pracht Strahlt die letzte Maiandacht. Klosterschüler. fromme Knaben, Die im Ion gebadet haben, Treten sie hinein Gläubig in den Weihrauchschimmer In den Lichterschein. Dann, beim Abendschmaus Hungrigwild, mit Räuberzähnen ssen sie, vergessen sie Schnell den frommen Sinn: Wie es ihnen schmeckt! Kaum, daß sie mit Strafen Bändigt der Präfekt! Doch im Schlafen. wähnen Sie noch immer Sich als wilde Schwimmer Zuekt im Mondenschein Lang noch Arm und Bein Rudernd übern Inn ... D:E.VMASE VON KURT SCHULZE Das Zimmer bel Frau Lehmann ist mir in unver- geßlicher Erinnerung. Es war ein Zimmer für einen Sportsmann. Wollte man sich ausziehen und den Anzug In den Schrank hängen, mußte man unter Aufbietung einiger Kräfte den schweren Eichen- tisch zur Selte rücken, der die Hälfte des Zimmers ausfüllte, Der Weg ins Bett führte dann allerdings über das gleiche Hindernis, das je nach Uhrzeit und physischer Verfassung durch Überkletiern oder Flankensprung genommen wurde. Morgens vollzog sich die sportliche Betätigung In umge- kehrter Richtung und Reihenfolge. Frau Lehmann lag anscheinend die sportliche Ertüchtigung ihrer Untermieter sehr am Herzen. Aber die gute Frau hatte auch Sinn für „Kunst und das Bestreben, In dieser Hinsicht auf die ihr anvertrauten künftigen Ehemänner erzieherisch einzuwirken. Da stand doch auf einem Tischchen zwischen den beiden Fenstern des Zimmers eine hellblaue Glas- vase mit Papierblumen. Heute halten meine Augen beim Mieten eines Zimmers argwöhnisch nach ähnlichen „Kunst“gegenständen Ausschau, deren Vorhandensein das Zustandekommen eines Miet- vertrages unweigerlich verhindert. Aber damals bei Frau Lehmann war ich noch Anfänger und kein ausgesprochener „Kunst”gegner. Die Vase war mir jedenfalls entgangen und ent- puppte sich nun als unangenehmer Mitbewohner meiner Junggesellenklause: sie fiel bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit um, wo- bei den Blumen stets eine Staubwolke entströmte, ten entgegen. Mein Ärger wuchs von Tag zu Tag. Ich beschloß schließlich, meiner Wirtin meine Abneigung gegen die Vase symbolisch kundzutun. Ich setzte also eines Morgens vor meinem Weggehen die Vase in die Ecke hinter dem Ofen. Aber am Abend stand sie in neuem Glanze auf dem überflüssigen Tischchen und fiel bei meinem Eintritt triumphie- rend um. Das war das Zeichen zum Beginn eines langen und zähen Kampfes zwischen meiner Wirtin und mir für und wider die „Kunst“, Die hell» blaue Vase aber war die sichtbare Waffe in diesem Kampfe zweier Weltanschauungen. Ich versteckte sie morgens: auf dem Schrank, im Schrank, in der Wäschekommode, unterm Bett, in der Ofenröhre — aber abends stand sie als Siegerin stets wieder am angestammien Platze. Ich lernte in Jenen Tagen erkennen, daß aus ab- gtundtiefem Haß Mordgedanken entstehen kön- nen, Und ich beging den Mord, planvoll und vor- sätzlich. Ich verwischte die Spuren der schreck- lichen Tat nicht. Nein, ich verließ vielmehr den Schauplatz des Schreckens lächelnd und mit einem Gefühl der Befreiung von meiner stillen Peinigerin. Es kam zu keinem Lokaltermin, zu keiner Verhand- lung. Am Abend waren alle Scherben beseitigt. Frau Lehmann sprach kein Wort über die Dahin- gegangene. Und am nächsten Tage fuhr ich für einige Zeit auf Urlaub. Ich saß im Speisewagen mit dem Gefühl eines Siegers und trank auf diesen Sieg eine Flasche Mitropa Silber. Wenige Tage später kam ich zurück in mein Jung- gesellenasyl. Auf dem Tischchen am Fenster stand eine hellblaue Vase mit Papierblumen. In der Tür- öffnung aber erschien gleich hinter mir Frau Leh- mann und begrüßte mich strahlend: „Damit Sie sehen, Herr Schulze, det ick nich nach- träglich bin.” 'norr & Hirth Kommanditgesellschalt, München, Sandlinger Straße 3 (Fomruf 1296). Brietänschrift: k, München. — Der Simplicis: zugspreise. Einzelnummer 30 Pf.; Nachdruck verbo ‚Abonı Fontscheckkonte "München 5920. Erfüllungsort LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückei) Jensen und Andersen hießen zwei unheimlich dicke dänische Komiker, die vor Jahren in den führenden Varietes der europälschen Hauptstädte auftraten und aus ihrer polizeiwidrigen Leibes- fülle vielbelachte groteske Wirkungen hernahmen. Eines Tages gerieten sie sich aus irgendeinem nichtigen Anlaß während des Zwischenaktes In die Haare. Der Streit wurde rasch hitzig, man be- schimpfte einander mit höhnenden und bissigen Worten. „Sie armer Wichtl” rief schließlich Jensen mit unsäglicher Verachtung, „Sie sind ja gar kein Original — ich war schon lange vor Ihnen dick!" * Kb: Der Geschäftsführer einer reisenden Schauspieler- truppe depeschierte an den Pächter des kleinen Provinztheaters, wo die Gesellschaft ein paar Tage später auftreten sollte: „Hauptprobe Montag drei Uhr. Hoffe, daß Spiel- leiter, Friseur, Beleuchter, Inspizient und Bühnen- arbeiter pünktlich anwesend.” Nach vier Stunden las er die Antwort: „Einverstanden. Der Mann ist zur Stelle.“ FF, München 2 BZ, Brieffach. us erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen. Zeilungsgeschäfte und Pont: im Mor — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto belliegt. — chen. Zusammenhänge (E. Thöny) „Hast es scho’ g’hört, an Lenz hat heut früh der Blitz derschlag’n?}" „| hab ma scho’ allawei denkt, der machts nimmer lang, weil er gar so schlecht ausg’schaugt hat!" Coerenze: “Hal giä sentito che Lenz fu colpito sfamane dal fulmine?,, — “Eh io me I" Immaglinavo sempre che non l"ayrebbe tirata plü in lungo; aveva una cera sl bruttal,, 448 München, 25. August1943 = 48. Jahrgang / Nummer 34 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Der. King wundert sich ee OLAC Avıenamssan 43 „Merkwürdig, ich bin immer noch da, obwohl man von mir nichts hört und sieht!“ Il *King,, si meraviglia: "Strano, io sono ancor sempre qui, sebbene nulla si senta e si veda di me!,, Glück im Spiel - Fortuna nel glocs A. W. Paul) „Junge, Junge, heut hab ich mein’ großen Tag — heut hol ich euch aus dem Becher, was ihr wollt!" „Dann hol uns man drei Zigarr'n raus, Hein!" "Ragazzl, ragazzl, oggi ho io la mia gran glornata ... oggi vi tiro fuori dal bussolofto quel che voletel,, — "Allora, Enrico, tiracl fuorl tre sigarit,, GEMSEN VON WALTER FOITZICK Jetzt habe ich also meine erste Gemse — ge- sehen, meine erste tote Gemse. Ihr Jäger saß im Trinkstübel des Gasthauses und hatte sie neben sich auf der Bank liegen. Sie ragte aus dem Rucksack heraus und hatte was Grünes in der — ja wie sage ich's meinem Weidmann? Weidmän- ner verstehen unsere Sprache so schwer, Also sie hatte etwas Grünes in der Schnauze, wobei, dies sei dem Weidmann erklärt, In unserer Sprache Schnauze diejenige Körperöffnung ist, mit der normalerweise die Nahrungsaufnahme erfolgt. Wir Hotelgäste sahen uns das, Tier an, und es sagte einer zum andern: „Ach, eine Gemsel”, denn wir wissen natürlich alle, was bei den Ein- geborenen eine Gemse Ist. Sie kommen in den Jägergeschichten aus dem Gebirge vor, und in den Jagdzimmern hängen ihre Hörner als Garde- robehalter an der Wand. Für die Jäger sei be- merkt, daß wir unter Hörner in unserer Sprache dasjenige verstehen, was der Weidmann „Krickl” nennt. Auf der Hotelterrässe steht ein Fernrohr, und in dieses Fernrohr sieht gelegentlich einer hinein und sagt: „Eben ist ein Rudel über die Schuttreiß'n drüben am Nordhang gewechselt!” Er meint Gem- sen, Überzeugen Sie sich selbst. Schauen sie hin- ein in das Fernrohr, Sie werden nichts entdecken. Auch ich habe schon durch viele Fernrohre ge- sehen, aber niemals Gemsen entdeckt. Mag seln, daß es In lebhafter besuchten Fremdenorten Fern- rohre mit einmontierten Gemsengruppen gibt. Gemsen gehören in die Berichte von Bergbestei- gungen wie Petersilie zum gebackenen Schnitzl. Man muß sie geschickt und diskret anbringen. Nur ganz Ausgekochte können erzählen, daß sie die Gemsen mit freiem Auge gesehen haben, und selbst ihnen glaubt kein Mensch. Die Gemsen dienen hauptsächlich zur Veralberung der Städter durch die knorrige Bergbevölkerung. Wenn die sächsische Sprache keine verbotene Sprache wäre, würden alle Geschichten über Gemsen auf sächsisch erzählt werden. Das ist aber gar nicht notwendig, wir anderen glauben auch nicht mehr an Gemsen, wir fallen nicht mehr auf diesen Scherzartikel der ewigen Berge herein, auf diese Osterhasen aus einer Höhe von über 2000 Meter. Wir aufgeweckten Leute wissen, daß es auch keine Gemsen gibt. Was also der Jäger im Rucksack hatte, weiß ich nicht, es sah ganz schmackhaft und gar nicht markenfrei aus, und die Gamskrickl wird er wohl aus einem Einrichtungsgeschäft mit einem Aus- weis für Bombengeschädigte bezogen haben. Was mich anbetrifft, ich habe die Gemsen schon längst zum alten Eisen oder Einhorn geworfen, 450 SEELEN-METEOROLOGIE Das Barometer ift gefallen. Melancholie fchlägt ihre Krallen dir ins Gemüt, Verfchloffen ift des Lichtes Pforte. Du hörft nur düftre Moll=Akkorde. Giftweizen blüht. Wie Blei fo fehmwer find deine Knochen. Aus allen Winkeln kommt gehrochen der Überdruß. Du bift gereizt wie eine Viper, ein kraffer, ekelhafter Hyper= äfthetikus ... Halt! Nein! So geht das Ding nicht weiter. Hol’ fehleunigft eine Feuerleiter und klett're zul Und mach dir klar, du.blöder Peter: x wenn es fchon fiel, das Barometer, fo fteig’ halt du ! Ratatöshr Sowjetischer Massensturm (Wilhelm Schulz) „Sollte ich tatsächlich in meinem eigenen Blut ersaufen? Ich wollte doch eigentlich die anderen darin ertränken!" Assalto sovietico in massa: “Che debba proprio io affogarmi nel mio sangue? In realtä volevo annegarvi dentro gli altri!,, 451 Neid - Invidia (Magon) „Sehen Sie doch, Fräulein Emma, wie sich diese verliebten Falter umgaukeln!" „Ach ja, wenn man Flügel hat, Ist alles so einfach!“ "Vedete un po’, signorina Emma, come volteggiano queste due farfalle Innamorate!,, “Ah sl ... quando si ha all, fuffo & sl facile},, DAS GEWITTER VON KURT GROOS Als Rainer den Wartesaal betrat, überlegte er gleich, ob er nicht besser umkehren sollte, denn der große Raum war bis zum Bersten gefüllt; es war Sonnabend. In kurzen Intervallen drang ein zum Summen abgedämpftes Brausen der ein- und auslaufenden Vorortzüge durch die dicken Mauern. Immer neue Menschen kamen und gingen. Es war eigenartig anzusehen, wie träge sie sich heute bewegten oder an ihren Tischen herumsaßen; es war ein lastender Abend. In der Mitte des Saales wollte Rainer endgültig umkehren, verwarf aber seinen Entschluß im letz- ten Augenblick, als ein ganz In der Nähe sitzender korpulenter Herr, dem er irgendwo mal vorgestellt worden war, zahlte, sich erhob und Rainer seinen Platz anbot. Am gleichen Tisch mit Rainer saßen zwei Männer, von denen der eine, der ältere, einen Zwicker anormal hoch auf der Nase sitzen hatte, bedingt durch eine dicke Warze auf der Nasenwurzel. Der hochsitzende Zwicker gab sei- nem Träger etwas Hochmütiges, obgleich er wäß- rige und demütige Augen und eine energielos nach unten gezogene Nase hatte. Dem mit, dem Zwicker gegenüber saß ein jüngerer Mann, an- scheinend der Sohn des anderen; allerdings ohne Warze und mit ein wenig lebhafteren Augen, jedoch mit der gleichen nach unten gezogenen Nase. Beide machten einen unendlich gelangwell- ten Eindruck, Zwischen den Männern saß ein Junges Mädchen; anfangs schien es Rainer, als gehöre es nicht zu den beiden. Aber dann richtete der mit der Warze gleichzeitig das Wort an das Junge Mäd- chen und den jungen Mann. Er meinte, daß so ein Spaziergang doch anstrenge, und er sagte, „ich habe mit Jonas und Macketau in der ‚Sommerburg' die ganze Zeit Skat gespielt, während ihr beiden den Spaziergang zur Fasanerie machtet.” „Blst du müde?“ fragte der Junge Mann das Mäd- chen, das den Kopf schüttelte und die Lippen leicht nach unten verzog. „Wovon soll ich denn müde sein?“ Aber das Mädchen sah doch müde aus. Dann sprach lange Zeit niemand mehr am Tisch. Die Luft wurde immer noch drückender und schwü- 452 ler, so schwül und drückend, daß manche stöhn- ten. Alles litt unter der Vorgewitterstimmung, die nun schon den ganzen Tag in der Luft hing. Aber das Gewitter entlud sich immer noch nicht; Dumpf- heit und innere Spannung hielten sich lähmend die Waage. Die Kellner bekamen von dem Geschäftsführer den Auftrag, die großen Fenster des Saales weit zu öffnen; die Hitze und die schlechte Luft waren unerträglich geworden. Aber durch das Oflnen der Fenster wurde es nur wenig besser. Die Luft stand unbeweglich, sie schien zum Schneiden dick und das Drückende wurde noch sinnbildlicher durch den jetzt In den Fensterausschnitten sicht- baren Himmel, der wie rötlichgelbes schmelzendes Metall über den schmutzig-violett erscheinenden Dächern stand, Das Mädchen, das Rainer gegenüber saß, preßte aus ihrer Starre plötzlich ganz schnell, zuckend, eine Hand auf das Herz, und im gleichen Augen- blick flammte ein fahler Blitz durch das rötlich- gelbe Brodeln über den Dächern, Lähmung und Spannung für Sekunden noch steigernd, Dann flammten hellere Blitze auf; das fahle Leuchten wurde zum grellen, peitschenden Zucken, dem berstendes Krachen folgte — hemmungslos pras- selnd strömte der Regen. Rainer schien es, als seien alle Menschen in dem großen Wartesaal nun zu einem einzigen, tief " Atem schöpfenden Wesen geworden, denn dieses Entspannen, dieses Weichen eines unerträglichen Druckes erfaßte sie alle zugleich — ein lähmen- der Bann war gebrochen. Auf einmal war es auch ganz kühl geworden durch die Luft, die durch die hohen Fenster in den Saal strich; eine wunder- volle Kühle. Da sah Rainer, daß das Mädchen zwischen den beiden alltäglichen Männern sehr schön war, Ein elgenartiges Mädchen mit ganz grauen verhange- nen Augen, aber ein Mädchen ohne Aufmachung. Es dehnte sich jetzt etwas zu frei; vorher hatte es zusammengesunken gesessen, Jetzt dehnte es sich so, daß man durch die dünne Bluse die Kup- pen der hochgerichteten Brüste sah. „Ha, das tut gut!” sagte der Mann mit dem Zwik- ker und der Jüngere bestätigte es und sagte: ‚Ordentlich neugeboren fühlt man sich nach solch einem Gewitter“ Kaum hatte er das ausgesprochen, da geschah etwas Eigenartiges; das Junge Mädchen stand mit einem Ruck auf und schlug dem Jungen Mann die Hand in das Gesicht, riß Ihre Handtasche an sich und lief aus dem Wartesaal. + Die Umsitzenden rückten die Stühle, wunderten sich, machten Bemerkungen und starrten, sichtlich er- freut Über diese unerwartete abendliche Sensation, auf die beiden Männer, von denen dem älteren der Zwicker von der Nase gefallen war, so daß er gar nicht mehr hochmütig aussah, während der Jüngere wohl nicht alles begriffen hatte, denn er ließ den Mund offenstehen und lächelte etwas erbärmlich. „Da hat man doch...”, rief der mit der Warze schließlich, „na, das ist denn aber — nein, sowas, Emill Nun komm doch zu dir, Emill" Der bedie- nende Kellner war Weltmann genug, dieser pein- lichen Situation durch sein schnelles Erscheinen ein Ende zu bereiten. Die beiden Männer zahlten und zogen verlegen bei gemacht trotziger Haltung ab; auch Rainer zahlte sein ungetrunkenes Bier und verließ den Wartesaal. Draußen blieb er einige Minuten stehen; es kamen ihm eigenartige Gedanken. Dann schlenderte er, immer noch In Gedanken, aber schon mit einem Entschluß, zur Omnibus-Haltestelle; er bekam den letzten Wagen zur Fasanerie, kurz vorher war der zur „Sommerburg” abgefahren. Als Rainer das Ziel erreicht hatte, bog er von der Chaussee ab; ‘er ging den schmalen Pfad durch die Schonungen. Es war eine wundervolle Nacht; ein würziger Ge- ruch aus Bäumen und Blumen mischte sich mit dem süßlichdumpfen moderndenHolzes und dem feuch- ten der atmenden Erde. Rainer hatte den halben Weg von der Fasanerie zur „Sommerburg” zurückgelegt, als Ihm das Mäd- chen aus dem Wartesaal entgegenkam, Sie muß- ten sich im gleichen Augenblick gesehen haben, denn beide stockten ein wenig, einen Herzschlag lang — dann aber gingen sie aufeinander zu. Der Angsttraum ten „Jessas, Amali — jetzt hımm ma ja beim Mittagessen mangelhaft verdunkeltt“ Il sogno pauroso: "Gesd Marla! Amalla ... adesso a pranzo abblamo oscurato malel,, 453 DAS DURCHGANGSZIMMER Auf dem Schild stand „Sepp Obertrauners Gast- hof zur Billigkeit”‘ und unten auf einem Zettel: „Fremdenzimmer von RM. 2.50 pro Bett aufwärts.” Herr und Frau Bartel wechselten einen Blick er- freuten Einverständnisses und traten ein. „Wir möchten ein billiges Zimmer haben um zwei- mal RM. 2.50.” „Woll, woll”, sagte der alte Obertrauner und sog an der Pfeife. „Aber ’s Ischt halt ein Durchgangs- zimmer. Das zweite ischt schon besetzt von zwei Herren. Die gehen aber sicher früher schlafen. Und im dritten ist eine alte Sommerpartei.”“ Das Ehepaar beriet eine Weile. Es war schon Abend, sie waren müde und wollten sich heute nach der langen Bahnfahrt tüchtig ausschlafen. Sie nahmen das Zimmer. Es war recht nett, ganz neu, Das Holz der Wände und der Möbel hatte noch den Geruch von Wald und Sägewerk. Außer der Eingangstüre gab es noch zwei Türen. Die @ine war verschlossen und führte auf die zukünf- tige Veranda, von der bisher nur die Stützbalken und einige Bretter vorhanden waren. Die zweite führte In das Nebenzimmer Nr. 2. Sie legten die Rucksäcke ab, kleideten sich um und gingen In die-Wirtsstube hinab. Diese war ein alter winke- liger Raum mit elektrischem Licht, zumUnterschied von den oberen Zimmern, in denen noch dieLicht- leituhg fehlte. Die Stube war gemütlich, das Essen gut; es gab sogar auch Tiroler Wein. Drüben In der Ecke saßen die beiden Bewohner des Nachbarzimmers. Sie waren keine Touristen, sondern trugen graubraune Anzüge mit langen Hosen. Unter dem Tisch hatten sie einen großen Koffer, aus dem sie hie und da etwas hervorlang- ten und aufmerksam betrachteten, wobel sie stats ganz nahe zusammenrückten und mißtrauisch In die Runde spähten, Sie redeten ununterbrochen halblaut, mit lebhaften Handbewegungen. Beide waren schon mehrere ‚Tage nicht rasiert und ihre dunklen Bartstoppeln verliehen ihnen einen wü- sten Ausdruck, Frau Bartel war eine gute Touristin und in Gefah- ten durchaus tapfer.'In einem Punkt jedoch hatte sie eine unüberwindlicheSchwäche. Das war eine, vielleicht durch Kinoromantik von einst her- vorgerufene Angst vor Verbrechern, Wenn ihr Mann einmal des Abends nicht zu Hause war, pflegte sie sämtliche Zimmertüren abzusperren. Und vor dem Schlafengehen leuchtete sie unter alle Betten, sogar unter die Schränke, unter denen nur ganz flache Verbrecher von der Form einer Wanze hätten liegen können. Herr Bartel wußte das und versuchte durch heitere Reden und etwas Wein Ihre Bedenken zu zerstreuen. Aber Frau Bar- tel spähte Immer wieder unruhig hinüber und er- klärte, daß man unbedingt abwarten müsse, bis die beiden Männer schlafen gegangen seien, da- mit man dann hinter ihnen die Tür fest versperren könne. Sie warteten also, obwohl sie beide schon ein starkes Schlafbedürfnis empfanden. Aber die bei- den Nachbarn rührten sich nicht vom Platze. Es fehlte nicht mehr viel auf Mitternacht, Da hielt es Herr Bartel nicht mehr aus. Gähnend erhob er sich und sagte: „Jetzt gehen wir.” Schlaftrunken tapp- ten sie die Treppe hinauf und zündeten das win- zige Kerzenstümpfchen an, das auf einem Nacht- kästchen stand. Dann nehm Frau Bartel aus dem Rucksack die lange Hutnadel, ein Erbstück der Großmutter, welche sie (die Hutnadel) immer auf den Reisen mit sich führte, und stach damit durch die Matratzen und Polster, Niemand war darinnen, nur ein paar Ohrwürmer ergriffen entsetzt die Flucht. Die Schränke waren leer. Im Nachtkästchen hockte kein verbrecherischer Zwerg. Im Ofen lagen keine Bomben, nur einige alte Käsepaplere. Nachdem noch Herr Bartel im Auftrag seiner Frau unter die Betten geleuchtet hatte, gingen sie zu Bett. „Ich bitte dich, nimm den Eispickel In die Hand; VON BRUNO WOLFGANG so lange, bis sie durchgegangen sind“, flehte Frau Bartel. Sie selbst bewaffnete sich mit dem großen Schnappmesser ihres Mannes. Dann löschten sie das Licht und warteten. Jede Minute rief Frau Bartel ängstlich: „Daß du mir nicht einschläfst, Ru- dolfi Uberhaupt, sprich etwas.” Herr Baıtel ver- suchte nun, mühselig mit dem Schlaf kämpfend, irgend etwas zu reden, aber die Gedanken ge- horchten ihm nicht mehr, Mechanisch begann er schläfrig Schillers Glocke herzusagen: „Fest ge- mauert in der Erden.. “ Bei „... docn den sichern Bürger schrecket nicht die Nacht, die den Bösen gräßlich wecket” fuhr seine Frau auf und rief: „Jetzt!” Uber die Treppe tapp- ten schwere Schritte hinauf, leise fingerte es an der Türklinke, dann schoben sich-schnaufend die beiden Männer durch das Zimmer; sie schleppten offenbar den Koffer. Dann öffnete und schloß sich dieNebentüre. Nichts war geschehen. Noch nichts. Hastig flüsterte Frau Bartel, während sie das Licht anzündete: „Schnell, sperr ab!“ Rasch fuhr er aus dem Bett und eilte zur Tür, „Es ist kein Schlüssel da”, flüsterte er. „Um Gotteswillen, suchen wir, er muß da sein.” Sie durchsuchten das ganze Zimmer. Nirgends eine Spur des Schlüssels, „Nein, da muß etwas geschehen, sonst kann ich die ganze Nacht kein Auge zutun. Die Zwei sind Verbrecher. Ich fühle es.” „Aber Ilse! Auch Verbrecher verbrechen nicht täg- lich. Auch sie müssen ausruhen. Und auf uns Im billigsten Zimmer haben sie es ganz gewiß nicht abgesehen” „Das kannst du nicht wissen. Nimm das Wasch- becken und lehne es oben auf dem Türstock an, aber ganz lose. Wickle diese Schnur herum und GURKE IN EINEM BAYRISCHEN BAUERNGARTEN Wasserfressend, wasserspeichernd, Eine gelbgefleckte Schlange, Ihren Umfang täglich steigernd, Unter langgestielten Blättern Lauert sie nach Regenwettern. In gefräßigem Wachstumsdrange Kriecht sie durdı den Bauernzaun, Um die Straße zu beschau'n, Füße, Röcke, Waden, Wagen. Andre liegen mit Behagen Träge auf der fetten Erde, Auf dem schweren Dung und Mist, Der dem braunen Ackerpferde Rauchend unterm Schwanz entfallen ist. Gurken ähneln großen Nasen, Oder umgekehrt. Mancher Magen wird durch sie beschwert Und von Rülpsern aufgeblasen. Und sie stößt den Groll hervor, dicksatt, Den sie in der Sonnenhitze Oder mit dem schwülen Nachtgewitterblitze In sich eingezogen hat. Anton Schnack 454 binde sie an die Türklinke an. Die Klinke müssen sie niederdrücken, wenn sie sich zu uns herüber- schleichen wollen. Da fällt das Waschbecken her- unter und machtLärm. Dann rücke denKübel einen Schritt vor die Türe, und mit der unteren Kante auf einen deiner Schuhe, so daß der Kübel beim leisesten Anstoß umfällt. Dann stelle die beiden Sessel dorthin und verbinde sia mit einer Schnur. Auch die Sessel müssen schie/ stehen, damit sie sofort umkippen. Was könnte man noch tun? Den Eispickel mußt du im Bett behalten, ich nehme das Messer, und die Gläser samt der Wasserflasche vertelle auf dem Fußboden.” Nachdem Herr Bartel dies alles gewissenhaft aus- geführt hatte, erlosch das Kerzenstümpfchen ge- trade von selbst, Sie versuchten einzuschlafen. Das war aber einstwellen nicht möglich. Denn die bei- den Nachbarn redeten noch immer, Obwohl sie leise sprachen, konnte Frau Bartel jedes Wort hören: „Du hättest ihm den Fuß abschneiden, nicht ausreißen sollen. Jetzt Ist auch ein Stück von der Bauchdecke mitgegangen.” „Na, das ist kein Unglück. Wir haben Ja noch einen.” „Und wie oft hab ich dir schon gesagt, beim Kopf muß man besonders aufpassen. Du mußt dich im- mer erst Überzeugen, ob er wirklich tot Ist, sonst macht er noch einen Rucker, und die ganze Ar- beit ist umsonst.“ „Der war ganz tot, kannst ruhig sein. Noch toter als deiner. Ich werd’s‘doch wissen. Ich hab das vielleicht öfter gemacht als du. Der Kopf ist von selber abgefallen. Wahrscneinlich hast du zu stark gedrückt, wie du ihn betäubt hast.” Sie stritten noch ein wenig, dann wurden sie plötzlich still und begannen jenen gesunden Schlaf zu schlafen, der anscheinend Gerechten und Ungerechten gleichmäßig beschieden oder verwehrt wird. Mit bebender Stimme stammelte Frau Bartel: „Rudolf, hast du gehört? Entsetzlich. Es sind Mörder, Sie haben Leichen Im Koffer. Ich habe es geahnt. Steh sofort auf, Wir müssen fort. Lieber schlafe Ich auf der Straße. Ich bitte dich, halt nur den Eispickel fest Wie oft habe ich dir schon gesagt: Kaufe einen Revolver, Abes. du hörst Ja nicht auf meine Worte, bis os zu spät Ist.” In diesem Augenblicke begann es wieder vorsich- tig die Treppe hinanzutappen, Hastig griff Frau Bartel nach dem Fenster. Lieber ein Sprung Ins Freie, als hingeschlach'et zu werden, Sie wollte um Hilfe rufen, aber die Stimme versagte Ihr. Die Türe ging -uf und eine Männerstimme sagte: „Paß auf, Therese, tritt leise auf, hier schlafen Leute. Wir müssen durch zwei Zimmer gehen. Man muß Rücksicht haben.” „Ja, August”, entgegnete eine zitternde Frauen- stimme, „aber nimm mich bei der Hand, Ich fürchte mich.“ Plötzlich fiel ein Glas um, gleich darauf die Was- serflasche. „Aber Therese, ich habe dir doch gesagt, du sollst aufpassen”, zischte der Mann, „du bist so ungeschickt; du mußt so wie ich. .‚” Er sprach es nicht zu Ende. Denn nun warf er selbst beide Stühle um und schon polterte auch das blecherne Waschbecken mit großem Getöse zu Boden. „Entschuldigen Sie vielmals, meine Herrschaften”, murmelte der Mann bestürzt, als er aus dem Kra- chen der Betten entnehmen konnte, daß sich die Bewohner des Zimmers aufrichteten. Rasch zog er selne Frau ins Nebenzimmer. Ahnungslos wie Lämmer betraten sie die Löwenhöhle. Frau Bartel hielt den Atem an und lauschte. Bebend erwartete sie ein schreckliches, lautloses Ringen und das Gurgeln erstickter Wehrufe. Aber nichts geschah. Es wurde noch eine Tür geöffnet, Dann war es wleder still. Die beiden Verbrecher schnarchten um die Wette weiter. „Nun komm rasch fort, Rudolfl’ „Ilse, glaube mir, die beiden Männer sind sicher Das Geheimnis (R. Kriesch) Pr \ > vi € | BE j ij $ et ER% t - Be „Aber schwöre mir, daß du das nicht weitererzählst — ich hab's auch geschworen!" ll segreto: “Ma giurami che non lo racconteral ad altri ... anch’ io I'ho giuratol,, 455 Im Gasthaus zum „Goldenen Bock“ - Nella locanda al “Becco d'oro,, III S IT Re UK INN alla) INN ganz harmlos. Und wenn sie üble Absichten ha- ben, werden sie bestimmt nicht uns, sondern die anderen wählen. Schlafen wir ruhig ein.” Es dauerte noch geraume Zeit, bis Herr Bartel seine Frau überreden konnte, zu bleiben. Er mußte jedoch die Barrikaden alle wieder instand setzen und auch die Außentüre durch einen vorgefunde- nen Stiefelknecht und den Spirltuskocher sichern. „Hast du den Eispickel?" „a“ „Schlaf nicht ein, ich bitte dich!” „Nein." „Sprich noch etwas.” „Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis,” Herr Bartel murmelte Immer leiser, dann schlief er ein. Da weckte ihr‘ die Stimme seiner Frau: „Ru- dolf, hörst du nichts?“ Er richtete sich auf und In der Tat, er hörte etwas, Diesmal vor den Fenstern. Ein leises Tappen und Schleichen. Es kam immer näher. Eine Hand stieß an eine Fensterscheibe, Unerklärlich. Im zweiten Stockwerk. Gab es auch noch Gespenster In diesem Gasthof des Grauens?” „Rudolf, sel bereitl“, schrie Frau Bartel und sprang aus dem Bett in die Mitte des Zimmers. Gläser fielen klirrend um, die Flasche rollte pumpernd bis zur Wand. Draußen ächzten Bretter, Hände tasteten die Wand ab, leise Stimmen murmelten. Dann entfernte sich das Geräusch, Es wurde still. „Ich halte es nicht mehr aus“, stöhnte Frau Bartel. „Ich werde wahnsinnig. Komm! Rasch!” Es blieb nichts übrig, Herr Bartel belud sich mit Je einem Polster und einer Decke. Sie stiegen in die Wirtsstube hinunter und streckten sich auf die Bänke aus. Aber auch hier fanden sle nicht die er- sehnte Ruhe. Nach kaum einer halben Stunde Müsterte Frau Bartel abermals: „Rudolf, was raschelt da fortwährend so sonderbar?” Bartel hörte es wohl. Aber es erschien ihm sanft und anheimelnd gegenüber den Schrecken des Durchgangszimmers. Das Scharren klang allerdings seltsam wie die nächtliche Arbeit riesiger Ratten. Er nahm den Eispickel und ging In der Richtung des Geräusches vorsichtig los. Plötzlich fuhr ihm etwas zwischen den Beinen durch, mit heftigem Geschrei und Ge- gacker. Auch Frau Bartel schrie auf. Ein paar Hühner, die sich hier des Nachts eingerichtet hat- RAST Alle Worte sind klein und zu erahnen kaum: Ja, so köstlich ist ein blühender Baum. Zartestes wiegen die Zweige: Wie sie greifen ins Blau! Bienensang, tröstliche Geige... Bist du noch müde? Schau! Oh, wer so blühen kann! Liebling der Sonne, sieht er lüächelnd mit an die kurze Rast der Kolonne. Josef Guggenmos 456 (Fr, Bilek) ten, stoben davon und einige von Ihnen liefen In ihrer Herzensangst geradewegs über Frau Bartels ‚Gesicht. Herr Bartel lachte gefühllos. „Jetzt glaube ich, könnten wir aber wirklich schlafen.” Seine Frau schöämte sich ein wenig und tat nun so, als schliefe sie wirklich. In Wahrheit lauschte sie noch auf allerlei Geräusche, Ketlengerassel, Schnauben und Stampfen. Allmählich aber überwältigte sie doch die Müdigkeit. Wie im Traum hörte sie noch oben im Zimmer den ganzen sinnreichen Sicher- heitsapparat zusammenrumpeln. Leise Flüche er- tönten, gedämpfte Schritte huschten, das Haustor knarrte leise. Dann schlief sie ein. Sie erwachte erst mit einem lauten Schrei, als sich eine Geister- hand feucht und warm über ihr Gesicht legte. Es war aber nur ein großer, brauner Hund, der im Morgengrauen neben ihrem Lager stand und Ihr treuherzig das Gesicht leckte. Die Schreckensnacht, war zu Ende. Auf die Vor- würfe der Frau Bart! erwiderte der Wirt, daß das alte Ehepaar im dritten Zimmer sonst Immer schon um acht Uhr zuBett gahe, sich aber diesmal leider auf einem Ausflug verspätet habe. Sonst wären die Herrschaften nicht belästigt worden. Denn das Personal, das im vierten Zimmer schlafe, habe strengen Auftrag, an der Außensejte über die Bretter der unvollendeten Veranda In sein Zimmer zu schleichen. Und die beiden Herren im Nach- barzimmer seien keine Verbrecher, sondern harm- löse Käfersammler. Da zahlte Herr Bartel fünf Mark und stieg mit sel- ner Frau auf die nächste Bergwiese, um sich dort, wo die Natur Ruhe und Billigkelt verschwende- tisch gewährt, endlich einmal gründlich auszu- schlafen. England in Indien „Was hat denn der Kerl angestellt?* (Erich Schliling) „Er will es nicht glauben, daß England für seine Freiheit kämpft!“ L’ Inghilterra nelle Indie: "Cosa ha commesso quel figuro?,, — "Non vuole credere che |’ Inghilterra combatta per la sua libertä!,, MEIN FREUND JOHANNES Ich war sehr, sehr enttäuscht. Die ganze Woche hatte ich mich schon auf diesen Sonntag gefreut. So richtig gründlich wollte ich Ihn genießen. Vor allem mal ausschlafen. So lange im Bett bleiben, bis die Post käme. Sicher würde sie mir doch einen besonders netten Brief brin- gen. Damit wäre dann die Stimmung für den gan- zen Tag gesichert. Na ja, also ausgeschlafen hatte ich. Und auch die Post war gekommen, Aber das, was sie mir brachte, war keineswegs ein besonders netter Brief, sondern mein Steuerbescheid. Kein Wunder also, daß ich nun sehr, sehr ent- täuscht war. Betrübt saß ich beim Frühstück. Da klingelte es wieder an der Haustür. Mißmutig öffnete ich und fand Johannes. Er setzte sich zu mir an den Tisch, trank eine Tasse Kaffee mit und erzählte allerhand, 457 Schließlich fiel ihm wohl meine Schweigsamkeit auf. „Hast du Ärger gehabt?” fragte er. Ich erzählte ihm die Geschichte mit dem Steuer- bescheid. „Ungefähr schloß Ich. „Tausend Mark?” wiederholte Johannes. „Und da bist du betrübt? Mein Gott, wie würde ich mich freuen, wenn ich mal so viel Einkommensteuer bezahlen müßte!” J.B. zahlen!" tausend Mark soll ich Unbewaffnet (X. Helligenstaedt) „Der Chef sieht's nicht gern, wenn die Damen die Beine so übereinanderschlagen _ aber Sie haben ja keine Strümpfe an .. .! . Disarmato: "Il principale non ama vedere che le signore mettano le gambe cosl I" una sopra l’altra ... ah, ma Voi non portate calze ...!,, 458 DER BLITZZUG HÄLT IN ÖLBJÄRG Es fing damit an, daß auf dem Bahnhof des däni- schen Städichens Olbjärg ein Telegramm einlief, das so lautete: Auf Veranlassung des Hofmarschallamts hält Blitz- zug 15 morgen außerfahrplanmäßig In Olbjärg + 2. Distrikt + Der Eisenbahnassistent war sich sofort darüber klar, was das bedeutete: ein Königsbesuch in Olbjärg! Welche Sensation! Obwohl das Telegramm nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, so war dessen Inhalt doch so span- nend, daß der Assistent es nicht lassen konnte, davon zu erzählen, als er in den Krug kam, um zu Abend zu essen, Das war doch endlich einmal eine Neuigkeit! Der Krugwirt geriet dermaßen in Erregung, daß er seinen Priem ausspuckte und äußerte, daß das für lange Zeit das größte Ereignis in der Geschichte Olbjärgs bleiben würde, Jedenfalls war niemals mehr etwas so Aufsehenerregendes geschehen seit damals, als der versoffene Armenhäusler Pimpe-Anders Amok gelaufen und den Gemeinde- vorstand mit einer Bürste bedroht hatte, was zur Folge hatte, daß Pimpe-Anders auf Gemeinde- kosten zwangsweise in ein Trinkerheim zu einer Entwöhnungskur eingeliefert worden war. Aber nun war das Ja für Olbjärg eine ganz anders- geartete, stolze und ehrenhafte Begebenheit, die da bevorstand! Für eine Zeitlang würde Olbjärg für das ganze Land im Mittelpunkt des Interesses stehen. Der Rundfunk würde darüber berichten und alle Zeitungen würden schreiben: Königs- besuch in Olbjärg! Der Krugwirt konnte Im Grunde genommen recht gut verstehen, daß man es allerhöchsten Ortes als eine reine Pflicht ansehen mußte, Olbjärg einmal zu besuchen: Olbjärg war wirklich eine Muster- gemeinde! . * Die Neuigkeit von dem Königsbesuch breitete sich wie Feuer in einem Heuschober aus. Der Krugwirt teilte sie dem Geschäftsführer des Bauernvereins mit, und als sie erst in den „Kultur- zentren‘‘ — Krug, Bauernverein und Fernsprech- amt — bekanntgeworden war, dauerte es auch nicht mehr lange, bis ale sie kannten. Selbst auf dem entferntesten Hof wußte man es: Morgen kommt der Königl Am Abend hielt der Gemeinderat im Krüge eine Sitzung ab: es mußte doch über einen geziemen- den Empfang für Seine Majestät beratschlagt wer- den. Verschiedene Redner ergriffen das Wort. Mit - Eifer wurde diskutiert, und schließlich gelang es, über das Festprogramm eine Einigung zu erzielen. Der Gemeindevorstand mit Sören Spillemands Vier-Mann-Kapelle an der Spitze sollte Seine Majestät auf dem Bahnsteig empfangen. Wenn der Zug einlief, sollte die Kapelle die Königshymne spielen, worauf der Gemeindevorsteher vortreten und die Bewillkommnungsrede halten würde (man ‚darf Ja nicht glauben, daß der Gemeindevorsteher etwa irgendetwas fürs Knopfloch erhoffte — bei- leibe nicht!), Nach dem pompösen Empfang sollten die hohen Herrschaften im Wagen des Gemeindevorstehers durch die Hauptstraße gefahren werden, die mit Flaggen und Girlanden geschmückt werden sollte — geradeso wie kürzlich bei der Rinderschau. Im Kruge sollte ein großes Festessen stattfinden — ein Punkt, zu dem der Krugwirt seine wärmste Zustimmung gab. Kurz: es sollte ein Empfang wer- den, der sowohl der Stadt als auch dem hohen Gaste zur Ehre gereichtel Unter gespannter Erwartung auf die Ereignisse des folgenden Tages schloß die Sitzung. Der Ge- meindevorsteher machte sich rasch auf den Heim- weg, um die Festrede auszuarbeiten, der Ge- meinderat wollte die Ausschmückung in die Wege leiten ünd die Krugwirtin hatte genug mit der Vor- bereitung des Festessens zu tun. VON AAGE vV. HOVMAND Der große Tag begann und fand Dlbjärg so fest- lich gekleidet, daß es kaum wiederzuerkennen war, Überall war sauber gemacht und aufgeräumt, die Häuser waren mit Fahnen geschmückt, die Gartenwege frisch geharkt und die Haupistraße geschmückt mit Reihen von Fahnenstangen mit Girlanden und knatternden Flaggen. Vor dem, Bahnhof war eine Ehrenpforte errichtet worden mit der Inschrift: Herzlich willkommen! Auf dem Bahnsteig versammelten sich die Hono- ratioren mit. feierlichen Mienen und in feinster Aufmachung. Naphtalinduftende Gehröcke waren aus ihren Behältnissen hervorgeholt worden und wurden in der frischen Brise ausgelüftet. Sören Spillemands Kapelle bildete eine Gruppe für sich und spitzte ab und zu einmal die kalt geworde- nen Lippen, um die Instrumente zu probieren. In geziemendem Abstand hinter den Repräsentan- ten der Öffentlichkeit drängte sich eine große Schar Neugieriger. Die Schuljugend hatte frei be- kommen. Und jetzt... jetzt sah man wirklich — weit da draußen — einen kleinen roten Punkt, der rasch größer wurde: der Blitzzug! Der Blitzzug, für den an allen anderen Tagen des Jahres Olbjärg nichts anderes war als ein kleiner Krähwinkel, durch den der Zug in sausender Fahrt hindurchdonnerte und nichts hinterließ als eine Wolke von Staub, in der Papierfeizen und Unrat in die Höhe wirbel- ten. Aber der heutige Tag sollte nicht so sein wie öndere Tage: heute würde der Blitzzug hal- ten, In Olbjärg halten! Heute war Olbjärg ebenso wichtig wie die großen Städte, ja, wichtiger noch! Die Spannung stieg. Die Musikanten fingerten fieberhaft an Ihren Hörnern herum. Der Gemeinde- vorsteher durchflog zum 117. Male in Gedanken seine Rede. Nun ratterte der Zug über die Weichenstraße. Würde er anhalten? Ja — jetzt begannen die Bremsbacken an den Rädern zu schleifen, Die schweren Wagen verloren an Fahrt, Die Bremsen kreischten. Sören Spillemands Vier-Mann-Kapelle setzte die Hörner an den Mund. Der Blitzzug hatte gehalten. Die Kapelle stimmte die Königs- hymne an; im langsamen Maestoso erklangen die ersten Takte. Erwartungsvolle Blicke suchten die Wagentüren ab. Nun öffnete sich eine... Heraus- stieg, langsam und sich vorsichtig am Handgriff festhaltend, um von dem hohen Tritibrett auf den niedrigen Bahnsteig herunterzukommen, ohne ein in Zeitungspapier gewickeltes Paket zu beschädi- gen, das er unter dem Arme trug — Pimpe-Anders! Etwas schwankend stand er da, heimgekehrt aus der Trinkerheilanstalt, auf dem roten Läufer, wäh- rend seine starren, spritumflorten Augen mit Ver- wunderung die bekannten Gesichter der höchsten Behörden seiner Unterhaltsgemeinde erblickten. Dann und wann kullerte eine helle Träne der Rüh- rung (oder des Branntweins) über seine wetier- harten Wangen hinab. Den Bläsern erstarben die Töne Im Munde. Keine menschliche Stimme brach das drückende Schwel- gen. DerGemeindevorsteher fühlte dieBlicke der Menge auf sich ruhen. Jetzt hatte er überhaupt keine Lust mehr, eine Fesirede zu halten. Aber man wartete augenscheinlich darauf, daß er etwas sagen würde. Die langelnstudierte Ansprache summte in seinem Kopf herum. „Eure Ma...” wollte er beginnen. „Hm — Anders!“ verbesserte er sich. Und dann folgte eine Rede, die etwas anders ausfiel, als die geplante: eine kombinierte Begrüßungs- und Mahn- rede. Der Gemeindevorsteher hielt Anders vor, wieviel die Gemeinde für ihn geopfert hätte. Er sprach die Hoffnung aus, daß die jetzt abgeschlos- sene Reise einen heilsamen Einfluß haben möchte und er wünschte, daß Anders von jetzt ab ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft werden möchte. Pimpe-Anders hörte sich die Ansprache mit ge- ziemendem Ernst an. Über seine Lippen kam ab „und zu ein bescheidenes Aufschlucken. Die Fahrt durch die fahnengeschmückte Straße fand unter dem Hurra-Rufen der Menge statt. Unterwegs bekam dann der Gemeindevorsteher die Aufklärung des Ganzen: Der König hatte am Vortage das Trinkerheim besichtigt. Er hatte sich mit verschiedenen Insassen unterhalten, unter an- deren mit Pimpe-Anders, der erzählt hatte, daß er gerade wieder nach Hause sollte. Der König war sehr freundlich gewesen und hatte gefragt, ob er sich darüber freute und woher er wäre und wie er reisen wollte. Da hatte Anders erzählt, daß die Gemeinde keine Schnellzugkarte für ihn bezahlen wollte. Und er wollte doch so gerne einmal wissen, wie das wäre, mit dem Blltzzug zu fahren. Der König hatte bemerkt, daß es vielleicht gar nicht so gut wäre, wenn Anders die lange Strecke mit dem Bummelzug fahren würde: es gab Auf- enthalte auf den Umsteigebahnhöfen und ver- schiedene Wirtschaften unterwegs, die ihn in die Versuchung bringen könnten, rückfällig zu werden. Deshalb hatte der König ihm Geld für eine Schnell- zugkarte und für eine Platzkarte gegeben und zu seinem Adjutanten gesagt, daß man für ein ein- ziges Mal die Staatsbahnen bitten möge, den Blitz- zug dort halten zu lassen, wo der Mann aussteigen müßte. „Denn der König war doch so'n furchibar netter Mannl” schloß Anders seinen Bericht, * Die festlich gekleidete Versammlung setzte sich im Kruge an den wohlgedeckten Tisch. Das Pro- gramm war nun einmal so aufgestellt — und es wöre ja auch schade um das Festessen gewesen, wenn es nicht verzehrt werden würde. Um den Teil des Festes wollte man doch nicht betrogen werden! Und allmählich, als der gute Braten der Krugwirtin hinter die Weste glitt, schwand auch die allgemeine Enttäuschung und eine gute Stim- mung ergriff alle Parteien. Pimpe-Anders traf alte Freunde, die nichts Böses dabei sahen, ihm verschiedentlich „Bescheid zu bieten, und er revanchierte sich für die lange Ent- haltsamkeit. Es wurde spät, bevor er nach Hause ging, und er feierte seine Heimkehr damit, daß er seine Frau verprügelte. Das war ein schöner Tag! Er hatte sich wahrhaft „königlich” amüsiert. (Aus dem Dänischen von John W. R. Hellmann) LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückal) Anton Krumbiegel, Gutsherr von altem Schrot und Korn, ließ seinen Neffen Egon Landwirtschaft stu- dieren, Die ersten Semesterferien durfte der Junge auf Krumbiegels Gut verleben. Als ihn der Alte nach der Ankunft mit Besitzerstolz durch sein An- wesen führte, fiel Egons Blick auf einen beson- ders dürftigen Obstbaum. „Entschuldige Onkel“, begann er ein wenig von oben herab, „aber ich glaube, deine Kulturmetho- den sind doch schon ein bissel veraltet. Es.sollte mich wundern, wenn das Bäumchen da auch nur drei Kilo Äpfel brächte...” „Mich auch“, knurrte der Alte, „Schon darum, weil es ein Birnbaum IstI“ ee” Tee TE —Z———JJ>J>JJw ‚> EE€ er ee Verlag und Druck: Knorr & Hirh Kommanditgesellschaft, München, Sondlingor Stras ® (Fernruf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. Vorantwortl, Schriftleiter; Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- anstallen entgegen. — Bezugspreiso; Einzelnummer 30 Pi.; Abonnement im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — Nochdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. ttüllungsort München. Tarock (€. Thöny) „So, mei’ Lieber, desmal hab'n mir dei’ Schell’nsolo g’wonna!' „Dees werd’ aa no’ a Kunst sei: zwei geg'n ein’!" Tarocco: “Cosl, mio caro, questa volta abbiamo vinto nol il tuo solo di quadri!,, — “Bella bravurä ... due contro uno!,, 460 München, 1.September 1943 d 48. Jahrgang / Nummer 35 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Sorgen im Oberhaus (E. Thöny) „Wird 's dem neuen Sowjetbotschafter genügen, oder müssen wir noch weiter nach links rücken?“ Apprensioni nella Camera dei Pari: “Basterä cosi al nuovo ambasciatore sovietico ...o dobbiamo accostarci ancor piü a sinistra?,, Vorteilhafter Kauf 0. Hegonbarth) „Glauben Se mir, Jnädige, In diesem Stöffchen werden Se so Jung ausseh'n, det Se uff Kinderkarte Eisenbahn fahren könn’! ‚Acquisto vantaggloso: “Credetemi, signora .. . questa stoffetta Vi fard sl glovane che In ferrovia polrete viaggiare con un biglielto per bambini!,, LOCH IM STRUMPF VON WALTER FOITZICK Es wäre eine glatte Lüge, wenn ich behauptete, daß mich das Loch im Strumpf überrascht, daß ich etwa ausriefe: „Donnerwetier, wie kommt denn das da hinein!” Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, bei mir ist es so, daß ich auf das Loch im Strumpf warte, manchmal länger, manchmal kürzer. Ich kenne die Stellen genau, wo es ent- stehen wird. Bei mir sind Löcher an gewissen Strumpfstellen ein Brauchtum, wie Weihnachten, wie Neujahr oder wie die Aufforderung zur Steuererklärung, niemals kommen sie über- raschend, ich erwarte sie geradezu. Da haben wir zum Beispiel das Loch vorne an der großen Zehe, es ist das Standardloch, mit dem geht's los. Bei Ihnen mag’s eine andere Stelle sein, jeder hat seine schwache Stelle, und eines Tages ist der längst"erwartete Angriff an der Strumpffront da, und wo vorher Strumpf war, ist dann Zehe. Was tritt jetzt bei einem ordentlichen und wohl- behüteten Manne ein? Die Hausfrau wirft sich in die Bresche, stopft die Stelle mit frisch herbei- geführten Kräften, und im Gegenstoß ist die offene Stelle wieder abgeriegelt, Ach, auf wie lange? Ich habe jahrelang einen Kampf gegen nimmer- müde Frauenhände geführt, einen geistigen Kampf. Ich habe argumentiert: Wenn die große Zehe den Freiheitsdrang spürt, laßt dem Kinde doch die Bulette, fallt ihm nicht in die Zügel, der Freiheit eine Gasse, und jeder großen Zehe ihr Loch! Da hätten Sie mal die Beherrscherinnen der nim- ABSEITS Volkes Stimme, Gottes Stimme... Nicht in Liedern bloß voll Duft macht fie ihrem Seelengrimme, ihren Wonneträumen Luft. Will du wilten, wie fie denken und was ihr Gemüt vermißt, mußt du deine Schritte lenken dahin, wo es einfam Ift. Mancher fchrieb zurückgezogen, mas er fo bei fich empfand, anonym und ungelogen an die nächfte befte Wand. Ratatöshkr 462 BESUCH DESZTEUFEILS Um das Jahr 1905 herum wurde die dänische Insel Seeland von einer ganzen Reihe mystischer Brände heimgesucht. Nach und nach gelang es der Krimi- nalpolizel, die Verbrecher aufzuspüren, und diese wurden dann von dem damaligen Kommissions- tichter Sylow abgeurteilt. Richter Sylow war ein sehr scharfer Herr, seine Methoden beim Verhör konnte man wirklich nicht zart nennen, aber es gelang ihm immer, den Verbrecher zum Geständ- nis zu bringen. Der Name Sylow wurde für die dänischen Verbrecher nach und nach zum Schreck- gespenst, Eines Tages wurde in Nordseoland ein Bauer er- mordet aufgefunden. Auf Veranlassung Sylows verhaftete die Kriminalpolizei einen Schuster aus dem Dorf, aus dem der Ermordete stammte, Man brachte ihn ins Gefängnis, aber der Schuster be- teuerte immer wieder seine Unschuld, die Sache ging nicht weiter. Kommissionsrichter Sylow, der die Leute aus dieser Gegend sehr genau kannte und ‚wußte, wie abergläubisch und furchtsam sie im Grunde waren, dachte sich nun einen Trick aus, der in den Akten der dänischen Polizei ziem- lich einzig dastehend Ist. An einem dunklen Winterabend erschien in der Zelle des Verhafteten der leibhaftige Teufell Er hatte ein feuerrotes Gewand an, einen langen Schwanz und gewaltige Hörner. Die Hände waren furchterregende Klauen und das Gesicht eine scheußliche Teufelsfratze. Eine Theatertruppe, die gerade das Schauspiel „Das alte Spiel von Jeder- mann” aufführte, hatte dem Kriminalbeamten be- reltwillig das Teufelskostüm zur Verfügung gestellt und der Theaterfriseur hatte seine ganze Schmink- kunst angewandt. Und doch hatte Richter Sylow diesmal keinen Erfolg. ‘Als der „Teufel“ in leibhaftiger Gestalt in die Zelle des Gefangenen kam und sich drohend vor dem Verdächtigen aufpflanzte, brach der Schuster in ein schallendes Gellichter aus: „Ha, ha, ha — das kann mir überhaupt nicht Imponleren! Glaubst du, ich hätte Angst vor dir? Nee, ich hab schon etwas viel viel Schlimmeres als den Teufel ge- sehen — nämlich SylowI" mermüden Hände hören sollen: Unmöglich, ein Loch im Strumpf gehört gestopft, und wenn es bis zum Jüngsten Tage immer wiederkehrt, Ord- nung muß sein! Obwohl das Letztere In dar Welt nicht beweisbar ist, habe ich einen Kompromiß vorgeschlagen. Ich habe gesagt: „Wenn Ihr schon Ordnung wollt, nun so schafft sie, säumt das naturgewollte Loch sauber ein, meinetwegen mit farbigen Zierstichen, womöglich kunstgewerblich. Zeigt aller Welt dadurch, daß hier Ordnung herrscht und gebt kund, daß hier ein Loch ist, das mit Wissen und Willen der aufsichtführenden Behörde besteht,” Oh, meine Freunde, wie bin ich mit diesem Vor- schlag nicht durchgedrungen. Man entgegnete mir, gesäumte Löcher habe es bisher auf der Welt noch nie gegeben, und der einzig sinn- gemäße Zweck einer solchen Beschädigung im Strumpf sei der, repariert, gestopft zu werden, Ich habe vielen Frauen am Werke diesen Vor- schlag gemacht, alten und jungen, dicken und dünnen, guten und fremdrassigen, fleißigen und künstlerisch interessierten, alle schauderten vor der Vorstellung zurück, einen durchgescheuerten Strumpf sauber einzufassen. Jahre habe ich geschwiegen, nun trete ich an die Öffentlichkeit, vielleicht, daß sich doch ein Verein oder eine Gesellschaft zusammenfände, die die gesäumte lochsache auf ihre Fahnen schriebe. Vor dem Krankenzimmer FRE „Was hat denn unser sowjetischer Patient, Schwester Britannia, daß er wieder so zu toben anfängt?" „Er verlangt nach einem echten Kräftigungsmittel, dieser sizilianische Ersatz paßte ihm nicht!“ Davanti alla stanza del malato: “Cosa ha mai il nostro paziente sovietico, Suor Britannia, che comincia di nuovo a smaniare?,, — "Egli domanda un vero mezzo tonico; questo surrogato siciliano non gli & piaciuto!,, 463 BRUTTO + TARA = NETTO VON AAGE V. HOVMAND „Das war. ein ausgezeichnetes Essen, das wir hier bekommen haben!” sagte meine Frau, Wir saßen in der Bahnhofshalle von Kalundborg, auf der Heimfahrt von einem vierzehntägigen Sommeraufenthalt, „Ja”, sagte ich, „du hast ja auch tüchtig ein- geschaufelt, Ich möchte garantieren, daß du in den vierzehn Tagen mindestens deine fünf Kilo zugenommen hast!" „Ausgeschlossen! Ich, ich bin doch immer so vor- sichtig....” „Wollen wir wetten?” „Das können wir! Wer verllert,'muß morgen die Anstandsvisite bei Tante Jolante machen... und ihr elnen Karton Pralinen verehren!” Die Wette wurde abgeschlossen. Aber wie sollte sie ausgetragen werden? „Hier steht ja ein Wiegeautomatl” rief ich. „Ja, das könnte dir so passen — mich mit Zeug und allem zu wiegen! Nein, reines Gewicht muß es sein!" Meine Frau wurde zu Hause jede Woche in der Badeanstalt gewogen. Am Tage vor unserer Ab- reise in die Ferlen wog sie 85 kg netto. (Das ist eigentlich ein Familiengeheimnis. Es tut mir leid, daß ich es verraten muß, aber es Ist zum Ver- ständnis meiner Geschichte notwendig. Hoffent- lich erfährt meine Frau es nicht!) „Na, das bißchen Sommerkleidung kann doch nicht soviel ausmachen?‘ versuchte ich einzu- wenden. „Ich hab’ ja auch wohl nichts drunter! Und der Hut... die Schuhe... und die Bleiklumpen! (Noch ein Familiengeheimnis: meine Frau näht sich Blei- klumpen unten in den Rocksaum, damit er schön glatt fällt.) „Ja, Ja”, sagte ich, „dann wieg dich doch ohne Zeug!” „Ohne Zeug!” Meine Frau bekam einen Schreck. „Willst du etwa, daß ich mich hier ohne Zeug auf die Waage stelle?” „Das natürlich nicht! Wenigstens nicht so direkt — aber mit etwas Grütze Im Kopf läßt sich das schon machen. Sieh: erst wiege dich mal mit Zeug. Dann gehst du in die Telephonzelle dort und ziehst dich aus. Ich geh dann hin und wiege das Zeug. Wir ziehen das Gewicht des Zeuges ab — und dann haben wir dein Gewicht ohne Zeug!” „Ja, aber... können wir das denn... hier?” „Selbstverständlich! Es dauert noch ungefähr eine Stunde, bis der Zug fährt!” „Ich weiß nicht recht...” „Hör zu: wir sind uns doch einig, daß wir unsere kleine Wette austragen wollen? Nicht wahr? Gestern, als du ins Wasser wolltest, hattest du nicht so viele Bedenken! Und das war noch dazu am offenen Strand!” „Wenn nun aber sieht...” „Das wäre viel schlimmer für ihn selber! Übrigens geht niemand In eine Telephonzelle, wenn je- mand darin steht und spricht! Und die Scheibe ist aus Mattglas — wenn man sich nicht gerade dagegen lehnt, kann man draußen gar keine Ein- zelhelten erkennen. Außerdem kannst du ja den Türgriff festhalten. Das Ganze dauert ja nur einen Augenblick! Aber du bist vielleicht bange?” Meine Frau wollte es nicht auf sich sitzen lassen, daß sie bange wäre, Außerdem wollte sie gerne den Triumph auskosten, die Wette zu gewinnen — sie schien sich dessen ziemlich sicher zu sein — und mich morgen lostrotteln zu sehen, um mir Tante Jolantes Jeremiaden anzuhören, Also stand mein Eheweib etwas später auf der Waage. Ich suchte aus dem Rest des Ferien- geldes ein wohlgeformtes Fünf-Öre-Stück heraus, steckte es in den Schlitz und wir erwarteten mit Spannung das Ergebnis. 92! kg! Die Wette stand also auf der Kippe. Es war spannend, Leicht und graziös stieg meine Frau von der Waage herab. Sie legte Tasche und Regenmantel jemand kommt und mich fort und verschwand In einer Telephonzelle. Etwas später öffnete sich die Tür auf einen Spalt und ein Bündel aus sämtlichen Sachen, die für ge- wöhnlich dazu dienen, den charmanten Körper meiner besseren Hälfte vor den neugierigen Blicken der Menge zu schützen, als da sind Klei- der, Hut, Strümpfe, Schuhe, wurde mir heraus- gereicht. „Du hast mir wohl das Telephonbuch mitgegeben?” fragte ich, als ich das Bündel entgegennahm. „Jeizt sei ganz ruhig! Tu so, als ob du tele- phonierstl” „Ja aber... was soll ich denn sagen?” „Sagen! Das fragst du mich, der man sonst das Mundwerk wenigstens zwanzig Minuten lang nicht anhalten kann, wenn du erst einmal einen Tele- phonhörer in der Hand hastl Stell dir doch vor, du ständest auf der Treppe und klöntest mit Frau Hansen!” Ich zog ein Fünf-Ore-Stück hervor und stieg mit dem Zeug auf die Waage. Da ich nicht sicher war, ob die Personenwaage solch kleine Quan- ten wie das Zeug alleine überhaupt wiegen könnte, wollte ich die Gelegenheit benutzen und mit demselben Fünfer mein eigenes Gewicht fest- stellen — man muß ja sparen, wo man kann! Die Waage zeigte 64 kg an, Ich warf das Bündel von mir und die Waage ging auf 62 kg zurück. Ich war immer ein tüchtiger Rechner gewesen — ich wußte jetzt, daß die Sachen meiner Frau 2 kg wogen. Hingegen etwas anderes wußte Ich nicht, und das war, daß ein großer schwarzer Pudel schon eine Zeit lang ebensolches Interesse an mir hatte wie ich an meinem Gewicht. Als ich das Zeug wegwarf, geriet er in helles Entzücken darüber, daß ich -mit ihm spielen wollte, ergriff das Bündel und entwetzte mit ihm zur Tür hinaus, Ich stürzte hinterher, und als der Hund merkte, daß ich mitspielte, wurde er reinweg ausgelassen. Er sauste um den Hafenplatz herum und zerrte das Bündel hin und her; dabei knurrte er vor Wonne. Nach und nach verlor er die Schuhe und den Hut; doch jedesmal, wenn ich ihn beinahe zu fassen bekam, entwischte er mir wieder, Die wilde Jagd löste unter einer Schar jugendlicher Zuschauer begeisterten Jubel aus, so daß sie den Pudel mit lebhaften Zurufen immer wieder ermunterten. Als schließlich ein paar Matrosen auf einem Schiff, das an der Kalmauer lag, an- fingen, nach dem Hund zu pfeifen, sprang er freudestrahlend über den Landesteg an Bord. Auf der schmalen Laufbrücke stieß das Zeug gegen das Geländer; der Hund verlor es, und während er mit dem besten Gewissen der Welt bellend um die Matrosen herumsprang, näherte ich mich dem Bollwerk — gerade noch zeitig genug, um BESTALLUNG Jeder Tag, da du krank bist, Ist ein heimlicıer Rufer. Fern. aller Freuden, trägt er dir Den Klang herzu, den dunklen, für Die Heimkehr ans andere Ufer. Jeder Tag, da du wohl bist, Ist ein lärmender Rufer. Fern aller Leiden, trägt er dir Den Klang herzu, den hellen, für Das tändelnde Spiel mit dem Ufer, Jeder Tag, da du Mensdı bist, Drängt hinüber ans Ufer, In Freud und Leid, in Glück und Traum, Bist du, und weißt es selber kaum, Des Todes gehorsamer Rufer. Ludwig Eduard Fleischmann 464 zu sehen, wie das Sommerkleid meiner Frau samt ihren Unaussprechlichen (dank der Bleiklumpen im Kleidel) auf den Grund des Hafens versank. „Hurrah, ich hab gewonnen!‘ rief ich, indem ich die Tür der Telephonzelle auf einen Spalt öffnete: „Das Zeug wog 2 Kilo — du wiegst also 90!/:l Du kannst also gern Tante Jolante anrufen und Ihr sagen, daß du kämest. „Mein Zeug!” unterbrach mich meine Frau. Ich langte den Hut und die Schuhe und ein biß- chen Unterwäsche, die ich am Kai aufgesammelt hatte, durch die Türritze. „Wo ist das andere?” Meine Frau klapperte un- heilverkündend mit den Zähnen, Es gab also keinen Auswegl So schonend wie möglich erklärte ich, daß es im Augenblick leider mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein würde, sowohl das Kleid als auch die Unaus- sprechlichen herbeizuschaffen, well diese Gegen- stände auf dem Grunde des Hafens ruhten. Ich möchte nicht näher darauf eingehen, was meine Frau sagte, als ihr die Lage in ihrer gan- zen Grausigkeit klar wurde. Die Wahl ihrer Aus- drücke war, was die Psychologen „affektbetont” nennen, und der’ Inhalt war ja, so betrachtet, bloß für mich bestimmt. Mit Rücksicht auf neugierige Zuschauer wurde ich in die Fernsprechzelle hineingezogen, und hier wurde eine kurze, aber lebhafte Konferenz abgehalten, deren Höhepunkte die folgenden waren: 1. daß nur noch 10 Minuten wären, bis der Zug abführe, 2. daß es innerhalb dieser Frist nicht möglich sein würde, Taucherhilfe herbeizuschaffen, um die versunkenen Effekten zu bergen, 3. daß unser finanzleller Status wie auch das Ende meines Urlaubs keine Verlängerung un- seres hiesigen Aufenthaltes gestatteten. Als diese Punkte geklärt waren, stellte meine Frau die Frage, ob Ich ein Gentleman wäre oder nicht, Ich erwiderte, ich wäre es. Die Folge davon war, daß, als etwas später die Tür aufging und Ich vor ein staunendes Publikum trat, meine Frau mit meinem Jackett und meinen Beinkleidern an- getan war, während ich selber in Hemdsärmeln und Unterhose erschien. Zur Entschädigung durfte ich den Regenmantel meiner Frau überziehen, der in der Vorhalle auf der Bank lag. Als wir im Zuge saßen und annähernd zu Hause waren, rief meine Frau plötzlich freudestrahlend: „Der Mantel... und die Taschel” „Was ist los?" „Ich stand ja damit auf der Waage... mit dem Regenmantel und der Tasche und dem. Photo- apparat darin! Und nachher legten wir die Sachen auf die Bank... und du hast sie nicht mitge- wogen, als du das Zeug gewogen hasıl. Also wiege ich um so viel weniger!” Auf dem Heimweg nahmen wir ein Taxi. Bei einem “ Bäckerladen, der noch offen hatte, ließ ich hal- ten. Unsere Wette mußte doch endlich einmal entschieden werden! Das Gesicht des Bäckerfräuleins nahm einen eiwas erstaunten Ausdruck an, als sie mich in Regenmantel und Unterhosen, mit einer Damen- tasche in der Hand, eintreten sah. Ich jedoch entledigte’mich meines Mantels und bat sie, mir den Dienst zu erweisen und Mantel und Tasche zu wiegen. > £ Der Dame war offenbar bekannt, daß man Ver- rückten nicht widersprechen soll, denn sie ging stracks auf mein Ansinnen ein. Die Sachen wogen gut ihre 1% kg. Meine Frau wog also nicht 90%, sondern nur 89 kg. Und so war ich es denn, der am nächsten Tage los mußte, um bei Tante Jolante die Anstandsvisite zu machen. Ich erstattete ihr Bericht über unsere Heimkehr von unserem Ferienaufenthalt; jedoch erwähnte Ich nicht, wie wir nach Hause gekommen waren: ich hatte das Gefühl, als ob Tante Jolante das nicht gern hören mochte. Ich wollte auch nicht gern enterbt werden: die Wette war mir schon teuer genug zu stehen gekommen! (Aus dem Dänischen von John W. R. Hellmann) Das Porträt (X. Heiligenstaodt) „Recht gut haben Sie mich gemalt, aber ich vermisse den geistigen Ausdruck! „Ja — ja, — gnädige Frau, den habe ich auch immer vermißt!“ Il ritratto: "Mi avete dipInto proprio bene... ma vi manca |’ espressione dell’ animal, “Glä...glä...signora, anch’ lo ne ho sentito sempre la mancanzal,, 465 SOMMERABEND Der Mond tritt rot am Himmelssaum hervor, Im Rauche träumend schläft die Wiese ein, Der Nebel tanzt. Die Wasserfrösche schrei'n. Ein leisesSchauern bebt durch'sschwankeRohr. NOVELLE OHNE F Der alte Geheimrat Trüffel erzählte, wenn Jullus ihn in seiner Junggeselleneinsamkeit besuchen kam, gern so seltsame Geschichten, die er selt- samerweise alle wahrhaftig selbst erlebt hatte. Es ist wohl 50 Jahre her, begann er heute, daß mich ein Freund zu dreitägigem Besuch bei sel- nem Onkel einführte. Der alte Herr hieß wie das Schloß, das er bewohnte, Das war rings um einen stillen Hof gebaut, In dem zwei Edelkastanien blühten, eine mit weißen, eine mit roten Kerzen. Vor den Zimmern oben zog sich ein Altan mit hohen Bogen, an jeder der Langseiten des Hofs von einem runden Turm unterbrochen. In dem einen davon gähnte dunkel das Tor mit der Aus- fahrt — „Wir ziehen die Zugbrücke Jetzt nicht mehr hoch“, sagte der alte Andreas, „das gab immer Ärgerlichkeiten mit dem Postboten und anderen Amtspersonen, die hereinwollten”. In dem Turm gegenüber war der sonderbar kleine Eingang mit prächtigem Frührenalssanceportal und schrägen Fenstern darüber, an denen man bis draußen sieht, wie die Treppe stelgen muß. Der alte Schloßherr mit seinen weißen Haaren, schwarzen Brauen und lebhaften Augen sah sel- ten Menschen, aber er plauderte gern. ‚Am ersten Abend, als ich mich umzog zum Essen, geschah etwas Seltsames, Ich hörte, wie auf dem schweigenden Hof ein Wagen vorfuhr, ein uraltmodischer, breit und wahrhaftig noch mit kleinen Blumen bemalt, dessen Coup6 in breiten Riemen hing. Dann öffnete sich die !ür un- ter dem Renalssancebogen, und heraus trat der alte Herr — aber so, als ob er einen Gast vorangehen ließe — ging mit kleinen, höflichen Schritten bis an den Wagenschlag, öffnete ihn, verneigte sich, machte eine Bewegung mit der Hand, als ob er jemandem in den Wagen hülfe, klinkte dann selbst den Wagen- schlag zu, verneigte sich abermals und zog sich, während die Karosse durch das Tor hinausfuhr, leise wie- der zurück. Nanu, fragte ich mich — und beob- achtete am Abend meinen Gast- geber mit neugierigem Staunen. Der übersah das und erzählte von Por- zellan. Seine Hände paßten gut zu dem Gespräch. Vom grünen Drach- muster sprach er und von den ver- schlungenen beiden L in der Marke von $evre und dem Alphabet darin, das, 1753 beginnend, beim zweiten- mal bis RR kam, da war schon Re- volution; und zuletzt setzte Buona- parte,‚seinen feisten, kleinen Adler über die Jahreszahl, und der Stil wurde grob und Empire, Wir tran- ken einen ganz leichten Sekt... Am nächsten Abend beim letzten Sonnenstrahl derselbe Wagen und dasselbe Bild. Diesmal bemerkte ich schon, wie der Kutscher Wenzel mit der Peitsche grüßte, und daß der alte Herr von einem Reifrock Ab- stand hielt, und daß die Hand sehr klein war, die sich während des Einsteigens In die seine legte, und VON PAUL VERLAINE Die Wasserrose schließt sich scheu und bleich. Die Pappeln schatten hoch und weit dahin, Gespenstern gleich, die durch den Nebel zichn: Lzuchtkäfer glänzen irrend im Gesträuch. VON SCHLEHDORN daß er wohl mit einem Lächeln gelohnt wurde. Träume ich oder sehe ich Gespenster?, dachte ich bei mir und fragte hernach meinen Freund, Aber der war in der Bibliothek gewesen (die lag übrl- gens Im Turm mit Ihren 5000 braunen ‚Bänden In Leder und Gold, und wenn man die Tür schloß, war es ein rundes Gefängnis der Gelehrsam- kelt). Er hätte nie derartiges beobachtet, sagte er Frauen, nein, Frauen gäbe es hier nicht, weder Junge noch lte, Vielleicht in der Küche, Beim Abendessen erzählte der alte Herr vom Niedergang der Heraldik selt 1550. Aus Wappen- schilden standen Legenden auf und in ihrem Grunde leuchtete das Geheimnis der Runen, Warum wohl die Lilie von Florenz blüht und die Bourbonische nicht? Warum die Sickingen Schwa- nenhälse in der Helmzier trügen und was die sieben Kugeln der Medici bedeuteten — ob sie wirklich Apotheker gewesen sind? Des Haushern eigenes Wappen auf Besteck und Gläsern, aus denen man einen alten Mosel trank, zeigte zwei rote Balken In weißem Feld, — „das waren die Schildbänder ursprünglich“, erklärte er. Als Ich dann später mit meinem Freund durch den Seltenflügel zu unseren Zimmern ging, — der alte Andreas trud den Leuchter voran, — lächelte aus einer Reihe alter Bilder ein ganz junges Mädchen herunter, hochtouplert, den etwas hochmütigen Mund sehr rot in dem kleinen, gepuderten Ge- Der Nachtkauz hat sich ruh'los aufgemacht, Schwerflügligschweifter durch die dunkle Luft Und den Zenith erfüllt ein weißer Duft, Hell glänzt die Venus auf und es ist — Nacht! Deutsch von Gerhart Haug RAU sicht, und große Augen, In denen alle Fröhlich- keit und Traurigkeit und Zörtlichkeit auf das Leben wartete. In dem weißen, atmenden Aus- schnitt glaubte man das Blut pulsleren zu sehen. Auf meine Frage, wer das sei, rechnete mein Freund sich aus: „das ist wohl eine Urgroßtante meines Onkels”. „Du Irrst dich”, sagte ich da- mals, „so sieht keine Tante aus. Es muß eine Urgroßcousine gewesen sein.“ „Ja, wenn die da- mals" — setzte der alte Geheimrat mit einer fast Jugendlichen Verlegenheit hinzu —, „aus dem gol- denen Rahmen gestiegen wäre und noch frei ge- wesen wäre, und mich gemocht hälte, so hätte ich jetzt vielleicht goldene Hochzeit..." Am dritten Abend wieder der Wagen und wieder das höfliche Abschlednehmen. Am Fenster war- tend erstaunte Ich kaum: Jetzt meinte ich selbst schon die reizende Junge Frau zu sehen, Sie stieg ein und lächelte und glich nur allzusehr dem Bild von gestern Nacht. Und fuhr durch das dunkle Tor in die Abendröte hinaus, Gut, daß ich morgen abreise, dachte Ich bei mir. Und als Ich diesmal den alten Andreas fragte, was das mit dem Wagen sel, fragte der gut- erzogen zurück, zu welchem Zug der Herr Doktor den Wagen befehle und ob er packen dürfe. An diesem Abend sprach der alte Herr beim Essen über Politik, — über die Politik Karls des Kühnen von Burgund. Der seine Pläne viel zu weit spannte für einen Fürsten, der keine Söhne hat, Er hätte Ren& von Lothringen nicht entwischen lassen dürfen, Die Schweizer Zahlen über Granson und Murten seien weit übertrieben, tat- sächlich wären sie in doppelter Über- macht gewesen. Es Ist nicht immer der Erfolg, der über den Ruhm ent- scheidet... Der alte Herr hatte offenbar viel darüber gelesen, auch wohl geschrieben. Auch veröffent- licht? „Nein, wie kommen Sie dar- auf?” Er dankte mir für den Besuch und trank mir zu mit einem sammet- schweren Burgunder... Ich habe ihn nicht wiedergesehen. Als Ich am anderen Morgen ganz früh mit dem Gutsauto über den Hof, der von welßen und roten Blü- ten bestreut war, durch das Tor, das in einem gerahmten Bild die Felder und den Himmel zeigte, und über die polternde Zugbrücke in die Wirklichkeit zum Bahnhof fuhr, da habe Ich mir überlegt: Gesehen, eigentlich gesehen hatte ich nichts, als einen leeren Wagen. Aber erlebt hatte ich mehr, als ich erzählen könnte. Erst dachte ich,-ich hätte gesponnen In dem versponne- nen Haus. Aber es hat alles seinen Stil: Kleine Leuto empfangen ihre Erinnerungen in der Dämmerung zu Fuß, Warum sollte einer nicht an- spannen lassen für etwas, das ver- loren oder vergangen oder ver- wunschen Ist, — für seine Jugend — oder die Grazie — oder die Vor- nehmhelt selber? Hanna Nagel) Die Aufgeweckte „Intelligent siehst du nicht aus, wenn du schläfst, Martha!“ „Um so besser, dumme Frauen haben Glück bei Männern!“ La briosa: "Non sembri mica Intelligente, Marta, quando dorm! “Tanto meglio; le donne stupide hanno fortuna cogli vominil,, 467 DAS ORAKEL VON ABONUTEICHOS Es bestand kein Zweifel, daß das delphische Ora- kel nicht nur eine höchst wunderbare, sondern auch eine sehr einträgliche Einrichtung seln mußte. Dies wollte dem Jungen Alexander von Abonu- telchos seinerzeit nicht mehr aus dem Kopf, denn er hötte die einträgliche Selte des Orakels eben- sogut brauchen können wie die wunderbare. War er doch nur ein unwichtiger Einwohner des klei- nen Dorfes Abonutelchos und konnte außer einem hübschen Gesicht und seiner angeborenen Schlau- heit nichts bieten, was die Aufmerksamkeit der schönen Rutlllia, und — was fast noch entschei- dender war — die Gunst ihres reichen Vaters des kaiserlichen Steuerinspektors, auf sich zu ziehen vermochte. Der arme Alexander dachte Tag und Nacht an seine geliebte Rutillia, und der Gedanke an das “ delphische Orakel ließ Ihn nicht mehr los. Ja, wenn er so einen Spruch, einen ganz kleinen Spruch nur, von der zukunftwissenden Pythia vor- weisen könnte, der dem Steuerinspektor voraus- sagte, daß seine schöne Tochter nur für ihn, den armen Alexander, von den Göttorn selbst be- stimmt war, Aber Delphi war welt und Alexander eben zu arm, um das Schicksal auf diese Welse beeinflussen zu können, denn die Propheten von Delphi waren damals bereits recht teuer geworden Aber mußte es schließlich ein delphisches Orakel sein? Alexander fand, daß man sich nicht Immer auf ferne Götter verlassen konnte und beschloß seinem Glücke selbst ein wenig nachzuhelfen. So setzte er sich eines Tages auf die Stufen, die zum Hause seiner Rutillia führten. Dort blieb eı nun und erzählte jedem, der es wissen wollte daß er von den Göttern dazu bestimmt sei, deı Schwiegersohn des kaiserlichen Steuerinspektors zu werden. Nun warte er, bis man Ihn zur Hoch- zelt hole. Ermußte lange warten. Dann wurde aber dam Steuer- Inspektor der ungebetene Gast vor seinen Torer mit den löcherlichen Reden lästig und er verwies Ihm den Platz mit recht unhöflichen Worten. Doch Alexander war darüber nicht beleidigt, und während er sich zum Gehen wandte, rief er dem kaiserlichen Beamten noch nach: „Leb wohl, Schwiegervater, und grüße Rutillis, meine Braut!” Von nun an predigte Alexander über seln Schick sal auf dem Markte von Abonutelchos. Aber eı verlieh seinen Weissagungen größeren Nach- druck, indem er jedesmal, wenn Rutlllis oder Ihr Vater aut Jen Markt kamen, In eine Verzückung fiel. Zu diesem Zwecke kaute er eine Wurzel vor Selfenkraut, so daß der Schaum aus seinem Munde trat, Und siehe da, schon fanden sich einfältige Leute, die seinen Worten Glauben schenkten und Ihn baten, um eln paar kleine Geldstücke auch Ihnen die Zukunft zu verraten, . Rusillia jedoch lachte nur und ekelte sich vor dem Schaum aus dem Munde Alexanders, Ihr Vater lachte nicht mahr, sondern erließ ein kaiser- liches Dekret, wonach das Wahrsagen auf dem Markte von Abonutelchos doppelte. Steuern kostete. Dies ärgerte Alexander, und er verschwand auf mehrere Tage, denn er konnte die Steuer nicht bezahlen. Nach seiner Rückkehr begab er sich zu einem Teich in der Nähe des Dorfes. Dort begann er zunächst in Stille ein großes Wunder vorzuberel- ten. Er bohrte In ein Gänseel oine kleine Olfnung und steckte durch diese elne kleine Schlange In > VON HANS ROLAND das Ei, Dann verschloß er die Offnung sorgfältig mit Wachs und Bleiweiß und legte das Ei an eine bestimmte Stelle im Telch. Nach diesen Vorbereitungen lief er seifenkraut- kauend nach Abonuteichos und rief in Verzük- kung die Einwohner zusammen. Es waren nicht wenige, die ihm neugierig an den Teich folgten. Und alle konnten vor Staunen beobachten, wie Alexander nun ein Gänseei aus dem Teich schöpfte, es zerbrach und die kleine Schlange sich um seine Finger wand. Alexander war nun ohne Zweitel ein großer Zauberer und damit ein Liebling der Götter, Von weit und breit kamen die Neugierigen, ihn zu sehen und seinen Ora- keln zu lauschen. So verdiente er bald genug” damit, um auf den Marktplatz zurückkehren zu können. Als der kaiserliche Steuerinspektor davon hörte, schickte er seine Gehilfen aus, um von Alexander die doppelte Steuer einzuziehen. Dieser zahlte Jedoch lächelnd und kam selbst zu ihm, um seine Werbung um Rutillis zu wieder- holen. Der Steuerinspektor nahm das Geld In Sommertage - Giorni d'estate os. Oberberger) Empfang und ließ Alexander dann hinauswerfen, denn seine Tochter war dem reichen Kaufmann Lucian versprochen. Alexander ließ sich nicht beirren. Er schlug am Marktplatz eine Bude auf, in der es ziemlich dun- kel war. In ihr setzte er sich auf einen Stuhl und nahm eine große Schlange unter den Arm. Den Kopf der Schlange klemmte er sich zwischen die Achsel. An das andere Ende der Schlange aber brachte er einen großen menschenähnlich bemal- ten Kopf aus Leinwand an, der das Maul mit Hilfe von feinen Pferdehaaren öffnen und schlie- Sen konnte, “. Da staunten die Einwohner von Abonuteichos wieder! Und sie kamen abermals von weither, um diesem Wundertier einen Zettel und ein Geld- stück Ins Maul zu werfen, worauf es dann einen anderen Zettel mit dem Orakel von Abonuteichos ausspuckte, r Je mehr Rutillias Vater die Steuer für das Orakel auch erhöhte, um so teurer wurden die Weis- sagungen von Alexanders Wunderschlange. Dies war nun wieder nicht sehr zum Vorteil dos kalser- lichen. Steuerinspektors, denn Rutillia gehörte schon längst zu den besten Kundinnen Alex- anders und mußte verstohlen mit ihres Vaters Geld die kostbaren Prophezeiungen bezahlen. Und wie sehr auch Alexander seiner Wunder- schlange zuzureden schien, sie spuckte nach wie vor erst den Orakelzettel aus, nachdem Ihr die entsprechende Gebühr Ins. Maul gesteckt war, Allmöhlich mußte Alexander daran denken, sol- nen Betrieb zu vergrößern. Er stellte sich Proto- kollführer und alle möglichen anderen Gehillen an und baute sich ein Haus, wo er In aller Be- quemlichkeit leben und wahrsagen konnte Auch die Wunderschlange wurde verfeinert und zur höchsten Überraschung aller mit einer eigenen Stimme ausgestattet. Zu diesem Zweck setzte er dem Leinenkopf der gutmütigen Schlange ein längeres Rohr aus Ineinandergosteckten Kranich- gurgeln ein. an dessen Ende dann ein Vertrauter Alexanders mit feierlicher Stimme hineinorakelte. Nun fand es Alexander abermals an der Zelt, seine Werbung um Rutlllia vorzubringen. Die Wunderschlange verkündete denn auch plötzlich der nicht ganz ahnungslosen Rutillia, daß sie In wenigen Tagen Alexander heiraten werde. Und siehe dal Der kaiserliche Steuerinspektor wagte nicht mehr, dem Orakel und damit einem so an- gesehenen Manne wie Alexander zu widarspre- chen. Er hatte auch keinen Grund mehr dazu, denn er erhielt von Alexander längst mehr Steuern als vom reichen Kaufmann Luclan, und das war auch für einen Steuerinspektor der alten Welt von ent- scheidender Wichtigkeit. Als Alexander mit seiner geliebten Rutillia end- lich vernelratet war, tötete er seine Wunder- schlange und verbrannte den Paplerkopt. Denn nun war nicht nur der Zwock dieses Orakels er- reicht, sondern er halte auch genug verdient, um sich zeitlebens zur Ruhe setzen zu können Den Einwohnern von Abonuteichos Ist damit allerdings Ihre Orakelstätte verloren gegangen, und sie mußten sich wieder so wie früher nach Delphi ‘wenden, um die Zukunft zu erfahren. So kam es auch, daß Abonutelchos Im Laufe der Ge- schichte In Vergessenheit geriet und von seinen Orakelsprüchen nur ein einziger der Nachwelt er- halten bileb: Nämlich der von der Heirat des armen Aloxanders mit der Tochter des kalser- lichen Steuerinspektors. Im magnetischen Kraftfeld (Fr. Bllok) Entro al campo dell’ attrazione magnetica ENTLEIN AUF DER WIESE VON HEINZ STEGUWEIT In der Sommerwiese wuschelte ein Entlein, Weiß und flockig gab es der Flur einen Punkt von an- genehmer Unruhe. Und da die Wiese beinah ufer- los schien, so welt ragte sie ins Gefild, so arka- disch schimmerte ihr Reich, sah das Entlein aus wie ein verlorenes, obzwär in seiner Einsamkeit schwelgendes Wölkchen am grünen Himmel der Gräser und Kräuter. Ich sah das Entlein, wie es naschte, hier ein Blätt- chen, dort ein Schlückchen; zuweilen blickte es sich um, als ahne es einen Störenfried, dann wibbelte es wieder achtern und gab zufriedenen Laut, Wenn ich ein Entlein wär'.. Gemach, aus den Auen holder Betrachtung sarık ich zurück aufs härtere Erdreich zeitgemäßer Ver- nunft: Ein einsames Entlein, so abseits und bar äller Aufsicht, sollte das seine Ordnung haben? Derlei ungebundene Freuden gab es heute nim- mer, solch ein Urlaub vom Alltag verstieß gegen die Regeln der Stunde. Wozu war ein Entlein auf der Welt? Zunächst, daß es äse, um später selber geäst zu werden. Welch ein Beruf. Was für ein Leben, Lebenswert allein für uns, nicht für den weißen Vogel im arkadischen Gefild der Blumen und Kräuter, Noch immer naschte das Entlein, hier ein Blätt- chen, dort ein Schlückchen. Zuweilen blickte es sich um, als ahne es einen Störenfried... Ich war es. Und während ich zweifeln mochte, wessen Schicksal mich dringlicher zu kümmern habe, das des heiteren Geflügels oder jenes der harrenden Menschen, obsiegte in mir der humane Anstand über das poetische Gefühl. So ward das Idyli zur dramatischen Handlung, des Vogels Sorg- losigkeit mußte ich beheben: Gutes Entlein, vom Himmel bist du nicht und keineswegs gefallen, wem also liefest du davon? Ich haschte das Tier und fing es endlich, mochte es noch so flattern und lamentieren. Dann, das Entlein unterm Arm wie Hans im Glück mit der Gans, pilgerte ich dem nahen Gutshof zu, dünkte mich sehr pflichtgetreu: „Herr Nachbar, ich bringe Euch einen Ausreißerl Der Gutsherr schaute, zog die Augen schmal: „Nee, Ei was. Is meine Ente nich.“ „Ihr wohnt am nächsten bei der weiten Wiese, Herr Nachbar.” „Sei’s schon. Was mir nicht angehört, wie dürfte es mein eigen sein. Also bin ich ehrlich.” Ich mußte weiter mit meinem Fund, vielleicht wurde er jenseits des Waldes vermißt, wo der Müller seinen Weiher hatte und das hurtige Rad: „Herr Müller, ich bringe Euch einen Ausreißer|” Der Müller grüßte artig, zählte seine Tiere nach, die dort im Teich sich tummelten, bald nach Pflanzen gründelnd, bald nach Insekten, — Köpf- chen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh': „Nein, tut mir leid, is meine Ente nich.” „Wem soll sie anders sein, Herr Müller?” 469 „Mich kümmert's wenig. Und wenn sie keinem angehört, meine Ente ist das nicht. Also bin ich ehrlich.“ So versuchte ich's noch oft, Die Bauern rundum nahmen’s streng mit der Reslichkelt; was keiner besaß, wollte auch niemand behalten. Ich aber mußte zurück auf die Wiese, die beinah uferlos schien, so welt ragte sle Ins Geflld, so arkadisch schimmerte ihr Reich, Ein langer, ein mühsamer Weg, die Füße glommen und der Vogel jappte unterm Arm. Als ein Bursch vorüberkam, ein dreister Kerl, er schritt am Stecken und kaute sauren Ampfer ge- gen den Durst, Ich fragte: „Wißt Ihr, wem das verlorene Entlein fehlt —?” Er hielt lachend inne: „Wie sollte ich das ahnen? Gott ist mein Wirt und Mutter Grün macht mir das Bett.” E „So helft mir doch. Weil das Entlein keinem an- gehört, will es auch niemand haben!” Der Fremde schöpfte Luft: „Das ist etwas anderes. Ich sage Euch: Was keiner besitzt und was auch niemand haben will, das gehört am Ende mir allein. Also bin ich ehrlich.“ Hölte mir den Vogel aus dem Arm, tat einen drohenden Blick, jagte mich davon und machte „schon Feuer für den ambrosischan Braten. Spät nachmittags kam ich heim und meine Mutter klagte: „Ich hatte ein Entchen besorgt, über Nacht ist es entlaufen.“ Was blieb mir übrig? Nur eine Prise Philosophie, und die macht wenig rund. Nicht der Ehrliche ist der Dumme, vielmehr jener, der allzuviel fragt. Hernach guckt er In die Röhre, 'in der sein eigner Vogel brutzelt, unwiederbringlich und dahin, Im USA.-Hühnerhof (0. Gulbransson)” ud z Vrhyuhee N HG, FH 7 1,0 SH) Jin r Se IE ’ gear Aütvnanssen 43 Ba „Was haben Sie denn da für eine Mißgeburt?"' „Tja, da haben sie mir das Ei einer Zeitungsente untergelegt!“ Nel pollaio statunitense: “Che sorta d’aborto avete mal qui 1. — "Eh glä „.. m'hanno fatto covare l'uovo d'un ‘canard,!,, 470 ANDERSEN. SPUKT VON KURT GROOS Am zweiten Weihnachtstag starb Kapitän Ander- sen. Er mußte sich einige Tage an das Totsein gewöhnen, was ihm aber bei seiner Gabe, sich in alle möglichen Situationen einzufinden, schnell gelang. So konnte er schon kurz vor der Jahres- wende den Entschluß fassen, zu Neujahr zu spuken. Andersens Geist tat sich mit Gleichgesinnten — es waren auch einige recht erfahrene Spuker darunter — zusammen. Man beschloß, das Sil- vesterfest bei Markus Hillersen mitzumachen, Hillersens Gasthaus lag etwas außerhalb Kopen- hagen; zu Neujahr versammelte sich dort stets ein verteufelt ausgelassenes Volk, tolle Mädchen vor allem. Andersen traf kurz vor Mitternacht ein. Vorher hatte er sich noch etwas in einem Warenhaus herumgetrieben; dort hatte sich sein Astralleib in dem Gestänge eines Paternosters verfangen. Das machte ihn für den Abend etwas befangen, denn von den menschlichen Komplexen her war er noch ein wenig ängstlich in solchen Dingen und mußte die eigene Substanz ziemlich mühsam zu- sammenklauben, obgleich die erfahrenen Spuker über solche Umständlichkeiten nur lachten. Andersen trennte sich von den geschliffenen älte- ren Geistern, die gleich in die Bierleitungen fuhren; er setzte sich zwischen die Weingläser von Fräulein Helge Torsten und deren jüngerer Schwester. „Dieser alte Sünder hat Ja nun auch ins Gras ge- bissen”, sagte Fräulein Torsten. „Ach”‘, antwortete Ihre Schwester, „du meinst wohl Andersen, die- sen verrückten, ewig besoffenen Kapitän, der sich immer einbildete, bei allen hübschen Mädchen zwischen 18 und 22 so große Chancen zu haben!” „Ja, diesen armen Irren meine ich, Gott sei seiner Schnapsseele gnädig”, sagte das ältere Fräulein Torsten, das 19 Jahre zählte, „Seine Frau soll sich ja schon mit dem An- streicher Olafsen trösten”, zwitscherte die jüngere Torsten, die beinahe noch hübscher war als Fräu- lein Helge. Andersens Astralleib schäumte vor Wut; er gab sich Auftrieb und verließ spornstreichs Hillersens Gasthaus, um sich zu seiner einstIgen Wohnung zu begeben. Dort saß seine Witwe, tiefschwarz umhüllt, und tatsächlich saß auch der Anstreicher Olafsen dabei; sie tranken dünnen Punsch, „Jetzt erst merke ich, was ich an ihm verloren habe”, sagte die Witwe Andersen, die sich ihr ganzes Leben mit dem Kapitän herumgezankt und ihm das Leben nach jeder Seereise zur Hölle ge- macht hatte, „ich glaube, daß ihn mir kein Mensch je ersetzen kann.” „Wirklich, keiner?" fragte Olafsen und sah die Witwe aus seinen verschwommenen Augen zärt- lich an. „Olafsen, Olafsen, du bist ein Arger”, drohte die Witwe Andersen und biß sich vor lauter Neckerei in den kleinen Finger der linken Hand. Andersen wollte vor Wut platzen, besann sich dann aber darauf, daß das wieder Schwierig- keiten mit dem Zusammenklauben der Substanz machen würde; statt dessen kniff er den An- streicher Olafsen Ins Ohr. Natürlich kniff er ihn nicht nach menschlichen Maßstäben, er zwickte ihn gewissermaßen seelisch, so daß Olafsen auf einmal das Gewäsch der Witwe Andersen leid wurde, aufstand, und dem irrealen Ohrzupfen folgte, Andersen zerrte den Anstreicher bis zu Hillersens Gasthaus, bis zu dem Tisch, an dem die Ge- schwister Torsten saßen. Es war eine teuflische Lust in ihm, Verwirrung zu stiften. Der Anstreicher sollte genau wie er auf die albernen Gänse hereinfallen, und er tat es auch. Er bestellt über seine Verhältnisse Getränke und gab gewaltig an, und die beiden Torstens benahmen sich so, als ob ihnen Olafsen ausnehmend gefiele. Ander- sen kannte ja diese Schlangen, die selbst noch die Toten schlecht machten; sollte auch Olafsen mal gründlich reinfallen! Während der Anstreicher mit den Torstens welter- schökerte, fühlte Andersen langsam, daß er als Neuling über seine Verhältnisse gespukt hatte, er zog sich zurück und schlief ein, das heißt, er löste sich auf. Am übernächsten Tag spukte Andersen welter. Dieses Mal besuchte er eine Druckerei und ließ sich mit einer gewissen Wollust immer und immer wieder durch die Walzen einer Druckpresse glel- ten. Das erinnerte ihn stark an das Karussell- fahren aus der Kinderzeit; er war stets für sein Leben gem Karussell gefahren. ‚Man druckte ge- rade Rechnungen für eine Krankenkasse, harmlose Sachen, Aber Andersen schauerte zusammen, als die nächste Drucksache eingelegt wurde; es lief eine Bütten-Familienkarte durch, ungefähr 150 Kar- ten rollten durch die Presse und auf jeder Karte stand „Helge Torsten und Knut Olafsen empfehlen sich als Verlobte”. Da hatte Andersen ja was schönes angerichtet; diese herrliche Torsten und der widerliche An- streicher Olafsen! Es erfaßte ihn wiederum eine tolle Wut, er stürzte sich auf das vor der Maschine sich auftürmende Kartenpaket, er wollte es zer- reißen und in alle Winde schleudern — aber er mußte erkennen, daß da nichts zu machen war, denn schließlich sind auch den Geistern gewisse Grenzen gesetzt, . Andersen zog tiefbekümmert ab und erfahrene Spuker, mit denen er sich später über den gan- zen Fall unterhielt, rieten ihm, mal ein ganzes Jahr Enthaltsamkeit im Spuken zu üben, damit er “ mit seinen Nerven wieder in Form komme. Andersen folgte dem Rat dieser Erfahrenen und unterließ für zwölf Monate die ganze Spukerel, Dann aber, wiederum zu Neujahr, trieb es Ihn er- neut zu Hillersens Gasthaus, Es wurde ein herr- licher, genußteicher Abend für ihn. Fräulein Tor- sten hatte sich von dem Anstreicher Olafsen ent- lobt und man feierte gerade das Hochzeitsfest Olafsens mit der Witwe Andersen. In seinem ganzen Leben hatte sich Andersen noch nicht so köstlich amüsiert! DER SOMBRERO VON HEINZ SCHARPF Senhor Rodriguez Pesado, ein reicher kreolischer Viehzüchter, saß in Onkel Periquillos Barcafe. Seinen Sombrero hatte er aufgehängt, es war mörderisch heiß, wie es nur in El Oro heiß sein kann. Rodriguez Pesado trank einen Pulque, jenen ver- gorenen Saft der Maguey-Agave, der eingekühlt wie Sekt durch die Gurgel fließt und leicht be- rauschend wirkt. Plötzlich sah er, wie ein Mestize seinen, Senhor Pesados, Sombrero vom Haken nahm und sich mit ihm entfernen wollte. Früher hätte man einen solchen Burschen über die Köpfe der Gäste hinweg einfach mit dem Lasso zurück- geholt, aber diese goldenen Zeiten werden nur mehr in Liedern besungen. Senhor Rodriguez Pe- Hut tatsächlich nicht sein, Pesados, Sombrero war, nach und vertrat ihm unter der Tür den Weg. Höflich und ohne jede drohende Haltung sagte er zu ihm: „Maldito, verdammter Gringo, wohin willst du mit meinem Sombrero?“ Anstatt nun sofort den Sombrero abzunehmen, ihn ohne einen Laut Senhor Pesado auszuliefern und rasch zu verduften, wurde der Mestize frech und verneigte sich mit den Worten: „No perdon, Sen- hor, das ist mein Sombrerol” Rodriguez Pesado zog die buschigen Augen- brauen hoch, ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen, er sprach nur um eine Nuance betonter: „Du dreifach gesottener Höllenhund, du gelber Mistkäfer, gib sofort meinen Sombrero her, oder ich schieße ihn dir vom Kopf, daß dir der Kürbis raucht.“ „Santa Marla“, duckte sich der Mestize noch ver- schlagener, „por Dios, Senhor, das ist mein Som- brerol” Der Viehzüchter blieb noch immer höflich, griff nur bestimmt nach dem Sombrero und wollte Ihn dem andern vom Kopf ziehen. „Du verfluchtes Stinktier“, murmelte er dabei, „du verwegener Strauchritter, 'ncht gehörst du wie dein Vater und Vatersvater, Kaum jedoch hatte er dies gemurmelt, vergaß sich der Mestize so weit, daß er ihn anschrie: „Bei allen Heiligen, Senhor, so wahr ich Gonzales Contreras heiße, hier liegt ein Irrtum vor.“ Der reiche Pesado hielt sich noch immer im Zaum, obwohl seine Stirnadern bedenklich anschwollen. „So wahr Ich Rodriguez Pesado heiße“, gab er herablassend zurück, „wenn du jetzt nicht sofort meinen Sombrero dorthin hängst, von wo du ihn genommen hast, werden deine Waisgn deinen Kadaver dort abschneiden können." Gonzales Contreras aber behielt sein heraus- forderndes Benehmen bei und behauptete weiter- hin stur, das wäre sein Sombrero, So ging das noch eine Weile hin und her. Erst als der Mestize an der Bar mit Essig abgerieben wurde, sah Rodriguez Pesado, daß der strittige Hut tatsächlich nicht sein, Pesados Sombrero war, sondern der lag, vom Haken herabgefallen, auf dem Boden. Jetzt aber verlor der Senhor die langbewahrte Ruhe, eine blinde Wut erfaßte Ihn. Und wie der Mestize sein unverletztes Auge öffnete, schleu- derte er ihm den Sombrero mit den Worten ins Gesicht: „Da hast du deinen dreckigen Sombrero, du Malefizgringo, der Teufel hole dich samt deiner Großmutter.” Und zum Wirt Periquillo gewendet schrie er: „Diese Verbrecherkneipe sieht mich im Leben nicht wieder. Adios!“ Damit begab er sich zur Tür hinaus, jeder Zoll ein Grande. Periquillo bemühte sich um den übel zugerichteten Mestizen, den er als Gast nicht verlieren wollte, und schwur ihm zu, Senhor Pesado müsse sich bei ihm entschuldigen, sonst dürfe dieser Büffel von einem kreolischen Viehzüchter sein Lokal nie mehr betreten. Rodriguez Pesado aber, an dessen Kundschaft ihm noch mehr lag, suchte er gleich anderntags auf und bat ihn unter tiefen Bücklingen: „Senhor, Ich wäre dafür, daß man den bedauerlichen Vorfall von. gestern mit einer Entschuldigung aus der Welt schaffen würde.” „Einverstanden”, sagte Senhor Pesado großmütig, „der Gringo möge sich also nächstens in aller Form bei mir entschuldigen.” LIEBER SIMPLICISSIMUS En (0. Nückei) Im Krankensaal erklingt der erste Satz der „Un- vollendeten” aus dem Lautsprecher. Wieder ein- mal läßt der Zauber dieser Musik alle Schmerzen vergessen. Da ertönt aus dem Nebenzimmer eine Stimme voller Pathos und Überzeugung: „Das ist Schubert! — Schubert ist dasI — Ist das nicht schöner, als so ein — Philharmonisches Or- chester?l" Und in den letzten Worten lag viel Verachtung. H. Sch. Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditges Verantworti, Schriftl anstalten entgege: ischaft, München, Sendlingor Straße 80 (Fernruf 12%). Brie 1; Water Foltzick, Mönchen, — Der Simplichsimus erscheint wöchenilich einmal Bestellungen nehmen alle Buchhandlun ezugspreise: Einzolnummer 50 Pf.; Abonnemen! im Monat RM. 1,20. — Unvetlangte Einsendungen werden nur zurückg nschrift München 2 BZ, Brieffach. Zoitungsgoschäfte und Post- indt, wenn Porto beiliogl. — Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München. Das Goldene Kalb (Erich Schilling) EF® Br „Komm nur, hab! keine Angst, ich schlachte dich ja nicht gleich, ich will dich erst noch vor meinen Kriegswagen spannen!" I vitello d’oro: "Vieni vieni, non äver paura! lo non ti macello subito, sai; prima voglio ancora attaccarti al mio carro di guerral,, 472 VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN USA.-Kommission in England „Es Ist rührend, wle sich die lieben Tierchen um mich und meln Haus kümmern!" Commissari statunitensi in Inghilterra: *E commovente Il vedere quanto questl carl anlmaluccl sl curino di me e della mla casal,, Dorfstraße in Oberbayern - Strada di villaggio nell’ Alta Baviera (Toni Bicht Im Felde) DIE HAUT Ich kenne das, und Sie werden es auch kennen, nämlich das mit der Haut auf der Milch. Wir nen diese Haut seit Kindheitstagen, Wenn Sie so einer sind wie ich, so hat Ihnen Immer vor der Milchhaut gegraust. Jetzt natürlich fischen wir die Haut behutsam heraus oder lassen die Milch durchseihen, aber damals war sicher Jemand da, HERBSTLICHE EROTIK Ich geh’ an einem ftillen Gartenzaun gemach vorbei, da zwingt mich plötlich etwas, aufzufchau'n, was hier wohl fel. Was feh’ ich? Einen filberglänzenden, das Parktableau aufs wahrhaft glücklichfte ergänzenden - pardon - Popo. Der Nachbar ift’s, in Sonntagshofenpracht und tief gebücht ... Wozu er fich wohl diefe Mühe macht? Nun ja, er pflücht... Er pflückt des Sommers letste Rofe, traun, und reicht fie - wen? Der Dame hinterm nächften Gartenzaun. «..Ift eu an dem? Scheu linft er, ob’s die Gattin nicht bemerkt. Die paßt, gottlob. Ich aber drück’ mich, innerlich geftärkt, und tu’, ale ob... Ratatöshr der hat so was Ähnliches gesagt wie: „Aber Kind, das Ist Ja das Beste”, Womöglich hat auch Sie Je- mand gezwungen, dieses Beste herunterzuschluk- ken. Später hat man Sie allerdings nicht so sehr gezwungen, Bestes herunterzuschlucken. Wenig- stens mit den Austern und dem roten Bordeaux und den Hummern ist einem das nie passiert, ob- wohl so etwas doch auch ganz gut ist. Aber die Haut auf der Milch gehört zur Erziehung, und die muß herunter. Ich weiß, Ich weiß, es gibt auch Erwachsene, die schlecken sich alle zehn Finger nach so einem Hautgeschlader, und sie sprechen wonniglich, es stecke die ganze Kraft drinnen, und es sei die reine Sahne. Und das schlürfen sie mit Genuß. Mir graust dabei auch heute noch. Manche sagen auch etwas Chemisches, das sei eine Eiweißemul- sion. Also ich muß schon sagen, dann graust mir auch vor Eiweißemulsion, und die Haut schmeckt mir dadurch nicht besser. Ist Ihnen damals nicht auch so etwas gesagt wor- den, wenn Sie vor der Haut zurückschauderten: „Manches arme Kind würde sich freuen, so etwas Gutes zu bekommen!” Nun, mir ist es vorgehalten worden und ebenso bei den gelben Rüben und ‚dem Spinat, den Ich auch nicht mochte, wie fast alle Kinder (heute hat sich mein Geschmack darin übrigens geändert). Ich muß bekennen, daß ich ‚damals unsozlal gedacht habe, und daß dies arme Kind mir sehr unsympathisch war, das ausge- rechnet für so unangenehm schmeckende Dinge schwärmte, und sich sogar über Milchhaut freute. ‘Wenn ich ganz ehrlich war, so konnte Ich mir die- ses Kind überhaupt/nicht vorstellen, und ich hielt die ganze Geschichte für einen Schwindel, den die Erwachsenen uns vormachten. Aber dieses Kind mag Ich heute noch nicht, und, wenn mir mal jetzt so ein recht unangenehmer und zuwiderer Lausbub begegnet, so denke ich immer, das ist ge- wiß einer, der Milchhaut mag. Foltzick ALLER ANFANG IST SCHWER Aage Frederiksen aus Kopenhagen war fünfzehn Jahre alt, als er zu einem Elektriker in die Lehre kam. Schon am nächsten Tag nahm ihn sein Meister zu einer Reparatur mit, die in einer Villa in Klampenborg ausgeführt werden sollte. Man hatte telephoniert, daß das Licht im Keller nicht in Ordnung sei. Nach einem kurzen Überblick über die Situation ging der Meister Ins Treppenhaus, wo der Zähler mit den verschiedenen Sicherungen war, um her- auszufinden, was mit dem Licht eigentlich los war. Der neugebackene Lehrling sollte unten im Keller bleiben und aufpassen, wenn es wieder hell wurde. Nun entwickelte sich folgende Rede 474 und Gegenrede: Der Meister drehte an den ver- schiedenen Sicherungen und wechselte eine aus, dann rief er: „Brennt das Licht?” Der Lehrling antwortete: „Nein!” Wieder wechselte der Meister ein paar Siche- rungen aus, schraubte hier und bastelte da, danı tief er wieder: - „Brennt das Licht nun?“ Wieder antwortete der Lehrling: „Nein!“ Plötzlich fragte der Meister: „Ist denn eine Birne drin?“ Lehrling Aage brüllte zurück: „Nein!” Zum größten Erstaunen aller lebt der Lehrling heute noch... Wallstreet am Grabe Wilsons A odrowWilson Bom 1856 Deatil9% „und werden wir ihm nie vergessen, daß wir Ihm unsere heutigen, großen Geschäfte zu verdanken haben!" Wallstreet alla tomba di Wilson: “.... e nol glammal dimenticheremo che dobblamo a lul I nostri grand affari d’ oggi!" 475 0. Gulbransson) Tauschgeschäfte \/ S RS III (Kate N > m )I OLar GAvursraAnssen a „San ja ganz schön, die zwoa Ochs’n, aber a Gans kann | Eahna net geb'n dafür, höchstens a Supp'nhennal'* Affari di baratto: "Questi due buol sono davvero bellissiml, ma In ricamblo lo non posso darvl un’ oca, tutto al plü una gallina da brodo!,, 176 MEERMÄRCHEN VON SCHLEHDORN „Jetzt erzähle ich dir das Märchen vom versunke- nen BGB”, sagte Regierungsrat Julius zu Frau Dorette; Eines Tages versank ein Bürgerliches Gesetzbuch im ‚Meer. Ein Referendar, der an der Reeling lehnte, zeitlich nahe vor dem Assessorexamen und räumlich nahe neben einer bıldhübschen jungen Dame, hatte über der letzteren das erstere ver- gessen, und, während er das Buch über das Meer hielt, Jenes in dieses fallen lassen. Aber die bei- den an der Reeling Interessierten sich nicht welter für die sachenrechtlichen Auswirkungen des Ver- lustes. Auf dem Meeresgrund saß die Nixe Wellerika und träumte von dem Fischer Thom, dem ungetreuen. Sie war so schön, daß die Steinbutte und Schol- len ringsum ganz platt vor Staunen waren. Als sie das Buch fallen sah, hob sie die weißen Arme und fing es auf und begann darin zu lesen — sie hatte ja sonst keine Lektüre. Neben ihr spielte Welleduardchen, ihr dreijähriges Nixenkind, das noch recht kaulquäpplich unge- schickt mit seinem Schuppenschwänzchen zap- pelte, Er ließ einen Hering sich zusammenrollen und klatschte in die kleinen, flossigen ‚Hände: „Mutti, ein Rollmops.’ Oder er setzte sich auf den Goldbarsch und ritt Jauchzend durch die Wellen. Und glich trotz seiner grünen Haare dem Fischer Thom, dem ungetreuen. Die Nixe aber las im BGB. von den geringen Rechten der verlassenen Braut, von den Ansprü- chen der Kinder, deren Vater — nicht da ist (du verstehst schon, Dorette) und über die Vormund- schaft viel aufmerksamer, als Ihr Vorbesitzer, der Referendar, es je getan. Und die Wellen sangen 'hr immer gleiches, stets bewegtes Lied von der Ewigkelt... * Nicht lange danach stieg ein Junger Herr im Badeanzug am Strand umher. An dem war alles neu: der Badeanzug und die blaue Schirmmütze, die Bezeichnung Assessor und die schlanke Frau, die lächelnd Im Strandkorb eingeschlafen war. Er sah durch se'n Fernglas prüfend über die See und zurück zum Strandkorb, ob seine Frau noch nicht aufgewacht und noch nicht abhanden gekommen sel. Da teilte sich die Flut vor ihm. Ein wunderschönes, welbliches Wesen stieg herauf und die Wellen bildeten ihr ein reizvolles Dekollet® von schäu- menden Spitzen. „Ahol, Sie!‘ rlef die Nixe. „Nanu?“ sagte der Assessor. „Sie sind doch Jurist. Ich sehe das am Typ. Dart ich Sie mal was fragen? Ich bin nämlich eine Nixe und deshalb nicht so Informiert.” „Verzeihen Sie, gnädige Frau, Nixen gibt es doch nicht.” „Ist es höflich, einer Dame zu sagen, sie existiere nicht?” „Sie sind doch die Verkörperung des Wassers, das sagt uns die Vernunft.” „Seien Sie vorsichtig, Herr Assessor. Später, wenn die Maschinen selbständig am Strand spazieren- gehen und sich durch Lüften ihrer 4 oder 6 Zy- linder begrüßen, werden sie von euch Menschen sagen: die sind nur die Verkörperung der Ver- nunft gewesen, die existieren nicht.” Und dann brachte sie das BGB. — du ahnst schon, Dorette, es war eben seins, denn die Welt Ist klein, nur das Meer darin ist weit. Sie wollte es ihm zurückgeben, — „danke schön”, sagte Ich bin inzwischen zur Verwaltung gegangen. „Du ahnst auch, was sie ihm dann erzählte." „Natürlich, von Thom, dem ungetreuen und von Welleduardchen.” Ja — und das Meer wurde noch mehr von ihren Tränen, und auch dem Assessor wurde ganz vor- ehelich weich zumut, und er war froh, so Jung und fest verheiratet zu sein. „Aber, wandte er ein, „da ist doch besagter Thom eigentlich seiner Ehefrau Wiebke untreu ge- worden...” „Aber mir auch“, sagte sie sehr weiblich. „Wie vielen Frauen kann so ein Mann untreu sein. Und nur einer kann er treu sein. Und das kann er eben auch nicht. Die Treue Ist wohl schlecht wegge- kommen bei der Schöpfung.” „Also, da möchten Sie den ungetreuen Thom zum Vormund für den kleinen Welleduard bestellt haben, um ihn ab und zu zu sehen. Da fragen Sie zweckmäßigerweise beim Amtsgericht nach.” „Gut, sagte die Nixe, „jeden Tag darf ich zwei Stunden lang auf Füßen gehen, wie ein Mensch. Sonst“, sie schlug mit ihren silberglänzenden Schuppen das Wasser, „lebe Ich hier.” „Ach", staunte der Assessor, „Ja, genau wie ihr Menschen zwei Stunden ins Theater oder Kino geht und wie Gölter oder Hel- den empfindet, und nachher seid ihr wieder All- 1ag. — Ich werde also morgen den Amisrichter tragen.” Sie dankte, lächelte unergründlich und versank. Der Assessor hat erleichtert aufgeatmet, als er vom Strandkorb her auf zwei beständigen, Üübri- gens sehr hübschen Beinen seine Junge Frau kom- men sah. * Eine von den zwei Stunden mußte die Nixe auf ‚dem Amtsgericht warten (es waren noch andere Termine) und dann Iragte der alte Amtsgerichts- rat Petersen, wie sie mit Familiennamen hieße, Sie wußte es nicht. Auch ein Alter hatte sie nicht, und ihre Wohnungsangabe war so ungenau, daß Zustellungen nur durch Niederlegung von Schrift- stücken am Strande möglich erschienen. Dann er- zählte sie ihr Herzeleid und er bedachte die Rechtsfragen, und mußte sich wiederholentlich schneuzen, denn alte Juristen können ebenso- wenig wie junge eine schöne Frau weinen sehen. „Na, der Thom hötte Sie gewiß auf die Dauer doch nicht begriffen“, wollte er sie trösten. „Entschuldigen Sie, ist Irgendeine Ehe noch er- freulich, wenn man sich ganz begreift? Was Ihr an einer Frau liebt, Ist doch im Grunde die Nixe in Ihr.“ Amtsgerichtsrat Petersen war ein praktischer Ju- tist und versprach, sich den Thom kommen zu lassen. Traurig und dankbar wollte ihm die Nixe etwas schenken: „Hier nehmen Sie eine Muschel voll Perlmutter. Sehen Sie, wie die Perlmutter glatı und farbenreich ist. Aber wer ist denn der Perl- vater? Meist ein zudringliches, häßliches Staub- korn. Und als Kind dieser Mesalliance entsteht dann, well sie so reich an Farben ist, und weil er oinfach da war, — die Perle. Doch seltsamerweise Ländliche Sommernacht Das Feld weht Ruch von reifem Brot. die Roggenähren wispern leis, des Mondes Antlitz, feist und weiss, yrinst höhnisch über Glück und Not. Im Bauernhofe dampft der Dung. ein Stier trompetet irgendwo. die Jungmagd sucht sich einen Floh. mißschtend die Verdunkelung. Dieweil schleicht sich zu blut'gem Mahl der Iltis durch die Scheunentür: am Grabenrand der Grenadier umarmt sein Mädchen noch einmal. Der Holzknecht träumt von seiner Fuhr- wälzt sich im Stroh. schläft wieder ein und jede Stunde silberfein schlägt fern im Dorf die Kirchenuhr. Willibald Omansen 477 i resgrundbuch usw.” ziehen die Menschen die Perle der Perlmutter vor. — Aber jetzt muß ich ellen, solange ich noch be” Beine habe. * Thom wurde aufs Amitsgericht bestellt. Frau Wiebke, die stattliche blonde Tochter des Fisch- meisters, schaute mißtraulsch auf die Ladung: „Na, geh man. Hast du woll was Unerlaubtes an- gestellt oder gar so was Uneheliches, Thom?" „Nee'‘, sagte Thom. Es war ein schwüler Tag. Als er am Strande vorüberging, klang eine Stimme aus den Wellen: „Komm, Thom!’, eine glocken- schöne Stimme. Und dann kam ein Unwetter auf, aber im Seemannsdeutsch, so daß Landratten es gar nicht kaplerien: die Boote am Strand schlank- ten gegen Lee auf, und die eingeklimmten Dwan- ken grabbten querbacks und so... Thom dachte an jenen Abend vor vier Jahren... „Komm, Thom”, hatte es aus dem glitzernden Wasser gelockt... „Wat soll ich mit sone süßen, glibbrigen Gefühle, die wie Seetang und Quallen sind“, sagte er sich und beschieunigte seinen Schritt. Wieöke hatte nichts davon erfahren. Es war wohl gut, daß er bel ihr In festen Händen war. Auf dem Amtsgericht bat er, von seiner Bestel- lung als Vormund abzusehen: „Meine Frau sagt, Nixen gibt es nicht Da darf ich sie nicht ent täuschen.” Die Bestellung eines Vormundes über das Nixen- kind erschien überhaupt aus allgemeinen Rechts- und besonderen Zuständigkeitserwägungen un- tunlich. * Die Jahre gingen. Eines Tages sah Wiebke ihren Thom mit prüfenden Augen an, die vom vielen Hinausschauen Über das Meer von tausend kleinen Fältchen umgeben wa- ren: „Na, Thom, nu sag schon dem Herrn Pasting, daß wir zwei in diesen fünfundzwanzig Jahren unserer Eha glücklich gewesen sind.” „Komm, Thom“ klang es draußen im Nebel. — Er nickte: „Ja, glücklich.” „Gerade um diese Zelt war auch der Vizepräsident aus K. mit seiner repräsentativen Gemahlin und den Kindern zur Sommerfrische da,” — „Ach, der Assessor von damals?” — „Natürlich, Dorette. Und der erzählte am Strand, wie er damals die Nixa getroffen... Aber seine Frau unterbrach ihn ‚Laß das, Hans-Heinrich, die Kinder!! — Und wieder nach Jahren strich sich Wiebke eines Tags die weißen Haare aus der harten Greisen- stir: „Na, Thom, nu sag dem Herrn Pastor schon für seine Rede, daß du mir in den fünfzig Jahren niemals untreu gewesen bist,” „Komm Thom“ ging es ihm ganz leise durch den Sinn. „Einmal“, bekannte er. „Dj8", meinte sie sachlich, „das könnte uns heuts auch nichts mehr nützen.” Am Tage darauf ist Thom, weil er doch schon bei Jahren und ein bißchen unsicher auf den Beinen war, als er so am Strand ging, ertrunken,... „Die Nixe hat Ihn geholt”, flüsterten die Leute. Die alte Wiebke aber verbot ihren Enkeln, so dummes Zeugs zu reden, „Nixen gibt es nicht.“ Auch der Präsident a. D.. der mit seiner Frau, einer gütigen, alten Dame, den Spätsommer hier v. brachte, meinte: „Gewiß nicht, denn wenn es welche gäbe, gäbe es auch eine Organisation derselben und eine Allgemeine Nixenordnung und eine Verwaltung auf dem Meeresgrund, ein Mee- .s „Und das Bürgerliche Gesetzbuch?” fragte Frau Dorette, „Richtig, das BGB. Das hat die Nixe vorsorglich In einen alten versunkenen Schitfskoffer verschlos- sen, damit Thom, wenn er endlich käme, nicht an- finge, nach Ehehindernissen und dergleichen zu blättern. Aber traurig: die Nixe war Jung geblieben, wie die Wellen. Er aber war, als er endlich kam, nicht mehr der alte Thom. Er wa: eben der alte Thom. — Keln happy end, Aus. Meintest du etwas, Dorette?” Frau Dorette summte leise ver sich hin: Thom...” „Komm DIE SCHWEINE DES HERRN LADISLAUS RAB Die Anwesen des Herrn Ladislaus Rab lagen an der Grenze des Dorfes Nadudvar. Er besaß eine recht ansehnliche Herde von Schweinen und rech- nete auf einen ausgiebigen Gewinn. Doch die Dürre machte ihm einen Strich durch die Rech- nung. Die Glut der Sonne brannte die Vegetation bis zur Wurzel aus, und sog das Wasser aus den Teichen, Bächlein und kühlen Brunnen. Er rief den rechnungsführenden Hirten zu sich, „Na, Onkel Jossi, wie werden wir Im nächsten Sommer mit dem Speck stehen?” Josef drückte den knisternden Tabak in der Pfeife mitseinem schwiellgen Daumennieder und lächelte: „Speck? Schweineschlachten? Ehhel Niemand wird mehr haben als der gnädige Herr.” „Eine Handvoll Mais Ist wenig, aber ich habe ja nicht einmal so viel, Onkel Jossil" „Ehhel” räusperte sich der alte Josef und qualmte aus seiner Pfeife, „überlasse der gnädige Herr nur seinen Hirten diese Sache. Wir haben das schon mit Gyurka, meinem Gehilfen, ausgemacht!” Herr Ladislaus Rab kannte die Hirten der Horto- bagy gut, daß sie nämlich überflüssige Worte nicht lieben, noch weniger vieles Fragen, daher verabschiedete er sich mit kurzem Händedruck vom alten Joset. „Gott segne euch!” „Gott segne den gnädigen Herrn.” Das dürre Jahr hat das ganze Haldugeblet In (005. Oberborger) VON PAUL MORICZ Trauer versetzt, nur den Bauern von Nadudvar brachte es unverhofften Segen. Die seichteren Sümpfe von Nadudvar trockneten nämlich derart aus, daß die Leute die Teichgründe aufackerten, und wo früher Schilfhalme sich im Winde bogen, rägten jetzt überall üppig grüne Maisstengel gegen den Himmel. Die Bauern von Nadudvar haben nämlich Jede ackerbare Wiese mit Mais bebaut, und der Segen Gottes blieb auch nicht aus. Auf den Feldern erklangen schöne Lieder statt dem Kreischen der Sumpfvögel, und im wei- Ben Haiduckendorf mit seinen Rohrdächern wurde jeder Speicher, Stallboden, Getreidekammer bis zum Rande mit Mais gefüllt, Die Schweine des Herrn Ladislaus Rab haben den Sommer auf der Hortobagy durchfristet, und nach verdorrien Wurzeln Im Boden gewühlt. Der erste Schnee tiel.., der Winter begann... Einmal, so nach Weihnachten stellte sich der Hirte Gyurka bei dem Herrn Rab ein. „Grädiger Herrl... Die Zeit Ist da, machen wir Rechnung.” „Gut, mein Sohn, rechnen wir ab.” ‚Ja, richtig, gnädiger Herr, Ich habe es noch gar nicht gesagt, daß nach dem Maisbrechen füntundzwanzig Schweine ‚aus der Herde gestoh- len wurden.” „Donnerwetterl” brauste der sanfte Herr Ladis- laus Rab auf, „Und das meldet ihr mir erst jetzt?” Urlaubstage - Giorni di permesso „Bin ich jetzt braun genug?“ — . „Es kommt drauf an, ob du auf Gänsebraten oder auf Roastbeef hinarbeitest!" “Sono adesso abbastanza bruna?,, — "Tutto dipende, se tu miri all arrosto d’ oca oyvero alla bisteccat,, 478 Der Mund des Hirten Gyurka verzog sich zu einem breiten Lächeln. Unter dem Schnurrbart blitzten seine starken weißen Zähne hervor: „Ich bit!’ schön, gnädige, Herr. äigern Sie sich nicht. Ich bin schon auf der Spur der Schweine. Sie sind bei den Bauern von Nadudvar verborgen! Ein Teil von ihnen ist schon ganz schön fett gewor- den.” Herr Rab starrte mit seinen ehrlichen blauen Augen den braunroten Hirten an. „Gyurka, mein Sohn, was sollen wir jetzt tun?” „Was wir tun sollen? Der gnädige Herr geht zum Stuhlrichter von Nadudvar, und der Herr Stuhl- tichter wird schon die Schweine zusammensuchen lassen, sie haben Ja unser Zeichen.” So geschah es. Die Betroffenen, auch sonst ziemlich berüchtigte Bauern von Nadudvar, waren noch froh, daß sie in dieser Sache so billig und trocken davonkamen, da Ja auch der Stuhlrichter ihnen nicht glaubte, daß die Schweine nur so zufällig, ohne ihr Wis- sen, als ein geheimnisvolles nächtliches Geschenk sich In !hren Hof verlrrt hätten Die Prophezeiung des alten rechnungsführenden Hirten Josef hat sich wirklich erfüllt, Bei dem Herrn Ladislaus Rab ist Schweineschlachten gehal- ten worden, und es gab reichlich Speck. De: breve Herr setzte Josef neben sich an den Tisch „nd nachgem der leckere ungarische Festschmaus beendet war, und sie zu zwelt allein waren, het- tete er seine offenen blauen Augen auf den alten Hirten: „Onkel Josefl Ich möchte Sie etwas fragen. „Hm!“ Josef tzt einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und sagte sonst nichts. „Onkel Josef! Erklären Sie mir doch endlich, wie sich das mit diesen Schweinen von Nadudvar zu- getragen hat? Es bleibt unter uns beiden.” „So soll es aber auch sein! Denn es wäre nich! gut, wenn alle Leute wüßıen, was wir Hirten mit- einander abmachen. Alsc einmal, als wir am Ufe: des Hortobagyflusses mit Gyurka zusammentrafen sage ich 'hm: ‚Du, Gyurka, dein Herr Ist doch ein guter Mensch, nichi wahr’?” „Ein Stück Brot kann nich! besser sein!” antwor- tete er, „Und er hat doch auch Gyurka”, sage ich, -, „Noch dazu bei den Husaren als Oberleutnantl”, erwiderte er. „Um so mehr muß bel ihm auch heuer Schweine- schlachten gehalten werden! Gyurka, mein Sohn du bist doch bekannt in Nadudvar?” „Ich gehöre ja mütterlicherseits so halb und halb dorthin.“ „Und dann weißt du ja auch, daß die Kerle nicht genug Platz für ihren vielen Mais finden. Und der gnädige Herr ist dir doch ein guter Patron. Das andere überlasse ich dir. Hast du mich verstanden, Gyurka?” „Ich kann dem gnädigen Herrn nur so viel sagen, daß dieser Gyurka kein Esel unter den Hirten ist In dazu geeigneten Nächten halte er fünfund- zwanzig Stück ausgewählte Schweine nach und nach zu gewissen Bauern in Nadudvar eingetrie- ben, in manchen Hof sogar zwei, drei einge- schmuggelt. Man muß sagen, gnädiger Herr, daß diese Haiducken von Nadudvar brave Leute sind Keiner hat sich nach den Besitzern der verirrten‘ Schweine erkundigt, die sie im Gegenteil gut Im Stall versperrten und in der Hoffnung auf ein ge- schenktes Schweineschlachten sorgfältigbetreuten und ordentlich mästete.n. Vielleicht melne ich mit Recht, daß der gnädige Herr sich über Minder- wertigkeit der Schweine von Nadudvar nicht all- zusehr zu beklagen hatl?" (Aus dem Ungarischen von Martha von Agoraszto-Zöllner) im Krieg gekämpft, Auf ihres Daches Zinnen „Ach, wenn ich so auf 'ner Terrasse stehe, fühl’ ich mich immer wie der selige Polykrates!* „So — aber deinen Ring mit dem Smaragd wirfst du trotzdem nicht runter!‘ Sul tetto della di lei casa: “Oh, quando sto qui su una terrazza, mi sento sempre come Il beato Policratel,, “Ah si!? „.. Ma tuttavia non getti mica giö il tuo anello collo smeraldo!,, 479 (R Kriesch) GLÜCKLICHE TAGE VON RUDOLF SCHNEIDER-SCHELDE Als Carlo um die Ecke bog und in der Ferne das Haus inmitten des Gartens liegen sah, löste sich von dem Zaun, zu dem er hinblickte, eine kleine weiße Wolke und bewegte sich auf ihn zu. Er sah beim Näherkommen etwas Helles, Farbiges, das vorn auf der Wolke saß, und unterschied zap- pelnde, unbegreiflich rasch sich vollziehende Ver- änderungen an der Wolke, die den Weg entlang an der Seite des grünen Wiesenstreifens auf Ihn zuschoß,. Wie aus großer Ferne vernahm er ein kleines jauchzendes Schreien In der stillen heißen Sommerluft. Es war Rosie. Carlo hob den Arm, um die Geschwindigkeit zu dämpfen, mit der das Kind ihm entgegenlief, aber er erreichte nur das Gegenteil. Das Schreien nahm mit dem Größer- werden der Wolke und Ihrer Schnelligkeit zu. Er vermochte jetzt die Arme und Beine der Kleinen zu erkennen, das weiße Kleid und das blonde Haar, und zuletzt, vor dem Anprall, den er mit Mühe auffing, sah er nur die hellen, fast lechzend auf ihn gerichteten Augen, deren Blick mit einer durchdringenden Klarheit und Tiefe in ihn drang. Er hob Posie hoch und küßte sie, Sie konnte nicht sprechen. Sie schnappte nach Luft und umschlang Ihn mit Ihren dünnen Ärmchen und preßte sich an Ihn. Carlo’kam aus der Stadt. Er hatte sich über den ' Sonntag frei gemacht und besuchte Nelly, Nelly, die seine Frau, und Rosie, die seine Tochter war Rosle war sleben Jahre alt. Es ging Carlo gut; aber er wußte nicht, ob es ihm nicht noch besser gegangen wäre, wenn er In der Stadt nicht Leonie zurückgelassen hätte, der er hatte versprechen müssen, am Sonntag abend wleder zurück zu sein. Er war In der Klemme. Carlo war Immer In der Klemme. Soweit er zurückdenken konnte, war er In der Klemme gewesen, immer Frauen und Ne- benfrauen oder, was schlimmer war, eine Frau und eine Nebenfrau oder, was das Allerschlimmste war, Nelly und Leonie. Jetzt war Carlo anfangs Vierzig, und Jetzt schlen-die Katastrophe über Ihn kommen zu wollen. Er liebte Nelly und er liebte Leonie und er liebte erst recht Rosie, die nun s'umm ur etwas verwirrt Über Ihren Zärtlichkeits- ausbruch neben ihm ging und ihre kleine Hand vertrauensvoll in seiner Hand hatte, und Nelly liebte ihn wieder mit der stillen, unbeirrbaren Kraft ihres ganzen tadellosen Lebens, und Leonie liebte ihn ebenso, nur ungestümer; von Rosie ganz zu schweigen, deren Abgott er war. Carlo ging mit der Kleinen an der Hand, die jetzt zu plappern anfing, auf das Haus zu, das In der Mittagssonne brütend und still dalr- als ruhe die Zelt und alle Vergänglichkeit und sel Dauer Über das Leben gebreitet. Die Wiesen standen voll und saftig In ihrern Grün und dahinter die Acker mit Ihren Halmen schon gelb und schwer und bei- nah reif, und hangabwärts erstreckte sich der See, blau und silbern schimmernd wie eine beruhi- gende Gewißheit, wie ein Unterpfand des Him- mels, der sich In herrlicher Durchsichtigkeit über der Landschaft wölbte, Im Garten standen die Obstbäume, voll mit Früchten, die sich schon färbten; die Grillen zirpten; es war außer dem Geplapper des Kindes der eInzige Laut, der zu vernehmen war, und er vertiefte den Eindruck der summenden Stille noch Carlo fühlte die weiche Hand Rosies in der sel- nen und fand, daß es gut sei, hier neben seiner kleinen Tochter zu gehen, die so hübsch war und Nelly so ähnlich. Er fühlte sich glücklich und hatte nicht den Eindruck von sich, daß er ein Mann sei, der irgendjemand um irgendetwas betrog. Als er zum Haus hinblickte, sah er Nelly unter der Tür wartend stehen, Sie stand, ohne sich anzulehnen, wartend im Türrahmen und hatte ein blaues Lei- nenkleid an mit kurzen Ärmeln und. sah ihm ent- gegen. Ihre Arme und ihr Gesicht waren von der Sonne gebräunt, sie stand schlank, zart und Jung in einer verhaltenen Erwartung da, die Augen auf Ihn gerichtet. Carlo begann zu strahlen und beschleunigte seinen Schritt, und als er bei ihr angelangt war, berührte er sie sacht und zärtlich an Armen, Schultern, Händen und Im Gesicht und küßte sie. Nelly lächelte und hob den Kopf ein wenig und blickte mit ihren klaren Augen über den Garten und die Wiesen gradaus. Sie verbrachten alle folgenden Stunden zusam- men, und es wurde ein sehr schöner Tag. Es wurde ein so glücklicher Tag. Sie ließen einander kaum aus den Augen. Vielleicht fand Carlo, daß er Nelly irgendetwas abzubitier hatte, er war wie Samt. Sie redeten über alles Mögliche, nur über das, was er Ihr unter Umständen abzubitten gehabt hätte, redeten sie nicht, Sie redeten nie darüber, Nelly wußte vielleicht gar nichts davon, Carlo hielt es zwar für wenig wahrscheinlich, daß sie nichts da- von wissen sollte, aber jedenfalls redeten sie nie darüber, und sie ließ sich nie etwas anmerken. Carlo dachte oft ergebnislos darüber nach. Tatsache war, daß sie nichts mehr miteinander hatten. Sie hatten seit !:sgem nichts mehr mitelnar-er in der Art von Eheleuten, obwohl sie sehr verliebt ge- wesen waren, als sie geheiratet hatten. Sie leb- ten wie Bruder und Schwester. Vielleicht liebte Carlo Nelly darum so, well sie Ihm dieses Eine zum Opfer gebracht hatte, well sie nicht wie andre Frauen war, die deshalb nach neuen Män- nern schielen, Nelly war tadellos. Sie war für Carlo die tadelloseste Frau von der Welt und hatte aus Liebe ihm dieses Opfer gebracht, das Opfer, als Junge, schöne, gesunde Frau ohne Mann zu leben, ohne darum gelb wie eine Zitrone oder ein eingetrockneter Apfel zu werden. Carlo dachte oft darüber nach. Er dachte manchmal, sie wären einander zu ähnlich geworden, oder ihre Liebe hätte sich dorthin begeben, wo das schon eine Verletzung der Zärtlichkeit war Es war ein Problem, Carlo haßte Probleme. Aber er hatte sie. Er haßte auch Opfer. Aber er nahm sie an. Er stand am Nachmittag Im Garten hinter dem Haus und hackte Holz und sah Nelly, die mit Rosio Himbeeren. von den Sträuchern zupfte. Er hörte sie beide reden und lachen, und ab und zu blick- ten sie her zu ihm, und Rosie kam und brachte ihm eine Handvoll Beeren Er hatte seine Pfeife nicht und wollte rauchen, und Rosie ging seine Pfeife suchen und brachte sie gestopft und ver- klärt lächelnd. Nach einer Weile hörte er auf mit Holzhacken und setzte sich auf den Klotz und rauchte und sah den beiden zu, die Irgendetwas zu reden hatten. Er fühlte sich sehr glücklich und ging zu ihnen heran und »>tzte sich nah bei ihnen ins Gras. Während er sie beobachtete und strah- © ÄPFELDIEBE (Antwort auf einen Brief) Wunderts dich, daß in der Nacht Räuber übern Zaun sich schwingen, In die Gärten, unbewacht, Um die süße Apfelfracht Froh nach Haus zu bringen? Vollmond sollte Wächter sein? Liebe Frau, was fällt dir ein? — Er leuchtete dem Dieb, Der in den Ästen lautlos sein Schnödes Handwerk trieb. Während du dem Mond vertraut, War’n andre still geschäftig! Wer zu viel zum Mond aufschaut, Den bestiehlt man kräftig! Georg Britting 460 lend lächelte, wenn sie zu ihm hinsahen und er den Blick der Mutter im Kind und den des Kindes in der Mutter wiederfand, dachte er, daß er für's Leben unglücklich sein würde, wenn er die eine oder die andre oder beide verlöre. Später gingen sie zusammen zum See hinunter und machten ein paar Einkäufe, und die Leute in den Läden, die Carlo kannten, begrüßten ihn und lachte mit -Ihm und Nelly. Sie trafen Bekannte am Strand und unterhielten sich mit ihnen, und je- mand sagte, Nelly sehe so glücklich aus, weil Carlo gekommen sei, und sie lachten alle dar- über und gingen in einer ganzen Gesellschaft zum Wirt, ein Glas Wein zu trinken, Abends, nach dem Essen, nachdem sie Rosie zu Bett gebracht hatten, und nachdem auch Nelly zu Bett gegangen war, kam Carlo mit einer Flasche und zwei Gläsern zu Ihr Ins Zimmer, „Trink noch etwas, Liebling’, sagte er, „es war ein so schöner Tag heute; wie geht es dir?” „Gut.“ Er öffnete die Flasche, die noch tauig beschlagen war, weil sle unten im Brunnen gelegen halte, und goß den Wein in die Gläser, Er brachte \die Gläser zu Nelly, gab ihr eins und setzte sich aufs Bett. Er trank den Wein In kleinen Schlucken und lobte ihn. Es war ein heller, herber Franzose, die Flasche hatte kein Etikett Er war vom Wirt „Von dem möchte ich ein Fäßchen“, sagte Carlo. „Bestell doch eins.” „Ich bestelle auch eines. Ich weiß nicht, wie er heißt, und der Wirt weiß es auch nicht, aber er sagt, er gibt mir etwas davon ab. Aber du mußt ihn abfüllen.” „Mache Ich.“ „Zwei Finger breit leer zwischen dem Kork und derFlüssigkelt und die Flaschen legen”, sagte Carlo, „Ich weiß Bescheid.” „Hast du 'n Schlauch?” „Der Wirt gibt mir einen.” „Und Flaschen genug?” „Mehr leere als dir angenehm Ist”, sagte Nelly lachend. „Vom vorigen Sommer steht noch eine ganze Ladung unten” „Schön! Das ist ein feines Weinchen. Ich werde dem Wirt morgen sagen, daß er ihn 'raufschickt Trinkl’’ Nelly trank. » „Schmeckt er dir? Magsı du etwas dazu essen? Ich gehe in dıe Küche und mach’ dir ein Butter- brot.” „Danke, nein.” „Ein kleines‘ Butterbrot; so klein wie du?" Er neigte sich übers Bett und drückte sie zärtlich an sich. Sie schüttelte den Kopf „Ich möchte dır so gern etwas zu lieb tun”, sagte er. „Geht’s dir gut?” „Sehr gut.” „Bist du glücklich?” „So glücklich man sein kann vor dem morgigen Tag.” „Oh”, sagte er, „du bist gebildet. Ich hab’ eine gebildete Frau. Und du hast keinen Wunsch?” „Sicher.“ „Siehst du? Was ist es für ein Wunsch? Ich erfülle ihn dir sofort.“ Sie dachte nach und lachte „Ich weiß ihn nicht.” „Du solltest ihn aber wissen Schreib ihn dir auf, wenn er dir einfällt, und schick mir den Zettel in die Stadt.” „Wann fährst du zurück?” „Morgen“, sagte Carlo. „Ich habe eine Verab- tedung zum Essen. Ich wollte nicht, aber ich mußte. So ein Fatzke aus Berlin, der mir ein Bild zeigen will und glaubt, es sel ein Parmigianino.” „Bin Ich dein-Parmigianino?' fragte Nelly. „Nein. Du bist mein Botticelli.” „Mag ich gar ıicht sein. Die haben Schwindsucht.” „Du bist einer ohne Schwindsucht. Bist du dann zufrieden? Du bist mein Engel, mein Frühling, meine Muscheilkönigin.” „Mit dem langen Hals. Und alle sehen so aus, als hätten sie eine Zehe zu viel.” „Du hast keine Zehe zuviel. Du bist ganz in Ord- nung.” „Ach, Carlo.” Sie lächelte und schlang die Arme um ihn. „Weißt du, daß ich dich über die Vernunft liebe?” „Und ob ich weiß.” „Das ist, glaube ich, mein einziger Wunsch.” „Meiner auch. Trotzdem möchte ich dir noch extra etwas zulieb tun.” „Du tust es.” „Na schön”, sagte er und trank sein Glas leer und füllte es wieder, „Magst du Jetzt dann schlafen? Soll ich dir ein seidenes Nachthemd kaufen?” Sie nickte. „Und einen neuen Hut? Und neue Schuhe?“ Sie nickte immerfort. „Du könntest am Freitag in die Stadt kommen, Wir könnten alles besorgen und fahren am Sams- tag zusammen heraus. Willst du?” Sie nickte. „Gut. Abgemacht.” Er dachte blitzschnell darüber nach, ob er es mit Leonie schaffen werde, Es Würde gehen. „Schön, mein Schätz“, sagte er, „dann geh’ ich jetzt auch schlafen oder lesen.” Er küßte sie und stand auf. Er nahm sein Glas und die Flasche, sah Nelly an, stellte Glas und Flasche wieder ab und küßte sie noch einmal, „Liegst du gu?” Sie umarmte ihn und drückte ihn an sich, „Soll ich das Licht ausmachen?” Er nahm Flasche und Glas wieder, klemmte die Flasche unter den Arm, ging zur Tür'und drehte das Licht aus, Er ging hinaus, kam aber noch einmal zur Tür und warf noch einen Kuß hinein. „Schläfst du schon?” „Beinah.” „Schlaf süß, mein Liebling!” Er ging hinüber In sein Zimmer und setzte sich, Ohne Licht zu machen, rauchend ans Fenster und sah In die Nacht hinaus. Ab und zu trank er einen Schluck. Er war jetzt vierzig vorbel. Es würde nicht mehr viel kommen. Draußen tauschte ein lauer Nachtwind und brachte das Laub der Bäume zum Rascheln, Die Nacht war klar und schön, die Luft herrlich, Es würde nicht mehr viel kommen, Rosie Würde heranwachsen. So lech- zond, wie sie ihn angeblickt hatte, Würde sie eines Tages In eines fremden Mannes Gesicht blicken. Er verspürte den Wunsch in sich, hinüberzugehen und Rosie anzu- sehen und sie zu küssen und noch ni einmal zu Nelly zu gehen und sie ebenfalls zu küssen. Wahrschein- lich schliefen sie schon, und es Wär unsinnig, sie zu wecken, Das leben war schön. Er atmete tief. Wenn er ein Knabe wäre, dachte er, würde er jetzt weinen. Aber er war kein Knabe mehr. Er sleuerte sein Schiffchen ohne lotsen durch die Klippen. Es wäre vielleicht großartiger gewesen, den Klippen nicht auszuwelchen, Zugegeben. Es wäre vielleicht besser, nicht zu lügen. Er wußte ©s nicht, Er hatte viele Jahre lang Nicht gelogen. Es war nicht eigentlich besser gewesen, eher schlechter. Man konnte nicht gut bei einer Sache bleiben, wenn Man herausfand, daß sie nichts taugte. Vermutlich war die Wahr- heit für den Menschen nicht ge- schaffen, und der Mensch war Nicht für die Wahrheit geschaffen. f dachte an Leonie und kam Unversehens in eine aufgekratzte Stimmung. — Morgen, dachte er. Am nächsten Mittag fuhr Carlo In die Stadt zurück. Er ftühstückte Noch mit Nelly und Rosie, und beide brachten Ihn zur Bahn und sahen ihm nach, als der Zug ab- hr, und er sah zurück. Er sah sie sc r kleiner und kleiner werden, ab und zu verdeckt durch einen Signalmast oder einen Milchkarren, und immer wieder zum Vorschein kommen, jedes- mal etwas kleiner und undeutlicher und in einer etwas veränderten Stellung, doch immer sie, Nelly, mit Rosie an der Hand, die winkte, und zuletzt, als der Zug nach einer langen, flachen Kurve in den Wald einbog, unterschied er nur noch das blaue Kleid von Nelly und daneben den weißen Fleck, der Rosie war. Er stand welter am offenen Fenster und blickte hinaus auf den Wald, an dem sie vorüberglitten und dessen Stämme sich sei- nen Augen wie In einem verwirrenden, leisen Schwindel erzeugenden Kreislauf, unablässig gegeneinander wechselnd, darboten. Er erhaschte mit dem Blick undeutlich nah der Strecke Büschel von Glockenblumen, die weit zurückblieben, ehe er sie näher betrachten konnte, und wenn er nach oben sah, flogen in einem sich senkenden und hebenden Rhythmus die Linien der Telegraphen- dröhte an ihm vorüber, scharf unterbrochen in ihrem träumerischen Schwung durch die Masten, die sie wie rücksichtslose Wächter zusammenhiel- ten. Die Sonne beschien seine Arme, die er aufs Fenster gelegt hatte, und wäörmte ihn, während ihn gleichzeitig der Luftzug, der seine Haare und seine Krawatte flattern machte, In einer herrlichen Weise kühlte, Als die ersten Häuserreihen der Stadt neben ihnen auftauchten, hatte er Nelly und Rosie weit zurück- gelassen, er dachte dran, wie sie klein und klei- ner geworden waren, als er abfuhr, und ver- spürte etwas wie einen süßen Schmerz dabel, aber es war kein Schmerz, der wehtat, und gleich darauf freute er sich auf Leonie. Es war eine Frau mit ihm im Wagen, die wie er Im Gang stand und hin und her geschaukelt wurde, als der Zug über die vielen Wechsel fuhr, und etwas in Ihr er- innerte ihn an Leonie, obwohl sie keine Ähnlich- In der Oper - All' Opera »».. hach! Immer die alte Musik dazwischen. Man versteht kein Wort von ihm!“ -. Ah... sempre la vecchla musica frammezzo! Non sl capisce una parola di lul!'* 481 (6. Brinkmann) keit mit ihr hatte. Er hatte seinen kleinen Koffer In der Hand, lang ehe der Zug hielt, und stand an der Tür und öffnete sie, während noch die Räder ihre letzte Umdrehung vollführten. Er war beinah der erste an derSperre und lief geschwind durch die Bahnhofhalle und nahm draußen ein Taxi und fuhr nach Haus, Nachdem er geduscht und sich umgezogen hatte, rief er bei Leonle an. „Ich bin da”, sagte er. Er spürte die Freude In ihrer Stimme, als sie wiederholte: „Bist du da? — Wann kommst du?" Jetzt.” „Kommst du gleich?" ‚Ja, gleich.” „Soll Ich dir entgegengehen?” Er bejahte. Er fuhr ein paar Haltestellen mit dem Bus und ging dann den Weg auf dem sie sich Immer trafen. Er sah sie von weitem. Sie ging rascher, als sie ihn sah. Sie sah ihm lachend entgegen. Kurz, ehe sie aufeinanderstießen, wandte sie das Gesicht zur Seite. Ihre Wangen waren rot, sie sah blühend und reizend aus, Er war stehengeblieben und hatte sie erwartet. Er blickte sie strahlend an. Er hätte sie gern angefaßt, aber sie waren nicht allein. Sie schürzte den Mund wie zu einem Kuß und sah ihm glücklich in die Augen. Sie gingen die Straße entlang, die voll von Spaziergängern war. Er sah sie manchmal von der Seite an, und sie lächelte, so oft es geschah. Er fand Gelegen- heit, ihren Arm zu umspannen und drückte ihn zärtlich. Sie lächelte. Sie lächelte in einemfort, und wenn sie es nicht tat, stand die Bereitschaft dazu deut- lich in Ihren Zügen. „Freust du dich?” fragte er. Sie nickte und hob die Augenbraue über seine Frage. „Ich habe gedacht, du würdest vielleicht nicht kommen.” „Doch“, sagte er. „Wohin wollen wir zum Essen gehen?” „Wir haben ein Huhn zu Haus. Ich habe den Tisch schon gedeckt.” „Dann gehen wir jetzt nach Haus.” „Es Ist zu früh.” „Macht nichts.“ Er berührte sie an der Schulter, und sie errötete, „Ich wollte etwas spazieren- gehen”, sagte sie. „Wir gehen ja spazieren.” „Ich komme so wenig an die Luft; viel zu wenig.” Ja", sagte er. Sie war Röntgenschwester bei einem Arzt, der täglich achtzig Patienten hatte. Sie hatte nichts mit den Kranken zu tun, sondern saß an der Kasse. Es war ein sehr moderner Betrieb, „Wenn du Urlaub hast”, sagte er, „fehren wir zusammen fort.” Er überlegte blitzschnell, daß der September der passendste Monat sein würde, Er hatte es schon oft überlegt, überdachte es aber immer wieder. Er mußte im Sep- tember zu einer großen Auktion nach Frankfurt. Der September war der beste Monat. — „Im September”, sagte er. a?" Sie sah ihn zweifelnd an. „Wohin?“ „Wohin du willst.“ Er überlegte, daß es eine Reihe hübscher Orte in der Nähe von Frankfurt gab. Er nannte mehrere und schwärmte von Homburg. „Wo der Kalser war?” fragte sie. „Nicht nur der Kaiser.” „Aber wenn du dann wieder nicht kannst? Ich freue mich, und dann kannst du nicht.” Sie verschwieg, daß sie wußte, weshalb er vielleicht nicht kön- Erinnerungen (X. Heiligenstaedt) u... mein Gott, was waren das noch für Zeiten, als mir Robert, der kesse Lümmel, Flit in den Zerstäuber gefüllt hatte!“ Ricordanze: '... Dio mio, che templ erano quelli quando quello sfacciato e villanzone di Roberto ml rlempiva Il soffietto di ‘Flit, !,, 482 nen würde, aber einSchatten zog ÜberihrGesicht, „Ich kann. Komm", sagte er zärtlich, famoses Mädchen, ich kann bestimmt, Sie gingen ein paar Minuten nicht ganz so aus- gesöhnt wie zuvor nebeneinander her. Sie dach- ten beide an dasselbe. Sie dachten an Nelly und Rosle, Sie hatten beide schon so oft und so lange daran gedacht, daß der Frage keine neuen Sei- ten mehr abzugewinnen waren. Eigentlich war es langweilig, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Sie wußten es beide, es kam nichts dabei heraus, Sie hatten früher auch oft darüber geredet, im Guten und im weniger Guten, und es konnte auch kein neues Wort dazu gesagt werden. Sie konnten sich trennen. Das war alles, Jederzeit konnten sie auseinandergehen. Sie hatten es ver- sucht, Sie hatten es mehrmals versucht. Offenbar wollten sie nicht, Carlo wollte nicht, Aber auch Leonie wollte nicht. Es hatte aufgeregte Szenen zwischen ihnen gegeben, früher; sie dachten beide mit Schrecken daran zurück, Wenn sie aber nicht auseinandergehen wollten, war es anschei- nend so, wie es war, und nichts dagegen zu machen. Sie mußten sich behelfen. Carlo fand es nicht so schlimm, sich zu behelfen, er fand, man müsse sich das ganze Leben hindurch behelfen, aber Leonie fand es manchmal sehr schlimm und ließ es ihn manchmal wissen. Nach einer Weile sah er sie von der Seite an und fragte vorsichtig: „Alles oder nichts?” — Es war eine alte Devise. „Sei still”, antwortete sie, Er sah sie weiter an und bemerkte, daß ihr Ge- sicht wieder welch wurde. — „Mein süßer Lieb- ling'‘, sagte er und verspürte Dankbarkeit in sich, „würdest du mir einen Kuß geben?“ „Nicht hier.” „Doch, gleich!” Sie blickte sich um und näherte ihr Gesicht dem seinen und gab Ihm einen Kuß auf die Wange. Sie lachte kurz auf, als es Ihr gelungen war. Es waren wenig Leute um den Weg. Ein Mann, der sie überholte, hatte es bemerkt. Er lächelte und sah diskret zur Selle. _ Carlo lächelte auch ünd sagte: „Das hast du gut gemacht. Wollen wir jetzt nach Haus gehen?” „Huhn essen?“ „Huhn essen und —. Können wir nicht Arm in Arm gehen?“ Sie verneinte, aber sie ging unwillkürlich rascher, und über ihr Gesicht huschte eine flüchtige Rötı Sie ging Jetzt einen halben Schritt vor ihm hi Ihr Körper drehte sich in den Hüften. Er folgte ihr und ging dicht an Ihrer Seite, „Nichtl" sagte sie. „Doch.“ Er kam näher zu Ihr heran. Sie lachte und errötete wieder. „Ich bin in dich verliebt”, sagte Carlo. Sie gingen durch ein paar Seltenstraßen, die leer im Sonntagnachmittag dalagen, und gingen nebeneinander auf dem schmalen Bürgersteig, und er sagte ihr dauernd, er sel in sie verliebt, und sie wich zu den Häusermauern hin aus. „Hörst du es gern?” fragt. und sie nickte und schloß, während sie ihm das Gesicht für eine Sekunde zuwandte, die Augen. „Immer noch?" Sie nickte. „Immer wieder?" Sie lächelte nickend. „Wird es nicht langwellig?” „Mir nicht“, sagte sie. Sle überquerten einen Platz und schritten nah nebeneinander über die Straßenbahnschienen und den grau schimmernden Asphalt, Sie kamen unter Kastanien, die am Rand der Straße standen und von der Abendsonne gestreift wurden. Rot leuch- tende Geranien blühten In einer kleinen Anlage, die längs der Straße verlief, Sie durchquerten die Anlage und standen vor dem Haus, wo Leonie in zwei Zimmern wohnte, Beide blickten nach oben zu ihren Fenstern, die im fünften Stockwerk waren. Sie betraten das dämmrige Treppenhaus und Singen die läuferbelegte Treppe hinauf, vorbei an der falschen Pracht dünner Marmorplatten, Welche die Wände bedeckten Im dritten Stock- werk hörten die Läufer auf, und der Marmor wich einer Bemalung. Leonie ging vor Carlo her. Er beobachtete sie, während ihr Fuß Stufe um Stufe nahm, und als sie oben angelangt waren, leg er den Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich. Ihr vom Steigen angefachter Atem berührte ihn m ei mein” warm. Atmend standen sie voreinander und küß- ten sich. Ihre Gesichter strählten. Dann ent- schlüpfte sie ihm rasch und schloß auf, Er trat hinter ihr in die Wohnung und legte, ohne zu wissen warum, den Sperrhaken vor die Tür. Sie stand vor dem Spiegel auf dem Vorplatz und hatte die Arme erhoben, um den Hut abzunehmen. Es war ein kleiner brauner Strohhut, den sie be- hutsam anfaßte, sie hatte ein braunes Kleid an, das am Hals mit einer braunen Perlenschnur schloß und denselben Perlenbesatz an den Ärmeln hatte, Der Vorplatz war hell, ein Dachfenster ließ das Licht herein, sie stand einen Augenblick be- wegungslos mit erhobenen Armen da, ihre grünen ‚Augen hatten im Spiegelihnerblickt und lächelten. Carlo beobachtete sie. Sie sah reizend aus, g sund, froh, frisch, beinah übermütig mit ihrer straffen elastischen Gestalt und ihren kräftigen Armen und Beinen; er trat auf sie zu und umarmte sie, Sie ließ den Hut und schlang die Arme um ihn, Sie Überquerten den Vorplatz, ohne sich los- zulassen, und kamen in das Zimmer, wo der ge- deckte Tisch stand. Der Tisch war für zwei ge- deckt, ein weißes Tischtuch lag auf, ein Büschel verschiedenfarbiger Nelken stand in einer Vase neben den Telleın und Gläsern, Zwei in der Form ungleiche Strohsessel standen vor dem niederen Tisch. Durchs offene Fenster drang die laue Abend- luft herein, und in der Ferne erstreckte sich in seidigem Blaßblau der Himmel, Das Geräusch der Straße kam gedämpft herauf, Die Tür zum Nebenzimmer war offen. Carlo sah ein Stück des niederen Messingbetts mit der rosa Steppdecke, er sah die weißen Lackmöbel, ein paar rote Pan- toffeln in einer Ecke und umfaßte alles mit einem Blick, sich selbst, die Frau, die ihn liebend mit schwellenden Gliedern umarmte, die Wohnung, die seine und doch nicht selne war, und dahinter wie mit sich Überschneldenden Umrissen, die in immer größere Tiefen führten, Nelly, Rosie, wieder sich, den Mann, der Bilder taxlerte und Bücher darüber schrieb, und die Welt, aus der diese Bilder erstanden waren, und er fühlte In diesen Augenblicken sich überreich, Jung, kraftvoll, ver- strickt in eine Reihe endioser Abenteuer und be- glückender Entdeckungen. DER BART WAR AB GROTESKE VON RALPH URBAN Herr Stengert saß eines Abends in der Bade- wanne und drehte gerade beide Wasserhähne auf, um sich am Schluß durch eine kräftige Brause zu erquicken, als es klingelte. Da die Dame des Hauses, bei der er seit zwei Wochen als Unter- mieter wohnte, auf einige Tage verreist war und das Stubenmädchen Urlaub hatte, sprang er ärger- lich aus der Wanne, schlüpfte rasch in den Bade- mantel und eilte zur Tür. Gleich darauf verklärten sich seine Züge, denn draußen stand ein Postbote, der eine telegraphische Geldanweisung für ihn bracht Es geschehen zuweilen noch Zeichen und Wun- der. Mehr aus Gewohnheit als in der Hoffnung auf Erfolg hatte Herr Stengert kürzlich eine alte Schuld von eii Bekannten zum xten Male ein- gemahnt und jetzt war das Geld tatsächlich ge- kommen. Mit dem glücklichen Gefühl des Vaters, der den verlorengeglaubten Sohn umarmt, strich er die hundert Mark ein und belohnte den Post- boten mit einem fürstlichen Trinkgeld. Dann eilte er in sein Zimmer und machte sich fesch, denn der seltene Anlaß mußte gefeiert sein. Eine halbe Stunde später soß er bereits In ein. Weinstube vor einer Kosiprobe. Seltsamerweise wollte sich aber die Feststimmung nicht einstellen, irgendetwas nagte an seinem Unterbewußtsein und versetzte ihn in Unruhe. Herr Stengert ver- suchte das unangenehme Gefühl zu ersäufen, was ihm auch mit der Zeit gelang. Er befand sich be- reits in der ersten weinseligen Gemütsverfassung, als sein schweifender Blick plötzlich an dem Wirt haften blieb, der gerade unter munter plätschern- dem Quell die Gläser spülte. Im nächsten Augen- blick sträubten sich die Haare des Zechers, denn die offenen Hähne der Badewanne waren ihm eingefallen. Mit dem Aufstöhnen eines waid- wunden Hirsches schoß er an dem unglücklichen Wirt vorüber zur Tür hinaus und raste durch die Straßen, bis er vollkommen erschöpft im Hausflur landete. Da es für die raschere Überwindung der drei Treppen aus eigener Kraft nicht mehr reichte, warf er sich In den Fahrstuhl und drückte gegen einen der Knöpfe, worauf sich der Aufzug knur- rend In Bewegung setzte. Oben angelangt, stieß er den Schlüssel Ins Schloß der Wohnungstür. Er spießte sich aber etwas, das Schloß war nicht in Ordnung, eine Affenschande. In Wut und Ver- zweiflung benützte Herr Stengert den Ring des Schlüsselbundes als Hebel, setzte energisch an — tak — und der Bart war ab. Gequält blickte der Mann auf das Unglück, wäh- tend ihm der kalte Schweiß auf der Stirn perlte. Und über die Badewanne floß inzwischen das Wasser. Kurz entschlossen trat er zum Anlauf zu- rück, machte einige kurze, aber wahnsinnig rasche Schritte, schnellte dann in die Luft und flog kra- chend mitsamt der Tür in die Wohnung hinein. Er rtappelte sich hoch, tastete sich rechter Hand zum Badezimmer und riß die Tür auf — In der Badewanne saß eine-Dame, die bei seinem Anblick schrecklich zu schreien begann. Herr Sten- gert griff mit beiden Händen an den Kopf, fand aber keine Zeit zum Irrsinnig werden, denn ein wilder Mann im Schlafgewand tauchte auf, der ihm unbedingt an die Kehle wollte. Im Trieb der Selbsterhaltung versetzte er Ihm einen kurzen, aber kräftigen Schlag In die Magengrube, worauf der nächtliche Schemen rückwäörtsüber in die Badewanne zu der Dame plumpste, deren Klage- laute nunmehr an die einer Fabriksirene er- innerten, In wähnsinniger Eile wandte sich HerrStengert zur Flucht, Als er dabel beim nächsten Treppenabsatz vorüberkam, sah er eln freundliches Bächlein aus den Fugen der Wohnungstür quilien, das sich mun- ter und in zahlreichen kleinen Wasserfällen seinen Weg die Treppe hinunter suchte. Und während der Mann dem Wasserlauf folgend hinunterraste, wurde ihm die kleine Ursache der großen Kata- strophe bewußt: in seiner Aufregung hatte er früher im Fahrstuhl anstatt auf den Knopf der dritten Etage auf den der vierten gedrückt, Erst in gesunder Entfernung von dem Haus blieb Herr Stengert stehen und lehnte sich gebrochen an eine Mauer. Von diesem Standpunkt aus konnte er bequem das Eintreffen des Überfallkommandos und das der Feuerwehr, die mit fünf Geräten kam, beobachten. Dann ging er zum nächsten Bahnhof. ‚Am darauffolgenden Morgen löste er in der Ha- fenstadt eine Schiffskarte und landete vier Wo- chen später auf einer jener freundlichen Südsee- Inseln. Dort lebt er seither als Eremit. Den Bart ließ er sich wachsei LIEBER SIMPLICISSIMUS > (0. Nückel) Rudi steht am Fenster und spricht zu Bobby im kenstein — offenbar sein erster Ausgang, denn er war doch schwer erkrankti" Geht Bobby auch zum Fenster und meint teil- nehmend: „Schau nur, er trägt einen Trauerllor, sein Leiden wird doch nicht tödlich gewesen sein?" FH. Vortag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgosellschaft, München, Sendlinger Straße A (feinruf 1298). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. Vatantworti. Schriftieiter: Walter Foltzick, München. — Dar Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. AMalten entgegen — Bezugsprelse; Einzeinummer 30 Pf.; Abonnemen! Im Mona! 120. Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. — Unve jellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- ingie Einsondun, Egosandı füllungsort München. werden nur zurüch t, wenn Porto beillegt. — DIE HEIMAT So wie einst in der Kindheit du die Heimat hast gesehen, wird auch ihr Bild auf immerdar vor deinen Augen stehen. Ist es auch nicht an Schönheit groß mit aller Welt zu messen, es läßt dein Lebtag dich nicht los, bleibt stets dir unvergessen. 484 (Wilhelm Schulz) Und zeigt es weiter nichts als schlicht nur Berge, See und Auen, wem es die liebe Heimat ist, kann sich nicht satt dran schauen, WILHELM SCHULZ e:- 15. September 1943 e- | Nummer 37 3 Ö Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Im Theater der Alliierten Be ar „Sie streiten sich um die Besetzung der Hauptrolle In dem Zukunftsstück, das noch gar nicht geschrieben ist!‘ Nel teatro degli Alleati: “Litigano glä per I" assegnazlone della parte di protagonista nel pezzo dell’ avvenire che non & punto ancora scrittol,, Entgegenkommen - Compiacenza de (0. Hermann) em. „Müssen Sie zum Malen gerade vor meinem Strandkorb stehen?“ — „Ich kann mich ja auch hinter ihn stellen!" “Ma dovete dipingere appunto davantl al mlo cesto?,, — “Eh, posso anche mettermi di dietrol,, WISSENSCHAFTLICHES Als der Möbeltransportler Vinzenz Grabichler beim Ausladen den großen altdeutschen Vertiko nicht mehr recht erwischte und zu allem Unglück noch an etwas Schlüpfrigem ausrutschte, wurde er an die Hauswand gedrückt. Bald darauf befand sich seine Irdische Hülle im Gerichtlich-Medizinischen Institut, da nach maßgeblicher Ansicht der zustän- digen Gerichtsbehörden eventuell ein Beschuldig- ter in Frage kommen könnte, Bei der Sektion ergab sich dann jene Seltenheit, die in der langjährigen Praxis des anerkannten Gerichtsmediziners Professor B. vielleicht nur drei- oder viermal vorgekommen war. Während nämlich der sezlerende Assistent den Grabichler vorerst noch für einen herzlosen Menschen hielt, stellte sich im Verlaufe der Obduktion. eben dieser äußerst seltene Fall heraus. Grabichler hatte zwar sein Herz am rechten Fleck, aber auf der anato- misch falschen Seite. Dieser kuriose Zustand weckte natürlich das besondere Interesse der Ärzte an der Person des Dahingegangenen. Pro- fessor B,, der neben dem Durchschlag des Sek- tionsbefundes noch ausführliche und interessante Angaben der Angehörigen über besondere Ab- weichungen im Leben Sezierter in seinem wissen- schaftlichen Archiv bewahrte, lud Frau Grabichler mit geeignetem Formblatt zu sich, da er sich ge- rade von ihr ganz besonders wichtige Aufschlüsse über die abnorme Herzlage ihres Mannes ver- sprach. Frau Grabichler, eine kleine hagere Frau mit schlauen Äuglein, konnte leider gar keine beson- ders verwertbaren Angaben hinsichtlich besonde- KLEINE Liebes Leben, noch atmeft dul Noch flattern die Jungen Ringeltauben von den Fichtenäften herab zum Ufer, zierlich nippend vom köftlichen Naß. Noch mwippt die Stelze über die Kiesbank, und der Zaunkönig hufcht Durch Die Weiden= büfche, Aber das Rotichwänzchen warnt und warnt: ein Menfch im Revier! ein Menfch im Revier! - Laßt euch, bitte, nicht inkommodieren! Seht doch, mir um die Füße fpielt, filbern bepelzt, eine winzige Hafelmaus, und die Sonne, die Morgenfonne, leuchtet ihr rot durch die Perlmutter=Öhrchen ... 486 ter Auffälligkeiten an ihrem Vinzenz machen. Nur auf die Frage des Gelehrten, ob sie denn gar keine hervorstechenden Eigenheiten in seinen Le- bensgewohnheiten beobachten konnte, nickte sie lebhaft und meinte: „Oans hat er ja g’habt. Sein Geldbeitl hat er immer so versteckt, daß man nla find'n hat könna.” Professor B. stellte hierauf weitere wissenschaft- liche Fragen ein. L. Neußer WELT Nein, wahrhaftig, ich bin nicht fol Hab’ ich nicht geftern erft, fpät noch am Abend, einem Wielel das Leben gerettet? Ach, der törichte kleine Burfche war in den Trog meines Brünnleins gepurzelt, Öurftgequält, und da zappelte er, zappelte patichnaß und angftvoll und ruderte, aber die Wände, die glitfchigen Wände, boten den flinken Pfötchen nicht Halt... Nun, mir brachten die Sache in Ordnung, und er entfloh durch die Stachelbeerbofchen ... Liebes Leben, noch lebft du weiter! Liebes Leben, noch atmeft du! Dr. OmwlIglaß Im USA.-Kaufhaus a „Wickeln Sie dem kleinen Mann den Globus In unser Sternenbannerpapier, wir unterstützen damit die Ideen unserer Regierung!“ Nel magazzino statunitense: “Ravvolgete a quest! ometto Il mappamondo nella carta della.nostra bandiera stellata; con cidö appoggiamo I’ idea del nostro Governol,, 487 Vater Mars (Erich Schilling) „Sehr schön von den Herren, sich so um meinen Nachfolger zu sorgen!‘ Papä Mart. "Bra: |, bravi I signori! ... Affannarsi tanto pel mio successore!,, DER KCHAISER MAKCHSIMILIAN Im Sommer 1939 fuhren wir, eine größere Reise- gesellschaft, im bequemen Reiseautobus durchs Tiroler Land. Auf den einzelnen Tagesstrecken wiesen und erläuterten uns landeskundige Führer Gegend, Orte und Sehenswürdigkeiten. Als wir an der „Martinswand” vorbeikamen, ließ der an diesem Tage „diensttuende” Führer halten und erklärte uns darüber: „Söll ischt die Martinswand, Sie ischt dadurch bekchannt geworden, daß hier der hochselige Kchaiser Makchsimilian, der erschte des Heiligen Römischen Reiches deutschen Natschion als dem HauseHabschburgch, genannt derletzschte deutsche Ritter, in gar arge Lebensgefahr gekchommen ischt. Denn der hatte sich hier in seinem Eifer als Gamsjager ganz verschtiegen und kehonnte auf einmal weder vorwärts, noch rückchwärts, nlacht hinauf und auch nlacht hinunter. Well er aber niacht nur ein weidgerechter Jageıs- mann und gütiger Herrscher, sondern auch ein 488 techtglösbiger Krischt war, so kchniete er nieder und schickchte ein gar demütiges Schtoßgebet zum Herrgott, daß er ihn aus dieser schiachen Gefahr ertetten sollt. Und Gott erhörte sein Ge- bet und tat ein Wunder an Makchsimilian: er schickchte einen Engel in Geschtalt eines Jagers, der den Kchalser von der Martinswand sicher und heil ins Tal brachte. Söll hat ihm aber gar niacht viel genützt. Denn schon wenige Jahre schpäter wurde er von den aufschtändischen mekchsikchanischen Rebellen zum lode durch Pulver und Blei verurteilt und er schtarb fern von seinen geliebten Bergen einen chrischtlichen Märtyrertod.” Ferdinand Schiep EIN FORSTMANN ERZÄHLT Die nachfolgende merkwürdige Geschichte vom Lehrer Finger! hat mir der Förster Sollereder er- zählt, Ob sie vollkommen den Tatsachen ent- spricht, vermag Ich nicht nachzuprüfen, doch scheint mir die Wahrheitsliebe des ehrwürdigen Forstmannes Über Jeden Zweifel erhaben. „Da lebte bel uns vor vielen Jahren”, so erzählte Sollereder, „eln gewisser Lehrer Fingerl. War ein techtschaffener Mann, der den Kindern schon in Jahresfrist däs kleine Einmaleins beibrachte und mit seinem Lineal Tatzen austeilte, daß es nur so knallte. Auch seine Frau war trotz Ihres Kropfes kein unebenes Frauenzimmer, wenn sie auch ihren Mann streng am Zügel hielt.” „Das sollst du nicht! Das darfst du nichtl” so ging es den ganzen Tag vom frühen Morgen bis zum Gebetläuten fort und fort. Nun, der Fingerl war ein folgsamer Mann und kannte keine Leidenschaft mit Ausnahme der einen: der Jagerei, Die aber hatte er Tag und Nacht im Kopf. Kaum war der Zeigestab weg- gelegt, da hing sich der Fingerl auch schon wieder die Büchse um und pirschte durch das Holz. Daß ich nicht lüge: er war eln waldgerech- ter Jäger, keiner von den aasenden aus der Stadt, die hinter Jedem Haar herbollern und den Bock mit Hühnerschrot ankratzen. Das war nun also der Nachmittag vor der Weih- nachisbescherung, und den Fingerl, der schulfrei hatte, Juckte es schon wieder In den Pratzen. „Wie wärs mit einem Butterhaserl?” frug er vor- sichtig seine Frau, „könnt ein’s schlassen am Brandhölzl hint'.“ „Was, zwoa Stund’ vor der Be- scherung?’ gurgelte Frau Finger! aus ihrem Kropf herauf, „Kannst denn sogar am heiligen Abend die Viecher net in Ruah lassen? So was werd be- straft vom Himmivata drob’n, und I schlag dir's Schürhackl auf 'n Kopf. Tua llaber die Nüss’ ver- golden und deine Socka auswaschen, schlampata Hallodril" „Was mir einfallt“, log der Fingerl geistesgegenwärtig, „I muaß ja zum Oberlehrer Zeiselmaler auf Obertunding hintri, Brauch a Land- karten vo’ Preißen.” „No, dös derfstl” erlaubte Frau Fingerl, „aber sauf’ ma net wieder zyul Schnaps!“ Der Lehrer verdfückte sich In den Flur, nahm die Büchse unter seine Kotze und mar- schierte In. den Wintertag hinaus. Es hatte seit vielen Tagen geschnelt, meterhoch lag der Schnee, und so eiskalt Ist es gewesen, daß sich der Fin- gerl die gefrorenen Nasentropfen mit einem Zwei- gerl hat abschlagen müssen. Im Wald war es mäuserlstill, und das Abendrot schlen schon ein wenig hinein. Kreuz und quer liefen die Wild- fährten vor dem Lehrer her, hier hatte ein Fuchs geschnürt, ein Reh gewechselt, war ein Has’ ge- hoppelt. Plötzlich, so nah, daß er Ihn hätte tot- schlagen können, sieht der Fingerl einen Rammier in der Saß. Das ist ein Hase Im Lager, müßt Ihr Nichtjäger wissen, und so einen schießt man nicht. Der Fingerl klatscht also in die Hände, haut mit einem Stecken an einen Baumstamm, wirft einen Schneeballen In die Saß. Aber der Krumme rührt sich und regt sich nicht, sondern äugt den Fin- gerl so ängstlich an, wie ein Schulkind, bevor es Tatzen bekommt, Da wird es dem Lehrer endlich zu dumm, und er läßt es schnallen, gerade als die Weihnachtsglocken anfangen zu Iäuten. Der Has‘ Ist verschwunden — nichts mehr von ihm zu sehen! Keine Fährte führt in die Saß und keine aus Ihr heraus, sie Ist elskalt, Komisch, komisch denkt sich der Fingerl und will sich seine Kappe tlefer herunterziehen, denn es friert ihn in die Ohren. Aber die stemmen sich gegen die Kappe, und wie er hinaufgrelft, merkt er, daß ihm lange Löffel gewachsen sind, Und wie er auf seine Hand herunterschaut, sieht er zu seinem Schrecken, daß ihm Hasenbalg Über die Pfote gewachsen ist, Die Strafe — die Strafel denkt er sich, da Ist sie, VON A. WISBECK wirft die Büchse in den Schnee und hoppelt nach Hause, — Wo nur mein Rudolf so lang bleibt? fragt sich ängstlich Frau Fingerl und geht in das Zimmer ihres Mannes, Da sitzt der auf den Hinterläufen unter dem Schreibtisch und äst an einem Christ- baumzweigerl herum. „Machst net glei’, daß d' "rauskommstl” herrscht ihn die Frau an und haut mit dem Lineal auf den Tisch. Aber der Lehrer bleibt in seiner Saß und äugt die Frau Fingerl nur ängstlich an. Da luft diese weinend hinweg. Und das ging nun so weiter. Der Fingerl redet In Kampfstimmung - Umore battagliero kaum mehr ein Wort, hoppelt traurig Im Haus herum und frißt jeden Tag ein Geranienstöckerl auf. Eines Tages ist er dann gestorben. In der Saß. „Es hat Leute gegeben”, so schließt der För- ster selne Erzählung, „die mir nicht glauben woll- ten. Aber der Schlag soll mich auf der Stelle treffen, wenn auch nur ein einziges Wörterl er- logen Isti” Der Schlag hat den Förster Sollereder nicht ge- troffen, und so ist denn schon hiedurch bewiesen, daß der ehrwürdige Greis die lautere Wahrhelt gesprochen hat. 0. Hegenbarth) „Den ganzen Tag überlege ich mir nun schon: wen könnte man für dieses Sauwetter verantwortlich machen?" "Gid tutto il giorno vado riflettendo su chi mai potrei getiare la responsabilltä di questo tempo canel,, 489 DAS BETT DER EITLEN RACHE In den Bergen Attikas, unwelt vom festlichen Eleu- sis, lebte in der Zeit der Sagen ein friedlicher Ziegenhirt, dessen wohlklingender Name Damasi niemals die Unsterblichkeit erlangt hat. Denn sein Träger war sanften Gemütes und redlich in sei- nen Sitten, ein treuer Hüter seiner Geisen und Böcke und sorgsamer Vater seiner hüpfenden Zicklein. Selbst nachts wachte er mit halbem Auge, auf daß ihm keines von einem neidischen Nachbar geraubt werde. Dabei sah er oft im Schein des Mondes den großen Schatten des Pan mit Bangen um die Felsen huschen. Oft lauerte er unweit der Quelle am Rand des Myr- tenhalns erregt auf die Nymphen und Dryaden, die er gerne baden sehen wollte. Er streichelte mit den Augen des Traums Ihre lieblichen For- men, schlank wie die marmornen Göttinnen im Tempel, und wünschte sich eine davon zu be- sitzen, so lange, bis er eines Tages einem Bauern- mädchen aus dem nächsten Dorf begegnete, das einwilligte, gegen den mit ihrem Vater ausgehan- delten Preis von drei Ziegen seine Frau zu werden. So ebenmäßig schön, wie die klassischen Bilder seiner Träume, war die ihm von den Göttern Zu- geteilte nicht. Sie war plump gestellt und allzu rund geraten, eher etwas für einen behäbigen Kuhhirten. Bald hätte Ihm auch ihre seelische Entwicklung Anlaß gegeben, sich bei der olympischen Zu- tellungsstelle zu beschweren, hätte er nicht in braver Ergebenheit die Zwecklosigkeit solcher Auflehnung erkannt. Damals begann seine philo- sophische Wandlung. Er erkannte die Relativität aller menschlichen Wünsche, die bei tanzseligen Göttertöchtern beginnen, um auf dem Strohsack einer schnarchenden Kuhmagd zu enden. Wäre Damast kein Idealist gewesen, er hätte an den Kochtöpfen seiner Eumala sein behagliches Glück finden können. So aber.trieb es ihn immer wieder zurück zur Quelle seiner Sehnsucht und zu den Bildern seiner Träume. Er blieb oft wochenlang fern von daheim, schlief unter den Sternen und nährte sich bescheiden von Milch und Ziegen- köse, ohne den hausbackenen Reizen und den köstlichen Honigfladen, die eine Spezialität Eu- malas waren, nachzutrauern. Doch einmal im Frühling, als das Spiel der Quell- nymphen mit den Faunen des Waldes sein Blut irdisch erregt und seine Phatansie auf das Nahe- liegende gerichtet hatte, beschloß er, unangemel- det und vorzeitig seiner Frau die Überraschung seines Besuches zu bereiten. Er traf bei ihr ein, als der Sonnengott sich anschickte, ins blaue Meer zu sinken. In der mit bunten Töpfereien ge- schmückten, weinumrankten Laube sah er Eumala vor einem mit Weinkrug und Honigfladen wohl- gedeckten Tisch zärtlich an der Seite eines bild- hübschen Jünglings sitzen, der dem unerwarteten Heimkehrer als entfernter Vetter vorgestellt wurde, mit Namen Euphonios und Harfenspieler von Beruf. Daß er auch über einen schönen Iyri- schen Tenor verfügte, bewies der junge Fant, nachdem er sich ordentlich gesättigt und gelabtı, indem er auf Eumalas Bitte dem Gatten Ihr Lieb- lingslied vorsang, das von der Heimkehr des Odysseus handelte und wie leise Ironie in Da- mastens Ohren klang. Sonst blieb es beim kon- ventionellen Frage- und Antwortspiel nach der beiderseitigen Gesundheit, der geschäftlichen Konjunktur, dem voraussichtlichen Wetter, dem Stand der Ziegenzucht und den Honoraren eines Saltensplelers. Als diese Themen erschöpft waren und es ungemütlich zu werden drohte, erhob sich der schöne Jüngling und erklärte, nun heimgehen zu wollen. Auf die Frage, wo er wohne, gab er aber eine so vage Antwort, daß Damast Verdacht schöpfte und beschloß, dem Süßholzraspler auf die Spur zu kommen. Er schlich ihm heimlich nach und sah, VON RAINER PREVOT wie er unschlüssig davonschlenderte, um schließ- lich, sichtlich verärgert, unter eine der spärlichen Steineichen zu kriechen, in der oflenkundigen Absicht, seine obdachlose Nacht dort zu ver- bringen. Damast dachte sich sein Teil. Wie hatte sich doch der windige Kerl gebrüstet, als er von seinen Aussichten als Heldentenor am attischen Staatstheater sprach. Der Ziegenhirt fühlte seinen, jedem reinblütigen Hellenen angeborenen, Re- spekt vor Kunst und Künstlern bedenklich sinken und sein eigenes ziegenhlrtliches Standesbewußt- sein entsprechend steigen. Er wandte sich heim- wärts, helter entschlossen, seiner verirrten Ziege Eumala nach langer Zeit wieder einmal ver- gleichsweise zu beweisen, welch einem Mann sie gefolgt warl x Als er aber, an der Zisterne notdürftig gesäubert, das Schlafgemach betrat, tat der aufdringlich dar- gebotene Anblick der rückseitigen Rundung sei- ner ehelichen Nymphe seinem ästhetischen Auge weh, und die schnarchende Sprache ihrer sın- geschlummerten Teilnahmslosigkeit verletzte sein Ohr wie sein männliches Selbstgefühl. Als er über dem Kopfende des Bettes gar eine Harfe hängen sah, lächelte er verächtlich, warf seine Hirten- tasche um, nahm seinen Krummstab mit der wehr- haften Spitze und wanderte für immer hinaus in das hohe Waldgebirge. Dort wußte er von einer tiefen Höhle, in der die Geister des Styx sich den Menschen, die ihres Sinnes sind, offenbaren. Und Damast fühlte sich ihres Sinnes. Er nahm fortan das Pseudonym „Prokrustes” an, bekannte sich zur Berufsgemein- schaft der Räuber und Wegelagerer und zur ehren- haften Weltanschauung der „Skeptiker“. Manchmal verlrrten sich Leute von der Küste bis zu ihm hin- auf. Die sind von Natur mißtrauisch, weil sie das wandelbare Meer kennen, das so sehr der Tücke der Menschen gleicht. Und mit ihren Berichten aus aller Welt bestärkten sie Prokrustes in seiner rächenden Lust gegen alle Protzen und Groß: sprecher, die klein zu machen, und gegen slle Kleinmütigen, die „auszustrecken” seine neue Lebensaufgabe war. Weise Hirten aus dem Ge- birge berichteten von ihm geflügelte Außerun- gen, die bis zur Agora von Athen drangen und bei den zünftigen Philosophen. seinen Ruf als STÜRZENDER BACH Über Geröll und Gestein slürzt sic, aufschäumend, der Bach. Rausctt audı dein Ilerzschlag darein? Riefen die Wellen dich mach? Was dir die Tiefe verspricht, söltlicher, brandender Strahl, zwingt dicdı aus Quelle und Licht taumelnd und tosend zu Tal. Weile, vermeile, sei mach! Drunten, mein Herz, hist du bald, drunten die Flüsse sind flach, meise und müde und alt. Weile, vermeile, sei mach! Weiß ich, mein Herz, wo icı bin? Rausdıst du im schäumenden Badı oder im Tal sdion dahin? — Rudolf Habetin 490 „Pessimist”, Weiberfeind und Vorläufer Schopen- hauers begründeten. Prokrustes aber war kein Theoretiker seiner Welt- anschauung, sondern ein erfahrener Mann der Praxis, Er kannte jetzt die Menschen und wußte um das mythische Geheimnis der Berge und Wälder. Er hielt nächtliche Zwiesprache mit Hepnal- stos, dem göttlichen Meisterschmied, der ihn auf den Einfall brachte, sich mittels eines Bettes, die- ser Ursache seiner ehelichen Schmach und seiner Menschenverachtung, am gesamten Geschlacht der Irdischen zu rächen. Er wußte, daß hin und wieder ein'ge Kaufleute und fahrende Sänger den Engpaß benutzten, an dem seine Höhle lag. Er richtete dort also ein Fremdenheim ein, gab sich die einladenden Allüren eines gastfreien Wirtes und bot den müden Wan- derern das bald sagenberühmte Bett an, das von göttlicher Eingebung war und nach des unter- weltlichen Meisters Weisungen gefertigt. Dieses Bett war so bemessen, daß es dem einen zu lang und dem andern zu kurz war, keinem jedoch sein richtiges Maß bot. „Sollte aber einmal einer kom- men”, hatte der Gott gesagt, „der genau in das Lager paßt — dann hüte dich, Prokrustes, ihm ein leid zuzufügen; sonst bist du meinem Zorn ver- fallen!” Aber dieser Eine kam nicht. Der gewissenhafte Wirt war der Meinung vieler seiner Fachkollegen, daß der Gast für das Bett da sel und sich nach den Bräuchen und An- spıüchen des Hotels zu richten habe, und nicht etwa umgekehrt. Er nahm es mit seinen Ge- schäftspraktiken genau, streckte oder verkürzte jeden, bis er das Maß seines Patentmusterbettes hatte, dank dem er mit dem Beinamen des „Aus- streckers“ ins Konversationslexikon kam. Oft hörte man die Hilferufe der Gemarterten bis hinunter Ins Tal. Die Polizei aber kam immer zu spät. Da indessen der Eine immer nicht kam, in hun- dert und in tausend und In abertausend Jahren nicht, blieb die gruselige Sage von Prokrusies lebendig, zur Zufriedenheit einer schadenfreudi- gen Menschheit. Und jedesmal, wenn ein Ver- trauensseliger seine Schwelle überschritt, dankte der Gastwirt „Zum Wunderbett” dem höllischen Meisterschmied für die reiche Fülle seiner possi- mistischen Befriedigung und das Florieren seiner menschenfeindlichen Firma. Eines Abends jedoch, als’ der sagenhafte Welt- ruf des Prokustesschen Hotels schon welt über Hellas Grenzen gedrungen war, kam ein Fremder des Weges gefahren, In einem ganz modernen Gefährt, das er nach neuer Sitte selber steuerte. Der lächelnde Wirt stand vor der Tür und machte die Honneurs. Als der Gast sich an Braten und Wein gesättigt, verlangte er zu ruhen und legte sich unter des Gastfreunds aufmerksamem Auge mit sichtlichem Behagen auf die Ruhestatt, Ob er sich wohl befinde und das Bett ihm auch bequem sel, fragte sarkastisch Prokrustes. „Wundervolll” bestätigte der Fremde, „noch nie fand ich ein Bett so ganz nach meinem Maßl" Da erschrak Prokrustes zum erstenmal. Die Mahnung des Gottes fiel ihm ein, Mit helmlichem Grauen begann er zu messen. Und Je mehr er sich zb- mühte, immer klarer wurde ihm, daß der unheim- liche Gast gekommen war, gegen den seine gämonische Tücke machtlos bleiben mußte. „Wer bist du denn, Fremder?” stotterte er verslört. „Liest du denn keine Zeltung, o Gästfreund? Hörst du keinen Rundfunk? Gehst du nie ins Kino?... Ich bin Euphonlos, der berühmte Staatsoperntenor und Filmstarl” Da rannte Prokrustes in die Nacht hinaus. Es v’ar ihm plötzlich klar geworden, daß Rache eitel ist und selten den Richtigen trifft und daß Saiten- spieler, Operntenöre und die neumodischen Film- stars Leute sind, die in jedem Bett eich zu Hause fühlen, und gegen die keines Gottes Macht etwas vermag. Der Windstoß (R. Kılosch) „Wie können Sie mir bei so 'nem Sturm nachlaufen, mein Herr?“ — „Gerade deswegen, meine Gnädigel“ Il colpo di vento: “Ma, signore, come mal potete corrermi dietro con questa bufera?,, — "Appunto per questo, signoral!, 491, EIEBEZZUTREERD Ihr kennt die Romanze von Donna Diana, der spröden Jungfrau aus Katalonien, die sich am Ende dennoch freien ließ? Und Ihr entsinnt euch, daß Shakespeares Petruchio viel liebe Mühe hatte, das widerspenstige Edelfräulein aus Padua zu zähmen, ehe er endlich sagen durfte; Nun, Käth- chen, komm zu Bettel — Was ich heute zu be- richten weiß, klingt nicht weniger amourös als eine Romanze oder ein arliger Schwank ums Ge- plänkel der Herzen und Sinne Freilich ist der Schauplatz des Histörchens weder im Schatten spanischer Oliven noch in der ‚Obhut Italischer Zypressen zu suchen, vielmehr begab sich der Spuk im rheinischen Gebirg, wo die Töchter sonst und gemeinhin weniger störrisch den Wer- bungen der Männer zu begegnen pflegen. Ja, das Ereignis geschah sogar im Kriege, und es soll uns mitnichten befremden, wenn die in rauhen Zeiten notwendige Tugend des Mutes sich kelnes- wegs scheute, auch einmal anmutig und letztlich voll Ubermut zu sein. Bedenkt, der junge Oberleutnant, den wir mit sei- nem Vornamen Diepold rufen dürfen, hatte viel Schweres an den Fronten erlebt, nun ritt er, von einer Wunde genesen, durchs Eifeler Revier, bald ein "freundliches Wort begehrend, bald einen Schluck aus den Quellen. So kam er, das Pferd am Glitter eines Landhauses vorüberlenkond, dem Blick einer schönen Frau Ins Gehege, die, im Sattel eines Wallachs thronend, sich anschickte, auf den Wiesen Ihres Besitzes die vielfältigen Herden eigner Züchtung zu Inspizleren. Der Offizier hielt inne, klopfte seinem Gaul den Hals, versuchte ein Gespräch zu knüpfen, denn er tat die Ansicht kund, derlel Lämmer, Bienen und Truthähne wären nützlicher als ein Treib- haus voll Hyazinthen, oder ob die schöne Frau anderer Meinung wäre, — allein das emsige, von der Arbeit eingenommene Ge- schöpf schien nicht gewillt, des Reiters Frage mit einiger Huld zu bescheiden. Vielmehr ließ die Dame eine Sprache vernehmen, gegen deren abweisenden Ton- fall die Antwort Greihchens im Osterspaziergang nur eln scheues Flüstern gewesen war. Sie sagte nämlich, sie wäre ein Fräulein, gottlob und mitnichten eine Frau, und ob ihr das Prädikat zustünde, für schön befunden zu werden, das verlange sie nicht zu wissen. Ihr Gesicht war so ernst, Ihre Geste dermaßen spröd, und ihre Belehrung, es schicke sich nicht, von Sattel zu Sattel mit vorneh- men Damen anzubändeln, scholl so ungnädig, daß dem Oberleutnant nichts andres übrig blieb als mit Respekt zu salutieren und dar Fräu- 'einumVergebungseinerallerdings überaus schweren Sünde zu bitien. Der sanfte Spott des zum Walde hin reitenden Kriegers war der Widerspenstigen nicht entgangen, andererseits mühte sich der Sol- dat, seinen Groll In eine stol- zere Empfindung zu verwandeln; und dieses neue Gefühl hatte etwas mit dem Begehr nach Ver- geltung zu tun, obzwar Im holden Sinne, Denn, dies muß man wis- sen, der Oberleutnant Dienold war von der Begegnung eher ent- zündet als gekränkt, und uer Wunsch, die schöne Gärtnerin zu zähmen wie Herr Petruchlo sein strenges Käthchen, wurde genährt. Ruhetag - Giorno di riposo VON HEINZ STEGUWEIT Am Abendtisch der Offiziere fiel Diepolds Karg- heit auf; man bat den sichtbarlich bedrückten Kameraden, das Herz aufzutun und die Zunge zu lockern. Da erzählte Diepold sein Abenteuer, und als er den Hergang der erlittenen Abfuhr onne Beschönigung, wenngleich mit gelassener Heiter- keit, kundtat,.gab’s ein herzlich Gelächter rundum. Nicht aus Schadenfreude, vielmehr wußten die Kameraden zu melden, daß das ungnädige Fräulein mit Namen Jorinde den Herren des im Eifeler Waldgebiet einquartierten Regiments durchaus bekannt sei. Ja, das heftige Wesen der Dame übertreffe sowohl Donna Dianzs Betragen als auch die Unduldsamkeit von Petruchlos Käth- chen. Man wisse zwar den Namen Jorindes, man schätze auch ihren Beruf als Züchterin von Pflan- zen und Tieren, wer aber Ihr Herz gewinnen wolle, der müsse schon zu Werke gehen wie Jung-Siegfried bei der Islandkönigin Brunhilde. Auf Diepolds Frage, ob die schwierige Jotinde sich aufs Reiten Im Pferdesattel wahrhaftig ver- stünde, gab man den ausdıücklichen Bascheid, daß hier mit der schönen Amazone freilich nicht zu spassen sel; das Mädchen galoppiere Jeg- lichen Morgen um Sonnenaufgang mit einem Wallach über Hecken und Bäche, es sei des Wil- den Jägers kühne Schwester und pflege alle Ver- folger lächelnd hinter sich zu lassen. Diepold war's zufrieden. Er ging beizeiten ins Bett, allerdings ließ der Schlaf auf sich warten, sintemal den ertegten Kopf noch mancherlei Pläne beschäftigten. Wissen muß man, daß die Berichte dor Kameraden das strudelnde Gemüt in Aufruhr hielten, und den, der gestern nur 00 492 schwärmte, umzingelten haut’ die Geister einer Bewunderung, die erlöst zu werden verlangte. Apoll hub an, um Daphne zu werben, vom offe- nen Trotz war nicht welt bis zur heimlichen Lisbe, es durfte kein Remis geben in diesem Gefecht der Edlen. Tag um Tag ritt Diepold in einsamer Kuckucks- frühe durchs laubige Gebirg, abwechselnd liehen die Kameraden ihm ein Pferd nach dem andern, piüfen und erproben sollte er, welches das schnellste sei. Morgen für Morgen mühte sich der chevalereske Soldat, nicht nur des Reitens forscheste Kunst in der Schule unentrinnbarer Verliebtneit zu üben, er war auch bestrebt, den von kriegerischen Narben behinderten Leib wie- der nützlich zu lockern. Tauchte dann bei derlei Ritten zwischen Berg und Tal das hoffärtige Fräu- lein vor einer Schneise auf, versäumte der Raiter keineswegs, die Stolze zu grüßen; dann nickte sie nur, beim dritten Mal wagte sie gar einen geheimen Blick vom Sattel hinüber Ins Angesicht des Mannes, der vorläufig keinen Hauch seiner Gefühle preisgab. Ihm fiel nur auf, daß Jorinde — so schlen.es — nunmehr nicht ohne Absicht die Spur seiner Wege kreuzte; das Fräulein konnte nicht rasch genug den eignen Wallach vor dem Pferde des Oberleutnants einherlenken, bald im Trab, bald In lodernder Karriere, — Herr Diepold tat der Spröden nie die Freude an, einen verfolgenden Wettlauf zu beginnen; wohl aber gönnte eı sich einmal den Zuruf, ein Spiel ‚mit seiner Geduld wäre gefährlich, und die Rel- terin antwortete nichts, doch zeigte sie, einem unartigen Kinde gleich, die Zunge, um dann spornstreichs zu entfliehen, Bis der Soldat eines Morgens die Gewißheit hatte, daß der Hengst, den er soeben rltt, ohne Zweifel die flinkste Kreszenz der erreich- baren Ställe Im Umkreis sel, Da faßte er sich ein Herz, sprengte zum Landhaus der Schönen hin, traf das reitende Fräulein und gab mit Freimut zu wissen, daß er heute keine Abwelsung und kein Entrinnen mehr dulde. Er bitte also, den Wettlauf mit 'hm zu erproben, und sollte er ge- winnen, ‘müsse der Preis be- glichen werden.:. Jorinde lachte ihr kühnstes La- chen, freilich gelang es Ihr nicht, das erste Erröten zu verhindarn: im Schimmer ihrer Wangen und Augen tat sich ein Geheimnis kund, von dem man nicht wußte, ob es noch immer letzte Abloh- nung in sich verbarg. Also wil- ligte das Fräulein ins Ansinnen z des Herrn, mit slegesgewisser Miene und triumphierendem Blin- zeln allerdings. Ritt dann, bevor er.noch danken konnte, querfald- ein Ins Weite, ein Fliegen und Stürmen war's eher als ein 3a- loppleren; indes Diepold folgte, schnell, sehr schnell, nicht Gräben oder Hürden scheuend, vollzog sich ein Hindernisrennen mitten in des Herrgotts Eifeler Natur, da stoben die Hasen, und das plär- rende Volk der Kıähen suchte sein Heil in der Luft. Fünf Minuten, dann war Jorinde x überholt. Sie biß sich die Lippen, sah den Weg von des Siegers schäumendem Pferde verstallt, nannte alles ein ungleiches Spiel und verwies darauf, daß es nicht tedlich sel, die Vehemenz eines Oberborgen) Rationelle Schönheitspflege - Cura razionale della bellezza Hengstes mit der begrenzten Kraft eines Wallachs zu messen, Diepolds Meinung, die Kunst läge beim Reiter, weniger beim Pferd, außerdem wolle der Umgang mit vollblütigen Hengsten gelernt sein, ließ das Fräulein nicht gelten: Jorinde bestand darauf, daß die Wette auf getauschten Gäulen wiederholt werde. Diepold willigte ein, auch bot er jede Hilfe an, doch das Fräulein, weit stör- tischer als jemals, lehnte ab, nie habe die beste Relterin zwischen Mosel und Rhein solcher Hilfe bedurft, spottete sie, dann war Jorinde abermals auf und davon... Der freundliche Gegner folgte auf dem Wallach, wiederum drohte der Soldat den Hochmut der Amazone zu strafen, als das Spiel eine teils bit- tere, teils überaus anmutige oder gar übermütige Wendung erfuhr. Denn die Dame, die ein neues Unterlliegen mit allen Mitteln reiterischer Schlau- heit zu verhindern trachtete, lenkte den Ihr an- vertrauten Hengst absichtlich einer Koppel zu, wo die. Stuten des eigenen Hofs weideten. Jo- tinde ahnte, daß derlei Witterung den Eifer ihres Tieres bis zur Sturmeseile beflügeln mußte, — als etwas geschah, was ebenso kurlos wie natürlich war, obgleich es nicht im Kalkül des eitlen Fräu- leins verzeichnet stand. Hört: Jorindes Hengst zögerte nicht, sich eine der Stuten mit flottem Blick zu küren. Er hielt, nicht Sporn noch Zügel mehr empfindend, wie- hernderwaßen inne, kein Zuruf oder lockendes Schnalzen betörte den Gaul, der sein Opfer um- tanzte, um sich dann, nach mancherlei Liebkosun- gen mit Mähne, Hals und Zunge, auch den letz- ten, den holdesten Hüpfer zu gönnen... Herr Diepold, der edle Ritter, der das Fräulein noch Immer Im Sattel des hurtig rauschenden Hengstes thronen sah, wußte nicht, ob er das Bild, das sich Ihm bot — ein Schauspiel der iQ N R\ Myiytı IN | M | \) RN \ \\IN J ——I Natur, wie man sagen muß — nun herzlich be- dauern oder weit seliger belachen sollte. Da aber das Fräulein, aller Bestürzung untertänig, der Lage keineswegs gewachsen war, vielmehr zwi- INSEL MAINAU Auf der Terrasse _ Ist es der Duft, Aus Rosen entstiegen, Der midı beseligt, Oder drunten die blaue Gruft, Zupressenumschmiegen, Die mir befehligt, Süß ins Vergessen Hinab zu beben? Lädhelnd zu schweben — Lehrt mich hauptüber In luftblauer Bucht Goldenhäutig Die südlidie Frucht! Zypresse Flammend sie sühnt! In blättriger Dichte Heiße Verzichte, Finstrem Verzehren, Kann sie ihm mehren? Erbarme! Immer grünt Das Begehren Erstorbener Arme, Georg Schwarz 493 ı 1 N) \\ CRM u { (irgeze (Fr. Bllek) schen Erröten und Erblassen ein übers andre Mal um Hilfe rief, meinte sich der muntere Kavalier des Versicherns zu entsinnen, daß die beste Rei- terin zwischen Mosel und Rhein keinerlei Hilfe bedürfe —?! Dennoch führte er seinen Wallach behutsam an die Flanke des vermögenderen Ka- meraden, In dessen Sattel die Amazone flehent- lich schaukelte. Und verstand es, tells mit güti- gem Zuruf, zumeist aber doch durch abwartende Geduld des Hengstes Feuer zu beschwichtigen. Bis das Tier, seiner Moral als gut erzogenes Equus caballus wieder inne werdend, allmählich neuen Boden fand, um dann, das Intermezzo mit einem dankbaren Schnauben beschließend, den Gehorsam auf Zügelzug und Schenkeldruck neuer- lich aufzunehmen. Diepold salutierte vergnügt, Fräulein Jorinde aber sank erschöpft vom Roß, der Reiter neben ihr mußte eilends den Sattel verlassen, um die Dame aufzufangen, und zwar in den innig gebreiteten ‚Armen. Den Heimweg legte man wandernd zurück, Jeder tat philosophisch, jeder führte auch sein Pferd, und Jorinde durfte, konnte, ach: wollte nichts andres offenbaren, als daß sie sich überwunden fühle, der edie Herr Diepold sei heute abend zu Gast gebeten... Uns Ist gestattet, dem Paare einiges Glück zu wünschen, vor allem der gezähmten Jorinde. Die Kameraden, denen es oblag, nach den Gründen und Umständen des kaum begieiflichen Sieges zu fragen, antwortete der stille Triumphator lediglich, die Liebe — und nur diese — habe ihm geholfen, das Paradies der Erde liege nun mal auf dem Rücken der Pferde, und er fügte von Petruchios Käthchen die einsichtsvollen Worte an: © daß die Weiber herrschen, trotzen wollen, Wo sie nur immer lieben sollen. ., (K. Helligenstaedt) Verschwendung „Albert hat die Übersicht über Zahlen völlig verloren: gestern schickt er mir nur ein Küßchen — heute sinds schon tausend Küsse!“ Sperpero: “Alberto ha perduto completamente I" orlentamento de! numerl. lerl mi mandava un solo bacIno ed oggl me ne manda glä millel,, 494 DER SCHÄFER Hat früh den Tau die Sonne aufgelogen, Greifft du gemach zu deinem Schwarzdornftock, Kommt friedlich mit der Herde angezogen, Grau wölkt der Vliefe dichtes Wollgeflock. Dir folgt dein frommer Wolf, der das Gewimmel Der Leiber auf der Trift zulammenhält. Dein find die Erde und der freie Himmel, Dein ift die ganze grüne Pflanzenwelt. Und nähert fich der Abend feucht der Erde, Ziehft du gelaffen auf den Hof zur Nacht: Du vorneweg und hinter dir Die Herde. Es {ft fchon viel: Du haft fie fatt gemacht. Heinz Friedrich Kameche. NEBEN BUHTLER Scheinbar lebten sie im besten Einvernehmen, die Bewohner des Hauses Rabengasse 13. Schuh- machermeister Lund in seiner Kellerwerkstatt — Frau Skog, die Miichhändlerin und Fräulein Jons- son, die Grünkrämerin Im Erdgeschoß — die Näherin Alida Persson und die Witwe Phil mit ihrer Tochter Aina im ersten Stock. Meister Lund, Junggeselle und in noch guten Jahren, war als einziger Mann im Hause natürlich der Hahn im Korbe. Gern ließ er sich auch die vielen kleinen Beweise besonderer Geneig!heit gefallen, mit denen ihn die weibliche Nachbar- schaft in selbstloser Weise und ohne eifersüch- tige Regungen von allen Seiten bedachte. Des Sonntags zum Beispiel war er ständiger Mit- tagsgast bei Fräulein Jonsson, um bei Frau Skog den Nachmittagskaffee einzunehmen und sich hernach bei der Witwe Phil an einigen Gläschen selbstbereiteten Kirsschweines zu erquicken. Den Abend aber verbrachte er in Gesellschaft von Alida Persson, die Besitzerin eines kostbaren Schallplattengerätes war. Kurzum, er führte ein Leben wie Im Paradlese und war ängstlicher denn je bedacht, sich seine Junggesellenfrelheit zu währen. Bis eines Tages das Schicksal einen seiner launen- haften Sprünge tat und Ihm den Spaß verdarb. Die Witwe Phil hatte sich entschlossen, ein Zim- mer ihrer Wohnung zu vermieten, Der neue Mieter war ein Junger Eisenbahn- beamter. Ein liebenswürdiger Junger Mann, der in seinem Äußeren einem bekannten Filmhelden sehr ähnlich sah. Was Wunder also, daß er Ein- druck machte und die Herzen der Damen im Nu gewann. Und das auf Kosten des Schuhmacher- melsters! Denn mit Kummer und Verdruß mußte Meister Lund erfahren, wie wandelbar die Gunst des schönen Geschlechtes Ist. Die sonntäglichen Ein- ladungen wurden spärlicher und spärlicher. So zog er sich schließlich von selbst zurück und flüchtete in die Abgeschlossenheit seiner Keller- gemächer, sobald er nur die Stimme seines Nebenbuhlers vernahm. Von Stund an war er ein gebrochener Mann und verfiel offensichtlich dem Trübsinn. Er sang richt DER TON Die Grille singt; von ihrem Laut sind Menschen fröhlich und erbaut: Wie hübsch es klingt! Man fängt sie und man sperrt sie ein, kein Käfig ist für sie zu klein, auf daß sie nicht den Ton verliere und -so geplagt- noch lauter musiziere. Peter Scher Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschaf Verantwortl. Schriftlelter: Walter Foltzick, München. — Der anstalten enigegen. — Bezugspreise: Einzeinummer 30 Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfäll VON WILLY WALFRIDSON mehr und grüßte niemanden, er hämmerte nur noch mit glanzlosen Augen auf die Schuhe ein, Das Haus, früher ein Garten Edens, hatte sich in ein Inferno verwandelt, so daß er beschloß, aus- zuziehen und sich einen neuen Kundenkreis zu suchen. An jenem Morgen aber, da er diesen Beschluß gefaßt, erhielt er einen Brief. Und der stammte von dem verhaßten Nebenbuhler und enthielt eine Einladung zur Verlobungsfeier, die am Abend in der Wohnung der Witwe Phil stattfinden sollte. Die Verwirrung jedoch, in die Meister Lund darob geriet, stand in keinem Verhältnis zu der, die die weiblichen Bewohner des Hauses befiel. Denn an alle Hausbewohner war die Einladung er- gangen und jede schwelgte nun In der Hoffnung, daß gerade sie und keine andere die Aus- erwählte sein würde, Kokett betrachtete Frau Skog sich in dem kleinen Spiegel, den eine Margarinefabrik zu Reklame- zwecken in ihrem Laden hatte anbringen lassen. Und in der Anwandlung eines Gefühls feierlicher Andacht holte Alida Persson ihr Konfirmationskleid hervor und überlegte, wie sich daraus wohl ein Brautstaat machen ließe. Das kleine, dürre Fräu- lein Jonsson hingegen saß hinter dem Ladentlsch und übte sich, schmachtend ein zartes Ja zu hauchen. — Und der Abend kam. Traurigen, doch gefaßten Sinnes — nachdem er sich zuvor ein wenig Mut und Stärkung angetrunken — betrat Meister Lund die Wohnung der Witwe Phil. Die Damen waren bereits vollzählig anwesend. Frau Phil bat Platz zu nehmen und Aina, die Tochter, schenkte ihm ein Glas Kirschwein ein. Da betrat der verhaßte Rival den Raum. „Es freut mich, daß Sie gekommen sind, meine lieben Freunde, und ich danke Ihnen!” begrüßte er seine Gäste. Lund schluckte den Inhalt seines Glases, als tränke er sauerstes Essigwasser. Der andere aber ergriff erneut das Wort. „Ich habe Sie eingeladen, meine Verlobung zu feiern. Wer die Braut ist? Geduld, meine Lieben! Gleich will Ich es Ihnen verraten.“ Lautlose Stille verhaltener Spannung folgte seinen Worten. Dann aber machte sich unter den Damen eine gewisse Unruhe bemerkbar. Madame Skog, die hinter Fräulein Jonsson saß, schob Ihren Stuhl in günstigere Position. Ein Manöver, das von den anderen sofort durchschaut wurde, Ein verbisse- ner, hartnäckiger Kampf um den besten Platz be- gann und endete erst, als der junge Mann wieder weitersprach. „Doch nun will ich endlich die Siegel des Geheim- nisses lösen. Denn ich hoffe, daß meine Auserko- rene mich mit offenen Armen aufnehmen wird...” Drei Paar sehnsüchtiger Frauenarme streckten sich ihm entgegen, drei Herzen helratslustiger Frauen drohten zu zerspringen, drei Lippenpaare formten sich zu einem zarten Ja. Meister Lund aber, ent- schlossen, seln Geschick mannhaft zu ertragen, griff mit fester Hand nach dem Stuhlrücken vor sich. Doch da zeigte sich auf dem Gesicht seines Ri- valen plötzlich eine Mischung von Erstaunen und leichtem Spott. Alsdann aber trat er an Aina, die scheint wöchentlich einmal t im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Simplicissimus Pf.; Abonneı Junge Tochter der Witwe Phil heran, umarmte sie und rief: „Liebe kleine Aina, Jetzt bist du mein — vor aller Öffentlichkeit!” Diese sensationelle Wendung löste unter den Frauen, die so Jäh aus den Wolken des Glücks gefallen, die trübste und verzagteste Stimmung aus. Nur noch mit Widerwillen ließen sie nun die zufriedenen Reden der Witwe Phil über sich er- gehen, womit diese voller Rührung das Gllick ihrer Tochter pries. Es schien, als wären die glü- henden Herzen plötzlich zu Eis erstarrt, und es war Ihnen anzumerken, wie bitter es sie reuie, soviel Zeit und Mühe an einen Unwürdigen ver- geudet zu haben. Melster Lund dagegen kam immer mehr in sein altes Fahrwasser und wurde wieder guter Laune Und stand auf und hielt dem jungen Paar eine begeisterte Rede, worin er den früheren Neben- buhler einen braven und biederen Bürger nannte, Als Fräulein Jonsson ihn dann aber beim Abschied für den nächsten Sonntag zum Mittagessen einlud, da söhnte er sich vollends mit dem Schicksal aus und entschloß sich, den Plan seines Wegzuges für Immer aufzugeben. (Aus dem Schwedischen von Valborg Rietig) LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückol) Bobby sagt zu Rudi: „Du, denk dir nur, heute vormittags treffe ich den Baron Schreckenstein, glaubst du, er hätte ge- grüßı?" ‚Aber Bobby”, erwidert Rudi, „der ist doch schon it Wochen in Italien!“ Meint Bobby: „Aber deswegen hätte er ja doch grüßen können!” * Unser Ileber Mitrekrut Banz war einer, dem man nicht ankonnte, Als er einmal bei der Übung wieder recht schlecht schoß, nicht nur keinen Ring, sondern nicht mal die große Scheibe traf, und der Herr Unteroffizier ihn stauchte, sagte er: „Entschuldigen S', Herr Unteroffizier, ich denk halt immer an den Ernstfall.” la „Ja stellen S’ Ihnen doch so einen feindlichen Sturmangriff vor, ganz dick und schwarz kommen s’ daher, wenn mir da alle nach dem selben Fleckl schiaß'n, san ma hergschenkt..." H. W. München, Sondlinger Straße 8 (Fornruf 1296). Brlefanschrift: München 2 BZ, Brieffach: Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- insendungen werden nur zurückgesandi, wenn Porto beiliegt. lungsort München. Das alliierte Terzett SS TCON chte Harmonie entstehen!" spielt, kann keine rei Noten jeiger naı ne! Solange der Baßg „Verdammte Mißtö: dietro le proprie note, non poträ mai uscirne una giu: ssista suona trabba: ! Fintantoche Il con! Il terzetto degli Alleati: *“Maledette stonature 496 München, 22. September 1943 i 48. Jahrgang / Nummer 38 ; 30 KR SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Moskaus neuer Liebling {Erich Schilling) De Gaulle wird zum sowjetischen Konjunkturritter geschlagen. Il nuovo benlamino di Mosca: De Gaulle viene creato “Cavaller di congluntura,, del Sovietl. Fischkönig = II Re de! pesci Der Stammtisch Von Walter Foitzick Ich weiß nicht, ob sich die Soziologen schon mit dem Stammtisch beschäftigt haben. Nächst der Ehe halte ich ihn für eine der wichtigsten Grundlagen des Gesellschaftsiebens der Indogermanen, In- sonderheit der germanischen Sprachfamilie. Ich glaube an die staatenbildende Kraft der Stamm- tische. Erst als die nördlichen Völker durch Be- rührung mit der südlichen Zivilisation Tische, und somit Stammtische bekamen wurden sie seßhaft und gründeten Staaten. Der Stammtisch ist die Keimzelle des Vereins, er unterscheidet sich von diesem nur durch das Feh- len von Statuten. Es kann vorkommen, daß sich durch Staatsstreich oder durch Volksbeschluß einer der Stammtischler zum Kassenwart aufschwingt, und schon Ist der Verein fertig. Was. daraus werden kann, ahnt man gar nicht. Der ungeschriebenen Gesetze hat der Stammtisch viele. Es sind sehr strenge Gesetze, die aus Brauchtum befolgt werden. Da weiß jeder, an welcher Stelle einer bekannten Geschichte er bei deren Bericht zu lachen hat, wann er Stammtisch- brüder bedauern muß und wann er alles zu über- sehen hat. Um jeden Stammtisch Ist solche Geheimwissenschaft. Bekanntermaßen entsteht aus Gebräuchen Kultur. Noch hat niemand das große Werk geschrieben: Die Geburt unserer Kultur aus dem postglazialen Stammtisch. An guten Stammtischen hat Jeder seinen Stamm- platz, Tritt der erste Stammgast an den Tisch, so (A. Kubin) fragt er, ob noch niemand von den Herren da Ist. Die Bedienung bestätigt ihm dann regelmäßig, daß er der erste sei. Früher waren für die Herren am Stammtisch Zeitungen und gebratene Kalbshaxen reserviert. Das liegt jetzt sehr im argen und Überlebende bemühen sich, diese Tradition in die Zukunft hinüberzuretten. Man weiß von Jedem einzelnen, ohne zu fragen, ob er Helles oder Dunkles trinkt. An Stammtischen gedeihen auch häufig die Blerwärmer. Eine voll- ständige Entwicklungsreilhe der Bierwärmer fehlt selbst im Deutschen Museum zu München. Des- gleichen vermissen wir auch eine gründliche Arbeit über die geographische Verbreitung des Bler- wärmers. Südlich drang er mit den einwandernden Bajuwaren bis in die Alpentäler vor, nördlich findet man Ihn in der Diaspora selbst In Berlin. Früher hat ein gepanzerter Ritter auf dem Tisch das Signal gegeben, daß sich kein Unbefugter hier- her wagen dürfe, heute zeigt ein einfaches Schild mit der Aufschrift „Stammtisch“, daß hier heiliger Boden ist. Aber dieser Boden ist jetzt ‘sehr ge- fährdet, und heranbrandet die Menge, um alte Rechte zu zerstören. Nicht zu beneiden ist der einzelne Mann, der im Schatten des Schildes sitzt und mit seinem Leib das Asyl für die andern decken will. Die Berechtigung zum Stammtisch steht jedem Deutschen frei, doch ist es Sitte, daß er sich erst In reiferem Alter zu Stammtischen vereinigt. Neue Stammtische entstehen teils durch Stecklinge, teils durch eine Art Zellteilung, indem durch Krach aus einem Stammtisch häufig zwei werden. 498 DIREKTOR BRINKMANN VON C. E HELK Meier, der Pferdehändler, hatte eine wirklich hübsche Fuchsstute im Stall stehen. Dreitausend Mark wollte er dafür haben. Das war allerdings ein hübsches Stück Geld, aber das Pferd war es auch wert. Er überlegte, wem er das Pferd wohl anbieten könne und verfiel auf Direktor Brinkmann von den großen Eisenwerken; für den waren drei- tausend Mark ein Pappenstiel. Er machte sich also bei passender Gelegenheit an Direktor Brinkmann heran, „Ich habe da eine Fuchsstute Im Stall, Herr Direk- tor, das gegebene Pferd für Sie. Bildschön, lamm- fromm und schnell — wenn Sie auf der morgens um sechs von ihrer Wohnung wegreiten, sind Sie um halb sieben in Groß-Borstel.” Der Preis spielte keine Rolle bei Direktor Brink- mann und so war er damit einverstanden, daß Meler ihm am nächsten Morgen die Stute vor- führen lassen würde, damit er sie ausprobieren könne. Djes geschah. Es verging einige Zeit, ohne daß Meier von Herrn Direktor Brinkmann etwas gehört hätte. Ungedul- dig rief er ihn schließlich an und es entspann sich folgendes Gespräch: „Guten Morgen, Herr Direktor. Nun, wie ist das mit der Fuchsstute? Hat sie Ihnen gefallen?” „Soweit ganz gut.” „Wäre das nicht was für Sie?” „Ach, ich weiß nicht.” „Aber ich bitt' Sie, Ist die Stute nicht bildschön?” „Doch, ‘das ist sie.” „Und ist sie nicht lammfromm?"” „Ja, gewiß, das ist sie auch.” „Und ist sie nicht schnell?” „Ja, das ist sie schon, aber wissen Sie, ich hab’ mir das überlegt, was soll ich jeden Morgen um halb sieben in Groß-Borstel?" SCHÖNE AUSSICHT Ein etwas größ’res Quantum Fett, fo meinft du, wäre doch recht nett? Na, tröfte dich, mein liebes Kind, bis wir erft mal im Himmel find. Dann gehn wir, je zu ziel, drei, vieren, auf jener Straße promenieren, die, wie du weißt, von A bis Z reinmweg aus Milch und Rahm befteht, moraus mir, bloß indem wir fchreiten, die nötige Butter uns bereiten. Von Zeit zu Zeit fett man fich gern, um auszuruhn, auf einen Stern (für jedermann gibt eo da einen), fchabt fich die Butter von den Beinen und ftreicht diefelbe ganz kommod aufs trockne Himmelsvelperbrot. Weil nun (dafür laß’ ich mich Köpfen!) der Vorrat niemals auszufchöpfen, geht das fo welter höchft bequem bie Anno Sankt Methufalem. Ratatöshr Stalin schweigt (Wilhelm Schulz) „Vielleicht gelingt es auf diese Weise, mit unserem sowjetischen Freunde zu sprechen!" Stalin tace: "Forse riusciamo In tal modo di parlare col nostro amico sovletico!,, 499 FREDERIK MIT DEM KAKTUS Frederik hätte sich auf dem Blumenmarkt einen Kaktus gekauft, der war in einen erdbeerroten Fingerhut gepflanzt und von Gestalt so klein wie eine Erbse. Aber Stacheln hatte er schon über und über, wie ein Erwachsener. Die zitronengelbe Namenstafel, die er trug, war um vieles größer als sein Töpfchen und er zu- sammengenommen; darauf stand ein langer Name in Apothekerhandschrift. Frederik entzifferte ihn später glückstrahlend in einem Caf6; die Schrift bedeutete „Echinopsis Schickendantzii Web.” Er war stolz, daß er eine Pflanze mit einem solchen Namen selbständig gekauft hatte und steckte die Namenstafel in die Westentasche, damit sie nicht dummerweise verlorenginge. Danach aber wurde der Schickendantzkaktus der- artig klein, daß er auf der Marmorplatte neben dem Aschenbecher überhaupt nicht mehr zu sehen war. Auf diese Weise passierte Frederik mit dem unerwachsenen Kaktus etwas recht Un- angenehmes, Als das Servierfräulein ihm das Kaffeetablett brachte und die einzelnen Dinge auf dem Tablett vor Frederik anordnete, zog es plötzlich, wie von einer Wespe gestochen, seinen Arm zurück und schrie ganz laut: „Aul“ in das Caf6, so daß jeder es hören konnte; und Jeder sah auch augenblick- lich erstaunt und vorwurfsvoll auf Frederik und das Mädchen, Dieses aber wurde zinnoberrot und blitzte Fre- derik feindselig an, denn es dachte, dieser Herr mit dem elegischen Blick hätte es mutwillig ge- stochen, weil es den Kaktus nicht sehen konnte und seine Hand neben dem Aschenbecher lag und so tat, als sei nichts geschehen. „Das wär ich nicht, Fräulein“, sagte Frederik plump, dem es nicht paßte, daß die Kaffeehaus- gäste auf seine Hand wie auf die eines Lust- mörders starrten. „Was haben Sie sich eigentlich getan, daß Sie hier so laut werden?!” Darauf drehte das Servierfräulein sich um und ging mit brüsken Schritten hinter die Theke, wo der finstere Herr des Kaffeehauses stand und un- willig zu Frederik hinsah. Frederik hörte, wie er das Mädchen hinter dem Wandschirm halblaut fragte, ob der sonderliche Vogel etwa versucht hätte, es zu zwicken. Frederik, den der „sonderliche Vogel” genügend verdroß, spitzte die Ohren und bemerkte mit Mißbehagen, daß fast sämtliche Gäste dasselbe taten. „Nein“, flüsterte das Mädchen entrüstet, „aber Ich habe mich grade an ihm Irgendwo gestochen.” Sie sagte das mit einem Theaterflüstern, das ötzend bis in die fernsten Winkel des Kaffee- hauses drang. Es war zu spüren, wie sämtliche Gäste plötzlich stutzten, von Ihren Zeitungen auf- sahen und mit geringschätzigen oder zwoideutl- gen Blicken zu Frederik hinäugten. Andere hiel- ten die Tassen kurz vor den Lippen an und beug- ten sich neuglerig vor, so daß Frederik beinahe auf sich selbst den Verdacht warf, ein ungesetz- licher Schwerenöter zu sein. Offenbar aber war der finstere Herr des Kaffee- hauses der einzige, der dieses Geflüster nicht richtig verstanden hatte. Zusammenzuckend hörte Frederik wie er das Mädchen hinter dem Wand- schirm anbrüllte: „Was haben Sie sich an ihm getan?” „Er hat .gestochen!” antwortete das Mädchen kurz angebunden, doch diesmal mit einemFlüstern, das In ein furchtbares Zischen überging. Frederik war hinter seinem Tablett zumute, als würde er von einem heißen Dampfstrahl angeblasen und lebend darin gesotten. „Er hat Sie... was?!” brüllte der berserkerhafte Baß des mißtrauisch gewordenen Schwerhörigen dawider. „Gestochen!” schrie nun des Mädchen verzwel- VON EUGEN SKASA-WEISS felt und in höchstem Diskant, und die Gesichter der Gäste wandten sich nun Frederik offen ver- urtellend und beunruhigt zu. Es drängte ihn, mit einer bagatellisierenden und erklärenden Hand- bewegung, sarkastisch lächelnd, auf den dämo- nischen Zwerg Schickendantzii-Web. zu weisen — aber der war in seinemLiliputtöpfchen nur wenige Zentimeter weit sichtbar. „Gestochen! Höre ich recht!? Das war noch nicht dal’ tobte die rüde Stentorstimme.des Chefs hin- ter dem zitternden Wandschirm, und Frederik fühlte, daß er sich diesen schwerhörigen Wüte- rich gegenüber niemals mit der subtilen Wahrheit herausreden könnte. „Hel Er hat Sie gestochen! Wo gibts denn so wasl — Und das lassen Sie sich bieten?” Das Mädchen schluchzte auf, und es war zu spÜ- ten, daß es vor Scham nicht mehr wagen würde, hinter dem Wandschirm hervorzutreten. „Tut es weh?" mischte sich eine andere, schmal- zige Stimme — die des Konditors wahrscheinlich — dazwischen, „womit hat er Sie denn gestochen? Und wo?" Frederik biß sich auf die Lippen. „Wo?l — Mensch, das fehlte noch! Wo, fragt er, woll“ brüllte nun der Chef, und seine Stimme ver- riet die Energie eines Rächers und Inquisitors. Jede Aussicht, daß Frederik das Lokal unverprügelt ver- lassen konnte, schwand dahin. „Ich weiß os nicht...” schluckte das Mädchen, und die Kaffeehausgäste sahen nun doppelt inter- essiert zu Frederik hin. Dor starte versteinert ins Nichts und tat, als ginge ihn das ganze nichts an. „Was!“ hörte er hinterm Wandschirm brüllen, „Sie wissen es nicht? Warum heulen Sie dann? Wieso lassen Sie sich von Gästen stechen? Ohne zu Antwort an Dich und viele Von Herbert Leriboudols Ich kann Dir melter nichts fagen, Als daß wir marfchieren - - Weiß wohl, daß all Deine Fragen Nach unferem Weg und Ziel Nicht nur fo dahergefagt find; Aber wie Wolken und Wind Im Erigen fich verlieren, So pflügt unferes Herzens Kiel Die namenlofen Weiten -, Wir find auf endlofer Fahrt = "Durch uferlofe Zeiten. x Mehr kann ich Dir nicht Antwort geben, Heute nicht und auch morgen nicht; Denn alles, was In der Tiefe aufbricht Und was in mir geborgen ward Auf Wegen zwifchen Tod und Leben, Das wird fich erft aus dem Dunkel erheben, Wenn tieder einft im Morgenlicht Die. hellen Gedanken zur Sonne fliegen-- Bis dahin laß Dir genügen, Daß meine Seele fpricht -I 500 wissen wohin! Ich werde den Kerl hinauswerfen!” Er tauchte plötzlich rot und vierkantig vor dem Wandschirm auf und betrachtete Frederik stim- tunzelnd wie einen Zopfabschneider. Die genieße- rische Spannung der Gäste auf den Verlauf die- ses Skandals begann Frederik zu rädern. Auf einmal stemmte der Schwerhörige beide Fäuste auf den Tisch und beugte sich tief über Frederik, als hätte erLust, ihn mitsamt dem Kaffeo- tischchen aus dem Lokal zu fegen. Frederik sprang auf. Er schlug, da er In seiner Verzweiflung keinen anderen Ausweg sah, mit der Faust auf den Tisch. „Herrgott, Sie brauchen sich nicht für das Mäd- chen zu entschuldigen”, herrschte er den wuchtig gegen ihn vorgestemmten Wüterich an, „es hat meinem Kaktus“ — und dabei hielt er ihm das Fingerhuttöpfchen dicht vor die finsteren Augen — „in der Eile bloß zwei kleine Stacheln abge- knickt, Es war ein seltenes Exemplar, schade... aber ich verzeihe ihr. Aber Ihr Gebrüll, Herr, Ist nicht zu verzeihen, lassen Sie die Lappalie Jotzt endlich ruhen, Jal’ „Gestochen! Löppaliel” grollte der Schwerhörige dumpf. „Mit einem Kaktus! Lappallel- Das sind Scherze, Herr...! Und wohin? Wohin, frage Ich?" Er ballte die Fäuste. Frederik setzte sich erschöpft und sprungberelt auf die Stuhlkante, Die Gäste, die zu begreifen anfingen, lachten amüsiert auf. „Sagen Sie es ihm nicht, Lassen Sie es ein süßes Geheimnis sein!”, rief ein belustigter Junger Dachs spontan Frederik zu: „Aber wozu mit einem so kleinen Kaktus?" Da kam das Mädchen zerknirscht hinter dem Wandschirm hervor und zeigte dem hartnäckigen Chef kläglich Ihren Daumen. > Er betrachtete sich das Unheil pedantisch und Frederik sah einen winzigen Kaktusstachel ganz zart auf ihrer rosaroten Daumenkuppe aufglitzern. Plötzlich drehte der Schwerhörige sich verächtlich um. Das Mädchen lächelte Frederik unter Tränen versöhnlich zu. Der sah sauertöpfisch auf seinen Kaktus, als täte der Ihm leid, Herrgott, das Theater war noch nicht zu Endel Hinter dem Wandschirm hörte er den nachgrol- lenden Chef, dem versteckten schmalzigen Kondi- tor zugewandt, zähneknirschend knurten: „In den Daumen! Was or davon bloß hat” Und nach einer Weile kam es tropfenweise: „Früher gabs die Zopfabschneider. Und In Mün- chen haben sie vor Jahren einen erwischt, der allen Jungen Mädchen die Brillen abgerissen und danach zertreten hat. Nur den Jungen Mädchen, merkst du was? Aber in den Daumen stechen — und mit einem Kaktus — und ein älterer Mensch — was das für Zeiten sind! Und mich auch noch an- schreien, und mit selnem Kaktus drohen! Das fehlte nochl.... In den Daumen!” „Hast du schon gelesen“, brabbelte dor Konditor, „was die Chinesen machen? Die sotzen arme Teu- fel Über Kaktusse, die ganz rasch wachsen, sägen ein Loch in den Stuhl, damit der Kaktus mit der Spitze von hinten her durchkann und dann gie- Ben sie ihn, und er wächst nun ruckweise durch den armen Teufel hindurch, bis er das Herz dürch- bohrt ...” Frederik hörte, wie der Konditor danach stöhnte und seufzte. Er war fest überzeugt, daß der Schwerhörige wenig davon richtig verstanden hatte, daß diese Erzählung aber vielleicht ge- nügte, ihm nun endgültig in diesem Cafl& den Garaus zu machen. . Und während er, den dämonischen Schicken- dantzli Web. In der zitternden Hand, durch die Drehtür ging, hörte er drinnen brüllen: „Ein Loch In den Stuhl? Gesägt?! Wer hat das getan?l” Er hörte noch, wie das Mädchen „Nein! Nein!” schrie, dann machte er eilends, daß er davonkam. (R. Krlesch) „Auf, Ulla, im Büro gähnst du doch auch nicht mehr um diese Zeit!“ — „Hast du 'ne Ahnung!“ Permesso: “Alzati, Ulla; giä anche in ufficio non sbadigli pid a quest’ oral,, — “Eh, hal un’ idea tul,, 501 Träumerei - Fantasticherie (Hanna Nagel) SCHACHTELHIRNS IDEEN VON SCHLEHDORN Nach einer Goethefeier saß Regierungsrat Julius mit dem Statistiker Dr. Emil Schachtelhirn zusammen. „Ja, die Unsterblichkeit”, sagte Schachtelhirn. „Ich habe in meinem Kon- versationslexikon festgestellt, daß mindestens 80% der Unsterblichen in den letzten 50 Jahren hinzugekommen sind, Die Unsterblichkeitsziffer ist beängstigend angestiegen. In Frankreich macht man sich die Sache leicht: die haben ihre 100 Immortels in der Acad&mie Frangaise, also numerus clausus. In anderen Ländern überläßt man die Unsterblichkeit... verantwortungslos dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage. Einen erganisatorischen Ansatzpunkt gäbe das Urheberrecht, wonach der Schriftsteller sich selbst um 30 Jahre überlebt. Ich schlage vor, man gründe einfach eine Behörde. Die Unsterblichkeitszuteilungsstelle. Dort- hin haben etwaige Jubilare bzw. deren Angehörige oder Anhänger einen Antrag auf Nachruhmnachtrist in dreifacher Ausfertigung einzu- reichen. Geschieht das nicht, oder werden die Gebühren nicht recht- zeitig gezahlt, so wird der Betreffende Im Reichsruhmesblatt gestrichen Seine Gedichte gelten als Volksliäder, bei seinen Tragödien darf ge- lacht werden, Doktoranden dürfen Ihn abschreiben, ohne ihn in der Fußnote zu zitieren. Sie behaupten vielleicht, das sei Bürokratie oder das Urteil sel zufällig. Entschuldigen Sie; Sie überlassen das Urteil der „Offentlichkeit”, dem Zufall und dem Beifall. Sie beurteilen den Beifall nach der Auflage- zifler oder dem Applaus im Theater — sind die Käufer oder Klatscher urteilsfähig? Haben sie eine Kauf- oder Klatschprüfung bestanden? Na also? 4 Mit dem Dienstgebäude der Reichsruhmzuteilungsstelle sind verbunden: rechts eine Sendestelle, ein Dutzend Interviewzellen (mit Einrichtung zum Ferngesehenwerden), Telephonzellen für eigene Berichterstatter von Zeitungen und ein kleiner Lorbeerhain. Links, für die Abgelehnten, eine Bierkneipe, wo es warme Würstchen gibt. Sie ist dem öffentlichen Ver- kehr zugänglich. Da treffen sich alle Nichtunsterblichen. Es wird rechts sehr gemessen zugehen — die Schreitenden reden druckreif und des- halb weniger —, links wird es dafür um so gemütlicher. Ein gewisser Ausgleich muß doch sein,” „Gewiß”, meinte Julius, „das vereinfacht dann die Geschichtsschreis bung.” „Richtig, die Geschichtsschreibung‘‘, rief Schachtelhirn. „Ich sehe vor- aus, wie zwangsläufig alle Geschichte schließlich in Statistik übergeht. 502 In Amerika Ist man schon dabei. Von der Einheitswiege bis zur Normal- bahre ist dann alles genormt und numeriert. Vielleicht sogar die Liebe, Mensch und Maschine lassen sich nicht mehr unterscheiden, denn die Maschine ist bis dahin beseelt worden, Lyrische Gedichte lassen sich maschinell herstellen, falls Bedarf besteht. Empfindungen werden ge- messen, alles ist elektrisch, und es gibt drei Typen von Töpfen für die Wirtschaft und zwei Meinungen (innerhalb der Ehe nur eine). Man gıün- det einfach eine Behörde, die alles auf Dinformat bringt. Wie in der Kreidezeit der Dinosaurier die Landschaft beherrschte, so alsdann deı Din-Arler. Der hat das Vergangene aufgezeichnet, das Gegenwärtige statistisch erfaßt und das Zukünftige vorausberechnet. Was früher Pro- pheten waren, nennt man dann Konjunkturforscher.” Ja, überlegte Julius, am Ende erledigten die Menschen dann Himmel und Erde, Und die Erde war erfaßt und durchorganisiert. Restlose Klar- heit lag über den Untiefen und keinerlei Geist schwebte mehr über den regulierten, kanalisierten und destillierten Wassern... „Immerhin‘, sagte er, „ein interessanter Gedanke.” „Ach so, Gedanken”, fiel Schachtelhirn ein, „da habe ich eine Idee. Im Zuge der Entwicklung wird man dahin kommen müssen, die Gedanken zu bewirtschaften. Wie wertvoll Gedanken sind, zeigen die Philo- sophen. Aber wie mancher Mann Ist gestorben, ohne je einen Gedanken geäußert zu haben, z. B. wenn er Beisitzer war oder verhelratet, oder wenn er sich sagte, daß schließlich Arlstoteles schon alles gewußt und Goethe schon alles besser gesagt hat. Andererseits, wie gefährlich sind Gedanken: Die meisten Verkehrsunfälle treffen Leute, die in Gedanken gingen. Bei dan meisten Dummheiten entschuldigt man sich: ich hatte gedacht... Und im Frühling kommen bekanntlich auch kluge Leute auf dumme Gedanken. Ich denke, man gründet einfach eine Behörde, Sie hat ihren Vorläufer in der Patentanmeldestelle. Wer einen eigenen Gedanken hat, oder zu haben glaubt, hat ihn der Gedankenanmeldestelle zur Prüfung vorzu- legen. Zurückhaltung von Gedanken (Gedankenhortung) ist unzulässig. Die ausgefüllten Formulare, die den Gedanken kurz nach Inhalt, Ursprung und Alter anzugeben haben, gehen an die Godankenprüfungsstelle, die mit der erlorderlichen Anzahl von Abtellungen arbeitet. Ist ein Ge- danke alt und wahr, so wird seine Verbreitung mit entsprechendem Zu- satz freigegeben. Ist er alt und falsch, so wird er der historischen Ab- teilung überwiesen und notfalls unter Verschluß genommen. Ist er neu und richtig, so wird er gegen angemessene Vergütung für den All- gemeingebrauch beschlagnahmt. Ich habe dazu einen eingehenden Ge- setzentwurf nebst Aus- und Durchführungsbestimmungen ausgearbeitet, Ist ein Gedanke neu und unrichtig, so tritt 1—10 Tage Nachdenken, in schwereren Fällen Einzeldenken, ein. Ist er aber neu und halbwahr, so wird er dem Verfertiger überlassen, um ihn zu propagieren, darüber zu disputieren, sich damit zu blamieren. Denn wenn es keine halbwahren Gedanken gäbe, hörte jede Diskussion auf. Und dieser, mein Gedanke von der Gedankenprüfungsstelle”, fügte Schachtelhirn stolz hinzu, „wäre einer von den Gedanken, der unter den ersten Gedanken bei einer solchen Behörde zur Anmeldung kommen müßte: er ist neu und sehr richtig.” „Aber werden das nicht ein bißchen viel Behörden?” warf Regierungs- rat Jullus ein „Natürlich, Behörden“, entgegnete Schachtelhirn prompt — „ich habe da eine Idee. Man gründet einfach eine Behörde zur Prüfung der Er- sparnis der anderen Und nun passen Sie auf: aus Ersparnisgründen be- setzte ich diese Behörde mit Beamten aus den anderen Im Nebenamt. Wenn Einer dann seine eigene Behörde abbaut — denn Jeder wird bei sich am ehesten feststellen, ob er überflüssig ist — so baut er gleich zwei Beamte ab. Guter Gedanke, wie?" In diesem Augenblick gebot der Wirt Polizeistunde. Und Julius erhob sich. Schon Im Fortgehen hörte er Schachtelhirn hinter sich her: „A propos: Polizelstunde. Ich habe da eine Idee...” BEGRÄBNIS IN DER SCHENKE Von Fritz Knöller ‚Adı, der jungen, ungefügen Liebe, Weißen, rotgeäugten Taubenliebe, Da sidı eins des andern unverbrüchlich mwähnte, Wenn sich Haupt an Haupt verschwiegen lehnte! Eine Frühlingswolke hat ein frostger Wind vertrieben, Eine Handvoll Sand hat ein Rüdıtger Fuß zerrieben. Wein aufgefahren! Roten, stürmischen Wein! Laßt midı die junge, honigsüße Liebe aufbahren! Unter die alten, vergessenen Leichen Der Liebe in späteren Jahren Soll sie zu liegen kommen, Daß ihr das Aufstehn für immer genommen! So tief in der Erde begraben mill ich die junge, honigsüße allein, Daß sie endlich vergeh bei ihresgleidien! (0. Gulbransson) Dem deutschen Arbeitsdienst aa BEER LE ER FESTE ERS AINIEHSD 2 n Al Servizio del Lavoro tedesco 503 GROSSE WAGENFAHRT Die Geschichte, die ich hier erzählen will, ist mir als Kind widerfahren. Sie fällt mir ein, und kaum ist sie mir eingefallen, so fällt mir weiterhin ein, daß sie schon oft in mir aufgetaucht Ist, Jenen Träumen gleich, die man wiederholt träumt, die also hartnäckig eıwas bedeuten wollen, denn nur darum rumoren sie in uns, sie wollen heraus, ans Licht, es ist nicht möglich, ihnen mit Erfolg das Maul zu verschließen. Ich weiß jetzt auch, weshalb mir diese Geschichte so oft einfällt. Sie ist ein Inwendiger Stachel, eine unerledigte Angelegenheit. Sie erinnert mich. Ich war zehn Jahre alt. In diesem Alter Ist alles noch welch und unbestimmt. Noch haben die täg- lich neu sich findenden Eindrücke keine Zelt ge- habt zum Verhärten in nunmehr feststehenden Ansichten, noch ist alles im Fließen und bloßen Kenntnisnehmen, dauernd kommt zum Gestrigen das Heutige, ‚alles wird vorerst nur gesammelt, hereingenommen, aufgespeichert, um vielleicht später verwertet zu werden. Der Rest Ist Nebel- masse, ein wogendes, beständig nachquellendes Nebelzeug des Geistes, lauter Unklares. Ver- ständlich sind nur die Gemütseindrücke, nur der Moment. In dieses Nebelwallen hinein wirft die Phantasie Licht aus glühend farbigen Schein- werfern, und dieses Anleuchten erst, durch magl- sche Phantasiekräfte, das schafft dann Gestalten in den Nebel hinein, Ich denke an den Knaben In Goethes „Erlkönig” Für den Vater sind es Nebelstreiten im feuchten Wiesengelände, für den Knaben sind es Erlkönigs Töchter In Schleler- gewändern. Er sieht sie ganz deutlich, Es Ist Erl- königs Stimme, die denKnabe vernimmt, während der Vater aussagt: „In dürren Blättern säuselt der Windi” In diesem Alter erscheint alles geheimnisvoll, alles fügt sich dem Wunsche, alles eilt der Phan- tasie nicht nur nach, nein, es eilt Ihr sogar ent- gegen. Da finden dann feurlge Vermählungen statt... — Und hier gestatte ich mir ein trockenes ver- kniffenes Humorgrinsen, wie es meinen heutigen fünfzig Lebensjahren angemessen ist, denn ich habe hier eine Vorrede geschrieben, philosophisch geladen, und dabel handelt es sich um eine Ge- schichte, die so lächerlich ist, so Inhaltsdünn, und doch Ist es eine Geschichte, die mir wieder und wieder zu schaffen macht (durch ihr bloßes, be- harrliches Wiederkehren!), und die ich jetzt end- gültig zu töten gedenke, durch Niederschrift, fer- tig. Hau’ ihn auf den Kopf! Zieh‘ es Ins Licht, das Gespenst Da war damals Otto Greill Mein Freund! Um zwei Jahre älter als ich, eine Person also, ein Gewal- tiger. Was Otto mir sagte, das galt, das stand. Seine Eltern hatten ein Porzellangeschäft, großes, sondern nur einen Laden für klein. fache Kundschaft. Sie verliehen auch Porzellan. Beispielswesie, es feiern welche Hochzeit, sie haben aber nicht das Geschirr dazu, diese vielen Teller, Tellerchen, Gläser, Tassen, Untertassen und Schüsseln und so weiter, dann wenden sie sich an Greil, und Grell leiht ihnen Porzellan. Dies alles wußte Ich damals nicht, es würde auch viel zu fremd für mich gewesen sein, es lag voll- kommen tern. Ich wußte nur: Ottos Eltern haben ein großes Geschäftl Denn daß es groß sein müsse, ergab sich aus der einfachen Tatsache. daß Otto mein Freund war. Ist damit nicht alles bewiesen? Er, der hoch Überlegene, konnte nur Sohn eines großen Geschäftes sein. Das ist so klar, daß Worte darüber sich erübrigen. Und nun fragt mich Otto eines Tages: „Willst du mitmachen? Ich muß mit dem Wagen Geschirr abliefern.” Ich kam mir erhöht vor wie durch königliche Ehrung, Mit dem Wagen, das bedeutete: das Pferd wird vorgespannt, Otto kutschiert, ich aber, neben Ihm, durchfahre die Stadt mit Prunkl VON FELIX RIEMKASTEN Hoffentlich sehen mich viele aus meiner Klasse, ja, sogar ein Lehrer wird mich möglicherweise sehen! Meine Mutter sagte: „Warte doch noch. Auf dem Wagen, da weht der Wind. Du sitzt da ohne Be- wegung. — Du mußt ein Halstuch umbinden!” Sie band es mir um, während ich dachte: Sowie ich draußen bin, tue ich es abl Ich zitterte vor Ungeduld. Ich donnerte die Treppe hinunter, ich kam atemlos bei Otto vors Haus gerannt. „Wo ist der Wagen?“ „Der wird jetzt erst aufgepackt.” Er sagte es mir so wichtig, so um zwei reiche Lebensjahre älter, daß ich nur wieder einmal sehen und staunen konnte. Er war groß und er- haben. Freilich ergab sich nun etwas Furchtbares: der Wagen, mit dem wir fahren sollten, war nicht ein Wagen, nein, es war ein schäbiger, krumm- gebogener alter Kinderwagen, der — so war es gedacht — nicht von schäumenden kraftvollen Rossen gezogen wurde, über die dann In Stolz Trinkerweisheit Der Wein ist von Adel. Das ist kein Tadel Für den derberen Schnaps. Das Beil und der Degen Sind beide aus Eisen Gemacht und sind Brüder. Deswegen — gib acht: Für den Klotz einen Keil, Einen Hieb mit dem Beil — Doch für das Herz nimm den Degen! Georg Britting zu herrschen gewesen wäre, sondern dieser Wagen — ich sage nur: dieser Wagen!! Er sollte von mir und Otto geschoben werden! Durch die halbe Stadt. Geschoben, und hoffentlich sehen mich dabei recht viele aus meiner Klasse, möglicher- weise sogar ein Lehrerl Damit setzt die Geschichte ein, diese Geschichte, die mir alle paar Jahre wieder einfällt und nicht weichen will, wobei ich immer erröte und mich schäme. Ich hätte beim Anblick des Wagens er- klären sollen, daß ich andere Erwartungen gehegt hätte, ganz und gar andere, und daß ich auf solche Weise und in solcher Art bestimmt nicht mitmachen würde. Aber ich war zu dieser Er- klärung zu feige, und die Feigheit war mir zu- gleich bewußt. Ich war voll Scham, vorher so gierig gewesen zu sein, so lächerlich hoch- gestimmt... Vor allem aber vermochte ich es nicht, Otto zu sagen, wie nüchtern und klein er plötzlich für mich geworden sel. Ich wurde glühend rot bei dem Bewußtsein, wie sehr ich bisher In Ihn sozusagen „hineingestürzt” war, Ich dachte, es müßte Ihn zu sehr verletzen, wenn ich ihm erklärte, der Geschirrwagen sei eine Erniedri- gung. Ich sah wie er einpackte. Immer eine Lage Stroh, dann eine Lage Teller, dann wieder Stroh, dann die Tassen und Untertassen. Und dann schoben wir los, Ich meine damit wörtlich, daß wir nun losschoben. Der Wagen war schwer, das Schieben war nicht leicht. Ich sah dabei nur immer auf meine Füße, ich sah sie auf das Pflaster hintreten, 504 und neben mir Ottos Füße im gleichen Takt. Er warnte mich vor den Straßenbahngleisen. Wenn wir da hineingerleten, sagte er, mit diesen schma- len Kinderwagenrädern... | „Dann kommt gleich der Schutzmann”, erläuterte er mit einer Stimme, die eine heilige Unterwürfig- keit ausdrückte, zugleich auch Verschmitztheit. „Das ist nämlich gar nicht erlaubt, daß wir als Kinder das machen”, sagte er. „Das ist Gewerbe- betrieb, da ist das verboten.” Mit dieser Eröffnung hatte er mich so fest in den Fängen, daß ich nicht mehr entweichen konnte. Ich besuchte das Gymnasium, und wehe, wenn ich von der Polizei bestraft wurde. Ich sah die einsame Gefängniszelle, ich schmeckte auch schon das nüchterne Wasser, das salzlose nüch- terne Brot, und meine Eltern starben vor Gram, ja, sie waren sogar schon gestorben! Wir schoben, und ich ächzte dabei. Ich war zu feige, um wegzulaufen, ich war auch zu feige, Otto zu sagen, was ich dachte. Ich war zu allem zu feige. Er ahnte nicht, wie schimpflich er war mit seinem Wagen, und wie er auf dieser Fahrt neben mir jetzt starb. Er starb einen Tod, wobei der ganze Schmerz nur auf mich fiel. Es war, als sel er vor- her ein Baum gewesen, prangend in Fülle und Kraft, und diesen Baum sah ich nun sterben. Erst schwand die Krone dahin, alle Blätter wehten dahin, dann standen die Äste und Zweiglein kahl, während innen alles zu' Dunst und Moder werden sollte, dann verlor das Ganze die Farbe, und zu- letzt war nichts als Müdigkeit und Trauer und Bangen und Frieren. Zugleich verwandelte sich Ottos Gesicht. Es sah nicht mehr kühn gebietend aus, sondern wurde gewöhnlich, es wurde un- angenehm, ja, es wurde zuletzt widerlich. An dieser Stelle hätte Ich abermals aufhören sol- len mit Wagenschieben, aber statt dessen schob ich weiter und hörte zu und gab ihm Antwort, weil ich immer nur dachte: ich bin zwar fertig mit ihm, aber das kann er nicht wissen, und wenn ich ihm meine Gedanken sagen wollte, müßte es ihn zu sehr verletzen... | » So kamen wir vor dem Hause an, In dem wir ab- liefern sollten. „Sei aber vorsichtig, laß nichts hinfallen“, mahnte Otto und sagte es mir In der alten gewohnten Art, er begriff also nichts, er wußte noch gar nichts. Wenn er es aber nicht wußte, wie durfte ich es ihm dann sagen?! Darum biß ich die Zähne zusammen und half ihm beim Tragen. Es ging nichts entzwei, Oben in der Wohnung waren Leute, aber Erwach- sene, also Menschen, lauter „Große“, folglich Ge- stalten In Unbegreiflichkeit, denen man nichts sagen kann. Sie sind die Wahrheit, sie sind die Macht, sie sind das Recht. Ich bekam zwanzig Pfennig, Otto bekam dreißig Ein großer Mann sagte: „Dem Kleineren sollte man Gela gar nicht geben. — Willst du Bonbons haben, Junge?” Ich sagte nichts, ich stand nur da. Ich weiß auch heute nur — denn Ich kann soviel Nebel nicht mehr durchdringen — daß Ich Bonbons bekam. Eine Frau sagte verächtlich: „Das ist ein ganz maulfauler Junge, der andere ist wenigstens fix und freundlichl“ Darüber wurde ich dunkelrot und schrecklich mutlos und müde und wütend zugleich. Unten, wieder am Wagen, der nun leer war und sich wie im Spiel schieben ließ, sagte Olto: „Das siehst du doch ein, die zwanzig Pfennig gehören mir. Dafür ist es doch auch mein Wagen! — Sieh mal”, sagte er, „das mußt du doch einsehen: ohne den Wagen da hättest du gar nicht die Gelegenheit gehabt, das siehst du doch ein?! Da mußt du mit also das Geld hergeben. — Und die Bonbons”, sagte er, „die müßtest du eigentlich auch geben, aber die Hälfte will ich dir lassen. Die Leber des Prometheus (Erik) „Wart’ nur, du Luder, ich zeig’ dich an — heut’ am fleischlosen Tag!" Il fegato di Prometeo: “Bada bene, gaglioffo! lo tl denunclo . . . oggl & glorno di magro!,, 505 Junges Glück (X. Heillgenstaodt) „Siehst du, Mausi, wenn man sich von Herzen lieb hat, kann eine solche Wanne ein ganzes Familienbad ersetzen!" Fior di felicitä: “Vedi, piccina mia, quando ci si vuol bene di vero cuore, una tale vasca rimpiazza tutto un bagno di famiglial,, 506 — Ja", sägte er zögernd, „na ja, also die Hällte kannst du behalten, Aber zeig’ sie erst mal!” Ich zeigte sie ihm, und er teilte sie in zwei Hälf- ten zurecht, eine große und eine kleine. „So”, sagte er, „die da, die sind deine!” Und dann gingen wir wieder weiter, den Wagen schiebend, und fortgesetzt suchte er mir zu be- weisen, daß es gerecht zugegangen sei. Er redete entsetzlich viel und schielte immer auf mich hin, um zu sehen, ob ich ihm auch glaubte, „Denn sieh mal", sagte er, „ungerecht will ich nicht sein. Ungerecht, das darf man überhaupt nicht sein, das Ist verboten. Aber so, wie ich es dir erklärt habe, das ist gerecht. — Oder Ist es nicht gerecht?” Und da war ich abermals zu feige. Ich war auch noch zu unentschlossen, ich war vor allem nicht fertig mit Denken, denn während er redete, sah ich abermals etwas in mir, schon wieder Neues, wieder ein Bild, Ich sah und hörte Ihn zwar, doch war er längst nicht mehr Otto, weder dieser Otto von früher, noch jener Otto, der er vorhin erst geworden war, der erledigte, abgetane, über- wundene Otto, sondern jetzt war er dabei, eine häßliche, widerliche Kröte zu werden, und in der Gestalt einer Kröte sah er mich lauernd und im Stillen angstvoll an, bis zuletzt die Gier und Er- folgshoffnung alles in ihm überwand. Ich wußte, daß er In seiner linken Hand seine dreißig und meine zwanzig Pfennig zu einem unerhörten Geld- schatz von fünfzig Pfennigen ganz fest zusammen- krampfte. Die Bonbons in seiner Backe wanderten sichtbar hinüber und herüber. Es waren diese harten gelben Hustenbonbons, „Oder siehst du nicht ein, daß es gerecht ist?“ trieb er mich. In diesem Augenblick war ich endgültig fertig mit ihm, aber er kam mir so unsagbar bemit- leidenswert vor, so unausdenkbar entsetzlich, daß Ich meinte, soviel Scham dürfe man niemand auferlegen, ihm zu sagen, was man Jetzt von ihm wisse, Denn ich erkannte sehr gut, wie er mitten dabei war, mich zu begaunern... Das kann man einem Menschen nicht sagen! Also würgte ich gehorsam hervor: „Ja, natürlich, das Ist gerecht, das Ist klar.” Wie man sieht, es ist eine lächerliche, sogar eine schimpfliche und vor allem eine alberne Ge- schichte, eine Kindergeschichte zwar nur, aber doch schon mit leise sich bereits in der Jugend schon ankündigenden sehr bedenklichen Cha- raktergefährdung.... Was weiß man von dem, was in der Seele sich abspielt? Jahrelang habe ich umhergekaut, an dieser Feigheit damals, bis mir in neuerer Zeit ein Licht darüber aufzugehen scheint. Denn ich ahne nun: es war nicht Feigheit, es war (schon damals) dieser über alles hinweggehende unbe- zwingliche andere Drang, dieses ganz und gar Beherrschende, dieses unheimlich Verlockende, der Drang und Zwang nämlich: laß die Leute sich entfalten, laß sie ganz und gar sich zeigen, halte den Atem an und verschrecke sie nicht, denn siehe — dann siehst du etwas! Einen Menschen, ein Verhalten, ein Stück Leben, einen Vorgang In der Welt —II * Nur eben: welch ein Preis, gottverflucht, welch ein Preis! Denn es hatte mich selbstverständlich die halbe Klasse gesehen, auch ein Lehrer, sogar der Ordinarius. Eine Welt war in mir untergegan- gen, eine andere hatte sich dafür in Wehen em- porgewälzt. Nur diesen einen letzten äußersten Preis hätte ich doch vielleicht nicht zahlen sol- len, nämlich ihm zuzugeben: „Jawohl, ich sehe es ein!” Das Ist das einzige, das mich wurmt, Daß Ich auch das noch gefressen habel Aber was hilft Nachdenken? Da sind Wellen, Be- wegungen, machtvolle Umwälzungen, die führen sehr vieles mit sich, da gibt es selbstverständlich auch Schlamm. Das sind peinliche Reste. Ich werde mir eine Pfeife anstecken und rauchen. DER KUCKUCK VON KURT GROOS „Niemand kann über seinen Schatten springen”, sagte sich der Generaldirektor Ciborius und lud seine Sekretärin ein, ihn auf einer mehrstündigen Dienstfahrt zu begleiten. Sie mußten durch eine menschenleere, in Natur- schönheiten strotzende Landschaft fahren, und der Generaldirektor steuerte selbst, und neben ihm saß seine Sekretärin; in den Kurven lehnte sie sich leicht gegen ihn, so daß der General- direktor erwachte, Er war tatsächlich erwacht, dieser Generaldirek- tor, vornehmlich in den Kurven, und er lächelte die Sekretärin an, und er entdeckte dabei, daß sie In den Freistunden die von der Generaldirek- tion eingerichteten Dachgarten-Sonnenbäder aus- gekostet hatte; Ihre Haut war zwar noch nicht sonnenbraun, sie war nur honigfarben, aber ein vielleicht noch reizvolleres Dessin als das sonnen- braune, Die Sekretärin und der Generaldirektor arbeiteten nun schon seit zwei Jahren zusammen, nun erst, heute auf dieser Fahrt, entdeckte Ciborlus, daß die Dame seines Vorzimmers Lippen und Nasen- flügel besaß, die auf verborgene Seltsamkeiten schließen ließen. Diese Lippen waren fast über- irdisch geschwungene Polster ohne Riß und Falte, und die Nasenflügel bebten manchmal leicht und doch gleich erkennbar, vornehmlich in den Kurven. Weil der Generaldirektor vor Jahr und Tag einen in Italien spielenden Roman gelesen hatte, stellte er sich — besonders in den Kurven — ziemlich heftig vor, daß die Sekretärin die Stufen einer ungeheuerlich großen, breit hingedehnten Treppe hinabstieg, um ihn, den unten in einer kurzen Samthose mit einer Gitarre Wartenden zu küßen cder ihm sonst Angenehmes anzutun; sicherlich seltsame Vorstellungen für einen Generaldirektor. Zwischendurch aber, das sei gesagt zu seiner Ehre, dachte er immer wieder an die Bilanz und an einen Posten, der schwer unterzubringen war, jedoch untergebracht werden mußte; ein Marter- posten. So fuhren sie dahin, und der Kompressor saugte, und die honigfarbene Sekretärin sah aus, als würde sie an gar nichts denken. Es kamen vorerst keine Kurven mehr, und der Generaldirektor blickte wie seherisch in die angleitenden Wolken, hauptsächlich dachte er an den schwierigen Posten. Gerade als Ciborius eine Idee hatte, den frag- lichen Posten doch noch geschickt einzuschieben, legte sich Glorias Hand — Gloria war der Vor- name der Sekretärin — auf den lässig steuernden Arm des Generaldirektors, und der schöne Mund unter den fein bebenden Nüstern bat anzuhalten, unbedingt anzuhalten. „Gern, ihnen zu Gefallen gern“, sagte der Gene- raldirektor etwas erstaunt, und sie hielten an und Glorla lauschte, und sie lauschte nicht vergeblich. „Hören Sie?“ fragte Gloria. „Der Kuckuck ruft!” Und tatsächlich, in dieser einsamen Landschaft tief der Kuckuck, in immer gleichen Zwischen- räumen rief er, und In dem Generaldirektor be- gannen Saiten zu klingen, die eigentlich schon längst von dem Rost schwierig unterzubringender Posten hätten zerfressen sein müssen, „Hören Sie doch!” sagte Gloria und schmiegte sich eng an Ciborlus, „das ist die Welt, die wir schon fast vergessen haben, die bessere Weltl” „Ja', sagte Ciborius, und er wagte sich kaum zu bewegen, um den Kuckuck in seinem Rufen nicht zu stören oder um auf Glorias Atem zu lauschen, Unablässig rief der Kuckuck, unablässig. Der Generaldirektor, diese Seele von Generaldirek- tor, vergaß den Posten, und Gloria vergaß die Distanz, und der ferne Kuckuck, der von alledem nichts wußte, war ein Zauberer — er brachte die Gesichter der beiden nah, ganz nah zusammen, und der Generaldirektor küßte den Mund ohne Riß und Falte so ganz in Gedanken, ganz ohne Gedanken. Alles schlief ringsum, der Kompressor schlief, die Bäume mit ihren Blättern schliefen, die Blumen am Wege schliefen, der schwer zu buchende Posten war eingeschlafen, die Distanz auch, nur der Kuckuck schlief nicht, auch die Lippen des Generaldirektors und der Honigfarbenen schliefen nicht, aber sie waren doch wie in einem Traum, wie In einem unendlich langen, betäubenden Traum. „Wie oft ruft dieser Kuckuck wohl noch?” fragte der Generaldirektor und sah auf die Uhr im Arma- turenbrett. „Ach, vielleicht ewig, Immer", seufzte Gloria, und als sie das gesagt hatte, da rief der Kuckuck nicht mehr, da war alles ganz still rings- um. Der Generaldirektor wollte die Situation schnell umbiegen, nicht wegen des Postens, an den er allerdings auch wieder denken mußte, sondern well er überhaupt ein Mann war, der Situationen erkannte, und er sagte „das Lied ist ausl” „Es war kein Lied, es war nur ein kleines Zwi- schenspiel”, sagte Gloria, die auch von dieser Welt war, eine verkappte Dame, und der Gene- raldirektor trat auf den Anlasser. Ja er trat auf den Anlasser, und Gloria sah ihn dabei an, wie man einen einmal zu tief Gelleb- ten und dann Gehaßten ansieht — aber im glei- chen Augenblick nahm Ciborius den Fuß wieder vom Anlasser, und er sah in die Weite, ganz ver- loren in die Weite. Gloria schmiegte sich wieder leicht an, ihre schönen grünen und verdächtigen Katzenaugen leuchteten. „Sie denken jetzt an irgend etwas“, sagte Gloria, „an irgend etwas denken Sie, denn der Kuckuck hat gerufen — vielleicht hat er uns beiden etwas zugerufen!” „Ja, mir fällt etwas ein”, nickte Ciborius, „notieren Sie es bitte — wir müssen morgen Schelloh und Macken pfänden lassen!” LIEBER SIMPLICISSIMUS | (0. Nücket) Hammer schuldet Bungel seit langer Zeit hundert Mark. Bungel steht vor Hammers Haustür, da kommt Hammer. Bungel stürzt auf ihn zu: „Welch ein Zu- fall...” „Reden S‘ doch net!’ murrt Hammer, „Wo $' doch schon seit acht Tagen bei mir vor der Haustür stehn! Glaub’n S’, unsere Fenster san mit Bretter vernagelt?" Beye * Rudi besucht Bobby vormittags und ırifft ihn noch im Bett an. Meint er vorwurfsvoll: „Aber Bobby, um zehn Uhr vormittags bist du noch nicht ausgeschlafen! Wie ist denn das möglich?” Entgegnet Bobby: „Weißt du, ich glaube, ich schlafe zu langsam!” F.H. Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditg Vorantwortl. Schriftleiter: Walter Foltzick, München. — Der Simp! Einzelnummer 30 Pf.; anstalten entgegen. — Bezugsprelse Ischaft, München, Sendling ‚simus erscheint wöchentlic ‚Abonnement im Monat RM. 1.20. — Unverlangte ‚stellung (Fornruf 129). Briefanschritt: München 2 BZ, Brieflach. 'n nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- ‚endungen werden nur zurückgesandi, wenn Porto beillegt. Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München Nord und Süd 2 TerThomm) A 1 „Was tuast denn du, Schorschl?‘*‘ — „I mach jetzt an Dolmetscher für Umquartierte. Woaßt, I war früher amal bei dene drob’n, da hab I dene ihr g’spaßige Sprach’ g’lernt!" Nord e sud: “Cosa fal dunque, Glorgetto?,, — "Adesso faccio da interprete agli sfollatl. - Sal, prima sono stato da quella gente lassö e ho Imparato Il loro buffo linguagglo!,, 508 München, 29.Seplember 1943 48, Jahrgang / Nummer 39 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Sy PROMETHBUS Orr Gvignaussen Hey „Dazu habe ich wuhrlich nicht das Fever vom Himmel geholt!" 3 . Prometeo: "In veritä io non ho strappato a tale scopo il fuoco dal cielo!,, 0. Hagenbarth) „Nee, nee, melne verehrten Herrschaften, für dreißig Fennige Eintritt spielen wir Ihnen nich Beethovens Neunte Symphonie!" "Eh no, egregl signorl, per trenta qualtrini d’ingresso non VI suoniamo la nona sinfonia di Beethoven!, DIE SCHÖNE AUSSICHT VON WALTER FOITZICK Mein Arbeitstisch stand einmal ein ganzes Jahr an einem Fenster, das ging auf einen schmalen Hof hinaus. Drüben war eine dunkle, graubraune Ziegelwand, und in der Wand waren Fenstei Hinter den Fenstern lebten Leute, auch ein Junges Mädchen. Wie das junge Mädchen lebte, weiß Ich nicht, Ich hatte nur an Ihrem Frisleren tell und an ihrem Blumengleßen. Beldes betrieb sie gewissen- haft und ordentlich. Wenn blauer Himmel war, brauchten wir nur dicht ans Fenster zu treten, um oben die Sonne zu sehen. Wenn aber schlechtes Wetter war, brauchten wir das nicht einmal, denn Schnee und Regen bemühten sich in unseren Hof herunter. Ich behaupte, daß dies eine schöne Aussicht war, denn Ich denke gern an den Schnee, an das Mäd- chen, den Regen und die Blumentöpfe zurück. Aber kein Mensch würde eine welte Reise oder Wanderung an das Fenster unternehmen, um die schöne Aussicht zu genießen und im Baedeker hatte sie auch nicht den kleinsten Stern. ‚Aussichten mit Sternen sehen anders aus, Je mehr Sterne, desto umfassender die Aussicht. Die Quan- tität macht's. Je mehr man sieht, desto schöner ist's, so denken die meisten. Berggipfel haben den Rekord. Ich habe einmal auf dem Herzogstand ein nord- deutsches Ehepaar sehr glücklich gemacht. Ich schenkte ihm die Namen aller Gipfel von den Ost- alpen bis ins Berner Oberland. Es sah unter mei- ner Anleitung den Großglockner, die Dolomiten, die Jungfrau, das Matterhorn und die Namen aller Berge, die mir aus der Schulzeit erinnerlich waren. Reich beschenkt stieg es zu Tal. Eine so schöne Aussicht hatte es noch niemals gehabt. Die Berge minderer Berühmtheit werden es mir sicher ver- ziehen haben, daß ich sie als Prominente vor- stellte; vielleicht sind auch Berge eltel. Es ist Ihnen sicher schon aufgefallen, daß Leute TRAGÖDIE Im Hübnerhofe nebenan befindet fich ein Zivergenhahn, bei dem des Morgens früh um achte der Drang, zu lieben, aufermwachte. Bloß fehlten, als die Triebe kamen, die Ihm gemäßen kleinen Damen. Er war bezüglich der Statur, ach, ganz allein auf weiter Flur. Und mas an Hennen fonft vorhanden, fehlen fachlich zwar fchon einverftanden, doch feine zierliche Geftalt gebot dem Wunfch entfchieden Halt. 510 Das Schnapsalphabet Von C. E, Helk Kam da einmal nach einer Besichtigung der Divi- sionskommandeur in das Offizierskasino eines Regiments einer kleinen Garnison und fand da auf einer Anrichte schön ausgerichtet 25 Flaschen der verschiedensten Schnäpse, jede groß mit einem andern Buchstaben desAlphabets bezeichnet. „Nanu”, fragte der Kommandeur einen der Haupt- leute, „was bedeuten denn all die Flaschen mit den großen Buchstaben dort?” „Ach, Exzellenz”, sagte der Angeredete, „damit haben wir uns so ein kleines Gesellschaftsspiel eingerichtet. So als Zeitvertreib an den langen Winterabenden.” 5 „Gesellschaftssplel? Und wie geht das vor sich?” wollte Exzellenz wissen. „Einer geht hinaus, und es wird aus den verschie- denen Flaschen ein Schnaps zusammengemischt. Dann wird er hereingerufen, bekommt Ihn vorge- setzt und muß nun raten, welches Wort sich aus der Mischung ergibt.” „Das möchte ich doch mal sehen“, sagt Exzellenz, und der Fähnrich wird hinausgeschickt. „Also sehen Exzellenz, ich fülle nun ein Glas zu einem Viertel aus Flasche A, zu zwei weiteren Vierteln aus Flasche N und das letzte Viertel wie- der aus Flasche A.” Er tat es, rief den Fähnrich wieder herein und setzte Ihm das Glas vor. Der Fähnrich kostete kurz und sagte dann prompt: „Anna”. „Großartig, großartig!” sagte Exzellenz. „Ach, das ist noch gar nichts, Exzellenzi" er- widerte der Hauptmann. „Wir haben mal einen Oberleutnant gehabt, der hat das Wort ‚Nebukad- nezar’ geraten.” gern von Bergeshöh mit Operngucker und Fern- rohr hinuntersehen und sich sehr freuen, wenn sie unten alles genau erkennen können: „Siehst du dort, neben dem Wald, gerade über der Tele- graphenstange, das Ist unser Haus. Ach, und Jetzt schüttelt Frau Limmermutter die Betten zum Fen- ster heraus. Nein, so deutlich! Wirklich, eine herr- liche Aussicht” Man steigt weit weg auf die Berge und dann freut man sich, wenn man das Zurückgelassene wieder ganz nahe sehen kann. Dafür gibt es sicher eine sehr schwierige psychologische Erklärung. Viel- leicht ist es Wille zur Macht, vielleicht auch eine sehr geschickte Propaganda der optischen Industrie. Darob ergriff ihn heißer Zurn. Er krähte: »Wo Ift ein Kothurn?i« Vergeblich war indes fein Greinen. Der liebe Gott verlich ihm keinen, fo daß er fchließlich, matt und lahm, verärgert davon Abftand nahm. - Warum wird, frag’ ich mich beklommen, kein Gnadenakt hier vorgenommen? Ein Hühnchen für den armen Gochel, das paßte, oder auch ein Sockel, mit dem er feinen Zivech erreicht? Der Allmacht fiele das doch leicht! Ratatöchr Sitzung im VdV. (Verein der Verräter) . nony) „... und schlage ich vor, Marschall Badoglio zu unserem Ehrenwortbruchmitglied zu ernennen!" Seduta nella L.d.F. (Lega dei Fedifraghi): “... ed lo propongo di nominare il Maresciallo Badoglio a membro dei ‘Fedifraghi,!,, 511 WARUM AUCH NICHT VON PETER SCHER Wer möchte wohl leugnen, daß Jünglinge und Knaben Die Greise, dadurch allmählich immer tüchtiger geworden, bisweilen überraschende Einfälle haben. . strebten gar bald nach hohen Belobigungen und Orden, So empfand ganz plötzlich ein Vierzehnjähriger den Drang welche sic selbstverständlich nach Verdienst auch erhielten, und brachte als Neuestes „Die Ertüchtigung des Alters“ in Gang. indem die Knaben mit ihnen wie mit Gleichberechtigten spielten. Den Knaben erbarmte das Minus der Greise Bald sah man denn allerorten weißwallende Bärte und er widmete sich ihnen liebenswürdigerweise, fröhlich sich tummeln und es schwand die jugendliche Härte indem er sie hopsen ließ wie auch durch Reifen springen; des Knaben als eigentlichen Lebensgestalters des weitern durften sie Märsche üben und kernige Lieder singen. gegen den Geist der Erfahrung mit der vollendeten Ertüchtigung des Alters. Nach der Befreiung des Duce (Erich Senilling) „Dio mio, wo ist der Freund, der mich hier herausholt?" Dopo la liberazione del Duce: ""Dio mio, dov’ & I" amico che trarrä ‚me fuori di qua}, 512 DER SONNTAG UNTERM APFELBAUM Das Haus, In dem der Herr Schulvorstand wohnt, ist sehr alt. Schon seit hundert Jahren dient es dem jeweiligen Schulvorsteher als Wohnung. Es liegt, wenn man in das Städtchen am Sund kommt, gleich neben dem Friedhof, und der Mittelpunkt des Gartens ist eln großer, breitästiger Apfel- baum. Im Garten sitzt die Frau Schulvorstand und näht, der Kaffeetisch unterm Apfelbaum ist ge- deckt, und im Schatten des Baumes sitzt der Herr Schulvorstand und genießt den Sonntagnachmit- tag mit Pfeife, Sonntagsblättchen und Streusel- kuchen. Die Frau Schulvorstand hebt ihre Augen vom Näh- zeug und schaut hinüber zu ihrem Mann. Schlap- pes Mannsbild, denkt sie. Und was er sich für einen Bauch zulegt, „Kommen sie heute?” fragt sie. Der Schulvorstand schaut nicht aus seinem Blätt- chen auf. „Ja“, sagt er im Lesen. „Alle mitein- ander?" Die Frau Schulvorstand verzieht gering- schätzig den Mund. „Alle”, erwidert er. „Der Herr Magistratssekretär und seine Frau, Notar Christoffersen und seine Frau, noch ein paar und dann bestimmt Fräulein Svendsen....” Die Frau schnauft hörbar durch die Nase. „Daß doch die überall dabei sein muß, die falsche Katzel” In die Stimme des Schulvorstandes kommt ein leichtes Zittern. „Marie”, sagt er, „Ich muß dich doch ernstlich ersuchen, solche Aus- drücke nicht von den Honoratioren der Stadt zu gebrauchen, zumal, wenn sie dem Ausschuß der Kirchengemeinde angehören. Du weißt, sie wollen den neuen Brunnen der Schule ansehen.” „Gottbewahre”, antwortet die Frau Schulvorstand, „ich bin ja darin trainiert, meine Gefühle zu ver- bergen. Bloß, wenn diese ekelhafte Schlange über meine Schwelle tritt, Iäuft mir die Galle über, Kaum ist sie im Zimmer, laßt sie die Augen herumgehen, und dänn flüstert sie mit der Magi- stratssekretärin, der hämischen Hexel” Die Frau Schulvorstand warf einen neuen Blick zu ihrem Mann hin. Er lehnte schief In seinem Arm- stuhl unterm Apfelbaum und war eingeknickt. Jesper!” Er fuhr auf und verlor dabei seine Pfeife. „Ja, meine Liebe?” „Jesper, ich habe dieses Leben hier satt. Dick- satt,“ Sie hatte das Nähzeug beiseite gelegt und redete sich In eine starke Erregung hinein. „Wir sind nun zwölf Jahre hier. Jeden Tag ists das gleiche, Jeden Tag sieht man dieselben Gesich- ter, hört dasselbe dumme scheinheilige Geschwätz Die Luft Ist voll davon. Sie bringen mich noch um mit ihren zuckersüßen Worten, hinter denen sich Spitzigkeiten verstecken. Mir hängt alles zum Hals heraus.” Der Schulvorstand hörte sich den Ausbruch seiner Frau ruhig an, Er war daran gewöhnt. Friedlich rollte er die Daumen umeinander. „Ich will mich scheiden lassen!” schrie die Frau. „Du weißt, liebe Marie”, sagte er, „so etwas tut man nicht als Schulvorstands-Eheleute, und noch dazu hler Im Städtchen. Was würden denn die Eltern meiner Schulkinder sagen? Meine Stellung wäre futsch. Nun war die Frau am Rande eines Rasereianfal- les. Sie atmete mit Beschwer. „Nie hätte ich dich heiraten sollen! Niel Wie oft habe ich das schon bereut! Hätte ich doch Eigil genommen. Eigil — ha, das wa: ein Mann! Die Lust aufs Leben und auf Gefahren leuchtete Ihm aus den Augen. Wenn er von seinen Reisen und Abenteuern erzählte, fühlte ich, ja, das war das richtige Erleben, und nun bin ich hier In diesen Froschteich geraten. Ich komme mir oft vor, wie mit grünen Wasserlinsen behängt. Ja. du würdest nicht lachen, wenn du Eigil gekannt hättest...” ‚Quatsch”, sagte der Schulvorstand, „Du“, fuhr die Frau mit geballten Fäusten auf Ihn zu „hast am wenigsten Recht, so zu mir zu reden! Ein..., ein ... Mann, der keiner ist\..“ VON URIAS „Nun schweigst du aber, Marlel“ Im selben Moment kam das Mädchen und mel- dete die Gäste, Und in einem Atemzug wechselte die Szene, Der Schulvorstand erhob sich und lächelte voller Liebenswürdigkeit; seine Frau er- griff hastig wieder das Nähzeug und beugte sich in häuslichem Fleiß darüber... „Von Herzen will- kommen, liebste Freunde!“ rief der Schulvorstand und breitete die Arme aus. „Marie, liebstes Weib- chen, willst du gleich Kaffee einschenken und den Streuselkuchen reichen? Den müssen Sie ver- kosten, liebstes Fräulein Svendsen, Niemand backt ihn so köstlich, wie mein Hausschatzl” Fräulein Svendsen, von oben bis unten platt wie ein Bügelbrett, verzog ihr Gesicht zu einem säuer- lichen Lächeln. „Ich bin davon überzeugt”, sagte sie, „nur schade, daß sie keine andere Frisur trägt. Eine wirkliche Dame läßt ihr Haar nicht locken Sie trägt glatten Scheitel,” u Während sie sich von der Frau Schulvorstand ein großes Stück Streuselkuchen auf den Teller legen ließ, sagte Notar Christoffersen zum Schulvor- stand: „Lieber Freund, wir haben heute Besuch aus Kopenhagen. Wir haben uns erlaubt, ihn mit- zubringen, Einen Kapitän Larsen und seine Frau...” Zwei Menschen, eine‘ Dame und ein beleibter Herr, traten In den Garten, Die Frau Schulvorstand durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. Einen Augenblick lang hielt sie sich an der Tischkante fest. „Ist Ihnen schlecht?” fragte Fräulein Svend- sen lauernd. Die Frau Schulvorstand war weiß bis in die Lippen, und ihre Stimme gehorchte Ihr kaum, als sie sagte: „Danke... es wird gleich vorübergehen,.., Ich habe nur etwas im Haus zu tun...” Sie blieb lange aus. Im Garten aß und trank man inzwischen, Als sie wiederkam, schlug sie den Blick nicht auf, Endlich aber war die Kaffeestunde vorbei, die Gesellschaft erhob sich, um den neuen Schulbrunnen zu besichtigen. Bloß Kapitän Larsen blieb noch zurück und reichte der Frau Schulvor- stand die Hand, „Laß dich nun richtig begrüßen, Marie.” „Eigil”, flüserte sie. „Warum bist du gekommen?" — „Mit meinem guten Willen nicht, Aber meine ‚Frau und Frau Christoffersen sind Freundinnen, und wir sind zu Besuch hier.” Die Frau Schulvor- stand betrachtete Ihn. Er war stark geworden. Und außerdem sah er recht verdrossen aus. Aber er war es trotz allem — er war Eigil, „Hör Eigill” flüsterte sie und gab allen Widerstand auf, „wenn du bloß wüßtest, wie ich mich nach dir gesehnt habe. Ich welke hin in diesem Nest, ich... ach Eigil. ." „Grundgütiger Himmel“, unterbrach er sie und sah sich höchst peinlich berührt um, ob doch niemand in der Nähe sel, „hast du dir die romantischen Flausen Immer noch nicht aus dem Sinn geschla- gen?" — „Ich kann einfach dieses Leben nicht länger er- tragen!“ drängte sie weiter. „Ich bin krank von In ein Weinglas geritzt Der Wein ist weiss wie Schnee! Der Wein ist rot wie Blut! Trinkt! Trinkt! Und seid nicht bange: Auf eines Kindes Wange Könnt ihr die beiden Farben seh’n Im Frieden nebeneinander stehn! Georg Britting 513 dem geistigen Stumpfsinn hier und all der Schein- heiligkeit im Städtchen... Eigil, kannst du mir nicht helfen?” „Es tut mir leid, das zu hören”, sagte er und schaute noch verdrossener drein. „Aber jeder von uns trägt ja sein Kreuz. Deines sieht halt so aus. Und sei jetzt still. Da kommt meine Frau.” Die kleine blonde Dame trat aus dem Haus In den Garten. „Dart ich Ihnen noch eine Tasse Kaffee einschenken?” fragte die Frau Schulvorstand noch völlig verwirrt. „Ach danke, ja", erwiderte die Kapitänin und nahm am Tisch unterm Apfelbaum Platz, Eigil benützte die günstige Gelegenheit, zu verschwinden. „Sie sind sicher glücklich”, sagte die Frau Schul- vorstand, als sie ihrem Besuch den Streuselkuchen reichte. Die kleine blonde Dame biß herzhaft hin- ein. „Na wissen Sie — wenn Sie schon selber fra- gen, dann will ich auch ehrlich antworten von Frau zu Frau”, meinte sie zwischen zwei Bissen. „Gewiß, mein Mann und ich, wir kommen zusam- men aus, Aber das Ist auch alles, Er ist ein recht schwieriger Mann, und mit den Jahren Ist er immer träger geworden. Er fährt ja nicht einmal mehr zu See, sondern sitzt die ganze Zeit zu Hause, Zum Glück habe ich ein heiteres Temperament, das. mich alles leichter ertragen läßt. Sonst wäre es unmöglich mit Eigll. Er ist ein Gewohnheitsmensch aällergrößter Sorte, von Geistigkeit keine Spur...” „Aber das ist doch nicht möglich....“, sagte die Frau Schulvorstand ungläubig, „Doch, doch“, er- widerte Frau Kapitän Larsen, „Er kennt nur seine Bequemlichkeit. Und das ist hart für eine Frau, die sich noch Jugendlichkeit bewahrt hat.“ Sie nahm ein zweites Stück Streuselkuchen und schlug nun im Ton um. Begeisterung klang aus ihrer Stimme. „Doch Sie, Frau Schulvorstandi Sie müs- sen doch glücklich sein! Mit so einem Mann, wie dem Ihrigen! So gut aussehend, klug und beweg- lich, Diese edle hohe Stirn, dieser Intelligente Blick hinter den Brillengläsern! Ja, Frau Schul- vorstand, Geist, das ist doch die Hauptsache, und, wie gesagı, den läßt nun mein Eigll völlig ver- missen. Wirklich, Frau Schulvorstand, Ich benelde Siel” „Mein Mann ist leider recht ... verschlossen...” warf die Frau Schulvorstand ein. „Ah, das kann ich aber nicht glauben. Verschlossen, sagen Sie? Ach nein, das ist ein ehrlicher und offener Mensch, Ja, man kann geradezu ihm die Romantik aus den Augen leuchten sehen. Du lieber Himmel, wenn Ich dagegen an Eigil denkel” Nun näherten sich die anderen Gäste. Man brach auf, es gab ein allgemeines Händeschütteln und Abschlednehmen. Der Herr Schulvorstand und seine Gattin begleiteten alle noch bis zum Gar- tenausgang. Dann kehrten beide zum Kaffeetisch zurück. Der Schulvorstand setzte sich wieder unter den Apfelbaum und zündete seine Pfeife an, die Frau nahm abermals ihre Näharbelt zur Hand. „Das ist also überstanden”, meinte er und zog an seiner Pfeife. „Nun können wir wieder da be- ginnen, wo wir aufgehört haben.” „Jesper, sagte die Frau Schulvorstand und schaute zu ihm hinüber, „Bist du mir sehr böse?” „Böse?“ nahm er das Wort auf, „Nicht böse, Marie, aber ärgerlich. Warum denn so viel jugendliche Torhelt, wenn man doch schon über vierzig ist. Ich meine, da könntest du wirklich vernünftiger sein.“ ‚Ja, Jesper“, sagte sie leise und nachgiebig. „Ich will es versuchen.” Er antwortete nicht. Sie blickte zu ihm hin und sah, wie er gerade wieder einnickte. Wie vorhin rutschte er immer schiefer in seinem Stuhl, nun öffnete er den Mund und begann zu schnarchen Ringsum war es ganz stlil. Durch die Zweige des Apfelbaumes schien die untergehende Sonne. (Aus dem Dänischen übertragen von $. R.) BESUCH NACH MITTERNACHT In der Nacht, In der ich dieses eigenartige und erregende Erlebnis hatte, kam ich erst spät zu Bett; die Zeit bis gegen Mitternacht verbrachte ich mit einem mir nahestehenden Menschen In der Stadt. Der Abschled von diesem Menschen machte mich melancholisch, und ich trank danach in meiner Wohnung in ziemlicher Hast noch eine Flasche Tokaler. Ich schätze, daß es ungefähr eine Stunde nach Mitternacht war, als ich einschlief. Durch ein um diese Zelt in meiner stillen Wohnung ungewöhn- liches Geräusch wachte ich aus elnem unruhlgen Schlaf auf. Von dem Turm der Lambertskirche schlug es gerade zweimal. Vielleicht war es auch gar kein Geräusch, durch das ich aufwachte. Jedenfalls hatte ich es nicht mit ganz klaren Sin- nen wahrgenommen, denn als ich aus dem Schlaf auffuhr, wurde Ich durch etwas anderes erst hell- wach: durch einen feinen Luftzug, der gleichzeitig ein weiches und angenehmes Parfüm durch den Die Fischhändlerin - La pescivendola VON KURT GROOS Raum wehte — die Tür mußte gerade bei meinem Erwachen geöflnet worden sein; nur die geöffnete Tür konnte den Durchzug zu den unverschlossenen Fenstern meines Schlafzimmers bewirken. Mit plötzlich überwachen Sinnen hörte ich, daß jemand in meinen Raum schlich, leise wie eine Katze; aber ich hörte die Katze atmen. In den ersten Augenblicken erkannte Ich nichts, obgleich der Viertelmond blaß hinter den wehenden Vor- hängen stand, dann aber sah ich die Umrisse einer Frau, die vorsichtig, ganz vorsichtig, zur Zimmer- mitte schritt, dort mit verhaltenem Atem stehen blieb und einige Zeit angestrengt zu mir herüber- schaute. Ich rührte mich nicht, ich stellte mich schlafend, aber mein Herz schlüg bis zum Hals, eine ungeheure Spannung erfüllte mich. Im fahlen Licht der Mondnacht konnte ich das Gesicht der Frau nur undeutlich erkennen, aber es mußte eine ausnehmend hübsche und junge Frau sein, soviel sah ich doch, vor allem fühlte ich es. In seinen (Gustav Gaggell) verhaltenen Bewegungen war der geschmeidige Körper von einem seltsamen Reiz. Wenn Ich sage, daß ich dieses alles eigentlich viel mehr fühlte als sah, so habe ich diese gleiche Wahrnehmung schon früher hin und wieder in Zuständen ge- bannter Erregung gemacht — das Gefühl steigert sich dann schließlich zu einer ungeheuerlich siche- ren Sensibilität, die Dinge sichtbar macht, die Im nüchternen Alltag ungesehen bleiben. Ich erfuhr in dieser Nacht, in der eine schöne Frau leise wie eine Katze in mein Zimmer gekommen war, In der der Wind eine Welle eines weichen und zärt- lichen Parfüms über mich hinwehte, so mancherlei neu und beglückend, das mir sonst verborgen ge- blieben wäre. Alles andere vergaß ich nun; unbeweglich hing ich mit meinen Augen, mit meinem ganzen Ge- fühl, an dieser Frau, die nun langsam, ganz sicher, so als hätte sie sich schon unendlich olt In die- sem Raum bewegt, auf den Tollettentisch zuging, ihre Hand zum Lichtschalter erhob, sich dann aber besann und sich Im Dunkeln entkleidete Ja, sie entkleidete sich. Ich habe vorher nie gewußt, daß eine Frau sich so bildhaft schön entkleiden kann, mit solcher Grazie wie diese, die da wie ein Traum, wie ein Geheimnis zu mir gekommen war. Vielleicht kann ein Mensch nur alles harmonisch . und schön vollbringen, wenn er es ganz unbe- obachtet vollbringt, in einer Natürlichkeit, die alle Kunstwerke In den Schatten stellt. Und trotzdem ist auch das wiederum nicht ganz richtig, was Ich da von der Natürlichkeit sage, denn eine Frau entkleidet sich eigentlich auch unbeobachtet Immer wie In einem Spiel — aber wie soll Ich das alles denn nur zum Ausdruck bringen; es erfüllten mich Ja keine klaren, sondern nur wogende Gedanken In dieser Verzauberung, die dennoch kein Traum war. Vielleicht hätte ich die Flasche Tokaler besser nicht getrunken. Wie entzückend selbstverständ- lich meine Besucherin sich Jetzt vor dem Tolleiten- tisch bewegte; wirklich, es machte den Anschein, als wisse sie in diesem Raum genauer Bescheid als ich. Mit einer mein Gebanntsein immer mehr entwafinenden Sicherheit gab sie sich; vorsichtig holte sie eine Zahnbürste und die Paste aus dem Wandschrank über dem Toilettentisch und begann sich mit unbegreiflicher Selbstverständlichkeit die Zähne zu putzen. Dann griff sie mit der glei- chen Selbstverständlichkeit, und doch auch ver- halten und geheim, die Nachtcreme aus einem Fach und cremte das Gesicht und die schönen Schultern ein; mein Erstaunen überstieg meine innere Spannung. Dann beugte sie sich nieder, klippte vorsichtig das Schloß eines Koflers auf, den sie mitgebracht und den Ich vorher nicht bemerkt hatte, und holte einen Schlafanzug her- aus. Im Niederbeugen spannten sich ihre Knle- kehlen, sie leuchteten schneeig, es sah aus, als ob sie phosphoreszierten in der Dunkelheit — aber das habe Ich mir vielleicht auch nur ein- gebildet. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der diese Frau alles tat, zog sie auch den Schlafanzug an — und kaum hatte sie Ihn ange- zogen, da geschah etwas mir in dieser ganzen Situation so Unbegreifliches, daß mir der Atem plötzlich ganz verschlug, daß mein Herz, meine pochenden Pulse stockten: Die schöne Besucherin sprang wie ein Junger Panther In mein Belt. Sie preßte meinen Kopi an ihren warmen Mund, und sie fragte „Schläfst du, Liebster?” In diesem Augenblick fiel alles Lähmende von mir, eine Welle freudiger Erregung erfüllte mich, denn der junge Panther war meine Frau; sie kam von der Bahn zurück — sie ‚hatte den Nachtzug nach Wien ver- paßt. Entwicklung (R. Kriosch) „Was meinst du, Else, Strümpfe malt man sich bereits aufs Bein — sollte ich es einmal mit einer Bluse versuchen?" Sviluppo: “Che pensi, Elsa, ormai si dipingono calze sulle gambe ... e non dovrei io !entare di dipingermi una blusa?,, 515 HERRN PAPINIS Auf dem See war nur mehr ein rosagraues Zittern geblieben von dem schwülen Sonnenuntergang, nun hatte auch ein leiser Wind begonnen, die Mole und den Platz am Hafen zu überhauchen, so daß sich die Menschen herauswagten aus den vor dem heißen Sommertag schützenden Häusern; und so begann das Promenieren auf der Mole, Die Sommergäste trafen sich da und die besseren Leute des Dorfes gingen auf und ab, machten ein wenig anspruchslose Unterhaltung und schauten den heimkehrenden Booten der Tagfischer zu, den ausrudernden der Nachtfischer, den schwan- kenden der Knaben, die von den Planken ins Wasser sprangen und von dort wieder zurück- kletterten, noch manches andere Spiel treibend, um den Schauenden zu imponieren. Die einfacheren Leute lehnten aus den Fenstern ihrer Häuser und ließen sich dort den leichten Wind um die sommerfeuchten Nasen wehen; einige Männer saßen bei noch frühem Wein vor der Osterla an den blauen Tischen und stierten mit dunsttrüben Augen in die funkelnden Gläser, In denen noch ein letzter Rest Sonne schwebte. So war auch die Unterhaltung der Promenleren- den .hitzemüde, und nur wenige anspruchslose Worte gingen hin und her. Selbst die Worte des Herrn Papini an die neben Ihm schreitende junge Dame, die kein Geheimnis daraus machten, daß sie den Versuch zu einer Werbung bedeuten wollten, entbehrten doch jeg- licher Frische, die In solchen Worten von Liebe sein sollen; sie wockten in der Jungen Dame nicht das geringste schüchterne Keimen, ja, sie lang- weilton sio direkt; und die junge Dame machte keinen Hehl daraus, Da geschah unerwartet, daß den beiden eine Dame begegnete, eine Freundin von Herrn Papi- nis Beglelterin. „Lucial‘ „Eugenial” Sie umarmten sich, küßten sich auf beide Wan- gen, anscheinend hatten sie sich lange nicht ge- sehen. Die Freundin nahm keine Notiz von Herrn Papini, der schaute eine Weile der stürmischen Begrüßung zu, die kein Ende nehmen wollte und gar nicht in die sommermatte Stimmung paßte -— kam sich überflüssig und klein vor; ja, gern hätte er sich leiso fortgestohlen, aber er hoffte noch auf ein Unvorhergesehenes, vom gütigen Schick- sal gesandt, das die Freundinnen Lucla und Euge- nla trennen würde. Doch auch dieses Hoffen ging unter in dem rosagrauen Zittern des Sees, als Lucia Ihn der Freundin vorstellte, diese aber, Ihn nur kurz zur Kenntnis nehmend, an jene die Fra- gen stellte: „Wie lange haben wir uns eigentlich nicht ge- sehen? Wo war es doch — bei den Gigantis, glaub ich, ja?...“ ‚Ja, bei den Gigantis|” rief Lucia: „Dort haben wir uns zum letzten Male gesehen! Was ist aus denen übrigens geworden? Hast du wieder mal was von Ihnen gehört?” „Nein — ganz aus den Augen verloren...” Da hatte Herr Papini eine glänzende Idee. „Die Gigantis?“ wart er fragend dazwischen: „Die Gigantis meinen Sie?” „Ja?l” riefen einstimmig ‘die Freundinnen — so interessiert laut, daß einige der Promenierenden sich umsahen: „Kennen Sie die Gigantis denn auch?" Herr Papini lächelte: „Selbstverständlich! Ich stehe doch im Briefwechsel Mit. der Tochter.” Eugenia wurde noch neugleriger: „Mit welcher? Gina oder Luisa?” „Mit Luisa natürlich. Die Gina ist doch tot!” „Tot?! Was Sie nicht sagen! Tot?l...“ „Jawohl”, log Herr Papini weiter, „sie soll Liebes- kummer gehabt haben... Selbstmord..." Es war ihm gelungen was er geplant: er war plötzlich zum Mittelpunkt geworden. Man kam wieder ins VON PETER REIMANN Promenieren, zu dritt waren gefesselt... „Aber —" sagte Lucia, „sie war doch so glücklich mit ihrem Paolo.” „Nur Schein, alles nur Scheln. Den Paolo kenne ich gut. Nachdem er sich der Wechselfälschung schuldig gemacht...” „Der Wechselfälschung?!” Das Rosa In der Farbe des Sees verwischte sich allmählich, es ging in ein weißliches Glitzern über, das eigenartige Streifen über die Wasserfläche zeichnete; die tollenden Knaben gaben ihr Spiel auf, da die Stunde der „minestra” nahte. „Jawohl, der Wechselfälschung! Sie wußten es noch nicht? Nein? nun, er kam ins Gefängnis, zwei Jahre erhielt er...” „Mein Gott, mein Gott! Die arme alte Mutter!” „Die arme alte Mutter, sagen Sie?“ sprach Herr Papini: „Diese Person! Die hatte es auch in sichl Einen um 25 Jahre Jüngeren Mann fing sie. Er hat sie wirklich gehelratetl” „Was? Die vierundachtzigjährige Frau?... Und — deren Mann lebte doch noch?...” „Nein, nein; der Ist vor einigen Jahren im Irren- haus gestorben.” „Im Irrenhaus?l’ „Jawohl. Säuferwahn.” „Er trank? Aber er war doch mit seinen drei Töchtern und zwei Söhnen dem Antialkoholverein beigetreten?!” „Natürlich, Ich welß es. Aber die Töchter lande- jetzt: die zwei Frauen IBJEIE ten auch auf der schiefen Ebene. Die Jüngste...” w.. die niedliche blonde Giovanna?” or. ja, die Giovanna, dieses entzückende Ga- schöpf, dieses lebende Pastell: sie mußte in eine: Entwöhnungsanstalt untergebracht werden...” Der leise Wind hatte an Schwüle verloren, er waı lau geworden und kräuselte die jetzt dunkel- graue Fläche des Sees; der Abend war dämmerig an Stelle des untergehenden Tages getreten; da tat Eugenia eine unvorsichtige Frage: „Und — was ist eigentlich aus Paolos Bruder geworden?” „Der... der...” Herr Papini überlegte kurz ‚helratete vor vierzehn Tagen die Gina Gi- gantl.“ Jäh nahmen Lucias und Eugenlas Augen einen eigenartigen Ausdruck an. „Wie?l” kam es wie aus einem Munde: „Sie sag- ten doch vorhin, sie sei tot?!” Herr Papini ward verlegen. „Gina... Tot? — — 9a, ja... Habe ich das eigentlich gesagt?... Hm, dann muß es...” Weiter kam er nicht; die Frauen hatten seinen Trick durchschaut. Sie lachten nicht, Frauen ver- stehen keinen Spaß, wenn man sie zum besten hält. Sie überschütteten ihn auch nicht mit Vor- würfen. Sie wandten sich gekränkt von dannen. Herr Papini blieb allein stehen Inmitten eines Abends, der jäh eine ungemütliche Kühle hatte. Er fror. Dann lenkte er seine Schritte den blauen Tischen zu und ertränkte die Niederlage in süßem, frühen Wein. DIE VERWANDTEN VON STEFAN HOLLENTHONER Meine gute Mutter war ganz ahnungslos, als am Abend des 12. Juni plötzlich der Storch ans Fen- ster plckte und stürmisch Einlaß begehrte. Ich er- Innere mich noch (als wäre es gestern gewesen), wie ich dem Storch, während ich so zwischen sel- nen Schnabelblättern hing, das flaumige Goderl kratzte und ihn bat, er möge doch noch um ein paar Fenster weiter fliegen; dort befand sich näm- lich die Wohnung des Präsidenten der Eternit- A.G., in welche Wohnung Ich schon seinerzelt, als Ich mich noch quitschvergnügt auf Mondstrah- len hutschte, gern und oft hineingeguckt hatte... Ach, solche Mondstrahlen waren doch das herr- lichste Vergnügen, man konnte an ihnen sause- geschwind hinabrutschen — und manchmal pas- sierte es, daß ich an Handen eines solchen Mond- strahles mitten In eine schummrige Laube plump- ste, wo zwei erdgeborene Menschenkinder eng beisammen saßen und sich regelmäßig totenblaß anblickten, wenn sie mein Gejubel ahnten;. hören konnten sie mich ja nicht und sehen konnten sie mich auch nicht, denn ich war ja noch ein Sternen- kind. Ich aber faltete dann meine Flügel ausein- ander und surrte wieder in die Nacht hinaus, Und mein Ziel war jedesmal die Wohnung, wo der Herr Präsident wohnte, sich in Plüsch und Leder wälzte und seine Gattin Patlencen legte. Wenn ich mein Näschen an den Scheiben platt drückte und mit den grüngoldenen Flügeln leise vor den Fen- stern knatterte, wurde die Frau unruhig; sie legte die Karten traumverloren auf ein Päckchen zu- sammen, tat einen kurzen Blick nach ihrem Mann, der bereits im Halbschlaf an einer waschelnassen Zigarre lutschte, und starrte dann in die blaue Nacht hinaus. Ich lächelte, da lächelte sie auch Ich machte ein Schmollmäulchen, da schmollte sie auch. Und wenn ich dann ein bißchen durch die Nasenlöcher weinte, weil mich diese ekligen Fensterschelben hinderten, mit einem Satz in alle diese Herrlichkeiten zu hopsen, so kamen auch dieser seltsamen Frau die Tränen, und ihr Kummer \ 516 wurde manchmal so mächtig, daß sie in wilder Sehnsucht die Arme von.sich streckte, ein paar hilflose Schritte zu mir hin machte, um dann fassungslos zusammenzubrechen, Der Präsident wachte dann jäh aus seinem Schlummer auf, die Zigarre flog In den Aschenbecher, zerquatschte dort wle eine verweste Kröte. Der Präsident streckte sich vorerst ein wenig, trat dann an die Seite seiner schluchzenden Frau, streichelte Ihr die Haare und sagte leise: „Schick dich doch end- lich in das Unvermeidliche, Grital Geh doch schla- fen, es ist elf Uhr, und deinen Nerven tut Ruhe gut...” a Also, mit dem Präsidenten und seiner Frau war es nichts. Bulbao, der Storch, ließ sich nicht er- welchen; er habe strenge Order von höchster Stelle — von wegen der Seelenwanderung und so. Ich sel schon einmal der Sohn eines kaukasl- schen Fürsten gewesen, diesmal müßte ich os bil- liger geben. Bulbao wiederholte sein Gepicke an der Fenster- scheibe meiner künftig elterlichen Wohnung. Mein Vater kam auf den Zehenspitzen zum Fenster und öffnete es. Dabei lächelte er glücklich und un- endlich verlegen. Ich machte die Augen zu und erhob ein glanzvolles Gekrächze. Bulbao ent- ledigte sich rasch seiner Bürde, indem er mich In ein Gefäß mit warmem Wasser plumpsen ließ. Zum Abschied hieb er mir noch seinen langen roten Schnabel ins Bäuchelchen, so daß ich heute noch an dieser Stelle einen Nabel habe. Ansonsten verlief meine Erdenfahrt glänzend. Die weise Frau teilte meinem Vater mit, daß Ich männlichen Geschlechtes sei — eine Sache, die mir damals höchst gleichgültig erschien. Ich war nach achtzehnjähriger Ehe als erstes und einziges Kind dieses friedfertigen Beamtenehe- paares geboren worden. Die beiden Leute hatten seit Beginn ihres ehelichen Beisammenseins dem Grundsatz des Verdienens und Sparens In einer Weise gehuldigt, daß selbst am Hochzeitstage US (0. Herrmann) EA „Dees geht net, mei Liebe, daß du erst in der Früh um sechse heimkommst!"* „+. Wo i doch als ‚Erwachender Morgen‘ Modell steh, Muatta!“* Il motivo plausibile: “No no, cara mia; non va che tu rincasi al mattino alle seit, *,.. ma se devo, mamma, far da modello pel 'Risveglio del mattino, !,, der normale Verdienstgang nur um einige Stun- den unterbrochen wurde, um nur ja in Hinblick auf den erhofften Stammhalter mit dem nötigen Kleingeld gerüstet zu sein, Doch der Stammhalter wollte sich nicht einstellen. Dafür meldeten sich die lieben Verwandten, die infolge ihres gesun- den Familiensinnes dachten, daß in Ermangelung eines Thronfolgers eben die Seitenlinien zu fröh- licher Erbfolge berufen seien. Sie zerbrachen sich bloß die Köpfe, welchem Umstand sie es zu ver- danken hätten, daß trotz Vorhandenseins aller finanziellen Vorbedingungen meinen Eltern durch volle achtzehn Jahre das ersehnte Himmelgeschenk versagt blieb. Da sich aber beide Eheteile einer vertrauenerweckenden Gesundheit erfreuten, so vermutete die glattzüngige Tante Tini, daß meine Eltern vor lauter Verdienen und Sparen ganz dar- auf vergessen hätten, daß nebst Geld auch noch andere Bedingungen für eine Menschenerschaf- fung einzuhalten wären. Drauf steckten die lieben Verwandten die Köpfe zusammen, knallten sich vor Vergnügen auf die Schenkel und beschlossen, meinen Eltern gegenüber den Erwerbstleiß Jedes- mal über alle Maßen zu loben, damit nicht etwa in letzter Minute — das wäre doch fatal gewesen! Es war ein Hasardspiel, es war alles zu gewinnen und alles zu verlieren. Und sie verloren! Tjal Als ich sah, wie die lieben Verwandten angesichts meiner Lebendgeburt zersprangen, daß man es ordentlich bersten hörte, war ich mit meinem Los vollkommen ausgesöhnt, und Ich gab die ersten Laute gesunder Schadänfreude von mir (obwohl ich damals von Nestroy noch gar nichts wußte), um die Tante Tini, den Onkel Sepp, die Basen und Vettern zu weiterem Zerspringen hilfreich an- zuregen. Als der Onkel Sepp ganz unverschämt in meiner Gegenwart der Base Lina, die so vie| Sommer- sprossen hatte und beim Reden erbärmlich „zu- zelte“, ins Ohr raunte, daß „so ein Balg”, der dazu noch von alternden Eltern stammt, bestimmt nicht lebensfähig sei, lieferte ich »meinen ersten Bewels. Ich wälzte mich nämlich meine Windeln- breitspurig entlang und ließ mich vom Tischchen 517 ‚auf die Erde fallen; ich prellte mir ein wenig den Schädel, schlug mir das Gesäß platt, war aber ansonsten voll Freude über das gelungene Exem- pel. Der Onkel Sepp tat nämlich einen Freuden- schrei, die Base Lina zuzelte sich vor Aufregung den linken Augenzahn wacklig — beide glaubten Ja, ich sel zumindest tot, und meine gottverflixte Stammhalterei damit in Auflösung begriffen, Sie erhoben lautes Geschrei, aber als mein Vater am vermeintlichenLeichnam seines Kindes zusammen- brach — da öffnete ich die Augen in ihrer Veil- chenbläue, verschränkte die Fäustchen über der Brust und strampelte und brüllte und beschrie die vier Wände In solch schmetterndem Fortissimo voll Freude über den gelungenen Streich, daß der Onkel Sepp nichts weiter hervorzubringen ver- mochte als ein tonloses, heiteres: „Na, na, ...is scho guat, mir wissen ’s eh, daß d’ an böhmischen Schädel hast!“ Und die lieben Verwandten ver- loren den letzten Rest von Kultur und zerspran- gen restlos. Restlos! Ich aber nößte vor Behagen nächtlich die Windeln. Immer diskret (K. Halllgenstaadt) ‚„„,Am meisten liebe ich Ihre Hände‘, sagt er immer — wie taktvoll, daß er nicht ‚Beine‘ sagt!" Sempre fino: “Con squisitezza di tatto egli dice sempre: *amo sopratutto le Vostre mani,, invece che dire: 'le Vostre gambe, !,, 518 Abendlicher Zuspruch Von Hermann Sendelbach Sei getrost, es steigt der schöne Mond Auch nach dieser Trübnis aus der Nacht! Sei getrost, es blieb noch viel verschont, Dran dein Kummerherz nicht mehr gedacht! Rührt der Nachtfreund dich mit Wehmut an. Weil er so viel Längstvergangnes sah, Hochhin wandelt seine gleiche Bahn Und nicht wissen will, was dir geschah? Lasse es genug sein, daß er glänzt Und auch dir das dargereichte Haupt Minder nicht als einst Homer bekränzt, Dem selbst Lichtes Tröstung war geraubt. Er und mancher trugen mehr als du. Fühl dich allen brüderlich gesellt, Winke ihnen und dem Monde zu Und gedulde dich wie sie der Welt! PÄL AM TOR FRITZ HABERMANN Nachmittag hatte der alte Päl den Zwetschgen- schnaps zum Reifen in die Sonne gestellt, Als er das tat, dachte er nicht im geringsten an etwas anderes, und ein ordentlicher Mann soll ja auch gar nicht an.zwei Dinge zugleich denken, Aber abends kamen seine zwei Schweine nach Hause, warfen die Korbflasche um und tranken den Schnaps restlos aus. Hinterher waren sie recht vergnügt, die Schweine, aber PAl natürlich nicht, Und sogar am nächsten Tag konnte er sie noch nicht einmal auf die Weide schicken. Denn man müßte sich ja schämen mit solchen Schwelnen. So pflegt es oft zu gehen. Solange man etwas ganz sicher hat, wird es nicht geschätzt. Vielleicht hatte man auch einmal eine Geliebte, eine schöne, schöne Geliebte, ein Jahr oder. zwei Jahre — eine hübsche Zeit lang jedenfalls — und schließlich lag schon gar nichts mehr daran, weil sie ja Immer da war. Aber dann kam sie ab- handen, oh, was das für ein Jammer war. Dem alten Päl Ujzsap ging es jetzt mit seinen Schweinen auch so. Wegen der drei Liter Schnaps hatte er gar kelne rechte Freude mehr an ihnen. Also kümmerte er sich auch nicht mehr um sie; dann aber kümmerten sie sich nicht mehr um ihn, und damit war das Unglück schon fertig. Und doch hätte es schon gereicht, wenn er nur Immer abends die Hoftür aufgemacht haben würde, um sie einzulassen. Nämlich im Dorfe Bacsamosvar, wie fast In ganz Ungarn überhaupt, führen ‚die Schweine keineswegs ein sogenanntes Schweineleben In einem finsteren Kober, Nein, sie führen ein harmonisches Leben! Früh wandelt der Hirt durch das Dort und bläst und dann geht es in großer Gesellschaft, mit munterem Trab oder gemächlich, auf die Weide hinaus. Und abends kommen sie zurück. Das ist die Tageseinteilung, denn auch ein Schwein braucht eine solche. Und selbstverständlich geht jedes wieder in seinen Hof, denn Jeder Borstenträger ist ja der Ansicht, daß dieser besondere Hof ihm ganz allein gehört. ‚Aber der alte Päl hatte nun schon mehrmals die Hoftür nicht offen gelassen und da mußten seine zwei anderswo übernachten. Denn sich bei Nacht herumzutrelben, das lieben sie nicht, Gottbe- wahre, solche gibt es nicht unter den Schweinen. Ukrainer - Gli Uerani Als sie sich jedoch gleich mehrere Tage im Hof nicht mehr sehen ließen, da fiel dies Frau Ujzsap doch auf und sie zankte Päl mächtig aus. Aber obwohl der jetzt jeden Abend gleich das ganze Hoftor aufriß, es nützte nichts mehr; die Herde, mehrere Hundert im ganzen, strudelte vergnügt und eilig vorbei und kein Schwein tat, als ob es bei Ihm daheim wäre. „Wo worde ich hinkommen, wenn das so geht?” fragte sich PAl besorgt. Seln Kummer war gewiß echter als der manch eines abgesetzten Lieb- habers, denn zwei Schweine verlieren Ist noch nie eine Kleinigkeit gewesen. Halt, da blieb ja noch der Weg zum Gemeindevorsteher, vielleicht wußte der einen Rat. „Aber das Dorf ist groß, Päl, wo soll Ich deine zwei Schweine finden? Hast du denn nichts Auf- fallendes, woran du sie erkennen kannst?” wurde ‚er gefragt. Nein, etwas Auffallendes wußte Päl von seinen Schweinen nicht zu sagen, „Und wäre es denn nicht möglich, daß die Schweine dich erkennen?” „Hi, hi, du machst wohl Spaß, Vorsteher? Die Schweine sollen mich besser kennen wie ich sie? Das ist doch unmöglich, hi, hi Über dieses Geklcher erzümnte „Ja, soll ich euch wohl identifizieren? Du kommst einfach zu mir und willst zwei Schweine, weißt “nicht wie sie aussehen, ob sie noch da sind, oder ob sie nicht mehr da sind. Gar nichts weißt dul“ Päl ärgerte sich sehr darüber, so angefahren wor- den zu sein und aus Zom trank er an diesem ‚Abend soviel von dem hellen guten Zweischgen- schnaps, daß er wirklich schon auf drei Meter gegen den Wind roch. Dann stellte er sich zur rechten Zeit wieder unter das Tor und wartete kummervoll auf die Schweine, „Dieser Vorsteher, das Ist auch so einerl Kein Herz und wer weiß, wo die armen Schweine sind... Und was der für neumodische Sachen aufbringt, Schweine identifizieren... Füttern muß man sie, ja, das muß man.. Da sonderten sich zwei von der Just vorbeitollen- den Herde ab und bileben schnüffeind vor ihm stehen. Und dann gingen sie mit ruhigem Schritt und kurzweilig wedelndem Schwänzchen durch das Tor in den Hof hinein. Voll Freude schloß der alte Päl das Tor und ging ihnen nach; Ja, das waren sie! Jetzt erkannte er sie auch wieder. „Theresel” rief er. ‚Sie sind da, sie haben mich (os. Öberborger) wirklich identifiziert —" und zu den Schweinen: „Jultscha und Ertsi, Gott, wie groß und schön seid ihr geworden!" Die Schweine grunzten vergnüg! und wandten sich dem Stall zu. Päl aber dachte mit Dank an den hellen Zwetschgenschnaps, welcher so wun- derbar scharf riecht, so scharf, daß niemand der Ihn kennen gelernt hat, ihn Je vergißt. LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Scholz und Bolz gehen auf die Jagd, Plötzlich taucht ein Eber vor Ihnen auf. Scholz schießt und fehlt. Der Eber stürzt wutenibrannt auf die Jäger. Scholz und Bolz rennen um Ihr Leben, Immer näher kommt der Eber. Da schreit Bolz in höchster Verzweiflung: „Ich war es nicht, der Scholz hat zuerst geschossen!” Fr.H. * Bobby kommt verdattert zu seinem Freund Felix: „Fellx”,stottert er herum, „ich dank dir schön, daß du mir dein Fahrrad geborgt hast — da bring ich dir's wieder — aber schau, du darfst mir net bös sein — der vordere Reifen Ist halt net ganz in Ordnung —" „Bobby —” ruft Felix, den Reifen ansehend, „was hast du denn da wieder angestellt? Der Reifen Ist ja ganz zerschnitten!” „Ja, nickt Bobby, „Ja — ein bisser! zerschnitten ist er schon — weißt — Ich bin nämlich über eine Flasche g’fahren.” „Na hörst”, ärgert sich Felix, „warum hast denn net aufpaßtl" „Ich hab ja eh aufpaßt“, antwortet Bobby ge- kränkt, „Und wie vorsichtig Ich war... Aber kannst du’ das vielleicht sehn, wenn einer eine Weinflasche in der Aktentasche hat?’ H.K.B. Verlag und Druck: Knorr & Hirh Kommanditge: ;chalt, München, Sandlinger Straße #8 (Femrut 129). Briefanschrift München 2 BZ, Brielfäch, Vorantworli. Schriftleiter: Walter Foltzick, München, — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post. onstalten anigagen. — Bezugspreise: Einzelnummer 30 Pi.; Abonnement Im Monat RM. 1.20. — Unvorlangte Einsondungen werden nur zurückgesandt, wenn Porio beillegl Nacharuck varbolen. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München AUF URLAUB (Wilhelm Schulz) Wenn ein Soldat auf Urlaub kommt, Doch tut es das noch nicht allein, Von Siegeswillen übersonnt ist leicht es zu erraten, mag’s noch so gut ihm schmecken, will er die Heimat sehen, daß dann daheim ein Bier ihm frommt all Eure Sorgen, groß und klein, damit er wieder an die Front und auch ein Schweinebraten. sollt Ihr vor ihm verstecken. zurück kann freudig gehen. WILHELM SCHULZ - München, 6, Oktober 1943 W i 48. Jahrgang / Nummer 40 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Der mißglückte Spaziergang „Da heißt es immer, daß alle Wege nach Rom führen, der Weg über Badoglio scheint aber doch nicht der richtige gewesen zu sein!“ La passeggiata andata a vuoto: “Il motto dice che tutte le vie conducono a Roma; pare perö che la ‘Via Badogllo, non sia stata la glustal,, Das Jüngste Gericht - Il Giudizio Finale (Fr. Bilok) Der Selbstgebaute Von Walter Foitzick Wenn würdige Männer über Selbstgebauten spre- chen, wird es sich um Tabak handeln. Tabak wird nömlich jetzt nicht nur geraucht, sondern auch ge- baut; Ich glaube, er wird sogar mehr gebaut als geraucht. Ich werde mich hüten, eiwas gegen den selbst- gebauten Tabak zu sagen, denn dann kämen mir alle diese würdigen Männer auf den Kopf und Ich müßte womöglich ihren Tabak rauchen, um eines Besseren belehrt zu werden. Das möchte ich nun nicht gern, nicht nur, weil ich mich vor Nikotin- vergiftung fürchte. Ich bekenne demnach, es gibt nichts Besseres und Bekömmlicheres als selbstgebauten Tabak, und ich weiß von vornherein, daß alle Rezepte gut sind. Rezepte muß man nämlich haben, das ist wie beim Salat, beide müssen angemacht werden, beim Tabak sagt man fermentieren. Es gibt bekanntlich slebenhundertvierundsechzig verschiedene Arten richtig zu fermentleren, und niemand wird mich zwingen, zu behaupten, daß die Methode, die ein anderer befolgt, besser ist als die eigene, Mir ist nämlich mein Leben lieb, und was das Fermentieren anbelangt, da verstehen die Leute keinen Spaß. Also, um richtig zu fermentieren nehme man einen größeren Hutkoffer und begießa ihn... Ach, Ver- zeihung, ich wollte mich ja nicht in die Fabrika- tionsgeheimnisse mischen, man kann es selbstver- ständlich auch anders machen und zwar viel besser. Aber von einem Einzelfall werde ich doch wohl teden dürfen? > Sehen Sie, da ist mein Freund Paul. Sie würden es ihm gar nicht ansehen, daß er selbstgebauten WANDLUNGEN Als haariges Räupchen erft begann er und fraß fich durch von Blatt zu Blatt; hernach zu einer Puppe Ipann er fich ein, die nichts mehr nötig hat. Und fchließlich fchloff er als ein Falter aus diefem nächtlichen Verfchlag, fo bunt, daß ihn mein Federhalter nicht voll zu würdigen vermag. Zivei Tage war er quichlebendig, ja fozufagen tatenfroh, bis ein Profeftor eigenhändig ihn fing - worauf fein Geift entlloh, Nun wohnt das holde Kind der Mulen ftochfteif (und mweiß nicht recht, zu was) mit einer Nadel in dem Bufen bei vielen andern hinter Glas, S Ratatöchr 522 Tabak raucht, wenigstens vor dem Rauchen nicht. Paul hat sich bisher immer viel mit Philosophie be- schäftigt, jetzt beschäftigt er sich mehr mit Rau- chen — von Selbstgebautem. Er hält nichts vom Ferm....., ach so, ich wollte ja nichts von seinem Innenleben verraten. In einem Kästchen hat er etwas Grünes, das spricht er frank und frei als Tabak an, Wie gesagt, er hat sich bis- her hauptsächlich mit Philosophie beschäftigt. Das Grüne wird nur einen krassen Laien an’ geirock- neten Spinat erinnern, einen Lalen In selbstge- bautem Tabak. Das ist es, was Paul In seine Pfeife stopft, wobel wir, seine Freunde, so tun, als ob es das Selbstverständlichste von der Welt wäre. Der Pfeife entquillt ein blauer Rauch, tatsächlich ein blauer Rauch, ein sehr ähnlicher blauer Rauch, der aufs Haar anderen Rauchen gleicht. Paul weht Ihn uns mit der Handfläche zu. Wir sind gute Freunde und sagen ihm, daß wir schon Schlechteres im Leben gerochen haben, schon Brenzlicheres, Nun versenkt sich Paul wieder in die Philosophie und da kam er neulich auf die Beurteilung des Duftes von Rosenöl zu sprechen. Warum er gerade auf Rosenöl kam, bleibt unklar. Wird wohl so eine Wunschvorstellung gewesen sein. Wenn Paul sich die zweite Pfeife ansteckt, hat er kleine Schweißperlen auf der Stirne. Er sagt, es käme. von der heißen Suppe. Auf jeden Fall will er im nächsten Jahr noch mehr Tabak anbauen, das Sandblatt sei besonders delikat. Das Sandblatt ist nämlich das Grüne, aber da komme ich schon wieder ins Fachsimpeln. Kronos baut vor (0. Gulbransson) Quae Qucsranszon as „So — Kognak und Hoffmannstropfen stehen bereit für den Fall, daß mir schlecht wird. Ich werde jetzt mal versuchen, das Kapitel über Badoglio, Viktor Emanuel und Konsorten zu schreiben! Kronos previene: “Ecco .... Il cognac e le gocce - Hoffmann ... glä pronti nel caso che mi senta male, Adesso tenterö pur di scrivere il capitolo su Badoglio, Vittorio Emanuele e consorti!,, 523 Am Treffpunkt (R. Krionch) „Unerhört — nicht mal 'ne halbe Stunde wartet er, wo ich ihm doch gesagt habe, daß meine Uhr manchmal ’n paar Minuten nachgeht!" Luogo d’ appuntamento: “Incrediblle! Egli non aspetta nemmeno un’ ora, bench& gli abbia detto che il mio orologio talvolta ritarda di alcuni minutfi!,, 524 APARTADO 22 VON WILHELM LUKAS KRISTL Das war In Sevilla, in der Karwoche. Zur Sevilla- ner Karwoche mit den weltberühmten Prozessio- nen, da sind schon Wochen vorher alle Schnell- züge’und Flugzeuge in ganz Spanien ausverkauft, und in Sevilla ist noch die letzte Dienstboten- kammer zu saftigen Preisen längst Im voraus ver- mietet, von Hotelzimmern nicht zu reden. Wer von den Sevillanern eine freie Hundehütte hat, der stellt auch diese noch den Festgästen als Wochen- end-Häuschen zur Verfügung und die diesbezüg- liche Rechnung entspricht durchaus einer Ein- familien-Villa, So mancher Sevillaner lebt den ganzen Sommer von dem, was ihm die heilige Karwoche einbringt und trägt auf diese Weise zu der südlichen Beschaulichkeit bei, welche die Touristen an der andalusischen Hauptstadt ganz besonders entzückt. Ich hatte vorgesorgt. Ich gehörte zu den Glück- lichen mit Quartier und Flugplatz und wünschte nur noch, mein Zimmer befände sich gleich m der Nähe des Flugbüros, damit Ich keine Zelt ver- säume und mir nichts von der großen Prozession am späten Nachmittag entgehe, „Apartado 282“ war die Adresse; ich verwährte sie wie ein Juwel in meiner Brieftasche. „Ist die Apartado gleich in der Nähe, Seforita?", frug Ich im Flugbüro. „Wie heißt die Straße?” „Apartado”, wiederholte ich und als mich die Seforita weiterhin dumm ansah, buchstabierte Ich: „A-par-ta-dol” Sie wandte sich an eine Kolle- gin und diese an den Buchhalter und der Buchhal- ter griff nach dem Telephonbuch. Da rief einer von den jungen dunkelhäutigen Bengels, welche das Flugbüro auf der Jagd nach Trinkgeldern um- lauerten, daß er die Straße kenne und bemäch- tigte sich allsogleich meines Koffers. Aber er ging keine zehn Schritt mit. Sodann verhandelte er mich an einen anderen Burschen und dieser be- deutete mir, ihm nur ruhig durch das aufregende Gewühl zur Straßenbahn zu folgen. Nun, in der Sevillaner Karwoche darf,man nicht anspruchsvoll sein; liegt das Zimmer auch nicht gerade im Stadtzentrum, die Hauptsache Ist, du hası ein Dach überm Kopf. Wir stiegen in die Straßenbahn. „Zwei Apar- tado’ verlangte Ich. „Si Senior, Apartado.” Jedoch der Schaffner schien sich ebensowenig in Sevilla auszukennen. Er frug den Wagenführer, und als auch der nur einen Brummer von sich gab, holte er die Meinung seiner Fahrgäste ein. Alsbald be- schäftigte sich mit meiner Adresse die ganze Trambahn, Die Ansichten waren getellt. Man bot mir nacheinander sämtliche Stadtviertel Sevillas an. Mein Einwand, wenn eine Straße 282 Haus- nummern habe, könne sie doch nicht so unbe- kannt sein, wirkte nicht gerade klärend, Im Ge- genteil, sie entlachte nur neue Meinungsver- schiedenheiten, während ich die Frage aufwarf, ob denn vielleicht mal ein gewisser Apartado in der spanischen Geschichte eine Rolle gespielt habe. Endlich rührte sich ein Mann auf der hinte- ren Plattform: Ich sel schon richtig, jetzt falle es ihm ein, es fehlten noch drei Haltestellen, dann sollte ich mich ein wenig nach rechts halten. Das Viertel, In dem wir ausstiegen, sah so aus, daß meine festliche Stimmung ruckweise sank. Aber mein Bursche mit dem Koffer marschierte tapfer voraus und ich folgte widerwillig hinterher. Und nachdem wir einige Male im Kreise herum- gelaufen waren, da stellte er sich vor mir auf und sagte kühn, nun selen wir da. Ich sah mich um: Ein Dutzend altersschwacher Häuser, wie ausge- storben die ganze kümmerliche Gasse, nur ein milder Duft von Müllhaufen und ranzigem Küchen- öl verriet die menschliche Nachbarschaft. Ich schlen mich in der verlassensten Gegend der Stadt zu befinden und obendrein stellte sich her- aus, daß die Gasse gar nicht Apartado hieß, son- dern ihr Name begann nur mit einem A und hörte mit einem O auf Das war alles. Was meinen Ba- Atlas - Atlante ©. Hegenbarth) „Sag', Emil, wie hieß der Mann, der die Weltkugel auf den Schultern trug?" „Aber gute Adelheid, du glaubst doch schon alles!" . “Dimmi, Emilio, come si chiamava quell' uomo che sosteneva il globo ferrestre sulle spalle?,, “Ma, mia buona Adelalde, come tu eredi proprio a tullol,, gleiter freilich nicht hinderte, eine Miene aufzu- setzen, als habe er nie im Leben behauptet, die Straße auch nur ganz ungefähr zu kennen. Mir wurde warm. Ratlos studierte ich meinen Zettel, las Ihn von vorn nach hinten und zurück. Glocken und Fanfaren ertönten in der Ferne und verkündeten, daß die große Prozession im Gange war, Mir fielen die schwarzgelockten Jungen Se- villanerinnen ein, welche jetzt sicherlich im Fest- schmuck die Tribünen und Balkone füllten. Dann erleichterte ich mein Herz mit einer Serie heimat- licher Wünsche, die mit der heiligen Karwoche weiter nichts zu tun hatten. Eine leere Kutsche nahm mich auf wie ein Fischer- boot einen Schiffbrüchigen. Wahrlich gerettet kam ich mir vor, als ich mich hinaufschwang. Es sollte indessen eine neue Irrfahrt beginnen, Er sei ge- borener Sevillaner, meinte der Kutscher, und fahre seit etlichen zwanzig Jahren die Fremden herum. Aber Apartado?, und noch dazu mit so viel Haus- nummern? Vorbei an ehrwürdigen Stadtmauern, an maurischen Portalen, durch romantische Gas- sen ging die Reise und der Kutscher frug von sei- nem Bock herunter mal diesen, mal jenen Passan- ten. Je mehr wir wieder stadteinwärts gelangten, desto mehr schwoll der Trubel an, desto farbiger wurde die Stadt. Jedoch mein Interesse schwand In dem gleichen Grad, in dem die herein- brechende Dämmerung bei andern für poetische Stimmung sorgte. Ich teilte das ganze festliche Sevilla nur in zwei Hälften: Die eine Hälfte, die hatte in der Nacht ein Bett und die andere, die hatte keines. Zu dieser gehörte also ich. Ich habe aber doch zu meinem reservierten Zim- mer gefunden. Mit Verspätung allerdings und etwas erschöpft; es war schon Mitternacht, Zu guier Letzt hatte sich nämlich herausgestellt, daß Apartado zu deutsch — Postfach heißt... Villa über dem Fluß Von Maximilian Brantl Hell flechten Rofenftunden fich in des Lebens Kranz, und fie verdecken ganz die Lücken und die Wunden. Wie lacht aus farbiger Hülle, ihr Mädchen, eurer Leib! Verfchütte Früchte, Weib, aus goldnem Horn der Fülle! 525 An euch gelehnt, wie fächeln fich Worte und Gefühlt Da wird uns heiß und kühl, da löft fich Ernft in Lächeln! Kredenzt ihr dann der Trauben Schoßblut und Herzensgold: Mufik! Heut ift uns hold das Schichfall Laßt uns glauben! VOM BLAU AUF ALTEN BILDERN Blau ist oft auf alten Bildern im Hintergrund. Hintergrund bedeutet: Ferne, das Ungenaue. Im Hintergrund fliegen Vögel in Form einer Braue. Vorne stehen die Städte mit drohendem Mauerrund. Das Blau der alten Bilder hat etwas Ruhendes, Bei ihm herrscht Stille, Geheimnis, Rast. Es hat den Schlaf im Gesicht, Schweigen, Nichlstuendes. Doch mandımal öffnet sicı jäh sein verschleierter Glast. Im Hintergrund dämmern Wälder und Berge, Oder Gemässer dunsten. Also das Undurdhdringliche. Vorne wandeln Hirte und Ferge, Vorne drohen Türme — Sinnbilder für's Dinglidıe. Idı liebe das Blau dieser Bilder, Es ist meit. Es lockt hinaus. Es hat kein Ende, Hinter ihm verbirgt sidı der Raum der Unendlichkeit, Das Märdien, das Glück, die goldene Wende, Und heraus fritt ein Engel, silbern umleudhtet; Oder ein Ritter zu Pferd, eisengerüstet, Auf dem Sattel Undine, masserbefeuchtet, Die es nadı Kuf und Umarmung gelüstet. ANTON SCHNACK DER ROGL RUEP REDET FINNISCH „Ha?” fragt der Oberjäger in die Runde. „Mhmi“ sagen die andern. Damit ist für ein guies Trumm Polarnacht geredet, was zu reJen Ist und es wird wieder still in der Hütten. Selt die sieben Tiroler auf der einsamen Feldwach einandhocken, Ist ihre Szrach nur mehr „Ha‘ und „Mhmi” Weil's wahr Istl Für was denn reden? Was ein jeder zu tun hat, weiß er ohne reden auch. Überhaupt, so sagen sie, mit Reden Ist der Krieg nit zu gewinnen, Was zu sagen Ist, sagt der Bol- schewik und kriegt sein’ Antwort. „Ha?“ Das langt Aber wenn die sieben Tiroler einmal in der lan- gen Dämmerung anders beinandhocken, gesell- schaftlich sozusagen, und es wär grad eine ge- mütliche Zeit, was zu reden, dann weiß keiner, was er sagen soll; denn was sonst Mannsleut einander zu sagen haben, das haben sie sich alle schon voriges Jahr gesagt. Heuer Ist noch nit viel passiert, Sio sind alle sieben die gleichen blie- ben und der Krieg auch. Also, was soll da einer viel reden? „Ha?“ Nur dem Rogl Sepp, dem Fernsprecher, paßt das nit. Schon von ‚Berufs wegen. In den Tisch haut er und schreit: „Höllselten, jetzt wird's mir zu dumm. Jetzt redet einmel Selnerl” „Ha?“ fragt der Oberjäger und schaut von den Karten auf, Er hat grad Trumpfsau In der Hand. „Reden“, meint der Rogl Ruep, der junge, und übersetzt dienstlich, „ein Sprechverkehr einrich- ten, wie unter andere Menscheni” „Redst eh dul’ sagt der Oberjäger und spielt die Sau aus. Und der Staudigl, der schwarze Finten, haut den König drauf und meint unwillig: „Reden, zu was? Macht eh der Kriag gnue Krawalll” Da aber kommt einmal der Befehl, der Rogl Sepp, der Fernsprecher, müßt acht Wochen hinauf zu den Finnen auf den Tunturl. „Mander“, lacht er da und haut sein Zeug In den Rucksack, „endlich einmal unter Leut, nit bloß unter Stöckl Leut die eine Sprach haben! Men- schen, mit die was zu raden Ischtl“ So kommt der Rogl Ruep, Jung und voller Freud, hinauf auf den Tunturi zur finnischen Feldwach, baut seine Leitung auf, und macht, was sonst sein Sach ist. Weit liegt das Land rundum, Wald über Wald, so weit das Auge langen kann, das halbe uns, das andere den Bolschewiken Die Handvell Licht freilich ist viel zu wenig für das große Land. Die Nacht, kaum vergangen, schlieft schon wieder aus dem Wald für Die Finnen. alle zwölf, rucken um das Feuer zu- sammen, das in der Hütten brennt, „Feinl” sagt der Rogl und hockt sich dazu, Aber er hat wohl einen unrechten erwischt, einen von dan Finnen, der nit Deutsch versteht, well er tut, als hätt‘ er nit gehört. VON KARL SPRINGENSCHMID „Fein“, sagt er, lauter noch zum andern nebenbei. Der andere nickt ihm zu. „Fein“, sagt der Rogl wieder und lacht, „so um das Feuer hocken allmitnand, da ischt guet sein. Drüben, die sieben Stück, die stummen, die hocken jetzt tirolisch beinand und karten. ‚Ha?', fragt der Oberjäger, i höı ihn, und ‚mhm‘ sagen die andern Das langt für die ganze Nacht, Ischt das ein Leben, frag i?“ Er schaut in die Gesichter rundum. Sie schauen ihm alle genau auf den Mund, wie er da so flei- „Big spricht, und nicken ihm zu. „Ein Tag um den andern, jeder gleich! Gleich der Wald, gleich der Himmel, gleich der Krieg! Alles gleich. Wie sollt das einer ertragen, so er nit Menschen hat, die reden und erzählen und das Leben erst schön machen und richtig!” Wieder nicken die Finnen freundlich hin. Jeder, den er anschaut, nickt auch. Dann, wie der Rogl meint, jetzt hebt der erste zu reden an, langt der bloß unter d'e Benk hinein, auf der er hockt, zieht umständlich ein Trumm Holz herfür, ein birkenes, dreht es nach allen Seiten herum, nimmt dann sein Pukko aus der Scheide und hebt zu schnil- zen an. Das sieht der zweite, langt auch schweigend um sein Holz, der dritte, vierte, und so fangen sie, daweil der Rogl Ruep noch immer redet, zu schnitzen an, bloß der letzte nit, der spürt das Feuer. „Seltsam, so eine Sprach”, denkt der Rogl und stößt den einen an, der neben Ihm sitzt, und fragt: „Wäs wird nacher dös?" (G_ Brinkmann) NK KÖRNER Der aber haltet Ihm bloß das Holztrumm hin und dreht es langsam nach allen Seiten. „Mhm', sagt der Rogl Ruep. Aber dann nimmt er sich wieder einen Anlauf. „Ein schöner Brauch, das Schnitzen“, hebt er an, „da kann einer grad so richtig derzählen dabei, wia es Ischt im Leben, und was es alles gibt und so... Der eine von den Finnen der die Feldwach führt, steht jetzt auf und geht vor die Hütten, Wie er wiederkommt, hat er ein Trumm Holz In der Hand, das reicht er dem Rogl hin. „Ha?“ fragt der Rogl Ruep. Dann greift er, weil keiner was sagt, um seine Stichmesser — was soll er anders tun? — und hebt auch zu schnitzen an. Gleich, was es wird, etwa gar ein Pfeifenkopf. Acht Wochen schnitzt der Rogl an dem Trumm herum und es Ist allweil nit sicher, was es wird, vielleicht doch bloß ein Suppenlöffel zu guter Letzt. Aber sicher ist, daß der Herrgott selber auch ge- schnitzt hat, wie er den ersten Adam, den finni- schen, gemacht hat und daß er auch nit viel ge- redet hat dabei — Und wie der Rogl Ruep, der Junge, wieder bei seinen Tirolern Ist, da kann sich der Oberjäger am dritten Tag nimmer halten und fragt: „Rogl, was redst denn nit?" „I red ja eh, aber finnisch”, sagt der Rogl Ruep und schnitzt an seinem Holztrumm weiter. „Mhm“, sagen die andern. VT Q DE ANA N ER RES KR ya „Schau mal, der Schmidt fährt Omnibus, obwohl er verheiratet ist‘! "Guarda un po'che il fabbro, sebbene sposato, va con I"omnibusl,, 526 Die Vorsichtige „Nanu, Helga — du sammelst Briefmarken?“ — „Nee, aber vielleicht werden 'mal auch von der Reichspost neue Marken nur gegen gebrauchte abgegeben!" Non si puö sapere ...: Ebbe", Elga ... fai collezione di francobolli?,, — “No ... ma forse un giorno anche dalla Posta del Reich non si daranno nuovi francobolli che in ricambio di quelli usatil,, 527 FRAUENHERZ VON JORDAN JOWKOV Seitdem sein Sohn Ilia aus dem Dorf fort war, hatte Vater Gergi nur Schlechtes von ihm gehört; endlich bekam’er einmal auch etwas Gutes zu hören: man habe Ilia in der Stadt gesehen, er sei unlängst über die Grenze gekommen, habe sich auf dem Markt gezeigt, wo er Pferde gekauft und verkauft habe. Und das sel nicht der Ilia wie früher gewesen — schön gekleidet sei er jetzt, habe mit großen Herren an oinem Tisch gesessen und mit dem Geld in der Tasche nur so geklim- pert. Vater Gergi wußte nicht, ob er alles das glauben sollte oder nicht, da kam schon Ilia selbst. Er hatte dasselbe schmale Gesicht wie einst, war aber reinlich gekleidet, frisch rasiert. Seine kurze ärmellose Jacke war nicht aus gro- bem Wollstoff, sondern aus feinem braunen Tuch, die hohen Lederstiefel an den Knöcheln gefaltet wie eine Ziehharmonika. Und er kam nicht etwa mit einem fremden Fuhrwerk, sondern im eigenen Wagen, Wes ‚für ein Wagen war das, was für Pferde hatte er! Junge Tiere waren es, kaum fünf, sechs Jahre alt, Schlank, feurig, glichen beide einander wie Zwillinge, waren gleich groß, hellbraun; Schweil und Mähne waren etwas hel- ler, beinahe weiß Pferde mit solchem Haar sind wirklich eine Seltenheit und sehr schön. Großvater Gergi ging durch das Dorf und prahlte mit den Pferden. Bei vielen sprach er vor, end- lich blieb er ein Wellchen bei Theodor stehen. „Grüß Gott, Theodor, Grüß Gott, Anitschkal” rief er fröhlich, draußen am Zaun stehend. „Gott lohn’s, Vater Gergl. Bol dir gibt's ja Freude Im Haus, was? Der Junge ist gekommen, nicht?‘ „Ja, er ist da, Ilia ist gekommen..." „Er sei gewachsen, schon ein Mann geworden, sagt man. Und die Pferde, was für prächtige Tiere! Ich habe sie gesehen.” Es sprach nur Theodor. Anitschka schwieg, obwohl sie sich immer in der Nähe zu schaffen machte und wohl hörte, was die beiden miteinander sprachen, nur ihre Augen schienen zu lachen Vater Gergi weiß, daß Ilia einst etwas mit Anitschka gehabt hat, aber das war vor Ihren und schon längst vergessen. „Hörst du?” sagt Vater Gergi löchelnd und weist nach Genos Krug hin, wo ein Dudelsack quietscht. WM Busch „Meln Junge ist da, Ilia ist es. Möge er sich nur unterhalteni Die Groß- bauern sollen nur sehen, daß auch er ein Mann Ist und zu verdienen verstehtl“ Vater Gergi blickt Theodor an, der verstohlen lächelt, begegnet noch einma! dem Blick von Anitschkas schwarzen Augen und gaht nach Haus Gegen Mittag'kommt Ilia, er ist rot, angeheltert, „Ich war bei Theodor”, sagte der Alte. „Auch ich war heute morgen da.” Ilia schaut zur Seite und schlägt mit einem Stäbchen auf seine in Falten gelegten Stiefeln. „Aniischka hat mich gar nicht angesehen. Es fiel ihr gar nicht ein zu sagen: ‚Komm, Ilia, laß dich mit einem Täßchen Kaffee bewirtenl” Kein Wort sagte sie, schwieg still. ” „Sie haben viel zu tun, mein Sohn.” Vater Gergi will noch etwas sagen, aber er schweigt. Einst war Ilia Knecht bei Anitschkas Eliern. Da hatten sie etwas miteinander ge- habt, eine Liebschaft oder so was, er hatte sogar geprahlt, daß er sie zur Frau nehmen werde. Aber plötzlich, ohne daß es jemand erwartet hatte, helratete Anltschka den Theodor, „Haben wir nicht miteinander dasselbe Brot ge- gessen, haben wir nicht zusammen die Garben aufgeladen?“ hub Illa wieder an. „Und jetzt will sie großtun! Meinetwegen! Mag sie nurl” Nach einigen Tagen fuhr Ilia zur Stadt und kam mit einem fremden Wagen ohne diePferde zurück. „Wo sind die Pferde? Was hast du mit den Pfer- den gemacht?” fragte ihn der Vater, llia klopfte sich auf die Tasche und lachte. „Hier sind sie! Ich habe sie verkauft.” „Ach, Sohn, was hast du nur getan? Solche Tiere! Wo findest du solche?” „Noch schönere kaufe ich. Die da waren gar nichts.” Wieder begann Ilia sich des öfteren in Genos Krug zu zeigen. Manchmal sprach er bei Theodor und Anitschka vor, sah Ihnen zu, wie sie arbeite- ten. Dabei unterhleit er sich nur mit Theodor, denn, wenn er etwas zu Anitschka sagte, schwieg sie, tat, als hätte sie nichts gehört. Eines Tages ging Theodor weg und Ilia blieb allein mit Anitschka. Er nahm zwei ganz 'neue glänzende Fünflewastücke aus seinem Geldbeutel und gab den beiden Kindern Anitschkas je eins. Als sie das sah, packte sie die Kinder, öffnete ihnen mit Gewalt die Hände, nahm das Geld und geb os Ilia zurück. ‚Nimm dein Geldl” sagte sie barsch. „Sie haben einen Vater, der sie beschenken kann.” Und da sie es schon satt hatte, sagte sie unumwunden: „Genug hast du mir vor dem Hause gehockt! Geh weg!” Ilia ging wieder in den Krug. Jetzt ging er jeden Tag hin und trank viel. Von Zeit zu Zeit versuchte er, Anitschka anzureden, doch sie ging Ins Haus zurück, sobald sie ihn sah. Das Geld, das er für die Pferde erhalten hatte, war zu Ende und eines Tages’sagte er zu seinem Vater: „Dieses Mal will ich viele Pferde kaufen .. Ich verkaufe sie und verdiene viel Geld. Da mache ich ein Gelage, daß die Leute an mich denken...“ Er ging fort und kam nach einigen Tagen mit zwei Männern zurück. Während er im Dorfe herum- ging, schliefen sie in einer Ecke im Hofe. Vater Gergi gefieler sie gar nicht: mit ihrer dunklen, 528 Dressur braunen Haut, den schwarzen Augenbrauen und buschigen schwarzen Schnurrbärten sahen sie wie Zigeuner aus, Ilia sagte, daß sie Roßtäuscher und seine Freunde seien. Mit ihnen ging er wieder fort. Bald darauf rief jemand eines Morgens, noch vor Tagesgrauen, vor Vater Gergis Tür. Der Alte trat heraus. Illa war es. „Bring uns etwas Brot heraus’, sagte er, ohne vom Pferde abzusteigen. „Wir müssen eilen, um den Markt nicht zu versäumen.” Bei ihm waren die beiden braunen Roßhändler, auch sie auf Pferden. Vater Gergi bemerkte, daß weder ihre Pferde, noch das Ilias gesattelt waren. Etwa zehn andere Pferde waren aneinander- gebunden, jedes hintere mit dem Zügel an den Schweif des vorderen. So pflegten Roßhändler ihre Pierde zu binden, doch hatte Vater Gergi gehört, daß Zigeuner, die Pferde stehlen, es auch so machten. Sobald es zu grauen begann, hörte man auf ein- mal laute Stimmen: es zeigten sich berittene Män- ner mit Gewehren, Sie schienen es eilig zu haben, bückten sich von Zelt zu Zeit, um nicht die frischen Spuren zu verlieren, die die Pferdehufe auf dem Boden gelassen halten, und sprengten welter. Gegen Mittag hörte man berelts, daß drei Pferdediebe mit vielen Pferden in dem Wald bei Aptaat gefangen worden selen. Der eine war Ilia. Gegen Abend kamen die Polizisten. Sie führten Ilia und die anderen Pferdediebe. Sie hielten vor dem Krug, dem Hause Theodors gegenüber. Ilias Kleider waren zerdrückt, er war blaß, nicht rasiert, Bei dieser Kälte hatte er nur seine braune Tuchjacke an. Er lächelte, doch war das Lächeln nicht fröhlich, Es versammelten sich viele Menschen da, auch Vater Gergi kam. Er näherte sich seinem Sohn, sah ihn lange mit trockenen, brennenden Augen an, spuckte auf Ihn und begann zu schelten: „Schande und Schmach über dich! Hast du denn keine Hände zu arbeiten, dein Brot ehrlich zu verdienen? Mit Zigeunern Pferde stehlen? Du bist nicht mein Sohn, Ich verfluche dich.” Dann wandte er sich ab und ging bleich und zitternd nach Hause, Einer rief ihm noch nach: „Die Bur- schen sind hungrig, bring Ihnen etwas Brotl“ „Ich habe kein Brot”, orwiderte Vater @argl, ohne sich umzusehen, „Steine sollen sie essen!” Da kam Anitschka aus dem weißen Häuschen herauf. Sie trat hinzu, sagte etwas den Schutzleuten, holte einen Laib frischen Brots, den sie unter der Schürze hielt, brach Ihn aus- einander, gab die eine Hälfte dem Ilia, die andere seinen Gefährten Sie gab 'hnen auch je ein Stück Käse, dann gab sie Ilia einen alten, abgetragenen Kapuzenmantel, den sie über dem Arm trug. „Ds, nimm, Illa”, sagte sie, „du könn- test dich erkälten ..."“ Die Polizisten hatten ihre Pferde be- stiegen, die Häftlinge gingen vor ihnen durch den Schlamm. eb wohl, Ilial” rief Anitschka Ihnen nach, „Gatt erhalte dich gesundI” Sie blieb an derselben Stelle stehen und stützte leicht den Kopf auf die Hand Versonnen sah sie dem Ilia lange nach. Es standen noch Leute da, aber sie blickte weder rechts noch links und kehrte ins Haus zu- rück. Aus dem Bulgarischen von Z. Dragnewa. Elsenhower und das Lied von der zweiten Front en „Das Lied gefällt mir, am liebsten möchte ich auch ein bißchen mitsingen!“ Eisenhower e la canzone del secondo fronte: “La canzone mi place, ma vorrei anzituffo cantarla un pochino insieme anch"io!,, 529 (K. Helligenstaedt) Anerkennung „Na, was hat denn Edi zu den schönen Äpfeln gesagt?" „Er hat gesagt, er sei zu jeder Erbsünde bereit!“ Riconoscimento: "Ebbe', che ha detto Edi delle belle mele?,, “Ha detto che & pronto a commettere qualsiasi peccato originale!,, 530 UNIVERSALGESCHICHTE VON SCHLEHDORN Als die Zahl der geleerten Flaschen zur Lösung der noch restlichen Welträtsel aufrief, befand sich Gregorius Grips, der Referendar, im Gespräch mit einem schweigenden jungen Historiker. „Wie einfach”, sagte Gregorlus, „wie einfach hatten es die Alten. Man braucht nur heute fest- zustellen, daß es damals einen Schulzokles oder Krausides gegeben hat, — schon hält ihn die Historie fest. Heute genügt die bloße Anwesen- heit nur bei den Spitzen der Behörden. Und hat er gar elwas geschrieben, so wird er zitiert, well er als Erster gesagt hat, was Jeder weiß. Das geschieht heute nur bei führenden Dichtern. Und wußte man damals das, was jeder weiß, so war man damals allgemeingebildet. Und klassisch ge- bildet obendrein. Wie einfach war damals die Zeitrechnung. Die techneten rückwärts und konnten sich mit der Zeit einrichten. Wenn gar eine Dame das Glück hatte, um die Zeitwende zu leben, so zählte sie zweimal 17, einmal ante und einmal post Christum natum. Während heute dıe Damen versuchen müssen, dauernd 17 zu bleiben, was nur beim Film gelegentlich gelingt.” „Ja”, warf der Historiker ein, „die wissenschaft- lichen Hilfsmittel sind auch vollkommener ge- worden,” „Und nun erst die Vorgeschichte‘, fuhr Gregorius fort. „Man saß um ein Feuer herum, nagte an großen Knochen und ließ sich Zeit. Und draußen ging der fortgesetzte Fortschritt seinen Weg. Was damals Abfall war, ist heute Wissenschaft. Man gräbt in den Humus hinein und findet Rasier- klingen aus Stein, Nähnadeln aus Bein, Schlips- nadeln aus Gräten, und Fibeln, so primitiv, daß sie geradezu modernes Kunstgewerbe sind — und Albanischer Sommer ‚ Unter albanischem Himmel Steht nun mein kleines Zelt. Disteln mit hellgelben Blüten Stacheln heftig ans Lager, Aber ein Feigenbaum reicht Sanft mir die süßesten Früchte, Maisfelder dehnen sich knisternd Bis an den Fluß, dessen Quellen Voll starken Schwefels, noch kühlen. Wenn in der glutenden Sonne Längst alle Säfte schon kochen — Schön sind die Nächte im Zelt: Silbern im Dreieck des Eingangs Funkeln die fremden Sterne. Von den Olivenbäumen, Von den rebenberankten Pappeln und Weiden fiedeln Pausenlos die Zikaden. "Langsam nur holt mich der Schlaf. Hähne und Esel schicken Früh ihren Schrei in den Tag. Wolkenlos bleibt Albaniens Himmel über dem Zelt. Nur meine Wünsche segeln Durch die unendliche Bläue, Segeln der Heimat zu, Wo die Geliebteste wartet. Heinz Friedrich Kamecke und Druck Knorr & Hirt Walter Foitzick, München. dazu eine Menge wissenschaftlicher Hypothesen. Die Menschheit beugt sich über ihre eigene Wiege und macht kille-kille beim homo Heidelbergensis, von dem gerade noch der Unterkiefer dazu da ist, und erzählt stolz vor allen Onkels und Tanten der Wissenschaft, was der Mensch In seiner Jungstein- zeit schon gekonnt hätte: die Wände bemalen mit Hirschen und Schiffen und Menschen, — Herren und Damen, sehr einfach und nachdrücklich unter- schieden. Und die Maler ließen sich Zelt dabei.” Der Historiker wollte berichtigen, daß bereits in der Altsteinzeit —, aber Gregorius sprang mit seiner Geschichtsschreibung über Ihn hinweg: „Und nun erst die Vor-Vorgeschichte. Das war eine süßverworrene Zeil, wo noch verfolgte Frauen in Bäume verwandelt wurden und steinerne Statuen in mit Erfolg verfolgte Frauen. Bäume und Quellen wären bewohnt von reizenden Einsied- lerinnen, deren Adresse den Göttern bekannt war, Und Darwin hätte sein Vergnügen gehabt, wie sich der Faun dem Bock und der Zentaur dem Pferd artverwandt zeigte, — eine große Familie, Ubrigens, wenn wir heute noch ‚Kamel‘ sagen, wenn so 'n Ochse ein Esel ist, oder gar ‚Pflänz- chen’ oder ‚Früchtchen‘, wenn sich solch nied- licher Käfer als raffinierte Kröte entpuppt, — alles Erinnerungen an den paradlesischen Zustand, wo die Pflanzen noch keine lateinischen Bezeichnun- gen hatten, sondern namenlos dufteten, und die Menschen nur Kosenamen, und keiner zählte die Hufe und die Staubgefäße. Man hätte die Säuge- tiere ruhig Eier legen lassen (nicht nur um Ostern), — ein Dschungel von Schönheit und Gefühl, wie die Seele eines Lyrikers! Und keinerlei Elle. Ich glaube, da gab es weder Wecker noch Zeit- bewußtsein.” „Prost”, sagte der junge Gelehrte freundlich. „Prost“, erwiderte der Referendar. „Und davor geht dann die Geschichte allmählich auf die Geo- logen und zuletzt auf die Astronomen über. Die Astronomen lassen uns bis zum Weltuntergang noch soviel Zeit, und die Geologen beweisen, daß wir mit unserer Weltgeschichte nur in einer anspruchsvolleren Interglazialperiode ‚leben. Die längste davon hat 142000 Jahre gedauert, Seit der letzten Eiszeit sind noch keine 19000 Jahre herum. Warum haben wir da eigentlich jemals Eile?’ Hier zog der Historiker diskret seine Uhr und nannte die Zeit. „O weh“, fuhr Gregorius auf, „ich muß schleunigst weg. Meine letzte Elektrische fährt.” MEIN BRUDER HEINRICH Genau genommen habe ich nie einen Bruder Heinrich gehabt. Von seiner Existenz hörte ich zum ersten Male In einer Gesellschaft, In der ein Junger Schriftsteller erwähnte, einen Herm zu kennen, der gern meinen Bruder Heinrich spre- chen würde. Da ich nur noch einen Bruder Alex- ander habe, mußte hier wohl ein Irrtum vorliegen. Aber der Junge Autor versicherte, jener Herr habe sich ausdrücklich nach meinem Bruder Hein- tich erkundigt, da er Alexander ebenfalls kenne. Und eines Tages wurde ich diesem Herrn, einem Antiquitätenhändier namens Kilian, vorgestellt. Dann erinnerte ich mich, von diesem Manne vor fünfzehn Jahren einmal ein Ölgemälde erworben zu haben, Offenbar habe ich mich In dieser Zeit nur sehr wenig verändert, so daß Herr Kilian mich wahrscheinlich für meinen eigenen jüngeren Bru- der gehalten hat. Rätselhaft war nur, wie er auf den Namen „Heinrich” kam. Jedenfalls wäre alles in Ordnung gewesen, wenn ich dem wunder- lichen alten Herr die Zusammenhänge erklärt hätte. Leider aber hasse ich Erklärungen und Aufklärungen in jeder Form und jedermann gegen- über. Wenn ich zum Arzt gehe wegen einer Seh- nenzerrung in der Gegend des Fußgelenkes, und er verschreibt mir irrtümlich etwas zum Gurgeln, bin ich auch damit einverstanden. Oder wenn ich im Gasthaus ein Stammgericht bestelle, und der Kellner bringt mir ein Wiener Schnitzel mit Kopfsalat, dann akzeptiere ich auch das. Ich ließ Herrn Kilian in dem Glauben, einen Bru- der Heinrich mein eigen zu nennen Außerdem nahm ich an, Herrn Kilian nle mehr zu begegnen. Und so trug ich etwas zu meiner kostenlosen Er- heiterung bei und sagte ihm, daß Heinrich schon selt vielen Jahren in Bukarest lebe und dort glück- lich verheiratet sei. „Grüßen Sie ihn bitte herzlich von mir, wenn Sie ihm schreiben”, bat der Mann beim Abschied, Einige Wochen später klopfte mir jemand auf der Tauentzienstraße, als ich vor einem Schaufenster stand, auf die Schulter. Es war Herr Kilian. „Post von Heinrich?" fragte er. Ich sagte, daß ich einen Brief bekommen hätte. „Itgend etwas von Bedeutung?“ forschte er weiter. Ich empfand, daß ein Schreiben, das heutzutage von so welt herkam, irgend etwas Nennenswertes enthalten mußte, und so ließ ich durchblicken, daß Heinrich Sorge mit seiner Frau hätte, Ich wollte sagen, daß ihr Gesundheitszustand ihm Sorge machte. Aber Herr Kilian faßte es anders auf, und Ich wollte auch diesmal nicht erst weitere Erklärungen abgeben. Lange Zeit sah und hörte ich von dem Antiqui- tätenhöndler nichts mehr, Dann erzählte mir je- mand zufällig, daß Herr Killan geschäftlich in Wien weile. Die Nachricht machte mich nervös, denn in Wien lebte mein Bruder Alexander. Plötzlich erhielt ich ein Telegramm von Alex, Es ist die einzige Form, in der wir in langen Inter- vallen miteinander in Verbindung treten. „Kennst Du einen Herrn Kilian? Antworte sofort!" lautete das Telegramm. Nach vielen Überlegungen telegrafierte Ich zu- rück: „Kenne keinen Menschen dieses Namens.” Hetr Kilian hat später nie mehr mit mir gespro- chen. Er soll nur geäußert haben, der einzige nette Mensch in meiner Familie sel — mein Bruder Heinrich... LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Hermmerling hat die Absicht gehabt, sich von seinem Schneider einen neuen Anzug bauen zu lassen. „Na“, meinte sein Freund, „wie steht es denn nun mit deinem neuen Anzug?” „Ach", seufzt Hermmerling, „weißt du, der hat die Ruhe weg. Erst hat er die Hose fertiggemacht — die hab ich jetzt aufgetragen, und die Jacke und Weste sind immer noch nicht fertig!” Beye * Bobby geht zum Photographen. Fragt dieser: „Welche Stellung?” Entgegnet Bobby mit vornehmer Herablassung: „Gar keine — Graf!" 3 FH. raße 80 (Ferniuf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. 'ehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 'gte Einsendungen werden, nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt Erfüllungsort München. Moskauer Kirchenkino (Erich Schilling) „Was gibt es heute für einen Film in der Kirche, Iwan?‘ — „Heute ist kein Film, heute Ist Festveranstaltung zu Ehren des englischen Erzbischofs. Kino ist erst wieder, wenn er abgereist ist!‘ Cinema nelle Chiese di Mosca: ‘Che film si dä oggi In chlesa, Ivano?,, — "Oggi non c’ & film, ma c'& una solenne manifestazlone In onore dell’ arcivescovo Inglese. Riavremo Il cinema quand' egli sard partltol,, 532 München, 13. Oktober 1943 2 48, Jahrgang / Nummer 41 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN UM ANGLO-AMBRIHANISCHEN Z00 LE BL OLar Aursransren +3 „Ich weiß nicht, der Geier schaut mich so merkwürdig an, er wird doch nicht eines Tages Appetit auf mich bekommen! Nello Zoo anglo-americano: "Non so, quiest' avvoltoio mi fissa In modo sl strano. Non sentirä mica un glorno bramosia di me?,, Der gute Schlaf - Il buon sonno Die Begnadigung Im alten Österreich lebte in Tuzla, Im „gemein- samen Reichslande Bosnien und Herzegowina” ein alter türkischer Schriftgelehrter, der Hodscha MehemedOsmanbasslisch, der wegen seiner Klug- heit welt und breit Ansehen genoß. Nicht nur seine mohammedanischen Glaubensgenossen hol- ton sich bei ihm Rats, auch andere, Ja sogar amt- liche Persönlichkeiten und Behördenstellen wand- ten sich an den Hodscha von Tuzla, wenn sie In irgendeiner mit den Landeseigenheiten oder der Denkart der Bevölkerung zusammenhängenden Sache nicht ins klare kommen konnten. Selnen Rat sollte auch einmal sogar das Ober- landesgericht In Seralewo In Anspruch nehmen müssen. Anläßlich des sechzigjährigen Regie- rungsJubiläums des Kaisers Franz Josef I. im Jahre 1908 war eine allgemeine Amnestie — wie die Strafnachsicht Im Gnadenwege bel besonderen Anlässen hieß — erlassen worden, die für viele Sträflinge die Freilassung aus der Haft während anderen die Haltzeit mehr oder weniger abgekürzt wurde. Unter denen, deren restliche Haftzelt „auf die Hälfte” herabgesetzt wurde, war — durch welchen Irrtum, konnte niemals festgestellt werden — ein Strafgefangener, der zu lebenslänglicher Kerker- haft verurteilt war. Und nun stand die Gefängnis- verwaltung, stand das Oberlandesgericht In Sera- jewo als durchführende Behörde vor der Aufgabe, festzustellen, was als Ausmaß der „restlichen: hal- ben Haftzeit”" dieses Lebenslänglichen zu gelten habe, wie lange also derMann noch zu sitzen habe und wann er zu entlassen sein würde. Die Ver- Weftzöftlicher Diwan Heut rauch! Ich eine Zigarette, dfe, duftigemild mie blonder Samt, der Bafis einer Lagerftätte fern in Bulgarien entftammt. Ein lieber Freund und Gönner hat fe, beziehungsmweife den Tabak, aus eines Türken Schlafmatrate erlöft, der drauf der Ruhe pflag. Auch deften Frau nebft Tochterleben verfenkten hier Ihr Schwergewicht. Und daraus hat fich denn ergeben, daß eu fo füß nach Often riecht. Da fit’ Ich nun, meit weg Im Welten, und blafe Ringe In das Heut vom zwelfelsohne Allerbeften, mas derzeit diefe Branche beut. Ratatöshr 534 (Fr. Bllok) legenheit in Serajewo war keine geringe. Denn es war ein noch nie dagewesener Fall, mochte er auch einem Irrtume entsprungen sein, ein Fall, bel dem an kein vorangegangenes Beispiel Anlehnung genommen werden konnte. Und an die Aller- höchste Kabinettskanzlei konnte man diesen peln- lichen Irrtum auch nicht gut zurückmelden; man mußte allen daran dort Beteiligten, nicht zuletzt dem Herrscher eine neuerliche Behandlung des Falles ersparen. Ja, aber wie sollie man über die Frage „restliche halbe Haftzeit eines Lebensläng- lichen” zu einem richtigen Beschlusse kommen? In dieser Verlegenhelt verfiel einer der landes- kundigen Beamten des Oberlandesgerichtes auf den Hodscha Mehemed Osmanbassitsch In Tuzla, der bestimmt Rat und Hilfe wissen würde. Und so begab sich eine dreigliedrige Abordnung des Oberlandesgerichtes von Serajewo nach Tuzla, um des weisen Hodschas Meinung einzu- holen. Der hieß die hohen Beamten willkommen, bot ihnen guten türkischen Mokka und bosnischen Tabak an und ließ sich den Fall darlegen, Sinnend wiegte er dann sein weises Häupt hin und her, strich bedächtig seinen grauen Prophetenbart und sagte schließlich; „Allah segne den Kaiser Franjo Josip (d. I. Fıanz Josef), er gebe ihm Gesundheit noch viele Jahre und Weisheit und Güte für seine Herrschaft. Mit dem Häftling aber haltet es so: den einen Tag sollt Ihr Ihn eingesperrt halten, Jeden zweiten Tag. aber laßt ihn in Freiheit, Der Friede sei mit Euchl” Ferdinand Schiep Der Beweis {E. Tnöny) „Ist der Wachtposten auch zuverlässig?“ — „Das will ich meinen. Der ist nicht einmal während der dreistündigen Rede Churchills eingeschlafen!‘ La prova: „Ma c'& pol da fidarsi di questa sentinella?,, — “Lo credo bene; non s'& oddormentata nemmeno durante Il discorso di tre ore di Churchill!,, 535 MONDABEND Wean der Nebel’weih auf den Wiesen schwimmt Und der Mond glüht golden überm Wald — Aus dem Dämmer schn dich Augen an Aller Frauen, die du schr geliebt. Schwarz der Birkenwald unterm Mondengold, Uberm Wiesennebel schwarz der Wald. Dunkle Augen sahn aus der Dämmerung, Waren nalı um micı und sahn mich an. DER GRU VON WILHELM PLEYER Fern am Osten war's dunkel stand’ ein Bau, Dunkle Föhre in den Wiesen weit; Grillen eirrten hei aus dem Abendtau, Uberm Walde stand der Kühle Mond. Sang hinüber... ja, ich NDHECHT VON FREDRIK HIJÄLM Unter den Gästen der Pension „Seelust"“ waren auch einige Sportangler. Eine kleine Schar von Männern, die seit ihrer Ankunft Morgen für Mor- gen In aller Herrgottsfrühe hinauszog an den See, um nach dem riesenhaften Grundhecht zu fischen, der dort sein Wesen treiben sollte. Der feierliche Ernst aber und die unermüdliche Geduld, mit der sie es taten, brachte Peitersson auf die Idee, sich einen Spaß zu erlauben. So suchte er Lundberg auf, den ihm befreundeten Schulmeister des Ortes, um Ihn In den Plan ein- zuweihen. Lundberg, von seinen Jungens her an allerhand Unfug gewöhnt, war denn auch kein Spielverderber; schmunzelnd hörte er zu und ver- sprach mitzumachen. Woraufhin Pettersson eiligst zur Pension zurück- kehrte. Außer Luft und Atem stürzte er ins Früh- stückszimmer. „Denkt euch nur, was ich erlebt habe! den verdutzten Sportkameraden zu, 7? „Setzte Ich mich doch vorhin an den See, um vor dem Frühstück noch ein wenig zu fischen, Zehn Minuten mochte Ich sö gesessen haben, als Ich plötzlich einen kräftigen Ruck an der Angel ver- spürte — —” Alle Augen sahen Ihn an, alle Augen waren voll Spannung. „Und was fingest du?” „Den Hecht“ „Den Grundhecht?” „Jawohl, den alten Grundhecht!” „Hm—hmi” Stimmen des Zweifels erhoben sich. Doch Pettersson ließ sich nicht beirren, Ein gewaltiges Biest", prahlte er und zeigte mit den Händen. „Wohl über einen halben Meter lang und dreißig Pfund schwer. Fragt nur den alten Forstaufseher Olsson, der war dabei.” „Und du holtest Ihn allein ein und wogst Ihn selbst ab?" „Ja. Doch leider erwachte Ich dar- über aus dem Nickerchen, In das Ich verfallen war — —" Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, Doch dann erhob sich ein wil- der Tumult. Die Männer umringten den spottlustigen Kameraden, und es würde Ihm gewiß schlecht ergan- gen sein, wenn er nicht rasch eine Lage Bier versprochen hätte, Kaum hatte sich der Lärm gelegt, da erschien Lehrer Lundberg auf der Bildfläche. Herrschaften!” rief er. „Ich werde berühmt, Ich komme in die Zeitung—” „Wieso? Was ist denn los? Was ist geschehen?” „Ich habe den alten Hecht gekriegtl” tief er Alles lachte. „Da mußt du früher aufstehen, Schul- meister! Den Spaß kennen.wir! Damit hat Petters- son uns schon angeschwindeltl” Doch Lundberg war auf solche Einwendungen vorbereitet. „Ich begreife gar nicht”, erwiderte er harmlos, „Doch, daß der so lügı auf seine alten Tage, das ist un- fein von Ihm! Wenn Ihr mir jedoch nicht glauben wollt, dann lest morgen in der Zeitung darüber nach — —" „Wie groß Ist denn der Hecht?” „An die achtzehn Kilo wiegt er wohl und mißt beinahe einen Meter. Fragt nur den alten Forst- aufseher Olsson, der war dabei.” „Kennen wir, kennen wirl” erschallte es Im Chor. Doch Lundberg spielte weiterhin den Harmlosen. „Ach so, Pettersson hat euch bereits alles erzählt. Da hätte er doch warten können!“ Die Gemüter beruhigten sich wieder. $ „Der Hecht wog also achtzehn Kilo?" „Gewiß, sofern ich es nämlich beurteilen kann. Denn ich wog ihn nicht nach.” „Wie, du wogst Ihn nicht nach?” zweifelten. „Nein. Wie konnte ich es denn — —?" „Aber du sagtest doch, du hättest den Hecht ge- kriegtl” „Ich den Hecht gekriegt? Sagte Ich so? Verzeiht, da habe ich mich wohl leider versprochen, Ich G Ar „Da siehst du, wie lange ich den Hut schon trage .. .!" "Guarda un po’ se non & molto tempo ch’ io porto ormai questo cappello.. 536 (G. Brinkmann) Aus der Roggenflur eine Wachtel schlug, Dumpfes Trommeln hört’ ich des Galopps Zweier Reiter schwarz, durch die Nebelmild, Und orangen war der Himmelsrand, Und ich sang der Nadıt und des Lebens Lob, käme bald. .., Weil der Nebel weih auf den Wiesen woh Und der Mond stand gülden überm Wald. habe denHacht zusehen gekriegt, wollte ich sagen." Bei dem Handgemenge, das nun entstand, hätte Lundberg wohl unter den freundschaftlichen Knüf- fen, die ihm zugedacht waren, noch mehr Scha- den erlitten als seln Vorgänger, wenn nicht die Aufmerksamkeit in diesem Augenblick auf etwas anderes gelenkt worden wäre. Ein kleiner dicker Mann kam schreiend und wie ein Verrückter sich gebärdend vom See herübergelaufen. Der kleine Dicke war Jönsson. Er hatte den Hecht wirklich gefangen und war außer sich vor Freude. „Petri heill” rief er. „Ich habe den Hecht gefan- gen — den alten Grundhecht! Brüder, das muß gefeiert werden!“ Dröhnendes Gelächter empfing Ihn. „So—so, auch du hast also den Hecht gefangen? Hah, den Trick kennen wir! Aber noch einmal las- sen wir uns nicht an der Nase herumlühren!” „So glaubt mir doch, es Ist wahrl” beteuerte Jönsson. „Ich habe Ihn selbst eingeholt, Ein statt- licher Bursche — er wiegt vierzig Plund und hat über einen Meter Länge.” 4 „Kommt mit zu mir ins Hotel“, fuhr er fort, als erall die ungläubigen Miönen sah, „ich will ihn euch zeigen.” „Nun gut, wir kommen mit. Doch wehe dir, wenn auch du uns angeschwindelt hast!” „Aber wie werde Ich denn“, versicherte Jönsson „Bitte schön, überzeugt euch nur. Er liegt auf dem Küchentisch, dort könnt ihr Ihn euch ansehen und In die Hand nehmen. Ein Musterexemplar, sage Ich euch.” — — Letzteres sagte sich auch der Land- streicher, der zufällig des Weges kam. Ein Blick—— und schon langte er mit beiden Armen durchs Küchen- fenster, versteckte die kostbare Beute unter der Jacke und machte sich schleunigst aus dem Staube. — Die Männer hielten ihren Einzug. „ Jönsson ging voran und führte sie In die Küche. „Ihr glaubt mir wohl noch immer richt”, meinte er siegesbewußt. „Bitte schön, hier — —" Da brach er mitten in der Rede ab und starrte mit offenem Munde die leere Tischplatte an. Die anderen aber erhoben ein wildes Kampfge- schrei und fielen augenblicklich über ihn her. Er bat und beschwor sie und be- teuerte seine Unschuld. Vergabens. Er wurde ergriffen und zum See hin- untergeschleppt. Die Exekution wurde augenblicklich vollzogen. Ein paarmal wurde er hin und her geschwungen. „Eins zwei — — drei — — —" Und dann plumpste es. Und dann plätscherte es, und der See hatte wieder einen Grundhecht. (Aus dem Schwedischen von Werner Rietig) Lippenrot „Hab’ ich jetzt genug aufgelegt, Fanny?“ — „Ich mein’ schon. Von Ihnen 'n Kuß, und so 'n Mann muß stundenlang unter die Brause!‘ Rossetto: “Me ne sono messo adesso abbastanza, Fanny?,, — “Credo di si. Con un vostro bacio un uomo deve stare ore ed ore sotto la doccia!,, 537 DER LIEBESBRIEF IN DER TUNDRA Reißt einer mit beiden Händen die querver- nagelte Breitertür auf und schreit hinein in den Bunker: „Hö Schatzli Die zwölfte Kompanie hat dein Briafl” Und — wum! — haut der Sturm die Tür wieder zu. „Wöller Briaf?" schreckt der Schatzl aus dem brunntiefen Schlaf auf und schüttelt seine Ohren aus — so schön hat er grad träumt! — und fahrt mit allen zehn Fingern durch die Haar — oh, mit der Burgl war er mitten im Paradies! Aber dann mit elnemmal begreift er, was los Ist. „Mei Brial?’" springt er dem andern nach. Aber den hat längst schon der Sturm verblasen. „Die zwölfte Kompanie hat dein Briaf”, wieder- holt der Schatzl jetzt langsam den Satz, als müßt er sich Wort für Wort festnageln, So ist es: Andere kriegen ihre Liebspost in den Bunker zugestellt, auf den Schlafplatz hin, nur er, der kleine Schatzl, ein wenig ungleich gewach-" sen, wie er ist, ein armes, fuchshaariges Bauern- knachtl und Gebirgsjäger jetzt nebenbei, er muß um seinen Brief über die halbe Welt rennen; dena ihn haben sie von der zwölften Kompanie draußen am Fjord ‚hinein. in die Tundra versetzt, als könnt das Regiment ohne ihn, den Schatzl, den Krieg nicht gewinnen, und die Burgl, die liebe, daheim in Tirol, schreibt ihre Brief, ihre verliebten, allweil noch an die andere Feldpost- nummer draußen am Meer. Der Schatzl richtet sich zusammen. Er zieht den dicken, schafwollenen Schwitzer an. Dann tut er die Pelzwesten drüber, bindet sie vornüber zu, fest, und schlieft In den Rock drein. Drüber zieht er den Mantel, den warmgefütterten, und hängt das weiße Schneehemd über. So stellt er sich, die Maschinpistolen fest In der Hand, vor den Oberjäger hin. „Jäger Ignaz Schatzl, bittet sein Briaf holen zu dürfen.” „Den Briaf? Wo?” fragt der Oberjäger, eingewik- kelt im untern Tell in die Decken; denn er flickt grad seine Hosen, seine einzige. „Bei (der zwölften, halt!” „Mensch“, fahrt da der Oberjäger, die Schneider- scher In der Hand, hoch auf, „die zwölfte liegt ja draußen am Fjord? Dös ischt ja a ganze Welt- reis’ und der verfluchte Sturm dazua? Ja, spinnst du, Mensch! Dös alles wegen an Briaf?“ Der Schatzl wartet still. So wie er jetzt angezogen ist, so dick, geht nicht viel durch. Da kann der Oberjäger fluchen, wie er will. „Ja, himmelseiten, an ganzen Tag rennen, bloß wegen an Briaf?"“ schreit der Oberjäger und probiert den Fleck auf die Hosen, „muß dös a bsunderer Brlatwechsel sein, a liabs- mäßiger” Der Schatz! steht noch immer da und wartet, bis der Fleck auf dem Hosenboden sitzt. Da schaut der Oberjäger wieder das trau- rfige Mannsbild an. „Hascht alles?” fragt er. „Alles”, nickt der Schatzl schnell und greift an sich herum. Handgranaten, Seltengewehr, Stahlhelm, Bergstecken, Munition, Maschin- pistolen, alles was einer braucht, der in der Tundra einen Brief holen geht. Jetzt schmeißt er die Brust nach vorn und schreit, den Kopf hoch auf: „Jäger Schatzl meldet sein Abgehen zum Postempfang!“ „Glmpl, verliabter”, schimpft der Oberjäger hinterdrein und gibt der Tür, der offenen, einen festen Tritt hinterdrein. Eine ganze Wand voll Schnee baut der Sturm entgegen. Der Schatzl legt den Kopf schief in den Wind, setzt den Stecken ein und stapft da- hin, der Richtung nach, die ihm die Stangen angeben. VON KARL SPRINGENSCHMID Nur keine Stangen fehlen! Eine drüber — und schon steht einer, verlassen und einsam, mitten in der Tundra, und taut erst wieder auf zum Jüngsten Gericht. Bergauf, bergab gehen die Stangen, Tiefer wird der Schnee, mit Händen und Füßen rudert der Schatzl durch die Wächten, die der Sturm bei der Felswand angeblasen hat. Eine Sauerel, so ein Sturm. 2 Aber — „mein Briafl” denkt er und druckt den Stahlhelm fester auf die Wollhauben, „mein Brlaft” „Vierundvierzig“, zählt er die Stangen. Die dritte Stund ist er Jetzt schon unterwegs. Der Posten bei den Granatwerfern, eingewickeli in seinen Pelz, will den Feldruf haben, denn er glaubt nicht, daß bei so einem Sturm was anders kommt als ein Bolschewik. Der Schatz! meldet, stapft zum Posten hin und sagt: „Burgll” „Ha?“ fragt der Posten aus seinem eisigen Bart. „Der richtige Feldruef ischt: Burgli” „Urlaub?“ „Na, lei a Briafl” Da schaut ihn der Posten an, ganz mitleidig hän- gen ihm die Eiszapfen nieder. „Tundralapp‘’, sag? er und dreht sich um. Weiter grabt sich der Schatzl durch den Sturm, von einem Wegzeichen zum andern „Dreiundsechzigl!" Jetzt muß er bald in dei Gegend sein, die bei den Jägern das Ringelspiel heißt, weil da immer etwas los ist und der Krieg rundum geht. Versteht sich, bei so einem Sturm schlieft jeder durch die Front, wo er nur will, Und richtig? Kaum biegt der Schatzl in die Schneegassen ein, da sieht er schon Gestalten, zwel, drei. Verdammt noch einmal, die ‘gefallen ihm gar nicht! Nieder duckt er sich in den Schnee, die Maschinpistolen im Anschlag. Sie sehen ihn nicht, Gott sei Lob und Dank. Gradwegs auf ihn ren- nen sie zu. „Schatzl”, denkt er bei sich, „jetzt gilt’s!"” Näher kommen die Gestalten. „Mein Brlafl springt er auf und merkt grad noch, daß es Jäger sind, zwei von der leichten Batterie. „Wo aus?“ fragen sie. „Mein Briaf holen”, schnauft der Schatzl und Toni Bich! Im Folder stapft wieder welter seinen Weg; Stang um Stang „Dreiundneunzig!”, die Granatwerferl Wenn sie nicht dem halberfrorenen Schatzl einen heißen Tee einschütten würden, käm er am End nicht mehr weiter. Aber „mein Briaf“, schreit er und hinaus tappt er in den Schneesturm! Und welter die Stangen! Endlich, in der siebten Stunde sieht er, schlief durch den jagenden Sturm, den Fjord. „Mein Briaf‘‘, schnauft er noch und taumelt In den Bunker drein. Sie legen ihn auf die Pritschen hin. Sie ziehen ihn aus und reiben Ihn ein mit Schnee. . „Hoaß”, schreit er, „hoaßl” und schaut rundum. Wie die Mander die fuchsroten Haar sehen, unter der Wollhauben, schreit einer: „Dös wird der Schatzil” - „Wahrhaft, der Schatzll“ staunen alle den Adam an. Aber — „Mein Briaf”, sagt er trotzig, sonst nichts. Der Feldwebel hebt zu suchen an, erst bei den Handgranaten hinten, dann bei der Leuchtspur- munition. Endlich findet er Ihn hinter den Kon- servenkisten, Der Schatzl, nackt wie im Paradies, springt aus der Schneeschüssel auf und nimmt den Brief mit beiden Händen. „Burgele, liabsl” haucht er, wie er den Umschlag sieht. Wie fein der Namen geschrieben ist, das Ignaz so schön und schöner noch das Schatzl. Der Feldwebel leuchtet mit der Korzen an dem Mannsbild auf und nieder. So einen verliebten Adam hat noch keiner nicht gesehen, in ganz Lappland nicht, Oh, nit lesen jetzt! So eine Freud muß der Soldat sich sparen. Den Brief in der Hand, drehn sie ihn in die Decken ein. Dann schlaft er zwölf Stund. — Am übernächsten Tag wie der Schatzl wieder vor dem Oberjäger steht, meldet er kurz, als wär es die einfachste Sache der Welt: „Jäger Schatz vom Postempfang zurück!” Hö, da schaut aber die ganze Feldwachl Dann kriecht der Schatzl hinauf auf seine Lieger- statt, tropft sich sein Wachskerzl an das Sims und hebt den Brief an zu lesen. Der Oberjäger und alle stehen dort und warten. Dreimal liest der Schatzl seinen Brief. „Dös mueß a Briaf sein’, meint einer, „den soll- ten mier aach z’ lesen krlagn!" „Her den Briafl" schreit der Oberjäger. Da wird der kleine Schatzl rot über und über, zögert eine Weile noch, dann langt erihm den Brief hin. Die ganze Feldwach sitzt da und loost, wie der Oberjäger zu lesen anhebt: „Lieber Ignazl Nun muß ich Dir schreiben, indem die Glückin doch zu kälbern gekom- men Ist, auf was wir schon so lang gewartet haben. Weißt wohl, wie Du sie im Urlaub selber zum Stier gebracht hast, Das war eine schöne Zeit noch. Der Bauer hat gemeint, daß es ein Kuhkalb wird, weil ihm das ge- lagener wär, Ist aber kein Kuhkalb geworden, wie es gekommen ist, sondern ein Stierkalb. Ist auch recht, hat der Bauer gesagt, man muß es heutlgentags nehmen, wie's kommt. Jetzt will er das Stierkalb doch zum Flei- scher bringen. Was sagst denn Du dazu, wo Du doch weißt, daß der Bauer viel auf Dich gibt und wir miteinand' versprochen sind. Wenn Du glaubst, daß wir das Stierkalb...” „Stierkalb, Kuehkalbl” flucht der Oberjäger, „und für das rennt so einer die halbe Tun- dra ausl” „Grad für das!” nickt der Schatzl ernst, n'=mt den Brief und schlieft wieder hinter die Prit- schen, „grad für dasl” Der Angler = Pescatore all’ amo (A, Paul Weber) MEERFAHRT DER SEELE Von Herbert Fritsche Kommt die Wolkenflut der Regenwochen Crau und rauschend übers Land gekrochen, Das noch einmalleuchten wollte wie die Herbstzeitlosenblüte, Werden alle Farben fortgewaschen: Nasser Netze endlos enge Maschen Sinken nieder und verwandeln unser Zimmer zur Kajüte, Die uns mahnt, uns früh zu Bett zu legen, Wenn die Winde um die Giebel fegen, Als verfinge sich ihr Heulen in dem Takelwerk der Masten — Und indem wir solcher Weise lauschen, Hören wir zugleich die Wasser rauschen: Dunkle Wogen,dieseitferner Schöpfungsfrüheniemalsrasten. Ausgesetzt auf hohem Meere schaukeln, Während Albatrose uns umgaukeln, Wir mit unserm Zimmer durch die uferlose Nacht der Fluten. Unbeirrt von jenen Finsternissen Schmiegen wir uns lesend in die Kissen Und entfachen alte Träume, die am Seelengrunde ruhten. Bücher, die wir fast vergessen haben, Atmen, endlich wieder ausgegraben, Ihren Duft des Abenteuers uns ins Herz wie vor Jahrzehnten. Fremde Küsten steigen aus der Brandung, Und wir wagen die erträumte Landung An den Strand, nach dessen Palmen wir uns schon als Knaben sehnten Unterdessen raunt und rauscht der Regen Monoton der Mitternacht entgegen, Traumumsungen taumelt unser Schiff im Wellengang der Stunden, Wale blasen ihren Dampf durchs Fenster, Geisterbarken, fahle Meergespenster Tauchen auf und sind alsbald ins Nebelreich zurückgeschwunden. Da auf einmal ist das Schiff im Sinken. Sollen wir uns wehren, zu ertrinken? Tief vertraut umrauscht uns Todessehnsucht mit des Regens Stimme. Heim zum Muttergrunde fährt das Leben. Schwarze Möwen, die im Nachtwind schweben, Spähen auf die Flut, ob irgendwo ein letzter Splitter schwimme... 539 Naturkunde - Storia naturale 0. Hogenbarth) „Sag' mal, Opa, warum atmen die Fische durch Klemen?" „Is doch klar, weil se mit den Dingern:sonst nischt machen können!“ Immi, nonno, perch& I pesci respirano con le branchie‘ "E evidente, perch@ non possono far altro con fall arnesi DER FAKIR VON KURT GROOS Ich war damals mit dem rotnasigen Sarghändler Pellbohm befreundet und traf mich mit Ihm des öfteren morgens in seinem Privatkontor, Eines Te,es, der großen Hitze wegen, saßen wir gerade bei einem Schwedenpunsch, kam ein etwas eigen- artiger Herr in das Kontor. Er verlangte einen Sarg nach Maß mit einer Scheintod-Aussteig- klappe zur Selbstbedienung und einer kleinen Hausbar Innen, Pellbohm rief den Chefkonstruk- teur, der die Wünsche des eigenartigen Herrn nctierte und dann den Preisanschlag machte, ein- mal die Aussteigklappe mit Handbedienung, ein- mal mit Akku, Der Herr bestellte die Ausführung mit Akku, und da es ein gutes Geschäft war, luden wir ihn zum Schwedenpunsch ein. Der Herr, ein gewisser Deffersen, verstand an- genehm zu plaudern und kam auch bald auf den Grund seiner Bestellung zu sprechen. Er ließ sich berufsmäßig einsargen, und zwar war er Faklr Im Tivoli, Die von der Konkurrenz gelieferten Särge hatten verschleder‘'ch geklemmt und ließen auch Gefährliche Symbiose Als Sent M'Ahesa, die stilstrenge ägyptische Tänzerin aus dem Baltikum. sich von der Tanz- bühne zurückzuziehen begann, eröffnete sie in Worpswede bei Bremen eine Kükenzucht. Sie sel sehr glücklich damit, sagte sie. Nicht lange danach begegnete sie mir in Bremen auf der Straße; sie sah sehr frisch und sehr städtisch aus. „Hallol” sagte ich. „Was macht Ihre Kükenfarm?” „Habe ich aufgegeben”, versetzte sie heiter. „Man wirrd den Tierren zu ähnlich.” . Karl Lerbs in der Inneneinrichtung zu wünschen übrig. Def- fersen lud uns ein, Ihn in acht Tagen im Tivoli zu besuchen. Am nächsten Tag erfuhren wir durch große Zei- tungsanzeigen, daß der Faklr Deffersen sich abends einzusärgen beabsichtigte, um dann acht Tage un- ter dauernder Kontrolle des Publikums ohne Luft und Nahrung in seinem Sarg auszuharren. Der Sarg wurde vor dem großen Musikpavillon des Tivoli in einem hermetisch abgeschlossenen Glasbehäl- ter zur Schau gestellt. Das war natürlich eine Sen- sation für die ganze Stadt. Am achten Tag sollte Deifersens Auferstehung sein, alles war auf den Beinen, selbstverständlich waren auch Pellbohm und ich zur Stelle. Um Mit- ternacht, der Stunde der Auferstehung, drückten die Neugierigen fast die Wände des riesigen Glasköfigs ein, in dem der Sarg stand, Die Kapelle intonlerte einen flotten Marsch, der plötzlich aus- setzte; ein unhelmlicher Gong ertönte — aber der Sarg öffnete sich leider nicht. Pellbohm lief rot an, auch Ich wurde unruhlg. Klemmte der Sarg? Aber da war doch die Akku-Aussteigklappe! Wes- halb bediente Deffersen sie nicht? Verteufelte Sachel Die Volksmasse murrte, einige verlangten das Eintrittsgeld zurück, andere riefen nach der Polizei. Die Kapelle versuchte krampfhaft, die Auf- erstehung durch Musik zu forcieren, sie spielte jetzt flotte Weisen aus der „Lustigen Witwe” —, aber auch das half nichts; Deffersen rührte sich nicht, der Sarg blieb stumm und unbeweglich wie ein Sarg. Die Angelegenheit wurde unheimlich und peinlich, vor allem stand auch der gute Ruf des Hauses Pellbohm auf dem Spiel — Pellbohm mußte ein- greifen, das war mir klar, Auch mein Freund sah 540 das ein; er handelte. Er schnitt mit seinem hasel- nußgroßen Diamanten, den er am kleinen Finger trug, ein Loch in die dicke Glaswand und stieg In den Behälter. Das Publikum hielt den Atem an, die Musik spielte ganz leise. Pellbohm näherte sich dem Sarg, drückte ein Astloch ein und rief dem Faklr etwas zu, das ich nicht verstand, Dann sah ich, wie Pellbohm direkt erleichtert aufatmete, in seine Hosentasche griff und einen kleinen Gegenstand herauszog; im gleichen Augenblick schnellte die Aussteigklappe hoch und Deffersens Hand kam wie eine Geisterhand zum Vorschein. Pellbohm reichte der Hand den kleinen Gegen- stand, den ich nicht erkannte, und die Luke schloß sich wieder. Jetzt schwieg die Musik ganz, auch das Publikum atmete nicht mehr. Pellbohm, dieser gerissene Geschäftsmann, trat vor das Loch in der Gläswand und hielt eine kleine Rede. „Meine verehrten Damen und Her- ren“, rief er, „es Ist Ihnen hinlänglich bekannt, daß unser lieber Fakir Deffersen mit dem Leben- ülgeinsargen von acht Tagen den Weltrekord hält. Die nächstbeste Leistung liegt bei fünfeinhalb Tagen. Deffersen will nun den eigenen Rekord brechen — er wird noch weltere acht Tage ohne Luft und Nahrung ausharren; wir stehen vor dem größten Rätsel und Wunder aller Zeitenl Wenn nun auch in erster Linie ein gewaltiges Phänomen an Willenskraft diesen ums Doppelte gesteigerten Weltrekord in unserer stolzen Stadt aufstellt, so darf Ich mir in aller Bescheidenheit wohl schmel- cheln, daß auch der von meiner Firma gelieferte Sarg wieder einmal den Werbeslogan meines Hauses ‚In Pellbohms Särgen ruht ‚man gern!’ er- härtet hatl” Das zufrieden murrende Publikum zerstreute sich, und auch Pellbohm und ich machten uns auf den Heimweg. „Das hätte eine verdammte Schwelnerel werden können, wenn ich nicht mein Taschenmesser zur Hand gehabt hätte”, sagte Pellbohm. Ich verstand ihn nich“, „Du w='"+ Inch”, erklärte mein Freund, „daß er sich eine Hausbar einbauen ließ. Als er die Hälfte der Flaschen geleert hatte, brach sein Korkzieher ab, und durch das Astloch hörte ich, daß er randalleren wollte und sich konstant wei- gerte, den Sarg vor dem leeren der restlichen 16 Flaschen zu verlassen — da reichte ich ihm mein Mosser mit dem Korkzleher und rettete da- durch die ganze Situation!” „Donnerwetter”, sagte ich, „er ist ein guter Faklrt” „Das ja“, gab der rotnasige Pellbohm zu, „aber ein schlechter Trinker; denn mit den 16 Flaschen hätte er bestimmt in fünf Tagen fertig sein können!” Bekenntnis eines Kriechers „Freunde, ich bin eine Hundesecle. Den ich angekläfft habe, den Mann, dem ich wütend mollte an Wade und Kehle, meil ich ihn einmal nicht riedıen kann, habe ich, als er mir einen Bissen zumarf und freundlic. geöffnet die Faust, mit unbeschwertem Hundegemissen beliebäugelt und scuwanzwedelnd umsaust. Als er mir später aufs Pfötchen gelreten, hab ich gequietscht wie ein rostiges Rad; dodı habe idı schwänzelnd Verzeihung erbeten, da ich im Weg mar, als er midı frat, Ich kusche und lege gehorsamst mich nieder, wenn er, mein Gebicler, es so bestimmt. Auf alle Menschen, die ihm zuroider, bin ich neuerdings gleichfalls ergrimmt. Seit er midı füttert, der einst Verhaßte, bin icı ein Freund ihm, der ihn umspringt - = Der kann mich selbst schlagen, wie es ihm paßte, der ab und zu einen Knochen mir bringt“ WILLY PAETSCH Nach dem Siegesrausch (Wiihelm Schulz) „Ich finde, daß man auf den italienischen Weln einen fürchterlichen Katzenjammer bekommt!‘ Dopo l’ ebbrezza della vittoria: “Trovo che col vino Itallano sl pud prendere una terribile sbornlal,, 541 Der Besuch 2. Ko Halilgenslaedt) „Du machst dir immer solche Umstände für die paar Minuten, die ich mit Anstand bei dir sein kann!“ — „Für die Minuten mache ich ja keine Umstände!" La visita: „Fai sempre tante cerimonie per quel pochi minuti ch’ io posso passare contegnosamente presso di tel, — “Ma per questi minuti lo non faccio pol cerimonle di sortal,, 542 DAS TRAUM-MIKROPHON Frau Aspasia Tippemann hatte die üble Gewohn- heit im Schlafe zu reden. Das war sehr unange- nehm für ihren Mann, denn durch Ihre nächtlichen Plaudereien erwachte er und konnte dann nicht wieder einschlafen. Die Träume, die Frau Tippe- mann hatte, müssen sehr amüsant gewesen sein, denn oft lachte sie laut Im Schlaf. Das ärgerte Dr. Tippemann, weil er sich nicht mit darüber amüsieren konnte, Ab und zu versuchte er mitzu- lachen, um die Zelt zu vertreiben, aber Spaß machte es ihm gar nicht. Eines Nachts nahm die Sache aber eine ernste Wendung, und es war Schluß mit dem nächtlichen Haha, Plötzlich hörte Tippemann seine Frau einen Namen nennen, den Namen eines ihm unbekann- ten Mannes. „Oh Peterchen”, flüsterte sie und seufzte tlef, „mein süßes Schneckerle”. Was ist denn das? dachte Dr. Tippemann und guckte erstaunt seine Frau an. Er war aber eine sehr ruhlge und nüchterne Natur, übereilte nie etwas und kam daher nach einigem Überlegen zu dem Resultat, daß dieser Peterchen gar nicht ein Mann war, sondern ein Hund oder ein Papagel. Daß Aspasia ihn wirklich betrügen könnte, war unmöglich! Die nächste Nacht aber brachte die Aufklärung, denn seine Frau drückte sich ein bißchen deut- licher aus. Eine Stunde wohl hatte Frau Aspasia geschlafen, während Dr. Tippemann still lag und lauschte, als sie plötzlich, einen tiefen, zwei Meter langen sehnsuchtsvollen Seufzer ausstleß und da- zu noch ein paar Worte hinatmete: „Peterchen, gib mir einen Kuß. Süßer kleiner Schneckelemann!” Dann lächelte sie geheimnisvoll und fügte hinzu: ‚Was glaubst du wohl, was Lilly sagen würde, wenn sie von uns wüßte?” Für Dr. Tippemann war es jetzt klar, daß es sich hier nicht um einen Hund oder einen Papagei, sondern um einen Mann handelte, denn einen PEITSCHENKNALLEN VonPeter Scher Ein Stock mit einer Schnur daran wird über Pferd und Ochs geschwungen und auf dem Leiterwagen steht ein Mann der selig lächelt, wenn es ihm gelungen und stolz ist, daß ein Echo knattert noch lauter als der Wagen rattert. Ein großer Knabe, fühlt der Mann, daß er es wie ein Künstler kann, der Geige meistert oder Flügel: in/einer Handlhältier die Zügel und mit der andern musiziert er; in unserm Dorf ist einer Vierter und ist schon darum leicht gebläht: man möchte wissen, was er tät, wär er der Zweite oder Erste. Der Wagen schwankt mit Korn und Ge: ste, bisweilen trägt er wohl auch Holz VON ERIK STOCKMARR Hund tituliert man doch nicht als „kleinen süßen Schneckelemann”. Einen Papagei ebensowenig. Man fragt auch nicht einen Hund, was Lilly wohl sagen würde, wenn sie etwas davon wüßte. Einen Papagei auch nicht. Wie schon gesagt, Dr. Tippemann war ein Mann, der sich nie über- eilte, und er sah sofort ein, daß es keinen Zweck hätte, wenn er jetzt seiner Frau eine Kristallvase an der Kopf knallte, Ganz abgesehen von dem hohen Preis für Kristallvasen heutzutage wäre dies eine schlechte Methode, denn Frauen verstehen es immer, „Erklärungen“ zu erfinden, Vielleicht wollte sie ihre Worte sogar bestreiten und sagen, daß er geträumt hätte? Nein man muß ganz an- ders schlau sein. Zum Glück fand Dr. Tippemann schnell einen raffinierten Ausweg. Er lächelte listig. Ja, schlau wär er, schlauer als alle Frauen und Füchse in der Welt zusammen. Das war wirklich eine großartige Idee. Vor einiger Zeit hatte er in einer Zeitung gelesen, daß ein genialer Appa- tat erfunden war — das sogenannte Traum-Mikro- phon. Das war ein kleiner ganz lautlos arbeitender Kerl, den man unterm Bett anbrachte, und dort lag er und lauschte die ganze Nacht. Das Mikrophon war mit einem Grammophon-Aufnahmeapparat ver- bunden, der auch ganz lautlos arbeitete, und alles was man im Schlafe sagte, wurde dann auf einer Platte aufgenommen, Die Platte legte man nachher In seinen Grammophon, und damit war die Sache in Ordnung: jedes Wort das gesagt, oder gar ge- flüstert wurde, klang dann in den Äther hinaus! Dr. Tippemann kaufte sich also am nächsten Tag ein Traum-Mikrophon, um auf diese Weise nach einem dramatischen Coup seine Frau mit der Wahrheit: Auge in Auge ge: überzustellen. Wenn sie ihre eigenen Worte hörte, würde sie zusammenklappen und ihn um Verzeihung bitten. So müssen Frauen behandelt werden! Fest und hart! Nachher wollte er dann Aspasla ruhig an- hören, wenn sie ihn, auf den Knien liegend, um Gnade anflehte, und sich dann die Sache über- legen, Und darauf natürlich Peterchen den Hals umdrehen. Dr. Tippemann installierte das Traum- Mikrophon unterm Bett, wo es mucksmäuschenstill lag, um jedes Wort in der nächtlichen Stille auf- zuschnappen. Frau Tippemann schlief schnell ein, während Ihr Mann ganz still im Bett lag und aufmerksam lauschte. Alles verlief programmäßig. Nach einer Welle begann seine Frau über ihren geliebten kleinen süßen Schneckelepeterchenmann zu reden. Dr. Tippemann freute sich riesig über seine raffi- nierte List. Wie dumm waren die Frauen doch! Lange lag er wach und lauschte, dann schlief er endlich ein. Erst als die Morgensonne ins Zimmer hereindrängte, wachte er auf. Den nächsten Tag ging Dr. Tippemann wie ge- wöhnlich in sein Büro, nachdem er die Grämmo- phonplatte zuerst in seinem Schrank versteckt hatte. Erst am Abend wollte er seinen genlalen Schlag führen. Als er aus seinem Büro nach Hause kam, setzte er sich, wie gewöhnlich nach dem Mittagessen, in den großen Lehnstuhl im Wohn- zimmer. Frau Tippemann setzte sich auf die Couch und. zündete eine Zigarette an. Dr. Tippemann erhob sich nun und nahm die Grammophonplatte aus dem Schrank. „Eine wunderbare Platte habe ich heute ge- kauft”, sagte er lächelnd. „Willst du sie hören?” „Aber natürlich. Wie heißt sie?” „Ich liebe dich, Peterchen!” Er legte vorsichtig die Platte auf die Grammo- phonscheibe und setzte sich behaglich zurecht. Zuerst war nichts anders zu hören als ein ein- Nacht. Dann plötzlich ertönte die verliebte Stimme von Frau Tippemann. Ein tiefer Seufzer — dann flüsterte sle: „Gib mir einen Kuß, Peterchen. Mein Herz brennt vor Sehnsucht, kleiner süßer Schneckelemann." Dr. Tippemann saß ganz still und lauschte, ebenso wie selne Frau, die ein bißchen blaß aussah. Er lächelte teuflisch. Dann hörte man das tiefe Schnar- chen des Herm Tippemann, und darauf wieder den eintönigen Laut, die schöne, friedliche Stille der Nacht. Jetzt geschah aber etwas Unerwartetes Plötzlich erklang die Stimme von Dr. Tippemann aus dem Grammophon: „Oh, Fräulein Mary, wie sind Sie doch entzük- kendl Ich liebe Sie, ich könnte für Sie sterben.” Dann ein tiefer Seufzer aus Dr. Tippemanns Brust, und dann noch einmal seine verliebte Stimme: „Oh, Fräulein Petra. Sie sind so schön wie eine Rose im August. Ich llebe Sie...” Wie eine Gazelle sprang Dr. Tippemann auf, um die Unterhaltung abzubrechen, Gott im Himmel, er hatte selbst im Schlafe geredet! Gerade be- vor er die Platte wögschnappte, hörte man die Worte: „Oh, Fräulein Inge, lassen Sie mich inen Kuß von Ihren Lippen pflücken! Ich könnte für Sie sterben!“ Dann war es Schluß mit der Grammophonunter- haltung. „Hm", sagte Dr. Tippemann, „das Ist eine ganz ömüsante Platte, nicht wahr?” „Sehr amüsant”, erwiderte seine Frau und zer- schmetterte die kostbare Kristallvase am armen Kopf Ihres Mannes. (Übersetzung aus dem Dänischen von E. S.) LIEBER SIMPLICISSIMUS (0, Nücket) In einer Gesellschaft, der auch Bobby beiwohnte, äußerte Jemand: „Das Geheimnis eines langen Lebens besteht darin, täglich etwas Knoblauch zu essen!" Worauf Bobby meinte: „Ja, aber wie macht man es nur, daß die anderen das Geheimnis nicht erfahren!" FH. * Auch Pimpfe sind Jungen und manchmal zu Jungenstreichen aufgelegt, Vor kurzem gingen einige vom Schulungsabend durch unsere Sied- lung nach Hause und drückten so im Vorbeigehen auf die elektrischen Klingeln an den Gartentüren, Sie erinnern sich doch noch dieses Scherzes aus ihrer Jugendzeit? Das Ist Immer so ulkig, wenn die Leute die Köpfe aus den Fenstern stecken und in die Dunkelhelt fragen. Diesmal gab's eine Panne. Ein Siedler war flinker, erwischte den letz- ten Pimpf und gab ihm rabiat und humorlos eine Ohrfeige. Der Junge war maßlos erstaunt und brachte erst nach geraumer Zeit die Worte her- aus: „Ouh, g’schlong! In Uniform! Des wenn ich und wie gesagt: Musik und Stolz. tönlger Laut, die schöne, friedliche Stille der meld'I“ 6.M vorlag und Druck: Knert & Hirth Kommandligen Inge: ae 88 (Formuf 1256). Brimfanschrift: Münch jeltach, Verantworti. Schriftlelter: Walter Foltzick, Münche: ‚heint wöchentlich einmal. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- anstellen ontgegen. — Bazugsp Einzeinum: n — Unverlang! Einsendungen w. druck verboten — Posischeck konio München 5920. Erfüllungsorl Müncher 'n nur zurückgesändt, wenn Porto balliegl. — Am Kremi-Kammerfenster ‚„Geh mach dei Fensterl auf, ich wart’ schon so lang drauf, ein einzigs Wörter| sprich doch nur, dann laß ich wieder dir dei Ruh!“ Corteggiamento sotto la finestrella del Cremlino: 'Evvia, apri la finestrella; aspetto giä da tanto tempo! Dimmi una parolina soltanto e poi ti lascio di nuovo in pacel'* 544 (@rich Schilling) München, 20. Oktober 1943 48. Jahrgang / Nummer 42 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Das italienische Menu nn (Erich Schilling) „Kellner, der Braten ist zu blutig!" — „Aber echt englisch, Sir!‘ Il menu italiano: '"Cameriere, I" arrosto & troppo sanguinante!,, — “Ma ... proprio all’ inglese, Sire!,, Das weltferne Dorf - 3 gl ER N Das Überflüssige Von Walter Foltzick Manchmal denke ich, man sollte sich doch vom Überflüssigen trennen. Wenn ich das so einige Zeit gedacht habe, gehe ich dem Problem syste- matisch zu Leibe, Da muß zuerst einmal das Überflüssige vom Flüssigen unterschieden wer- Gefahr Finger am Abzugbügel, Blick, Sinn und Läufe klar. Zum Sprung geduckte Hügel. Wir fahren durch Gefahr, Verftrolchte Sträucher kauern Am Sumpf und Augen her; Hinter ihnen lauern Werfer und Gewehr. Im Graben blanke Gerippe, Noch vom vorigen Jahr. Preßt fish jedem die Lippe. Wir fahren durch Gefahr, Und fpüren doch Im’ Grunde Ein Freuen, heiß und rot, Und freu'n uns der Schunde Zwifchen Tod und Tod. Wilhelm Pleyer ES Il villaggio segregato dal mondo It KIN V den. Zu diesem gehört doch wohl der Tisch, der Stuhl, der Schrank, das Bett, der Anzug, die Unterhose, Strümpfe, Zahnbürste. Schön, da bin ich mit mir ganz einer Meinung. Das sind- alles notwendige, aufhebenswerte Gegenstände, Bei den Büchern sind wir schon nicht so gleicher. Meinung. Da sind zum Beispiel Lessings Ge- sammelte Werke. Seit zwanzig Jahren habe Ich nicht mehr hineingesehen, aber ich bin natürlich als gebildeter Mensch fest davon überzeugt, daß Lessing nicht überflüssig Ist. Was tue ich? Ich be- ‚ginne im Lessing zu lesen. Im Lessing lesen nimmt viel Zeit fort, wertvolle Zeit. Erfolg: Lessing bleibt, kommt in die Abteilung „Wertvolles Bergungs- gut’. Der Teufel soll mich holen, wenn ich die nächsten zwanzig Jahre nicht hineinschaue, So ging ich meine Bücher durch, Stück für Stück. Ich habe selten soviel hintereinander gelesen. Als ich an einen Fahrplan kam, einen aus dem Jahre 1925 und auch den noch interessant fand wegen der vielen schönen Zugverbindungen, da faßte ich mir endlich ein Herz und erklärte ihn trotzdem für entbehrlich. Vielleicht werde Ich ge- rade den einmal vermissen, wenn mich die Lust überkommt, in ihm wie in einem Märchenbuch zu lesen. Also so ging's mir mit den Büchern, Die Bilder kamen dran. Ich weiß, auch Sie haben Bilder an den Wänden, die Sie jahrelang nicht ansehen. Und man sollte meinen, was man jahrelang nicht anschaut, könnte man doch leicht entbehren. Aber jetzt kommt der Moment, wo man sie bergungs- halber genauer anschaut. Ich sage Ihnen, das sollte man nicht tun, denn dann erwacht plötzlich irgend eine alte Liebe und man entdeckt, daß die Bilder ansehenswert sind. Natürlich, ich kann ohne das Stück Glimmer- 546 (Fr Bllok) schiefer welierleben, das ich einmal vom Brenner- paß mitnahm, aber ohne Lessing ja auch und ohne den hübschen chinesischen Holzschnitt an meiner Wand ebenso. Zum Donnerwetter, was Ist denn nun eigentlich in Sicherheit zu bringen, Ja, den kleinen Glimmerschlefer könnte ich in die Tasche stecken, nicht wahr, und die Photographie von Ringelnatz und den Distelkopf aus den amerl- kanischen Pampas und das Fläschelchen Rosenöl aus Bulgarien. Schockschwere Not, ich weiß nicht mehr was flüssig und was überflüssig ist; denn Jetzt fällt mir mein Impfschein in die Hände und mein Zeugnis als Freischwimmer. Wenn’s so weiter geht, wird das Schicksal schon persönlich ent- scheiden müssen, was überbleiben soll. Denen Mondlüchtlingen Der Vollmond pflegt euch aufzublähen, meshalb ihr ihm denn unvermeilt ‚In Jamben oder auch Trochäen das Imprimatur zuerteilt; Laßt doch dies blöde Verfefchmieren und plärrt das Publikum nicht doof. Wozu dem alten Kerl hofieren? Er macht fchon felber fish den Hof vermittels einer Aureole von ganz immenfem Radius, mwovor fich euer Schmachtgejohle zutiefft befchämt verkriechen muß. Ratatöohr Kunstaufkauf in Italien „Davon gibt es nur ein Stück!“ — „Lächerlich — bei uns in USA. wäre so etwas in Serienfabrikation hergestellt worden!‘ Acquisto d’arte all’ingrosso in Italia: "Non c’ & che questo solo esemplare!,, “Comico davvero! Da noi negli Stati Uniti un tale oggetto sarebbe stato confecionato a serie!,, 547 Im britischen Kindergarten nein) = OAaF Avınnansfan 43 „Warum heulst du denn schon wieder, Haile?“ — „Der Viktor Emanuel will .mich nicht den Kaiser von Abessinien spielen lassen, er sagt immer, er sei der Kaiser!" Nel Giardino d’Infanzia britannico: Ma perch& mai urli di nuovo, Haile?,, — "Vittorio Emanuele non vuole lasciarmi far la parte d’Imperatore d’ Abissinia; egli dice sempre che & lui I’Imperatore!,, 548 GRÜNER HUND MIT SCHWARZEM HUT Gestern hatte ich ein denkwürdiges Erlebnis, Spazierte ich da nichtsahnend die Straße entlang, als plötzlich ein kleiner, dicker Mann In brauner Joppe dahergelaufen kam. „Verzeihung, mein Herr, ist Ihnen nicht ein grüner Hund mit schwarzem Hut begegnet?“ keuchte er erregt. „Ein grüner Hund mit schwarzem Hut???" „Wollte natürlich sagen: ein schwarzer Hund mit grünem... Nein, eine grüne Dame mit... Nein, Ich meine, ob Ihnen eine Dame mit grünem Hut begeg- net ist? Der ist nämlich der Hund hier entlaufen.” Ich blickte zu Boden. Doch einen Hund konnte ich beim besten Willen nicht entdecken, so sehr ich meine Augen auch anstrengte. Aber der kleine Dicke wies mit wortloser Gebärde hinab auf das leere Ende der Hundeleine, stieß einen kurzen Pfitt durch die Zähne und verschwand mit Windes- eile um die Straßenecke. — — Ich stand da und starrte hinter ihm drein, Doch gleich darauf kam aus dem Tor des gegenüber- liegenden Hauses ein kleiner schwarzer Hund zum Vorschein. Er trottete auf mich zu, Was sollte ich tun? Ich machte kehrt und rannte dem Monne in der braunen Joppe nach. Und tat es mit einer solchen Eile, daß ich darüber vergaß, den Hund mitzunehmen Ich rief daher einem langen dürren Herm in grauem Uster, der zufällig des Weges kam, von weitem zu: „Bitte, Herr, passen Sie doch einen Augenblick auf den Hund dort aufl” Und lief weiter, Nirgends aber vermochte Ich be- sagten kleinen Herm In brauner Joppe zu ent- decken. Statt dessen Jedoch begegnete mir ein Polizist, der mich ob meines sonderbaren Beneh- mens und meiner roten Krawatte argwöhnisch be- trachtete. „Ein Herr sucht nach Ihnen” sprach er mich schließlich an. „So? So—-so“, entgegnete Ich. „Hoffentlich nicht Jemand von der Kriminalpolizei? Wie sieht denn der Mann aus? Braun, grau, schwarz oder grün?” „Der Herr Ist grau gekleidet.” w»-.Und er hat einen Hund bei schwarzen Hund mit grünem, nen ——" Doch da erschien der Herr im grauen Ulster be- reits persönlich auf der Bildfläche. „Was für einen Hund?” brummte er ärgerlich und wandte sich an den Polizisten. „Sagen Sie einmal, Herr Schutzmann, dürfen Sie auch überge- schnappte Personen festnehmen?” „Ja, das kommt ganz und jeweils auf den Fall an. Sofern betreffende Person unter der Einwirkung des Alkohols steht..." „Diese Entscheidung steht bei Ihnen, Herr Wacht- meister‘, fiel ihm der Herr im grauen Uister Ins Wort und zeigte hohnlächelnd auf mich. „Dieser Mann da kommt In wilder Hatz dahergelaufen, rennt mich fast über den Haufen und fordert mich auf, auf einen Hund aufzupassen, der gar nicht da Ist” Der Schutzmann nahm mich erneut in Augenschein Da tauchte zu melnem Glück hinter einer Litfaß- säule der kleine schwarze ‚Hund wieder auf. Und näherte sich dem Polizeibeamten und ‚beschnüf- felte Ihn. Der Beweis meiner Zurechnungsfählgkeit wor erbracht. Erregt rlef Ich aus: „Halte ihn! So haltet ihn doch!” Aber der Herr im grauen Ulster hatte anscheinend noch immer nicht begriffen. „Um was dreht es sich denn hier eigentlich?" „Um einen Hund, mein Herr, um einen kleinen grüner Hund mit brauner Joppe... Quatsch...“ Auch Ich war jetzt ganz verwirrt. Ich griff erregt mit den Händen durch die Luft. „Eine verteufelt verzwickte Angelegenheit! Taucht da plötzlich ein Polizist auf, der, von einem graugekleideten Herrn aufgefordert, einen Mann mit rotem Schlips sucht, der wieder einen Mann in brauner Joppe sucht, der seinerseits nach einer Dame mit grünem Hut fahndet, die einem schwarzen Hund nachjagt. Su- chen und jagen wir also jetzt gemeinsam nach der Dame mit dem grünen Hutl” sich? Einen Nein einen grü- VON KNUT OVING Und über meinen erregten Reden kam mir ein neuer Einfall. Ich bückte mich und untersuchte das Halsband des Hundes. Doch darauf stand nur dei Name des Hundes, nicht aber der seines Besitzers Also wieder nichts. Die anderen standen und grinsten, „Kehren wir also zu dem Haus zurück, aus dem der Hund vorhin zum Vorschein kam!” schlug ich vor. Wir begaben uns dorthin. Ich nahm den Hund auf den Arm, Und richtig, dort stand der kleine Dickel Ich überreichte ihm den Hund und sagte nicht eben freundlich:. „Hier haben Sie Ihren Köter wieder.” Der kleine Dicke aber setzte ohne Dank das Tier zu Boden undrief erregt: „Da— dort hinten geht siel” Revue - Rivista Am anderen Ende der Straße tauchte eine Dame mit grünem Hut auf. Der kleine Dicke In der brau nen Joppe und der lange Dürre Im grauen Ulster liefen Ihr nach, Der Hund aber hatte die Gelegen heit benutzt, erneut das Welte zu suchen, Und so strebten der Polizist und ich wiederum ihm nach. Nach einer Weile trafen wir alle vor einem Brief- kasten zusammen. Und die Dame mit dem grünen Hut dankte uns Männern auf das herzlichste. „Aber nun”, schloß sie ihre Rede, „müssen wir die Besitzerin des Hundes ausfindig machen, Vielleicht hat einer der Herren sie vorhin gesehen — eine Dame mit schwarzem Pelz und gelbem Sonnen- schirm ...” (Aus dem Schwedischen von Werner Rietig.) (Hanna Nagel) „Meine Gage entspricht nur meiner Stimme — der Wert meiner Beine für die Tageskasse läßt sich ja ziffernmäßig gar nicht ausdrücken!" “La mia paga corrisponde soltanto alla mia voce ... ma Il volore delle mie gambe per la cassa della glornata non Io si puö esprimere affatto a cifrel,, 549 Im Liebesrausch‘- Nell' ebbrezza dell’ amore Pay _ h; NETTER | (Magon} j FAN Ne „Sei mein, Gertraude, sei mein!" „Ach nee, du, mach’ erst mal ‚bitte, bitte!" "Sii mia, Gertrude, sil mial, — "Ah sl!? ... Ma prima pregami a manl gluntel,, ERSTE LIEBE VON A. WISBECK Die Mizzi war Wassermädel in einem Münchener Caf6. Ein Wassermädel hat wohl die Gäste mit Trinkwasser zu bedienen, meint Ihr. Allerdings gehört dies zu seinen Obliegenheiten, doch Ist es nur der geringe Teil eines mühevollen Tagewerkes. Denn da heißt es, die naschhaften Fliegen vom Gebäck zu wedeln, hier ist ein Milchtröpflein von der Tischplatte zu wischen, dort eine alte Dame in den Mantel zu verpacken, ist der knur- tige Herr auf Servis 7 mit seiner Lieblingszeitung zu versehen, sind Teller, Tassen und Geschirr zu bergen — immer Ist es.auf seinen ausgelaufenen Schuhen unterwegs, das Wassermädel, und immer träumt es vom großen, aus den Wolken fallenden Glück. Von der Liebe, versteht sich, jener Liebe, die Im Kino unter schmelzenden Klängen das er- wartungsvolle Herzchen erschauern läßt. Was ist liebe? Liebe Ist so: Du gehst unter dem mond- beglänzten Baldachin blühender Bäume dahin und denkst an nichts. Da gesellt sich ein Junger Mann zu dir. Schön ist er, froh und stark, ein Strahlen geht von seinen großen Augen aus, das dein Herz versengt. Zart legt er seinen Arm um deine Schul- ter, flüstert heiße Worte in dein Ohr. Schwäne gleiten auf silberner Bahn zwischen wogenden Wasserrosen dahin, im Fliederbusch flötet die Nachtigall. „Ich lebe dich!” sagt der junge Mann, und während ein Regen von Blüten über euch herniederrieselt, sucht sein Mund deino Lippen, reißt er dich an seine Brust. — Siehst du, Mizzi, das ist die wahre Liebe, und die hand- festen Tätscheleien der alten Stammtischler, die mehr als Reflexbewegungen, denn Äußerungen des Herzens zu gelten hatten, konnten keinen Er- satz dafür bieten. Ach ja, von jenem Filmhelden geliebt zu werden, der zwischen Nachtigallen, Schwänen und Flie- derbüschen so herrlich zu küssen verstand, das mußte der Himmel auf Erden sein! Wie mochte er wohl leben? Was mochte er essen, wie mochte er schlafen? Nun, das Meß sich leicht erraten Er nährte sich von Erdbeeren mit Schlagobers und schlief, vom rosigen Schein einer Ampel umflos- sen, in einer Muschel, die an seidenen Bändern von der Decke hing. Dreimal täglich badete er in Kölnischem Wasser, seine Unterhosen bestanden aus weißem Flor, der mit Vergißmeinnichtblüm- lein bestickt war, Von ihm wollte man geliebt sein, zart und feurig zugleich, ihm wollte man alles bedenkenlos geben, was ein Mädchen zu verschenken hatte. — Eines Abends betritt ein Herr das Cafe, der Mizzi bekannt zu sein scheint. Wer war es nur? Der Mann, bei dem man den Pfeflerminztee gekauft hatte? Der Schalterbeamte? Er steht im mittleren Alter und ist etwas dicklich. Seine Nase ist zu breit, die Augen sind zu klein geraten Mißlaunig läßt er sich auf einem der verschosse- nen Plüsch-Sofas nieder, bestellt eine Tasse Kaffee und ein Stück Kösekuchen. Dann zieht er eine Brille aus der Tasche und beginnt eine Zei- tung zu lesen. — Aber zum Donnerwelter, wo bleibt das Wasser? Und da lümmelt nun so ein faules Wassermädel in der Ecke und glotzt! — Konnte es aber auch verwundern, wenn Mizzi’s Augen starr wurden? Denn war dies nicht die Stimme des Jungen, schönen, frohgemuten Man- nes, des schimmernden Helden heißer Träume? Aufmerksam verfolgt Mizzi das Spiel der Lippen, hinter denen ein halbzersplitterter Schneidezahn sichtbar wird. Trotz allem — es bestand kein Zweifel mehr: der Mann war es! Nun setzt sich eine rundliche Dame neben den Herrn, „Hast du die Kinderchen zu Bett gebracht?” frägt dieser. „Ja“, antwortet die Frau, „sie liegen schon: Elsbeth hat noch fünfmal auf das Töpfle gemußt, aber am Ende war es nur mahr wenig.” „Viel oder wenig“, knurrt der Herr, „auf die Qualität, nicht auf die Quantität kommt es an, wie Immer und überall im Leben. Aber du bist ja so gescheit! Wie kann man Kindern als Abend- essen Gurkensalat vorsetzen? Ich selbst habe kürzlich nach diesem unverdaulichen Fraß — — na ja.” — „Und dafür habe ich dir heute sachs Paar Socken gestopftl” wimmert die Dame. „Nie mehr flicke ich dir eine Unterhosel” — „Zahlen!" schreit der Mann wütend. „Zahlen — Was — fünfzig Pfennige soll diese Illusion eines Käse- kuchens kosten? Es war Pappendeckel mit Flie- genleim bestrichen. Auf Wiedersehen In hundert Jahren!” An diesem Abend zerbrach Mizzi zum erstenmal ein Trinkglas, bediente den Bürstenfabrikanten Rothnagel mit einer falschen Zeitung und vergaß es, die Frau Geheimrat Hagedorn In den Mantel zu stülpen. DER ABEND. Alles war ausgegeben an Licht, als der Abend kam und die Erde nahm, fast als wär sie geschenkt. Da bedeckte sich dicht der Himmel mit Trauer und Scıam. Der Wucherer aber dunkelen Sinns hob den Mond übers schweigende Land und besahı sidı die Fülle seines Gewinns. 550 Da mar ein Gebirg, an ein Flußtal gestellt, ein See, der inmitten der Ebene stand, eine Ortschaft an seinem südlichen Strand, Das schien ihm erklecklicher Zins. Er legte sicı alle Gestirne an und funkelte über den Himmel hinweg und prunkte: was alles er schon gewann, und lächelte fahl, als im dunklen Versteck eine Nachtigall leise zu klagen begann. K. M. Schiller Rationierung (R. Kriesch) Zi Yf „Weißt du, die Männer sind’s halt von der Raucherkarte so gewöhnt — immer wollen sie mit den Punkten vorgreifen!" Razionamento: “Eh sai, gli vomini sono ormal cosi abituati colla carta dei fumatori .... vogliono sempre |’ anticipo dei puntil,, 551 Avanti Savoia! (Erik) = "E [&e erh „Nun vorwärts für die Dynastie — gegen Italien!" ‚Avanti Savoia! '"Orsö, avanti per la dinastia ... contro I’ Italial, 552 DER ALTE ANZUG VON BRUNO Herr Gahl nahm den grauen Anzug aus dem Klei- derschrank und hängte ihn über das Notenpult. Der Augenblick war ernst. Denn es handelte sich um Sein oder Nichtsein eines treuen, erprobten Lebensgefährten. Mit bekümmertem Blick folgte er den Spuren der männeranzügemordenden Zeit und seufzte. Der graue Anzug war der letzte aus einer einst stattlichen Reihe von Friedensanzügen. Er war im Jahre 1910 bei Meister Naprawnik In der Bräunerstraße geboren worden. Er war das beste Werk dieses begabten Schneiders und der Stolz seines Trägers gewesen. Er hatte noch jetzt — man schrieb das Jahr 1929 — den damals so gesuchten Vorkriegscharakter. Er war nicht so wie die Anzüge aus den sieben mageren Jahren 1915 bis 1922. Qualität, ruhige Linie, sanfter Schwung der Taille und edler Fall der Hose, dies alles hatte er gehabt und hatle es noch, wenngleich nur dem liebevollen Auge des Kenners fühlbar. Was jetzt auf dem Notenpult hing, waren keine lebensfrischen Formen mehr, hier hing ein müder Greis, nicht ohne leise Faserung des Kragens und der Ärmelränder, mit ausgebohrten Knien. Rund- liche Flecke längst vergessener Bratensäfte zier- ten seine Brust wie Medaillen langen, verdienst- vollen Wirkens. Die Rückseite der Hose spiegelte im wörtlichen Sinn die fleißige amtliche Arbeit ihres Trägers In den letzten achtzehn Jahren wieder. Melancholisch betrachtete Herr Gahl den alten Freund. Was tun? ‘ Er hatte Ihn geliebt, den grauen Anzug. Sie hat- ten manches Jahr einer Zeit zusammen verbracht, die ihm zwar keine großen Erfolge gebracht hatte, aber schön war. Und mancher damals noch un- beschnittene Mädchenkopf hatte sich vertrauens- voll an den Busen dieses Rockes geschmiegt. Und auch er, der alte treue Freund, schien mit dem verborgenen geistigen Auge der Dinge den Blick des Herr zu erwidern, Es tat ihm weh, sei- nen Posten zu verlassen. Er fühlte sich noch rüstig und dauerhaft, Noch hatte er kein wesentliches Loch, der Stoff hielt in alter Festigkeit und die Nähte erfüllten unentwegt ihre Pflicht. Die Hose warf sich förmlich in die Brust wie ein zu pensio- nierender Beamter vor dem Chef: „Oh, ich bin kerngesund, nur ein wenig verkalkt. Ich kann noch lange dienen.” Dies rührte Herrn Gahl und er beschloß, den An- zug wenden zu lassen, Er trug ihn zu Herm Na- prawnik in die Bräunersträße. Dieser besah und betastete ihn aufmerksam und liebevoll. „Ein gu- ter Anzug”, fügte er seufzend hinzu. Dann er- klärte er sich mit der vorgeschlagenen Wendung einverstanden. Vierzehn Tage später erhielt Herr Gahl den An- zug und begrüßte ihn freudig überrascht, wie etwa der Gatte die langjährige Gattin begrüßt, die verjüngt aus dem Sanatorium heimkehrt. Er war wieder schön, fast wie neu. Die Spiegel- flächen der Ellenbogen und des Hosenbodens waren verschwunden, die zerfaserten Ränder sahen aus wie frisch rasiert, und die Flecke sa- Ben innen, unsichtbar wie jene, die der Mensch an seiner Seele trägt. Die Brusttasche freilich, die saß nun rechts, Es war ein herzliches Wiedersehen, In den Ärmeln lagen sich beide und weinten vor Schmerz und Freude. Doch die bekannte Tatsache, daß die Wirkungen der Verjüngung nur eine begrenzte Zeit zu dauern pflegen, zeigte sich leider auch hier. In den ersten Monaten benahm sich der Anzug stramm und prächtig, aber bald bildeten sich Falten, fadenscheinige Stellen und er zeigte eine bedenkliche Neigung zur Zerfaserung. Er WOLFGANG bekam wieder greisenhafte Züge, aus dem Jun- gen wurde ein Pensionierter, zwar vornehm, aber alt. Und abermals hing der Bedauernswerte zur Mu- sterung auf dem Geigenpult. Er ahnte nichts Gu- tes. Das Herz sank ihm in die nunmehr wieder spiegelnde Hose, aber dennoch hoffte er noch immer auf einen Tauglichkeitsbefund. Lange und schmerzlich betrachtete ihn Herr Gahl. Gedanken an Tod und Verwesung umflatterten sein Herz wie Raben das Hochgericht. Er erwog und prüfte alles. Doch dann gelangte er zu dem schweren Ent- schluß: Nein! Er beschloß, sich von seinem treuen Lebensgefähr- ten endgültig zu trennen, und ließ sogleich, um jeder Anwandlung von Schwäche vorzubeugen, den rühmlich bekannten Bettler Herrn Albanitzky holen, um ihm den Anzug zu weiterem Gebrauche zu Üüberantworten. Herr Albanitzky hatte zwei Doktorate, das juristische und medizinische, machte jedoch von ihnen keinen Gebrauch. In seinen freien Stunden bereitete er sich auf das philosophische Doktorat vor, das seinem Talent und seiner Neigung am meisten zusagte. Er hatte sein einst beträchtliches Vermögen im Wege der Inflation ehrenhaft verloren und war in dem Be- streben, einen seiner Vorbildung entsprechenden Beruf zu finden, über fünfzig Jahre alt geworden. Er hatte das Elend in seiner bittersten Form ken- nen gelernt, bis Ihm endlich ein einflußreicher Freund einen Bettlerposten in einem der verkehrs- reichsten Durchgangshöfe Wiens verschaffte und ihm sogar eine ansehnliche Steuerermäßigung er- wirkte. Die Natur hatte ihm glücklicherweise ein überaus dürftiges Äußere, dazu aber eine eiserne Gesundheit verliehen. So lebte er denn auskömm- licher als Je, er fügte sich mit Stilgefühl in das barocke Stadtbild und legte nach Feierabend manchen Spargroschen zurück. Herr Albanitzky kam und besah sich pflichtgemäß den Anzug. Er ließ seinen Blick auch über die Möbel und den Geschenkgeber selbst gleiten, LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Bobby ist bei Baron Schreckenstein, einem in der Mußezeit elfrigen Bastler eingeladen. Nach Tisch führt er die Gäste in das Jagdzimmer und zeigt ihnen seine reiche Gewelhsammlung. Fragt Bobby: „Lieber Baron, haben Sie denn das alles selbst gebastelt?” F.H. * Bobby kommt zum Zahnarzt und will ein Gebiß für seine Gattin bestellen. Meint dieser: „Aber da muß doch Ihre Frau Gemahlin wegen des Abgußes selbst kommen!” Entgegnet Bobby: - „Aber es soll doch eine Geburtstagsüberraschung sein!“ 8 FH 553 dann flüsterte er, drückend: „Ich danke Ihnen herzlich für Ihre große Güte, die mich um so mehr rührt und bewegt, als sie in unserer Zeit immer seltener zu werden scheint. Ich muß Sie jedoch leider bitten, mir zu gestat- ten, daß ich unbeschadet meines: dankbaren Ge- denkens diesen Anzug nicht annehme. Damit will ich aber durchaus kein Urteil über seinen Wert und seine Schönheit ausgesprochen haben, da mir dies keineswegs zukommt und der Grund meiner Ablehnung in Erwägungen anderer Art liegt. Er ist, wenn ich so sagen darf, ein rein geschäfts- technischer. Der Anzug käme für mich nur als, wenn Ich mich so ausdrücken darf, Arbeitskleid in Betracht, Denn er verfügt, wie ich sehe, über alle Eigenschaften, die nötig sind, um das erfor- derliche Mitleid hervorzurufen. Nun besteht aber in diesem Punkte bei mir eine gewisse Besonder- heit. Wie Sie wissen, bin ich im ersten Bezirk, wenn Ich'es so bezeichnen darf, tätig, und habe ein Publikum von ganz bestimmter Eigenart. Mein Publikum ist nicht einfach nalv-mitleidig, sondern es ist ästhetisch-mitleidig. Ich werde Ihnen so- gleich erklären, wie ich das meine, Mein Publi- kum bedauert nicht das Elend absolut, nicht die kompakte, formlose Masse des Elends, das, wenn ich mir die Äußerung gestalten darf, das unsicht- bare Fundament unserer Gesellschaftsordnung bildet, sondern mein Publikum schätzt, sozusagen, das romantische Elend, es findet den Zugang zu ihm leichter auf dem Wege der Literatur und Kunst, wie Sie aus den Werken unserer Dichter zu ersehen belieben, die häufig aus den ergrei- fenden Worten, die sie dem Elend widmen, be- trächtlichen Wohlstand ziehen. Mein Anzug darf also nicht äußerste Not, sonder nur diskrete Herabgekommenheit widerspiegeln. Er darf den ästhetischen Sinn des Publikums nicht beleidigen, ich/ muß der sentimentalen Phantasie meines Publikums Spielraum lassen. Ich muß dieser — verzeihen Sie den üblen Ausdruck — Mentalität durch sorgfältige Wahl meines Arbeitsgewandes Rechnung tragen. Das ist Kultur. Ich kann es nicht ändern und deshalb, sehr verehrter Herr, muß ich zu meinem außerordentlichen Bedauern das mir zugedachte Geschenk mit innigstem Dank in Ihre gütigen Hände zurücklegen.” Herr Gahl war wieder allein mit seinem Anzug, der sichtlich erleichtert aufatmete. Er nahm ihn und verwahrte ihn wieder im Schrank. Vielleicht kam noch einmal eine Gelegenheit, ihn hervor- zuholen. Sie kam, Die Jahre vergingen. Die Welt kam nicht zur Ruhe, Die Zeiten wurden nicht leichter, son- dern schwerer. Herr Gahl war Pensionist gewor- den und es lag im Wesen der Zelt, daß alte Men- schen weit weniger geschätzt wurden als alte Anzüge. Da erinnerte er sich wieder seines alten Anzuges. Er holte ihn aus dem Schrank hervor und betrachtete ihn wehmütig. Dann schüttelte er den Kopf. Nein, es war zu arg. Schon wollte er ihn wieder verwahren, da schoß ein Gedanke durch Kopf und Herz. Er wickelte den Anzug in ein Papier und trug ihn in die Bräunerstraße zu Meister Naprawnik. Dort befreite er den zwischen Furcht und Hoffnung schwankenden Anzug seiner Hüllen, hielt ihn Herr Naprawnik hin und fragte leise und stockend: „Könnte man diesen Anzug... ich habe ihn näm- lich sehr lieb und möchte mich nur ungern von ihm trennen... könnte man ihn vielleicht... wie- der zurückwenden?” Was?” schrie Herr Naprawnik, schob die Brille hoch und stärrte den seltsamen Besteller an. Herr Gahl fühlte deutlich, wie der Anzug in sei- ner Hand bang zitterte, Herr Naprawnik senkte den strengen Blick, nahm eine Prise, vielleicht um eine unziemliche Regung des Mitleids zu verbergen. Dann sprach er mild: „Ich will es versuchen.“ taktvoll ein Lächeln unter- Reue (K. Heiligenstaodt) „Wie sagst du — du hast diesem Mann schon so viel geopfert?‘ „Jawohl, leider: siebzehn Bogen tintenfestes Briefpapier und elf Umschläge!“ Pentimento: ‘Che dici mai?.... Tu hal giä sacrificato tanto per questo vomo?" “Sicuro, purtroppo: diciassette fogli di carta da lettere, resistente all’ inchiostro, e undici buste!,, 554 WILDWEST VON PETER SCHER Es war in Arkansas, wo ich das Indianer-Territorium an den nördlichen Büffelhornbergen nahe dem Silbersee durchstreifte, Ich hatte die Bekannt- schaft des „Muffigen Uhu” gemacht, der damals Häuptling der Plattfuß- indianer wär, die sich rühmten, ein Nebenstamm der Apachen zu sein, deren berühmtester Mann bekanntlich „Winnetou” war, der Freund „Old Shatterhands“, „Muffiger Uhu” hatte Eigenschaften, die ihn nicht immer zum angenehm- sten Gesellschafter machten, Ich durfte seine ein wenig aufdringliche Zu- neigung jedoch nicht ablehnen, weil er so raffiniert gewesen war, mir Blutsbrüderschaft anzubieten. Die hohe Ehrung konnte ich nicht abweisen, weil ich sonst den ganzen Stamm gegen mich aufgebracht hätte, der immerhin aus dreiundzwanzig Männern bestand, von denen siebzehn sich keiner Waffen zu bedienen wußten — die sie freilich auch gar nicht besaßen — weil sie gerade wegen Influenza Krankenkassengeld bezogen; die übrigen fünf waren dem Feuerwasser ergeben und brachten den größten Teil des Tages ebenso Wie ihr Häuptling, der darum auch den Spitznamen „Alte Whiskyspritze” führte, in seligen Dämmerzuständen hin. Das harmlose tote Völkchen war mir überaus herzlich entgegengekommen, da es meine Eignung zum Gerupftwerden sogleich erkannt und keinen Augenblick gesöumt hatte, mich für noch ahnungsloser zu halten als ich bin. In dieser Hinsicht erinnerten mich die Rothäute ein wenig an die Bauern meiner Heimat, die mit dem sicheren Instinkt von Naturkindern großstädtischen Sommerfrischlern eine ihrer Überlegenheit auf allen Ge- bieten entsprechende Einschätzung zuteil werden lassen. Die roten Männer umlagerten mich den ganzen Tag und wollten ständig über die Gebräuche der Bleichgesichter bei mir daheim unterrichtet wer- den. Ich erzählie Ihnen von „Old Shatterhand” und den berühmten Stäm- men des Landes, in dem sein Wigwam stand, Sie vernahmen mit Bewunde- tung, was ich von den berühmten Häuptlingen „Nu allemal" und „Gottver- dimmich” Seltsames zu berichten hatte, „Muffiger Uhu” erfreute sich einer Tochter, die zwar ein wenig durch Kropfwucherungen beeinträchtigt, aber sonst ein liebenswürdiges Mädchen war, „Mutsch-Putschi”, zu deutsch: „Das schiefe Gestell, denn gerade gehen konnte sie nicht, aber sonst war sie bezaübernd. Sie erbot sich, meine Manuskripte auf der Schreibmaschine zu tippen und mir Aufschlüsse über das Seelenleben ihrer Stammesgenossinnen nicht vorzuenthalten. Ihr Vater vertraute mir’an, daß die „Rose der Prärie” auch gegen etwaige Herzensoffenbarungen nicht unempfindlich sei und bei solchen Gelegen- heiten eine Pulle Black and White zu schätzen wisse. So gingen die Tage In den großen Büffelhormbergen nahe dem Silbersee herz- und sinnbewegend dahin. Es war im „Indian-Summer” jener himm- Iischen Zelt, da die Natur, bevor sie sich zum Winterschlaf bereitet, noch einmal alle Ihre Herrlichkeiten spielen läßt. Ich erinnere mich, daß ich eines Abends den Männern und Squaws, die gerade nicht beschwipst waren, die erstaunliche Geschichte vom Besuch „Winnetous“ bei „Old Shatterhand" in Radebeul erzählte. Ein vielstimmiges „Uff uff“ machte die Runde um das Lagerfeuer, als ich dabei angelangt war, frei nach Karl May zu schildern, wie der Häuptling der Apachen von seinem Blutsbruder „Old Shatterhand“ in den Dresdner Gesangverein „Holdes Brausen” eingeführt wurde und wie der Häuptling durch den Schmelz seines edien Bariton, mit dem er Karl Mays Ave Maria zum Besten gab, alle Anwesenden zu Tränen rührte. Manchmal gingen wir auch auf die Jagd. Da es an Bisons mängelte, be- gnügten wir uns mit Maulwürfen und an die Stelle des feurigen Renners trat ein Schubkarren, auf dem mich „Muffiger Uhu“ bereitwillig in die wogende Savanne hinausschob, Unvergeßlich bleiben mir die Abende am Lagerfeuer, wenn draußen zwar nicht der Schaksl den Mond anheulte, aber doch ein roter Mann aus der Black River-Times mit schwermütiger Stimme ein Inserat vorlas, in dem der Tausch eines Schaukelstuhls gegen eine gutgestopfte Bratwurst an- geboten wurde, Allmählich verebbten-die Geräusche des Tages. Hin und wieder hörte ich noch, wie ein Wecker aufgezogen wurde. Squaws schlurften an die Türen, um die Brotbeutel vor den Wigwams aufzuhängen. Die Seelen der roten Männer bereiteien sich vor, in die ewigen Jagdgründe des Traumlebens zu enischweben und auch ich warf mich mit dem Ausruf; Verfluchter Saustalll auf mein Lager aus knochenharten Maisblättern, von denen er- schreckte Flöhe emporsprangen, um den im Kampf ums Dasein stärkeren Waänzen Platz zu machen. Schon im Einschlafen, hörte ich noch, wie „Muffiger Uhu” seiner Tochter „Schiefes Gestell“ mit Stentorstimme Ins Ohr raunte: „Howghi Dieses Bleichgesicht hat uns der große ‚Manitou‘ geschickt — es weiß noch nicht einmal, daß man beim Pokern den Ärmel seines Partners mit Falkenaugen überwachen mußl‘ (Toni Bich! Im Felde) EIN BAUM IM FELD Von Herbert Lestiboudois Ein Baumsteht draus Feld, Nur dieser eine in der leeren, weiten Waldnis, Granatzerfetzt, — die Rinde hängt wie abgepellt, — Entlaubt und nackt, ein kümmerliches Bildnis. Und doch — ein Baum! Da bauen wir zur Rast das Zelt Dicht neben ılın, der kaum Noch einen mag’ren Schatten für uns lieh — Welch Wunder dies: Ein Baum — ?! Hört her: ein Baum! — wih; Was das bedeutet hier Tatdieser haumlanewizen Unendlichkeit? ihr, Da rückt nun alles dichter gleich zusammen, Was vor uns liegt so unerbittlich weit, TR eereRlaumer Sind in der uferlosen, wilden Zeit Ein stiller Hafen. Der Abend sinkt, — nur schlafen jetzt, nur schlafen! Und hört und lächelt gern: wir träumen — Wir träumen unter diesem nackten, armen Steppenbaum Den hellen Traum Von lauter grünen, heimatlichen Bäumen —! Verlag und Druck» Knorr DE Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße 18 Kamp! 1296). Brlefanschritt: München 2 BZ, Brlei Ban wortl. Schritt Walter Foltziek. München, — Des Simpllcissimus 0 Iton enigegen. — Berugspreise: Einteinummer I P eint wöchentlich einmal. \bonnement im Monat RM. 1.20. Nachdruck verbalen. = Pontscheckkonto München 920 jon nehmen alle Buchhandlungen, Zeilungsges: und Post- 1 Unverlangie Einsondung ungen werden nur zurückgesandt, ann Porto ballieg! üllungsort Das Kuckucksei in Afrika (Wilhelm Schulz) „Kannst du dich erinnern, dieses merkwürdige rote Ei gelegt zu haben?“ L’ vovo del cuculo in Africa: "Non ti ricordi mica d’aver deposto questo strano uovo rosso ?,, 556 München, 27. Oktober 1943 Z | 48. Jahrgang / Nummer 43 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Ru m. nz ae. - > m _.. Az wacy Moskau OMAF AVLERANnSTu „Und hier meine persönliche Gabe für Stalin: ‚Europa auf dem Bären‘! Partenza per Mosca: "Ed ecco Il mio dono personale per Stalin: ‘Europa sull’ orso, !,, Herbstliche Melancholie - Malinconia autunnale _ yn SieRy red hrran 7 vhs (0. Hegenbarth) „Siehste, Männe, so geht alles Schöne im Leben dahin!" — „Richtig, und mein Beitrag zum Begräbnisverein is ooch wieder fällig!" "Vedi, marito mio, cos svanisce ogni cosa bella nella vita!,, — "Evero.. „anzi mi scade dinuovo il contributo per la ‘Societä Funebre, !,, Die gute Füllung Von Walter Foltzick Wenn man Äpfel In eine Kiste füllt, gibt es einen Moment, da Ist die Kiste voll, kein Apfel geht mehr hinein. Bel Heringen ist die Sache, soviel ich weiß, genau so, und dann sagt man, sie sind so dicht gepackt wie die Heringe. Bei Eisenbahn- wagen für Personenverkehr Ist es so, daß ein Wagen voll sein'kann, dann kann er aber noch immer voller werden und zum Schluß sogar sehr voll. Ja, man spricht sogar davon, daß er über- füllt ist. Menschen lassen sich eben besser zu- sammendrücken als Äpfel oder Heringe, wahr- scheinlich, weil sie vernunftbegabte Wesen sind, und der Vernünftige gibt nach. Er kann demnach mehr zusammengepreßt werden. Haltl Das ist nicht ganz richtig: er preßt sich selbst zusammen, er Ist eben nicht so dumm wie die 'Heringe, bei denen das ein anderer besorgen muß. Wenn ein Zug voll ist, so erkennt man das mit Leichtigkeit daran, daß er an den Füllstellen über- quillt und Teile des Inhalts heraushängen. Wie gesagt, das geht nur bei der Menschbeförde- rung; Äpfel, Heringe, Nähmaschinen und Porzellan- kisten hängen niemals aus dem Güterwagen her- aus. Sie glauben vielleicht, in einen vollen Zug geht keiner mehr hinein? Nach physikalischen Ge- setzen müßten Sie recht haben, nach psychologi- schen nicht., Wer die nötige Energie hat, kommt immer noch hinein, durch Druck. Im Innern eines Abteils sind stets einige kleine Hohlräume, die ausschließlich mit schlechter Luft gefüllt sind. Diese gilt es zu komprimieren. Was der Einzelne nicht schafft, das erreicht der ganze Zug durch ruckweises Anfahren oder plötzliches Stehen- bleiben. Züge, die an chronischer Uberfüllung lei- den, sollten vor der endgültigen Abfahrt auf ein Schüttelgleis gefahren werden, auf dem sie von zwel Lokomotiven in entgegengesetzter Richtung ordentlich durchgerüttelt werden. Man wird er- staunt sein, wieviel Platz auf diesem mechani- schen Wege erzeugt werden kann. Durch Zusam- menpressen in Eisenbahnzügen erhält man eine ziemlich homogene Masse, bei der der ent- stehende Prozentsatz von Duldsamkeit und Nei- gung zum Krach ungefähr gleichbleibend ist. Da- rin gären die Reisenden und erreichen eine ziem- liche Mürbheit. An den Haltestellen quillt das Pro- dukt aus dem Abteil wie Zahnpasta aus der Tube. Aber wie gesagt, dieses Rezept ist nicht bei Apteln und Heringen anzuwenden. MEIN FREUND JOHANNES Ich traf Johannes auf der Straße. Er strahlte. „Nun, Johannes, worüber freust du dich denn so?” fragte Ich. „Ich habe eben meine Uhr verloren”, erklärte Johannes, „Und darüber freust du dich?” erkundigte ich mich überrascht. „Sie war Ja kaputt”, meinte Johannes. „Hätte man sie nicht heilmachen lassen können?” wollte ich wissen. „Doch, das hätte man wohl“, sagte Johannes. „Aber es wäre bestimmt ziemlich teuer geworden. Und das Geld habe Ich nun glatt gespart.” J.Bieger 558 An einem Herbftabend So dann und wann, zum Beifpiel heute, hab! ich die fogenannten Leute von Herzen’Tatt und fchließ’ mich ein, um ftill bei mir zu Haus zu fein. Wie hübfch ift’s, ohne Redensarten bei einer Pfeife zuzumarten, bis, Gott fei Dank, nicht allzu fpät auch diefer Tag zu Ende geht. Ich werde mich natürlich hüten, fein Soll und Haben zu bebrüten. Er war halt wieder fehr gemifcht und mird nun bald hinweggemifcht, um einem nächften Plat zu machen. Soll man da weinen oder lachen. .. Wer fchon fo lange Kegel fcheibt, meiß, daß man doch man felber bleibt. »Man felber« ... ift das etrva köftlich? Nein, keineswegs. Und doch i’s tröftlich, macht man fich klar fo dann und wann, auf was man fich verlaffen kann. Ratatöschr Der Bock als Gärtner ei) Er „Nach dem Kriege müßten die USA. der Weltpolizist werden — oder weiß man jemand, der von Haus aus geeigneter dafür wäre, für Ruhe und Ordnung zu sorgen?‘ Il becco quale ortolano: "Dopo la guerra gli Stati Unitl dovrebbero divenire I polizlotti del mondo ... oppure c' & forse qualcuno che per natura sia pid adatto a provvedere alla pace e all’ ordine?,, 559 Geschäfte mit Afrika Anaeschute „Halt, halt! Du vergreifst dich an fremdem Eigentum. Dies da hat sich bereits ein amerikanischer Verwertungskonzern gesichert!" Affari con I’ Africa: “Fermo! Fermo! Mettl la mano su proprletä altrul. Questa qui se I'ha digglä assicurata un Consorzlo di utllizzatorl amerlcanil,, 560 DAS’GROSSE LOS VON KURT GROOS Damals, In USA., hatte ich ganz von unten be- gonnen, weil man erzählte, daß das am sicher- sten zur Höhe führe. Ich war nach Amerika ge- fahren, um dort das große Los zu ziehen. Aber auf die Dauer wurde ich die Tellerwäscherei doch leid. Mein Vorwäscher und ich beschlossen, einen Trust zu gründen oder sonstwie zu Geld zu kommen. Der Vorwäscher hatte 500 Dollar und eine Idee. Wir kauften Gipsrehe, verschleierte Wachsjungfrauen von lieblichem Aussehen in Lebensgröße, verschiedene Harfen und der- gleichen mehr. Das alles stellten wir in einem in klein den National-Parks ähnelnden hochromanı tischen Waldgelände auf. Wir gründeten die Wald- weben-Corporation. Diese Institution hatte die Aufgabe, romantisch angehauchte Helratslustige auf unser Gelände zu bemühen, damit wir dort Eheschließungen managen konnten, bei denen wir mit 10% drinlagen. Die Sache lief gut an. Wir bepflasterten den Wald mit immer neuen Überraschungen. Bei jedem mit Bewegung verbundenen Kuß bimmelten kleine Glöckchen, leuchteten bunte Lichter im Gesträuch auf und winzige Zwerge hieben mit niedlichen Hämmerchen auf zierliche Ambosse. Das Geschäft zog gewaltig an, Und doch brach dieses Unternehmen, unsere Waldweben-Corporation, schnell zusammen. Nach und nach nahmen die Heiratslustigen unseren Fun- dus aus Andenkensucht mit, Außerdem gründete ein Idealistisch veranlagter Schweinekönig aus Chikago im Nebengelände ein Konkurrenz-Unter- nehmen, das mit unsauberen Mitteln hantierte, Dieser Filou arbeitete nicht mit verschleierten künstlichen Waldnixen, sondern stellte echte und dazu noch spärlich bekleidete auf, die er aus einer In Konkurs geratenen Revue charterte; ins- gesamt 24 Waldweben-Girls. Na, Sie können es sich ja denken! Unser Traum war aus. Doch ich muß sagen, daß uns der Mißerfolg nur härter machte. Wir hatten damals noch 5 Dollar und eine etwas lädierte Waldnixe, die Waldweben-Jungfrau Nr. 1, wie wir sie scherzend zu nennen beliebten. Mit dieser Nixe zogen wir nach Neuyork zurück und mieteten einen guterhaltenen Kohlenschup- pen, etwas auswärts, Wir umbenannten die künst- lie Waldweben-Jungfrau In „Göttin der Er- kenntnis”, Dann gaben wir in drei Neuyorker Nachtgazetten kurzfristig kreditierte Anzeigen auf, In denen wir an die unglücklich Liebenden aus besseren Kreisen appellierten. Wir versprachen schnellste Heilung. Die Überschrift der Anzeigen lautete: „Erkennt die wahren Idealel” Schon am nächsten Tag versammelten sich viele an unglücklicher Liebe erkrankte Jünglinge wor unserer Kohlenbude, Der Kohlenwäscher nahm sich jeden einzelnen vor, kassierte 10. Dollar, führte ihn in die Kohlenbude und ließ ihn die frühere Waldweben-Jungfrau Nr. 1, jetzige „Göt- tin der Erkenntnis” entkleiden. Während der Ent- kleidung knipste mein Associ& das Licht aus. Ich muß sagen, daß ich den Vorwäscher mit seiner neuen Idee anfangs für einen zum Ganz- nelgenden Halbidioten hielt — aber ich wurde schnell eines besseren belehrt. Ich kannte da- mals die amerikanische Mentalität auch noch nicht so genau. Es hagelte 10-Dollar-Scheine. Aber das mit dem Eintrittsgeld, mit der Entkleidungs- gebühr, um das Kind beim Namen zu nennen, war schließlich nur Nebeneinnahme. Die Haupt- einnahmen kamen. aus den besten Familien des Landes, von den Vätern bisher unglücklich lieben- der Söhne, denen wir die Augen geöffnet hatten. Wir zogen dauernd das große Los, „Sie haben meinen Sohn von einer Wahnidee geheilt — end- lich Ist er In die ihm schon lange zugedachte 500.000-Dollar-Ehe gestiegen. Für ihre Bemühungen 2000 Dollar anbei; viel Glück Ihrem Jungen Unter- nehmen!“ So und ähnlich lauteten die Dank- schreiben der alten Yankees, nachdem wir den Söhnen die Augen geöffnet hatten. Dabei war unser Geschäft ganz einfach. Der Vor- wäscher zeigte die wunderschöne Waldnixe mit ihren ganz langen Augenwimpern und dem herz- förmigen Unschuldsmund im jungfräulich flleßen- den Gewand mit rosenrotem Schleier, knipste dann das Licht aus und der bebende Jüngling mußte die Nixe im Dunkeln entkleiden, Nach der Entkleidung knipsten wir das Licht an, Die Dame stand nun keineswegs nackt da — oder doch auch wieder nackt — aber sie war von oben bis unten mit falschen Dollarscheinen beklebt. Well Ich, der ich im Hintergrund hinter einer Tüll- gärdine saß, spielte etwas Harfe, um dem zur Romantik neigenden amerikanischen Herzen den Übergang nicht zu hart zu machen — und viel- leicht entsinnen Sie sich noch selbst genau jener Zeit, in der nach den Statistiken diese nichts einbringenden Liebesheiraten im Staate Neuyork so zurückgingen und Dollar sich zu Dollar fand, so wie es sein muß. Aber trotzdem erlitten wir wieder Schiffbruch. Wir verliebten uns hemmungslos. Der Vorwäscher heiratete eine miserabel bezahlte Stenotypistin und ich eine schmählich verarmte Verkäuferin eines Blumengeschäftes am Broadway, ein Veil- chen mitten im Asphalt, Beide Frauen waren reine Engel, sozusagen, Kinder in der Liebe. Wir wurden daraufhin verhaftet und für vorübergehend Irr- sinnig erklärt. Unsere „Göttin der Erkenntnis“ be- schlagnahmte man als groben Unfug. Aber doch stifteten wir wieder Gutes. Die Nacht- blätter brachten Sonderausgaben mit dicken Schlagzeilen über unser Malheur. Unsere Gat- tinnen, diese beiden Engel und Kinder in der Liebe, ließen sich eine Nacht nach dem Skandal von uns scheiden und heirateten, berühmt ge- worden, drei Tage danach In den fettesten Geld- adel ein. Wir hatten wieder mal das große Los gezogen! BILDUNG VON SCHLEHDORN Eines Tages kam die Rede auf Bildung. „Bildung ist Macht”, sagte einer. „Wir halten auch einen Lesezirkel.” „Bildung bedeutet”, meinte ein anderer, „daß jemand auch geistig arbeiten würde, wenn er es gar nicht brauchte — so was gibt's nämlich.” Ein dritter definierte: „Bildung Ist ein heimtücki- scher Angriff auf die Unbefangenheit der anderen.” Und 'nun glitzerten die Geister durcheinander. „Gebildet ist, wer ahnt, daß hinter den meisten Fremdwörtern ein brauchbarer Sinn steckt. — Bil- dung ist, zu wissen, daß es nichts Neues unter der Sonne gibt, aber dazu will das Alte eben ge- wußt sein. — Ach, was wir Bildung nennen, sind nur die fühlbaren Lücken in unserer Unkenntnis. — Nein, Bildung ist das am Wissen, was man nicht lernen kann, — Bildung ist, wenn man weiß, wie schwierig das ıst, was andere können. — Jeden- falls ergeben zwei Halbgebildete die sich zu- sammentun noch keine Bildung. — Der Gebildete hat den Schlüssel zu allen Türen der Wissen- schaft; deshalb behandeln ihn auch die Fachleute gem wie einen Einbrecher, — Bildung vermißt man häufiger bei anderen als bei sich; beim Geld ist das umgekehrt, das entbehrt man schwerer bei sich, als bei anderen: woraus folgt, daß Bildung eben nicht käuflich ist. — Gebildet ist, wer. das weiß, was wir nicht wissen, aber DER BLAUE ELEFANT In Ton gebrannt und leuchtend blau sah ich ihn bei der Tändlerfrau — o schönster Elefant! Jedennoch ich erwäge dies: das Blau ist doch wohl mehr Türkis: ihr wollt' es als ein Fehlbrand gelten, weshalb sie ihn mir billig ließ. Käufer und Händler leben in zwei Welten. Ich trug ihn fort und schenkt’ ihn dir: er zog mit uns von Ort zu Ort — nun leuchtet er uns hier. Er ist der Inbegriff des Blauen und wahrhaft himmlisch anzuschauen. Peter Scher 561 das sagt, was wir immer gesagt haben.” — — — So ging es hin und her. Dabei fiel dem Regie- rungsrat Julius die Geschichte ein von dem Schul- meisterlein in Hintersauffingen, Oberamt Rülpsin- gen, „Ernscht geheiße” Der wäre so gern gebil- det gewesen und klagte einem weisen Mann, der in Stuegert selbst wohnte, um andere zu lehren, genüge es natürlich, aber ihm selber genüge es nicht. „Bildung“, sagte der weise Mann, und griff nach dem Konservationslexikon, „Bildung war bei den Alten die körperliche Gestalt. Seit Justus Möser ist es die allseitige harmonische Ausbildung usw.” Da fuhr das Schulmeisterlein nach Hause und meyerte und brockhauste dort in aller Stille zwei Jahre lang. Nun konnte es Eleaten und Alöuten unterscheiden, Epistel und Apostel, Theorie und Tuerei. Nun wußte es Bescheid von Aberglauben bis Zweifel, Apfel bis Zankapfel, Auspuff bis Zwölffingerdarm, Erde und Himmel, A. bis Zwirn. Kurz, alles oder beinahe alles, weil die Konver- sationslexika bekanntlich, wenn Z erscheint, bei A schon nicht mehr wahr sind, „Bin ich nun gebildet?” fragte er den weisen Mann. „Sehr belesen“, sagte der. Da fuhr das Schulmeisterlein wieder nach Haus und begann zu schreiben über eines der wenl- gen Themata, in denen er noch Jungfräulich unge- kautes Neuland atmete: „Hat der Kaffernkult oder der Zweitaktmotor den bestimmenden Einfluß auf den modernen Gesellschaftstanz?“ Ein Thema übrigens, das Geisteswissenschaft, Technik und geselliges Leben versöhnte. Er hatte den ganzen Kopf- voll Fußnoten und wurde korrespondieren- des Mitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften. „Bin ich nun gebildet?” fragte er den weisen Mann. „Schrecklich gelehrt”, sagte der und wollte be- wundernd in dem Werk seines Gastes blättern, das er zur Hand hatte. Es war aber noch nicht aufgeschnitten. Da fuhr unser Schulmeisterlein zum drittenmal heim und setzte sich vor sein Haus und sah In den Wald — hinter dem beginnt die Welt — und abends in die Sterne — hinter denen beginnt die Ewigkeit. Und kam wieder zu dem weisen Mann: „Ja, nun sehe ich lauter Zusammenhänge und viel weniger Gegensätze. Nun habe ich alles verarbeitet und das meiste vergessen.” Sprach.der weise Mann: „Jetzt bist du wohl ge bildet.” Sprach das Schulmeisterlein: „Jetzt habe ich nichts mehr davon. Jetzt könnte Ich bei allem mitreden, aber ich schweige lieber.” „Dann freilich”, entgegnete der Weise, „bist du im Begriff, gleichfalls eln Weiser zu werden, Ich zum Beispiel (ich weiß nicht, ob ich dir das schon erzählte) bin das ohne jede Bildung geworden. Allein mit gelegentlicher Zuhilfenahme des Kon- versationslexikons, wenn Jemand fragen kam...” DER WÜSTLING VON EFFI HORN Die Frage, ob der lang- und rothaarige Bildhauer Wolderer ein Wüstling oder nur seines galliger Temperamentes wegen so dünn und grün sel, war in den Gesprächen des Ehepaares Klimp, zu dessen Freunden er gehörte, schon des öfteren erörtert worden, Herr Klimp, praktischer Arzt von Beruf und Psychologe aus Neigung, lehnte es tundweg ab, einem Mann, der rote Bartkoteletten trug und der Sparsamkeit wegen Wiener Würst- chen gleich imFrühstückskakao mitzusieden pflegte, irgendeine Wirkung auf Frauen zuzugestehen. Es möge Ihm, so gab er zu, vielleicht hin und wieder gelingen, eine kluge und aus Gründen des In- tellekts zugängliche Frau zu beschwatzen, nie aber brächte er es fertig, durch sein bloßes Auf- treten etwa das vielgesuchte „frische "junge Mädchen” zu bezaubern oder gar Weiblichkeit In größerer Menge allein durch das geheimnis- volle Fluldum tief verborgener männlicher Eigen- schaften zu fesseln. Frau Klimp dagegen, eine zarte, heitere und überaus wohlbehütete Frau von achtundzwanzig Jahren, wiegte vlelsagend den Kopf, als habe sie ihrem Mann eine große Fülle von Erfahrungen mit Wüstlingen voraus und sagte mit einem ganz kleinen Beiklang von Überlegenheit in der Stimme: „Leonhard, das mußt du schon uns Frauen überlassen. Dafür haben wir einen feinen Instinkt.” Herr Dr. Klimp kicherte daraufhin jedesmal zärt- lich, strich seiner Frau in leiser Rührung über das weiche blonde Haar und sagte: „Freilich, freilich, du weißt das natürlich viel — viel besser.” Frau Klimp wollte Jedoch In ihren Instinkten ernst genommen werden. Sie haßte diese Bagatelll- sierung Ihrer Menschenkenntnis und rief ihre Schwester Brigitte zum Zeugen auf, daß dem dünnen Wolderer, was Frauen anbatraf, durchaus nicht zu trauen sei, Brigitte stimmte glühend zu und vertraute Herrn Klimp beinahe flüsternd an, daß ‘Herr Wolderer eine Freundin haben solle, elne junge, viel jünger als er selber, die stunden- lang im Ateller welle. Das allerdings sei das untrügliche Merkmal des Wüstlings, versicherte Herr Klimp ernsthaft und sagte, er bedauere wirklich, den guten Wolderer bisher immer nur für einen mickrigen Miesepeter, nie aber für einen durch wüsten Lebenswandel Zermürbten gehalten zu haben. Ob er sich denn nicht erinnere, daß In Schillers „Flesco“ auch einer im Personenverzeichnis als „hagerer Wollüstling“ bezeichnet sei? wollte Bri gitte wissen. So einer, genau so einer nämlich, sei dieser Wolderer — und Ihr Schwager mußte sich seiner Vergeßlichkelt wegen rügen lassen da er sich weder an die Gestalt noch die Be- zeichnung des finsteren Gesellen zu erinnern vermochte, An Herrn Klimps Stammtisch, an dem auch Wol- derer hin und wieder auftauchte, um mit der Miene bitteren Weltschmerzes sich Rotwein mit viel Selterswasser einzuverleiben, teilte man all- gemein Herrn Klimps Ansicht über die Un- gefährlichkeit des langen Bildhauers für Frauen, Töchter und Schwestern. Männeı von rundlicher Wohlbeleibtheit versicher- ten sich gegenseitig, daß für derart aus- gemergelte Figuren Überhaupt keine Nach- frage bestünde, und andere, deren Schei- tel allmählich totale Formen anzunehmen begann, lachten über die völlige Veraltet- heit einer langlockigen Künstlererschei nung. Die Fräuen aber, voraus Brigitte und Frau Klimp, sahen durch solche Reden mit Recht sich selbst und ihre Erfahrung der Lächerlichkeit preisgegeben und kündeten daher laut den Entschluß zu selbständigem Handeln an. „Ich werde heute deinen Freund Wolde- ter besuchen, und zwar unangemeldet“, er- klärte daher Frau Klimp eines Mittags ihrem wohlwollend nickenden Gatten, der, erstaunlich frei von Eifersucht, sagte: „Tu das, mein Kind, tu das. Am besten morgens zwischen vier und fü sind die Wüstlinge am ungefährlichsten. Frau Klimp gab sich bedauerlicherweise die Blöße, „Warum?“ zu fragen, und bekam die Antwort, daß ein müder Löwe, besonders ein älterer, auch durch ein junges, fettes Zebra nicht vom Schlaf zur Jagd zu reizen sel. So erstieg also die hübsche Frau Klimp, nach- dem ihre Begleiterin Brigitte am letzten Straßen- eck zurückgeblieben war, mit leicht unbehag- lichem Gefühl die vier Treppen eines nicht eben stattlichen Hauses, die zum Atelier des Bildhauers führten. Oben. enizifferte sie mühsam etliche mehr als angegraute Visitenkarten, bis sie endlich die gesuchte fand: „Hans Wolderer, 15mal klin- geln.” In ihrer leisen Aufregung entging es ihr, daß die Anweisung einst einem dreimaligen Klingeln gegolten, witzige Besucher aber durch einen säuberlich aufgemalten Einser die Zahl um zehn erhöht hatten. Sie begann also pflichtschul- digst und mit Ausdauer in kleinen Abständen auf den Knopf zu drücken. Beim neunten Male ertön- ten drinnen polternde Schritte, des Bildhauers Stimme brüllte „Aufhören — ich bin doch nicht taubl” und ein kleiner Tonklumpen knallte dumpf an die Tür. Die erschreckte Besucherin blieb tegungslos stehen, nur der Zeigefinger drückte, in nachzitterndem Schreck, noch einmal ganz unbewußt aut den Knopf. „Biml” machte die Klingel. „Himmelherrgott!” jaulte es drinnen, dann wurde die Tür aufgerissen und Wolderer starrte, grün und grämlich, heraus. Frau Klimp setzte ein verlegenes Lächeln auf, das sie für unternehmend hielt. „Ich will auch mal sehen, wie ein Künstler haust“, sagte sie kühn, aber der jähe Versuch, ihrer freundlichen Blond- heit ein diabolisches Licht aufzusetzen, konnte schon beim dritten Wort als gescheitert gelten Frau Klimp blieb sozusagen im Vorfeld ihres Vamptums liegen. „Bittschön, kommen S’ halt herein”, sagte der Bildhauer und stieß mit dem Fuß einen kleinen polternden Klumpen beiseite, der gehorsam in eine Ecke rollte. Es waren letzte Hinterlassen schaften seines vor einem Jahr verstorbenen Dackels Lumpi die da verhärtet und versteint noch In kleineren Mengen das Ateller zierten. „Sie müssen die Unordnung entschuldigen”, sagte Wolderer ohne große Verlegenheit. „Aber ich habe niemand. der mir ein bißchen aufräumen würde.“ ‚Sie sollten sich eine Frau suchen — oder ein paar Bräute”, scherzte Frau Klimp und hielt es für sehr listig, wie sie so ihre Schlingen auswarf Aber der Bildhauer schien das Lasso um seinen Hals durchaus nicht zu fühlen „Um Himmels willen, auch das noch”, sagte er und hob abwehrend die Hände. „Frauen stören so furchtbar, besonders wenn sie Ordnung machen...” DEIN BAUM: Dein Baum, Georg, ist schon ganz Gold. Ihm läßt die sondre Tracht der feingeprägten Blätter die frische Jugend. Stolz hält er im Wetter das leichte Laub am schlanken Leibe fest. Rings um ihn her, der mutig unter Föhren, hochragenden und finstern Fichten steht, dunkelt’s fast grüner nur. Doch langsam geht ein Wandrer fremd im Wald, noch kaum zu hören. RICHARD VON SCHAUKAL t 562 „Stör ich auch?“ fragte Frau Klimp nicht ohne Koketterie. Wolderer versicherte eiligst, daß sie ihm eine liebe Überraschung bereitet habe und daß er Ihr eine Tasse Kakao, seinen letzten sozusagen, an- bleten wolle. Frau Klimp aber erinnerte sich an die Wiener Würstchen und ein bißchen auch an den seligen Lumpi und dankte liebenswürdig. Sie sei, so behauptete sie, nur gekommen um ihn zu fragen, ob er vielleicht gelegentlich eine Porträtstudie ihrer Schwester machen wolle. Wolderer empfand darüber wenig Begeisterung und heuchelte auch keine hinzu. Er sei gerade mit einer Reitergruppe beschäftigt und so gar nicht auf Porträtarbeit eingestellt, sagte er, und hob dann da und dort ein feuchtes Tuch von kleinen Tonmodellen, die Frau Klimp mit höf- licher Neugier betrachtete. Sie suchte vergeblich nach Beweisen stiller Laster oder Spuren orgiastischer Lebensführung ringsum. Sie fand das Atelier vor allem kalt und ungemüt- lich und stellte einen auffälligen Mangel an be- quemen Sitzgelegenheiten fest, Auch vermißte sie weichfallende Samtvorhänge und jene dunkel- roten Bettbezüge, von deren schaurig schönem Reiz man ihr berichtet hatte bei der Beschrei- bung eines anderen Ateliers, darin ein türkischer Maler hauste. Schließlich stand sie mit einem überraschten „Aha“ vor den gewaltigen Formen eines riesigen Frauenkörpers, von dem Wolderer behutsam zahl- reiche Hüllen gelöst hatte. Er verzog dabel keine Miene,. Mit seinen wie stets grämlich herab- hängenden Mundwinkeln sagte er bitter: „Eine Fortuna.” Frau Klimp hatte sich die Glücksgöttin bisher etwas freundlicher, lieblicher und wohl auch ge- mäßigter von Format vorgestellt. Aber sie wagte nichts zu sagen und lächelte nur In zielloser, doch höflicher Vorhelßung. „Einen herrlichen Körper hatte das Weib”, sagte Wolderer versonnen und blickte trüb auf seine Fortuna. „Welches Weib?” fragte Frau Klimp zaghaft, „Die Berta. Ein Akademiemodell, das aber nicht jedem steht. Sie muß bei Laune sein.” Er lächelte ein klein bißchen und fast hatte sein schmerz- liches Gesicht dabei etwas Verschmitztes, fand Frau Klimp. Ach, sie wußte ja nicht, daß die Männer sich gegen sie verbündet hatten und Wolderer längst um den Zweck ihres Kommens wußte und nun ein wenig herumklimperte auf dem leicht verstimmten Klavier Ihrer blonden Seele. Das aber wußte sie, daß der Funke düste- ter Leidenschaft zumeist unter einer dicken Aschen- schicht zu glimmen pflegt und oft nur eines energischen Blasens bedurfte, um zu heller Flamme aufzulodern. Sie beschloß, ihren ganzen Mut daran zu setzen, das verräterlsche Feuer anzu- fachen. Als Wolderer ganz dicht neben ihr stand und sie leicht am Arm faßte, um ihr die für einen guten Blick auf die Fortuna nötige Wendung zum Licht zu geben, schmiegte sie sich ganz leicht an Ihn, stellte sich dann auf die Zehenspitzen und hob ihr zartes, rosiges Gesicht zu ihm empor. Dabei schloß sie die Augen und es läßt sich nicht sagen, ob aus ängstlichem Grausen oder im leisen Entzücken prickelnder Er- wartung. Als sie nach zwei Atemzügen die Augen wieder aufschlug und mit aller gebotenen Vorsicht dem Mann Ins Gesicht schaute, sah sie inmitten der roten’ Bartkotelletts, die wie der Strahlenglanz des Sonnengot- tes um seine Backen leuchteten, seinen » sonst bitterschmerzlichen Mund zu einem Lächeln leichter Rührung verzogen. „Ist Ihnen nicht gut, meine Liebe?" fragte er, aber sie wehrte, Jäh errötet, ab. Dabei hörte sie Ihn leise lachen und es war jenes Gekicher, das sie von Ihrem Mann her kannte, wenn er sie nicht ganz ernst nahm, und es hätte nur gefehlt, daß er ihı dazu übers Haar gestreichelt hätte. „Ich Das Engelkonzert - II concerto degli angeli GE ee Nr N\ N \ > % N N GH Z ZE glaube, Sie sind ein verhinderter Familienvater und kein Wüstling“, murmelte sie, mehr zu sich als zu Ihm und schaute ihn nachdenklich an. „So, meinen Sie?" fragte der Bildhauer ironisch. „Und wie wünschen mich gnädige Frau?" „Als Wiener Würstchen — im Kakao gesotten", sagte sie grimmig. Da aber beugte er sich rasch zu ihr herunter, daß sie sein rotgelocktes Haupt ganz dicht vor sich sah, gab ihr einen leichten Kuß mitten auf den Mund und sagte: „Entschul: digen Sie, Sie sahen zu reizend aus — und ha- bens überdies verdient.” „Zu spät — ich glaub’s Ihnen nicht mehr‘, sagte jedoch Frau Klimp und ging lachend rasch auf die Tür zu. Während des Heimwegs antwortete sie wenig auf die stürmischen Fragen Brigittes. Ein wenig mit Vorsicht zu genießen sei er schon, der Wolderer, sagte sie nur. Nachdenklich aber erwog sie bei sich die Frage, ob sich wirklich ihr weiblicher Instinkt, ihr untrüglicher, ganz einfach der Dia- gnose des Herrn Dr. Klimp zu beugen und den dünnen Wolderer als magenkrank ‚und daher dünn und düster anzuerkennen habe? Sie war sich noch nicht darüber im klaren, als bei ihrer Heimkehr Herr Klimp den Kopf aus der Tür sei- 563 (Fr. Bilek) UA, N \ NUN N IN Hi nes Sprechzimmers steckte und heiter fragte: „Na, wie war's — gefährlich?" „er hat mich geküßt“, sagte sie kühn. Herr Klimp kam in ganzer Figur aus seinem Zim- mer. „Nanu?" sagte er überrascht und sichtlich gereizt. „Wie kommt er denn dazu, dieser lächer- liche Wüstling?" „Nimm’s Ihm nicht übel“, sagte Frau Klimp zu- frieden und gönnerhaft. „Er ist eben eine sensible Künstlernatur. Aber so schlimm, wie du ihn immer machst, Leonhard, weißt du, so schlimm Ist er nun auch wieder nicht. Dafür haben wir Frauen ein gutes Gefühll” Anerkennung (R.Kıtesch) „Ich lie —— be dich, ich lie —— — — be dich —— „Bravo, Meister, bravo, das macht Ihnen nicht mal 'n Harzer Roller nach!" Riconoscimento: "lo fi...a...mo; tl...a...mo...1„— "Bravo, Maestro, bravo! Nemmeno un canarino dell 'Harz canta come Voil,, 564 Vittorio Emanueles Traum tErich Schilling) Nero: „Hier hast du meinen Lorbeer, mein Lieber, denn mein Brand von Rom war nur eine Bagatelle gegen das, was du durch deinen Verrat in Italien zerstört hast!‘ Sogno di Vittorio Emanuele: Nerone: “Eccoti, caro, Il mio alloro, poich& il mio Incendio di Roma non fu che una bagatella in confronto di quanto didtruggesti tu In Italia col tuo tradimentol,, MEIN FREUND JOHANNES Johahnes zeigte mir einen wunderschönen Apfel, den er von selnem Onkel geschenkt bekommen hatte, Aber er schien mir dabel gar nicht so rich- tig erfreut und dankbar zu sein, Im Gegenteil: „So. ein alter Geizhals!” knurrte er. „Aber Johannes“, ermahnte ich ihn, „das solltest du doch nun eigentlich gerade nicht sagen. Wie kommst du zu einer so harten Beurteilung des gütigen Gebers?“ „Ich kenne ihn doch”, sagte Johannes, „Wenn er mir einen Apfel abgibt, dann hat er mindestens fünfzig geerntet. Und wenn er fünfzig geerntet hat, ist es doch gelzig, mir nur einen abzugeben. * Martin sammelte Altertümer. Mit wachsender Lei- denschaft. Schließlich stellte er sogar seinen Jähr- lichen Urlaub in den Dienst dieser Sucht. Er reiste dann kreuz und quer durch das Land, und wenn 565 er wieder heimkam, zeigte er uns schon am Bahn- hof voller Stolz seine neuesten Errungenschaften, Einmal war es wieder so weit, Er hatte uns seine Rückkehr angekündigt und wir erwarten ihn am Zuge. Strahlend kam er uns entgegen. Am Arme eine Dame, die, nun ja, also die meiner Meinung nach nicht so übertrieben reizvoll aussah. „Daß er seine Sammlung auch auf lebende Stücke ausdehnen würde, hatte ich Ja nun doch nicht er- wartet”, sagte Johannes. ), Bieger Im Wandel der Zeiten (K. Heiligenstaodt) „Nein, Ich versteh die Oma nicht: da sagt ste Immer, aus elnem Hemd kann man zwei Sommerkleider machen!" Col mutar dei tempi: “No, non comprendo la nonna: ella dice sempre che con una camlcla si possono fare due abltl da estatel,, 566 DRAMATURGIE IM HOFSCHACHT Es war eine große Stadt, In der Ich mich damals vorübergehend aufhielt, Mein Weg führte mich durch die abendlichen Straßen, in denen sich leicht quietschende Trambahnen dahinschoben. Autos hupten... Ich war sehr beeindruckt von der nervenaufpeitschenden Melodie der Groß- stadt, freute mich aber trotzdem, als ich in jenes etwas ruhlgere Stadtviertel kam, in dem man mir eine kleine Pension empfohlen hatte. Gedankenve: sunken ging ich durch eine In tiefem Dunkel gele- gene Gasse. Plötzlich fesselte mich ein auf einem wunderbar klingendem Flügel gespieltes Liebeslied, Es war mehr eine Serenade... Und dann sang ein Mädchen mit einer silberhellen Stimme geschwol- lene Versprechungen dazu, Es war eine himmel- hochjauchzende Angelegenheit. Aus dem Gesang des Mädchens ging einwandfrei hervor, daß es sich gern bereiterklären würde, einem Manne sämtliche Wünsche zu erfüllen, falls dieser ver- spräche, für alle Zeiten treu zu sein, Hierauf fiel eine sympathische Mönnerstimme — gewisser- maßen ein Tenor — ein, und das Ganze nahm die Form eines ausgesprochenen Duetis an. Sie mach- ten sich gegenseitig Komplimente, und einer ver- sprach noch mehr als der andere. „Wie dramatischl” dachte Ich und war durch einen großen Torbogen weiter vorgegangen, stand nun in einem finsteren Hofschacht — umgeben von hohen dunklen Häusermauern — und konnte hier alles viel besser verstehen als von der Straße aus. Aber dann war es ganz plötzlich vorbei mit der Musik, Ein Schrei ertönte, eine Tür fiel Ins Schloß und ein Klavierdeckel klappte herunter. „Du Dirnel” sagte ein Baß mit viel Eifersucht und Verständnislosigkeit In der Stimme. „Keine Beleidigungen, bittel” empörte sich der Tenor, Das Mädchen hatte inzwischen angefangen zu schluchzen. „Ach, du flennstl" schrie der Baß. „Erst singst du In meinem Hotelzimmer mit einem fremden Manne Liebeslieder, und Jetzt flennst du...i" Aha, dachte ich, ein Hotell Das mag ja noch techt Interessant werden! und trat dichter an die Houswand heran. Meiner Ansicht nach schien sich diese Szene Im ersten Stockwerk des Hotels abzuspielen. Ich beschloß, noch einen kleinen Augenblick zu verweilen, und erst heute bin ich mir im klaren darüber, wie indiskret wir Men- schen manchmal sind, Und wieder schrie das Mädchen... Diesmal etwas heftiger und beängstigender, Und der Tenor rie! „legen Sie augenblicklich den Revolver weg! Worauf der Baß zur Antwort gab, daß er gar nicht daran denke. „Hilfel” schrie das Mädchen. Ich glaubte den Revolverhahn knacken zu hören. Nun durfte ich"nicht länger warten. Zwei Men- schenleben befanden sich offensichtlich in Ge- fahr. Ich eilte.über den Hof der Straße zu und hörte gerade noch den Baß sagen: „Oh, das Tele- fon bedeutet absolut keine Rettung für Sie, die Leitung ist seit gestern durchschniiten, und außer- dem bin Ich im Rechtl” Auf der Straße stieß ich glücklicherweise mit einem Polizisten zusammen. „Siel" sagte ich außer Atem und hielt den Mann am Ärmel fest. „Kommen Sie sofort mit! Zwei Menschenleben sind in Gefahr, zwei sehr musikalische Menschen- leben!“ Der Polizist folgte mir auf dem Fuße. Ich führte den Beamten an jene Stelle, an der ich eben noch Zeuge einer unangenehmen Be- gegnung gewesen war. Aber wie verwundert war ich, als ich jetzt aus derselben Richtung wie zu- vor eine Kinderstimme fragen hörte: „Und das Ist unser Pappi, Mutti?" — „Ja, Liebling!” sagte die Mutter, die eine reine und sehr klangvolle Stimme hatte, Vortag und Druck: Knorr & Hirtk Kommandiigesellschaft, Münch Vorantworti, Schriftiel anstalten enge Walter Folt zugsprel k. München. — Der Simpilcissimus erscheint wöchentlich einmi Einzelnummer 30 Pf,; Abonnement Im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückges Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 59. VON WILLI WEGNER „Siel” sagte der Polizist. „Es widerspricht ja den Erziehungsgebräuchen, daß kleine Kinder um zehn Uhr abends noch nicht im Bette liegen, aber daß da gleich Menschenleben in Gefahr sein sollen, leuchtet mir gar nicht ein.” Und dann ging er von dannen, Ohne Abschiedsgruß. Vollkommen amtlich ging er seines Weges; wie nach einer ‚großen Pflichterfüllung. Ich eilte ihm nach, „Herrl” rief Ich. Als Ich auf die Straße gelangte, war er schon um die nächste Ecke gebogen. Sollte ich Ihm nachlaufen? Ich verwarf diesen Gedanken als unsinnig. Der Baß, der Tenor und das Mäd- chen schienen sich während meiner vorherigen ‚Abwesenheit vertragen zu haben. Aber das mit LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Meinen Freund Albert finde Ich in der schmerz- lichsten Verfassung vor. „Was Ist dir?" fragte ich teilnahmsvoll, „Ich hatte heute Nacht einen furchtbaren Traum“ sagte Albert düster. „Denke dir; da hänge ich an der überfüllten Straßenbahn und trage meinen Flauschmantel über dem Arm. Plötzlich entfällt mir der Mantel, Ich springe ab, laufe zurück — mein Mantel war verschwunden.“ „Aber Albert”, versuche ich zu beruhigen, „es war nur ein Traum, du hast doch den Mantı „Woher doch“, antwortet mein Freund, „ich habe ihn nie besessen, Aber es war ein prachtvolles Stück, ganz auf Seide gearbeitet und mit großen, cremefarbenen Knöpfen.“ A. W. (6. Brinkmann) dem Kind, das leuchtete mir noch nicht ganz ein. Wie konnte sich das alles so schnell geändert haben. Aber so ist es eben im Leben: man ver- gißt, man verzeiht, man reicht sich die Hand, die man einst verschmähte und übersah, man lächelt und ist wieder glücklich ,.. Ohne daß ich es eigentlich gewollt hätte, stand ich wieder In dem finsteren Hofschacht an der dunklen Hausmauer. Ich kann nicht leugnen, daß ich an der Herkunft des Kindes interessiert war. Oh, wie enttäuscht war ich im ersten Augenblick, als keine Kinderstimme mehr, sondern ein schmel- zender Tenor sagte: „Ursula, ich liebe dich!” Und es folgte ein Dialog, der mein Herz schneller schlagen ließ. „Laß, Hansi" — „Ich kann nicht! Du mußt mich erhören, hörst du, Ursula, du mußt!" — „Nein, niemals, niemals! Immer wieder nein!" — „Dann werde Ich dich so lange bitten, bis du ja sagst, Ursulal" — „Nein, Hans, das darfst du nicht! Du vergißt, daß ich verlobt bin!” — „Ich wäre der glücklichste Mann auf der Welt, wenn auch du es vergessen würdest, Ursulal“ — „Hans, Hansl” — „Ursulal” — „Hans, Hans, Hanslll" — Und es war mir, als tromm. sie mit beiden Fäusten auf seiner Brust. Dann war es eine ganze Weile still, und Hans bekam eine Ohrfeige. — Und wo mochte das Kind seln? Ich machte mir sehr große Gedanken darüber, — Ob es Ihr Kind war, trotzdem sie ihren eigenen Angaben nach nur verlobt war? Als Ich noch über all das eben Miterlebte nach- dachte und bemüht war, mit mir selbst darüber einig zu werden, ob die Menschen gut oder schlecht seien, öffnete sich neben mir eine große Doppeltür und im Nu lag der Hof In hellem Licht- schein. Durch die große Doppeltür drängten sich Massen von Menschen Ins Freie, „Ein schöner Film!” sagte Jemand. Ein anderer meinte zu sei- ner Begleiterin: „Ein ziemliches Durcheinander wars schon, nicht?" Kurzerhand schloß Ich mich einem rothaarigen Backfisch an und ließ mir den Film von Anfang bis zum Ende erzählen, da Ich nicht für halbe Sa- chen bin u... sollte nicht binnen 8 Tage Ihre Rechnung folgen, sehe Ich mich zu meinem Bedauern gezwungen ...!" mdlinger Straße 38 (Fornruf 129), Brlefenschrilt: München 2 Bestellungen nehmen alla Buchhandlungen, „qualora entro 8 giorni non seguisse Il vostro conto, con mio dispiacere sard costretto a ...1,, lach. Ntungsgeschäfte und Post. 1, wenn Porto beillegl. — ), Erfüllungsort München, (#. Thoay) DIE ERSTE NACHT = VORN Nacht! Wind hat fich aufgemacht, Schüttelt den Regen aus Blättern und Zweigen - - Wir rücken zufammen im Zelt, Schmelgen. Bis einer, - wir Ipüren, tie er den Atem anhält Und laufcht und laufcht - - Bis einer dann plößlich Ipricht: »Hört ihr das nicht? Das Ift kein Wind, der da raufcht - Das ift - -« Er verftummt. Wie ein giftiger Nachtfalter lummt Ein Flugzeug über uns fort, Leuchtkugeln fchrmimmen Über gefpenftifchen Wäldern dort - - Dann aber hören auch mir unheimliche Stimmen: Ein Orgeln und Jaulen und Pfeifen - Wummi 568 Wir hocken krumm Und zufammengeducht, Ehe mir dunkel begreifen -: Die Front! Ein Nachtjäger Ipucht Gelbe, grüne und blaue Leuchtipurftreifen - - Und dann nur wieder der Regen aus Blättern und Zweigen, Der über uns kommt - Und Schmwelgen. Herbert Leftiboudols München, 3. November 1943 . 48. Jahrgang / Nummer 44 30 Pfennig SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN In Süditalien (Erich Schilling) „Diavolo, die Burschen saugen mir den letzten Tropfen aus dem Leib!‘ Nell' Italia Meridionale: “Diavolo! Questi due garzoni mi suggono via fino |" ultima goccia dal corpo!,, Amor saust vorbei... - Amore trasvola veloce (Ir Bllek) BEGEGNUNG Gestern traf ich mich an der Straßenbahnhalte- stelle. Obwohl Ich mich lange nicht gesehen hatte, erkannte Ich mich doch sofort an der schlechten Laune, die mir aus allen Falten meines ge- rade dem Luftschutzkoffer entnommenen zu weit gewordenen Mantels — sagen wir mal — ent- gegenlachte. Ich wußte, daß es nicht geraten sei, mich jetzt anzureden, Andererseits hielt ich es doch für höf- lich, mich anzusprechen, denn was hätte ich sonst von mir denken sollen, wir kannten uns doch schon so viele Jahre, oder glaubten uns wenigstens zu kennen. Ich grüßte also mürrisch, wie man jemand grüßt, den man an einer Straßenbahnhaltestelle gar nicht übersehen kann. „Wie geht's”, fragte ich, „Ausgezeichnet“, erklang die Antwort, „aber das werden Sie ja selbst am besten wissen.” „Natürlich, natürlich, meine Frage sollte keineswegs Indiskret sein, sie sollte nur zur Anknüpfung eines Gespräches dienen. Ich hätte Sie Ja gleich fragen können, was Sie das letzte Mal für den Kaffee bezahlt haben und wie es mit einer fetten Ga..." Da kam ich aber bei mir schön an. Ich erwiderte mir ziemlich gereizt: „Das geht Sie alles einen Dreck an. Übrigens wissen Sie ja wohl, daß solche Gespräche, wenn auch nicht gerade unzulässig, so doch inoportun sind, zumal, da sie auf Hand- lungsweisen deuten.“ Jetzt konnte ich's mir geben: „Ahd, Inoportun. An diesem flaumweichen Ausdruck erkenne ich Sie sofort, ein typisch weiches Wort für eine harte Sache. Sie sollten überhaupt die Dinge beim rech- ten Namen nennen und nicht wie die Katze um den heißen Brei.. Da aber wurde der Angeredete wirklich böse. „Herr“, sagte ich zu mir, wie es niemand zu einem andern sagt, sondern wie man es nur ge- legentlich schreibt. „Herr, Sie vergessen anschei- nend, wen Sie vor sich haben. Sie haben es hier mit dem ausgewachsenen Mitglied der Schrift- tumskammer zu tun, und was jedem Mitglied einer Organisation billig Ist, sollte auch einem Schriftsteller recht sein. Haben Sie nicht schon so und so oft eins hereinbekommen, wenn Sie über einen Friseur, oder einen Musikallenhändler, oder einen Bazillenträger, oder sonst einen an- ständigen Menschen sogenannte Witze gemacht haben? Hat nicht sofort der Obmann dieser Leute Krach geschlagen? Und nun wagen Sie gegen das Mitglied der Schrifttumskammer Dinge zu sagen, die mit Leichtigkeit jeder Jurist als gegen die Berufsehre gerichtet nennen könnte? Machen Sie keine Ausflüchte, und behaupten Sie womöglich, sie dürften sich selbst beleidigen, so oft Sie woll- ten. Nein, mein Lieber, Sie sind geschützt, auch 570 gegen sich selbst. Machen Sie lieber keine so- genannten Witze über sich.” Ich hatte ja gewußt, daß es nicht praktisch war, mich heute anzureden. Ich grüßte bescheiden, und entfernte mich von mir. Walter Foitzick Gelpräch um ein Reitpferd Du mwillft das Roß. So nimm co hin, und laß eo nicht Im Stalle ruhn. Es Ift das Roß von einer Tänzerin. Noch fiehft du Silberftaub von ihren Schuh'n, und aus der Mähne duftet es nach Aletun. Und wenn du mit ihm fprichft, es kennt fich nur in mohlgeformten Lauten aus, mie ihre Freunde Iprechen, im Akzent der Künftler aus dem Schaufpielhaus. (Sie ritten oft mit ihr im Flirt hinaus.) Der Bredenfteiner legte ihm das rote Tuch um feine fchlanken Feffeln an. Die leuchten heute wie ein Feuerflug durch Weg und Park, das Feld hinan. Auf diefem Roß bift du ein froher Mann. Albert Hiemer Zum britischen Löwen (0. Gulbransson) oun? Aurnnansson Ha „Kann ich hier noch unterkommen, Marschall?" — „Nur herein, Majestät, wir sind schon alle da!" Rifugio presso il leone britannico: "Maresciallo, c' & posto qui anche per me?,, — "Avanti pure, Maestä! Glä siamo tuffl quil,, 571 Amerikanisches Tempo in Italien (E. Thöny) „Und dazu hat man tausend Jahre gebraucht? Lächerlich, das machen wir in ein paar Minuten!‘ Velocitä americana in Italia: "E per clö ... occorsero mille anni? E da ridere! Nol lo facciamo In due minuti!,, 572 Apollo und LIED IM Daphne - Apollo e Dafne SCHUTT VON HANS LEIP Und als ich über die Brücke kam, Schutt, nichts als Schutt, als ich über die tote Brüche kam, da ftand mein Vater und drohte mir, als wollte er fagen: Das dank ich dir! Und fuchte und fuchte, was er nicht fand, und hob gegen mich die alte Hand, der Ich im Wege ftand. Und als Ich über die Straße kam, Schutt, nichts als Schutt, als ich über die tote Straße kam, da Stand meine Mutter und fah mich an, und fah mich an und feufzte dann und ging in den Trümmern hin und her und fuchte das Haus und fand es nicht mehr und meinte fehr, Und als ich über den Tormeg kam, Schutt, nichts ale Schutt, als ich über den toten Torweg kam, da and mein Iruder und lachte mich aus und war von den Flammen ganz klein und kraus und fang von unferer Kindheit ein Lied, von der -Zeiten Glück und Unterfchied ein trauriges Lied. Und als ich über den Garten kam, Schutt, nichts als Schutt, ale ich über den toten Garten kam, da ftanden meine Schwertern, drei, und fragten, ob ich es wirklich fei oder nur die Vergangenheit, und trugen alle ein fchivarzes Kleid wegen der toten Vergangenheit. Und als ich über den Schulhof kam, Schutt, nichts als Schutt, als ich über den toten Schulhof kam, da ftand mein alter Lehrer fo grau und mußte Das Gute und Böfe genau und wies mit dem Finger nach hier und dort in der Menfchheit Irrfinn und Brand und Mord und fand kein Wort. Und als ich über den Kirchplats kam, Schutt, nichts als Schutt, als ich über den toten Kirchplat kam, da ftand am zerfchmetterten Turme gebücht meine Liebfte und hatte ein Kränzlein gepflückt aus verkohltem Gebälk und zerborftenem Stein und lächelte felig und lud mich ein, ihr Bräutigam zu fein. 573 (K. Rössing) Und als ich über das Ufer kam, Schutt, nichts als Schutt, als ich über das tote Ufer kam, da fah ich mich felber am Warffer ftehn und fah mich felber von dannen gehn fo leicht, fo frei, fo ohne Belchwer und glaubte es nicht und ging hinterher, als ob es im Traume wär. Und als ich über die Ferne kam, Schutt, nichts als Schutt, als ich über die tote Ferne kam, da fah ich die tote Stadt von fern und fah fie aufleuchten wie einen Stern und fah ihre Not und Trübfal vergehn und fah die Erfchlagene auferftehn Ichöner als je ich gefehn. Welchen Ruhm und Preis forderft du, unerforfchliches Walten? Wie weit find wir gekommen, mas haft du uns genommen, Ungeheuerlichkeitt Bift du noch das Emige Licht? So mach uns wieder jung! © fchmales grünes Reis, das unfere Hände halten, melke nicht, Hoffnung! Programm {R Krlesch) „Sag', Alex, hättest du nicht auch für mich ein wenig Zeit?" „Freilich, du kommst sofort nach den ‚Tauschanzeigen dran!“ Programma: »Dimmi, Alessandro, non avresti un po’ di tempo anche per me?,, — "Certo; tu vieni subito dopo le inserzioni di scambio!,, 574 DIE GSESCHICHTE -EINERSNACHT Am Freitagabend, gleich nach neun Uhr, geschah es, daß dem C-Trompeter Josef Trinkel das Weib auf und davon lief. Die Laubsägeuhr hatte kaum ausgepinkt, da war sie auch schon draußen und warf ihm die Türe zurück, daß die Küchenwaage im Luftzug federte. Und Jetzt, als er allein im schwindsüchtigen Licht der Küchenlampe saß, wußte er nur, daß sie nun fort war, daß seine Maria ihn verlassen hatte. Der Schlag der Tür hatte ihm auf eine kleine Weile alles was vorher geschah, wie mit einem Brot- messer abgeschnitten. Er hlelt nur das Ende eines Fadens in der Hand, eine kleine Schlinge — an die man einen Ehering hängen konnte... Plötzlich riß es ihn in die Höhe. Erlief zur messing- nen Türklinke und berührte sie, als ob sie noch etwas Wärme von ihreı Hand aufgespart hielt. Aber sie war kalt, kalt war sie, wie die Klappen seiner C-Trompete bei einer Grabmusik im winter- lich verschneiten Kirchhof. Da er zurückging, sah er neben der Kohlenkiste die Scherben seines Suppentellers. — Ja, den hat- ten sie zusammen drei Tage vor der Hochzeit In einem Vorstadibasar gekauft. Und Jetzt zog die Zeit zwischen jenem Augenblick, wo das Laden- fräulein den Teller aus dem Packstroh zog — und dem gegenwärtigen Anblick wie ein bemaltes Band vorüber. Sie liebten beide diesen Teller. Und sie aßen zu- wellen nacheinander — nur damit jedes aus die- sem Porzellan löffeln könnte Auf seinen Grund war der Einzug in das „Gelobte Land” gemalt. Wenn Erbsensuppe in diesem Teller lag, dann mußte man länger essen — bis dies Land der Ver- heißung mit Trauben, Weinbergen, mannshoher Saat und saftreifen Früchten durch die Suppe hin- durchschien. Bei Fleischbrühe mit Broteinlage fischten sie zuerst die Schnitten heraus, damit in der Tiefe Ihnen das Paradies durch die mageren Fettaugen entgegenleuchtete... Ja, manchmal war der Teller schon leergespeist und Maria löf- felte In gewollter Täuschung weiter — über die bunten Früchte hin, empfand ihren Geschmack und weidete sich an ihrer Billigkeit Und heute kam Trinkel, wie so oft, von einer Hochzeitsmusik nach Hause. Da hatte er mit seiner Kapelle, die aus Walohorn, Klarinette, Bombardon und seiner C-Trompete zusammengesetzt war, zum erstenmal das Abschiedslied des Trompeters von Säckingen gespielt. Seine Maria hatte ihm dazu die Noten abgeschrieben — aber falsch. Ein paar- mal war sie mit dem Notenkopf in eine höhere oder tiefere Tonlinie hineingeraten und Josef splelte sie vom Blatt in aufschreiender Dissonanz in seine Trompete und von da aus in die Ohren der Hochzeitsgäste hinein. Die quieksten auf wie Hunde, wenn man sie auf den Schwanz tritt... Wie Trambahnen an scharfen Kurven heulten siel Und statt der Tränen der Rührung, die auf dieses Lied hätten folgen müssen, erschallten Lachsalven. Josef glaubte auf einem fahrenden Karussell zu spielen. Alles drehte sich vor seinen Augen im Kreise. Die Notenköpfe flogen allesamt wie scheugewordene Vögel von den Telegraphendrähten aus der Linia- tur, die Melodie zerfloß Ihm wie Wasserfarben zu musikalischem Kehricht, der Takt bekam Kurzschluß — und Josef Trinkel hatte nur mehr die Kraft, gleich einem ausgepfiffenen Komödianten aus dem Saal zu laufen, Hutlos, die Trompete unterm Arm und das verschriebene Notenblatt wie eine gif- tige Natter In seine Faust gepreßt — so rannte er daheim vor sein Weib hin, die gerade den gemal- ten Teller mit Suppe auf den Tisch stellte, „Was hast du mir denn für einen Dreck zusammen- geschrieben?" „War etwas falsch daran..?” „Falsch..? Daß Ich nicht wieherel Ein Auswurf von Unsinn war’s,.| Eine Schande und ein Ge- lächter. .1" „Und wurde es bemerkt,. ?" „Du Schaf..! Ein Angullotti hätte Musikgehör genug gehabt, um diese Rülpser zu hören... |” „Josef, jetzt Iß deine Suppe '. | Das Gelobte Land wird dir.. 1% VON ERNST HOFERICHTER „Ich pfeif dir auf dein — — Kreuzteufelhimmel .. 1" Und schon hielt er im gleichen Krampf, der die Notenblätter preßte, den Suppenteller — und weil Milzsuppe, schiefergraue Milzsuppe darin schwamm, war der aufgemalte Einzug ins Gelobte Land verdeckt. Und vielleicht hätte es Kraft genug gehabt, ihn vor dem Furchtbaren zurückzuhalten, das nun ge- schah... Josef sah nur die graue Brühe, die sich mit der Schieferfarbe seiner Wut deckte — und schon schleuderte er Teller und Suppe gegen die Koh- lenkiste, daß Marla wie vor einem zündenden Blitzstrahl aufschrie — — — „Jetzt hast du unser Gelobtes Land in Scherben geworfen... I" Josef brütete in der befreiten Wut, Über die Stein- kohlen rann die Milzsuppe als warme Lava und die Porzellansplitter des Paradieses lagen wie feindlich aufgeteiltes Land auseinandergestreut. Er bemerkte kaum mehr, wie Marla aus der Küche lief, Nur den Schlag der Türe vernahm er immer und immer wieder in so schneller Folge, daß er wie ein Trommelfeuer In seinen Ohren lag. Voll vom Entsetzen .der Verlassenheit stellte er sich in die Mitte des Raumes und rief ihren Na- men. Aber wie klang der jetzt so ganz anders als sonst, da sie selbst in der Küche stand und Ihn auffing! Nun flog der Schall wieder tot in seine Brust zurück — und er fühlte, wie sie immer weiter und weiter von ihm fortlief, immer wieder Türen zwischen Ihm und ihr zuschlug und doch immer kostbarer in ihm anwuchs — je ferner und un- wiederbringlicher sie wurde. Vor seinen Augen rollte ein Stadtplan nieder, auf dem seine Küche mit der Kohlenkiste groß und wichtig wie ein Dom eingemerkt war. Und Maria lief jetzt In seiner Vorstellung nach Irgendeiner Richtung, überquerte Straßen und Plä'ze — und er wünschte alle Wagen, Radfahrer und Automo- bile der Erde vor ihren Weg, damit sie wenigstens eine kleine Weile zurückgehalten werde. Dann fühlte er sich Ihr wider um ein Kleinstes näher, hörte den Klang Ihrer Stimme und spürte die Buchtwärme ihres Mundes. Aber als er die Arme umschlingend ausstreckte, umfing er nur die leere Luft und die hoffnungsvolle Stille dieser Nacht... Sind wir nicht diewahren Weisen? Viele goldne Sterne stehen, Und ein jeder kann sie sehen, Allen leuchtet schön ihr Licht. Allen ist der Wein gegeben, Jeder kann den Becher heben, Doch ein jeder tut es nicht. Sind wir nicht die wahren Weisen, Die den Wein, die Sterne mögen? Ob am Himmel Engel flögen — Jene andern säh’n es nicht, Höben nimmer ihr Gesicht! Hab’ ich recht nicht, wenn ich meine, Daß sich Erd’ und Himmel eine, Oben, unten sich verflicht, Wenn der Stern sich in dem Weine Spiegelt, und „Da bin ich!“ spricht? Laßt mich Wein und Sterne preisen Im Gedicht! GEORG BRITTING 575 Dann aber tat ernoch dies: Scherben um Scherben des zerschlagenen Tellers sammelte er in seine kohle Hand zurück und versuchte_das Bild, über dem sie so oft schon zusammen gelächelt hatten, wieder zum Geiobten Lend aneinanderzufügen So sehr er aber verschob, auswechselte und um- legte — den Trauben fehlten die Stiele und sie hingen In der Luft. Die Männer blieben ohne Köpfe, Priester ohne Hände und die Sonne, die alles erwärmen sollte, war als Staub in der Koh- lenkiste zurückgeblieben... Indessen fielen Kilometersteine in seine Sehn- sucht hinein, Richtungen bogen sich in ihr Gegen- teil um, oft lief sein Weib in seiner Vorstellung im Kreise oder gar zwei und drei entgegen- gesetzte Wege gleichzeltig... Und die Nacht draußen wurde Immer schwärzer und dicker. Nur mehr Säbelhiebe konnten sie zerstückeln..| Sie war hart und undurchdringlich wie eine Hofmauer geworden. Und Josef lächelte darüber... Diese Nachtwand kann kein Welb durchrennen..| Und eine glasklare Frage :ichtete sich in ihm wie ein Wegwelser zwischen Irrlichtern in die Höhe: Wo wird sie hinwollen,.? Irgendwohin muß sie wollen .| Ein laufender Mensch hat immer ein Ziel... auch In tintenschwarzen Nächten gibt es Endpunkte, offene Türen, helle Lampen und Tür- klingeln ...ı Josef Trinkel hatte drüben In der Johannisvorstadt einen Bruder, mit dem er aber InFeindschaft lebte weil er ihm seinen Kanarienvogel und ein holz- geschnitztes Kruzifix widerrechtlich zurückbehal- ten hatte. Nur seine Frau besuchte Ihn dann und wann an Sonntagnachmittagen, um auf der Nöh- maschine seiner Schwägerin die Flickarbeit der Woche zu erledigen... Dort wird sie sein... Da such’ ich sie auf.., jetzt gleich. . da find Ich sie wieder. ° Er freute sich, einen Ort zu wissen, wo er In- zwischen hindenken konnte. Da wollte er Tränen der Verzeihung in Ihren Schoß weinen, Innig wie die Bitten eines Nachtgebets. Und so umfing ihn schon der Jubel der Versöh- nung, so erstrahite er schen Im rosigen Freuden- aufgang, daß die Gewohnheit sonstiger Abendo ihn ergriff — wo er zu Tanzmusiken aufbrach, Und wie zu solcher Stunde, so schob er auch jetzt ganz mechanisch seine C-Trompete in den schwar- zen Insttumentenüberzieher, steckte sich gedan- kenlos wirbeinde Walzer und stamptende Relter- märsche in die Taschen — und ließ diesem Tun entgegen die Lampe brennen, In der grünenden Hoffnung, sogleich wieder mit seiner Maria zu- rückkehren zu können. So ging also der Trompeter Josef Trinkel schwer von Gewißheit die Treppen hinauf und wußte, daß ' er nur ausging, um voll Leuchten wiederkommen zu können... Häuserwände, Laternenpfähle schwarzer Himmel waren nebensächlich' wie Theaterkullssen geworden. Die Bogenlampen schaukelten wie streunende Katzenaugen übers Pflaster und ein mitternächtiger Wind miaute für sie. So stand er bald vor der schattenhaft aufgetürm- ten Mieiskaserne, In der oben im vierten Stock die Familie seines Bruders wohnte. Als er die Stufen seines Feindes emporstieg, war es Ihm aber in dieser Nacht, als schreite er über die samtenen Treppen eines Hochaltars. Denn vor ihm mußte auch Marla mit ihren Sohlen dies ausge- tretene Gehölz betreten haben... Ja, er hörte das Knarren ihrer Stiefel heraus, verspürte von Stockwerk zu Stockwerk mehr Wärme — und flog der Haustüre wie einer strahlenden Sonne ent- gegen. Jetzt stand er auf dem Fußabstreifer, drückte auf die Klingel und es war ihm, als würde er damlt schon ihren Namen durch die Türe rufen. Er ging in Gedanken diesem Läuten nach, stellte fest, wann es ihr Ohr Ireffen müßte und wie sie sich auf dem Stiefelabsatz wenden würde, um nach der Tür zu eilen, ihm zu öffnen. Es kam nichts Sie hatte ihn wohl nicht gehört, weil sie vielleicht in diesem Augenblick eine und bahrtuch- Schublade aufzog oder einen Stuhl rückte oder an das Zerspringen der Tellerscherben dachtel... Er läutete ein zweites Mal... Aber nur Stille, lang- hingestreckte Stille antwortete mit Stummheit. Niemand zu Hause? Auch der Bruder mit Kind und Kegel fort?... Vielleicht war auch Maria, so wie er jetzt, vor dieser Türe gestanden, hatte gewar- tet, geläutet und wieder gewartet, um endlich, ‚des Wartens müde, wieder in die finster verpackte Nacht hinauszurennen.. ? Oder schliefen sie da drinnen alle schon? Maria am Sofa, das Ohr über den aufgedruckten See- rosen?... Er horchte durch den Türspalt, durchs Schlüsselloech — am Briefkasteneinwurf... Da hörte er den Kanarienvogel singen, den der Bru- der ihm zusammen mit dem holzgeschnitzten Kru- zifix mit falschem Recht abgerungen hatte. Und die brütende Stille der Nacht, aus der jetzt der Vogel mit seinem Singen Formen ausstach, die wie Weihnachtsbäckereien anmuteten, verdrehte und verrückte alle Wünsche In Josefs Seelen- schrank zu lästerlichen Gesichten. So ersehnte er sich — der holzgeschnitzte Chri- stus möchte herabsteigen vom Kreuze und den Kanarlenvogel mit Zeitungspapier zudecken, da- mit sein Singen aufhöre — und er dafür das Atmen seiner schlafenden Marla besser vernehme... Oder der Heiland möchte herabkommen, um ihm, dem C-Trompeter Josef Trinkel, von Innen die Tür- klinke zu drücken und die Sperrkette auszuhängen, damit er selbst durch alle Wohnungsgerüche hin- durchstürmen und seine Entlaufene suchen könnte, Und wie er so dastand, fiel es ihm plötzlich ein, daß er seine Trompete bei sich hatte, Und well kein Rufen durch den Türspalt helfen wollte, blies er eine mächtige Fanfare durch das Schlüsselloch. Das müßte sie hören..| "Aber immer wieder kam nichts als Stille, qual- volle Stille als Echo zurück, Nur In den unteren Stockwerken öffneten sich die Wohnungstüren. Schläfrige Flüche, mit Traumfetzen umhäöngte Vi wünschungen flogen an des Musikanten Ohr... Er hielt sich stille und die Türen schlossen sich mürrisch. Alle Hofinung war aus ihm wie aus einem lecken Faß entlaufen. Auf den Zehenspitzen schlich er sich am Geländer Tıeppe um Treppe hinab und die Nacht fiel draußen wie der Vorhang einer Gruft über Ihn her. Nur damit er ihren Namen mit einigem Sinn sagen konnte, streichelte er die Mauervorsprünge der Parterrefenster und nannte sle „Maria’. Entlaufene Hunde, die am Rinnstein entlang streunten, redete, er mit ihrem Namen an, damit er Gelegenheit hatte, ihn auszusprechen.“ An einer Straßenkreuzung begegneten ihm zwei patrouillierende Schutzleute. Und wie nach einer Hausnummer fragte er sie nach dem Verbleib seines Welbes. „Ist sie Ihnen davon. .?” „Ja — ich habe unser Gelobtes Land in die Koh- lenkiste geworfen...” _ „Leber Herr, Sie sollten weniger getrunken haben ..! Besoffen sind Sie, das Ist alles .1” „Ich habe ,.. habe keinen Tropfen getrunken, ich.. ” „Das sagen sie alle...” „Ich schwöre es Ihnen: os war wegen des Gelob- (M. W. Busch) ten Landes im Suppenteller.,! Jetzt liegt es in der Kohlenkiste...“ „Sie sind verrückt, total plemplem... Schlafen Sie zuerst Ihren Rausch aus..I" Und gingen welter. Vielleicht bin ‚ich wirklich verrückt..! fragte er sich unsicher und Angstschweiß regnete über seine Stirne. Um sich seiner Klarheit zu vergewis- sern, sagte er sich sein Geburtsdatum her, buch- stabierte den Namen seines Unteroffiziers, voll- brachte eine Kopfrechnung, zählte die größten Flüsse Deutschlands auf, examinierte sich in den Zehn Geboten Gottes und erinnerte sich der Spei- senfolge zu seinem Hochzeitstag. Inzwischen war der Morgen mit seinem ersten apfelgrünen Schein über die Dächer gestiegen. Spritzenwagen fuhren an ihm vorbei und begossen seine Stiefel wie Blumenstöcke. Josef glaubte über einem Wasser zu wandeln, so schwamm er auf seinen Sohlen. Am Wochenmarkt öffneten die Gemüsestände ihre Augen. Metzgerkarren sprangen mit rauchen- dem Fleisch über die Trambahnschienen, Bäcker- lehrlinge und Zeitungsfrauen rannten mit back- warmen Semmeln und letzten Telegrammen um die Wette... Aus Nacht und Dunkel war ein neuer Tag gemacht., Aber er war für Josef keine Helle und kein Trost Jetzt war seine Not nur noch sichtbarer gewor- den, jetzt lag alles in noch handgreiflicher Klar- heit vor ihm da... Aus einem Obstkorb lachten ihm in aller Wirklich- keit jene Früchte entgegen, die auf dem zerschla- genen Suppenteller nur aufgemalt waren. Er er- stand sich eine Tüte voll — aber nicht aus hung- rigem Gelüste, sondern nur, um dem Erlebnis, wie er mit Maria über den gemalten Früchten saß, näher zu sein. Da aber verspürte er es, daß ge- maltes ungenießbares Obst im Jubel der Liebe viel schmackhafter sein kann, als die Früchte der Wirklichkeit, wenn sie nicht mit Liebe gewürzt werden... So saß er in all seinem Jammer mit angebissenen Äpfeln, Birnen und der C-Trompete in der Sonne am Obststand. Warm legten sich die morgen- Jungen Strahlen auf das Mundstück des Instru- ments, als wollten sie ihm einen Trauermarsch zu seinem Elend spielen. Ja, Josef hörte eine tieftraurige Melodie aus sei- nem Herzen herauskommen, das wie eine schlecht aufgezogene Spieldose pinkte, Und er erhob sich mit seiner letzten Kraft und wankte zu dieser müden Melodie seiner Straße und seinem Hause zu, nur um wieder die Scherben sehen zu können, nach denen er Zeltlang hatte wie nach einer Heimat. So war er noch nie die Stiege zu seiner Behau- sung emporgsstiegen. So noch nie! Mehr als er stieg, zog er sich hinauf. Und wußte, daß ihn oben nichts als gähnende leere erwartete. Oh, er wünschte sich seine Msria zurück..| Jetzt, da sie fern von ihm wat. hätte er sich allein mit ihrer Unzulänglichkeit in einen Taumel der sieben Selig- keiten stürzen können. Sein leben lang hätte er den Trompeter von Säckingen mit ihren falsch- geschriebenen Noten gespielt, hätte gejubelt, wenn alles über ihn ein brühheißes Gelächter 576 geschüttet hätte und Schande wäre ihm Hosianna- ruf gewesen e Wenn sie nur mit allen Fehlern zurückkehren würde..! Den Türschlüssel hielt er, wie ein Selbstmörder den Revolver, vor sich hin — und es war ihm, als schlösse er ein Gefäß voll Unrat und Spülicht auf. Der Gang bis zur Küche war eklig wie ein Kanalschacht geworden. So — als wäre In ihm seit ihrem Weggang alles Schlechte der Welt, aller beißende Nebel, der ölige Geruch aller Stiegenlampen, das ranzige Fett aller Wirts- hausküchen, alle abgelegten Kleider und alle weg- geworfenen Zigarrenstummel zusammengelegt worden, damit er erfahre, wie Wohnungen ohne Liebe werden Mit Beißzangengriff hing sich die Reue in das Fleisch seines Herzens, das mit seinen eigenen Schlägen sich selbst Nägel einzuschlagen schlen. So fiel er auf die Tür hin, auf dieselbe Tür, die am Abend des vergangenen Tages ihn von ihr abschnitt. Aber die Küche war heller als er es beim Eintritt erwartet hatte, Leicht geblendet schloß er das überschüssige Licht ab, Und erst als Gewöhnung über seine Pupillen kam, als er einen letzten Lidaufschlag In die vermutete Leere tat, da sah er, daß — Maria wie ein Denkmal, wie eine ausgegrabene Statue am Tisch saß und mit ihren glasigen Schaukelpferdaugen ihm entgegen- schaute... Zum Schreien hatte er keine Kraft mehr. Seine Lungen waren wle durchnäßte Flügel geworden. In seinen Knöcheln fühlte er das lockern von Schrauben. Der Boden wurde wie Schnee imFrüh- jahr — er gab nach, er sank ein... Aber, da sein Kopf plötzlich Zentnergewichte wog, flog er vorüber... Und lange fand keines von ihnen ein Wort. Denn alles-Leid des einen wa: vom andern neben dem eigenen Leid schon miterlebt worden. Und was diese Nacht der Sehnsucht aus ihnen gemacht hatte, das lag wie ein offenes Blatt aus einem Märchenbuch vor ihnen. Josef sah langsam auf, von den Bändern ihrer Schürze weg, über das Blumenmuster ihrer Bluse — zum zerwetzten Rand des Tisches... Vor ihm standen zwei Teller — mit dem „Gelobten Land”. Josef suchte die gekitteten Stellen. Aber sie wa- ren wie das Kleid eines Heiligen — ohne Stücke- lung und Naht. „Ach, du hast. „?' „Ja, ich wollte nicht eher zu dir zurück — bis wieder unser Gelobtes Land, unser Paradies im Grunde aller Suppen liegt. Und so wartete ich auf den Morgen, wartete im Bahnhofsaal auf die Offnung des Basars... Und nahm gleich zwei, da- mit... wenn du wieder..|” Josef rieb sich die Augen, die von Tränen voll weren. Aber auch in ihr waren schon viele Trop- fen unterwegs. Und als er mit seinem Gesicht über das Ihrige hinfiel und dies war, als liege er in einer taulgen Wiese, da half kein Übereinander- beißen der Zähne mehr, Und Tränen der Freude rannen wie Brunnen nach schweren Gewittern. Und da sie Jetzt beide über den Teller gebeugt waren, begossen die Tropfen das aufgemalte Paradies mit einem milden Regen — zum Wachstum der Liebe... Und als Josef aus der Tiefe dieser Stunde heraus mit Bewußtheit den zweiten Teller sah, war der wie eine Versuchung, war es — als ob sie damit seiner Stärke mißtraufe und schon den Er- satz beigeschafft hätte — für einen zweiten Wurf aus bösem Herzen... Und bald empfanden sie ihn als Zeichen des Zweifels, der in ihrer meertiefen Liebe schon Sünde schien. Und so zerbrachen sie diesen Er- satz mit ihren Händen — damit sie zusammen nur wieder einen Teller zum Mahle hatten — und auf daß, wie ehedem, nur ein Gelobtes Land ihnen aus allen Suppen entgegenleuchtete..| Und Jetzt, jetzt zog Josef wie einen Strauß golde- ner Blumen seine C-Trompete hervor — und blies durchs offene Fenster einen regenbogenlustigen Walzer in den funkelnden Morgen hinaus, daß es alle Welt wußte — daß sie In ihre Liebe beide wieder hineingefunden hatten — ins Gelobte Land Liebe zurück. Und mit taumelnder Seligkeit tanzte diese Liebe, wiegte sich ihre Liebe In diesem urgewaltigen Takte — wie ein himmlisches Karussell. .! Wie ein Meer von Fahnen im Winde ...| . Die große Arie (©. Nückel) „Siehst du, Martha, und da sagst du immer, ich schreie zu Hause sol" La grande aria: “Vedi, Marta, e tu. dic! sempre che In casa grido lo cosl!,, 577 Das Hindernis K. Heligenstasch) „Das weiß ich: Fritz würde mich sofort heiraten — aber seine Braut ist dagegen!‘ L’ ostacolo: “Lo so bene lo: Fritz mi sposerebbe subito ... ma la sua fidanzata non vi acconsente!,, 578 DAS MOLIERE- DENKMAL VON PETER REIMANN Mir ist es gestattet, über die Kurzsichtigen zu spotten, denn ich bin selbst von einer terriblen Kurzsichtigkeit. Weitsichtige zähle ich zu den von der Vorsehung Erwählten.... Manchmal, wenn ich zwischen den Tischreihen eines Restaurants hindurchbalanciere, scheint es mir, als grüße hier und da eines jener eigen- ärtigen Wesen ohne Augen, ohne Nase und ohne Lippen zu mir herüber: einer dieser Köpfe, die für mich nur weißlich schimmernde, elliptische Scheiben darstellen, neigt sich wie zu einem grü- Benden Nicken; dann muß ich, um einerseits nicht als Flegel zu gelten, andererseits um einem viel- leicht lächerlichen Versehen vorzubeugen, zu einer raffinierten Geste greifen, die einerseits einen Gegengruß darstellen könnte, andererseits als eine Bewegung aufgefaßt werden könnte, die den Zweck hat, eine Fliege oder ein Spinnenweb zu entfernen... Es ist traurig... Und hinter mir vernehme ich dann oft von irgendwoher eine mir bekannte Stimme, die tatsächlich nach mir ruft; Ich wende mich blitzschnell um, denn ich hoffe, der Rufende werde noch bei irgendeiner Be- wegung sein, die sein Rufen begleitet, und ich werde ihn daran erkennen können: wirklich, die- ser Herr muß es gewesen sein, der gerade etwas Gelbes schwenkt, vielleicht sein Taschentuch. Aber im gleichen Augenblick, da ich mich freund- schaftlich zu ihm neige und sein Orangeadeglas versehentlich umstoße, daß die Flüssigkeit sich über seine Hose ergießt, zieht mich eine Hand von der anderen Seite am Jackett; Mensch, hier bin ich! Bist du blind?.., Das ist Heinrich, und der ist weitsichtig. Er kann sich nicht im entferntesten vorstellen, wie es ist, wenn man an Kurzsichtigkeit leidet. * Einst ging ich mit Heinrich in die Oper. Die Oper hat für mich noch manchen Reiz, den sie anderen, normalen Menschen nicht bietet. Für mich isı die Mimi zum Beisplel noch immer ein grazil graziöses Geschöpf, sel sie auch durch ein Kanonenweib dargestellt: denn ich sehe sie nur als einen vage schinmernden Fleck, der sich auf der Bühne bewegt, und aus dessen Richtung mich mehr oder weniger gut interpretierte Pucciniklänge an- wehen ... Nach dem ersten Aufzuge, während der Pause, wies Heinrich plötzlich irgendwohin, in den grau- flimmernden Menschenbrei des Saals (denn wir saßen In einer Rangloge), aus dem hier und da andersfarbige Flecke, teils weißliche — die Ich für Gesichter hielt — äufleuchteten, und sagte: „Siehst du den dort? Das ist der neue schwedi- sche Gesandtel” „Wor“ „Da drüben, neben der Dame im dunkelgrünen Dekollet: Ich sab irgend etwas Dunkelgrünes sich leise hin und her bewegen, es hätte jedoch für mich eben- so eine Fahne oder ein großer Kürbis sein kön- nen. Dennoch sagte Ich, um mich nicht allzu sehr bloßzustellen: „Jaja, jetzt sehe Ich Ihn. Sehr interessant. Neben der Dame im dunkelgrünen Dekollete, nicht wahr?” „Ganz recht", antwortete Heinrich: „Jedoch das, was du für die Dame im dunkelgrünen Dekollete hältst, Ist der Vorhang. Dort drüben Ist sie doch, ganz entgegengesetzt, in der rechten Loge.” Ich wandte folgsam den Kopf nach rechts: „Stimmt, jetzt habe ich ihn. Ich sehe ihn ganz genau." „Eigenartig”, sagte Heinrich wieder „ganz elgen- artig. Er Ist nämlich gar nicht mehr da. Er muß wohl ins Foyer gegangen sein...“ Ich hatte mich blamiert. Aber Ich versuchte, doch noch meine Ehre zu reiten, und zwar durch einen Bluff. „Aber von wem sprichst du denn eigentlich?” Kanaren hin und Druck: 5 F k, München. : Einzelnummer 30 Die Auskunft - L’ informazione 2. Kegenbaith) „Sagen Sie mir doch mal, lieber Mann, was sind Sie eigentlich?" „Wenn Se et schon wissen müssen: 'n alleinstehender eineliger Zwilling!“ "Ditemi un po’, coro vom, in realta' cosa siele Vol, — "Glacch& dovele saperlo: sono il gemello superstite d’un sol uovo!,, fragte ich: „Von dem Großen da etwa, dem mit der weißen Hose?“ „Ich sehe niemanden in weißer Hose. Du meinst vielleicht den Herrn, vor dem eine Dame im wei- Ben Kleide steht?!” Ich begann, mich zu ärgern. Da sagte Heinrich: „Dort kommt Teobald.” „Welcher Teobald?” „Nun, Teobald, dein Chef. Er grüßt dich sogar. Willst du den Gruß nicht erwidern?” Ich nickte lächelnd über die Brüstung hinweg und vernahm unter mir einen Dialog: „Meint der dich?” „Wer? „Der da oben; der eben gegrüßt hat.” „Nein, mich meint der nicht. Ich kenne ihn nicht. Vielleicht kennt er dich?“ „Nein, mich kennt er auch nicht.” „Komischer Kauz...” Ich schämte"mich bereits, aber Heinrich ließ mir nicht lange Zeit dazu; er stieß mich schon wieder an und flüsterte: „Die Witwe Berger mit ihren Töchtern... Ich versuchte, seinem Blick zu folgen und sagte ja, Ich sehe sie. „Sie droht lächelnd mit dem Finger”, sagte Hein- rich. Wahrscheinlich, weil ich ihren Gruß nicht er- wider! habe, dachte ich, und Ich legte eine vor- bildliche Verbeugung hin. Da hielt es den Heinrich nicht mehr, er begann furchtbar zu lachen und gestand mir, dieser ge- meine Mensch, daß er sämtliche Personen, auf die er gewiesen, erfunden habe. Ich nahm es ihm dermaßen übel, daß ich ihn nach Ende der Vorstellung einfach stehen ließ und mei- ner Wege ging. Ich hätte es nicht tun sollen. * Als es mir nach schwerem Kampfe gelungen war, meine Garderobe zu erobern, setzte ich, da ich meinen Mantel überziehen wollte und keinen an- deren Platz für meinen Hut fand, diesen einen Augenblick der Moll&re-Statue auf, die neben der Kleiderablage stand. Die Statue jedoch brüllte mich empört an und warf meinen Hut zu Boden. Da sah ich erst, daß sie keine Statue war, sondern einer von der Eisenbahn... Wir begannen, uns zu streiten. Der Mann wurde unflätig und verab- folgte mir eine Ohrfeige. Ich lief davon, einen Schutzmann zu suchen. Am Ausgang traf ich einen Gendarmen. Ich erklärte Ihm den Sachverhalt; ich Hirth Kommanditgesollschaft, München, Sandlinger Straße 3 (Femruf 1296). Bri Der Simplicissimus erscheint wöchentlich Pf; Abonnement Im Monat RM Nachdruck verboten. — Poslcheckkonto München hätte einem Eisenbahnangestellten versehentlich meinen Hut auf den Kopf geseizt, daraus sei ein Streit entstanden; der Mann sei tätlich geworden. „Sind Sie verrückt geworden? Ich werde Ihnen helfen, Sie Idiot!" schrie mich der Schutzmann an; aber er war gar kein Schutzmann — er war der- selbe Mann von der Eisenbahn... Ich war der Ver- zweiflung nahe; ich machte kehrt und lief nach einem Gendarmen, und wirklich traf ich einen, wenngleich es nur ein Feuerwehrmann war, Ich nahm ihn am Rockärmel und führte ihn zu melnem Eisenbahner. „Dieser Mann", sagte ich, „hat mich beleidigt; er hat mich geschlagen!” Da lachte der Feuerwehrmann und fragte mich, ob ich betrunken sei. Auf meine empörte Antwort, ich habe seit Wochen keinen Tropfen Alkohol ge- nossen, wurde er ebenfalls ärgerlich und meinte, Ich wollte Ihn wohl zum besten haben! Da wurde ich gewahr, daß wir gar nicht vor dem Eisenbahner standen. Der war über alle Berge, Wir standen vor dem Mollöre-Denkmal ... LIEBER SIMPLICISSIMUS (9. Nückel) Dieser Tage besuchte ich eine Familie, die stark in Musik macht. Mein Freund Pepi, der auch anwesend war, hörte andächtig zu als die Hausfrau am Klavier saß und war ein begeisterter Beifallspender. „Na, Herr Klein“, sagte die Hausfrau, nachdem ihr Repertoire und das Ihrer Tochter erschöpft war, „jetzt kommen Sie daran, Sie spielen ja auch Klavier, wie ich gehört habe.” e „Allerdings“, antwortet Pepi mit einem treuherzi- gen Augenaufschlag, „allerdings, gnä Frau, aber auch nicht besonders!” H.K.B, ch & ft: München 2 BZ, Brloftach. Inmal. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfle und Post zn oranverlengte Einsendungen werden nur zutückgesandt, wenn Porlo belllegl. — Erfüllungsort München. Stützpunkt Azoren inajm Shui „Sehen Sie, mein lieber portugiesischer Freund, so haben wir beide auf diesem Stuhl Platz!" Le Azzorre, base d’appoggio: “Vedete, mio caro amico portoghese, cosl abbiamo posto tuttl e due su questa sedia!,, 580 München, 10. November 1943 % 48. Jahrgang / Nummer 45 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN | MARAS UND BADOGLIO Guinaanffon ur „Nein, mein Lieber, mich kann man nur mit dem Schwert und nicht mit Betrug vertreiben!" Marte e Badoglio: “Ah no, caro mio; nessuno puö cacciar via me con l"inganno, ma solo con la spadal,, Der Erntewagen - Il carretto della raccolta (0. Nückel) DER BETER Dies Erlebnis liegt über ein Jahrzehnt zurück. Ich kam damals auf einer Studienreise durch Italien auch nach Orvieto, einem auf hohem ‚Felsen ge- legenen umbrischen Städtchen. Es war an einem tegnerischen Tag, als ich beschloß, dem Dom einen Besuch zu machen, dessen berühmte Fassade Ich schon des öftern im Vorübergehen bewundert. Zu meinem Vorhaben wählte Ich die Mittagszeit, weil Ich hoffen durfte, zu dieser Stunde wenige An- dächtige darin zu finden, und mich, ohne jemand zu stören, unbehindert der Betrachtung der Fresken Signorellis hingeben zu können. So kam mir ein heftiger Platzregen, der gerade REZEPT Im Spätherbft wird man maulhenkolifch, gegebnen Falls auch alkoholifch, wobei man Eins gefchicht vertreibt, Indem man Zwei fich einverleibt. Das Seelenfchmwungrad läuft behender, zumal wenn man fich feinen Sender auf Suppe einftellt oder Strauß, Boccaccto oder Fledermaus. Wenn jetst euphorifche Lüfte wehen, empfiehlt es fich, zu Bett zu gehen, damit der Zuftand, der beglücht, nicht unverhofft von dannen rückt. Man muß, um ihn zu konferoieren, alsbald in Schlaf Ihn überführen, dann währt er noch die ganze Nacht - falle nicht etwas dazwifchen kracht. Ratatöchr losbrach als ich mich auf den Weg machte gar nicht ungelegen; durfte ich doch umso eher er- warten, die Kirche leer zu finden. Als ich am Por- tale anlangte, war das funkelnagelneue Regen- dach, mit dem ich mich ausgerüstet hatte, so klitschnaß, daß ich befürchten mußte, damit auf den Fliesen der Kirche eine wahre Überschwem- mung anzurichten. Also stellte ich meinen triefen- den Begleiter entschlossen in eine Ecke zwischen Tür und Windfang und trat ein. Ich hatte richtig spekuliert: die Kirche war völlig leer. Nur an der Nebenkapelle kniete ein Mann, im Gebet versunken. Ich schritt so sachte als mir möglich war an Ihm vorüber und hatte bald den Standort gefunden, den ich zur Betrachtung der Fresken für den geeignetsten hielt. Als ich etwa nach einer halben Stunde den Dom wieder verließ, war der einsame Beter bereits ver- schwunden. Dafür kam, wie zufällig, der Sakristan herbeigeschlurft. Nun, ich wußte was Brauch Ist, und gab ihm ohne weiteres den üblichen Obulus. Er bedankte sich vielmals und begleitete mich höflich zum Ausgang, um mir die Türen aufzu- machen. Draußen goß es noch Immer In Strömen, und das erinnerte mich an meinen Schirm. Aber — der war wegl „Signor Sacrlstano, sehen Sie diese Pfütze hier In der Ecke? Da stand mein Regenschirm! Ich habe ihn hierhergestellt, um Ihnen nicht Ihre ganze Kirche unter Wasser zu setzen. Nun ist der Schirm fort. In der Kirche war außer mir nur noch ein ein- ziger Mensch, jener Mann, der vor der Seiten- kapelle links betete, Haben Sie ihn vielleicht be- merkt? Können Sie mir vielleicht sagen, wer er Ist?" Der Sakristan schüttelte verneinend, und wie mir schien, verständnisios den Kopf: „Ich habe nie- manden bemerkt, mein Herr.” „Nun, niemand anders als dieser fromme Beter kann meinen Schirm genommen haben!” Und mich zum Gehen wendend, fügte ich bissig hinzu: „Eine schöne Frömmigkeit das: Drinnen betet man zum lieben Gott, und draußen stiehlt man dem lieben Nächsten den Regenschirm!” 582 Erschrocken hob der Sakristan abwehrend die Hand: „Sagen Sie das nicht, mein Herr! Das dürfen Sie nicht denken! Sicher tun Sie dem Manne da- mit unrecht! Sehen Sie, wie es regnet, und da in der Ecke steht ein Schirm! Was konnte der Mann anders denken, als der liebe Gott habe ihm den- selben hingestellt?” Überwältigt von dieser Erklärung stülpte ich-den Kragen hoch und suchte meinen Weg durch den Regen. A. Hackemann DIE WAHRE LIEBE Ein Gebirgsjäger, aut Urlaub im Zillertal, hatte sonntags auf dem Kirchplatz von Mairhofen sei- nem Schatz, der Sendin, versprochen, den andern Tag käm er zu Ihr auf die Hochalm und wenn es Eisenstecken regne. Doch anderntags, als er sich eben zum Almgang schicken wollte, kam, weiß der Himmel woherl der Befehl, diese Nacht noch hätte er sich bei seiner Kompanie in Wörgl zu melden. Bis der Zug ging, waren noch knapp drei Stunden Zelt, doch vier Stunden und eine:halbe war der Weg ‚suf die Alm und wieder zu Tal. Da hieß es, Beine über die Achsell Das tat er denn auch, sprang die Gasse hinauf gradwegs den Wald empor, rannte Über die Bergwiese was das Zeug hielt, und los auf die Alm, als wär der Höllische hinter seiner. „Vinzenz, bist da jetzti” rief ihm die Sendin von weitem entgegen. „Da nit!" schüttelte er den Kopf, „bloß kemen sagen, daß I nit kimm!’ Sprach’s, kehrte um, und sprang wieder den Berg hinab, — Als ihn_die andern diese Nacht in der Kompanie fragten, ob er doch wenigstens seiner Herzaller- liebsten einen tüchtigen Schmatz gegeben habe, meinte er bloß, dafür hätte er sich nicht ver- halten, Eile sei nichts für verliebte Leute, denn die wahre Liebe brauche allwegs ihre Zeit. K. Springenschmid Morgenthau in Sizilien (Wilhelm Schulz „Hat dir der amerikanische Finanzminister etwas gegeben, Giuseppe?" „Ja, den guten Rat, ich soll mein Geld auf die Weltbank tragen, die er gründen will!" Morgenthau in Sicilia: "Ti ha dato qualche cosa, Gluseppe, il Ministro americano delle Finanze?,, «S}, Il buon consiglio ch’ Io porti Il mio danaro alla Banca Mondicle ch’ egli vuole fondare!,, 583 MÄDCHEN AUF EINEM BIEDERMEIERMEDAILLON »..„erinnert an das Karussell der Kinder, Das sich am Sonntag dreht und immer wieder dreht. ++.„ erinnert an den stillen Gutshofwinter, Vom Schnee hoch zugeweht. Es hat zur Dämmerung am Fensterbrett gestanden, Und unten war ein Wehr und rauschte tief, Und unten waren Liebende, die im Hain verschwanden, Der reglos schlief. Das Auge fernher spiegelt Den Königsleutnant, der vom Pferde springt, Die Gartenpforte, eilig aufgeriegelt, Ein Seidentüchlein, das zum Abschied winkt, VON ANTON SCHNACK Vor einem roten Vorhang ist es abgemalt, Durch eine Lücke schaut der blaue Himmel, Wartet im Hof der Wagen mit dem Apfelschimmel, Weil es so glücklich strahlt? Ich male nach — die Brauen sichelhaft geschwungen, Der Mund weich, sinnlich, schön; Man ahnt die Brüste (Alabasterhöh’n), Bewegt vom Zug der Lungen. AUF KINDESBEINEN VON STEFAN HOLLENTHONER Acht Tage nach meiner Geburt wurde ich ge- tauft. Anschließend gab es Kaffee mit Schlag- obers und Mehlspeise — für mich allerdings nicht, Mein Pate war eigentlich eine Patin, eine fesche Lebzelterin vom Stadtbahnviadukt, Sie schenkte mir einen silbernen Löffel und kümmerte sich nie wieder um mich. Der Löffel wurde mit der Zeit braun, dann schwarz, und schließlich kam das blecherne Skelett zu Tage. Ich ging schon zur Schule, als Mutter das „Glumpert” aus dem blauen Futteral nahm und in den Müll warf. Einige harte Worte widmete sie noch der „un- verschämten Lebzelterin”, auf Vaters Stirn ent- standen einige Falten, dann war keine Rede mehr von der Patenschaft. Die Erinnerung an die früheste Kindheit lebt von unauslöschlichen Eindrücken auf die Seele, auf den Körper oder auf beides. Als ich eineinhalb Jahre alt war, saß ich im Flügelhemdchen auf dem Bügeltisch. Meine Mutter bügelte. Ich kann heute nicht mehr genau sagen, ob sie meine bedrän- gende Nähe nervös machte oder nicht. Tatsache ist, daß plötzlich die Milch am Gaskocher über- lief und meine Mutter das Bügeleisen wegstellte, um die Sache mit der Milch in Ordnung zu brin- gen. Ich sah die weite Ebene des Bügeltisches als lockendes Tätigkeitsfeld vor mir liegen. Ich zögerte nicht lange, erhob mich mühsam und stapfte dann wacker fürbaß. Etwas seltwärts lag tückisch ein gähnender Ärmel von Vaters Hemd. Ich sah Ihn nicht, verwickelte mich in ihn, fiel nach rückwärts und landete mit meinem Gesäß mitten auf dem vor Hitze flirrenden Bügeleisen. Das Zischen von geröstetem Fleisch, mein gräß- liches Geheul und das Herbeistürzen meiner Mutter waren eins. Der Kontakt zwischen mir und dem Bügeleisen wurde gelöst. Dann wurde ich mit Salz bestreut und mit feinstem Tafelöl be- schmiert. Durch acht Tage hindurch konnte ich nur auf dem Bauche liegen und die Kehrseite war der kühlenden Luft ausgesetzt. Es versteht sich von selbst, daß dieses schreckhafte Ereignis einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ, zu- mindest in meiner Seele, ob auch auf dem be- troffenen Körperteil, kann ich wegen der schwie- rigen Sichtverhältnisse nicht so ohne weiteres sagen, Jedenfalls wurde der Grundstock zu mei- ner Lebensweisheit — denn diese ist Ja bekannt- lich die Summe aller schlechten Erfahrungen — durch ein heißes Bügeleisen gelegt. Kinder sind für gewöhnlich in irgendeiner Be- ziehung ehrgeizig. Mein besonderer Wunsch war, groß, stark und furchtbar gescheit zu werden. Andererseits war meine Eßlust nicht besonders groß. Mutter nutzte nun meinen Ehrgeiz dadurch aus, daß sie das brave Einnehmen von viel Suppe als die Voraussetzung jeden Wachstums und das Essen von Kalbshim als die Grundbedingung äller Gescheitheit hinstellte. Im Panoptikum trat damals der bulgarische Riese auf, er war so lang, daß mir das Genick weh tat, wenn ich ihm ins Gesicht schauen wollte. Mutter fragte ihn, ob es wirklich wahr sei, daß er seine Größe nur dem Suppenessen zu verdanken habe. Der Riese Der Liebestrank - L’elisir d’amore (Fr. Bllek) Und um den Mund blüht Lächeln, $o lächeln, sommerlichtbefunkelt, Seen, So lächelt Sonnenschein im Schattenweg der Nußalleen, Wenn Lüfte leise fächeln. Schmal die erregte Nase, Die Stirne wölbt sich wie ein Traumaltar, Und über ihr ein Bund von schwarzem Haar, Geteilt von einer Scheitelstraße. Den Almanach mit Kupferstichvignetten, Das Notenheft mit einer Haydnmelodie, "Ein Briefblatt, und inmitten Amoretten Die Zeile: „Molly, ich liebe Sie!" lachte, bückte sich zu mir herab, streichelte mich mit seinen Riesenpratzen und sagte gurgelnd: „Ja, mein Kind, immer essen Supp!’ Daraufhin gab ihm die Mutter eine Krone. Auch Kalbshirm aß ich, da ich doch unbedingt gescheit werden wollte, Heute weiß ich aller- dings, daß man dann wirklich gescheit ist, wenn man es. nicht ißt. Wie gewisse Wilde das Harz des erlegten Feindes verzehren, um selbst ein tapferes Herz zu bekommen, so aß ich Kalbshirn bei jeder Gelegenheit, um die Masse meines Gehirns zu vergrößern. Ich glaubte ja, es hänge vom Gewicht ab, wie gescheit man sei. Daran, daß es gerade Kalbshirm war, was ich aß, stieß ich mich nicht. Ich dachte mir: Hirn ist Hirn. Im übrigen ist die geistige Inferlorität der lieben Kälber durch nichts erwiesen. Im Rahmen ihrer Kalbheit tun sie gewiß ihr Bestes. Es entspringt einer gewissen Überheblichkeit, daß wir gern jene Tiere als intelligent bezeichnen, die uns nachäffen und auf unsere diversen Wünsche be- teitwilligst eingehen. Kinder sind glühende Apostel und ihre Logik ist uferlos. Ging Ich da einmal mit geputzter. Nase spazieren, Je ein Patschhändchen in die Hand meines Vaters und in die meiner Mutter gelegt. Ich guckte gerade in die Luft und sah Schnee-. wittchen und die sieben Zwerge in den Schöfchen- wolken, die am Himmel ruderten, als plötzlich meine Eltern stehen blieben und mit einem Wesen « ein Gespräch begannen, das mich im ersten Augen- blick mit Schrecken erfüllte, Es war eine Frau mit einer großen Nase und einem breiten Mund, der gerade lächelte und seine gelben Zähne zeigte. Was aber meine Augen völlig kugelrund machte, waren die Zwergenhaftigkeit dieser Frau und der gewaltige Höcker, den sie wie eine Last trug. Nach einiger Zeit mochte sie bemerkt haben, daß ich sie unentwegt anstarrte, Sie wandte sich an mich und sagte freundlich: „Du bist aber ein goldiges Bubil” Ich drückte mich in die Rockfalten meiner Mutter und sagte: „Und du bist eine schlimme Tante! Du hast deine Suppe nicht gegessen, sonst wärst du nicht so klein geblieben.” Daraufhin bekam ich von Vater eine Ohrfeige. Und das war — letzten Endes — un- gerecht. Meine Mutter litt: zeit ihres Lebens unter heftigen Zahnschmerzen. Die Zahnärzte quälten sie nach allen Regeln der Kunst, es half auf die Dauer aber nichts, Schließlich faßte sie einen heroischen Entschluß; Sie ließ sich alle Zähne ziehen, die kranken und die gesunden auch. Man baute ihr für gutes Geld ein blendendes Gebiß, das abends immer ins Wasserglas kam, wo es bis zum Mor- gen blieb. Die Sache gefiel mir und ich wollte Die beste Lösung (Erich Schilling) „Auf diese Weise haben wir Engländer seit je die Völker befriedet!"" La miglior soluzione: "Noi Inglesi abbiamo rappacificato i popoli sempre in questo modol,, auch so ein Gebiß haben, Da lächelte die Mut- ter, nahm mich auf den Schoß und erzählte mir, eine gute Fee habe Ihr allein die Gabe ver- liehen, die Zähne herausnehmen zu können, und ich dürfe das niemandem sagen, besonders nicht der Frau Klug vom zweiten Stock, auch dem Onkel Fritz nicht und der Tante Olga schon gar nicht, denn sonst müsse sle viel und lange, lange weinen. Da umklammerte ich meine gute Mutter und sagte Ihr unter heißen Tränen, daß Ich nie, nie eıwas sagen würde. Die Mutter lächelte. Deı Vater auch. An einem schönen Tag im Frühjahr ging meine Mutter in die innere Stadt, um Einkäufe zu machen. Die Frau Klug vom zwelten Stock hatte sich an- geschlossen und ich wurde auch mitgenommen Ich vertrieb mir die Zeit, so gut es ging. Ich pfiff mir eins, was allerdings von Mutter nicht gern gehört wurde, ich spuckte die Ladenfenster an, was. Mutter nicht sehen durfte, und ich streckte ab und zu einem Passanten die Zunge heraus, was Mutter nicht einmal ahnen durfte Abeı sie plauderte sich gerade mit der Frau Klug so gut. Da sah ich auf einmal einen Schaukasten. der in Mannshöhe angebracht war Und in die- sem Schaukasten sah ich etwas, was mich mii 585 grenzenlosem Staunen erfüllte. Wahrhaftig, dort lag ein schneeweißes Gebiß und bleckte mich nöhnisch an. Ich riß meine Mutter zurück und tief, so laut ich nur konnte: „Mutti, schau nur, da liegen deine Zähne, die dir die gute Fee ge- schenkt hat!” Ach, meine ärme Mutter verfärbte sich, Leute blieben stehen und lachten, und die Frau Klug sagte mit ihrer grellen Stimme: „Glauben Sie, ich habe es nicht schon längst gewußt?!” Von der Zeit an war mir klar, daß Kinder von den Erwachsenen bisweilen angeplauscht werden — sehr zu deren Nachtelll MEIN FREUND PITT VON A, WISBECK Obschon kh seinerzeit die ehrenwörtliche Ver- sicherung erhalten hatte, aus dem kleinen, welßen Wollknäuel, der über den Boden rollte, würde sich In Kürze ein Foxterrier entwickeln, blieb die Rassenzugehörigkeit meines Pitt stets ung=klärt „Schade, daß Ihr Dackel den Kopf eines Schnau- zers hat!” meinten die einen, „Zum Bully fehlt Ihrem Spitz die breite Brust” mäkelten die an- deren, Nein, es gab wahrhaftig keinen Fehler, den man dem armen Hündchen nicht angedichtet hätte, Es kränkte mich, das will ich wohl ge- stehen, doch enthielt Ich mich Jeder Entgegnung. Denn Ich hätte es für unhöflich gehalten, Frau Direktor Häberlein auf die langen Ohren ihres Gemahls, oder Herrn Baumelsl auf die krummen Hinterläufe seiner Gattin aufmerksam zu machen. Man liebt, und liebt vielleicht um so tiofer, wenn es Fehler zu verzeihen gibt. Es ist das Geheim nis des Herzens, Ich liebte keinen Fox, liebte keine Stelzbeine und stumpfe Schnauze, ich liebte ein Geschöpf, das sich vor Freude überschlug, wenn ich das Zimmer betrat, und das sich in einen Winkel verktoch, wenn ich es verließ. Ich liebte die stummen, bescheidenen Bezeugungen einer Freundschaft, die sich nicht Im Wort er- schöpfte, Womit war sie verdient? Hatte ich viel- leicht’ Geld geliehen oder zu einem Posten ver- holfen? Manchmal fuhr meine Hand über ein struppiges Fell — das war alles. „Ich verstehe Um Mitternacht - A mezzanotte es eigentlich nicht, weshalb du mich lieb hast“, frug mich Pitt bisweilen, wenn wir des Abends beieinandersaßen. „Hast du es schon bemerkt, ich bin ein häßliches Geschöpf. Das eine meiner Augen ist blau, meine Ohren sind die eines Schakals, und wenn ich mir auch stundenlang mein struppeliges Fell lecke, es bleibt der ordi- näre Balg eines Gassenköters. Warum liebst du mich?” „Schweig’ still!" sage Ich und versuche, meine Stimme rauh zu machen. „Es gibt Dinge, die du nicht verstehst. Doch bleib’ bei mir bis zum Ende deiner Tagel” Da wedelt Pitt freudig mit seinem Schwänzchen, legt seinen braun- gefleckten Kopf auf melnen Fuß und schläft ein. Ich will es nicht verschweigen: es gab auch Inner- liche Mängel, die meinem Freund anhafteten. „Er ist ein kleines Schweindll” äußerte sich al Frau Geheimrat Markus. Und in der Tat: an fro- stigen Wintertagen benützte Pitt nicht selten das Tischbein zu Zwecken, wofür ihm eine Straßenecke oder Plakatsäule hätten genug sein müssen. Aber sagen Sie doch selbst einmal, gnädige Frau, wür- den Sie bei zwanzig Grad Kälte aus dem warmen Bett barfuß in den Schnee laufen, einer lächer- lichen Kleinigkeit wegen? Ist es vielleicht Ihr Ver- dienst, daß sich das Töpferhandwerk Ihrer Not annahm? Ja, sehen Sie, Ihnen würde ich es ver- übeln, wenn Sie etwa in meinen Papierkorb — — doch genug davon! — (Magon) A „Xaverl, geh, mir is grad eing’falln: Wia is nacha dees, bal amal oans stirbt von uns zwei, was krieg nacha da I Pension?" "Guarda un po’, Saverio, cosa m’& capitato in mente proprio adesso: Che ayviene se mal uno di nol muore? ... Che pensione ricevo allora lol, 586 Um diese Zelt, das heißt während frostiger Win- teriage, lernte Ich Halga kennen. Sie war eln fei- nes Mädchen, hatte das humanistische Gymnasium mit Erfolg hinter sich gelassen und wußte die ersten Verse der Odyssee fehlerlos vorzutragen. Doch waren es diese geistigen Vorzüge nicht, die mein Herz In Helgas Bann schlugen. Denn als ich beim Besteigen der Straßenbahn das Glück hatte, ein Paar hauchdünn bestrumpfter, trockener Beine vor mir zu erblicken, das kurze, berückende Spiel der Wadenmuskeln zu genießen, waren mir Hel- gas seelische und geistige Eigenschaften noch vollkommen fremd. Eine gesegnete Überfüllung der Plattform und eine kleine Hilfeleistung ver- mittelten fast zwanglos die Bekanntschaft. Bald stand es schlecht um mich. Von Tag zu Tag wuchs meine Liebe, füllte jede Stunde meines Daseins aus und machte es zu stummer, verschwlegener Qual. Denn seht, ihr guten Männer, bei einem humanistisch gebildeten Mädchen verfangen eure üblichen Werbungen nicht. Die straffen Ge- setze der lateinischen Syntax, d!e kühle Logik eiceronischer Reden, haben das Gehlın wehrhaft gemacht und zu klassischer Beherrschtheit erzo- gen. Nein, mein Lieber, ein so geartetes Mädchen überrumpelst du nicht so leicht wie eine dumme Gans! Immer umsplelt ein spöttisches Lächeln den herben Mund, und magst du auch noch so gut lügen. Freilich, auch Kleinmut wäre nicht am Platz. Denn es kann bisweilen sein, daß mit Blitzesschnelle das Herz den Zaun folgerichtigen Denkens durchbricht, daß sich Arme öffnen, und ein Weib erschauernd an deine Brust sinkt, „Bis- weilen”, sagte Ich, denn In meinem Falle kam es so welt nicht, wie ich schon an dieser Stelle auf- richtig bekennen will. — „Was haben Sie da für einen scheußlichen Köterl" meint Helga, als sie zum ersten Male meine Woh- nung betritt, um das bekannte Täßchen Tee bei mir einzunehmen. Betroffen blickt Pitt auf, Keine freundliche Begrüßung, dünkt ihm. Doch man muß sich liebenswürdig erweisen, um den ersten Ein- druck zu verwischen. Wie wäre es, wenn man einen Ball heranbrächte? Vielleicht würde auch eln hübsches „Männchen“ Eindruck machen? Oder soll man es gar wagen, den Kopf an den Strümp- fen der stolzen Dame zu reiben? Wäre ein ele- ganter Sprung auf das Sofa genehm? Nein, armer Pitt, hier hast du kein Glück! Die Dame spricht über die Oden des Horaz und tut so, als sei man gar nicht vorhanden. Nun, auch gut, da kuschelt man sich eben In sein Körbchen und schläft sich eins. — Schon verströmt nun die Lampe milden Schein über den Tisch. Es ist mir, als hätten sich Helgas Züge gelöst, als ruhte ihr schwarzbewimpertes Auge nicht ohne Wohlgefallen auf mir. Wider- standslos läßt sie es geschehen, daß ich meine . Hand auf ihren schlanken Arm lege. „Gefällt es Ihnen bei mir?” frage Ich. „Ja, es getällt mir — sehr gut gefällt es mir”, flüstert Helga vor sich hin, als scheue sie sich, es zu gesehen. „Jeden + Tag, jede Stunde werde ich nun auf dich warten“, sage ich und lege meinen Arm um Ihre Schulter. In diesem Augenblick springt Helga auf, blickt zuerst erstaunt, dann mit dem Ausdruck des Ekels auf Ihr Bein hernieder. Ach ja, dieser Pitt, der verdammte Köterl „Schuld der Damel” meint Pitt, und versucht es, durch forsches Auftreten Ein- druck zu machen, „Warum mußte dieses dumme Weib ihren Fuß so nahe an das Tischbein stellen?” „Vielleicht schmeißen Sie nun endlich dieses gteu- liche Vieh hinaus?” herrscht mich Helga mit be- bender Stimme an. Gehorsam packe Ich Plit am Nacken und werfe Ihn vor die Wohnungstüre. „Es ist spät geworden”, sagte Helga kühl, als Ich in das Zimmer zurückkehre, „Ich werde nach Hause gehen. Vielleicht aber haben Sie für derartige Fälle ein Handtuch bereit.” — — Wo mochte nur Pitt so lange ble'ben? Jetzt erst erinnerte ich mich seines letzten Blickes. Liebe und schmerzliche Enttäuschung lagen gleicher- maßen darin. Wo bist du, mein kleiner treuer Freund, wo hast du in dieser frostigen Nacht Un- terschlupf gefunden? Ich warte Stunde für Stunde, Ich durchwache die Nacht, Niemals kam Pitt zu- rück. Manchmal war es mir, als scharre es an der Türe. Nichts —, „Entschuldige mein elnfältiges Verhalten!” schrieb mir Helga, „wie konnte Ich mich über eine Lächerlichkeit so erregen?” Ja, Ich verstand und ich entschuldigte, aber — — —, Erfahrungsaustausch (R. Kelesch) „Weißt du, das habe ich schon bemerkt: es gibt eigentlich nur zwei Arten von Männern!" „Ganz richtig Aber zwischen den zwei Arten besteht eben auch kein Unterschied!" Scambio d’esperienza: "Saı, ho glä osservato che in realtä non cl sono che due sorte di vominil,, “Giustissimo! Ma anche fra le due sorte non c' & appunto nessuna differenzal,, 587 Der Fischkauf - Compera di pesce (Gustav Gaggell) BEI REGENSBURG Nur dein Name it [drön, kahl gewordener Berg. Heute noch wirlt du genannt: Auf den Winzerer Höh’n, Aber Ichwellender Trauben Halt du nicht eine mehr! Es war irdilcher Wein und er [chmeckte dem Mund Und du sprachlt mit dem Mond und du warlt nicht allein, Doch die herbere Schlehe Macht nur den Gaumen ftumpf! Schleppt der Mond jetzt fein Licht langlam über den Berg. Müde neigt er dıs Haupt, wälcht das weiße Gelicht In dem Waller der Donau Bis er verjüngt enteilt! Glanz, den nah er verliert, leuchtet Liebenden au Denen tief im Gebülch größte Trunkenheit wird Adhı, wie gleicher den Zechern Nächt'iches Liebespaar! Hallen Turmuhren hart in die Winzerer Höh’n, Schrecken auf lie das Paar, das im Kusse erltarrt. Dodi wer Wein oder Liebe Koltet, verzagt nicht leicht! Kommt der Morgen herauf, kahl gewordener Berg, Saglt du nidıts von der Nadhıt, wer am Hange dir lag. Oh, du weiht, dah dein Name Liebenden viel verheiht! ® HERMANN SEYBOTH DER KLABAUTERMANN ÜBER DER KOJE VON EUGEN SKASA-WEISS Wie der Klabautermann überhaupt in unsere Baracke kam? Ganz harmlos. Eines Tages haben sie mir ein zerknautschtes Feldpostpäckchen nach Stor- jorden geschickt, Es war voller Kreppapier; ganz Innen, wie die Nuß In der Schale, lag ein Männchen aus farbigem Lehm, Es war ein Männchen mit zweitschgenblauen Armen, einem Rumpf, der eiwa von der unbestimmbar tristen Farbe war, die wir als Knaben den armen Seelen zudachten, und sechs spritblauen Haarflammen auf einem gelben, eiförmigen Thersiteskopf. Die Beine lagen wie kleine Wuzelwürste daneben, Sie-waren zinnoberrot wie die Nase des Mönnchens; klebte man sie an, so ähnelte der kleine Kerl dem boshaften Zwerg Klein-Zaches, ge- nannt Zinnober. „Solche scheußlichen Männchen sitzen bei uns zu Hause überall herum“, stand auf dem beiliegenden Zettel, „aber man gewöhnt sich daran. Wir sehen nicht ein, weshalb der Vater von den Einfällen seines Sohnes ver- schont bleiben sollte..." Mein Ältester aber hatte keine andere Sorge, als daß seinem scheußlichen Männchen auf der Reise über 3000 Kilometer hinweg etwas zustoßen könnte. Es kam Jedoch bei allerbestem Wohlbefinden — sah man über den winzigen Beinschaden hinweg — im hohen Norden an. Und augenblicklich fiel es uns auf, daß dieses zöhlebige Männchen sich nirgendwo so selbstverständlich zu Hause fühlte wie Im Land Peer Gynis. Trollartig, misanthroplsch und unterirdisch, wie es nun einmal geraten war, eignete es sich hervorragend als Wächter meiner Armbanduhr, die mutte: seelenallein an einem Nagel neben meiner Koje hing und in der Nähe d« Erzberge und des Nordpols außer Rand und Band geraten waf. Ich setzte das Männchen wie einen glückbringenden Däumling auf den Nagelkopf, meine Kameraden stützten seine Walzenarme mit Streichhölzchen und ach- teten väterlich darauf, daß ihm beim Stubendienst keine Unbill widerfuhr. Denn das verflixte Männchen fing allmählich an, uns in Atem zu halten. Bald verlor es einen Teil seiner Haare, bald wurde sein Gesicht so furcht- bar lang, daß es kein Vergnügen machte, darunter einzuschlafen, bald streute es seine Gliedmaßen achtlos unter die Decken und bisweilen rutschte es kopfabwärts um den Nagel herum und sah phllosophisch starr auf die ängstlich vorauslaufende Armbanduhr. Eine geschlagene Nacht kamplerten zwei Maate in unserer Baracke, die handtellergroße Muschelschalen aus Ihren Soesäcken packten, sie bis oben hin mit qualmigen Kippen füllten und uns aus grauen Dampfwolken an- kündigten, daß sie in unseren Kojen diese Nacht wie der Kaiser von China zu filzen gedächten. Der Spieß hätte sie deshalb hergeschickt, wir sollten die Urlauberkojen besteigen und so weiter. Wir wußten nicht, was diese beiden mit dem Filzen vorhalten, waren aber darüber einig, daß unsere Strohsäcke dafür zu schade seien; am späten Abend kam os heraus, daß beide mit dem Filzen nichts Schlimmeres mein- ten als Schlafen. Der ältere Maat, der unter melnem Männchen lag, das er vorher übersehen hatte, richtete sich kurz vor Mitternacht beim Schein seiner Taschenlamps plötzlich ouf und begann: „Was Ist denn das für'n ekler, gammliger Kla- bautermann, der da dauernd auf meine Neese stiert...?1" Unten bei der Petromaxlampe saß Jan, der andere Maat, und stocherte mürrisch in seiner Bratfischkonserve, „Qußrre‘, knurrte er vor sich hin, „laß den Klabautermann und gib mir ein Ende von deinem gammligen Speck, Quärre, mach mir nichw vor, du hast ihn wegen der Mäuse und mir in die Kole hochgeschleppt, Pfui Deibel...” „Ich werde dir deinen schimmligen Fisch vor die Schnauze donnern, Jan”, sag'e QuXrre bös und fuhr mit einem Ruck vom Strohsack hoch. „Der Kleine an der Wand muß meinen Speck unbedingt gerochen haben. Meinen schönen Speck aenen deinen lausioen Fisch, daß mir der gelbe Klabauter- mann da aerade ein Auge nekniffen hat!” Qußrre ballte die Faust und h'eb mit einem gewaltigen Schlag das Männ- chen flach an die Wand — brüllte aber Im selben Augenblick wie ein See- löwe auf Mitten In seinem Daumenballen saß der Nagelkopf und der Kla- bautermann sah zernuetscht und grinsend zu, wie das rote Blut in Strömen über seine Hand floß. So benann der Klabautermann, wie das Männchen fortan bei uns hieß, allmählich aktiv zu werden und unseren Resnekt zu erwerben. Ich gab ihm. da mir seine flache Gestalt näch’liche Schauer einlag'e, seine ur- sprünn!iche Däumlinnsrund!ichkeit zurück und sein Gesicht verlor damit das Rachsüch'Ine und Hämische, das uns keine Sekunde oefallen wollte. In einer der Nächte, in der es noch breitaequetscht war, behauptete einer, es hötte nach Mitternacht herzerweichend gestöhnt und hößlich an seinem Nanel aeschabt. Wenn ja ein snuklustiner Kobold durch sein Unwesen die Insassen einer S’ube durchainanderhrachte, so war er ein Walsenknabe aenen unsar Klebautermännchen. So oft Ihm Iroend etwas abhanden aekommen war — und er hielt seine Gliedmaßan bei Gott nicht ordentlich zusammen — be- schuldinte einer den andern. er hätte das armRar'inste Charakterstück des Klabautermännchens arh’los hinwenrefent. Der Klebautermann sah über: leren auf uns herab und amüsle:te sich. Er marh'e uns zänkisch und rauf- lus'In und wenn wir nahe daran waren, uns selne'wenen an die Rinnen zu rücken, sah er aufmun'ernd und fanatisch wie der Geist des Unfrie- dens von einem zum andern. Biswe'len zeinte er heimliche Ernänzunnen aus Lehmknollen, die frisch vom Rrunnanhau mi'nannmmen waren. und sein Charakter fin damit an, "noch schärfer und trolihafier zu werden Der hvnochondrische Geist des Polarlandss fuhr in sein lohmines Gehlüt. Immer hizarrer wurden *-'"n Ver- renkungen, er legte die Arme auf das Zifferblatt, er bekam Haare aus 588 Der Grantige - Il musone (6. Hermann) „Sei halt a bisserl freundlich mit der Kellnerin, Alisi, nacha kommts Bier schneller!‘ — „Naa, zerscht probier i’s amal so!" "Ma sii un pochino gentile, Alisl, colla cameriera, ch& cosi la birra verrä piü presto! Besengestrüpp, ihm wücherten Kiefernadelzigar- ren aus dem Mundwinkel, er saß plötzlich rittlings auf dem Nagel und drehte den Beschauern die rotgewellte Pavianrückfront zu wie das Brücken- männchen von Beuel — und dabei veränderte er seine Formen nach den Stimmungen, die Sonne, Nebel oder Nordlicht über uns ausgossen. „Es Ist merkwürdig", sagten wir uns, wenn wir zuweilen stutzig auf sein unverschämt lebendiges Klabautermannfeixen hinstarrten, „man sagt, der hohe Norden verändert den Menschen — diese durchteufelte kleine Lehmgeburt kommt um die- ses Gesetz aber noch weniger herum als wir; und offensichtlich scheint ihr diese Veränderung Spaß zu machen.” r Sie machte dem Klabautermann geradezu gran- diosen Spaßl Bei allen guten Geistern — er bekam etwas Hohl- wangiges und Phosphoreszierendes, die umher- flatternden Hexenschüsse mußten ihm in die Glieder gefahren sein — er hielt sich heute steif und krampfhaft über der Armbanduhr, die vor Entsetzen immer schneller lief, morgen krümmte er sich epileptisch vornüber und trug eine trüb- sinnige Miene zur Schau, Wird unser Klabauter- mann, fragten wir uns, bei derart launenhaften Anstalten den langen Winter überleben? Es war ausgemacht, daß wir diesen Proteus daran hindern würden, seiner Natur so hemmungslos nachzugeben, wenn er eiwa gedachte, uns wäh- rend der langen Nächte In ähnlich skurriler Weise anzuöden. Urlauber, die zurückkehrten, befreundeten sich zunächst mit ihm und unterstützten seine baro- meierhafte Unberechenbarkeit mit ihren ausgeruh- ten Einfällen — aber dieser Zwang zur Originali- töt seizie ihm ungewöhnlich zu. Wie ein verirrtes fränkisches Zweitschgenmännchen begann er allmählich zu schrumpfen und eines Tages fand ich unseren von allen Schrecknissen der Polarzone heimgesuchten Klabautermann verstüm- melt und zerhackt rund um seinen Nagel, ein schrecklicher Schemen seiner selbst, Eine Elster, die an der glitzernden Armbanduhr Gefallen ge- funden hatte, war ihm herzlos zu Leibe gegangen. Er ging in der Tat an seiner Wachsamkelt zu- grunde. Doch glaube nicht, mein Sohn, daß dein armes Männchen, das eine so wunderbar weite Reise getan hatte, ohne zerdrückt zu werden, derart einfach geendet hätte. Es wäre zwar ein märchen- haftes Ende gewesen, denn die diebischen EI- stern sind ja die unsteten Geistervögel der nor- dischen Märchen. Doch es kam plötzlich ein Herbststurm auf, der tausend heulende Wind- strähnen durch die Ritzen unserer Baracke jagte — und da holten wir die Glieder des Klabauter- männchens wieder aus der untersten Ecke des 589 — "Macch&; dapprima provo pur cosi!,, Spinds hervor; es war die Zeit gekommen, wo es uns ohne Faxen und Schnurrpfeifereien bei- springen konnte, Mit einer schmalen Spachtel schmierten wir seine Glieder, den Rumpf und seinen gelben, eiförmi- gen Thersiteskopf kügelchenweise in die zugigen Bretterfugen — und das Klabautermännchen ver- schwand Stück um Stück ohne Widerspruch in der Wand. In manchen Nächten kann es seine verstörte und schabernacklustige Seele nicht ganz verleugnen — da dehnt es sich in den Fugen, ächzt und knistert gottsjämmerlich, und wenn knatternde Stürme vom Fjord her auf unsere Baracke prallen, heult es teuflisch mit auf und rumort zwischen den Brettern. Mag sein, daß der hohe Norden jedes Geschöpf nach seiner Welse verwandelt — doch sicherlich wurde unserem Klabautermann am Ende übler mitgespielt, als seine koboldhafte Verwandlungs- sucht dies verdiente, Ihr solltet ihn aufschreien hören In böigen Näch- ten — als führe alles Zahnweh und tausend Hexenschüsse, die von den Winden uns Land- fremden zugetragen werden sollten, in sein tief- stes Innere — und in solchen Nächten denke Ich an dich, mein kleiner Bub — denn wer weiß, wozu es gut war, daß du dieses verrückte Kla- bautermännchen für mich geknetet hast... In der Konditorei (X. Heiligenslaed!) „Die Torte sieht aber ziemlich alt aus, Fräulein!“ — „Ja, bei Torten geht das schneller, gnädige Frau!“ Nella pasticceria: “La torta sembra abbastanza vieta, signorinal,, — "Sl, colle torte la va plö rapidamente, signoral,, 590 EINE GUTE GESCHICHTE VON ERIK BERTELSEN Ich hate eine schlechte Erzählung geschrieben. Das kommt dann und wann vor. Aber diese waı so ausgesprochen schlecht, daß Redakteur Prim von der „Zeitschrift für Männer“ sich nicht damit begnügte, mir das Manuskript zurückzusenden. Er ließ mich wissen, daß er mir mündlich seine Mel- nung ausführlicher darlegen wolle, als es in einem Briefe geschehen könne. Die Zurechtweisung geschah nach dem gleichen Prinzip, das gewandte Pädagogen zurückgeblie- benen, aber nicht ganz hoffnungslosen Schülern gegenüber anzuwenden pflegen: „Warum schreiben Sie nicht eine wirklich gute Geschichte? Ich weiß, daß Sie es können, wenn Sie sich nur zusammennehmen. Es war nicht leicht, auf diese Außerung eine Ent- gegnung zu finden. Deshalb schwieg ich und war- tete auf weltere Unterweisung. Die kam auch. Prim fuhr fort: „Die Geschichte, die Sie mir sand- ten, ist vielleicht für ein gewöhnliches Wochen- blatt sehr gut, das einen rührenden Schluß wünscht. Aber nach meiner Auffassung sind diese Blätter allzu feminin geprägt. In der Zeitschrift für Män- ner verfolgen wir eine reallstischere Linie. Wir arbeiten dahin, daß die Unterhaltungsliteratur all- mählich eine männlichere Einstellung bekomm! Ich schwieg nach wle vor, Denn ich dachte nach. Ich dachte daran, daß es auch eine falsch betonte Männlichkeit gibt, solche mit Watte in den Schul- tern, und daß diese In gewissem Grade auch auf die „Zeitschrift der Männer” zutraf. Allmählich war etwas Trotz in mir aufgestiegen, und ich erdreistete mich zu fragen, wenn auch sehr ehrerbietig: „Könnten Sie mir nicht skizzieren, wie eine No- velle sein müßte, um Ihrem Geschmack zu ent- sprechen?” Redakteur Prim hatte seinen autorenfreundlichen Tag. Er antwortete gutmütig: „Ich werde Ihnen die Inhaltsangabe einer guten Geschichte geben. — Ein Junger Ingenieur hat seine eigene Firma aufgemacht. Und eine seiner ersten Aufgaben war es, eine Brücke über einen Fluß an einer schwierigen Stelle zu bauen. Das war eine sehr ehrenvolle Aufgabe, die ihm nicht nur deswegen übertragen war, weil sein Angebot das billigste war, sondern auch weil man seine hervorragenden Eigenschaften erkannt hatte. Er setzte seine ganze Kraft daran, die bestmög- liche Arbeit zu leisten. Aber als die Brücke sich ihrer Vollendung näherte, zeigte es sich, daß nicht alle seine Berechnungen standhielten. Er hatte nicht hinreichend in Betracht gezogen, daß die Konjunktur sich ändert, so daß seine Ausga- ben größer wurden, und es kam so, daß er, wenn er seine Verpflichtungen einhielt, nicht nur seine Arbelt umsonst getan hatte, sondern finanziell ruiniert war. Seine Ehre verbot ihm, an Material zu sparen oder eine schlechtere Qualität zu verwen- den, als er in Aussicht gestellt hatte. Es gab nur einen Weg der Rettung für ihn: Er konnte sich mit einer nicht mehr ganz Jungen Frau verheiraten, die nachwelslich verliebt in ihn war. Sie war reich und hatte außerdem Verbindung zu einflußreichen Kreisen. . Aber er machte sich nichts aus ihr. Er liebte eine andere — die Ihn sicherlich aufgeben würde, wenn er sich beim Brückenbau ruinierte. Er traf seine Wahl. Er vollendete die Brücke. Sie war ein Meisterstück, Niemand konnte einen Feh- ler an ihr finden. Und am Einweihungstage ström- ten die Leute in großen Scharen herbei. Aber ein Mann fehlte. Das war der Meister. Um selnen Aus- gaben gerecht werden zu können, halte er sein Geschäft auflösen und alles verkaufen müssen, was er besaß, von den Maschinen bis zum per- sönlichen Eigentum. Und während der Festausschuß mit Blechmusik an der Spitze über die flaggengeschmückte Brücke marschierte, — wanderte der Ingenieur allein auf einer fernen Landstraße, um Arbeit zu suchen, arm und heimatlos; aber seine Ehre hatte er gerettet. So, das nenne ich eine gute Geschichte für Män- ner. So etwas sollten Sie schreiben. Sie können das doch!” Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditge, Walter Foltzick, München. — Der Simplicissimus erschi anstalten entgegen. — Bezugspraise: Einzelnummer 30 Pl; Abonnement im Monat RM. 1.20. Nachdruck verbolen. — Posischeckkonio München 55 Vorantwortl, Schriftlei Der Unwiderstehliche - L’irresistibile „Ja-8”, antwortete Ich nachdenklich, „Ich werde es Jedenfalls versuchen.” Um bel der Wahrheit zu bleiben, fühlte ich mich absolut nicht sicher. Ich war mißmutig, als ich den Redakteur verließ. Deshalb ging Ich nicht gleich nach Hause, sondern suchte meinen Kollegen Bent Konrädsen auf. Er konnte mich vielleicht nicht grade sehr aufmuntern, aber er pflegte ausge- zeichnete Zigarren zu haben. „Du siehst so niedergeschlagen aus”, sagte er bel der Begrüßung. „Ja — denn ich komme gerade von Redakteur Prim und habe eine schlechte Zensur wegen meiner Novelle bekommen.” Konradsen nickte. „Das sieht ihm ähnlich. Er ist schwer zufriedenzustellen. Aber ehrlich gesagt: Selbst wenn du einige gute Ideen hast, gibst du Ihnen selten einen halbwegs guten Ausdruck.” „Mit dir ist es vielleicht gerade umgekehrt‘, ich. „Tja“, antwortete er tlefsinnig. „Da sprichst du vielleicht wahrer als du denkst, Mir fällt das Schreiben leicht, aber die Einfälle schwer, Im Au- LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Ein berühmter Nordpoltorscher hatte sich für eine neue Expedition ein Paar besonders kräftige Schaftstiefel bei seinem Leibschuster bestellt, Bei der Anprobe fragte der Melster, wie sich denn das letzte Paar auf der vorigen Reise bewährt habe. „Hervorragend! erwiderte lässig der große Mann, „es waren die besten Stiefel, die ich je auf einer Polfahrt gegessen habe it wöchentlich einmal. B: — Unverlangle ‚chaft, München, Sondiinger Straße &0 (Foınrıt 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brlı !lungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsg: Einsendungen werden nur zurückgesand!, wenn Porto beillegt. — öllungsor! München. (Fr. BIlek) genblick bin ich vollkommen ausgepumpt. Hast du nicht eine Idee für eine gute Geschichte?” Wenn ändere Menschen in der Klemme stecken, bin ich zuweilen ganz hilfsbereit. Und auch dies- mal wollte Ich den Freund nicht enttäuschen. Ich begann sofort zu erzählen, „Es war einmal ein Junger Ingenieur...“ Er bekam die ganze Geschichte Prims von dem unglücklichen Brückenbauer zu hören. Schon bei den ersten Worten verdüsterte sich sein Gesicht. Und Je länger ich sprach, desto tiefer wurden die Runzeln auf der Stirn, während er gleichzeitig seinen rastlosen Gang im Zimmer verstärkte. Ich habe selten einen Zuhörer gehabt, der ein so leidensvolles Miterleben zeigte. Als Ich endlich fertig war, sah er mich ernst an und sagte mit bebenden Lippen: „Ich habe immer geglaubt, daß wir Freunde wären. Aber jetzt sehe Ich, daß du nicht besser als andere bist. Sonst würdest du mich nicht in diesem Grad verletzen.” „Dich verletzen?” sägte ich verwundert. „Ich wollte dich im Gegenteil erfreuen.” „Stlll” sagte er hart, „du bist mir neidisch. Sonst würdest du nicht mit einem so unschuldigen Ge- sicht dasitzen und mir diese infame sentimentale Geschichte erzählen.“ „Mir scheint-die Geschichte auch nicht besonders gut”, entschuldigte ich mich, „aber ich erzählte sie wirklich In der besten Absicht.” „Danke — das habe ich deutlich gemerkt”, unter- brach er mich und wandte mir den Rücken. „Es wäre mir am liebsten, du gingest Jetzt.” So ging ich, ganz verwirrt und noch mißmutiger als vorher. Das war ein trauriger Tag für mich. Was hilft es, wenn man Gutes tun will und von seinen Mitmenschen nicht verstanden wird, Am nächsten Tag kam die neue Nummer der „Zeitschrift für Männer” heraus. Ich kaufte ein Heft und fand darin eine Geschichte mit dem Ti- tel „Der Ingenieur", geschrieben von Bent Kon- radsen. Nachdem ich einige Zeilen gelesen hatte, merkte ich, daß es die Geschichte von der Brücke war, die Unterschuß ergab. Und da ich den Geschäftsgang des Blattes kannte, wußte Ich, daß das Manuskript vor einigen Monaten einge- gangen war. Ich telefonierte mit Konradsen und gab ihm eine längere Erklärung. Und wir wurden wieder gute Freunde. Und das war eigentlich das Beste an der Geschichte. z (Aus dem Dänischen von Lucie Mülbe) lach: ichäfte und Post- Wavell und die Totengeier (E. Thöny) „Diese Hungersnot hier. ist wirklich schrecklich. Die Biester fressen mir mein ganzes Kanonenfutter weg!" Wavell e gli avvoltoi dei cadaveri: ""Questa carestia & qui davvero terribile le bestiacce mi divorano tutta la mia carne da cannonel,, 592 München, 17. November 1943 . 48. Jahrgang / Nummer 46 n 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Im Unterhaus-Restaurant (m. Tnöny) mm „Ober, bringen Sie mir noch elne Portion. Die Debatte über die Hungersnot In Indien war ungemeln appetltanregend!“ Nel ristorante della Camera Bassa: “Camerlere, portateml un’ altra porzione! II dibattito sulla carestia In India mi ha eccitato un terribile appetitol,, Herbst im Stadtpark - Autunno nel Parco Civico HEIZEN Bei einer Zentralhelzung Ist die Sache so: Man steht vom Schreibtisch auf, faßt an die Röhren, dreht sinnlos an einem Hebel herum und sagt schließlich: „Der Hausmeister hat heute mal wie- der nicht richtig geheizt.” Damit ist die Sache er- ledigt. $o habe auch Ich es Jahrelang gemacht, Jetzt bin Ich In persönliche Beziehung zu einem Ofen ge- treten, In sehr persönliche Beziehung. Ein Ofen, müssen Sie wissen, meine Herrn Zentralgeheizten, ist ein Ding, das In der Ecke des Zimmers steht und dazu dienen soll, Wärme auszustrahlen. Da- ERNSTE ZWEIFEL Die Kirchmeih= und die Martinsgänfe ereilte fchon des Todes Senfe. Vorüber ift der Fefttagsfchmaus. Proft Mahlzeit! - Ich fiel leider aus! Auch Weihnacht ift nicht ausfichtsvöller. Denn wo Im Stalle oder Köller noch fo ein Vogel exiftiert, ift er bereits verabonnlert. Da müßte man Ja wohl fein Denken in Richtung auf Karnichel lenken, von denen wir durch Kenner hör'n, daß fle erfreulich eßbar wär’n. Doch felbft auf diefem Marktgeblete zieht man belämmert eine Niete, indem der Züchter uns belehrt, daß er fie lieber felbft verzehrt. Das ift im Grunde ja begreiflich, denn es ift menfchlich. Nur bezmeifl” ich, ob folche Eigenbrötlerei auch meltanfchaulich tragbar fel. Ratatöchr mit eln Ofen wärmt, muß er geheizt werden, Bis hierher ist die Sache vollkommen klar, aber wie wird ein Ofen geheizt und mit was? Haben Sie ein Ihnen nahestehendes weibliches Wesen zur Hand, werden Sie sofort mit ihm in Meinungsver- schiedenheiten eintreten über die Art des Hel- zens. Alle Männer glauben vom Heizen mehr zu verstehen als Frauen. Heizen ist ausgesprochen männlich. Helzen ist eine durchaus laute Tätigkeit. Man kann mit Schaufel und Schürhaken kräftig gegen Ofentüren schlagen, auf eisernen Rosten herumkratzen und Staub aufwirbeln. Frauen be- haupten, wenn Männer eine ungewohnte Arbeit verrichten, hätten sie es gern, wenn dabei starke Arbeitsgeräusche entstehen. Man könnte gut eine Schallplatte aufnehmen: „Er heizt ein.” Sie würde aus einer Tonfolge von Klirren, Schaben, Poltern, Fluchen und Stöhnen bestehen. Am Ende kann dann Prasseln eintreten, Prasseln bedeutet erfolg- reiche Beendigung der Tätigkeit, Prasseln zeigt on, daß der Ofen brennt. Aber vor das Prasseln haben die Götter den Schweiß gesetzt. Ich habe früher nie gewußt, wie heikel Ofen in der Nahrungsaufnahme sind, und daß ein’Unterschied zwischen Kohlen und Kohlen besteht und daß Holz nicht gleich Holz Ist, vom Ofen aus gesehen. Man kann einem Ofen noch so oft klarmachen, daß dies ein ganz vorzügliches Holz Ist, daß es nahrhafte Kohlen sind, die man Ihm anbietet, er frißt sie nicht. Bei Menschen geht das, Ofen haben einen sehr ausgeprägten Ge- schmack. Ofen verweigern die Nahrungsaufnahme, erklären das Angebotene für unverdaulich und beginnen zu rauchen. Das sollen auch Männer gelegentlich tun. Es ist aber noch unerträglicher, wenn ein Ofen raucht, als wenn es ein Mann tut, von der Wärmeerzeugung ganz zu schweigen. Ich bekenne, es ist ein stolzes Gefühl, einen Ofen In Brand zu stecken, es bereitet Befriedigung, man hat den Eindruck, eine ordentliche Arbeit ge- leistet zu haben. Man fühlt sich als nützliches Glied der Familie, auch wenn dabel ein Aschen- 594 (0. Hegenbarth) Te | | regen auf Möbel und Manuskripte niedergeht, wie es vor zwei Jahrtausenden bei der Stadt Pompeji geschah, Tja, wo gehobelt wird, da fallen Spähne, und wo Männer heizen, da fällt ein Aschenregen, Frauen haben Achtung vor gutheizenden Männern, und aus ihrem dankerfüllten Blick spricht etwas wie „Du Starker’, Übrigens hat das Helzen den Vortell, daß man sich die ganze Zeit damit beschäftigen kann und von Jeder anderen Arbeit abgehalten wird, Da gilt es nachzulegen, Asche zu entfernen, den Luft- ‚zug zu regeln, Klappen zu öffnen und Überhaupt nach dem Feuer ständig zu sehen. Ich weiß es, in Jedem Mann wohnt, sagen wir mal ein Kind, un! das will heizen. Foltzick ES WAR EINMAL ein rechter Bösewicht, der hatte der Witwe Freundlich ein Schweln mitten In der Nacht ge- stohlen. Aber Gottes Mühlen mahlen sicher und so kam die Sache auf und der Bösewicht stand eines Tages vor seinem Irdischen Richter. „Was haben Sie denn mit dem Schwein gemacht, Angeklagter?" „Gegessen habe Ich es, hoher Rat!” „Gegessen? Und das sagen Sie so ruhig und ohne Reue? Haben Sie denn, von Jeder Irdischen Strafe abgesehen, daran gedacht, daß Sie sich eines Tages im Himmel für diese Schandtat verantwor- ten müssen? Was werden Sie sagen, wenn Sie vor Gottes Thron stehen und neben Ihnen die Witwe Freundlich, die Sie vor Gott anklagı?” Der Bösewicht sah sinnend zu Boden. „Verzeihung, hoher Rat”, sagte er dann, „glauben Sie, daß auch dann das Schwein da sein wird?” „Gewiß.” Da klärte sich des Bösewichtes Gesicht auf und er sagte: „Dann Ist es nicht so schlimm, hoher Rat. Dann werde ich sagen: ‚Bitte sehr, Frau Freundlich, hier Ist Ihr Schwein mit Dank zurück’... IHR. Jahreszeiten der Liebe (R. Kriesch) „Weißt du, Elll, Im Frühling Ist Liebe eigentlich Kitsch, aber Im Herbst liebt sich’s unglücklich am schönsten!" Stagioni dell amore: “Sal, EIll, I'!amore In prImavera In realtä non ha alcun valore, ma belllssimo & I’amore Infellce In autunnol,, 595 Britannia unter Polizeiaufsicht (0. Gulbransson) oLAar Abtnmansson 3 „Nein, nein, Miß Britannia, das ist keine Zwangsjacke, das ist das neueste amerikanische Jakett, das kleidet Sie vorzüglich!" Britannia sotto vigilanza di Polizia: “No no, Miß Britannia, questa non & una <amicia di forza, ma la giacca americana d’ ultima moda che Vi sta a meraviglial,, 596 DIE ARME LAVALLIERE VON EFFI HORN Beim Staubwischen am Montag früh fiel es Hen- riette sofort auf: der kleine Porzellanchinese, der In unendlich feinen Händchen ein langes Schrift- blatt hielt, wies eine kleine Verletzung am linken Daumen auf. Ein winziger Splitter war abgebro- chen, noch wenig zu sehen, aber beim Drüber- fahren deutlich zu spüren. Merkwürdig, wo ihn kein Mensch angerührt hat, dachte Henrietie und schaute sich für alle Fälle einmal mißtrauisch nach dem Kater um, aber da wäre dann immer noch zu klären gewesen, wie Mampe, der Kater, den allenfalls umgeworfenen Chinesen wieder aufgestellt hätte, Ein paarmal im Lauf des Tages noch fiel ihr die Wunde des klei- nen Figürchens ein, das sie im Scherz oft ihren Talisman genannt und sorgsam behütet hatte, da es das erste Geschenk war, das ihr vor anderthalb Jahren Walter Helbing, ihr Verlobter, mitgebracht hatte, Zwei Tage später fehlte dem Chinesen das Däum- chen der rechten Hand und Henriette war erst ärgerlich, dann unruhig, und da sie ihre Unruhe gern in Worten kundtat, schrie sie: „Zum Kuckuck, wer zerbröselt mir da eigentlich meine Porzellan- figürchen?”“ Abeı das Zimmer gab keine Antwort, was nicht weiter verwundern konnte, da es leer war. Am Abend erzählte sie Walter zum erstenmal von den kleinen Unglücksfällen ihres Talismans. Er bedauerte sie gebührend, doch, wie es Henriette vorkommen wollte, etwas zu teilnahmslos für einen Bräutigam, der In wonigen Monaten Ihr Mann sein sollte, und sagte, so etwas könnte halt mal vor- kommen. „Ja“, antwortete Henrieite mit ungewöhnlicher Bestimmitheit, „aber die Sache bedeutet doch etwas, und das gerade will ich wissen, Was meinst du, was ich von deiner Liebe halten müßte, wenn plötzlich mein, dein — unser kleiner Chinese sich selbständig in Scherben auflöste und damit sozu- sagen das Ahnenporträt ersetzte, das in feineren Familien vor Unglücksfällen polternd vom Nagel zu fallen pflegt!” „Fang nicht an zu spinnen”, bat Walter mehr freundschaftlich als liebenswürdig, worauf Hen- riette nicht umhin konnte, Ihn an sein letztlich zu- nehmend zärtliches Geplänkel mit Gerda, ihrer gemeinsamen Freundin, zu erinnern „Ach, Gerda”, sagte Walter und machte eine überaus beruhigende Handbewegung, eine Be- wegung, die so sehr beruhigend war, daß sie Henriettens Aufmerksamkeit erregte. Nanu, dachte sie, habe ich also da mit meinem Spaß doch an ein Stückchen Ernst gestreift, wie ich schon ein- mal meinte — und mit einigem Entsetzen spürte sie bei genauerer Kontrolle ihres Empfindens plötzlich eine seltsame und jähe Hitze in der Magengegend, die sie als gewissenhafte Medi- zinstudentin sofort als erstes Symptom heftiger Eifersucht diagnostizlerte. Gerde, ihre Freundin, wohnte mit ihr auf dem gleichen Stockwerk in einem Atelier und kam beinahe täglich zu ihr. Sie hatte stets eine gewisse verliebte Zuneigung zu Walter gezeigt, doch, wie Henriette bisher ge- glaubt hatte, stets mehr aus angeborener und un- verwüstlicher Koketterie mit ihm geflirtet, als aus irgendeinem wirklichen Gefühl des Besitzenwol- lens heraus, Es Ist doch ein Kreuz mit Freundinnen, dachte Henriette und unterdrückte mühsam einen Seufzer. Sie war Jedoch zu Walter freundlich und vergnügt wie immer, und als er sich früh verabschiedet hatte, ging sie zu Gerda hinüber. Gerda lag bäuchlings auf jenem Möbel, das sie Couch nannte und selber aus Matratzen, Kissen und einer Decke gebaut hatte. Sie las in einem dicken Buch, aus dem sie kaum aufschaute, und begrüßte Henriette mit dem aus tiefsten Herzen heraufgeholten und nicht ohne weiteres verständ- lichen Seufzer: „Ach, die arme Lavalliere!” „Wieso die arme Lavalliere?” fragte Henriette mit der Ihr eigenen Genauigkeit und ging ohne Er- staunen dem Überschwang der andern zuleibe. „Mönner sind halt mal unzuverlässig”, murmelte Gerda vieldeutig, nickte ihrer Freundin wissend und wie bedauernd zu und erklärte weiter: „Auch wenn sie Könige sind. Ich lese da gerade diese Liebesgeschichte von Ludwig dem Vierzehnten mit dem Fräulein von Lavalliere, das er nach vie- len Jahren recht lieblos verlassen hat, worauf es ins Kloster ging.“ „Gott, wenn man immer gleich ins Kloster gehen wollte“, sagte Henriette und dachte mit einem Gefühl zufriedener Sicherhelt an Walter. „Findest du nicht, daß es auch wiederum ganz schön ist und von Größe zeugt, einfach zu ver- zichten?” spann Gerda ihr Thema weiter. „Nein“, erklärte Henriette entschieden und hatte plötzlich das Gefühl, als müsse sie aufpassen, „Das hört sich gut an, besonders wenn man es grad gelesen hat.” „Weich mir nicht aus”, sagte Gerda mit Würde. „Warum nicht verzichten, wenn einem alle An- zeichen sagen, daß man nicht mehr geliebt wird — oder nicht mehr so wie früher?” „Das läßt man sich schon nicht sagen”, behaup- tete Henriette zäh und dachte mit einer gewissen Unfreundlichkeit an das unglückliche Fräulein von Lavalliöre, das sich so ohne weiteres gefügt haben sollte. 2 „Ich verstehe das sehr gut”, sagte Gerda und drehte»sich auf den Rücken, woraus Henriette ent- nahm, daß sie jetzt eine ihrer längeren tiefschür- tenden Abhandlungen zu beginnen gedachte. Sie ließ sich ebenfalls bequem auf eine Schreibtisch- ecke nieder und Gerda fuhr auch schon fort: „Diese Lavalliöre, die noch dazu gar nicht so be- sonders hübsch war, hatte eben einem Kraftmen- schen wie Ludwig einfach nichts mehr zu geben. Das Verhältnis hatte ja auch schon einige Jahre gedauert. Und wie sie schon immer mehr fühlte, Glanz und Elend der Bauchgewölbe Von Peter Scher Ein frolter Bauch ‚ist ein Gedicht; die ihn besitzen, adılen ihn; er wird nur Glücklidien verlieh'n und wen er schmückt, den drückt er nicıt, Der Nidıtbaucı als sein Gegenpart befindet sich in raschen Scuh'n und hat nie Zeit, sich auszuruh'n, er überrennt die Gegenmart. Dodı ob audı Bauch, ist er nicht froh und nur die Häufung bittren Seins, so drückt er mit der Wucht des Steins dann fort mit ihm, es geht audı so! Idı kenne einen, der ihn hat; der war, sofern man richtig ahnt, von Gott als magerer Hedıt geplant, dadh leider fand ein Irrtum statt. Der uls Charakter klapprig war und Mißgunst in den Zügen trug, dem wuchs ein Bauch wie einem Krug und das entstelll' ihn ganz und gar. Trübselig hing an ihm der Baudı voll Eigensinn und mwürdelos — an einem Lineal ein Kloß — kurz unfroh, negativ, ein Schlaudh. Lußt ihn ihn tragen, es ist hart, mohl härter noch als mager sein; ein Bauch kann ein Versager sein — ein Hodı dem Baudı von froher Art! 597 daß er nichts Rechtes mehr von Ihr wissen wollte, da passierte auch schon diese seltsame Ge- schichte mit dem Rosenstock, die schon etwas Mystisches hat.” „Mit was für einem Rosenstock? Entschudige, aber ich bin ja nicht so intim mit deiner Lavalliäre”, sagte Henriette etwas ärgerlich, und Gerda er- zählte, zufrieden über die Aufforderung, weiter: „Der König hatte seiner Mätresse einmal einen Rosenstock geschenkt, den sie sorgsam hütete, da sie glaubte, sein Blühen zeige das ungetrübte Glück ihrer Liebe an. Und merkwürdigerweise be- gann der Rosenstock plötzlich zu kränkeln als der König.sich abzuwenden begann, und ging ein, als der Bruch völlig unsuswelchbar schien.” „Ach nein, wirklich?” sagte Henriette erstaunt, „Und die Lavalliöre heulte natürlich darüber und verschönte sich durch eine rote Nase und dicke Augenlider, wie es Männer, voraus Könige, so gern haben. .* „Laß das doch”, sagte Gerda ärgerlich. „Du bist manchmal so gar nicht einfühlsam, Ich meine aber, daß die Dinge schon irgendwie mit uns verbun- den sind und so etwas wie eine Seele haben. Sie spüren förmlich, was um uns vorgeht und haben so sehr wohl die Möglichkait, wie eine Antenne Wellen aufzufangen, die zu uns kommen. Viel- leicht sind sie noch feiner abgestimmt als wir und wissen schon, wenn wir selber erst ahnen. Henriette schaute die Freundin nachdenklich an. Sie hörte Gerda unendlich gern klug und’gehoben von Seele reden. Sie ist dann Gold wert, pflegte sie zu sagen, Jetzt fiel ihr dabei plötzlich Ihr klal- ner Chinese ein. Komisch, welche Wellen, welche verderbenbringenden Wellen, um in Gerdas ge- hobener Sphäre zu bleiben, mochten ihn berührt und seine Däumchen abgebrochen haben? Als sie später wieder in Ihrem Zimmer saß, sann sie noch darüber rach. Etwas stimmte nicht. Mit Gerda nicht, vielleicht auch mit Walter nicht, be- stimmt aber mit dem kleinen Porzellanfigürchen nicht. Walter schien sie in den nächsten Tagen oft prüfend anzusehen. Aber sie zeigte keine Spur von Unsicherheit, war heiter und gutgelaunt wie ‚Immer und hatte das Gefühl, als sei er dafür nicht nur überaus empfänglich, sondern geradezu dank- bar. Allmöhlich wich eine leise Fremdheit, die sie ein paarmal meirte verspürt zuhaben, wieder ganz von ihm. Dem Chinesen waren derweil noch zwei Zehen abgebrochen. Henriette erwähnte es nicht Auch als Gerda die kleinen Brüche entdeckte und laut darauf hinwies, sagte sie nur gleichgültig: „Ja, so was kann vorkommen, dafür ist er eben aus Porzellan.” Viel später, als sie längst mit Walter verheiratet war, erzählte er ihr einmal, daß ihm Gerda eine Zeitlang fast — fast ein wenig gefährlich gewor- den‘ wäre. Mit ihrem Geglitzer und ihrem teils amüsanten, teils komisch-geschwollenen Gerede hätte sie Ihn Interessiert, hätte auch gar nicht schlecht Henrlettes Gradlinigkeit als Nüchternheit, ihren Ernst als Pedanterie herausgestrichen und leise, geschickte Warnungen vor künftiger Alt- backenhelt eingeflochten, „Aha, sagte Henriette, „und wenn ich damals grad eine schlechte Zeit gehabt hätte, und viel- leicht häufig zu Tränengüssen und Szenen geneigt, Eifersucht gezeigt hätte und sonst eine Trauer- weide gewesen wäre, hätiest du vielleicht dieses Goldstück Gerda In seinem ganzen feurigen Glanze erst so recht erstrahlen sehen. wie, und hättest es dir gar noch überlegt, oder?” „Ich glaub's nicht; heut nicht”, sagte Walter und lachte. „Oder vielleicht doch so 'n bißchen... .J8, die arme Lavalliörel” sagte Henriette. „Die war mir als Vorbild zugedacht Aber die gute Gerda hat zu dick aufgetragen. Deshalb habe ich mir auch die Mühe gemacht und habe selbst die Geschichte von dem blühenden Rosentsock nach- gelesen, die Gerda immer geheimnisvoll zum besten gab.” „Ah, der Rosenstock des Königs, der verblühte in der Ahnung kommender Unglücks?' „Ahnung ist gut”, sagte Henriette. „Der brave Rosenstock hat eingehen müssen, weil ihn die neue Geliebte des Königs, die spätere Mainte- non, heimlich mit Vitriol begossen hat und damit der guten Lavalliäre das berühmte Zeichen von oben gab. Und Gerda, die liebe, hat damals mel- nem Chinesen alle Fingerchen abgeschlagen, mit großer Mühe warscheinlich und trotzdem ohne Erfolg. Denn ich war halt leider, leider nicht so abergläubisch wie die arme Lavalliöre.“ „Na und ich?” sagte Walter. „Ich war eben treuer als Ludwig XIV., viel, viel treuerl'' DER DIRIGENT VON SCHLEHDORN Regierungsrat Julius hat eine quälende Ange- wohnheit. Er muß im Theater immer denken: ob wohl die Choristen und die Statisten satt ge- gessen haben. Im Zirkus: ob wohl der Clown von seinen Kollegen außerdienstlich auch ernst ge- nommen wird. Im Konzert: ob die Mitglieder des Orchesters auch glücklich verhelratet sind. Künstlerfrau sein ist wahrscheinlich schwieriger als Beamtenfrau. Da steht der Frau Marianne, geb. Pergin, die gewiß nicht schön war, aber Gluck glücklich machte, als Kontrast gegenüber die Maria Anna Apol!onla Haydn, der Hausdrache des gütigen Meisters. Wenn der eine Clara Wieck ge- funden hätte, und Beethoven überhaupt eine Frau als Empfängerin des schönsten seiner Briefe... Wenn Regierungsrat Julius musikalisch wäre, würde er sich während eines Konzerts konzentrieren, die Stirn tonversunken in die Hand gestützt, oder Die Verlassene aber zurückgelehnt, mit selig geschlossenen Augen, wie in der Badewanne von Tönen be- tieselt, und nur mitunter blinzelnd, zu welcher der beider gebräuchlichen Posen sich sein Nachbar entschlossen habe. So aber stellt er sich vor, wie der Baßgeiger wenn er zu Hause den ganzen Vormittag an den dicken Saiten gezuppt und gewuppt und geübt hat, seine gleichfalls behäbige Hausfrau bei der Suppe fragt: „Hast du gehört, die herrliche Sechste?” — „Och”, sagt sie „bei dii höre ich ja nur immer das Unterfutter der Musik. Oder der Pauker (sagt man Pauker?), der so mit- leidig ist — hat er mal zugehauen, so legt er meistens gleich besänftigend die Hand auf das geschlagene Fell — wie der sich zwischen dem Üben zu seiner Frau aufs Sofa setzt: „Nun habe ich mal wieder 64 Takte Pause, Wenn ich nicht noch 60 Takte warten müßte, um dann noch ein- mal ‚bumm’ zu machen, kämen wir noch recht- zeitig ins Kino.” Der Fagottist stößt einige Male kokett die Zunge vor, hebt das Röhrchen an den Mund, als ob eı IC. Sturtzkopf) „Buffet, du unerreichtes, mahagonifourniertes, wir bleiben zusammen!" L’abbandonata: 'O tu, buffeito, senza pari, impiallacciato di mogano, noi restiamo insieme!,, 598 Cocktail schlürfen wollte, macht baua-quäh, und dann setzt er wieder ab. Der Trompeter gießt so- gar jedesmal aus, was er zuvor gespielt hat. Cello ähnelt am meisten der Menschenstimmme — wie gut, daß in der sparsamen Natur nicht jeder Bariton solchen Kehlkopf braucht, und daß der Klang von ihm an anderer Stelle hervor- gebracht wird. Die Harfe mit ihrem Klimper- gewimmer hört sich an, als ob eine unglückliche Maus sich im Käfig der Musik verirrt hätte — meist ist es eine Dame, die sie aus der Partitur ins Freie läßt. Am rührendsten Ist der dritte Zweite Geiger; der hat vor der fliehenden Stirn eine treue Brille, einen weißen Haarkranz, der absteht wie Ge- fieder und ein Nußknackerkinn. Julius ist über- zeugt, daß der noch nie einen falschen Ton ge- griffen hat — ein zuverlässiger Geigereibeamter. Dann gleitet sein Blick über den begabten flämi- schen Flötisten T. I. de Lütt und über den Ersten Geiger, den Bulgaren Doremifsoleadoff zu dem Manne, der im Mittelpunkt des Saales steht: dem Dirigenten. der dick auf den Plakaten steht; dem Generalmusikdirektor, der allein in den Kritiken steht: Anton Bullendur heißt er, und der Musikbetrachter der Allgemeinen Nachrichten Weber-Vibrato ist sein Prophet. Wenn Regierungsrat Julius musikalisch wäre, würde ihm jetzt nicht der Gedanke durch den Kopf gegangen sein: „Ob der Mann wirklich so nötig ist? Gewiß, wenn er In herkulischen Boxer- stößen den alten Herren im Orchester mit dam Einsatz droht, einmal, zweimal, dann fangen die auch an. Aber sie blieben wohl im Takt auch ohne ihn. Die klassischen Sachen können sie ohnehin, und bei den.modernen kommt es nicht so genau drauf an. Olfen gestanden, mir stört er manchmal die Andacht.” Aber dann war die Musik wieder so schön, daß Julius dankbar war, nicht musikalisch zu sein, denn so brauchte er nicht zu kritisieren, sondern nur zuzuhören... * Weber-Vibrato, der Musikbetrachter, eilte nach dem Konzert helm an den Schreibtisch. Alles an ihm war Nerv und Musik. Seine Brille brüllte sein Halter hallte, seine Tinte tönte und was er schrieb, das schrie: „Bullendur-Abend”, Uber dem Schreiben ergriff ihn ein Gedanke. Er riß seinen breitkrempigen Hut vom Haken, ordnete nur flüchtig das Halstuch und stürmte in die, Woh- nung des Generalmusikdirektors, wo ihn der Ton angebende, etwas verwundert und sich diskret den Mund abwischend, empfing: „Was verschafft mir die Freude?” „Meister — aber nein, ich mag Sie nicht mehr Meister nennen. Wenn Haydn In der Hauskapelle des Fürsten Esterhäzy, während seiner Pause mit dem Geigenbogen taktierte, wenn Johann Se- bastian Bach vom Cembalo aus gelegentlich mit der weißen Spitzenmanschette den Einsatz winkte, — so war er kein orchestraler Betriebsführer, son- dern bloß ein gehobener Mitspieler, eben bloß — Meister Aber kein Direktor, geschweige denn Generalmusikdirektorl Keiner von ihnen halte den Stab des Feldmarschalldirektors. Heute aber wurde mir klar: der Komponist trägt höchstens den Werkstoff herbei, das Orchester bearbeitet Ihn, aber die Dome, ja, die Hoch- häuser baut daraus in zeitlos zementenen Qua- dern — der Dirigent. Er gebiert die klassische Vollendung, an die sich Beethoven mühsam her angetastet. Es ist schon musikalisch unverantwortlich, ein Quartett so einfach vor sich hinspielen zu lassen — vier Männer ohne jeden Dirigenten, wie ein Verein ohne Vorsitzenden, ein Museum ohne Interpreten, ein Alpenglühen ohne Erklärer. Oder wenn die altbewährte Sopranistin von dem alt- gewohnten Begleiter akkompagnlert Jubilare Tri- umphe feiert: ich vermisse den musikalisichen Chaperon, den Dirigenten.“ „Hm, das hat viel Richtiges”, Bullendur x „Und nun hören Sie meine Idee: Sie müssen ein Solo geben! Das ist die Forderung der sagte der große Modeunterricht in Moskau (Erich Schtlling) „Das Muster und die Form Ihrer Krawatte sind wirklich sehr apart, Mr. Eden, aber wie man sie zuzieht, werde ich Ihnen zeigen, das kann ich besser!“ Lezioni di moda a Mosca; "ll disegno e la forma della vostra cravatta, Mr. Eden, sono davvero molto a parte, ma Vi mostrerö io come si debba fare Il nodo.... 10 lo so far meglio!,, Stunde, Was ein modebedingter Klavier- oder Geigenspleler kann, das können Sie zehnmal. Dirigieren Sie eine Symphonle ohne Orchester! Etwa die göttliche Dreizehnte, oder ein Werk des Debussy-Schülers Mollhuber, etwa die ‚Pfütze Im Mondschein‘ die heute in aller Munde ist. Wachsen Sie im Crescendo schrumpfen Sie im Diminuendo zusammen, wiegen Sie sich Im Le- gato mit selig breitem Munde, müllern Sie im Fortissimo und wechseln Sie nachher den Kragen. Wir haben so viel Musik ohne Melodie, so viel Tondichtung ohne Musik gehört, daß wir endlich zur Musik ohne Ton durchdringen dürfen. reinen Anschauungsmusik. Und zum Anfang einer neuen Tanzkunst. Seit Jahren bewundern wir Sie — von hinten. Ich kenne jede Naht Ihres Fracks, jede Falte Ihres Nackens, ja, das ausdrucksvolle Mienenspiel Ihrer Beinkleider... Welche Tänzerin würde es wagen, wieSie, nur durch die Rückansicht fesseln zu wollen? Welcher Ausdruckstanz, drückt sich nur von hinten aus? Und wenn Sie sich gar bei Ihrem Solo zum Publi- kum herumdrehten! Wir würden rasen vor Beifall 599 Zur — wie jedesmal, wenn Sie sich herumdrehen und die Gewinnabschöpfung des Beifalls vornehmen. Also fort mit dem Orchesterl Wir sind zu musl- kalisch, noch Töne zu wollen. Die Plakate und die Berichte können bleiben wie sie sind. Die teden ohnehin nicht von den armen braven Namenlosen, die da unten diverse Töne machen, die sprechen doch nur von Anton Bullendur — dem Dirigenten.. ” Der große Mann hat versprochen, den Vorschlag ernstlich zu erwägen. Er hat aber schließlich ab- gelehnt. Man sagt, selne Frau sei dagegen. Das Urteil des Paris - Il giudizio di Paride m" ENT N (Fr. Bllek) DIE BAUCHBINDE VON HEINZ SCHARPF Ehe ich diese Geschichte, die sich im Weltkrieg ereignete, erzähie, möchte Ich vorausschicken, daß ihr anekdotischer Reiz nicht so erheblich Ist, daß sie eine besondere stilistische Ausschmük- kung verdiente, ich halıe mich also an die nack- ten Tatsachen, die ich am”Schluß allerdings dis- kret bekleiden werde. Damals lebte auf Schloß Neudeck im Burgenland die alte Baronin Hatvany, deren noch Immer Jugendliches Herz mit Begeisterung an den Sol- daten hing. Sie befahl die NeudeckerDorfschönen aufs Schloß, wies auf einen Berg giftgrüner Wolle und sagte: „Kinder, davon werden Bauchbinden für die Soldaten gestrickt, Ein warmer Bauch ver- daut das kälteste Essen und in den Karpathen wird die meiste Zeit kalt serviert. Also los” Die Mädeln waren begeistert. „Der Bauch eines Soldaten ist auch ein schönes Land‘, kicherte die alte Ilonka, die nicht gerade in Ehren grau ge- worden war. Jetzt strickte sie drauf los, wie sie früher drauflos aeilebt hatte. Nicht lange darauf gingen hundertfünfzig fertige Bauchbinden zur Armee Ins Feld ab, als Liebes- gabe der Gemeinde Ne.deck. Sie kamen zur ach- ten Kompanie eines Jäger-Regiments und erwie- sen sich als so warm und schmiegsam, daß sie allseits gern getragen wurden. Sogar auf Urlaub fuhren die Soldaten damit. Eine Anzahl von ihnen kam auch nach Salzburg, wo das Regiment im Frieden garnisonierte. Der Fähnrich Quast erhielt gleichfalls dorthin Urlaub. Es war bitterkalt, als er in der schönen Salzachstadt ankam, aber er hatte Sonne im Herzen und die wärmende Gift- grüne um die Hüften, Auf der Staatsbrücke stieß er mit einem Mädchen zusammen, das Ihn zwar nur kurz anblickte, aber es war ihm, als ob Ihn ein Flammenwerfer gestreift hätte. Die Kleine würde ich vom Fleck weg heiraten, durchfuhr es ihn und sofort machte er kehrt und stiefelte der Schönen nach. Sie steuerte schnurgerade auf das Caf& Bazar zu, der Fähnrich folgte ihr immer knap- per auf dem Fuß Im Caf& war nur mehr ein ein- ziges Tischchen frei, das zum Sitzen einlud, eine kleine Aufmerksamkeit Gott Amors. Fast zu glei- cher Zeit nahmen die beiden Platz. Schon nach den ersten Worten, die sie miteinander austausch- ten, verstärkte sich die Absicht des Fähnrichs. dieses reizende Geschöpf vom Fleck weg zu heiraten. 600 Sie hieß'Ingeborg. Nach einer halben Stunde nannte er sie bereits Fräulein Inge, dann Inge und schließlich Ingelein. Zurammen verließen sie das Cafe. Fräulein Inge, die sich bis dahin als eine blonde Unschuld erwiesen hatte, ließ auch weiter: hin keinen Sturmangriff zu. Dann standen sie vor ihrer Haustür. Im selben Augenblick erlosch die Straßenbeleuchtung, wie- der eine kleine Aufmerksamkeit Gott Amors, die auszunützen nun der Fähnrich nicht unterließ. „Wollen Sie noch eine Tasse Tee bei mir trinken?” fragte Im Anschluß daran Ingeborg, „aber wir müssen leise sein, daß meine ‚Zimmerfrau uns nicht hört.” Det Fähnrich war leiser als eine Katze die an eine Maus heranschleicht. Dann saß e' mit Ingelein unter einer roten Steh lampe und dachte zum drittenmal: die oder keinell Kein Wunder wenn dem verliebten Quas! dabei so warm wurde, daß er bei gegebener Ge- legenhei* sich-seiner Bauchbinde zu entledigen trachtete Inge. die hingegossen auf der Couch lag, sah es mit großen Augen. Beim Anblick der glitgrünen Binde entfuhr es Ihr unversehens: „Bist du auch bei der achten Kompanie?” Uber dieses „auch“ fiel der Fähnrich aus allen Wolken. Fräulein Inge- borg wurde nicht vom Fleck weg geheiratet. HERR KEIN UND DIE MANDOLINE Da war er also eingezogen. Um der guten Augen, einer sorgsamen Geste der Frau willen, denn die Häßlichkeit des Zimmers blies, blitzte und redete kreischend gleich von Anfang an auf ihn ein, mit gipsernen Trompetern, vergoldeten Nippes, mit porzellanenen Wellblechgebilden, leise schau- kelnden Schilfbukeits, mit vergilbten photographl- schen Vergrößerungen in altdeutschen Rahmen. Dann stand er am Fenster und sah in einen trüben Hof, in ein Hinterhaus, dessen Öffnungen wie blinzelnde, verschlagene, dumme Augen blickten, wie die Augen eines mißratenen Wesens. Trotz- dem nahm er das Zimmer und er bekam auch Immer Zucker zum Morgenkaffee. „Herr Kein“, sagte die Frau zu ihm — sie sagte Immer Kein, obwohl er Grein hieß — „warten Sie noch einen Augenblick, Ihr Hut muß noch ausgebürstet wer- den. Gestern hat es geregnet und Sie nehmen nie einen Schirm.” — Dann kam sie fix mit der Bürste, So war es auch mit anderen Dingen und Herr Kein — nennen wir ihn In Gottes Namen auch so, denn die Frau setzte sich durch und er hatte nach einer gewissen Zeit alle Einwendungen und Richtig- stellungen aufgegeben — war proper und in Ord- nung, wenn er tagsüber Geschäftsbesuche machte und abends einige Male in der Woche Im frisch gebürsteten, zwelreihigen blauen Anzug in den Schachklub ging. Trotzdem war Herr Kein ein ein- samer Mensch, so sehr ihn die spanische Partie interessierte und manches Wechselgespräch den grüblerischen Geheimnissen des gefährlichen Königfanges nachzuspüren suchte. Die exakten Marschschritte in dem kristallenen Reich des Ver- standes konnten ihn nicht darüber hinwegtäusche: daß ihm manches fehlte. Doch war er schüchtern, fand schwer zu anderen Menschen und die Mäd- chen, so sehr sie ihn lockten in Träumen und auf seinen Wegen, waren göttliche Gebilde und eben- so weit von ihm entfernt. Wolken, Monde und das hohe Firmament lagen dazwischen. So hob er nur dann und wann seinen Blick, um vor der engel- gleichen Schönheit, vor ihrem Duft wie vor di rätselvollen, tierhaften Grazie ihrer Körper zu er- schauern. Es war die Zeit der frühen Abende. In den Nach- mittägsstunden schon lief der Mann, der eine lange Stange geschultert trug, an deren hoch- gehaltenem Ende eine kleine Petroleumflamme brannte, durch die Straßen und entzündete die grünen Monde der Gaslaternen. Sie machten zu- nächst die Dämmerung nur noch tiefer. Herr Kein schritt fröstelnd und mit hochgeschlagenem Man- telkragen den Positionslichtern der Lampen ent- lang. Sie standen und schwebten im feuchten Ne- bel wie schwermütige Geister. Im Zimmer gloste der Ofen. Er machte kein Licht. Kein Ton war zu hören und auch die gipsernen Männer in Stulpen- stiefeln und Federbarett schienen Ihre Trompeten abgesetzt zu haben. Da krachte tief im Gehäuse des Sofas, von plötzlichem Freiheitsdrang gepackt, eine jahrelang von dicken Menschen gefolterte Feder. Nein, ihre Kammer war nicht zu sprengen, aber sie hatte es nun jedenfalls einmal der Welt gesagt, laut und pistolenschußartig. Herr Kein dachte, sie hat recht und so Ist es nicht verwun- derlich, daß auch er daraufhin zu einer Tat ent- schlossen wär oder doch einen Weg zu Ihr suchte. Aus vielen Fenstern im Hinterhaus strahlte Helle in den bodenlosen Schacht des finsteren Hofes. Hinter den dünnen Wänden aus Glas hantierten Menschen, andere saßen, unbeweglich sinnend dem Leeren verbunden, in der Flut ihrer Gedanken tuhend, wie schwimmendes Holz jm stillen Wasser. Herr Kein starrte hinüber, das Gesicht an die Scheiben gepreßt. Seltsam lockende, dämonische Schauspiele boten sich mitunter in den Aus- schnitten der Fenster dar, genährt von dem Grauen des Panoptikums wie von der mechanischen Ge- lenkigkelt des Marionettentheaters. Einmal sah er VON ROLF FLUGEL so etwas Entsetzliches, zum mindesten in der Wir- kung Entsetzliches, daß er beschloß, seine Neu- glerte einzustellen. Nun, heute brach er sein Gelübde. Dort und hier strahlten die Fenster ihm gegenüber, und es war wie das Rampenlicht vor Monologen und Panto- mimen. Und nun sah er zum erstenmal das Mäd- chen mit der Mandoline. Auf einem Tisch war ein Notenständer aufgebaut, die linke Hand faßte die Griffe am Hals des Instrumentes, die Rechte zirpte mit dem Schildpattplättchen zögernd, stockend und gelegentlich einhaltend über die Saiten. Kein Ton drang zu Ihm und auch das Gesicht des Mäd- chens war ihm verborgen, Herr Kein bückte sich, um den Ausschnitt des Fensters zu verändern. Doch war der Hals, ein schmaler, weißer Hals, an dem ein dünnes Ketichen blitzte, das Äußerste was sich seinen Blicken bot. Fesselte ihn die De- mut der Gebärde, wär es das streichende Spiel der Finger? Er erinnerte sich, kürzlich auf einem Bild musizierender Engel von Jan van Eyck schon einmal solche Hände gesehen zu haben, lang- gliedrige, in der Bewegung selbst zur Melodie gewordene Hände. Als Herr Kein tags darauf seinen Geschäften nachging, war er von einer drängenden Unruhe erfüllt. Es fiel ihm schwer, sich selbst Rechenschaft abzugeben. Es ist ein- fach lächerlich — das sagte er mehrfach ohne sonderlichen Erfolg vor sich hin. Im Schachklub sollte er heute mit dem — mit dem Dings, dem Enzinger spielen, dabei wußte er ganz genau, daß er nicht mit dem Enzinger spielen werde, überhaupt mit niemand, daß er gar nicht hingeht, DAS SCHWARZE HUHN Das war die alte Leverkuhn, die saß mit ihrem schwarzen Huhn zu Lüneburg im Spittel. Sie hatte weiter nichts zu tun, als sich vom Leben auszuruhn im Rahmen ihrer Mittel. Doch war'n im Herbst die Felder kahl, ward ihr der Ohrenstuhl zur Qual, und sie begann zu hoppeln. Sie band das Huhn in einen Schal, nahm Binsenkorb und Bohnenpfahl, und stapfte in die Stoppeln. Und schien ihr lohnend wo der Grund, band sie das schwarze Huhn los, und es klingt wie eine Fabel: es suchte rings umher im Rund, und trug wie ein dressierter Hund ihr Ähren zu im Schnabel. Und lag im Winter dann der Schnee, lud Leverkuhn'sch auf Kornkaffee zu sich die Spittelsassen. Und zwischen Kuchen und Gelee, das schwarze Huhn als gute Fee trank mit aus allen Tassen. — WILHELM MICHEELS 601 daß er — sie wiedersehen will, daß es brennt in ihm, ihre schmalrückigen Hände zu betrachten und das Gesicht kennenzulernen. Das Gesicht, das er nicht kennt und doch kennt. Es wird von dunkel- braunen Locken umrahmt sein, sinnierte er, und über dem himbeerfarbenen Mund wird ein schma- ler Nasenrücken zu den feinen Pforten der Augen- brauen führen. In der Phantasie war Herr Kein ein rüstiger, Ja mutiger Fußgänger in den Gefill- den der Liebe. Da kannte er jeden Winkel und Jeden lauschigen Platz. Alle Springbrunnen drehte er auf, und es gab kein schwellendes Polster, auf dem er sich nicht schon mit den Amoretten seiner kühnen Gedanken zu seligem Spiel gelagert hätte. So darf es nicht wundernehmen, daß er auch vor dem zärtlichen, seligen Rund ihres Busens nicht halt machte. „Aber Herr Kein“, sagte die Hausfrau, die,an den-mit fast pedantischer Sorgfalt eingehaltenen Stundenplan ihres Mieters gewöhnt war, und sie setzte gleich hinzu, ob ihm etwas fehle. „Nein, gar nicht — das heißt eigentlich doch.” Und Herr Kein benahm sich mit fiebrigglänzenden Augen weiterhin so verwirrt und fahrig, daß die Gute In ernster Sorge daranging, einen Kamillentee zu kochen. Sie zwang ihn mit mütterlicher Gewalt in die Küche, und erst nachdem er einige Tassen voll bis obenhin hinuntergestürzt hatte und nun die ersten Schweißtropfen wie die Herolde eines noch folgenden stattlichen Zuges unter den Haa- ren hervorsickerten und langsam begannen, die Stirn hinunterzurollen, um in den Gruben der Augenhöhlen zu verschwinden, war sie mit Ihrem Hilfswerk zufrieden. Nun müsse er schnell ins Bett. Ja, das wolle er auch, und verschloß nach einem flüchtigen Gruß die Tür zum Zimmer. Dann stürzte er mit einem einzigen langen Satz ans Fenster, hielt sich am Rahmen fest und sah die der Musik hingegebenen Finger, die Mandoline ruhend im schmalhüftigen und doch weichen Schoß, den Hals und das Kettchen. Ach — er preßte das Gesicht, das dampfende Gesicht an das kühle Glas, fühlte sein Herz schlagen, kröf- tiger und schneller. Dann senkte er den Blick unter der Last eines unsichtbaren Schicksals irgend wohin ins Dunkle des Hofes. Ob ich sie liebe, fragte er sich bestürzt und voll einer tiefen, ihn selbst überraschenden Erschütterung. Dabei kenne Ich nicht einmal ihr Gesicht, ihre Stimme, den Druck ihrer Händel Ich liebe weniger als ein Schattenbildi — Tags darauf, als ein zuckriger Schnee gefallen war, der die ganze Stadt, die Brücken und Bögen und die Burg zu einer einzigen Weihnachtsaus- lage gemacht hatte, war er geneigt, mit einem spöttischen, überlegenen Unterton die Eindrücke des vergangenen Abends als Hirgespinste ab- zutun. Der Enzinger hatte angerufen; er ist mit dem Hinweis auf die Kamillenkur auf heute abend vertröstet worden. Doch spielte er ohne Lust und verlor in kurzer Zeit zweimal hintereinander. Ob der Kamillentee etwa blond oder schwarz sel, hänselte der Enzinger, nachdem sie die Figuren in die Schachtel zurückgegeben hatten, Auf diese Frage ist Herr Kein prompt rot geworden; er hat sich schnell verabschiedet ünd ist nach Hause ge- laufen. Doch war das Fenster im Hinterhaus schon dunkel. Da stand er nun und seufzte In das schwarze Viereck hinein, an eine dumme Wand hin. Liebende haben für unbeteiligte Betrachter leicht eiwas Komisches, um nicht zu sagen Irres, jedenfalls etwas, das zum Spott reizt. Doch ist von diesem Spott zum Neid nicht allzu weit, und wie gnadenlos ist eine Zeit, die so wenig noch von der herrlichen Bürde der Anbetung gelten 18ßt. Auch Herr Kein mag unser Lächeln heraus- fordern, ‚als er jetzt, die Stirn unter der bohrenden Last der brunnentiefen und doch auch wieder schmetterlingsleichten Gedanken kraus gezogen, VEO-TLENMSOFND (R. Siock) Sonst, wenn er durchs Fenster blickte und die blanke Scheibe sah, freute sich der Mensch und nickte: „Wahrlich, er ist wieder dal” daranging, die Schuhe auszuziehen, die Krawatte zu lösen, die Hose aufzuknöpfen, die Unterhose abzustreifen, um jetzt mit eckigen Knien, den Namen der unbekannten Geliebten murmelnd, am Waschtisch zu stehen, Aus dem Ofen fiel eine rote Glut. Herr Kein bewegte die Zehen auf und ab, kleine Tänzer im schönsten Bühnenlicht. So dachte er an das Fräulein mit der Mandoline. Viele Menschen sind Im Bett vor dem Einschlafen besonders mutig. Sie halten große Reden auf ihre Widersacher, und eine tödliche Dialektik steht ihnen auf einmal zur Verfügung; originelle Gedanken, wert aufgeschrieben zu werden, kut- schieren vorüber, blitzen auf in der Laterna ma- gica des Bewußtseins und verschwinden wieder im Nebel des Nichts. Auch Herr Kein hatte die Lösung. Sie war kinderleicht, und er pfiff leise vor sich hin. Er würde einfach morgen die Wirtin fra- gen: Sie wohnen schon lange in dem Haus — Sie kennen doch die Leute, so würde er sagen. Im zweiten Stock im Hinterhaus lebt en mandoline- spielendes Mädchen. Wissen Sie ihren Namen? Dann würde sie Ihn sagen und alles wäre gut. Sie Wie so hold umspann die Nähe, Busch und Teich und Feld, sein Licht. In der Ferne alles Jähe floß zusammen, ward zunicht. würde Ihm vielleicht mit dem Finger schalkhaft winken und: Herr Kein, Herr Kein rufen. Ach, würde er dann mit einer lässigen Bewegung er- widern und ein Lächeln aufsetzen, das Lächeln des Frauenkenners. Dann würde er die Tür in die Hand nehmen, mit zwei Fingern an den Hutrand tippen, so wie er das einmal im Kino gesehen hatte und: Tag Frau Schuler sagen. Unter diesen forschen Be- trachtungen schlief er ein, und ganze Heerscharen mandolinespielender Engel schlossen sich um Ihn zu einem schwebenden, zirpenden Chor zusam- men. Die Engel waren von einer mädchenhaften Anmut, doch hatten sie keine Gesichter. „Es Ist nämlich so”, sagte Herr Kein am Morgen, und er hatte das Gefühl, als ob sein Körper allein, von seinem Ich im Stich gelassen, diesen waghal- sigen Weg hinunterliefe, immer schneller, immer schnelier, „daß im Hinterhaus Jemand Mandoline spieltl“ — Die gute Frau Schuler hielt im Geschirr- spülen ein; alle Frauen haben da eine Witterung, kennen sich aus und sind zusammengeschlossen wie ein Orden. Sie hob schalkhaft den Finger, sah Ihren heute so sonderbaren Mieter von der Selte 602 Aber heut ist er uns allen ein Fanal wie früher nie. Herzen hämmern, Lippen lallen: „Horchl.... Was war das? ... Kommen sie?“ Dr. OWLGLASS an und erwiderte: „Herr Kein, Herr Kein!” — Herr Kein hatte es genau gewußt, aber es half ihm nichts. Die Röte überzog sein Gesicht bis hinter zu den Ohren, und es war, wollte man die Farben in dem Zimmer gegeneinander abwägen, ein grel- ler Gegensatz zu dem nickelhellen Morgen im Fenster. Die ‘Frau hatte ihr Lächeln verstärkt, doch war es mit Güte vermischt. Herr Kein sah sich um wie ein gefangenes Tier, es blieb Ihm nur mehr der Ausweg des Amoklaufes. Mit donnernder Stimme schrie er: „Ich frage nur, weil ich den Lärm nicht vertragel Daß Sie es wissen, dieser Lörm, der oft bis in die Nacht hineingehtl” Es dröhnte im Nachhall eine Tür und Schritte, auf- geregtes Getrampel, klapperten über die Treppe, Der mit sich selbst und der Welt zerfallene Junge Mann begann nun in den nächsten Tagen gegen seine — wie er es jetzt höhnisch nannte — wahr- haft kopflose Liebe vorzugehen. Doch mußte er immer wieder feststellen, wie viel Ableger sich schon in das Erdreich seines Herzens versenkt hatten. Trotzdem stand er nur mehr selten am Fen- ster, und auch da sah er nicht Immer die musizie- tenden Hände. Mehr und mehr verklärte die süße Wehmut des Verzichts die Unerreichbare. Im Schachklub wirkte er geheimnisvoll; ein männlich beherrschter doch weher Zug schien um seine Lippen gegraben. Deigestält von einem großen Liebeserlebnis umwittert und gezeichnet, machte er über das Brett gebeugt seine Züge, ein ernster Mann, plötzlich weit über seine Jahre hinaus gereift. Wir sind schon fast geneigt, mit Herrn Kein zu- sammen von der Gnade der Überwindung zu spre- chen, da kam eines Tags, besser eines Abends, ein Mödchen vom Rückgebäude her über den Hof gesprungen. Herr Kein hatte sich gerade Hart- wurst gekauft und Kaisersemmeln, jetzt aber war Ihm der Hunger fortgerutscht durch die Taschen seines Anzugs. Was hatte er denn von ihr ge- sehen In der Sekundenschnelle? Wohlgeformte Beine, einen grünen, pelzverbrämten Mantel, zärtlich um die Hüfte gespannt, oder war der Mantel rot oder blau — das wußte er nicht. Aber er sah ihr Gesicht, durchpulst und belebt von allen herr- lichen Strömen der Jugend, Dieses Gesicht — er sinnierte Im kalten Hausgang vor sich hin — war wie ein auf Flaum gebettetes Osterei. Ach, wer wollte sagen, was dieses Gesicht ihm war: Ster- nenlicht und küßbarer Mund, paradiesischer Klang und Spiegelbild. „Haben Sie warten müssen?” fragte Ihn Frau Schuler, doch hatte sie das Tee- wasser warmgehalten, Sie wollte ihm so gerne helfen, und einmal fand er einen Zettel auf dem Tisch: Inte: rt Sie der Name noch? Doch tat er damals so, als hätte er ihn nie gelesen. Nun von dem Tag an, da er das Mädchen gesehen hatte, war die Welt anders und kostbarer gewor- den. Der gipserne Trompeter war heute vergoldet; alles schien heute vergoldet. Herr Kein schrieb in sein Geschäftsbuch mit goldenem Bleistift gol- dene Ziffern. Auf goldenen Schuhen schritt erüber goldene Straßen, und er wußte auch, daß er es jetzt tun könne. Als er sie wieder traf, diesmal ‚auf der Straße vor dem Haus, zuckte nur kurz sein Herz. Zuviel stand auf dem Spiel, Dann sagte er, als hätte er es schon oft gesagt: „Fräulein, spielen Sie Mandoline?” Das Mädchen war kurz stehen geblieben. Es war eigentlich nicht sehr überrascht, denn schon öfter mochten Ihr ähnliche Dinge be- gegnet sein. Auch der Unwille war ein dezenter Unwille. Die Männer konnten wohl nicht anders, und Irgendwie schien es ihr auch in Ordnung zu sein. Dann erwiderte sie, und ihre Augen funkelten vor Lust an der Parade, aber auch die Grausam- keit mochte einige Bilnklichter aufgezogen haben: „Das finden Sie wohl besonders originelll” Herr Kein brachte noch ein aufgeregtes „Aber — — —" hervor, doch war da nichts mehr als eine Wand und ein Schild an der Wand, ein Nummernschild. Herr Kein las die Ziffern, rechnete sie zusammen und multiplizierte sie mit fünf, Sie konnte Christa heißen. Dann tauchte er wieder auf und schüttelte sich; der Kopfsprung in die Behälter Ihrer Augen war zu Ende. In einem Zug matt, quälte er sich. Das gab es doch nicht, Oder ging dieses Spiel, das Ja auch kein Spiel, sondern das Gegenteil von einem Spiel war, nach anderen Regeln? Er konnte es Jetzt einfach nicht, die Figuren zusam- menzuwerfen. So stand er die nächsten Tage, die Wochen, um die gleiche Stunde vor dem Haus, stapfte durch faulenden Schnee, glitschte über geltorenes Was- ser, hörte einmal auch einen frischen Regen auf seinen Hutrand trommeln — sie kam nicht mehr. Schräg gegenüber in der Ecke eines Hausgangs war eln Maronimann mit seinem runden, schwar- zen Ofchen aufgezogen. Herr Keln wurde Stamm- gast. Sie führten freundliche Gespräche, derwell er selne Hände an den heißen Kastanlen wärmte. Dann ging er wieder auf und ab und streckte in Abständen die runden Kugeln In den Mund. Sie dampften noch, wenn man die knusperige Schale entfernte. Er ließ sie, von der Zunge gesteuer In der Mundhöhle herumrollen, bis sie genug ab- gekühlt waren, um mit Zähnen und Gaumen ge- packt zu werden. Als täglicher Kunde bekam er ausgewählte Exemplare; duftende Kugeln, Hitze strahlende kleine Sonnen. Herr Kein hatte mitunter Mühe, sie unterzubringen. Als einmal, es mochte die dritte Woche vergangen sein, die linke Backe gerade bis zum Platzen gefüllt war, da geschah es — da kam das Mädchen hinter ihm her. Ohne sie gesehen zu haben, fühlte er sie. Sein Herz hämmerte und dröhnte ihm in die Ohren. Schon war sie an seiner Seite. Der Mann drehte In un- widerstehlichem Zwang den Kopf, sah sekunden- schnell einen erstaunten, dann spöttischen Blick in der dunklen Tiefe ihrer Augen. Nun nahm er den Hut vom Kopf, wollte trotz der klemmenden Kugel in der linken Backe zu sprechen beginnen. Doch war sie schon an ihm vorbel. Er griff wütend nach der Kastanie im Munde und behielt sie in den Fingern. Das Hutband klebte an der Stirn. Dann murmelte er ein Wort: „Vorbei oder so etwas Ähnliches. Mehr und mehr nahm seine Liebe in den nächsten Monaten einen mystischen Charakter an. Manchmal, wenn er wach im Bett lag, war er sich darüber klar, daß dieses Mäd- chen gar nicht existiere, daß es.ein Idol war, eine Phantasmagorie, das geistige Bild eines reinen Wunsches, und er faßte es in den Goldgrund gotlscher Madonnengemälde. Nur scheu hob er dann und wann noch in Gedanken den Blick zu ihr, die vor ihm schwebte im dunklen Zimmer. Zu überirdisch schien ihr Funkeln, zu göttlich die Strahlung Ihrer Gnade. Es ist nicht verwunderlich, daß Frau Schuler längst, was die Wirkung Ihres Kamillentees betraf, In ehrliche Zweifel gefallen war. Ihr Mieter hatte den Frohsinn abgı it, so wie im Herbst die Bäume Ihre Blätter ablegen, nur nicht so tändelnd, nur nicht so gelb und rot, als wollten sie ihr nahes Ende mit Tanzkleidern verhüllen. Nein, vielmehr so, wie einer, der seinen von einem Windstoß entführten und von der Stra- Benbahn überfahrenen Hut In den Randstein wirft. Und Christa? Ahnte Christo etwas von dieser Verwüstung? Schritt sie vielleicht mit hoch- geschürztem Röckchen durch diese Seelensteppe? Ist sie, sagen wir es deutlich, kokett, kalt, grau- sam und unwürdig, das Bild des Medaillons zu füllen, mit dessen silbernem Ketichen Herr Kein wie ein Weihnachtspaket sein Herz verschnürte. Weiß sie etwas von dieser Fesselung, die Ihr winzigstes huldvolles lächeln zwar noch enger und unlösbarer, aber zu süßer Bürde verwandelt hätte, oder Ist sie diesen immer neu auf sie eindringenden Anrufen gegenüber taub? Isı sie, mit einem Wort gesagt, dumm? Denn dieses ist die eigentlichste und größte Dummheit der LIEBER SIMPLICISSIMUS Ich habe meine Gebirgsjäger In der Instruktions- stunde Über den Gebrauch des Gewehrs belehrt und dabei auch vor unnützem Munitionsverbrauch durch vorelliges Schießen ins Blaue hinein ge- warnt. Um darzutun, wie nachteilig sich die Außerachtlassung dieser Warnung auswirken könne, wies Ich auf die Tatsache’ hin, daß im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 auf einen Franzosen eiwa 3000 Infanteriegeschosse gekom- men seien. Da platzte ein biederer Ostmärker heraus; „Sakra, den muaß nit übel z’rissen ham.” * Der trinkteste französische Lyriker Ponchon, Mit- glied der Goncourt-Akademie und Verfasser so mancher wein- und liebesfrohen Leichtfertigkeit, fühlte sich krank. Nach gründlicher Untersuchung stellte der Arzt Wassersucht fest. „Unmöglichl” Ponchon lächelte ungläubig. „In meinem ganzen leben habe Ich keinen Tropfen Wasser getrunken!” ER Frauen. Dabei ist es so gewesen, daß Christa einige Male, ja öfter, ohne von ihm gesehen zu werden, mit Herm Kein zusammengetroffen war, daß sie seinen Namen wußte, daß sie bald begann, sich Ihres eigenen Spottes ob seiner komischen Hilflosigkeit zu schämen, ja ein mütterliches Ahnen zum erstenmal aus unbekann- ten Gründen ihres Wesens aufsteigen spürte. Ihr Liebster, das hatte sie sich zwar die ganzen Jahre her gesagt, mußte ein Sieger sein. So mit Hallo und Augenzwinkern und Händen in den Taschen. Mit der Schulter würde er zucken, nur eine kleine Bewegung, kaum sichtbar, und schon würde sie an seine Brust sich stürzend drängen und Liebesworte stammeln. Eine Hand würde er in seiner Tasche behalten, die andere aber, o die andere, um ihre Hüfte schlingen. Eine Eisen- klammer wäre das, ein Schraubstock, und wenn sie Schmerzensschrele ausstoßen würde, wären es keine Schmerzensschreie, sondern solche der Lust. Nun kam Kein! — Die Erwachsenen hatten es oft genug gesagt, Jetzt sah sie es selbst: Das Leben ist kein Film. Kein Ist das Leben, $o ging sie hin, sich eine Mandoline zu kaufen, ein leich- tes, wehes, verzichtendes Lächeln spannte sich um ihren Mund. Sie schien plötzlich reifer; außer- dem war sie unmusikalisch. Doch hatte sie gestern ihren Herrn Kein — so nannte sie Ihn bereits für sich — wleder einmal gesehen. Sie freute sich mit drängender Kraft ihrer prangenden Jugend. So breitete Christa In stiller Erwartung und mit falschen Griffen auf der Mandoline den sonst so dunklen Mäntel der Zukunft vor sich aus, Da sie wußte, was sie wollte und entschlossen war, da- nach zu handeln, da der blinde Passagier Kein in ihrem Lebensschifflein nie selbst zum Steuern zu bewegen seln würde, ging sie tags darauf, be- sonders nett angezogen und duftend vor Frische, Harm Kein entgegen. Es war die selbstverständ- lichste Sache der Welt, „Herr Kein”, sagte sie und ihre Stimme flackerte nicht einmal, „natürlich kann ich Mandoline spielen” — Zwischen der Frage und der Antwort lagen sieben Wochen. Sie schrumpften in sieben Sekunden zusammen. Herr Kein hielt ihre Hand, sah, da er den Blick noch nicht ganz zu erheben wagte, auf den höchsten Knopf ihres Mantels, Dieser große, runde, glän- zende Knopf war wie ein kleiner Spiegel. Er sah sich dort den Hut abnehmen. „Ach“, sagte er, „dann sind Sie es doch, Ich habe es gleich ge wußt.” Blitzschnell, nicht aus dem Wissen, nur sus der Witterung des llebenden Menschen schöpfend, kam die Antwort: „Ja, ich bin es" — Wer soll ich sein, dachten ihre nächsten forschenden Ge- danken besorgt; dann begann er aber schon zu erzählen, alles zu erzählen. Das fadendünne Rinn- sal wurde zur plätschernden Kaskade. Da war der Kopf zu den Händen, den Hüften. Die Kas- kade wuchs zum Wasserfall. Herr Kein war ein guter Erzähler. Herr Kein war auf einmal ein guter Erzähler. Noch Immer hielt er Ihre Hand. ‚ „Verzeihen Sie.” Dieses Engelsgesicht neigte sich ihm lächelnd zu, es war ein Löcheln, das die höch- sten, die schroffsten Berge sich öffnen ließ, um die Schötze ihrer Tiefe darzubieten. Sieben Sekunden wurden zu sieben Jahren. Es war, als ständen sie noch immer Hand in Hand. Dabel waren sie schon längst verheiratet. Die Mandoline lag Im Glasschrank auf einer dunkel- toten Plüschdecke neben den Tassen mit dem breiten Goldrand. Sie führte das Leben einer Tro- phöe und sie blieb, allem Drängen Herm Keins zum Trotz, ungespielt, Nein, sagte Christa und er- höhte syblllisch das Geheimnis noch mit dunklen Andeutungen, nein, sie könne und’ dürfe nicht mehr splelen. Die Mandoline sei kein Musikinstru- ment. Was sie zum Klingen habe bringen sollen, habe sie zum Klingen gebracht. Sie sei ein Sym- bol. Dabei hatte Herr Kein eine Vorliebe für das Mandolinenspiel. Doch sagte er jedem, der es hören wollte, daß Christa die Richtige sei. Auch Frau Kein bestätigt es. Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgosellschaft, München, Sondlinger Straße 89 (Fermrut 1256). Brlofanschrift: München 2 BZ, Brioffach. Vorantwortl. Schriflleiter: Walter Foltzick. München, — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. anstalten entgegen. — Bezugsprelso: Einzelnummer 30 PI.; Abonnement Im Monat RM. Nachdruck verboten. — Posischockkonto München 55 1.20. — Unverlangl tollungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgoschäfte und Post- Einsendungen werden nut zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — Erfüllungsort München. Bel den Wilden (Wiiheim Schulz) x e er ar N: d es werden im Kriege in Europa Frauen und Kinder von fliegenden Soldaten umgebracht!" „Aber Großpapa, erzähl uns doch keine solch übertriebenen Greuelmärchen, so was gibt es doch bei den Zivilisierten nicht!‘ Presso i selvagg „e nella guerra In Europa vengono massacrati donne e bambinl dal soldatl dell’ aria!,, “Ma, nonno, non raccontarcl tali esagerate favole di atrocitä; ciö non avviene, no, presso popoli civili!,, 604 München, 24. November 1943 48. Jahrgang / Nummer 47 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELL ! FT, MÜNCHEN SLarı Ansson 3 Der Dompteur f I EZ, RT „Was Sie hier sehen, war einmal der wilde Britenleu — heute kann ich ihn in jeder Konferenz vorführen!" Il domatore: "Quello che vedete qui era una volta il selvaggio leone britannico ....oggl lo lo posso presentare In ogni conferenza},, Am Seeufer - In riva al lago DAS WILD VON WALTER FOITZICK Zuerst hatten wir es gar nicht bemerkt. Wer denkt auch daran, wenn er auf einem Bahnsteig auf und ab geht. Da sagte ein kleines Mädchen: „Schau mal, Mama, die süßen Tiere.” Süße Tiere sieht Jeder gern. Wir dachten zuerst, es handle sich um nette Hundchen. Es waren aber keine netten Hundchen, nein, auf dem Handwagen lag etwas mit Fell, ein Haufen Felle eigentlich nur. „Ach, Rehe“, sagte die Mama, „paß auf, daß du dich nicht schmutzig machst.“ Diese Gefahr be- stand allerdings, denn es war allerlei Blut zu se- hen. Daraus ergibt sich sofort, daß es sich hier nicht um süße Tiere sondern um Wild handelte. Wir waren nicht jagdlich interessiert, verstan- den auch nichts von kapltalen Decken, aber vom Wild verstanden wir alle was. Einer sagte: „In Rahmsoße sind sie am besten‘. Ein anderer griff Irgendwohin ins Fell. Das war nicht Liebe oder Zärtlichkeit, er wollte nur mal feststellen, ob was dran ist. Die Prüfung fiel zur Zufriedenheit aus: „So ein Schlegel hat seine acht Pfund”, meinte er. „Er ist mir lieber als der Rücken, gespickt, müssen Sie wissen.‘ Wir wußten es, oder wir er- innerten uns wenigstens. REN: HR ER MH >» gi) MN: fl Schön sahen die Tiere gerade nicht aus, denn man hatte Ihnen schon alles abgenommen, was zum Wandschmuck geeignet Ist. Trophäen nennt das der Jäger, glaube ich, und darunter kommt In schöner Schrift Ort und Datum des Tages, wo das ‚Tier das Zeitliche segnete und zum Wild- bret wurde, Das Ist alter Weldmannsbrauch. Es waren übrigens nicht bloß Rehe, sondern auch Hirsche und Gemsen, so wenigstens sagte ein Fachmann. Und er wies auch auf die Stelle bei den Gemsen, wo die ganz vorzüglichen Ra- slerpinsel wachsen. Die Richtigkeit muß ich die- sem Fachmann überlassen, denn ich habe Rasier- Pinsel bisher Immer nur gekauft und nie ge- schossen. Wir alle fanden die Tiere sehr schmackhaft, und nur das kleine Mädchen bedauerte sie. Kinder sehen halt nicht gleich das Wesentliche, Wir fanden das Wild sehr wesentlich, und eine Dame begann, die ganze Strecke in Fleischmarken um- zurechnen. Das hatten die Tiere sich nicht träu- men lassen, falls Gemsen, Hirsche und Rehböcke überhaupt träumen. Wir aber wurden alle etwas träumerisch. Einer sagte, er werde sich seine letzte Kalbs- haxe, natürlich gut abgefieselt, nächstens auf ein schöngeschnitztes Brett montieren lassen und ein Datum darunter schreiben, das Datum, an dem er die Kalbshaxe erlegt, Verzeihungl, zerlegt hatte. 606 (R. v. Hoerschelmann) NICHTS FUR UNGUT »Sie reden Immer bloß vom Effen«, hat eine Dame mich gerügt, »und fcheinen drüber zu vergeften, daß das denn doch nicht ganz genügt. Wo bleibt das zärtliche Fibrieren, dfe feurige Begeifterung, das felige Sich-Im=All=Verlieren - na, kurz: wo bleibt der höhere Schwungt« Errötend fenkte Ich die Stirne, als ich das Wort zur Kenntnis nahm, Dann aber recht’ ich meine Birne und fprach: »Entfchuld’gen Sie, Madaml Ich bin ein unbeholf'ner Stammler, der fchlichte Käfebrote fchmiert, kein Hymniker und Dithyrammler, der braufepulorig erplodiert.« Ratatöchr Von Moskau zurück Eindny) „Sonderbare Leute, diese Sowjets — jetzt erwarten si Engländer für ein bolschewistisches Europa auch noch kämpfen!" itorno da Mosca: “Che strana gente questl sovieti! Adesso aspettano anche che nol Inglesl combattiamo per un’ Europa bolscevical,, 607 DAS GRÜBCHEN AM KINN Verwöhnt? Nein, verwöhnt waren wir nicht, der Ramon und ich. Wir hatten schon schlechter ge- wohnt als bei Dofia Carmen in Las Canchas. Wir hatten auch schon schlechter gegessen als bei dieser Dame. Teurer allerdings hatten wir noch nirgends gewohnt und gegessen. Und das war es, was uns den Aufenthalt in Las Canchas etwas verleidete, Damals wurde dort nach Petroleum gebohrt. Wir bohrten. Aber wir fanden nichts. Das kommt vor. Dieses Bohren kostete nicht unser Geld. Im Gegenteil: wir verdienten dabei. Wir wurden recht gut bezahlt, Und das wußte Dofia Carmen. Oh, sie war scharf her hinter dem Gelde, das wir verdienten, Sie wollte auch teilhaben an. dem Ppäpierenen Segen, der sich über den kleinen Ort am Rande der Quebrada de Cifunchos ergoß. Und so nahm sie uns ab von unserem Verdienst, was sie nur ergattern konnte. Nun werden Sie sagen, lieber Herr, wir hätten Ja woanders wohnen und essen können. Ach, das ging nicht, Es war alles belegt. Wir, der Ramon und Ich, wir waren ja nicht die einzigen Männer, die bei Las Canchas bohrten. Es waren noch andere Herren da. Und alle muß- ten untergebracht werden, Alle mußten essen. Die Leute von Las Canchas waren auf den plötzlichen Ansturm nicht eingerichtet. Sie richteten sich erst ein, als sie sahen, daß es etwas zu verdienen gab. Und wie sie sich einrichteten! Alle. Nicht nur Dofa Carmen. Nun legt Ja in der Regel so eine Petroleumgesell- schaft, wenn die Bohrungen beginnen, ein Camp an mit allem Komfort für ihre Leute. Bei Las Can- chas aber war das anders, Bei Las Canchas dachte man nicht daran. Es kam mir von Anfang an vor, als glaubten die Herren selber nicht so richtig an das Vorhandensein ergiebiger Erdölquellen in dieser Gegend, Und deshalb wurden die Aus- gaben für die Anlage eines Camps gespart, Wir bekamen Geld, nichts welter. Wir gingen In Selbstverpflegung. Sie kennen so etwas sicher auch, lieber Herr. Also: wir wohnten und aßen bei Dofia Carmen. Wir waren ihr gewissermaßen zugewiesen worden als Einquartierung. Vom ersten Augenblick an be- handelte sie uns als lästige Eindringlinge. Nur das Geld, das wir ihr zahlen mußten, war fähig, Ihr Gesicht etwas aufzuhellen und ihren Mund zum Schweigen zu bringen. Ich muß Ihnen nun sagen, daß Dona Carmen eine Mestizin war, eine mächtige Frau, unter deren Tritten das Häuschen wankte, in dem wir wohn- ten. Es wankte auch, wenn Dofia Carmen eine An- sprache an uns hielt. Das tat sie gern, oft und mit Ausdauer, Sie hatte immer etwas zu reden. Nur wenn sie Geld bekam, war sie still, Dofia Carmens Haus hatte zwei Räume, einen größeren und einen kleineren. In dem größeren wohnten wir, In dem kleineren die Hausbesitze- tin. Jeder Raum hatte einen separaten Eingang, selbstverständlich, Gekocht wurde in einer Breiter- bude, die an der Seite des Hauses stand. Das war sehr vorteilhaft. In dem Raum, den wir bewohnten, der Ramon und ich, war kein Fenster. Doch das schadete nichts. Licht und Luft bekamen wir genug. Es waren Spalten und Risse da, durch die Junge Hunde und anderes Getier zu uns herein- und wieder hinauslaufen konnten, Es lief. Das Getier. Regen? Nein, Regen hatten wir nicht. Es war nicht die Zeit dazu, als wir uns in Las Canchas auf- hielten. Aus diesem Grunde machte es uns auch nichts aus, daß nur etwa die Hälfte des Raums mit einem Dach versehen war. Auf der anderen Seite des Hauses, bei Dofia Carmen, sah es noch luftiger aus. Leider hatten wir keine Betten. Wir schliefen auf dem Fußboden. Der Fußboden bestand aus VON KONRAD SEIFFERT losem Lehm, der vielleicht früher einmal fest- gestampft gewesen war. Jetzt ging er in rötlichen Wolken hoch, wenn man seinen Fuß daraufsetzte. Und Sie glauben nicht, lieber Herr, wie lange sich solch roter Lehmstaub schwebend in der Luft zu halten vermag! Eigentlich saßen, standen, lagen wir immer im Lehmstaub, wenn wir uns in dem Raum aufhielten. So etwas ist störend, wahrhaftig! Störend war auch das Ungeziefer. Nein, ich will Ihnen hier nicht aufzählen, was da alles ‚lief, sprang, flog, kroch, schwirrte. Das würde zu viele Zeilen kosten. Aber an Ungeziefer gewöhnt sich der Mensch bekanntlich. Ramon und ich, wir ge- wöhnten uns, Ich sagte schon, daß wir bei Dofia Carmen aßen. Ja, sie kochte für uns. Sie kochte jeden Tag so ziemlich das gleiche. Es war immer eine fette, mißfarbene Brühe, in der allerhand herumschwamm. Geschmack? Nein, das Zeug schmeckte eigent- lich nach nichts. Es brannte nur entsetzlich auf der Zunge und im Hals, Das kam von den vielen Gewürzen, die Dofa Carmen verbrauchte, Aber damit, daß uns der Schlund ausgebrannt wurde, mußten wir Ja überall rechnen, Es war sozusagen ein Eintopfessen, das wir In Las Canchas täglich vorgesetzt bekamen, Dona Carmen behauptete, es sel Puchero. Nun Ist Puchero tatsächlich etwas Zusammengekochtes, Aber es gibt da doch Unterschiede, wahrhaftig! Dofia Carmen war uns gegenüber wenig liebens- würdig. Sie schrie uns an. Sie kümmerte sich nicht um unseren Schlafraum. Sie dachte nicht daran, uns das Leben ein wenig angenehm zu machen. Wenn sie mit dem Essen angewatschelt kam, dann krakeelte sie dabei mächtig, schimpfte auf uns Tagediebe, beklagte sich über die viele Ar- beit, die sie mit uns hatte, behauptete, früher habe sie andere, ganz andere Herren beherbergt, hach! Sie war überzeugt davon, daß wir ihr viel zu wenig Geld gaben, Und das sagte, schrie, schluchzte sie dann auch, Sie hieb das Essen auf den wackeligen Tisch, daß es überschwappte. Am nächsten Tage waren die Spuren ihrer Empörung Über uns noch zu sehen. Auf dem Tisch. Und Ramon sagte, nachdem wir etwa eine Woche bei Dofia Carmen für sehr viel Geld schlecht ge- wohnt und noch schlechter gegessen hatten: „Das ist nicht auszuhalten! Hier muß endlich etwas ge- schehenl” Ich hatte da wenig Hoffnung. Aber vielleicht, dachte ich, fällt dem Ramon doch etwas ein, was geeignet ist, unsere Lage zu bessern! Bevor wir nach Las Canchas gekommen waren, AUF JENEN FELDERN Einst wird viel roter Mohn Auf jenen mildzerpflügten Feldern prangen, Kind goldne Ahren wiegen sid im Sommermind- Wer weiß? dann scıon, Weldı bitÜren Weg wir dort gegangen In Nadıt und Grauen sind? Wer weiß, wer fragt es Fon denen, die da nadı uns kommen werden, Weldı Ungesagtes " Längst sidı verband mit Stein und Erden —? Der Mohn bleibt stumm. Und nur der Grübler, der sich aus der Welt Hierherverirrt, — Nur der wird dunkel ahnen dann, warum Ein Ahrenfeld So rot mie Blut auf dieser Erde wird — — HERBERT LESTIBOUDOIS 608 hatten wir oft und gern gelacht. Aber Jeizt waren unsere Gesichter tiefiraurig. Ja, solch ein Drachen wie Dona Carmen kann aus einem fröhlichen Menschen In kurzer Zeit einen Melancholiker machen, wahrhaftig, lieber Herr! Doch das Leben ging weiter, Ein paar Tage später sagte Ramon zu unserer Hausfrau, als sie uns das Essen brachte: „Dona Carmen, Sie haben da ein ganz entzückendes Grübchen am Kinn!” Dabei lächelte er die Frau an, es sah beinahe aus, als sei er In sie verliebt, Ich muß sagen, daß ich sehr stark erschrak und befürchtete, Dofia Carmen werde sich solch plumpe Anbiederung sehr energisch verbeien, Weit gefehlt! Sie tat es nicht, Sie stellte das Tablett sacht auf den Tisch, zum erstenmal. Dann siemmte sie die massiven Fäuste in ihre kolossalen und sehr weichen Seitenteile, sah sich den Ramon en, legte den Kopf schief, grinste, verzog das Mäulchen und flüsterte: „Ach, das haben mir die Männer früher oft gesagt!“ Dabei schloß sie die Augen. Ramon sagte ihr nun noch ein paar Sachen, die so entsetzliche Schmeicheleien waren, daß ich mich sehr schämte. Dabei aßen wir. Puchero. Wie immer. Dofia Carmen watschelte davon. Ich war gerade dabei, dem Ramon zu erklären, daß er mit seinen blöden Redereien wohl bei einem neiten, hüb- schen, Jungen, freundlichen Mädchen Erfolg haben könne, nicht aber bei solch einem Ungetüm wie Dofia Carmen. Da kam sie zurück. Mit dem Tablett, Auf dem stand der Nachtisch, Noch nie hatten wir Nachtisch bekommen. Heut gab es Nachtisch, Es war etwas In Fett Gebackenes, sehr süß und sehr heiß. Es schmeckte recht gut, Und Ramon lobte das Zeug mächtig. Noch nie, behauptete er, habe er so etwas Vorzügliches gegessen. Und auch Ich sprach ein paar an- erkennende Worte. Danach redete Ramon wieder von Dofia Carmens Grübchen am Kinn, Sie quiekte wie ein Tapir auf der Flucht vor dem Jaguar. Als wir am anderen Tag nach Haus kamen, war der Fußboden unseres Raums mit einem Teppich belegt, Es konnte nun auch für mich nicht mehr ‚zweifelhaft sein, daß Ramons Methode die rich- tige war. Sie war die richtige, das können Sie glauben, lieber Herr! Bei jeder Gelegenheit wurde sie nun von Ramon angewendet, Ich hätte ihm nie so viel Selbstüberwindung zugetraut. Schließlich, dem guten Beispiel folgend, ging auch Ich dazu über, Dofia Carmen einige Schmeicheleien zu sagen, Ja, sie hatte da ein Grübchen am Kinn. Grübchen kommt von Grube. Nun, es war eine Grube, Aber das blieb nebensächlich. Die Hauptsache für uns war, daß wir von jetzt ab für unser Geld verhältnismäßig anständig zu essen bekamen, daß unser Wohnraum täglich etwas in Ordnung gebracht wurde, daß Dona Carmen nicht dauernd schimpfte, schrie, tobte, brüllte, Ganz zahm war diese Bestie geworden, Sie zeigte uns Bilder aus ihrer Jugend. Und auch auf die- sen hatte sie ein Grübchen am Kinn, Früher mußte sie ein recht hübsches Mädchen gewesen sein. Als wir nach etwa einem Monat Las Canchas ver- ließen, weil die Bohrarbeiten abgebrochen wur- den, weinte Dona Carmen hemmungslos. Noch nie, schrie sie, habe sie so nette Herren be- herbergt. Und die Zeit, die wir bei ihr verbracht hätten, sei die schönste ihres Lebens gewesen. Da wurde uns, dem Ramon und mir, ganz klar, daß es sehr einfach ist, einen Drachen wie Dona Carmen zu zähmen, Man braucht ihm nur etwas von dem Grübchen zu erzählen, das er am Kinn hat. Zuwellen kann es, glaube ich, auch etwas anderes sein als ausgerechnet ein Grübchen am Kinn. Wußten Sie das schon, lieber Herr? Korrektur KR. Krlesch) „Unerhört, Paul, wie kann dich dieser Mann ‚dummes Rindvieh‘ nennen!" „Ja — und überhaupt sagt man nicht ‚dummes‘, sondern bloß ‚Rindvieh'!" Correzione: ‘Cosa inaudita, Paolo! Come mai quest’ uomo puö chiamarti 'stupido buacelo, !,, “Eh glä ... e pol non si dice 'stupido,, ma soltanto ‘buaccio, !,, 609 DER LEUTNANT PFUI DEIFEL „Eine richtige Teufelsstellung”, lacht der Ober- Jäger unter dem grünen Mückenschleier hervor, und zeigt mit beiden Händen in den Wald hin- ein. Das stimmt doppelt, so erzählt er uns. Fürs erste, weil diesen dreimal vermaledeiten Wald längst schon der Teufel holen müßte, aber er mag ihn nicht, die Hölle ist ihm lieber. Und fürs zweite, well der Leutnant selber, der diese Wald- stellung hält, „Delfel” heißt. „Der weiche Teufel”, wie ihn die einen wegen des weichen D voran rennen (was übrigens bel seiner ganzen Art das einzig Weiche an Ihm zu sein scheintl). Die an- deren, seine engsten Freunde aber rufen Ihn Spuk im Schloß - Spettri nel castello VON KARL SPRINGENSCHMID mit dem Vornamen nicht Albin sondern „Piuil“, weil dann jenes schöne „pful Deifell” beisammen ist, das richtig auf diesen gotiverlassenen Ur- wald in Karelien paßt. Aber das nur nebenbefl Hauptsache, daß einer überhaupt diesen Deifel findet. Das ist für Jeman- den, der aus Europa kommt, gar nicht so einfach; ‚denn die Karte ist hier, am Ende der Welt, nur mehr eine Art Tapetenmuster, schön und Interessant, etwas absonderlich allerdings, weil Sumpf, See und Wald, beziehungsweise Wald, See und Sumpf die einzigen Bestandteile sind, aus denen der Teufel dieses sellsame Muster gomacht hat. dt v. Horväth), „Zu lästig, diese alten Köpfe. Nie hat man beide Hände frei“ “Che seccanti queste vecchie teste! Non si hanno mai le mani libere!,, 610 „Beim See 41 links”, so sagte uns einer, „dann über den Sumpf 83, gradwegs in den Wald, bis zum kleinen See 53, dort rundherum, Bach, wieder See, nochmals Sumpf, dann kommt der Wald 53, GemDeifel sein Waldl" Aber ohne Kompaß geht's nicht. Erst als der Kompaß erfunden wurde, konnte Kolumbus Amerika entdecken und erst mit dem Kompaß entdeckte der Deifel diesen Wald und überhaupt die Gebirgsjäger Karelien. Dabei hatte es dieser Kolumbus bestimmt viel leichter als der Delfel; denn er sah doch tagsüber die Sonne auf dem richtigen Platz und nachts die Sterne. Der karelische Sommer aber hat keine Nacht und keine Sterne Ja, dieser seltsame Deifel lebt sommersüber ganz ohne die gewohnte Finsternis und will er sich nach dem Himmel richten, so muß er feststellen, daß sich selbst die Sonne so seltsam und ungewöhnlich benimmt, daß er nie welß, was sie eigentlich will, aufgehen oder untergehen oder vielleicht ganz oben bleiben Außerdem hat dieser Kolumbus vom Mastkorb seines Schiffes aus weitum den Horizont gesehen und das neue Land, das ist viel; denn was der Leutnant Deifel vom höchsten Baumwipfel aus sehen kann, sind wieder bloß Wipfel und Wipfel und alles, nur kein neues Land. Nein, der Kolum- bus hatte es schon besser getroffen mit Amerika, als der Leutnant Deifel mit Karelien! Bleibt nur der Kompaßl Und zwar der feine, kluge Marschkompaß, den die Finnen statt der Uhr am Armband tragen, bezeichnend für sie, weil die Zeit in ihrem Leben gar nichts, die Richtung aber alles bodeutet. Dieser finnische Waldkompaß ist überhaupt ein echtes Stück finnischen Wesens. Er ist in Ol ge- lagert, und schlägt darum nur ganz ruhig und bedachtsam aus, ohne jede Hast und Erregung, genau so ruhig und bedachtsam, wie die Finnen selber ausschlagen, es mag noch so viel magnetl- sche oder bolschewistische Spannung in dem Walde liegen. Den Kompaß am Arm, so zieht der Spähtrupp los, so führt der Oberjäger seine Posten auf, so sucht der Zahlmeister seine Schreibstube, so geht der Leutnant durch die Stellung, so macht der Haupl- mann seinen Besuch beim Oberst. Den Kompaß am Arm — ja, dies nun Ist die kleine Geschichte vom Leutnant Deifel, die Ich eigentlich erzählen wollte. Als der Wald 53 erstürmt war, sagte der Leut- nant, auf eine Kiefer zeigend: „Und hier den Kompanlegefechtsstandi” Auf das hin zimmerte der Gefrelte Tschurtschen- taler eine hohe Leiter zurecht, legte sie an die Kiefer an, kletterte empor und baute einen Prügelboden in den Wipfel "hinein, so daß der Oberjäger Mumelter, der den Kompanietrupp führte, sogleich seinen Posten hinaufstellen konnte Inzwischen hatte der Leutnant seln Zelt fertig gebaut und damit .war die Übersiediung vom Wald 49 in den Wald 53 beendet. Endlich einmal Schlaf? Draußen ist Nebel und Nässe, Aber der Leutnant muß auf, es hilft nichts. Nicht wegen des Feindes, nein, nur sonst, ganz allgemein, Er schlieft aus selnem Schlafsack, er taumelt aus ‚dem Zelt. Er schaut um sich. Bäume links, Bäume rechts, das Ist alles. Da hat er doch gestern genau den Platz be- stimmt, jenen Platz, na ja, der schließlich selbst im karelischen Urwald bestimmt werden muß. Aber, zum Teufel, wo Ist denn? Er schaut durch die Bäume, er schaut In den Nebel? Hat er nicht eigens sein Zelt mit dem Kompaß gebaut, genau von Norden nach Süden, damit er, schon wenn er herausspringt, weiß, wie Der Mondsüchtige (Erich Schilling) er im Wald steht. Ist denn in dieser Dreiteufels- gegend alles verhext? Er wird doch noch höll- sakra, den Ort finden, zwanzig Schritte weit... Er findet ihn nicht. So bleibt er ruhig, wie es im Walde nötig ist, bei seinem Zelte stehen und überlegt; denn er weiß, der Wald läßt nicht mit sich spaßen. Es ist schon einmal einer, der nur ganz Friedliches wollte, In die falsche Richtung geraten und statt an die gewünschte Stelle an den Feind geraten. Das will er in diesem Augen- blick durchaus nicht, Guter Kolumbus! Du hast es leicht gehabtl Hilft nichts! Kompaßl Er spürt, wie etwas ungemein Beruhigendes von diesem klugen, ‚ölgelagerten Ding ausgeht. „Man müßte alles hier in Ol lagern“, denkt der Leut: Il sonnambulo nant, „den ganzen Krieg” und blickt auf die Nadel und mit einem Schlage steht die ganze Welt wieder richtig, das Zelt, der Baum mit der leiter, der Leutnant selber, alles. 30 Strich ost- ES WAR EINMAL ein Hofnarr, der beklagte sich bei seinem König, daß eine mächtige Gruppe des Hofstaates ihm ob seiner kecken Freimütigkeit den Tod ge- schworen habe. Der König beruhigte ihn hierüber. Er sprach zu Ihm in königlicher Güte: „Wer dich tötet, Narr, hängt zehn Minuten später selber.” Da lächelte der Narr schmerzlich und antwortete: „Mein König, es wäre mir weit lieber, wenn er zehn Minuten vorher hängen möchte...” I.H.R. 611 wärts der Feind, 30 Strich westwärts die Richtung, die er in dieser Stunde braucht. Also losı — Und so geschah es, daß der Leutnant Albin Deifel von der siebten Kompanie, kurz der „Pful Deifel“ genannt, den finnischen Marschkompaß am Arm, ruhig und besonnen, jenen Ort anpeilte, den man sonst an der ganzen Front im Osten ohne Kom- paß findet. An jener Stelle aber haben die Tiroler sodann, heimischem Brauche folgend, ein Marterl errich- tet, das den Leutnant Delfel zeigt, den Kompaß In der einen, die Hose in der anderen Hand, und die Worte trägt: Oh, Wandrer steh hier still, und sieh, was’ dieser Leutnant will WER Sie haben lärmend in Gärten gefpielt, Sie haben mit Pfeilen nach Vögeln gezielt, Sie haben fich lungernd herumgetrieben Und find dem Rechenbuch ferngeblieben. Und meine Erinnerung fpricht: Auch du lernteft nicht, Auch du mwarft kein Licht. Durch Knabenträume Flieger braufen, Durch Knabenträume fchäumt das Meer, In Knabenträumen Räuber fchmaufen Die Gärten einer Herbftzeit Icer. Doch davon wächft nicht Wiffenfchaft, Die Wiffenfchaft braucht Zimmerhaft, Die Wiftenfchaft braucht Bücherfaft. DAS KROKODIL VON BRUNO WOLFGANG In einer kleinen Stadt wurde plötzlich von einem Unbekannten das schönste Häuschen des Ortes angekauft, Dann kamen einige Wagen mit selt- samen Möbeln, Waffen und Teppichen. Zum Schlusse der Herr selbst, ein hoher, magerer Mann mit einem Habichtsgesicht, langem, dichtem Schnauzbart, einem herausfordernden Monokel im Auge und blutroten Gamaschen über den spie- gelnden Lackschuhen. In der Hand trug er einen Geigenkasten. Er war also ein Musiker. Falsch. Er war kein Musiker. Was er war, blieb überhaupt rätselhaft. Er war Herr von Grill, Er hatte keinen Beruf, keinen Titel, nur Geld. Und im Geigenkasten hatte er eine kostbare Stradivarl. Nein. Er hatte keine Stradivari im Geigenkasten, sondern ein ganz kleines Krokodil, ein zartes Wesen In der Blüte seiner Jugend. Sein Mäulchen (des Krokodils) war noch mit den ersten nled- lichen Milchzähnchen besetzt. Die kleinen Augen hatten etwas Sanftes, Träumerisches, In ihrer Tiefe schlummerte die ferne Glut ägyptischer Prin- zessinnen und tanzender Negerköniginnen. Der Belag seines Rückens war noch weich und zart, noch nicht gekerbt, fast wie Imitation, und der gelblich weiß gespannte Bauch hatte fast etwas Menschliches. Eine Zeitlang lebte Herr von Grill ruhig in sei- nem Hause mit seinem Diener und dem Krokodil, welches das Klima ausgezeichnet vertrug und sich prächtig entwickelte. Die Stadt freilich betrachtete ihn mit Mißtrauen, und üble Gerüchte umflatterten sein schweigsames Haus wie Fledermäuse. Eines Tages erschien Herr von Grill beim Schreiner- meister Höllreich und sagte: „Zeigen Sie mir Ihren größten Sarg.” „Oh, gestatten zunächst mein herzlichstes Beileid.” Eine Träne erschien Im Auge des Schreiner- meisters mit geschäftlicher Emsigkeit, „Nein“, wehrte der Herr ab. „Ich brauche nicht Gemüt, sondern einen Sarg. Zeigen Sie mir Ihren größten Sarg.” Der Schreiner beeilte sich, dem Wunsche zu ent- sprechen. Herr von Grill: bezahlte einen phan- tastischen Preis und fügte hinzu: „Senden Sie mir ihn sofort. Ich brauche ihn dringend.” Gewohnheitsmäßig murmelte Herr Höllreich: „Hobel- späne gefällig? Ein lacklertes Kruzifix? Kerzen- halter schön versilbert?" „Wenn Sie noch ein einziges Wort reden, wer- den Sie einen Sarg brauchen, nicht ichl”, sprach der Herr ganz leise, funkelte aber dabel so fürchterlich mit seinen schwarzen, stechenden Wer erteilt 7- u. 10-jährigen Jungen Unterricht in Deutsch, Rechnen und Englisch? Anschr. 449605. Ein Auffat; drückt wie ein Alp, Ein Auffat bringt Qual und Verwirrnis, Man fchmiert in das Heft, flüchtig und halb, Einige Seiten leeren WortsFirnis. Ich fehe mich knabenklein, Den leichtfinnigen Kopf in Pein; Denn es fällt ihm durchaus nichts ein. Augen, daß Herr Höllreich fast bäuchlings zur. Tür hinauskroch, sofort den Sarg absandte und die Neuigkeit an alle Freunde und Bekannten weitergab. Nun war es Zeit, daß endlich auch die Behörde Ärgernis nehme. Es wurde ein besonders kluger und diplomatischer Vertreter der Gemeindever- waltung enisendet, um die Interessen der Ge- meinde gegenüber dem Zugereisten wahrzu- nehmen. Herr von Grill empfing den Sendboten — er hieß Pinagel — ziemlich ungnädig. „Was wünschen Sie?” „Es verlautet, daß hier ein Todesfall vorliegt, über den nicht die vorgeschriebene Anzeige er- stattet wurde,“ „Todesfall? Wenn Sie nicht den Floh meinen, den ich gestern gefangen und in einer Platinschüssel geröstet habe, dann weiß Ich bei Gott nicht, woraus Sie auf einen Todesfall schließen.” „Hm, Sie haben doch einen Sarg gekauft?” „Sa:g? Nun, ich werde Ihnen sofort zeigen, wozu ich ihn brauche.” Er stieß mit dem Fuß eine Türe auf und ließ Herın Pinagel eintreten. Das Zimmer war vollkommen kahl. In der Mitte stand auf dem Boden der Sarg, in ihm lag ausgestreckt das Krokodil und schlief. „sehen Sie, Verehrtester”, fuhr Herr von Grill fort, „früher konnte ich es über Nacht in einem Geigenkasten unterbringen. Jetzt ist es schon so gewachsen, daß ich ein längeres Fuiteral brauche Ich hoffe mit dem Sarg mindestens ein halbes Jahr auszukommen.” Das Krokodil öffnete langsam die Augen, hob den Oberkiefer und gähnte gewaltig. Der Besucher wich einen Schritt zurück. Dann kroch es schwer- fällig aus seinem Lager, legte den Kopf auf den Schuh seines Herrm und sah ihn treuherzig an. Herr von Grill kratzte es mit einer silbernen Gabel hinter den von der Natur nur schwach ange- deuteten Ohren. Es hob den Oberkiefer wieder — Herr Pinagel trat abermals einen Schritt zu- rück — und ließ ihn (den Kiefer) aufgeklappt stehen, wie einen Klavierdeckel vor dem Konzert. Sofort ertönte ein leises Zwitschern vom Fenster, ein kleiner gelber Kanarienvogel kam herabge- flogen und hüpfte im Rachen des Krokodils zwi- schen den Zähnen munter hin und her. „Ah, da schaugstl” entfuhr es Herrn Pinagel. „Symbiose“, bemerkte Herr von Grill spöttisch. „Jö, das hab ich mir gleich gedacht”, erwiderte Herr Pinagel etwas unsicher und empfahl sich einstwellen mit diplomatischer Höflichkeit. Aber in der Stadt, besonders bei der Obrigkeit, gährte es weiter. Man hatte das unbestimmte, aber ganz sichere Gefühl, daß gegen Herrn Grill und sein Krokodil etwas geschehen müsse. Die Steuerbehörde führte den ersten Streich, indem 612 ERTEILT UNTERRICHT? Sie haben fich heimlich fortgeftohlen Zum Wald, zum Hügel, zum Fluß. Sie fuchten die Nefter der Krähen und Dohlen Sie hatten am Angeln Genuß. Auch ich fpür’ noch den Feuerrauch, Entfacht im Ufermeidenftrauch: Ein Fifch fchmort, aufgefchlist am Bauch. Wie wird der Rechenpauker fein? Der meinige, Rektor a. D., war wie aus Stein, Ein Monument der unbedingten Strenge, Zahlenmafchine, Genaufgkeit, Gedankenenge, Gefäß voll Spott und Hohn - Er ftürzte Winnetou vom Thron Und tötete den Robinfon. ANTON SCHNACK sie Herrn Grill die Hundesteuer vorschrieb. In deı Tat, was war das Krokodil schließlich anderes als ein verlängerter Hund? Herr Grill hinwiederum machte eine geharnischte Eingabe an das Finanz amt, um sich zu verteidigen. Inzwischen blieb die Steuerbehörde nicht müßig und verhängte über Herm Grill noch die Warenumsatzsteuer und die Gemeindeabgabe. Die politische Behörde ver- langte von ihm eine Konzession zum Betrieb eines Krokodils und übersandte ihm zu diesem Zweck viermal drei Fragebögen. Es regneto Verständi gungen, Erlässe, Noten, Dienstzettel, Amtsverfü- gungen, Vorladungen, Terminfestsetzungen und dergleichen. Herr von Grill brauchte seine ganzo freie Zeit zum Studium dieser oft schwer zu ent- tätselnden Schriftstücke, Eine Zeitlang hielt er es noch aus. Aber dann beschloß er, sich einen bequemeren Aufenthalt zu suchen. In einer finsteren Nacht fuhren ge- täuschlos mehrere Möbelwagen vor, ein großes Auto mit abgeblendeten Lichtern huschte gespen- stlsch davon, und am nächsten Morgen war Herr von Grill fort. Einige Tage lang blieb sein Verschwinden unbe- merkt. Erst als der Briefkasten an seiner Türe von behördlichen Aufforderungen, Zahlungsaufträgen und Exekutionsdrohungen überquoll, so daß der Briefträger ein halbes Kilogramm solcher Zustel- lungen wieder mitnehmen mußte, wurden die Be- hörden mißtraulsch und sandten eine zum Erbre- chen (der Wohnung) genügende Anzahl von Or- ganen ab, Die Wohnung war leer. Der einzige Einrichtungs- gegenstand, der vorgefunden wurde, war das Krokodil. Es wurde sofort beschlagnahmt, versie- gelt und für alle Steuer- und anderen Rückstände haftbar orklört, Zur Versteigerung kam es jedoch nicht, da sich kurz vor der Amtshandlung heraus- stellte, daß das Krokodil längst tot war. Im Magen des Krokodlis fanden die Gerichtsärzte einen alten Geigenkasten, einen schon halb ver- dauten Sarg, ein paar alte, rote Gamaschen und 28 Kilogramm amtlicher Erlässe, letztere gänzlich unverdaut. Schließlich fand man noch die Reste eines kleinen gelben Kanarienvogels. Es war also doch ein böses, heimtückisches Raubtier gewe- sen, das Krokodil, Falschl Es gehorchte nur dem ewigen Nalurgeseiz, das dem Großen gebietet, den Kleinen zu veı- schlingen. Und wäre ein Dichter unter der Menge jener gewesen, die den langgestreckten Leich- nam des Tieres witzelnd bestaunten, er hätte In dessen Augenwinkel die Träne sehen müssen, die Träne, die jede Verspeisung des Kleinen durch den Großen begleitet, jene Träne, die sonst nur bei Menschen vorkommt und daher Krokodilsträne genannt wird. Das Gewitter - La bufera (Fr. Bilek) EITELKEIT VON ERIK STOCKMARR Eine Bank in einem: Park. Ein Junges Mädel und ein junger Mann. „Wie wunderschön du doch aussiehst, Lizzie”, sagt er, Sie lächelt bescheiden, als ob sie es gar nicht wüßte, Eine halbe Stunde hat sie vor dem Spiegel gestanden, um sich schön zu machen. „Gib mir einen Kuß, Lizziel“ Sie schüttelt ihren schönen Kopf. „Doch.“ „Nein. „Doch." „Nein.“ Kleine Pause. „Warum willst du mich nicht küssen, Lizzie?" Keine Antwort. „Warum nicht?“ „Weil ich nicht will.” Seine Augen blitzen. „Liebst du mich denn nicht mehr, Lizzie?” Ein ganz kleines Lächeln zeigt sich auf ihrem Ge- sicht. Das macht ihn ganz außer sich, Er steht auf, stellt sich vor sie und guckt sie wütend an. „Aha, du liebst einen anderen, Lizzie“, ruft er; „deswegen willst du mich nicht küssen. Wer ist der Halunke?” Y Keine Antwort, - „Ich springe ins Wasser, Lizzie“, schreit er und nimmt seinen Hut ab. Augenscheinlich glaubt das Mädel, daß er seine Worte verwirklichen will. Das ist ein bißchen naiv, denn wenn ein Mann, bevor er ins Wasser springt, seinen Hut abnimmt, wird er sich nicht ertränken. Den Hut braucht er Ja dann nicht mehr. Sie faßt ihn am Arm, streichelt ihm übers Haar und küßt ihn. Lange stehen die beiden dicht umschlungen und küssen sich. Dann setzen sie sich wieder auf die Bank „Warum wolltest du mich nicht küssen, Lizzie?” fragt er. „Sieh“, sagt sie und zeigt auf ihre eine Wange, die eine leichte, kaum sehbare Farbe hat. „Ich war heute beim Zahnarzt, der mir einen Zahn zog, und dabei wurde die eine Wange ein bißchen blau, Eine halbe Stunde stand ich vor dem Spiegel und puderte mich, damit man es nicht konnte. Jetzt aber ist der Puder durch dein hei tiges Küssen fort, du dummer Junge,” - „Und nur wegen des Puders wolltest du mich nicht küssen?“ fragte er lächelnd. 613 a „Du Ilebst mich also doch?“ „Natürlich.“ „Ach, wie eitel du doch bist, Lizzie.” „Küß mich”, antwortete sie, „jeizt ist der Puder doch weg.” i MEIN FREUND JOHANNES Wir waren mit ein paar Freunden zusammen. Um die nette Stimmung zu erhöhen, holte ich mein Schifferklavier hervor und setzte mich zurecht. „Was wollt ihr hören?” fragte ich. Sie nannten ihre Wünsche, die Ich nach bester Kraft erfüllte. Aber schließlich verlangte einer ein Lied, das ich noch nie gehört hatte. „Ich spiele es dir mal eben auf dem Flügel vor”, sagte er. Es war eine flotte, eingängige Melodie, so daß ich sie nach elnmaligem Anhören nachsplelen konnte, „Donnerwe: du bist doch ganz schön musika- Iischl” urteilte der Freund anerkennend. „Woher hast du das eigentlich?" „Von meiner Großmutter”, erklärte ich. „Eine tüchtige Leistung für eine so alte Frau, dir das Ziehharmonikaspielen beizubringen“, sagte Johannes. 3.Bieger Erkenntnis (K. Holligenstoddt) „Mir scheint, nicht nur die Zimmer, sondern auch die Schlüssellöcher sind hier viel größer! Constatazione: “Mi pare che qui non solo le stanze, ma anche I buch delle toppe sieno molto plö grandil,, 614 DIERFSPIELER VON HEINZ SCHARPF Im Zug nach Monte Carlo saß eine Dame, Ihr gegenüber ein Herr. Ahal ...und Gott Amor flocht zwischen den beiden eine bärtige Kurz- geschichte... Gemach, gemachl Die scharfen Gesichtszüge der Dame mochten Ihr in der Mödchenzeit einen markanten Reiz verlie- hen haben, jetzt im Alter gaben sie Ihr etwas Raubvogelartiges, „Dame mit Gelerkopf” hätte unter ihrem Porträt stehen können. Der Herr war ebenfalls keine bloße Erscheinung in den besten Jahren, sondern gewann bei nähe- ter Betrachtung durch einen Stich ins Dämonische. Sein Gesicht war durchfurcht von Leidenschaft, die rotumränderten Augen zeugten von einem Dauerleben bei Nacht, und seine Hände, oh, diese stark geöderten, fahrigen Hände verrieten den Spieler. Er machte andauernd Zeichen in ein Notizbuch, sah dazwischen gedankenvoll zum Fen- ster hinaus, seine Denkmaschine lief sichtlich auf hohen Touren, Die alte Dame betrachtete Ihn Interessiert, Ein Systemspieler, durchzuckte es sie, einer der viel- leicht schon einmal die Bank gesprengt hatte oder daran war, dies zu tun, vor Erregung stieß sie wie ein Bussard die Luft durch ihre Habichtnase aus, Sie mußte mit dem Mann ins Gespräch kommen. „Entschuldigen Sie”, sagte sie, „könnte man nicht einen Augenblick das Fenster öffnen, es ist so schwül hier?” „Gern“ willfahrte der Herr ihrem Wunsch, um sich dann gleich wieder seiner Arbeit hinzugeben. Die Dame fuhr wie auf Nadeln. Nach einer klel- nen Anständspause setzte sle zur zweiten Altacke an, „Entschuldigen Sie“, ließ sie sich mit kräch- zender Stimme vernehmen, „könnte man das Fen- ster nicht schließen, es zieht?" „Gern“, sagte der Herr abermals, klappte sein Notizbuch zusammen und sah sich auf Gnade und Ungnade seiner Reisegenossin ausgeliefert. „Sie fahren auch nach Monte Carlo, um das Ca- sino aufzusuchen?” fragte sie. Der Herr nickte, obwohl er sich lieber taub ge- stellt hätte, Er hatte seine Erfahrungen mit geier- köpfigen Bekanntschaft: „Sie spielen nicht zum erstenmal?” forschte sie weiter, „Nein, Ich spiele seit Jahren.” Er sagte das ohne viel Aufhebens, Die Augen der alten Dame begannen immer mehr zu funkeln. Also hatte sie den Mann doch richtig taxiert, „Und spielen Sie Immer mit Erfolg?“ drang sie nelgierig in ihn. Der Gefragte. klopfte dreimal auf das Fensterholz. „Mit einer Serie von Erfolgen”, zwinkerte er. „Ah“, sark die Dame In sich zusammen, „und ich Unglücksrabe verliere immer, Ich habe schon eln Vermögen in Monte Carlo gelassen. Trotzdem zieht es mich stets wieder hierher. Frauen sollten überhaupt nicht an die Roulettetische gelassen werden.” „Dann würden die Spielsäle bald leer stehen“, meinte der Herr, „Die Roulette Ist Ja nicht auf die mönnliche, sondern auf die weibliche Psyche zugeschnitten, Ihre 36 Nummern sind eine galante Konzession an die Frau. Damit sie ohne corriger la fortune Ihr Alter setzen kann, womit jede Frau ihr Debut beim Spiel beginnt.” „O Gott, und was mache ich mit meinen 72 Jah- ren?” seufzte der Unglücksrabe, der bereits drei- undsiebzig Lenze hinter sich hatte, „Sie seizen beharrlich zweimal hintereinander auf 36 und der Croupier wird Ihnen Berge von Jetons zuschieben.” Die alte Dame hätte den Mann am liebsten um- Die Drückebergerin - L'imboscata (6. Brinkmann) „Ich bin Direktor des Thalla-Theaters. Ich möchte die Dame engagieren, die so ergreifend Ihre Arbeltsunfählgkelt zum Ausdruck zu bringen vermag!" "lo sono Il direllore del ‘Teatro Talla,. Vorrel scritturare questa signora che sa esprimere In modo sl commovente la sua inabilitä al lavoro!,, ‚armt. Sie fand Ihn einfach hinreißend. Seine Au- gen loderten, seine Finger zuckten, der Spieler in ihm war erwacht. Vor Aufregung begann sie, immer mehr mit dem Kopf zu wackeln. Diese kanntschaft hatte ihr die Göttin Fortuna in den Weg geführt, spät, aber doch. „Ach“, sprach sie mit leichter Koket! „ch kann einfach ohne diese erregende Spielsaalluft nicht leben, sie macht mich schwindlig, einfach berauscht, ich ver- liere völlig den Kopf und vermag nicht mehr auf- zuhören zu spielen. Geht es Ihnen auch so?” „Nein“, sagte der Herr, „ich weiß genau den Zelt- punkt, wann Ich aufzuhören habe.” „Mein, Herr", nahm sich nun die Dame ein Herz, „würden Sie mich an Ihrem Spiel einmal teilneh- men lassen?“ „Mit Vergnügen”, bekam zur Antwort, Vor Seligkeit rutschte sie beinahe vom Sitz. „Ich sah Sie vorhin Aufzeichnungen in Ihr Buch nach Luft, „Sie spielen wohl nach einem System? Auch ich kenne verschiedene Systeme. Wollen Sie mir nicht verraten, was Sie spielen?” „Gern“, sagte der Herr, „ich spiele Cello im Casino-Orchester.” EDLE TORHEIT Der Torheit mahnt bismweilen inne, mas der Verständige nic achtet, menn er zu klugem Tatbeginne das Universum so betrachtet als sei es ein Maschinenhaus. Die Herzen lieben es, zu schlagen. Oft sieht etwas wie Unsinn aus und schließlich löst es alle Fragen, die unentwirrbar dem Verstande geblieben waren durdı Jahrhunderte, bis man sie schließlidı Wahrheit nannte und überaus bemunderte. PETER SCHER LIEBER SIMPLICISSIMUS In Kutiners Grünwarenhandlung. Personen: Herr Kuttner und Frau Seifert, die die ihr zustehenden Eler verlangt. „Sind sie auch wirklich frisch?” fragt sie vorsichts- halber. „Na und obI” lacht Kuttner dröhnend, „die Hüh- ner haben sie noch gar nicht vermißtl...“ FF. (0. Nückel) Ich stand vor einem Buchladen und betrachtete die ausgestellten Bücher, Eine seltene Ausgabe von Kanis „Kritik der reinen Vernunft” flel mir ins ‚Auge. Sie fiel wohl auch einem anderen Beschauer ins Auge, denn Ich hörte plötzlich neben mir einen Mann, der auf dieses Werk deutete und zu seiner Frau sagte: „Sowas können sie auch nur Im Krieg verkaufen! laß erst mal wieder Frieden sein, Jsolde, und es wieder richtige Romane geben — dann kauft den Dreck keinerl” I.H.R. * Meine Jungen und Nachbar Jörgen Jungens und Nachbar Gvatters Mädels spielten im Hof Krieg. Ich sah Ihnen vom Fenster herunter aus zu. Heiß ging die Schlacht. Gleßkannen wurden zu Ma- schinengewehren, die Hausschuhe flogen als Handgranaten und mein altes Fahrrad wurde zum Sturmgeschütz. Plötzlich aber sehe ich, wie das sechsjährige Anettchen in dem Ort mit dem Herz verschwindet, noch einmal ihr blondes Kinder- kopferl zur halbzugezogenen Tür herausstreckt und ruft: „Ich bin jetzt mal für fünf Minuten neutral" I.H.R. EG EEE FE Verlag und Druck Knorr & Hirth Kommandlt; IIschaft, München, Sendiinger Straße 80 (Famrut 254). Brietauschritt Verantwortl, Schriftieiter: Wolter Foltzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal anstalten onigogen. — Bezugspreise: Einzeinummer 30 Pf; Abonnemen! im Monat RM. 1.20. München 2 BZ. Brieffach, Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zaitungsgeschäfte und Post- — Unverlangte Einsendungen worden nur zurückgesändt, wenn Porto beillgt. — Nachdruck verboten, — Posischeckkonto München 920. Erfüllungsort München. Es geht ein scharfer Wind ums Haus, und guckst zum Fenster du hinaus, sind überall im weiten Tal, die Wälder und die Felder kahl. NOVEMBER Schwer ist der Himmel, grau wie Blei, die Raben fliegen mit Geschrei. Laß dir dabei nicht werden bang, oftmals scheint doch die Sonne blank. 616 (Witheim Schulz) So sei gescheit und fang sie ein, laß sie in deinem Herzen sein, daß froh es bleibt, sich wehrhaft hält, so feindlich sich die Zeit auch stellt. WILHELM SCHULZ a [ München, 1. Dezember 1943 [|| 48. Jahrgang / Nummer 48 30 Pfennig S = 1 = = VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN KNOXZ DER WAHRSAGER 2 T Er NZ 7 | SEN ; 5 N ZU « „Jetzt weiß ich, warum meine Prophezeihung von den 90 Tagen bis zur Niederlage Japans nicht in Erfüllung gegangen ist. Ich habe zuviel Kaffeezusatz genommen!‘ Knox, Il" indovino: *Adesso so perch& Ia mia profezia che 90 giorni bastavano alla sconfitta del Giappone, non s' & avverata; ho Ppreso troppo surrogato di caffe!,, Die lustige Fuhre - ı allegra carrettata (A. Paul Weber) „Wir sind überm Berg!" Die Verdunklung Von Walter Foltzick Sehen Sie drüben auf der Straße den Herın? Er trägt etwas Langes, Dünnes, Es sieht schwarz aus, Immer wieder sieht man Herren mit etwas Lan- gem, Schwarzem. Sie tragen ihre Verdunklung heim, Auf Ihren Mienen liegt die Zufriedenheit, einen Auftrag erledigt zu haben. Wochenlang haben sie sich davor gedrückt, die neue Ver- dunklung anzuschaffen. Man hat Ihnen immer wieder gesagt: „Oskar, kümmere dich doch mal um die Verdunklung.” „Morgen“, haben sie ge- antwortet, Bis eines Tages die alte Verdunklung vollständig von oben kam, d. h. die Reste der noch vorhandenen. Jetzt tragen sie die neue nach Hause. Ah, sie Ist noch durchaus hell, und wird erst In der Straßen- bahn beim Gedränge einen kleinen Riß bekom- men oder auch einen größeren. Die Verdunklung Ist die Sache des Hausherrn, denn das Technische gehört zu ihm. Hat er sich nicht früher auch um den Vergaser bemüht, da- mals beim Auto? Na also, tan an die Verdunklung! Es gibt viele Verdunklungsvorrichtungen, alle sind ganz vorzüglich. Sie bestehen meistens aus schwarzem Papler, und das Papier,.auch wenn es schwarz Ist, gehört gerade nicht zu den dauer- haftesten Materialien, Es wird so leicht zu einem Fetzen Papier. Aber Jetzt Ist es noch makellos und taufrisch. Erst wenn der technisch begabte Hausherr sich auf einen Stuhl gestellt, beide Hände zum Him- mel gereckt und dazu des öfteren gerufen hat: GEOMETRISCHES Senkrecht ehn IR ehrenhaft auf des Dafeins rauher Straße, Sturm und Schloffen um die Nafe, und erfordert Mut und Kraft. Freilich: »rechter Winkels fein - auf die Dauer Io befchmwerlich. Schief ift weniger gefährlich und bequemer obendrein. Wer drum gern behaglich wohnt, huftet auf die Vertikale, flieht in die Diagonale und zulegt - zum Horizont. Ratatöochr 618 “Or posslam cantar vittoria!,, „Halt doch mal 'n Moment“, wird es sich zeigen, daß die Montage von ein bis zwei Quadratmeter schwarzen Papieres viel schwerer ist als der Umgang mit Zündkerzen, Vergasern und ähn- lichen Gegenständen stablleren Materlals; ganz zu schweigen von den Schnüren mit denen die Verdunklung auf und ab gehißt werden soll — werden soll, denn bis zur vollendeten Tatsache Ist es noch ein weites Feld. Manche Verdunk- lung fällt der Montage zum Opfer, sie kann ein- fach die Strapazen, vom werktätigen Hausherrn angebracht zu werden, nicht überstehen. Man sieht es sofort am rechten und linken Rand, die sehr schnell das Aussehen von größeren Baumsägen annehmen, so zackig sind slı Rühren Sie nie an eines fremden Mannes Ver- dunklung! Er wird Ihnen sofort zurufen: „Achtung, sie Ist im Augenblick nicht ganz in Ordnung”, und er wird selbst an den Tauen ziehen, wie auf einem havarlerten Segelschiff. Dabei wird es leicht vorkommen, daß das Großsegel und der Großbaum herunterkommen und Über Bord gehen, wobei der Ruf erschallt: „Schnell Licht aus!” Ich bin ein wenig Fachmann in der Sache, ich habe vier Jahre schwere Verdunklung auf dem Buckel. Zum Leichtmatrosen auf einem Gespenster- schiff, dessen Aufgabe es wäre die schwarzen Gelstersegel zu setzen und zu bergen, hätte ich es aber Immer noch nicht gebracht. Drohbrief an den Frieden Wlineim Schulz) „Haben an Ihnen keinerlei Interesse, da durch Ihr Erscheinen unsere geschäftlichen Dispositionen gestört werden. Wallstreet.“ Lettera minatoria alla pace: “Non ho nessun Interesse per Vol, perch& col Vostro apparlre vengono disturbate le nostre disposizioni affaristiche. Wallstreet.,, 619 AUF DEM FRACHTER ‚KASSANDRA:‘ VON KONRAD SEIFFERT Nein, den Namen des Hafens im Südosten Euro- pas, In dem ich vor vielen Jahren den Anschluß an mein Schiff versäumte, will ich nicht nennen. Da stand ich mit meinen Koffern. Ich hatte es recht eilig. Und das nächste Schiff fuhr in drei Tagen. Aber im Büro der Dampfergesellschaft war man gern bereit, mir zu helfen. Mar wußte sofort Rat; am Nachmittag fuhr in meiner Reiserichtung ein Frachter. Er besaß eine Kabine für Passagiere. Und der konnte mich mitnehmen. Ich würde, wurde mir gesagt, nicht viel Zeit verlieren, denn dieser Frachter sei ein schnelles Schiff. Gut. Ich war einverstanden. Der einzige Fahrgast auf einem Schiff zu sein, war sicher nicht ohne Reiz, Der Fahrpreis war nicht allzu hoch, Einen Nachmittag, eine Nacht und einen Tag sollte die Reise dauern. > Ich sah mir das Schiff an. Es hieß ‚Kassandra'. Ich hatte etwas gegen die Kassandra. Das kann Die feurige Carmen - La focosa Carmen mir nlemand übelnehmen. Kassandra Ist nicht nur recht düster, sondern der Name erinnert mich auch an ein Vorkommnis während meiner Schul- zeit. Es war nicht schön. Aber ich ging auf diese ‚Kassandra’ und wunderte mich darüber, daß der Schiffseigner keinen an- dern Namen für solch einen Frachter gefunden hatte. Doch da war nun nichts zu machen. Der Kapitän war ein netter Mann. Er verstand kein Wort von dem, was Ich sagte. Und ich hatte keine Ahnung von seiner Sprache, Niemand auf der ‚Kassandra‘ verstand deutsch, außer dem Koch. Er kannte Hamburg, St. Pauli, die Reeper- bahn und Kottbus. Ich weiß nicht, wie er aus- gerechnet nach Kottbus gekommen war. Wir fuhren ab. Ich richtete mich in der Kabine ein, die nach Staub roch, seit langem nicht be- nutzt worden, sonst aber ganz brauchbar und relativ sauber war. (Hanna Nagel) „Jeder Mensch hält mich für eine echte Spanierin — will mal auf dem Atlas sehen, wie weit Toledo von Straubing entfernt ist!" “Ognuno mi ritiene per una vera spagnuola. Voglio un pd vedere nell' atlante quanto Toledo dista da Straubing!,. 620 Durch den Koch kam es heraus, daß ich Deut- scner war. Und diese Taısache regte den Kaplıan mächtig auf. Er kam, machte ein paar tadellose Verbeugungen und sprach hastig und lange auf mich ein. Dazu rollte er die Augen, griff sich mit beiden Händen an den Kopf, machte ein ver- zweifeltes Gesicht und fuhr mit den Armen wie in grenzenlosem Jammer durch die Luft. Er schwitzte, Ich auch. Es war helß. Ich sagte es schon. Aber ich verstand den Mann nicht und meinte: „Jawohl, alles in Ordnungl Hoffentlich klappt'si” Damit war er anscheinend nicht einverstanden. Er lief mit erschrockenen Rehaugen davon und kam mit dem Koch zurück. Der Koch fragte mich, ob ich es nicht vielleicht vorziehen würde, nachts auf Deck zu schlafen, Dort sei es angenehmer als In der dumpfen Kabine, und sie würden mir einen Streckstuhl hinstellen und Decken geben, soviel ich haben wollte. Mir war das recht. Denn ich wußte ja, daß die Nacht nicht viel kühler sein würde als der Tag. Da war es wirklich besser, an Deck zu bleiben. Ich sagte also, ja, ich würde draußen schlafen. Der Koch übersetzte dem Kapitän meine Worte. Und nun strahlte dessen Gesicht. Er atmete tief. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, Er verbeugte sich wieder, und damit war der Fall abgetan. Am Abend gab es gebackenen Thunlisch, Der Koch war ein Künstler. Was der alles so um den Thunfisch herumlegte, das war großartig. Noch nie hat mir dieser Fisch so gut geschmeckt wie auf der ‚Kassandra‘, Ich sagte das. Und der Kapitän tanzte vor Freude über meine Zufriedenheit. Er unterhielt mich nach ‚dem Abendessen, ich verstand nichts, wir tranken Wein, der wie Harz war, entsetzlich brannte und doch gut.schmeckte, es war komisch, Und dann kam die Nacht, eine herrliche Nacht mit nahen, großen Sternen, mit einem fahl leuch- tenden Meer, mit grenzenloser Stille. Und ich war allein auf der ‚Kassandra‘, Ja, Ich blieb an Deck. Der Streckstuhl stand da. Ich sah zu den Sternen hoch. Niemand störte mich. Es war wahrhaftig sehr schön. Und dann schlief ich ein, ohne mich in die Decken zu wickeln, die an meiner Seite aufgestapelt lagen. Eist gegen Morgen, als es etwas kühler wurde, griff ich nach einer von ihnen, zog sie zu mir heran und schlief bald wieder ein. Lange schlief’ ich nicht, Ein Kribbeln am ganzen Körper weckte mich. Es verstärkte sich. Ich wälzte mich hin und her. Das hall nichts. Ich dachte dar- über nach, was das wohl sein könne. Dunkle Ahnungen tauchten auf. Ich sprang hoch. Das Meer und der Himmel glühten, die Sonne kam. Es war einer der schönsten Sonnenaufgänge, die ich erlebte. Aber mein ganzer Körper brannte, Ich hatte Beulen am Hals und an den Armen, Es waren Wanzenstiche. Die Decken waren voll Un- geziefer. Ich ging in die Kabine und wusch mich. Der Koch kam mit dem Frühstück, mit einem aus- gezeichneten Frühstück, Er fragte mich, wie Ich geschlafen hatte. Ich zeigte ihm die Wanzen- stiche, „Oh, ich habe es beinah befürchtet”, sagte er, „nun Ist also doch alles umsonst gewesen!” Und da erst begriff ich, weshalb mich der Kapitän nachts nicht In der Kabine hatte schlafen lassen wollen. Da gab es sicher noch mehr Wanzen.als in den paar Decken beim Streckstuhl, Der Koch erzählte mir, er habe dem Kapitän ge- sagt, daß die Deutschen die Wanzen gar nicht lieben, das wisse er ganz genau. Und da sei alles aufgeboten worden, mich zu Überreden, auf Deck zu schlafen. Schadel Sie meinten es alle gut: der Kapitän, der Koch, die andern Leute auf der ‚Kassandra‘, Nein, wegen der paar Wanzen, die sie nun einmal auf ihrem Schiff hatten, konnte ich Ihnen nicht böse sein. Ich rauchte mit dem Kapitän Zigarette um Ziga- reite, Wir tranken umschichtig Weln und Likör bis zum Abend hin. Dabei unterhielten wir uns groß- artig, obgleich einer den andern nicht verstand. Manchmal kam der Koch dazu und übersetzte, Es war eine herrliche Fahrt. Ich erreichte mein Ziel ohne nennenswerte Ver- spätung, Sie verabschledeten sich alle von mir wie von einem lieben Gast. Der Kapitän übergab mir eine Flasche seines s, den Ich gelobt hatte, als ich das Schiff verließ, Nur - es hätte nicht ‚Kassandra‘ heißen dürfen!Der Name ist eben doch wie eine düstere Prophe- zeiung und wie das Vorausahnen eines Unglücks. Ich hätte das wissen müssen! Nach dem Theater IR. Kriesch) IT IIEN „Weißt du, dieser Sophokles mag ja ein ganz gewandter Schriftsteller sein, aber der gute Mann lebt doch noch in einer anderen Zeit!“ Dopo il teatro: 'Puo ben esser che questo Sofocle sia un abilissimo scrittore, ma Il buon uomo vive pur ancora in un altro tempol,, 621 ERLEBNIS UND ERINNERUNG Da ich in der Nacht nicht schlafen konnte, well ich unter hundert anderen Patienten im großen Keller des Krankenhauses saß, während draußen geschossen wurde, fiel mir dieses und jenes Er- lebte ein, das nicht weniger seltsam gewesen war als der heutige Zustand des Wartens unter Schicksalsgefährten, deren mancher schon vom Jenseits einen Wink empfangen haben mochte, Mir gegenüber sah ich das Gesicht einer Frau, die mit rätselhaftem Ausdruck in eine Geister- welt zu blicken schien. Andere wieder !ächelten mit jener zu allem bereiten Sanftheit, die bekun- det, daß sie, wenn auch noch mit letzter Seelen- kraft: am Ausgang des Erlebnisses beteiligt, gleichwohl gewillt seien, sich auch ins. Unab- änderliche zu finden. Das unangenehme Geräusch schwoll an, schien näherzukommen und ebbte wieder ab. Die einen saßen mit offenem, die andern mit um so fester ge- schlossenem Mund und blickten vor sich nieder. Auf einmal stieß ein Mädchen einen Schrei aus und zog die Beine hastig an sich wie In Angst vor steigendem Gewässer; zwei, drei andere schrien sogleich ebenfalls, und da im selben Augenblick das Schießen wieder stärker wurde, rief jemand von irgendwoher: „Was gibt es denn dal” Es war aber, wie sich gleich heraus- stellte, nichts Schlimmeres geschehen, als daß ein Mäuschen, von dem jähen Menschenandrang im Keller irritiert, den Versuch unternommen hatte, in den Kleidern des Mädchens eine Zuflucht zu finden. Das kleine Intermezzo wirkte lösend auf elle, man lächelte tapfer und ließ es sich ange- legen sein, die steinernen Masken abzutun, Es wurde erträglicher im hochgewölbten Raum; manche schienen sich plötzlich weit entlegener Dinge zu entsinnen und erzählten den Nachbarn hastig irgend etwas....so auch ich. Mir war — durch welche Art von Assoziation ist mir nicht ganz klar — eine Begegnung eingefal- len, die ich vor langen Jahren in New York mit zwei amerikanischen Schriftstellern und einer eben auch In Europa bekannt gewordenen Film- schauspielerin gehabt hatte, Wir waren Im Plaza- Hotel an der hundertsten Straße nahe dem Ein- gang zum Central-Park zusammengetroffen und saßen In derHHalle bei einer Flasche französischem Sekt, denesin.derProhibition, die damals herrschte, für Leute, denen das Stichwort geläufig war, un- term Tisch ebenso selbstverständlich gab wie den besten Rüdesheimer, Die Schauspielerin er- zählte Filmerlebnisse und die Schriftsteller hatten auch manches Bemerkenswerte vorzubringen, so daß es allmählich recht unterhaltsam wurde. In der Halle waren mir schon lange einige sehr elegante Damen aufgefallen, die dem überaus vornehmen Oberkellner besondere Aufmerksam- keit zu widmen schienen, und in der Tat, der Mensch durfte wirklich eine ungewöhnliche Er- scheinung genannt werden. Man hätte auch im Film nicht leicht einen Mann zur Wirkung bringen können, der äußerlich dem Vorbild eines „Gent- leman“ auffallender entsprochen hätte als dieser Oberkellner. Unwillkürlich hatte man das Gefühl, daß sich hier eine Art Verkleldungsszene ereigne. Als ich diese Beobachtung dem Schriftsteller zu meiner Linken mitteilte, dabei auch die Damen erwähnte, die den Herm Ober anzubeten schie- nen, lächelte er und sagte: „Nicht übel erkannt! Der Ober Ist ein ehemaliger russischer Großfürst. Haben Sie noch nie von dieser Attraktion des ‚Plaza‘ gehört?” Ich verneinte und war von der Mitteilung Irgend- wie angenehm berührt, denn sie schien mir zu beweisen, daß ich das Schicksalhafte, das um diesen Menschen war, Intuitiv erfaßt hatte, Der Schriftsteller zu meiner Rechten erzählte nun, daß VON PETER SCHER der ehemallge Großfürst gegen die Damen der Fitth Avenue besonders zurückhaltend sei, was natürlich erst recht ihr Interesse entflamme, wie die ständige Belagerung des Herrn durch diese Schönen deutlich genug beweise. „Mein Gott“, sagte ich unschuldig, „gibt es denn das alles wirklich?” . Worauf einer von den Amerikanern grinsend er- widerte: „Wenn Sie ahnten, was es darüber hin- aus hier alles gibt, würden Sie vor Erstaunen den Mund gar nicht mehr schließen können.“ Während nun ein leichtes Gespräch unter den dreien welterging, sah ich mir immer wieder den ehemaligen Großfürsten an, der ruhig auf seinem Platz in der Halle verharrte und ungeachtet der feurigen Damenblicke gelassen seine Nägel be- trachtete und diskret gelangweilt die Hand an den Mund hielt, wie um ein Gähnen zu verbergen. Der Märchenprinz dieser amerikanischen Wirklich keit hatte außer dem leicht markierten Gähnen noch einige andere darstellerische Momente, die nicht nur auf die Damenwelt effektvoll wirkten, sondern auch uns männliche Zuschauer interessierten. Hier muß ich die Erzählung unterbrechen und die Frage aufwerfen: Warum eigentlich machte sich dieses New Yorker Erlebnis aus schon kaum noch glaubhaft erscheinenden Zeiten gerade bemerk- bar, als draußen das Knattern der Abwehr- geschütze wieder stärker einsetzte? Vielleicht, weil jemand beiläufig gefragt hatte, ob die an- greifenden Flieger wohl Amerikaner seien? Doch mag das dahingestellt bleiben — wer will die eigentlichen Anlässe zu solchen untergründigen Empfindungen enträtseln? Ich hatte, da das Ge- töse draußen noch stärker wurde, bei geschlosse- nen Augen nun deutlich die Halle des Plaza- Hotels vor mir, sah den Russen in seiner heraus- fordernden Eleganz und Gelangweiltheit; sah die Wallstreet-Damen und die beiden Schriftsteller vor mir, die Filmdiva nicht zu vergessen, und Ich dachte: Wie merkwürdig, daß mir dies alles ge- rade in dieser Stunde so gegenwärtig wirdl Das Schweigen im "Kellergewölbe war, zumal draußen das Gepolter nun sehr heftig klang, in- zwischen so drückend geworden, daß ich die Augen auftat und meine Umgebung betrachtete Die Dame gegenüber sah wieder mit starren Augen in ein fernes Land; das Mädchen, das die Maus gefürchtet hatte, saß selber wie ein Mäus- chen in sich versunken da, und alles war so, WAS UNS BLEIBT Von Peter Aumüller Heben auch die alten Weiden noch den grünen Wimpelarm: 3 Täusch dich nicht! Es klagt vom Scheiden schon der erste Vogelschwarm. Unter den zerzausten Wolken hörst du ihren Abschiedsschrei: bald, so werden alle folgen. denn der Sommer ist vorbei. Ein paar Wochen noch, und Regen wäscht das letzte Laub vom Baum. Was uns bleibt, ist allerwegen von den Dingen nur ein Traum ... 622 daß Ich bei mir dachte; Lebt wohl, ihr alle — auf Wiedersehn — ich mache mich noch für eine Weile davon in mein Erinne:rungsleben von anno dazumal. Die Halle des Plaza-Hotels wurde am Tag meiner Begegnung mit den genannten Persönlichkeiten zum Schau- und Tummelplatz eines Ereignisses, das damals ganz New York für einen Tag In Auf- regung hielt. Als wir nämlich so saßen und harmlos scherzten, stürzte durch die Drehtür eine weibliche Gestalt herein und eine helle Stimme schrie, sich über- schlagend, mit wild verzweifeltem Elan ein Wort, das niemand verstand. Ein kurzer, scharfer, nicht sehr lauter Knall wurde hörbar und im nächsten Augenblick lag die weibliche Gestalt raglos zu Füßen des eleganten „Oberkellners am Boden. Alle waren aufgesprungen, Die beiden Schrift- steller standen, wie vom Momentphotographen bestellt, als ob sie erschüttert einen Onkel aus der Provinz begrüßen wollten, mit ausgestreckten Händen da. Nur die Damen und allen voran die Diva, die wohl auf der Stelle „Im Filmbild” ge- wesen war, hatten sich auf die am Boden lie- gende Gestalt gestürzt. Einen Augenblick war es vollkommen still, bis Jemand mit einer Art von Humorziemlichkühlssagte: „Oh — ist slo sehr tot?" Worauf, als ob ein Bann gebrochen sei, mehrere riefen: „Ein Arztl Ein Arzt” und Jemand hinaus- rannte, in ein Auto sprang und davonraste, „Es Ist natürlich Glorlal” sagte eine der Damen fast ein wenig pikiert. Der Oberkellner hatte bei alledem seine Haltung bewahrt, Er bückte sich nun und richtete die Dame zu seinen Füßen, die ein wenig wimmerte, behutsam auf, wobei er sich wie hilfesuchend um- sah. Sein Gesicht war etwas grau, aber sonst nicht weiter verändert. Es schien, als sei er nur gerade ein wenig verlegen, doch nicht sehr, denn schon füllte er Wasser in ein Glas und hielt es der Dame an den Mund, Sie trank und wimmerte abermals ein bißchen, und da jetzt alle schwie- gen, verstand man auch, was sie nun sagte, Sio sagte das Simpelste, was man in dieser Situation sagen konnte und was vermutlich von jedem klei- nen Ladenfräulein gesagt worden wäre: „Sweet- heart — | love you very much!” Über diesen Satz, wie natürlich über die ganze herrlich filmhafie Angelegenheit brachen die An- beterinnen des ehemaligen Großfürsten In ein er- lösendes Schluchzen aus. Einige Reporter und Photographen waren, Gott mag wissen auf wel- chem Wege, auch schon da, und alles löste sich, da nun noch ein im Hotel anwesender Arzt dazu: kam und nur ein leichtes Streifschüßchen fest- stellte, in Wohlgefallen auf. Gloria hieß das überschwängliche Mädchen, das uns dies alles geboten hatte. Es war die einzige Tochter eines Mannes aus Riverside, der die Südstaaten mit Glühbirnen belieferte und sich ein solches Kind gestatten konnte. „Hosiannal” sagte der Schriftsteller zu meiner Linken, als wieder Ordnung eingekehrt war und die Gläser vorsichtig unterm Tisch neu gefülli werden konnten. „Dies dürfte ein Grund sein, dem alten Europa einen Zu‘runk zu widmen!” Worauf wir alle anstießen — Jedoch vorsichtig, denn draußen am Fenster ging gerade ein Schutzmann vorüber. \ Das war vor einer Ewigkeit in New York. Ich öffnete die Augen, der amerikanische Er- innerungsspuk war verschwunden — aber zum Glück der andere auch, denn freudig tönte die Entwarnungssirene. Wir sahen uns befreit in die Augen, gähnten ein bißchen und wünschten ein- ander „Schlafen Sie wohl — auf Nicht-bald- Wiedersehen hier unten!“ Station Salomonen (rich Schliling) „Zum Bau der Straße nach Tokio braucht man schon verflucht viel gutes amerikanisches Baumaterial!‘ Stazione “Salomone,,: “Per costruire la via Toklo, occorre un enorme quantitä di buon materlale americano|,, 623 Medusa beim Friseur Er Bilek) DER BRIEF VON EDMOND JALOUX Jeden Tag um fünf Uhr empfing Herr Daniel Ker- guiraud den Besuch seines Sohnes oder seiner Schwiegertochter und nahm mit ihnen den Tee. Konnte weder eins noch das andere kommen, so brachte ihm die Nurse seinen fünfjährigen Enkel Urbaln, dem er Geschichten erzählte. Er stand forschend über das Kind geneigt und suchte zu entziffern, was es den Eltern oder ihm zu verdan- ken hatte oder wiederum seinen Eltern, die schon seit etwa vierzig Jahren tot waren und an die nur er noch dachte, Bald würde er sie eingeholt haben. Wenn er zum Friedhof ging und ihre Gruft betrachtete, sagte er sich: „Diese Tür wird bald für mich geöffnet. Wann nur? In wieviel Wochen, Monaten, Jahren?” Wenn das Leben abläuft, läuft es nicht mehr Inmitten der Lebenden ab; mehr als mit denen halten die Greise mit den Verstor- benen Gemeinschaft. Denen, die ihnen voran- gegangen sind, nähern sie sich Im Geiste und In Wirklichkeit; sie haben einen einsamen Weg ein- geschlagen, der sie von den Wegen, die andere gehen, wegführt. Im Gespräch mit Abel, s nem Sohn, oder Marthe, seiner Schwiegertochter, merkte Daniel Kergulraud wohl, wie seine Worte ihren Ohren schwer verständlich wurden, und be- dauerte immer wieder, nicht besser Anteil an ihrem Leben nehmen zu können. Ihres vollzog sich geräuschvoll, seines nicht mehr: daher die gegen- seitige Unverständlichkeit, Er war 75 Jahre alt. An jenem Tage fühlte sich unerklärlich matt; obwohl seine Gesundheit Im allgemeinen gut war, war er Beschwerden ausgesetzt. Er sprach nicht gern davon, denn er war der Meinung, seine Pflicht und Schuldigkeit getan zu haben und für niemand mehr von Belang zu sein. So gab er auch, wenn Abel Kerguirauds Frau ihn nach nem Befinden fragte, mit erkünstelter Heiterkeit zur Antwort: „Mir geht es doch so gut wie möglich.” Die junge Frau hegte große Zuneigung zu ihm; sie war übrigens gut und empfindsam und besaß, wie viele Frauen, eine Menge durchschnittlicher und derart schlichter Tugenden, daß niemand in Versuchung kam, Ihnen Aufmerksamkeit zu schen- ken; sie kreisten bescheiden Im häuslichen Le- ben, wie der Saft in den Bäumen. Seit langer Zeit schon wollte sie eine Frage an Ihren Schwiegervater richten, deren Zudringlich- keit sie jedoch ein wenig erschreckte; denn sie .d, in Bezug auf sich selber verschwiegen war, hätt. ihr weh getan, das Innere eines anderen zu verletzen. Indessen entschloß sie sich dazu, weil an jenem Abend Herm Kerguirauds schönes, ruhiges Ge- sicht vielleicht mehr Sanftmut und Größe atmete, und sie sagte: „Vater, ich denke oft daran, wie hart es Sie an- kommen muß, niemals mehr mit irgendwem von jon zu tun zu haben, und daß Sie Liebe recht einsam fühlen müssen.” Herr Kerguiraud antwortete nicht sogleich; durch eine ungeschickte Antwort fürchtete er ernstlich, seine Schwiegertochter zu kränken oder zu ent- täuschen. „Eigentlich fühle ich mich nicht einsam,” antwor- tete er schließlich, „zunächst einmal durch Euch, dann aber auch, weil ich in ein Alter komme, in dem man die Gegenwart andrer Menschen nicht mehr braucht. Halten Sie für möglich, daß Ich manchmal nicht mehr weiß, wer von denen, die Ich kannte, noch am Leben Ist, und wer schon 101? Es kommt vor, daß ich mir sage: Halt, dem oder jenem muß ich mal schreiben, ich habe lange nichts von ihm gehört... Und plötzlich fällt mir ein, er hat ja vor zehn oder mehr Jahren das Zeitliche gesegnet. Abends, wenn Ihr fort seid, bin Ich im Geiste wieder in Gesellschaft derer, die Ich verlor. Oh, das Ist nicht eben lustig, doch entbehrt es nicht der Süßigkeit,..." Leiser fügte er hinzu: „Sogar von Wesen, die ich liebte, weiß ich nicht, ob sie noch leben oder nicht. Ich verlor sie aus den Augen. Vielleicht denken sie noch an mich, wie ich an sie denke.” $o hatte Herr Kerguiraud noch nie mit Marthe gesprochen; mit Rührung hörte sie ihm zu; e: ber fürchtete, zu viel geredet zu haben und fragte in lelchterem Ton: „Holt Abel Sie heute abend ab?” Für einen Augenblick sank Herm Kerguirauds bär- tiges Haupt auf die Brust und seine Lider schlos- sen sich. Marthe erhob sich und umarmte den Greis. „Papa, Ich breche auf, ich fürchte, ich ermüde Sie.” Er behielt ihre Hand in seiner. „Hören Sie, mein Kind, ich hätte eine Bitte an Sie. Ich bin endgültig am Ende meiner Rolle..." Und als die Junge Frau protestierte, fügte er hinzu: „Oh, ich sagte Ihnen das nicht, damit Sie mir wieder Mut machen! Das ist nun einmal so, daran können wir beide nichts ändern. Ich möchte nur, daß Sie nach meinem Tode oft mit Urbain von mir sprechen. Ich weiß, es ist kindisch, aber be- ‚denken Sie doch, wie kurze Zeit ich in Eurer Er- innerung fortzuleben habe. Abel Ist vierzig: noch dreißig, fünfündreißig Jahre und er hat mich ein- geholt, Hat Urbain keinerlei Erinnerung an mich, so sehen Sie, was mir bleibt, wenn ich nur In Eurem Gedächtnis weiterbestehe...” Marthe schaude: „Still, Papa.” „Verzeihen Sie, Sie sind nicht an solche Gedan- ken gewöhnt. Bewahren Sie sich diese glückliche Sorglosigkeit so lange möglich. Aber ver- gessen Sie meine bescheidene Bitte nicht...” „Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.” „Danke, und jetzt gehen Sie rasch nach Haus. Abel könnte sich beunruhigen. Sagen Sie Urbain, er solle mich morgen besuchen. Es gäbe eine schöne Überraschung für ihn. „Sie verwöhnen das Kind zu sehr, Papa.” „Ich sag’ Ihnen noch einmal: das Andenken... Ich tue es aus Eigennutz. Und außerdem, seien Sie versichert, ich I ja nur einmal Er legte wie Jeden Tag großes Gewicht darauf, seine Schwiegertochter zur Tür zu geleiten, denn er war von übertrlebener Artigkelt; dann kehrte er in seinen großen Lehnstuhl zurück, * Der Abend kam langsam über den Hafen, ein warmer, trüber Herbstabend, der alle Dinge in goldenen Nebel tauchte, von blauem Rauch durchzogen. Schornsteli rauchten; gegenüber im Kai spien sonnengefleckte Fenster Flamme auf Flamme, wie der sterbende Drache in alten Legenden. Ein Kirchturm mit viereckigen Zinnen stieg sanft aus einem Wust von Häusern und Ti ın, pfefferkuchen- und pitchpine- farbenen; Wäsche, die zum Trocknen hing, bekam In dem schrägen Licht die Farbe des Fleisches. das sie bekleidete, und der Abendwind, der sie wie Schiffsflaggen knattern ließ, verlieh dem starren Element der Landschaft ein so intensives Leben, daß seine Elektrizität auf die Steinmassen. der Forts, der Spitäler und Häuser übersprang. Kleiner Herbstgesang Die Menschen, die am Walde wohnen, Verbrennen nun das rote Laub, Das mürbe sinkt aus tausend Kronen, Gehäufelt quäalmt der Aschenstaub. Und dieses Rauchs Gewölk riedit bitter Nach Abschied, Herbst und kühler Ruh, Gesegnet sei die Rast der Schnitter, Die Asche det die Acker zu. Mag soldier Staub die Krume nähren, Des Frühjahrs harren Rain und Budıt; © daß wir schon des Lenzes wären Mit allen Wünschen, jeder Sudht, Ach ja, des Wünschens stete Frage In ungezählten Opfern loht: Daß alle Asdıe dieser Tage Einmal sich mandele zum Brot. Heinz Stegumeit 625 Herr Daniel Kerguiraud erhob sich aus dem Ses- sel, in dem er eine halbe Stunde geträumt hatte, und lehnte sich ans Fenster. Er sah auf den Ha- fen, sah aufs Meer und seufzte. Vor vierzig Jahren hatte ein Schiff die Stadt ver- lassen und eine Frau entführt, die Herrn Kergui- rauds Ein und Alles war; selt ewiger Zeit schon war er ohne Nachricht von ihr, Ein halbes Jahr nach Ihrer Abreise hatte er geheiratet, in der Hoffnung, sein Leben neu zu beginnen und vor allem Kinder zu haben, und allmählich war in sein Herz Frieden eingezogen — Frieden, aber nicht Vergesse: Er trat aus dem Salon In sein Zimmer. Es war niedrig, lang, schmal, ganz in Purpur gehalten. Ein schwarzlackiertes Bett zeigte in seinen alter- tümlichen Füllungen einen Teepavillon und feier- liche Chinesen; im Innern, an den Rückselten, entfalteten goldne Rosen sanfı ihre verblichenen Blätter. Auf einem Tisch stand ein Kästchen In Vernis-Martin; Herr Kergulraud öffnete es und entnahm ihm einige Fotografien; sie stellten ein und dieselbe Gestalt dar: ein offnes Gesicht mit über und über gelocktem, goldblondem Haar, leuchtenden Augen und dem Ausdruck heimlichen Glückes in den feinen Mienen. Und der Greis betrachtete sie lange. Er sah wieder die längst entschwundenen Bilder seines Schicksals, Sie wirbelten vorüber, relzend und blaß. Sie enthielten seine Jugend, und seine Jugend hatte ihn verlassen. Wie kann man noch leben, wenn die Jugend vorbei Ist, wenn man, ein Schoner, der seine Seegel streicht, ganz und gar nicht mehr nach einer Zukunft strebt und von jedem kommenden Tage ke'n neues, zarteres oder wilderes Erlebnis mehr erwartet als vom Tage vorher? Aber unmerklich graut ein Mörgen nach dem an- dern, und mit der Zeit findet man an der Stelle des Mannes mit dem kühnen, zukunfibeherrschen- den Blick nichts als einen einsamen, enttäuschten, griesgrämigen Greis, dessen trübe Augen den vergangenen Jahren nachblicken und In der blas- sen Klarheit des Harbstes im lärmenden Hafen froh die Schiffe rauchen sehen, die er nicht mehr besteigt. Auf dem kleinen Platz unter Herrn Kergulrauds Haus arbeitete ein Schiffszimmermann im Freien; man hörte, wie die Hammerschläge sich mit einem Gassenhauer mischten. Hölzerne ppe mit ent- blößten Flanken lagen im Staub, der mit Säge- spänen gemengt war. Eine Katze saß auf einem Eckstein und putzte sich, Zu beiden Seiten des Hafens wurde der Himmel veilchenblau. Eine alte Dienerin, de rundes, weißes Gesicht mit dem Leinenhäubchen wie ein Stopfknäuel aussah, kam die Petroleumlampen anzünden, die noch grüne Schirme hatten. Es war ein Abend von Anno dazumal wie auf Seestücken von Joseph Vernet, während auf dem Kal, unten am Platz, die Autohupen vor Wut erstickten; aber das Meer ist ewig und gibt von seiner Ewigkeit auch sei- nen Gestaden. Ein Hafen hat immer e!was zeit- lich Absolutes; und ob es nun Galeeren, Barkas- sen, Kauffahrer, Korvetten oder Dampfer sind: die kaum verschiedenen Formen beseelt derselbe Gelst. Alsdann ließ Herr Kerguiraud die Platte eines Sekretärs herab, tauchte die Fe« in ein altes Fayence-Tintenfaß, das eine Gondel darstellte, sann, den Kopf in die Hände gestützt, einen ‚Augenblick nach und schrieb dann, ohne das ge- tingste Wort zu ändern oder noch einmal zu lesen, folgenden Brief: „Meine Freundin! Es ist lange her, daß Ich Ihnen geschrieben habe, Jahre sind darüber hingegan- gen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, Sie in dieser Welt nicht wiederzusehen, und doch wußte ich, als Sie von mir gingen, daß es für immer war. Wir sind alle Propheten, aber Propheten, die taub sind für die eigne Stimme. Mein Leben geht zu Ende, und jetzt, wo ich es als Ganzes über- blicke, sind Sie das einzige, das ich darin sehe. Gleichwohl habe ich noch ein zweites Leben ge- habt, scheinbar realer, tätiger, an Geschehnissen und Folgen aller Art reicher als das erste, doch in der Todesstunde kehren mir einzig die Jugend- erinnerungen zurück, nicht weil sie an meiner Ju- gend haften, sondern weil ich zu den Menschen gehöre, die sich Jenseits eines bestimmten Alters nur noch selbst überleben. Ich besaß Freunde, für die der letzte Lebensabschnitt der einzig wal war, In deren Augen die Vergangenheit keinen Stoffmangel 27 „Ganz nett, so ein Tagebuch, aber wenn man grade mal nicht verliebt Ist, kann man doch nichts anderes hineinschreiben als ‚Donnerstag‘! Mancanza di soggetto: “Un tal Diarlo & cosa davvero graziosissima. Ma se per caso una volta non sl & Innamoratl, null’ altro si pud scrlverci dentro che “Glovedi'l,, 626 (K. Helligenstaodt) Wert hatte; Ich habe sie oft beneldet, aber Ich bin nicht so robust. Ich gehöre zu den Wesen, die sich nur einmal entfalten können, und die dann verknöchern oder von vorn anfangen. Als ich vorhin den Hafen betrachtete, dachte Ich an den Tag, da Sie auf Nimmerwledersehn ab- reisten. Es regnete an jenem Tage; ein tüchtiger, hartnäckiger, kalter Märzregen war es, und vom Hafen aus sah Ich den Dampfer, der Sie nach China brachte, durch einen eisigen Nebel vor meinen Augen entgleiten. Sie waren vierunddrel- Big, Ich fünfundreißig Jahre, und zehn Jahre hatte ich Sie geliebt, Ich war gewohnt, zu jeder Tages- zeit an Sie zu denken und Sie an allen meinen Taten und Plänen teilnehmen zu lassen. Da kam plötzlich der große Schlag: der Konkurs Ihres Mannes, Ihre Weigerung, Ihn im Augenblick des Unglücks zu verlassen, Ihre Abreise. Heute, wo ich mehr Lebenserfahrung besitze, sehe ich ein, daß der Gellebte, auch wenn er von ganzem Herzen gellebt wird, nicht das ganze Leben einer Frau ausmacht, und daß ein gutes Tell davon dem Manne gehört. Damals Jedoch war ich ein wun- derlicher Heiliger und voll von Irrigen Ideen, und selbst wenn diese Wahrhelt mich beeindruckt hätte, Ich würde sie nicht anerkannt haben. Sodann fand Ich mich allein, Jämmerlich allein, so allein, daß ich mich verheiratete. Lange Zeit ha- ben wir uns noch geschrieben, aber unsere Briefe wurden schließlich kurz und selten, bis sie ganz ausblieben. Dies geschah, glaub‘ ich, nicht, weil wir uns nicht mehr liebten, weil die Laure, die ich geliebt hatte, die Laure aus früheren Jahren, weniger in Schanghai als in mir selber lebte, In Gedanken an das, was Sie mir gewesen, war Ich Ihnen näher, als wenn Ich jener Frau schrieb, die Sie fern von mir, bei Alltagssorgen, geworden waren. Sollten Sie je diese Zeilen lesen, so wird mein Egolsmus Sie empören: ach laure, wahre Liebe ist egoistisch, und die, die sich vom Egois- mus befreien konnte, ist bereits eine Art Heilig- keit, Ich vermute übrigens, bei Ihnen ging es ebenso zu und Sie verfielen nicht In Schweigen, um mich zu vergessen, sondern um reiner das An- denken dessen zu bewahren, der nichts mit die- sem, In seine soziale Kaste gezwängten, verhei- rateten, veränderten Manne gemein hatte, der ich geworden war. Dennoch erhielt Ich dann und wann Nachricht von Ihnen durch Ihren Vetter Geoffroy; Ich weiß, daß Ihre Tochter verheiratet ist und in Ihrer Nähe wohnt, Ihre Tochter... Ich sehe sie noch als Fünfjährige, mit ihren Locken und dem Lächeln, darin sich Ihres mir widersplegelte. Unser Geist kümmert sich wahrhaftig nicht ums Rad der Zeit, Ich... bin allein, oder beinahe allein. Meine Frau ist tot, meln Sohn Ist an meine Stelle getreten. Ich habe einen Enkel, den Ich vergöttere und schon erwachsen wünschte: wohl um noch besser den schwermütigen Gedanken nachhängen zu können, die mir das Alter Ihrer Tochter macht. Erinnern Sie sich, Laure, wie ‘wir, noch wenige Tage vor Ihrer Abfahrt, zusammen am Meeres- gestade dinierten? Die Trauer um die unabwend- bare Trennung lastete auf uns. Das Fenster ging nach der See. Vor uns schäumten die Wogen, und überall, wo der Mond die Wellen berührte, sah man einen Silberstreif huschen. Aber wir starrten In das Halbdunkel, wo die grausame, bewegte Flut sich regte, die Sie mir rauben sollte. Manchmal deucht mich, ich wäre noch Jung und Sie wären noch meine Freundin. Träumerlsch er- warte Ich Sie, als könnten Sie kommen. Ging nicht die Tür? Mir ist, als müßte sie sich gleich öffnen, als müßten Sie gleich eintreten mit Ihrem leisen Lachen und Ihrer Heimlichkelt... Doch es Ist vorbel, endgültig vorbel; nle wieder werde Ich Ihre Hand küssen, nie wieder den Duft spü- ren, der Sie umgab. “ Wie rasch so ein Leben vergehtl Gestern waren Sie noch da, und Ich hlelt Sie In meinen Armen; gestern sah Ich noch in die Zukunft, als ob mir die Welt gehörte... Gestern? Vierz'g Jahre ver- gingen indes! Ach, Laure, Sie waren meine Jugend, mit Ihnen verlor ich alles. Ich ward eine Marionette wie die anderen, lieblos und poesielos, kein Mensch, nur ein sozialer Mechanismus, und als Sie aus mel- nem Leben schwanden, zog die Langeweile darin ein. Durch Sie war mein Leben zehn Jahre lang etwas Zauberisches, Unvergeßliches; durch Sie waltete über mir ein guter Geist, der allen Din- gen Ihre wahre Schönheit und ihren ursprüng- lichen Schmelz gab. Er lebt noch, dieser Geist, und wird sich In der Stunde meines Todes über mich neigen. Und das letzte, das mich beküm- mert, ist, zu denken, daß bei meinem Tode das schönste Bild, das irgendein Erdenmensch noch von Ihnen hatte, mit mir auf ewig erlischt... Sie haben mich leiden lassen und mich glücklich gemacht und mir tausend Träume eingegeben. ... Dank, Laure, Dank für die Leiden wie die Freu- den.... Wird Ihnen nicht die Hand zittern, wenn Sie diese Zeilen lesen? Gedenken Sie nicht mit Tränen all der entschwundenen Dinge, all der ge- meinsam ‚verbrachten Stunden, all der Landschaf- ten, die für uns beide unzertrennlich von unsrem Schicksal geworden sind? Haben Sie das alles vergessen können? Werden Sie nicht noch ein- mal Ihrer fernen Jugend winken? Sie allein gilt auf der Welt, und wenn sie von uns geht, müs- LIEBER SIMPLICISSIMUS Johannes ging im strömenden Regen. Den Regen- mantel trug er überm Arm. „Warum ziehst du den Mantel nicht an, Johannes?” Johannes seufzte: „Hat keinen praktischen Wert! Aus dem Rücken- teil hat sich nämlich meine Frau ein warmes Blüs- chen geschneidert!” I.H.R, * Arno ging wieder allein. Solo, solissimo. „Warum hast du Ingeborg aufgegeben?” Arno winkte ab: „Aber gehl Die wohnte im vierten Stock! Ich bin ja kein Gebirgsjäger!” I.H.R. Der Fotograf - Il fotografo sen wir sie mit feinen, leichten, duftenden Erinne- rungen einbalsamieren wie eine Königsmumie. Leben Sie wohl, Laure, Ich umarme Sie...“ Herrn Kerguirauds Haupt sank plötzlich auf das Papier, seiner Hand entglitt die Feder... * Als — in aller Hast von der alten Dienerin tele- phonisch benachrichtigt — Abel Kerguiraud und seine Frau eintrafen, lag der Greis bereits auf dem Bett. Der Arzt wandte bei ihrem Eintritt den Kopf: „Herzschlag”, sagte er, „es ist aus”, Abel umarmte seinen Vater. Marthe-kniete am Fußende des Bettes und weinte, „Heute nachmittag fühlte er sich noch so wohl“, sagte Marthe dann, „er klagte über nichts“, „Er besaß viel Unternehmungsgeist”, erklärte Abel stolz. Und er trat zum Schreibtisch, um zu sehen, mit welcher Arbeit sich sein Vater im Augenblick des Todes abgegeben hatte. Er sah einige ver- streute Blätter liegen, las sie auf und überflog mit Verwunderung die Zeilen, stieß auf die Wen- dung: „Mit Ihnen verlor Ich alles...” Seine Frau las, ihm über die Achseln sehend, mit. „An wen schrieb er das?” murmelte sie. „Ich weiß nicht. Verbrennen wir das, seine Ge- heimnisse gehen uns nichts an.” Er warf die Blätter in den Kamin, wo die Flammen sie verzehrten, daß sie zu schwarzen Klümpchen zerfielen. Abel betrachtete seinen Vater mit verschränkten Armen. Wer war dieser Vater gewesen, von dem er nichts wußte? Das ungeheure Geheimnis, das das Leben unsrer Eltern birgt, und an das er bis dahin noch nie gedacht hatte, ängstigte und er- schreckte Ihn, Würde sich eines Tages sein Sohn Urbain dieselbe Frage vorlegen? Hatte er also so wenig im Leben seines Vaters bedeutet? Aber was bedeutete Ihm denn dieser ferne, höfliche Vater? ‚Er betrachtete den Greis, der in die Herbstnacht hingestreckt lag. Das flackernde Kerzenlicht weckte zuweilen ein letztes Lächeln in dem wei- ßen Bart, auf den schon eingesunkenen Wangen, Marthe schlang, noch weinend, die Arme um die Schultern Ihre Marines. „Eigentlich,“ murmelte Abel, „haben wir uns nle verstanden, mein Vater und ich...” ‘ (Übertragung von Thea Weide 0. Hegenbarth) „So, mein Herr, und nu sehn Sie mal die Frau Jemahlin 'n bißchen liebevoll an — 'ne Zehntelsekunde lang werden Se das schon schaffen!" "Cosl, signore ... e adesso guardate un po’ amorosamente la Vostra signora ... per la durata d’ un decimo di secondo potrete pur farlo!,, - Verlag und Druck Knort & Hirth Kommanditgesolischaft, München, Sendiinger Straße 2 |! Verantworti. Schriftlelter: Walter Foltzick, München. — Der Simplicissimus erscheli önstalten entgegen. — Bezugsptaise: Einzolnummer 30 Pl.; Abonnement Im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München, wöchentlich einmal ” inrut 1296) Brlefanschrift lungen nehmen München 2 BZ, Brieffach 0 Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post: jen nur zurückgesandl, wenn Porto beillegt. — Der Kunstliebhaber (€. Thöny) „Dieses habe ich vor dem Kriege in Berchtesgaden gemalt!"‘ — „Sehr schön, Mr. Smith, nur machen Sie mir aus der Gemse ein kleines Kind, dann kann ich das Bild gut für unsere Propaganda verwenden! II dilettante d’ arte: "Questo qui I" ho dipinto prima della guerra In Berchtesgaden!,, — “Benissimo, Mr. Smith; soltanto camblate il camoscio in un bambino, ch& allora posso servirmi del quadro per la nostra propaganda!,, 628 München, 8. Dezember 1943 Pfennig VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Der Sowjetstier (Erich Schilling) Er möchte auch Europa auf den Rücken nehmen — aber so! Il toro sovietico vorrebbe prendersi sul dosso anche I’ Europa ma cosl! Am Rande Münchens - aı margine di Monaco (Bill Nagel) DER WEG VON WALTER FOITZICK Jeden Morgen gehe Ich üb: ’e Wiese, Manche Leute werden diese Wiese einen Bauplatz nen- nen, und zwar mit einem gewissen Recht, denn da Ist eine Tafel aufgepflanzt, darauf steht, daß man hler ein Haus oder mehrere bauen kann. Die Tafel sieht schon recht ramponlert aus; Wenn man auf einer Wiese ein Haus bauen kann, dann Ist es vorbel mit der Landwirtschaft und durch die bloße Existenz der Tafel steigt die Wiese langsam Im Wert. So wenigstens hofft der Besitzer. Jeden Morgen gehe Ich über diese Wiese und sehe, wie sie steigt. Sie ist ganz sich selbst überlassen. Frühling, Som- mer, Herbst und Winter machen mit ihr genau dasselbe, was sie mit den Steppen Sibiriens und den Pampas Südamerlkas machen. Manchmal blüht der Bauplatz, manchmal sind die Gräser MEIN FREUND JOHANNES Nach unseren Informationen weilte Herr Schramm in der Stadt. Wir benutzten diese Gelegenheit, seinem Garten — und In diesem vor allem den Obstbäumen — einen Besuch abzustatten. Ich war gerade von einem Apfelbaum, den Ich kräftig geschüttelt hatte, wieder heruntergestie- gen und half Johannes beim Einsammeln, als Herr Schramm plötzlich vor uns stand. „Was macht ihr denn da?” grollte er. „Wir sammeln Fallobst“, erklärte Johannes freund- lich. ).Bleger braun und manchmal ist sie gefroren wie eine Tundra hoch im Norden. Hier sind ein paar Qua- dratmeter Urwelt, Gelegentlich kommt ein Schä- fer mit seinen Schafen und die Tiere weiden das Gras ab, wie die Büffel in den alten Indianer- geschichten oder die Herden der Farmer in den Büchern für die rel Jugend. Jetzt liegt Schnee auf der Wiese, und wenn wir morgens zur Straßenbahn gehen, gehen wir auf dem Fußpfad, den die Vorgänger getreten haben. Es ist Immer ein Weg über die Wiese get ein schnurgerader, der nur manchmal um eine Wasserlache einen kleinen Bogen macht. Man kann sich auf diesen Weg verlassen, es ist der beste aller denkbaren We, quer über die Wiese, Das Ist sonderbar, denn wenn der erste Wegbereiter eine Schlangenlinie ginge oder ab- sichtlich seinen Weg durch Sümpfe oder Lachen nähme, wir würden ihm alle folgen. Zum Glück ist kein Schelm unter unsern Vorläufern, und wenn auch einer unter ihnen wäre, so hätte er doch In der Frühe solche Eile, an Arbeit Ins Büro zu kommen, daß ihm solche Scherze vergingen. Wir können uns blind aufeinander verlassen. In den alten Indlanergeschichten führten solche Pfade oft ins Dickicht oder In wasserarme Gegen- den, und die Trapper mußten elendig umkommen, um dann ausgeraubt zu werden von den finsteren Gesellen, die die falsche Fährte gelegt hatten. Mein Pfad führt nie ins Dickicht und anstatt an eine Wasserstelle komme Ich sicher an die Stra- Benbahnhaltestelle. Von dieser Haltestelle hat man einen schönen Rückblick über die Wiese, Das ist recht erfreulich, denn nun kann man die Nachkommen über den Pfad laufen sehen und sich ausrechnen, ob sie noch die Straßenbahn er- 630 teichen werden. Naht sich ein Straßenbahnwagen, fängt die ganze langgestreckte Karawane an zu laufen, bis sie an einer Stelle abreißt, Die da hinten haben auf, , ein Mutloser In der Reihe hat das angerichtet. Das ist wie bei den Büffel- oder Zebraherden im Film, wenn sie zur Tränke gehen, wie gesagt, auf dieser Baustelle ist noch Natur, VERKUNDUNG Dies it die Stunde, da die Welt fich groß Und feierlich in Deinem Herzen kündet: Ein Stücklein Boden, grüngekränzt Im Moos, Am Waldrand,der inslegteLichtdes Tageamündet Das Dorf klingt zart aus Glockenftuben, Die Berge ftehn wie blauer Plüfch. Und aus der Dämm’rung Farbentuben Betupft der Himmel träumend fich. Es liegt fo fern, wao lärmt und eilt. Die Hände taften über Baum und Erde. Dies it die Stunde, die Dich einfam heilt. © mütterliche, Ichmelgende Gebärdel Es fchlüpft Dein Herz fo felig unter, Dein Auge ruht in Wolken fern. Aus jedem Leid blüht Dir ein Wunder. Fern überm Dorfe fteht ein ftiller Stern. Ludmig Eduard Fleifhmann Der Türke und die Sirenen (6 Guoranssani EI „Er interessiert sich nicht für unseren Kriegsgesang, er scheint unmusikalisch zu sein! Il Turco e le Sirene: “Egli non s’ Interessa del nostro canto di guerra; pare che non abbla senso musicalel,, 651 ATTISCHIERTRROZESS =VON SCHLEHDORN Hypereides, der Anwalt, ließ sich maniküren. Mit gebeugtem Nacken, auf dem sich schwarze Löck- chen kräuselten, saß Phrysoise und verschönerte Ihm die etwas fetten Finger, die er für seine be- deutenden Gesten brauchte. Apollonios, um 350 v. Chr. der erste Friseur von Athen, dessen Rede so süß wie seine Salben duftete, machte sich schon bereit zum Weg auf die Akropolis, wo er einer‘ der 501 Richter war. Verteidiger war Hypereides, der diesmal nicht nur dem Angeklagten die Verteidigungsrede zum Vortrag lieferte (wie es im attischen Prozeß sonst üblich war), sondern selbst auftreten wollte. Denn der Angeklagte war eine Frau. „Die einzige ihrer Art“, schwatzte Apollonios im Weggehen, „die niemals bei mir Schminke ge- kauft hat, — na Ja, bei dem Teint!” „Ich komme gleich, Freund aller lockeren und Gelockten”, rief Hypereides ihm nach. „Ohne dich kann man zu Gericht sitzen (man lost dann ein- fach einen anderen aus), — aber ohne mich kein Urteil fällen.“ Er hatte diesmal einen sensatio- nellen Effekt vor. Damals gab es Verteidiger, die sich für die Haupt- person des Prozesses hielten. - Phryne, die Hetäre, stand vorm Spiegel und war mit Phryne allein. Die Schönheit mit der Angst. Sie fluchte dem Euthias, dem Liebhaber, den sie laufen ließ, weil er grob und geizig, war. Aber kein Haß ist so herzlich, als der, den Geiz zum Vater und die verschmähte Liebe zur Mutter hat. So hatte Euthias die Hetäre Phryne wegen Lä- sterung der Götter angezeigt. Sie hätte den Apollo Lykalos beleidigt. Meinte er damit ihre Wette um den Philosophen Xenokrates, der nahe beim Tempelbezirk des Lykalon wohnte? Ihre Wette, die sie mit anderen Hetären leichtfertig lachend abschloß, sie würde den ledernen Ge- lehrten verführen, und die sie verlor, — denn sie tand nach ihren Worten nicht einen Mann, son- dern nur das Marmorbild eines Mannes. Und Mar- mor zur Leidenschaft zu wecken, war wohl nur dem Pygmalion vorbehalten. Sie hätte, warf Euthlas ihr weiter vor, wenn sie es recht begriff, neue Götter einführen wollen und einen neuen Kult. Ob er damit auf jenes Fest in Eleusis ansplelte, wo sie, der Gottheit zu Ehren, vor allem Volk unbekleidet ins Meer gestiegen war? — Und nachher hatte sie Praxiteles, ihr Ge- liebter Praxiteles, als Aphrodite dargestellt, wie sie das Gewand ablegt, und der große Apelles, wie sie dem Meere enisteigt. Oder womit sollte sie die Götter gelästert haben? Jedenfalls stand auf Gotteslästerung der Tod— und sie schauderte, „Soll ich in Trauerkleidern kommen?“ hatte sie ihren Verteidiger Hypereides gefragt. „Nein”, hatte der geantwortet, „komm so schön du kannst. Schönheit ist dein Beruf, heute viel- leicht deine Rettung.” " z Ihr Spiegel war einig mit ihr, daß das Lächeln in Tränen die meisten Chancen hätte. Sie kannte die Macht ihres ‚feuchten Blicks‘. Und damals stand die Schönheit noch höher — natürlich nicht Im Wert, aber im Preise, als selbst die Tugend, Fast 500 Frauen von Athen ließen ihre Männer zu. Gericht gehen (denn damals gab es dort noch nicht so viel Junggesellen). „Unerhört, daß man uns ehrbare Frauen als Rich- terinnen ausschließt”, sagte eine. „Ihr würdet vielleicht zu hart urteilen.“ „Und als Zuhörerinnen?” „Da vielleicht noch härter.“ „taßt ihr Männer euch bloß nicht weichmachen”, höhnte sie. — „So einel” giftete sich eine andere, die am Herde stand. „Phryne heißt Kröte. Früher hat sie in Thespiä aus Armut Kapern gesammelt, — jetzt prahlt sie, sie wolle die Mauern von Theben wie- der aufbauen, wenn man ihr daran die Inschrift setzte; ‚Zerstört durch Alexander, wiederaufge- richtet durch Phryne, die Hetäre‘. Und wovon? Von dem Haushaltsgeld, das die Männer von Athen Ihren Frauen entzogen. Jedenfalls wird das ummauerte Theben dann unzugänglicher sein als sie.” Und rührte weiter im Kochtopf, — „Habgierig ist sie”, hetzte eine dritte, „Frau Tra- tschikles um die Ecke hat mir erzählt, es hätte jemand der Phryne eine Sendung Wein geschickt und dazu gerühmt, der wäre zehn Jahre alt. Phryne sieht sich das Geschenk an und sagt: ‚Etwas klein für sein Alter!’ — Übrigens, bring mir die drei Obolen, die du als Richter bekommst, richtig nach Hause.” — „Das Tollste Ist ihre zudringliche Zurückhaltung”, machte eine vierte dem Ehemann klar. „Ihr Ge- wand ist immer hochgeschlossen, wenn man sie auf der Straße sieht. So stiehlt sie der Tugend die Kleider. Auch in den öffentlichen Bädern sieht man sie nicht. Sie gibt uns nicht einmal Gelegen- heit, uns über sie zu entrüsten. Na, am Ende Ist sie in Wirklichkeit gar nicht so schön.” — Eine aber, Theodora geheißen, entließ ihren Mann mit Lächeln: „Sie soll entzückend verrucht sein. Und geistreich dazu. Ich glaube, manche Tugend ist nur ein Mangel an Geist.” „Und manche Schönheit nur ein Mangel an Tu-. gend”, meinte er. „Aber Geist und Schönheit entschuldigen leicht die verhinderte Tugend.” — Es bekamen auch viele ihren Auftrag mit. — Die- sem päckte seine Hausfrau Brot und Feigen zum Frühstück ein: „Es wird lange dauern, wenn sie alle ihre Männergeschichten herzählen muß. Paß nur auf, ob einer von unsern Bekannten dabei ist.” Jenem versetzte die Seine: „Nun muß sie vor Ge- richt auch Ihr Alter angeben.” — Eine, die sich gerade die Locken kräuselte, ver- langte, er müßte sich genau merken, wie Phryne frisiert war. — Und eine andere, bereits in besseren Jahren, AM WEG ZUM BÜRO Auf einem Plätzchen oder Rondell bemüht sich ein Kätzchen um sein Fell: mit Ärger sicht es ein böser Hund und — hui — entflicht es mit gutem Grund: dies alles zum Leide von Fräulein Kätchen, du liebe Zeit — es hatte schon beide schnappschußbereit vorm Apparätchen: > nun geht es verdrossen in sein Büro — und war doch so zur Freude entschlossen. Peter Scher 632 mahnte ihren Mann: „Sei so gerecht, als ob’ deine eigene Frau vor den Schranken stünde.” „Ich urteile als Richter ohne Ansehen der Person.” „Du sollst die Person auch nicht ansehen!” — Fast 500 Frauen von Athen nahmen Abschied, als ob ihr Mann einer Gefahr entgegenginge, Phryne war eine Gefahr. Und damals waren noch nicht alle Männer treu. In der Säulenhalle des Areopag hallte die Stimme des alten athenischen Justizwachtmeisters: „Straf- sache gegen Phryne, Angeklagte und Zeugen!” Diesseits der Schranke saß Athen: 501 Richter. Jenseits der Schranke saß Athen: 1002 Zuhörer. Viele hatten keinen Einlaß mehr bekommen. Die standen draußen und bezweifelten, daß das Ur- teil gerecht werden würde. Nun trat Phryne ein. Ein Raunen ging durch die Zuhörer. Eine Bewegung durch die Richter. „Die Angeklagte in Person”, stellte der Vorsitzende fest, Und Phryne lächelte,,. „Schön“, flüsterten die einen. „Frech“, rügten die anderen, „Ruhe”, be- fahl der Vorsitzende. Mit ihr war Hypereides aufgetreten. Sein Gewand in wohlerwogenen Falten, ebenso seine Stirn. Sein Schritt war Selbstgefühl und seine Miene Wohlwollen, — Wohlwollen für den Mandanten, der Recht hat, für die Richter, die das Recht fin- den sollen, und für das Publikum, die Mandanten von morgen. — Die Vernehmung der Angeklagten war kurz. Dann hielt Euthias seine Anklagerede, wie es im attischen Prozeß üblich war. „Die hat der Rhetor Anaximenes ihm gemacht”, sagte einer, der es wußte, „sonst wäre'sie noch giftigen.” Aber des Euthlas Stimme bellte und sein Wort biß. „Ich ersuche, alle Beifalls- und Mißfallenskund- gebungen Im Zuschauerraum zu unterlassen”, ließ sich der Vorsitzende vernehmen. „Herr Verteidi- ger, bitte.” „Jetzt kommt Hypereides“, erklärte der alte Redelehrer leise seiner Schülerschar, die um ihn versammelt saß, Er hatte ihnen vorher einge- schärft: „Merkt wohl auf die Teile der Rede. Es sind drei Hauptteile und mindestens zehn Unter- teile. Hypereides wird mit einer Einleitung be- ginnen. Dann den Gegenstand bestimmen. Den Tatbestand erzählen. Die Einteilung angeben. Die Begriffe erläutern. Die Beweise prüfen. Die Gegen- beweise führen. Die Ergebnisse feststellen. Das Wesentliche ausführen. Zuletzt in einem rhetori- schen Schlusse gipfeln. So gehört es sich für eine attische Rede.” Die Schüler waren nur noch zum Teil bereit, dem Ablauf der Disposition zu folgen. Damals lenkte weibliche Grazie noch manchmal von männlicher Logik ab, „Paßt auf“, flüsterte der Lehrer, „Hypereides wird zwei Stunden reden”, Aber der sprach nur ein paar Sätze. Uber Euthlas und seine schwarze Seele. Über die Götter und ihre Gnade. Über Phryne, der Aphrodite Dienerin und Priesterin. „Achtung, raunte der Lehrer, „jetzt führt er den Richtern den Sachverhalt vor Augen”. Und da kam die Überraschung. „Glaubt ihr, Män- ner von Athen”, rief Hypereides aus, „daß die Schönheit die Götter beleidigen könne? Solche Schönheit? ...” Er hob langsam die Hand, griff der Angeklagten an die Schulter — Phryne erschrak —, löste ihr die Spange, ihr Gewand glitt zur Erde... Und vor dem Gerichtshof stand, wie die Götter sie geschaffen und Praxiteles sie nachgebildet — die knidische Aphrodite. Starr saßen die Richter. Die einen sagten: „Aahl” Andere sagten: „Ohl” Und der Kleine an der Ecke war ganz blaß geworden und sagte nur: „Hal... Mancher dachte an eine versäumte Lel- denschaft, manch anderer an eine verliebte Hoff- nung und einer auch an das, was ihn zu Hause eıwartete. Und dem kamen die Tränen. Und die SE N IHR Zuschauer, die nur den Rücken der Aphrodite zu sehen bekamen, dachten ähnliches und beneide- ten die Richter Nur ein Philosoph stellte sich die Frage: Warum empfinden wir den Marmor als unbekleldet, nicht als ausgezogen? Ein alter Jurist erwog: Ist es prozeßordnungsmäßig, die Bewelsaufnahme in das Plädoyer zu verlegen? Der Augenschein ist doch Beweismittel und kein Argument. Der Redelehrer war enttäuscht. Nicht so. seine Schüler. Damals waren Lehrer und Schüler noch nicht in allem einig. — Dann geschah etwas Seltsames. Phryne, die zu- erst die vielen Blicke als ein angenehmes Prickeln “auf der Haut empfunden hatte, Phryne errötete, bedeckte die Augen mit den Händen, um nicht zu sehen, daß sie gesehen wurde, und bat mit einer Neigung des Körpers um ihr Gewand, Schweigend legte Hypereides ihr die Falten wie- der über die Schultern... AN, N NUN N s, NW RR rNnmr Am Kammerfenster Amoreggiando alla finestra Der Vorsitzende, nach einem _Hüsteln: „Die Be- weisaufnahme ist geschlossen — will sagen, die Angeklagte hatte das letzte Wort. — Das Gericht wird abstimmen.” Damals gab es keine Beratung im attischen Prozeß. » Alle Athener sprachen am Abend über den Spruch. Tausend athenische Damen entrüsteten sich über den Freispruch, „Natürlich, so einel“ „Das war einfach Richterbestechungl” „Und du hast auch für den Freispruch gestimmtl” — Schuldbewußt schwieg de: Ehemann. „Du hast sie doch angesehen!” — „Ich mußte mir doch ein Urteil bilden.“ „Und dein Frühstück has! du nicht gegessen!” — „Ich bekam wohl Appetit, aber ich meinte, früh- stücken müßte ich zu Haus.” Nur Theodora empfing Ihren Mann: „Das habe ich dir von Herzen gegönnt, mein Guter. Und nun ‘ 633 (Fr. Blick) erzähl mal genau.“ Er tat’s und meinte dann: „Wenn man so denkt, daß nun alle Welt sich über die edle Einfalt und stille Größe bei Praxiteles begeistert — und dann Ist es allemal die Phryne ...” „Aber Schönheit”, schloß sie, „muß doch etwas sein, was Vergebung verdient und racht behält.“ Damals wußte man noch nicht, daß die Götter Griechenlands sterblich sein würden, aber die Schönheit der Phryne unsterblich, * Die Angeklagte, strahlend, siegreich und gerettet, hatte nachher mit Hypereides, dem Kenner des Rechts, noch einiges ganz persönlich zu bespre- chen. So auch die Honorarfrage. \ Sie bat um sein Schreibtäfelchen: „Ich muß dir eınen Schuldschein ausstellen über das, was Ich zum Dank dir geben werde.” Und sie schrieb- Phryne Damals gab esnoch keine feste Anwaltsgebühren- ordnung, Englische Kunstbetrachtung (en „Sehen Sie, Mylady, das ist das Kernproblem: Wären diese Leute bevölkerungspolitisch so zurückhaltend wie wir Engländer, käme es nie zu einer Hungersnot in Indien!“ Riflessione artistica inglese: “Guardate, Mylady, il problema essenziale & questo: se tale gente in fatto di demopolitica fosse riservata come nol Inglesi, in India non verrebbe mal la carestial,, 634 Fachkundig {R. Krlasch) n - N >; hei a. e 2 en ur, ’ „Dummes Mädel, vor einem Maler brauchst du dich doch nicht zu schämen!" „Doch — doch — weil ich im Kolorit net so gut beinander bin!“ Esperta: ‘Che sciocca di ragazza! Non occorre che tu arrossisca davanti a un pittorel,, “Eh sl, st... perche il mio colorito lascia alquanto a desidergre!,, 635 MARIKA VON A. WISBECK Den alten Mann hatte ich In den letzten Herbst- tagen auf einer Ruhebank kennengelernt, Dort saßen wir des öfteren nebeneinander, ließen die Donau an uns vorüberziehen und schwatzten von diesen und jenen alltäglichen Dingen. Der Alte, der in seinem fadenscheinigen, engen Braten- rock, dam hochgebundenen Schlips und verschos. senen Halbzylinder einer anderen Zeit anzugehören schien, gefiel mir, und es freute mich deshalb, daß sich unsere Begegnung wiederholte, wo. durch auch die Unterhaltung vertraulicher wurde. Was den Alten eines Tages dazu bewog, mir die nachfolgende Geschichte zu erzählen, weiß ich freilich nicht, Doch scheint es mir, daß es sich um ein Erlebnis handelt, das über ein ganzes Menschenalter in ihm nachwirkte. „Damals“, erzählte der Mann, „stand Ich im acht- zehnten Lebensjahr und war als Stallbursche bei einem ungarischen Gutsherrn bedienstet. Er war ein freundlicher Mann, immer gut gelaunt, und die Gulden saßen Ihm lockerer In der Tasche als einem anderen ein Hellerstück. Ritt er die Etelka, die das halbe Jahr rossig war und sich nur von mir satteln ließ, so vergaß er nie, mir einen besonderen Lohn in die Hand zu drücken, ohne nachzuzählen, wieviel es war. Daß er nicht mehr zu den Jüngsten zählte, konnte man an selnem schneeweißen Haar gar wohl erkennen, doch waren die Weiber noch immer hinter ihm her. Denn sd sind sie eben, scheint es mir: ein rech- ter Kerl, der das Leben liebt, aber auch Tod und Teufol nicht fürchtet, wlo es mein Herr auf seinen verwegenen Ritten bewles, hat das Gerisse bei den Frauen, und man er auch schon nahe der letz- ten Olung stehen. Doch das nur nebenbeil Kennen Sie Ungarn? Es Ist ein schönes Land, will ich Ihnen sagen, Endlos weit wölbt sich der Him- mel darüber, bei Tage von tieflster Bläue und nechts von Sternen glitzernd, soweit der Blick reicht. Es Ist auch ein heißes Land, dieses Ungarn, in dem der Mais fast an den Stengeln röstet, die goldbraune Traube vor Süßigkeit schwitzt, und das Blut mit Ungestüm In den Adern pulst. Pforde- herden stürmen mit flatternden Mähnen durch das ‚Abendrot, an den Brunnen blitzen dich bunt- gekleidote Mädchen mit Ihren Zähnen an, und allüberall, bald nah, bald fern, klingt Musik auf. Bald möchtest du aufjauchzen mit den Geigen In freudvoller Lust, bald dahinschmelzen In schmerz- licher Sehnsucht. Wonach? Du welßt es nicht. Es liegt wohl jenselts dieser Welt und Ist unerreich- bar. Damals freilich glaubte ich, es zu wissen, denn Ich war In Marika verliebt, Marika, die Küchenmagd. Als Ich sie zum erstenmal sah, stand sie, nur mit Hemd und Rock bekle'dat, vor dem Herd und bed'ente den Bratspieß. Vom Scheitel bis zu den Beinen floß der Widerschein der Glut an ihr h nieder, schien Ihren Leib In lohen- den Brand zu setzen. Als sie sich aber nach mir umwandte, traf mich ein Blick, der mein Herz versengte, Ja, mein lieber Herr, ich finde keinen anderen Ausdruck dafür, Sie mach- ten mich krank, diese Augen, ‚die sanftmütig, wie die eines Kirdes blicken konnten, und hinter denen doch ein dunkles Feuer glomm.- Aber sie waren es nicht allein, es war auch das blauschwarze, in der Mitte ge- scheitelte Haar, der volle Mund die hochgewölbte Brust, es war ein klel- nes, dunkles, kreisrundes Mal, das an der Wade saß. Ich hatte schon so manches Mädel Im Arm gehalt aber kelnes noch, das mich so vi rückt aemacht hätte, wie diese Ma- tika Marika, Marika, du unbegrelf- lich schöne Marika — das war mein Gedanke bei Tag und bei Nacht ‚Ich alaube Bursche, du bist In die Marika verliebt?’ lachte eines Tages meln Herr, denn es war Ihm wohl nicht entgangen, daß ich mich öfter in der Küche herumtrieb, als es not- wendig gewesen wäre. ‚Nimm dich In acht vor dem Mädel. denn ste ist Denn als Ich einmal den Mut faßte, meinen Arm um Ihre Hüfte zu legen, stieß sle mich unwillig von sich und funkelte mich mit einem Blick an, det lede Wiederholung einer Annäherung scheuen ließ, Gleichwohl, wie sollte ich eine Verliebtheit bän- digen, die mein Leben zur Qual machte, wie konnte ich Gedanken verbergen, die mein gan- zes Sein beherrschten? Keinem Menschen im Haus entgingen sie, und es mußte Marikas Abneigung nur noch steigern, daß man sie mit dem un- glücklichen Liebhaber weldlich verspottete. Be- trat Ich die Küche, so wandte sie mir den Rücken zu, und wagte Ich es gar, sie anzusprechen, so erhlelt Ich eine barsche, hochfahrende Antwort ‚Zum Donnerwetter, du dummer Kerl, such’ dir doch eine anderel’ riet mir belustigt mein Herr. ‚Aber merke dir das eine: mit einem langen Ge- sicht hast du bei den Weibern niemals Glück. Ein hängendes Maul lieben sie nicht, und aus Mitleld läßt sich kein Mädel küssen. Lache, pfelfe, tanze, mache dieser und Jener den Hof, betrink’ dich meinetwegen und lauf’ auf den Händen durch die Küche — damit wirst du mehr Erfolg haben, als wenn du vor Liebe greinstl‘ Das war nun alles schön und gut und mochte auch richtig sein. Aber, wie sollte man lustig sein, sich an eine andere heranmachen, wenn man nur die eine, die Unerreichbare liebte? Ich spreche imı von ‚Liebe‘, mein Herr, aber sie werden melne Gefühle wohl schon als das erkannt haben, was sle waren: die Begehrlichkeit eines Jungen, drän- genden Blutes, Denn was konnte es schon an- deres sein, als Marikas verführerlsche Schönheit, die mich quälte und mir schlaflose Nächte be- roltete? — Eines Sonntags alng ich zum See hinaus, um dort zu schwimmen. Denn diesen Sport betrieb Ich mit Leidenschaft und darf wohl auch ohne Übertrei- bung sagen, daß es mir In meinem Heimatstädi- chen an der Donau kaum ein anderer Mensch an Ausdauer und Gewandtheit darin gleichtat. Die Gluthitze des sommerlichen Tieflandes brütete in der weiten, baumlosen Ebene, regunnslos träge stand die Luft über den Weizenfeldern. Etwas erschöpft schon warf Ich mich in das Wasser, konnte aber mein Vorhaben, den See zu um- schwimmen, nur mit Aufbie'ung der letzten: Kraft ausführen. Müde und erschlafft verkroch ich mich in den Schatten des Ufermebüsches, um dort euszuruhen. Kaum halte ich mich jedoch hin- gestreckt, da wurde ich auf ein Geplätscher auf- morksam. Marikal Unwelt meines Lagers durch- die seich'e Bucht. Mitunter blieb sie , schöpfte Wasser mit den Händen und ließ es über die Schultern rieseln. Immer tiefer taucht der braune Köroer In die Flut ein. Nun verliert er den Grund, Mit unbeholfenen Schlägen paddelt Marika dem lieblichen, aus Wasserroren gebildeten Inselchen zu. Dort werden ihre Be- wegungen ungestlm. Der Kopf versinkt, hebt sich wieder aus dem Wasser, taucht neuerdings ein. 0. Hogenbarth) „Sag’ mal, Aujust, haste vielleicht 'nen neuen Witz uff Lager?“ „Jawoll. Aber den ieb’ ick nur an alte Stammkundschati abi“ Nun greifen die Arme In die Luft, wollen sich los- ringen aus der stillen Flut, schlagen um sich und entschwinden. Noch einmal erscheint der Kopf über einem Strudel quirlenden Wassers, und ein gurgelnder Aufschrei gellt über den See. Der Hilferut läßt mich die Müdigkeit überwinden. Rasch werfe ich mich in das Wasser und schwimme ‚dem Inselchen zu. Ja, mein lieber Herr, glauben Sie mir, ein leichtes Stück war es nicht, die Er- trinkende aus den Schlinggewächsen zu be- freien, und es stand wohl nahe so, daß wir beide zum letztenmal das Licht der Sonne gesehen hät- ten. Fast schon wollten meine Kräfie versagen, als es mir noch gelang, Marika an das Ufer zu bergen, Da lag sie nun vor mir, die Heißbegehrte, und schlief. Wunschlos konnte ich sie betrachten, " denn ein armes Menschenkind erschien sie mir nur mehr, und gehelllgt ein Leben, das mein eigenes Werk war, Unantastbar blieb es 'mir hin- fort. Verstehen Sie mich, diese Ausdeutung trat erst In späteren Jahren in mein Bewußtsein, denn damals machte Ich mir keine Gedanken darüber! Es war eben so, — Ich bedeckte das Mödchen mit seinen Kleidern, zog mich an und erwartete in melnem.Buschwerk Marikas Erwachen. Lange noch lag sie im Schlaf der Erschöpfung, bis sich Ihre Augen öffneten und erstaunt um sich blick- ten. Nun bekleidete sie sich mit schlaffen Be- wegungen, machte taumelnd einige Schritte, blieb unschlüssig stehen und sah hilfesuchend um sich. Da trat ich rasch hinzu hob sie zu mir auf und trug sie zum Gutshof. Ihre Arme legten sich um meinen Hals, ihr feuchtes Haar fiel über meine Hände, Kein Wort kam über unsere Lippen, doch sprach ein Gefühl aus Marikas Augen, das mich beglückte: Die Achtung des Weibes vor der Tat. Ja, so Ist es wohl, mein lieber Herr: In eine schöne Nase mag eine Frau wohl vernarrt sein, und gedrechselte Sprüchlein mag sie gerne ver- nehmen, doch scheint mit dies nur eine Sache jes Auges und Ohres zu sein und kurzen Bo- stand zu haben, Ihres Blutes geheimste und ewige Sehnsucht gehört Immer nur dem Mann, ich meine, der männlichen Tat. Und sehen Sie, obschon meine fuchsroten Haare nicht braun oder schwarz wurden, und meine große Nase nicht kleiner, und obschon Ich nichts tat, um Marika gefälliger zu werden — sie liebte mich seit jenem Tag und zeigte es unverhohlen mit jedem Blick ihrer heißen Augen, Bald wußte es Jeder Bedienstete des Hauses: die dumme Marika hat sich In den roten Stallburschen verliebtl Geduldig ertrug sie den -Spott, und dies war wohl das schwerste Opfer, das ihr Stolz bringen konnte, Ja, rain Herr, ich darf es heute, da alle Eitelkeiten des lebens von mir abgefallen sind, getrost seen: Marlka liebte mich mit dem ganzen Ungestüm Ihres Blutes. Und ich? Nun, ich sagte es Ihnen schon; für mich war dieses Leben selt jenem Tag geheiligt, da es mein Werk wurde. Niemals mehr hätte ich es mit dunklen Wünschen der Begehr- lichkeit entwelhen können. Hoch und licht stand es vor mir, ein Men- schenleben, das den Namen Marika trug. Meines Verbleibens im Hause konnte freilich nicht mehr lange seln. Denn, wie sollte Ich Marika die absonderliche Veränderung meiner Gefühle begreiflich machen? Sie würde mich nicht verstanden haben, dessen bin Ich heute noch gewiß $o kündigte Ich denn meinem Herrn den Dienst. ‚Wie kann nur ein Mensch eines dummen Mädels wo- gen seine gute Stellung aufgeben!’ mökelte der brave Mann. ‚Liebe l&ßt sich nicht erzwingen, und daß du bei der Marika kein Glück haben würdest das habe Ich dir schon längst vorhergesagt.’ — Ja — Ja — so Ist es’, stotterte Ich, denn meln Herr brauchte von dem, was sich er- eignet hatte, nichts zu wissen. ‚Such‘ dir das nächste Mal ein solldes, breithüftiges Frauenzimmer mit hell- blondem Schopfl’ lachte er noch, als er mich mit einer Handvoll Bank- noten entließ. Noch etwas anderes nahm Ich mit auf den Rückweg in dıe Helmat, einen ganz kleinen Kuß, nei. einen flüchtigen Hauch nur, vom Munde der Marika. Und er be- keines. das mi* sich spaßen läßıl‘ Das schien mir nun freilich auch. "Dimmi, Augusto, non hal lorse in deposito un nuovo scherzo?,, "Sicuro, ma lo lo do soltanlo a vecchla clientela di localel,, 636 deu'ete nich's anderes, als den Ab- schied für ein Menschenleben.“ (Wilhelm Schulz) Zukunftsposten für Roosevelt „Bitte mich nicht zu stören, ich versuche eben im höchsten Auftrage festzustellen, ob die Marsbewohner schon einen Präsidenten haben!" Futuro posto per Roosevelt: “Vi prego di non disturbarmi! Per Incarico d’ altissima autorltä so appunto tenando di constatare se gli abitantl di Marte abblano giä un Presidentel,, ° 637 Erster Besuch (K Haltigenitandt) „Nein, Fräulein Gusti, stürmisch bin ich niemals gegen Frauen!" „Ja, ja, so was habe ich gleich befürchtet!‘ La prima visita: “No, signorina Augusta; lo non sono mal stato Irruente con le donne!,, — “Glä, glä ... ed era cld ch" Io tosto temevol,, 638 (WM Busch) „Sagen Sie, Herr Soldat, für welches Mädchen machen Sie sich denn so schön?“ „Weiß noch nicht — wird sich heute abend erst herausstellen!" "Diteml, signor soldato, per quale ragazza mai Vi fate cosl bello?,, — “Non so ancora ... ma lo si vedr& gid staseral,, DAS MÄRCHEN VOM HERRN FRITZ „So Michelchen, — hör’ schön zu, ... also da war einmal ein Mann, der hieß Fritz, und arbeitete in einem riesengroßen schönen Hause mitten im Her- zen einer ganz großen Stadt, und eines Morgens kam er um einen Augenblick zu spät zum Omni- bus, mit dem er den weiten, weiten Weg in das große schöne Haus, In dem er ärbel , zurück- legen wollte, und da sah der Omnibusfahrer zu- fällig Im Rückblickspiegel, wie Herr Fritz dem Omnibus nachrannte und nicht mehr konnte, und da schaltete der Omnibusfahrer, wie er es früher bei der Straßenbahn gelernt hatte, den Rück- wärtsgang ein und fuhr drei Häuser welt zurück, um den Herm Fritz einsteigen zu lassen. Und an der nächsten Haltestelle stieg ein dicker Herr ein, der versuchte sich neben Herrn Fritz zu set- zen, aber neben Herın Fritz saßen schon andere Leute, und da der dicke Herr sah, daß es für Herrn Fritz auch unbequem werden würde, wenn er sich neben Ihn setzte, da gab der dicke Herr seine Absicht auf und sagte zu Herm Fritz, es wäre Unsinn, wenn sie beide unbequem sößen, und Herr Fritz sei auch früher als er dagewesen, und blieb stehen und lächelte Herrn Fritz freund- lich an, und da der Mann, der neben Herrn Fritz saß, in der Zeitung las, las Herr Fritz mit, und am Ende jeder Seite fragte der Herr mit der Zeitung Herrn Fritz jedesmal, ob er auch fertiggelesen habe und umblättern dürfe, und als Herr Fritz sagte, er habe die Seite noch nicht ganz durchgelesen, da sagte der Herr mit der Zeitung, das mache gar nichts, er würde gerne so lange warten, bis Herr Fritz die Seite fertiggelesen habe... ...und als Herr Fritz ausstieg, überquerte er trotz des roten Verkehrslichtes die Straße und wurde von einem Automobil beinshe überfahren, und ein Verkehrsschutzmann erzählte dem Fahrer des Automobils, vorsichtig zu sein, denn auch wenn die Verkehrsampel zu seinen Gunsten Grün ge- zeigt habe, so sei das keine Erlaubnis zum Über- fahren unschuldiger Fußgänger, und da mußte Herr Fritz den Herrn Verkehrsschutzmann anlächeln und der Herr Verkehrsschutzmann lächelte zurück und gab Herrn Fritz eine schöne Zigarre zum Rauchen und dazu zwei Eintrittskarten zum Sym- phoniekonzert der Freiwilligen Feuerwehr, und als Vorlag und Druck. Knorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Send ling: ©k, München. — Der Simplleissimus erscheint wöchentll 1.; Abonnemen! im Monat RM. 1.20. haruck verboten. — Postscheckkonto München 520. Erfüllungsort Mün Vorantworti: Scheiftl anstalten entgegen — Walter Fo Herr Fritz die Karten bezahlen wollte, da lächelte der Herr Verkehrsschutzmann wieder und sagte zu Herrm Fritz, die Karten kosteten nichts, diesmal habe er zu bezahlen und das Ganze sei nicht der Rede wert und habe ihn ja kaum aufgehalten... ‚Herr Fritz aber kam 20 Minuten zu spät In das schöne riesengroße Haus, in dem er arbeitete, und der Herr Chef stand hinter seinem Schreibtisch und grinste freundlich, und als Herr Fritz sich ent- schuldigen wollte, da mußte der Herr Chef so lachen, daß es ihn schüttelte, und als der Herr Chef wieder sprechen konnte, da sagte er, er gäbe für einen Mann, der nicht dann und wann einmal zu spät komme, keinen Pfennig, und da kam Herr Fritz auf den Gedanken, den Herrn Chef LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückei) M uime ist ein Bekannter von mir, dafür kann ich nichts. Als ich ihn vorgestern zufällig traf, sprach er von Büchern, nämlich beim Reiser-Verlag in Magdeburg gäbe es gute Bücher zu kaufen, un- mittelbar vom Verlag weg. Ich war über ein solches Interesse bei ihm baß erstaunt, besonders auch wegen der herzbeweg- lichen Töne, welche er zum Thema fand, „Sehr, sehr gute Bücher gibt es da zu kaufen, wenn ich nur wüßte, ob sich die Fahrt über Sams- tag und Sonntag machen läßt — —” „Was denn für Bücher?” fragte ich, und Mulme darauf ungesäumt und mit einer entzückten Hand- bewegung: „Solche mit Ledereinband"” F.H. einmal "0 (Fomrut 1298). Brletanschrift Bestellungen nehmen — Unverlangle Einsendungen zu fragen, ob er nicht 50 Mark mehr Gehalt haben könne, und der Herr Chef fragte zurück, wie lange Herr Fritz über diese Aufbesserung schon nach- gedacht habe, und als Herr Fritz sagte, sechs Mo- nate, da sagte der Herr Chef, er werde die Sache augenblicklich in Ordnung bringen, und zwar rück- wirkend, so daß die Aufbesserung auch für die sechs Monate, während der Herr Fritz über die Aufbesserung nachgedacht habe, ausbezahlt werde... -„.und als zur Mittagszeit Herr Fritz zum Essen gehen wollte, da rief ihm der Herr Chef nach, Herr Fritz solle zwei Stunden statt nur einer hal- ben Mittagspause machen, denn es sel ungesund, das Essen hinabzuwürgen und sogleich wieder zu arbeiten, und als Herr Fritz das Restaurant auf- suchte, in dem er auch sonst immer speiste, da waren alle Plätze besetzt und in der Vorhalle warteten über fünfzig Leute, die auch essen woll- ten, und als Herr Fritz gehen wollte, um ein an- deres Restaurant aufzusuchen, da kam ihm der Herr Geschäftsführer nachgeeilt und sagte, es wäre ja noch schöner, wenn ein so guter treuer Kunde unbedient gehen würde und machte Herrn Fritz sogleich Platz, indem er mit einem Gast, der schon lange fertig war und nur auf die Rechnung wartete, weil der ihn bedienende Kellner keine Zelt hatte, selbst abrechnete, und als Herr Fritz ins Büro zurückkam, da lag eine Nachricht vom Herm Chef auf selnem Schreibtisch, Herr Fritz habe heute nachmittag dienstfrei und er solle sich nur etwas ausruhen... „..und als Herr Fritz am Abend nach Hause kam, da kam ihm unter der Tür schon seine Frau mit seinen Pantoffeln und der gestopften Lieblings- pfeife entgegen und lud ihn ein, es sich nach des Tages harter Arbeit ebenso bequem zu machen, wie sie es sich den ganzen Tag schon gemacht habe — und nun Michelchen, muß ich gehen und morgen erzähle Ich dir die Geschichte von dem Mann, der sein eigenes Finanzamt verklagte, weil es viel zu wenig Steuern berechnet hatte, das heißt, das hängt davon ab, wenn mich der Wärter gehen läßt, denn in Wirklichkeit Ist es nach der Anstaltsordnung verboten, sich in der Abteilung für gewalttätige Irsinnige aufzuhalten" F.L.N. München 2 BZ, Brieffach. Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Pı Ion nut zutuckgesändi, wann Porto beillegl. — Herbststimmung In London (E. Thöny) ARRWETTRSTTET EEE EEE TTTERT „Nun sind alle Blätter gefallen und es hat sich wieder nichts ereignet!‘ Umore autunnale a Londra: “Ebbene, tutte le foglie sono.cadute e di nuovo non & accaduto nulla!,, 640 München, 15.Dezember 1943 48. Jahrgang '/ Nummer 50 SiMmPLICISSiMmUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN JA BAve | CHE DES BAREN Sam Suternangson Us = y „Ich habe so das Gefühl, als ob wir Ihm doch ein wenig zu weit entgegengekommen wären!‘ Nel ventre dell’ orso: ‘Ho pure un certo senso che noi |’ abbiamo accontentato un po’ troppol,, Der verfallene Tempel - Il tempio diroccato (K. Rössing) DER BERG Mein Bergführer war der Maxl. Er hatte die Schi geschultert, ein Sportgesicht auf seinen Buben- kopf gesetzt, Rucksack umgeschnallt und Schi, Hände und Hosen tüchtig mit Wachs einge- schmiert, „Wo geht's hin, MaxI?“ „Auf den Berg.” „Darf Ich mitkommen?” Max| musterte melne unsportliche Kleidung, be- sah kritisch meine Stadtschuhe, meinen Winter- mantel, meinen Filzhut, und am liebsten hätte er gesagt: „Mann, in dieser Aufmachung willst du dem weißen Tod, der auf dem Berge lauert, ins Auge schaun?” Er machte aber eine zusagende Kopfbewegung Ins Unbekannte hin und wir schrit- ten beide vorwärts wie Amundsen und Nansen in die weite Schneewüste hinein. Die unendliche Schneewüste? Unabsehbar-dehnte sie sich, der Horizont war verhangen, Sturm peitschte den Schnee über das Land, Ist das Grönland, ist das Kamtschatka, die Tundra, Kitz- bühel oder der Arlberg? Nein, es ist nur ein Stückchen land am Rande der Großstadt. Max hat die Führung. Aber wo Ist der Berg? „Da hebt Maxl Amundsen die Hand und deutet vorwärts, wie Christoph Kolumbus seinerzeit die Hand hob, als ersagte: „Gemach, Caballeros, dort liegt Amerikal” Ich. sehe den Berg noch immer nicht, bis wir an seinem Fuße stehen. Da ragt er himmelswärts. Vier Meter hoch ragt er in den Ather, und oben am Grat bläst der Wind eine Schneefahne wie bei einem erwachsenen Berg. Wir durchklettern die Südwand ohne Rası zu ma- chen. Auf Wasser sind wir dabei nirgends ge- stoßen. Achtung, ihr Mannen, die Feldflaschen vorher füllen! Ein herrlicher Rundblick lohnt un- sere Mühe. Das majestätische Haupt einer Gas- anstalt liegt zum Greifen nahe, rechts dehnt sich die gewaltige Kette einiger Hinterhäuser und zu unserer Linken erheben sich dräuend die Schrofen einer verlassenen Badeanstalt. Wir sind nicht allein hier auf einsamer Berges- höhe, viele kleine Schiläufer beleben den Nord- hang des Berges und Immer wieder geht es In sausender Fahrt die vier Meter hinunter ins Tal. Einige Väter geben ihren Kindern ersten Unter- ticht Im Schilaufen, „Spitzen zusammen“, Ist der allgemeine Ruf und „Oberkörper vorbeugen“. Einige Mittelschüler tun so, als mache Ihnen die- ses Herunterrutschen keinen Spaß, sie wollen nur die Schi wieder ausprobieren und versuchen, ob das Schiwachs sich bewährt. Sie probieren stun- denlang und können dabei nur mühsam ihre Würde als Sportsleute unterdrücken, für die so ein Berg eigentlich eine Schande Ist. Auf einigen Schi sind auch ältere Herren angebracht, die stehen nicht mehr fest und ruinieren das Sport- gelände beträchtlich. Der Abstieg über den Nordhang war sehr loh- nend. Wir kamen an einer richtigen leeren Kon- servenbüchse vorbei und passierten einen Rodel- schlitten, der mit einer Mutter bis zum Überlaufen gefüllt war, Foitzick 642 FROHE AUSSICHT Bald gibt's nun wieder echten Kaffee. Ich lob' ihn über den grünen Klee, weil in den unfcheinbaren Bohnen pfychomotorifche Kräfte wohnen, die uns in höhere Sphären entrücken, die uns mit Optimismus beglücken, die ftaubige Seele gründlich fcheuern, den fchlaffen Mut erneuern, befeuern et cetera... Wohlauf, wohlant Die Kaffeemühle auf den Plan und recht als Orgelmann gefchuftet! Ha, mie bIoß fchon das Pulver duftet! Jett Waffer drüber, kochend heiß! Durch’s Filter tropft der braune Schweiß - und Wonne ift der Mühe Preis. Ein Wunder, hold und kaum zu faffent Es reicht für zwölf bis dreizehn Taffen, und nimmt man etwas kleinere her, fogar für mehr. (Man kann den Trank auch dünner wählen. Das möcht’ ich aber nicht empfehlen.) Ratatöchr Propaganda gegen Granaten „Sehr brav von den amerikanischen Arbeitern, daß sie uns so schönen Explosivstoff geschickt haben, dafür werden wir von unserem liefern!" Propaganda contro granate: "Bravi davvero i lavoratori americani che ci hanno spedito un materiale esplosivo sl bello! In ricambio noi ne forniremo del nostro!,, 643 (Wilhelm Schulz) Sie berät über den Frieden, den sie der Welt bringen möchte! La conferenza dei tre discute sulla pace ch’ essa vorrebbe dare al mondol 644 DEMOSTHENES VON SCHLEHDORN Ob wohl Demosthenes Lampenfieber gehabt hat? Jedenfalls hälte er welches gehabt, wenn ihm kurz vor Tisch gesagt worden wäre, er müsse zu Tante Wandas Geburtstag reden, weil Onkel Hans, der Präsident, krank sei. Daß Demosthenes nicht aus dem Stegreif reden konnte, ist historisch. Tischreden von Demosthenes sind nicht erhalten Außerdem ließ sich über König Philipp von Maze- donien mehr sagen, als über Tante Wanda, die alljährlich Ihre ganze Verwandischaft von nah und fern zu einem opulenten Geburtstagsdiner in die kleine Stadı und in Ihr großes Haus ein- lud, — und alljährlich an Umfang zugenommen hatte. „Unssre Erbmasse”, nannte sie Rolf, der Referen- dar, despektierlich. „Sie setzt Jahresringe von Fett an“, flüsterte Hans-Jürgen, der Leutnant. „Sie Ist ein abendfüllender Eindruck”, stellte Regie- rungsrat Jullus bei sich fest, Du sollst gegen Erbtanten nachsichtig sein und von edler, abwartender Ehrfurcht — lehrt Buddha, dessen Statue sie ähnelte, Sie hatte ein gutes Herz für Alle und aß für Zwei (mehr hatte ihr der Arzt verboten), Ihr Teller genlerte sich, wenn sie zugriff, „'ne gute Magen is mir lieber, als en schlecht Jewissen“, sagte sie in ihrem rheini- schen Dialekt, verzichtete gern auf Entbehrungen und freute sich über jeden, dem es auch schmeckte. Tischreden sind die schwierigste Gattung der Rethorik, Man malkäfert bis zum Braten und kommt nicht zum Essen, und später 1rinkt man zuviel, well es überstanden Ist. „Du bist heute nicht sehr unterhaltend, Julius”, bemerkte selne Schwägerin Margarethe spitz, „aber du sollst ja wohl reden. Mein Eugen ist vor zwei Jahren auch stecken geblieben.” Nun schlug Jullus an sein Glas. „Aahl — Psstl” — Stille, — Die gesamten Bürger von Athen, ja selbst des Demosthenes Gegner, die Gruppe um Äschines, waren nicht so kritisch, wie die liebe Familie von 20 Personen an dem großen Tisch um das Porzel- lan mit dem Streublumenmuster herum. Der Pro- tessor rückte an der Brille und wartete auf eine Unlogik, der Aızt auf eine Zweideutigkeit, der Leutnant auf eine Gelegenheit zum Lachen, Ku- sine Brigitte (die auf dem Punkt war, wo ein Junges Mädchen plötzlich eine alte Jungfer wird) auf einen Anlaß zur Entrüstung, Und alle auf das Ende Die Herren fixierten den Redner, die Damen sahen mit leerem L&cheln vor sich hin, und Vetter Filtz vom Lande ließ sich mehrfach neu ein- schenken. Julius Jedoch, da bei Tante Wanda von Geist und Schönheit kaum die Rede war und von ihrem Alter nicht geredet werden durfte (sie liebte Geburtstage ohne Älterwerden), hatte sich auf die schon von den Hofdichtern der Renaissance mit Erfolg erneuerte Methode zurückgezogen: er schilderte, wer alles und wie gern jeder zu die- ser Feier erschienen sel, Die Genannten reagler- ten auf Ihre Erwähnung meist mit einem miß- traulsch geschmeichelten Lächeln, Onkel Karl, in Firma ‚Treibrldmen AG, mit einer Verbeugung, der Landgerichtsdirektor mit plädoyergewohntem Gleichmut, und Vettar Fritz rief Prost. „Sie alle kamen“, faßte nun der Redner In ge- schickter Stelgerung zusammen, „sie alle kamen und waren erwartungsvoll versammelt, und zuletzt erschien —" aber da entfuhr es ihm: „erschien Tante Wanda in Massen...“ Jubelndes Gelächter rund um den Tisch. m+,.Ich wollte sagen; In Massen die Nechten und Niffen, die Tonkel und Anten...” Vergeblich suchte Frau Dorette mit ängstlichen Augen Hilfestellung zu geben. Jullus verhedderte sich rettungslos. „Auch Demosthenes", fuhr er endlich fort „hat sich bekanntlich, als er vor König Philipp teden sollte, verheddert,“ — Aber es half nichts mehr. Die Wirkung war hin, und eilig steuerte er das Wrack ‘seiner Rede in den Hafen des Dreimal hoch. Alles trank geräuschvoll auf das lange Le- ben der Erbtante, Vetter Fritz vom Lande kam mit seinem Glas: „Großartig hast du das gemacht mit den Massen, Julius,” Jullus wollte erklären, daß es lediglich ein Irrtum In der Setzung des Kommas, In derLänge der Pause, Ja, nur in der Beionung gewesen sei. „Weiß schon, weiß “chon“, sagte Vetter Fritz, „es war großartig!” Die übrige Familie fühlte sich eins In dankbarer Schadenfreude. Nur Frau Dorette trank ihrem Mann ermunteind zu, — du brauchst dich bloß zu blamieren, dann zeigt sich die wahre Liebe, Tante Wanda hatte nichts gemerkt, Aber nun wird Ihr's Brigitte versetzen, Brigitie, das Ekel... So grübelt Regierungsrat Julius noch vorm Ein- schlafen und trat zomig gegen den Battpfosten. Hätten sie mich bloß nicht mit ihrem blöden La- chen unterbrochen... Er beneldete die Tiere, die auch feiern, indem sie futtern, aber nicht dabei tischreden, weil sie nicht können. Einen entlau- fenen Hund kann man zurückpfeifen, ein ent- flohenes Wort nie, Tante Wanda erschien in Mas- sen. Zuletzt schlief Jullus ein und träumte: Er träumte, er sei in den Himmel gekommen, d. h: nur In dessen Wirtschaftsräume, geführt von einem Engel, d.h. nur einer himmlisch-technischen Assl- stentin, die etwas von der säuerlichen Art der Kusine Brigitte zeigte Da standen in Reihen große Blechkübel, Gleich am Anfang einer, in den durfte jeder, wenn er in den Himmel kam, sein Päckchen ablegen, das er auf Erden getragen, — ein Zwischending zwi- schen Garderobe und Mülleimer also, Darin lagen Schielaugen und Wandernieren und Prozeßakten und manch leeres Portemonnale, an dem sich schwerer trägt als an einem vollen, und mancher Pantoffel, unter dem einer gestanden, Das nächste Behältnis trug die Aufschrift: ‚Uner- füllte Wünsche’. „Davon schütten wir immer eiwas in die Frühlingsluft”, erklärte der Engel, „Das macht die Luft so interessant, daß alte Herren an junge Mädchen denken, und alte Damen an die Zeit, wo sie noch Junge Mädchen waren.” Dann folgte ein Riesenkübel, darauf stand: ‚Er- gebnislose Arbeit‘ „Ja, sagte der Engel, „wir wissen auch nicht recht, wohin damit, — zumal die Arbeit doch ihren Lohn in sich selber trägt, Es sind durchschnittlich 65 Prozent aller Arbeit, die ohne Ergebnis Ist, dazu verderben die guten Freunde meist noch 10 Prozent, die guten: Feindo weitere 10 Prozent, — wer mit dem Rest durch- stößt zum Erfolg, der kann seine Memoiren schreiben,” Daneben stand ein ganz kleiner Kasten: ‚Reiner AUSGANG Idı ging am Abend nodımal meg, um Luftundmöglidıst etrmas Grogzu schnappen. kam spät zurück und sah mit Schreck ein dunkles Unding durch den Garten tappen Tch nahte mich mit Schlich und Husdı, das Ungeheimel näher auszuspähen. Es stapfte'schmer um Beet und Busch und blieb besinnlich unterm Flieder stehen. Mit meiten Augen nahm ich wahr, mas für ein milder Unfug mir passierte: daß es mein Kachelofen mar, X der hier zur Nachtzeit einsam promenierte, Ich hab mich in den Arm gezwickt, bis mir die Schuppen von den Augen sprangen: ich hatte ihn nicht gut beschickt, da mar der Ofen — ausgegangen. DIAKS PAULUN 645 freier Wille (nach Kant)‘. Aber es war wenig darin, Und nun kamen zwei große Behälter. Der eine höchst umfangreiche enthielt ‚Worte, die zu wenig gesprochen sind.‘ — Der Engel ließ Ju- lius hineinsehen. Da war manches ‚a‘, das leider ungesprochen geblieben, z. B. das Jawort, das Brigitte auf die Werbung des Assessor Schmidt nicht gab, weil er eine Glatze hatte, Nun war sie sitzen geblieben. Da waren noch mehr ‚Nein‘, die eigentlich hätten gesprochen werden müssen; ‚Nein’, wenn das allerletzte Glas angeboten wird, ‚nein’ in verführerischen Sommernächten, ‚nein bei Bestechungsversuchen oder noch schlimme- ren Versuchungen. Da war die Schmeichelel, die man vergessen hatte Im richtigen Moment der schönen Frau oder dem großen Mann zu sagen, die Zurechtweisung, die ein Zudringlicher ver- dient hätte, und ungezählte ausgezeichnete Be- merkungen, die einem eingefallen waren, genau fünf Minuten, nachdem die Besprechung zu Ende war. Denn keine Schlagfertigkelt wird häufiger wiederholt und feiner durchgefeilt als die, die auf den Schlag nicht fertig war, Und endlich eine Menge Examensantworten — richtig, da war auch das Preußische Polizeigesetz von 1883, das Ju- lius im Examen nicht gewußt hatte... Aber neben diesem Behältnis der zu wenig ge- sprochenen Worte erhob sich ein wahrer Silo, groß wie eine Gasanstalt: ‚Zuviel gesprochene Worte‘, war die Aufschrift. Das brodelte und quirlte von ‚nicht wahr‘ und ‚wissen Sie”. Von Worten, mit denen man sich an der Ecke fest- geschwätzt, Worten, verschwendet an wartloso Dinge .und Leute, oder Gerede über Vorfälle und Nachbarn. Gerüchte, die wachsen wle Lawinen, und Phrasen, die schrumpfen, wenn man sie n&her ansieht, Lügen, die kurze Beine hatten, und Spott- worte, die einen Schwanz von Weiterungen nach sich zogen. Worte, mit denen einer aus Eitelkeit ein Geheimnis verriet, oder um eines Wortspiels willen eine Freundschaft verriet, oder Confiden- zen, mit denen er sich selbst verriet. Und so mancher lapsus linguse, den man nachher tau- sendmal bei sich korrigiert und revoziert und umformulier. Und obenauf schwamm: ‚Tante Wanda erscheint in Massen, in Massen, in Massen. „Wohin kommt das nun?’ fragte Regierungsrat Julius schaudernd. Der saure Engel zeigte ihm an der Selte einen Griff, der an einer Kette hing, ‚Bitte ziehen‘, „Spülen wir hler, so ergleßt sIch der Inhalt direkt In die Hölle. Denn da gibt es außer der gewöhn- lichen Strafe, zu schweigen, die schwerere Strafe, daß einer dauernd fremdes Gerede anhören muß, Die noch schwerere: daß er alles anhören muß, was er selbst Überllüssig geredet hat. Und als schwerste: daß er seine zuviel gesprochenen Worte noch einmal sagen muß, und immer wie- der, In Massen, In Massen, in Massen.” „Fürchterlich”, sagte Jullus. Da ging der Engel In die Breite, nahm Tante Wandas Züge an und sagte traurig: „Akkurat an meinem Geburtstag hättste das besser sein Jelassen. Dies Jahr lad’ Ich Euch nicht nach Bordijera ein.“ Hier erwachte Jullus. So konnte er auch Doreite nichts vom Himmel selbst erzählen. „Da wird es wohl”, meinte er, „Freuden sonder Zahl (nach Schubert) geben, Und zwar lauter erlaubte Freuden. Also ganz, wie In einer glücklichen Ehe. Nur natürlich alles meta- physisch, absolut transzendental.” „Ach so”, sagte Dorette. — — Später sind sie zu Tante Wanda gegangen, um sich zu verabschieden und sich zu entschuldigen Sie saß friedlich und umfangreich In Ihrem Sofa, aß Biskults und bedankte sich für die wunder- schöno Rede, „Du hast doch gesehen, wie sich die Familie gefreut hat.” Jullus fand, daß die gute Tante fast hübsch aussähe, und auch Brigitte erschlen Ihm heute Jugendlich. „Auf Wiedersehen In Bordighera”, sagte Tante Wanda beim Abschied, „dann mußt du mir noch mehr von dem alten Griechen erzählen, der keine Reden halten konnte.” DIE SACHE MIT CHRISTINE Springe, der alte Lotse von der Station 3, strich sich vergnüglich den Spitzbart und schmunzelte über das runde Gesicht: „e... nun... die Sache mit unserem Kameraden Hein Polters, das Ist ein dolles Stück für sich, wissen Sie nicht, wie das mit der Christine Loh- mann gekommen Ist? Muß Ich Ihnen erzählen!” Den ausgebrannten Zigarrenrest zündete Springe neu an F „War mein Freund, hat mir alles berichtet, aber jetzt kommt er auch nicht mehr zum Kegeln und zum Skat. Schadel Fangen wir also von vorn an, Als seine erste Frau,.die Luise, vor zwei Jahren für immer die Augen zumachte, hatten wir ge- dacht, es würde nun mit"Hein Polters ein biß- chen anders werden. Gewiß, die Luise war eine treue und brave Hausfrau, aber sie schaute ihm doch’ zu sehr auf die Finger, zählte ihm die ZI- garren und die Gläser Bier nach, .war knauserig und kleinlich, und das. Ist nicht gutli Hatte ihn “ ganz unter dem Pantoffel, wie man das so nennt, und nichts durfte er eigentlich ohne sie machen. War ein Kreuz, und steht unter Manneswürde, sich so unter die Fuchtel kriegen zu lassen.” Mißbilligend schüttelte der Lotse den Kopf. „Nee... ein Mann muß ein Mann bleiben, aber er war eben zu gütmütig, und Gutmütigkeit kann in Dummheit ausarten. Als dann die Trauerzeit herum war, haben wir uns den Hein vorgenom- men. $o, mein Junge, nun wirst du dir mal was gönnen, wo du doch eine hübsche Stange Er- spartes auf der Kasse liegen hast! Da er durch seine Pension für das Alter versorgt war, was hatten die zusammengekratzten Groschen denn für einen Sinn? Sollte eine Reise machen, wo er bisher nichts vom leben hatte und meinten es gut mit Ihm, Hein Polters schob die Pfeife von dem rechten in den linken Mundwinkel, sah uns alle dumm an und knurrte nur: Jo... jo... will ich mir mal überlegen!’ Da wußten wir noch nicht, daß alles schon wieder zu spät und Hein Polters längst wieder mit seiner dämlichen Gut- Die Beule - Il bernoccolo - VON ERNST HERMANN PICHNOW mütigkelt hereingeschliddert war.” — Schwer stöhnte Springe auf, „Da wohnte also mit ihm In einem Hause In einem Zimmer die fünfzigjährige Witwe Christine Lohmann, und schon nach ein paar Tagen als er seine Luise unter die Erde gebracht hatte, klopfte sie bei Hein Polters an. Ein paar dicke Tränen kollerten über Ihre Wangen und in wehleidigen Worten packte sie ihr Mitleid aus. Der arme Polters wäre doch nun in einer gerade- zu schrecklichen Lage, keiner sei nun da, der für ihn sorge, der Sohn saß In Breslau, und ein Mann In seinem Alter wäre doch allerhand Bequemlich- keit. und Gemütlichkeit gewohnt, und sie sel nicht abgeneigt, ihm die Wohnung sauberzuhal- ten und auch für ihn zu kochen, wenn er wollte Eine Frau müßte er für die Dinge doch haben. Sie kannten sich doch nun auch schon einige Jahre, und nur aus reiner Menschlichkeit und Nächstenliebe böte sie ihm Ihre Dienste an, und Hein Polters möchte hinter Ihrem Anerbieten nur keine anderen Absichten vermuten. Und das hat er denn auch nicht getan. In seiner gedrückten Stimmung meinte er, wenn die Witwe das über- nehmen wollte, gut, dann würde er Ihr am Mo- natsschluß ein Gehalt zahlen. Christine heulte ihm darauf noch ordentlich was vor, wozu sie eigentlich gar keinen Grund hatte, und wurde da- mit quasi seine Haushälterin.' „Jawohl, seine Haushälterin“, wiederholte Springe wütend, ballte die rechte Hand zur Faust und ließ sie dröhnend auf den Tisch fallen. „Aber kennt einer die Weiber, und vor allen Dingen eine Witwe von fünfzig Jahren. Die Christine hatte es In sich, Teufel nochmal, müssen Sie mal sehen, wie die noch in Form ist, hat sich den Hein Pol- ters denn ja auch ins Garn gelockt. Aber wie... Ja, wie... das Ist es eben, diese Raffinesse. Kam der Hein noch biswellen zum Skat, und fragten wir Ihn, wie es zu Hause stände, winkte er ab: ‚Ginge — — ginge — — die Christine Lohmann machte ihm die Wohnung sauber, kochte ein biß- (3. Hegenbarth) . und das kommt bloß, weil der Kapellmeister sich immer an meinem Kopf mit der Stimmgabel das ‚a‘ holt!" . e questo viene soltanto perche il Direttore d’ orchestra si prende sempre col corista il "La, sulla mio jestal,, 646 chen, und es wäre alles in bester und allerschön- sier Ordnung!’ Na, Ja, so etwas freut einen denn auch. Und als dann ein guies Jahr herum wor, was meinen Sie, da kam der Hein-Polters zu mir, aufgeregt, wie ich ihn nie kannte, flog am ganzen Körper: „Jetzt wäre das Maß voll, jetzt höre die Gemütlichkelt nun doch auf, so etwas.. nein...!' Er konnte kaum reden. Ich habe ihn.da in den Stuhl geklemmtl” Der Lotse zeigte auf einon behaglichen Sessel im Zimmer. „Einige Grogs brachten ihn zur Ruhe, und dann mußte er mit der Wahrheit heraus. Hatte die Christine sich also nach und nach, ohne daß Hein Polters es merkte, alle Gewalt ange- eignet, Sie hatte allein das Sagen In seiner Woh- nung. In seiner Gutmütigkeit wehrte er sich nicht, spürte überhaupt nicht, wie er langsam von ihr eingesponnen wurde und nun wie eine Fliege im Netz saß. Und heute war es Ihm doch zu bunt geworden. Hatte nämlich die Christine ihr Zimmer in der ersten Etage aufgegeben und war, ohne Hein Polters lange zu fragen, In das Zimmer seines Sohnes eingezogen. Dort schlug sie einfach ihr Bett auf und räumte ihre Sachen ein. Mit der selbstverständlichsten Miene von der Welt erklärte sie ihm nur: ‚das wäre schon gut so und würde so bleiben, Punkt“ ‚Soll das so bleiben‘, habe ich Polters mit fester Stimme gefragt, ‚willst du das dulden, Hein?’ ‚Nein‘, hat er mir geantwortet, ‚Ich will das nicht, Ich will die Frau nicht in meiner Wohnung wissen, da komme ich ins Gerede und ins"Gerede will Ich nicht kommen!" ‚Gut, Polters, dann wirst du sie eben an die Luft setzen, raus mit ihr, verstanden? So etwas geht doch nicht, und sie ist doch nur deine Haus- hälterinl“ War ganz verdattert und geknickt, der Hein, schimpfte selber auf seine Gutmütigkelt, aber jetzt wäre es damit vorbei.” Ein schwerer Seutzer rang sich vom Munde des Lotsen. „Er Ist mit vielen guten Vorsätzen und festen Ent- schlüssen von mir gegangen und wollte noch am gleichen Abend sein Recht In seiner Wohnung zurückerobern. Ich habe Hein Polters dann sachs Wochen lang nicht gesehen. Als ich ihn wieder- traf, erkundigte ich mich gleich: ‚Nun, Hein, hast du sie ’rausgeschmissen....?" Zerknirscht hat er mir darauf gebeichtet: den ersten Tag fand er nicht den Mut dazu, auch nicht den zwelten und dritten. Vier Wochen vergingen, und dann endlich, nachdem er sich ordentlich Mut angetrunken hatte, stellte er Christino zur Rede, und nun brach ein richtiges Donnerwetter los Aber leider nicht von Hein Polters, sondern von Christine Lohmann. ‚Was das für eine Art von Ihm wäre, angelrunken nach Hause zu kommen und Krach zu schlagen! Und ausziehen sollte sie... Jetzt, wo die Leute wüßten, daß er...’ hören Sie, ...er, Hein Polters, ‚sie In seine Wohnung genommen hätte und darüber schon geredet würde, Was er sich denn unter Frauenstolz und Frauenehre vorstelle, und ob er denn vergessen habo, wie er Ihr die Wangen gestreichelt und sie zörtlich Christinchen genannt hätte, ob so etwas eiwa bei einer Haushälterin gang und gäbe sel?" Und dann fing sie Jämmerlich an zu heulen, ging ein Gejammer über die Schlechtigkeit der Män- ner Im allgemeinen und Im besonderen bei Hein Polters los, ‚und daß sie nun eine arme, schutz- lose, dem Gespött der leute preisgegebeno Witwe wöärel’ ‘Je, nun, da war Hein Polters einfach erschossen. Das mit der Wange streicheln und dem Christin- chen, das hätte er eben auch nicht tun sollon, da saß er nun wioder mal hübsch In der Falle. Schon am nächsten Tage Ist er dann mit Christine zum Standesamt gelaufen. Kann man dagegen etwas machen, nein“, endete der Lotse, „nur. auf was für Ideen die Frauen kommen? Ich zunı Beispiel wäre nicht darauf hereingefallen, aber der Hein, der dumme Hein, mußte es, wo er an sich gar nicht mehr heiraten wollte.“ Das leuchtende Rot {R. Krlesch) „Bin ich so gut in der Farbe?“ — „Prima — und rückwärts würd’ ich mir noch 'n Schlußlicht draufmalen!** Il rosso brillante: “Mi sono dipinta bene?,, — "Benissimo! E di dietro mi pingerei sopra anche Il fanalino rosso!,, 647 -NIKOLAUS . VON HEINZ STEGUWEIT Unsere Stadt war noch vorhanden, spät kam ich damals heim, Besorgungen und Besorgnisse hat: ten mich festgehalten Im Dickicht der Straßen, und der Weg nach Hause war durch unfrohe Dü- sterheli geschehen, Wo alles äußere Leuchten fehlt, da hilft jenes, das man In sich spürt. doch pur platonisch. Eilig hat man's, der Wagen stellt Forderungen, und die Seele braucht Quartier; also wird gehastet, doch In der Finsternis Ist heute alle Boschteunigung ein Hindernisrennen. Das genze Leben scheint ein Hindernisrennen Aber der. Gaul muß durch und hinüber, Wer streicht die-Wolken vom Monde weg, wer redet den er- loschenen Laternen. ins Gewissen — ein Mensch läuft gegen den andern, doch man sagt „Ver- zelhung”, und solange man Verzeihung sagt, Ist roch nicht alles verloren. Nachtwandler wir. Ich sagte, daß Ich spät heimgekommen sel. An Der Gockel - Il gallo der Ecke schon, zwanzig Schritte vor der ver- trauten Tür, grub ich die Schlüssel aus der Hose, und weil das Gemisch von Nacht, Einsamkeit und Totenstille auch für die kleinste Erlösung dank- bar ist, klimperte ich mit dem Bündel, das hob die Laune, das machte Mut, Da trat aus der Nische des Nachbarhauses eine Frau, nicht Jung, kaum alt zu nennen, ein mütter- licher Schatten jedentalls Das Weibchen flüsterte mich an: „Nikolaus?“ — Wie sollte Ich Nikolaus heißen Ich habe nichts gegen die Nikoläuse, erst recht nicht wenn sie von Kues sind oder den Beinamen Kopernikus tragen. Ich fühlte mich plötzlich "seltsam geborgen in der Haut dieses Nikolaus, der so liebevoll erwartet wurde, Aber Ich mußte Abschied nehmen von einom Wesen, das Ich nicht war, darum klimperte ich noch eln- mal mit dem Schlüsselbund, und die Nachbarin, des fremden Tons inne dend — nicht alle Schlüssel klimpern gleich, wer zählt die Nuancen — sprach welter ins Dunkle: „Ach, Sie sind nicht mein Nikolaus?” Ich verneinte, hielt es aber für human, der Vernelnung einen bedauernden Klang (F.Bloyer) „Sel net so eifersüchtig, damIscher Tropf, damischer — igeh la bloß zweg'n de Oar zu deine Henna!" "Non asser cosl geloso, gran minchione che seil ... Solo per le uova vado dalla fua gallinal,, 648 mitzugeben: „Leider, verehrte Nachbarin, leider bin ich's nicht. Ist der Nikolaus etwa Ihr Sohn?” — Die müiterliche Frau schoß flugs die Frage ab: „Sle kennen ihn?” — Es tat mir wehe, wiederum das Weiblein enttäuschen zu müssen; doch auch diesmal blieb meine Stimme nicht ohne Trost, da Ich sagte: „Ich würde mich freuen, Ihren Nikolaus kennen zu lernen.” — Der Leichtsinn dieser Be- hauptung leuchtete mir bald ein, da Ich grübelte: Am Ende ist der Nikolaus noch ein Kind? Oder ein Lausojunge, der irgendwo mit andern seine Zeit bei Murmelspiel und Blindekuh vergeudet? Ich ließ die hartende Mutter nicht im Stich, war vielmehr entschlossen, Ihr beizustehen, denn der flehentliche Tonfall Ihrer Fragen verlangte nach Hilfe, Sorgfalt und Verständnis. Also Iloßen meine Schlüssel das Klimpern sein, nun hatte ich's weniger eilig, in meinen mannigtältigen Regun- gen offenbarte sich das menschenfreundliche Herz So daß Ich, der mütterlichen Frau eine Hond bietend, mit teilnehmendem Wohlgefallen mich dem Katarakt ihrer Erzbhlungen, nein: ihrer An- klagen unterzog. Obwohl es finster war, glaubte ich die Bitterkeit des Gosichtes und die Be- wegungen der Hände zu beobachten, Indes dor emsige Mund lamentlerte: „Mein Nikolaus, so was Ungezogenes. Wer welß, wo er wieder lumpt. Achizehn Ist er alt. Und hat's schon mit don Ricken Murmelspiel und Blindekuh? Ach, Sle —I“ Die Mutter wartete seit Stunden auf den Sohn Hatte In der Dunkelheit berelis slebenmel fremde Herren angasprochen: „Nikolaus? Von einer Ent- täuschung In die nächste strauchelnd, war sie zuweilen wiedor Ins Haus gegangen, hatte die Bratkartoffeln vom Hord geschoben und den Kaffee unter die Mütze getan. Hatte auf dio Uhr geschen, die Stunden gezählt und abermals den Gang vor die Haustür gewagt‘ „Nikolaus?“ Er kam nicht. Und die Frau hub weiter zu spro- chen an: „Ich bin Witwe. Hab mir alles ab- gezogen für den Jungen. Groß sollte er worden und was lernen. Nein, ein Kreuz Ist das und eine Schande Wie spät ham wir?” Ich zückte die Uhr: „Bald zwölfe, Frau Nach- barin Aber sachte, der Nikolaus wird schon kommen " Sie legte die linke Hand vors Bäuchleln und stützte In der rechten ihre Wange, wie's besorgte Hausfrauen Ödfters tun: „Noo, so was. Um achte hat er essen sollen. Aber das Mädel is Ja wich- tiger Und der Bongel hat noch nix, kann noch nix, versteh" noch nix, Wäre wenigstens die Lehro bestanden, Der Ludrian. Wenn mein Seliger das wüßte, der schlüg’ Ihn semmelwelch. Aber mein Mann war gut. Weiß Gott, von dem hat er's nit, das Flönleren und so, Nein, der Bruder von mei- nem Mann, akkurat der war so einer, der Is auch nach Amerika durchjebrannt mit 'ner andern — Wie spät ham wir nu?” Ich sagte „zwölt Uhr achtzehn“ und mühte mich red!ich, den Zustand ‘wohlwollender Neutralität zu wahren, mindestens aber nichtkriegführend zu sein. Doch die mütterliche Partnerin ließ dos Schweigen nicht gelten, sie verlangte Charakter und rührte mit den Ellenbogen an meine Selte: „Wat meinen Sie?“ * Mich banden keinerlei Beziehungen an Nikolaus, nur die harrende Mutter war mir seit einer hal- ben Stunde vertraut und ein wenig auch an die Seele gewachsen. Mich dauerte die Witwe, die jahrelang für den Bengel gesorgi, gespart, ge- schufiet hatte, und nun lief Nikolaus hinter frem- den Sternen her, „Ach ja, Muttorchen, so ist's alleweil im Dasein.” „Sie sagen auch, daß er ein Lump sei —?" Hier wurde mir heiß Ich sollto und Ich mußie mich entscheiden, die Nachbarin duldete keine Auswege mehr Well Ich aber zwischen Nikolaus und mir nicht alle Brücken sprengen wollte, ver- suchte Ich — an die mühsam warmgehaltenen Bratkartoffeln und den Kaffee unter der Mütze denkend — einen mittelschweren Satz, etwa die: \ sen: „Sie haben recht, es ist nicht schön von Nikolaus.“ Die Frau wurde rebellisch, Die linke Hand glitt vom Bäuchlein, die rechte von der besorgten Wange: „Wie spät ham wir jetzt —?" Auf meinen Bescheid, daß es nun hurtig auf ein Uhr nach Mitternacht losgehe, hub die Mutter laut und allerwärts vernehmlich zu poltern an: „Aber so gestehen Sie doch, daß der Bengel ein Satan Ist...“ Sie weinte, Und ihr Schluchzen, das mit der Bitter- keit aller Schmerzen geschah, deren eine ver- ratene Mutter fähig ist, verpflichtete mich, den treulosen Sohn nun wahrlich einen Wicht zu nen- nen und sein Betragen als ausgemachte Rüpelei zu verdammen... ».. da kam der Nikolaus, Mit dem Fünkchen einer Zigarette leuchtete er sich durch die Dunkelheit, sein Gang war lässig, seine Stimme ohne be- Der boshafte Klapperstorch ÜN \\ La cicogna maligna sonderes Schuldgefühl: „Mutter?”” — Und die Nachbarin streckte beide Arme aus, lief dem Fünkchen entgegen, drückte den Jungen an sich: „Nikolaus, lieber und guter, bin ja so in Sorge, hab ja solche Angst um dich; nicht wahr, nun kommst du zu mir, kommst in die Küche, mein Goldkerl, ach du — Nikolaus... Er warf das Fünkchen weg. Ließ sich alle Lieb- kosungen antun, und ging, die Mutter am Arm, zur Treppe hin, den Bratkartoffeln und dem warm- gehaltenen Kaffee entgegen. Meine Augen aber, die sich ans Finstere gewöhnt hatten, schauten zur Nachbarin hin, deren Blicke freilich die meinigen stumm und wie etwas Feindseliges maßen. So, als wäre ich ein Abtrünniger und ein Verführer, vor dem man den lieben Jungen be- schützen mußte, Ich klimperte erneut mit meinen Schlüsseln. Mein ' Wort, ich mische mich nie wieder ein. 649 N IN (Fr. Bilok) AN I N N N N IN NÜRIN ep) 7 NDOYA\ A li® I Sp \ N N JS N 1 EN» MEIN FREUND JOHANNES Wir waren zu dritt unterwegs, Ich hatte die Reise- kasse. Nach unserer Rückkehr machte ich einen Überschlag. „Freunde, wir haben viel zu viel Geld verbraucht”, stellte ich fest, Schrecklich!” rief Martin. „Schrecklich?” staunte Johannes. „Ich fand es schön.” * Ich machte mir Sorgen um einen meiner Neffen. „Der Kerl ist noch so jung, soll aber schon ein recht bewegtes Leben führen. Seine Mutter sagte mir, er tränke sogar manchmal heimlich”, er- zählte Ich. „Na, so lange er nicht unheimlich trinkt!" meinte Johannes beruhigend. 3. Bieger Ihre Sorge (K. Heiligenstaedt) „Wenn du mich noch weiter so ärgerst, Alfred, bin ich bald zum Skelett abgemagert!* La sua preoccupazione: ‘“Senti, Alfredo, se continui a darml nola, presto mi vedrai fatto scheletro...!,, 650 DIE SENSATIONSNUMMER VON 30 HANNS ROSLER Der Mann, der im Wandelgang des großen Zirkus wartete, sah nicht aus, als ob man auf Ihn ge- wartet hätte. Klein, unscheinbar, von schmäch- tiger Figur, so lief er mit gesenktem Kopf vor der Tür des Büros aut und ab. Wenn er sein Ge- sicht hob, um eine der großen gelben Affichen an den Zirkuswänden zu studieren, so entbehrte sein Blick jeder Sicherheit oder des schnellen Erfassens des Gelesenen. Ich will damit nicht sagen, daß er gerade dumm aussah, aber er hätte, wenn er es darauf angelegt hätte, ge- raume Zeit und vieler Worte gebraucht, die Leute vom Gegenteil zu überzeugen. Und wle man sich gibt, so wird man In der Welt behandelt, Den Unsicheren Üüberflügeln die Siegesgewissen und es ist kein Wunder, daß der Mann, der hier wartete, länger warten mußte als die Tierbändi- ger, Feuerfresser und die hochbeinigen Ballerinen, die nach Ihm kamen und vor ihm in das Büro des Direktors gerufen wurden. Als er endlich nach zwei Stunden eintreten durfte und dem Direktor mit dem berühmten Zirkus- namen gegenüberstand, drehte er verlegen den Hut In der Hand. „Ich komme —” „Sie sind Artist?“, fragte der Direktor sachlich. „Gewissermaßen sozusagen Ja.” „Und Sie wollen bei mir auftreten?” „Sozusagen gewissermaßen Ja.” „Mein Programm ist komplett. Vielleicht später einmal.” Der Artist war schon wieder an der Tür, da blieb er stehen und wandte sich noch einmal um. „Ich wäre aber eine Sensationsnummer gewesen, Herr Direktor.” „Mein Programm besteht nur nummern.” „Wenn auch — das, was ich mache, hat vor mir noch keiner gezeigt.” Der Direktor lächelte nachsichtig. „Was zeigen Sie denn?” „Den Todessprung.” „Den Todessprung?” „Ich springe von der Zirkuskuppel mit dem Kopf voran in die Manege.” „Mit Netz?" „Nein. Ohne Netz.” „Unmöglichl” „Ich stürze mich mit dem Kopf vornweg aus der höchsten Zirkuskuppel auf die blanke Breiter- bühne und bleibe‘ dann noch eine Minute auf dem Kopf stehen.” Der Direktor war aufgestanden, kam Interessiert näher. „Wo sind Sie damit schon aufgetreten?” „Noch nirgends. Es wäre mein erstes Engage- ment.” „Was verlangen Sie?" „Hundert Mark pro Tag." Der Direktor mit dem berühmten Zirkusnamen brannte sich eine Zigarre an, ein Zeichen, daß er für etwas längere Zeit hatte, „Also gut“, sagte er und klopfte dem Todes- springer aufmunternd auf den Rücken, „führen Sie mir Ihr Kunststück vor! Wenn Sie halten, was Sie versprechen, sind Sie engagiert.” Und so geschah es. Die beiden verließen das Büro, betraten die weite Manege, In der gerade das hölzerne Bassin für die Wasserpantomime auf- gebaut war und in dem das Ballett im Trocknen probierte, der Artist drückte dem Direktor die Hand und kletterte bedächtig und mühselig die zweiundzwanzig zwei Meter stellen Leitern längs der Zirkuswand empor, bis er endlich oben in der Mitte der Zirkuskuppel stand. „Scheinwerferl” rlef unten der Direktor in die Beleuchterkanzel. Vier Scheinwerfer flammten auf, erfaßten den Mann in der Zirkuskuppel. Eine ätemlose Spannung hatte alle erfaßt. Ohne Kom- aus Sensations- Verlag und Verantwortl, Schı anstalten onige; ezugspreine: Einzelnum tuck: Knorr & Hirih Kommandiigesellschaft, Müncheı for Folizlek, München. — Der £implicissimus ersch Pt.; Abonnement im Mo: mando setzte ein Trommelwirbel ein. „Achtung!“ „Fertig?” „Fertig! AbI* Der Mann sprang. Mit dem Kopf zuerst landete er unten auf den Brettern. Hart krachte der Aufschlag, Aber der Mann stand. Er stand auf dem Kopf. Wohl schwankte er ein wenig, als er sich erhob. Aufgeregt ellte Ihm der Direktor entgegen. „Großartig! Einmall Unerhört! Die Sensationsnum- mer! Sie sind engaglert! Hundert Mark pro Abend!” Der Artist beutelte ein wenig benommen den Kopf. „Zwelhundert, Herr Direktorl” „Zweihundert?” „Zweihundertl” „Aber vorher sagten Sie doch hundert?” Der Todesspringer strich sich mit schmerzhaftem Gesichtsausdruck über den Kopf und antwortete: „Vorher wußte ich nicht, daß es so wehe tut —.” DER KAVALIER VON HEINZ SCHARPF Pfiffette, ein ebenso graziöses wie verwöhntes Mäuschen, stammie aus sehr alter, vornehmer Familie. Seine Annen sollen schon in: den Kreuz- zügen an Gottfried von Bouillons Suppenwürfeln genagı haben. Ein Oheim Pfiffettes hat sich rühm- lichst im Froschmäusekrieg hervorgetan, Auf je- den Fall gehörte des Mäuschens Sippe zur ersten Hofgesellschaft, sowohl was die Vorder- als die Hinterhöfe betraf, Selbstverständlich war Pfiffette von Jugend auf nur von Kavalleren umgeben, Zu diesen gesellte sich eines Tages ein junger Mäuserich, der war ganz erpicht darauf, dem gnädigen Fräulein zu dienen. Des gnädigen Fräuleins Instinkt sagte Ihm auf den ersten Blick, Monsieur scheint ein Kavalier zu sein, ob er es bis in die äußersten Finger- spltzen, respektive Krällchen, war, das mußte sich erst erweisen. Und es unterzog Ihn fleißig der Probe auf das Exempel, Ein Kavalier ist dazu da, einer Dame in jeder Situation das zu zeigen, was ihn ausmacht. Mäu- serich demonstrierte den Kavalier sozusagen blind- lings. Pfiffette blickte zum Beispiel mit ihren hellen Aug- lein begehrlich nach einem Wurstzipfel, der aber aussah, als hätt’ er Gift im Leib. Mäuserich biß flugs und unverzagt hinein, um den Grad seiner Bekömmlichkeit festzustellen. Die fürchterlichen Grimassen, die er gleich darauf schnitt, bevor er elligst in Nachbars Garten verschwand, übersah Mäuschen indigniert. Ein andermal wollte Pfiffette über einen Bach. Mäuserich warf sich wie ein Kanalschwimmer in die Brust und dann sofort Hals über Kopf in die Fluten, die ihn schlimmer als den Schillerschen Taucher hinabwirbelten. Von einer mitleidigen Welle wieder ans land gespült, bot er darauf noch stundenlang das klassische Bild einer ge- tauften Maus. x Bei jedem Sprung in die Tiefe sprang selbstver- ständlich Mäuserich zur Probe voraus, wobei er einmal einen seiner schönsten Nagezähne ein- büßte, was empfindlich an seiner Seele nagte. Immer war er darauf bedacht, das verehrte Mäus- chen vor sicheren Hals- und Beinbrüchen zu be- wahren. Mit jedem Tropfen selnes Herzblutes diente er dem eigenwilligen Geschöpf, das ein so schlankes Hälschen besaß und so zarte Bein- chen sein eigen nannte. Einmal gelüstete es Pfiffette, einem alten Kater Sondlingor Straße 20 t wöchentlich _einm 1 RM. 1.20. — Unverlı nut 1296). Br jollungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- gie Einsendungen werd chdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München. auf der Nase zu tanzen, der gerade seln Mittag- schläfchen hlelt. Ob er wirklich so guten Gewis- sens schlief? Mäuserich setzte kühn über seine Nasenspitze hinweg, da hatte ihn Jener schon am Kragen. Nur der senlien Spiellust des Katers verdankte er sein Leben, der ihn einen Augen- blick los ließ, so daß er zerschunden und zer- kratzt entweichen konnte. „Gefährlich Ist's, den Leu zu wecken!” glossierte Mäuschen dieses Abenteuer von oben herab, wie es zu allen Taten Mäuserichs nicht viele Worte machte, Kavalierspflichten verstehen sich von selbstl Eines Tages hatte Mäuschen im Keller Speck entdeckt, Knusprigen Schweinespeck, mit den schönsten Trichinen gespickt. Er befand sich hin- ter einem romantischen Drahtgeflecht, In dem Mäuserich sogleich eine Falle vermutete. Es roch im Umkreis so verdächtig nach menschlicher Ge- meinheit, „M—m”, spitzte Pfiffette das schleckrige Mäul- chen, „In Speck gebratene Trichinen sind eine Delikatesse, der Ich nicht widerstehen kann.“ „Nur über meine Leiche”, verstellte ihr Mäuserich den Weg, um dann: selbst sofort jenen zu neh- men, der in das Drahtgeflecht führte. Schnapp, da saß er schon gefangen. Vergebens suchte er in die Freiheit zurückzufinden. Das ließ ihn seine gute Erziehung auf einen Augenblick vergessen. Er stieß einen Fluch aus, allerdings im eleganten Französisch, aber es wurde trotzdem kein salon- fähiger Ausdruck daraus. Chokiert zog sich das Fräulein zurück, Mäuserich fluchte auf gut Deutsch welter, bis Ihm der Atem zu kurz wurde. Niemand kam, ihn zu befreien, nicht einmal der Tod. Von Hunger ge- plagt, fraß er schließlich den Speck auf. Als Pfiffette dies gewahrte, erstarrte sie zu einer Salzsäule. Er war eben doch kein vollendeter, sondern nur ein Pseudokavalier, dieser Mäuserich, Wieso? fragen Sie? Sie fragen das, ohl — Ein vollendeter Kavalier hätte niemals in Gegen- wart einer Dame geflucht, ein untadeliger Kava- lier hötte- unter keinen Umständen den Speck geliessen, nach dem es der Auserwählten seines Herzens „elüstete, sondern ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle hätte ihn Pfiffette mit Grandezza durch die Gltterstäbe herausgereicht, — sich ein Monokel ins Auge geklemmt und den Radetzkymarsch gepfiffen. Damit Sie es wissen! LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) Schlammbäder müssen heiß genossen werden. Als Ich mein erstes Schlammbad nahm, schwitzte ich Blut, Das waren bei Gott Temperaturen! Und immer wieder rumorte draußen im Gang der Bademeister und ließ heißes Wasser nach. Als ich aus“dem Bad ging, traf Ich ihn draußen bei den Hähnen. „Haben Sie denn hier meter?“, fragte Ich. Er brummte: „Haben tun wir schon eins, aber funktionieren tut’s halt nimmerl 's Ist Krieg, net wahr?“ „Und wie kontrollieren Sie dann von außen die Temperatur?” ‚Ja mei — ‘bald drinnen einer Aul schreit, nach- her ist 's meist zu heißl” I.H.R. draußen ein Thermo- fanschrift: München 2 BZ, Brieftach. wenn Porto beiliegt. — jen nur zurückgesandt, (E. Thöny) Die Herren von Süditalien Billyl und jetzt suchen wir noch ein Altarbild für daheim übern Kamin, «..„e adesso, Billy, cerchiamoci anche una pala d’altare, da metter sopra il nostro caminetto!,, I signori della Bassa Italia: 652 SIMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Der Weihnachtsstern (Wilhelm Schulz) Der strenge Luftschutzwart; „Licht aus!“ La stella di Natale: Il severo capocasegglato: ‘‘Spegnete la luce!,, Heimkehr aus dem Winterwald-- Ritorno dal bosco in Inverno SCHLECHTE LAUNE VON WALTER FOITZICK Wer noch nie 'schlechter Laune war, werfe den ersten Stein auf mich. Man hat mich gelehrt, daß schlechte Laune ein Zeichen von mangelhafter Erziehung sei. Der wohl- erzogene Mensch hat keine schlechte Laune zu haben. Die Leute haben gut reden. Zur schlechten Laune gehören mindestens Immer zwei, einer, der sie hat, und einer, an dem er sie SILENTIUM! Viel gibt's, was man nicht ficher weiß, weshalb man als erfahrner Greis freimillig teils, teils notgedrungen zurückhält mit den Außerungen. Was kommt beim Reden auch heraus? Nur felten erntet man Applaus. Im Gegenteil, rückt man am Dechel, gleich heißt's: Stlentium, alter Ehelt Beherrfche drum dein Sprachorgan und denke höchftens dann und wann, - Wer’s lernt, auch das fich zu erfparen, wird allerdings noch beffer fahren. Ratatöchr ausläßt. Natürlich kann man sie auch an mehrere richten. Der Mann auf der einsamen Insel ist daher in einer unangenehmen Lage, er merkt überhaupt nicht, wenn er schlechter Laune ist. Oder wie sollte er plötzlich losfahren: „Zum Donnerweiter, wo sind denn wieder meine Hausschuhe? Und die Hosen sind auch nicht ausgebürstet, und Ich hab schon hundertmal gesagt, ich will nicht, daß meine Briefmarken auf dem Schreibtisch verbraucht wer- den. Wenn ich mal schreiben will, ist nie eine da; aber darum kümmert sich natürlich niemand, und außerdem ist wieder vergessen worden, das Salz auf den Frühstückstisch zu stellen.“ All das kann der einsame Insulaner nicht mit er- tegter Stimme von sich geben. Die, geeignetste Zeit für schlechte Laune Ist der frühe Vormittag. Solange Sie allein sind, geht es Ihnen wie dem Manne auf der einsamen Insel, es fehlt der Partner für schlechte Laune, Haben Sie einen Haushalt, eine Frau, Kinder, eine Zugeherin oder eine Zimmervermieterin, wird sich das Ob- jekt mit Leichtigkeit einstellen. Stellt es sich nicht von selbst ein, werden Sie es suchen. Schließlich gibt es Ja noch Mitfahrende in der Straßenbahn. Ha, was sind die Verkehrsmittel für prächtige Orte, um die schlechte Laune an den Mann zu bringen! Wenn aber durchaus niemand zu finden ist, gehen Sie einfach in ein Postamt, stellen sich am besten an einen falschen Schalter und versuchen eine Briefmarke zu kaufen. Sie sol- len mal sehen, wie das auf Sie wirkt. An solchen Tagen ist der Verkehr mit Behörden oder anderen Vorgesetzten höchst befreiend, aber gefährlich. Nur ganz Geübte sollen sich auf dieses Gebiet begeben. Natürlich gibt es auch Frohnaturen, die in der Frühe von einer geradezu olympischen Heiterkeit, 654 (R. v. Hoerschelmann) ar ART, un SE EIERN Lebfrische und Abgeklärtheit sind. In Hotels sitzen sie am Nebentisch und vereinigen die Blicke der morgendlich Schlechtgelaunten auf sich, Sie sind geradezu vorbestimmt dafür, auslösend auf die Mißgestimmtheit der andern zu wirken. Ich wüßte übrigens einen neuen Beruf: Der Mann, der jeden Morgen die schlechte Laune des Haus- herrn entgegennimmt. ‘Er kommt wie der Brief- träger oder der Masseur, womöglich etwas un- pünktlich, Der bekommt seinen Krach und kon- zentriert auf sich all das, was sonst auf Familien- mitglieder und Büroangestellte niedergehen würde, Erlöst und heiter verläßt das Familienoberhaupt die Wohnung. OBOENLIED Die du fo oft verwandelt meinen Hauch in Ton der Schnfucht oder Fröhlichkeit, liebe Oboe, fo komm nun heute auch und fel mit mir zur Rillen Flucht bereit. Wir wollen wieder einmal heimlich flichn vor den Gedanken an das Zeitgefchehen, und deine zarten, füßen Melodien laß zu den fchönen, bunten Blumen wehen. Dort foll dein Lied mit ihrem Duft fich paaren und meiterfchmebend über Wald und Au sleich einem Wölkchen durch die Lüfte fahren als Gruß von mir an die geliebte Frau. Herbertvon Franquet Der Urlauber et) „Woaßt, Xaverl, mit dene Bolschewiki werd’ i scho ferti, aber daß unser Bräund! a schwache Hinterhand kriagt, macht mir richtige Sorg'n!“ Soldato in licenza: ‘Sai, Saverio, con quella razza di bolscevichi me la sbrigo bene io; ma che il nostro sauro s’ indebolisca di dietro, cio mi dä molto a pensare!,, 655 Fortschritt (Ö. &ulbransson) — mn 427.:52 Urn I EGÜRREREP- EZ Sr SOLar AvLßnanssaon Gs « „Wie primitiv die Leute doch damals waren, wir machen das mit Bomben schneller!“ Progresso: ‘"Com'era primitiva allora la gente! Nol colle bombe facciamo piü presto!,, 656 IN MEMORIAM 24. Xil. 1818 {0, Nückot) Wir wollen geiftiwels ins Salzburg’fche fahren... Vor hundertundfünfundzwanzig Jahren, mitten im Winter, zur Weihnachtszeit, haben dafelbft zwei wackere Leut” ein Lied felbander zur Welt gebracht: Stille Nacht! Heilige Nacht! Der Kooperator Jofeph Mohr reimte die fchlichten Verfe zuvor; aber Franz Xaver Gruber, der Lehrer, Sankt Cäciliens frommer Verchrer, Tann Darüber und fpann um fie die allerholdfeligfte Melodie. Ste it in alle Fernen gedrungen. Wir alle haben fie einmal gelungen. Und denken wir unferer Kinderzeit und des Lieds, dann wird ung das Herze weit, dann wird uns dag Herze fehnfuchtfchwer ... * Wohl hundert Jahre hinterher - auch feiner wollen wir nicht vergeffen - ift Einer in Fürftenfeldbruck gefeffen, als welcher Michael Kohlhaas hieß und fich der Kunft des Schreibens befliß. Wie das alles damals gefchehn und gemwelfen, könnt ihr in einem Büchl Iefen, 657 in einem lieben, kleinen Bücht, fo luftig und bunt wie ein Bauerntüchl, drin er's aufs haargenau’fte befchrieben, grad fo, als wär’ er in felbigem Neft anno 18 leibhaftig dabei geweft. Schlagt’s auf, wenn draußen die Flocken Rtieben! * Der Drei laßt uns dankbar heute gedenken - mehr können wir ihnen leider nicht fchenken. Lebkuchen? Pfeffernüffe? Wozu? Sie haben den Frieden und ewige Ruh’, Dr. Omiglaß DINERNMEIRFERZIEH © Mein Großvater — Gott hab’ ihn selig — war ein Mann, dem es an allem fehlte, nur an Humor nicht. Er war ein richtiger Hans im Glück. Einmal soll er sogar wohlhabend gewesen sein. Aber er kam sich gewissermaßen erleichtert vor, als er diesen Reichtum verwirtschaftet und damit dem Dilemma zwischen aufrichtigem Streben zur Er- haltung des erreichten Wohlstandes und der Er- kenntnis des eigenen Unvermögens zu solchem Streben ein Ende bereitet hatte, Er war wieder arm und besaß nichts als die Kraft seiner Fröhlichkelt. So war es ihm am liebsten. Nicht aber seiner Frau, welche ahnentafelhalber meine Großmulter gewesen sein muß. Sonst habe ich nicht viel von Ihr erlebt, denn sie ward ihres leichisinnigen Mannes vielleicht frühzeitig leid und zog sich in eine eigene Stellung zurück, die ihr eine gesicherte Ruhe ermöglichte, Mit meiner Mutter und ihren anderen Kindern pflegte sie übrigens das beste Verhältnis. So bekam der Großvater auch von dieser Seite wenig Vorwürfe zu hören und tummelte sich recht unbekümmert in der Sorglosigkeit seiner Un- angebundenheit. Meistens fuhr er über Land und half den Bauern mit einigen guten Salben und Sprüchen für und gegen die Gicht. Die Bauern behaupteten, daß es wirklich zusehends besser werde, und verehrten den Großvater wie einen iebendigen Helligen. Der ließ sich’s wohl gefal- len, besonders wenn sie ihm mit Kraut und Ge- selchtem auftischten, Das sei so das Essen der armen Leute, meinte er dann und vermachte die Brot- suppe großzügig den Relcheren, wenn sie Ihm zu wenig geschmalzen war, Ja, der Großvater durfte wohl An- sprüche stellen und er hätte zu sei- ner Zeit bestimmt nicht alles ge- gessen, was beispielsweise der Herr Oberamtsrichter auf den Tisch ge- stellt bekam. Aber auf der Straße tat der Oberamtsrichter — oder wer es gerade sein mochte — ganz an- ders, also von oben herab und der Großvater tat von unten hinauf, wo- mit er sich auch bei diesen Ständen ein wohlwollendes Ansehen erwarb. Dieses führte sogar so weit, daß der Großvater einmal im abgelegten Gehrock des Herr Oberamtmanns vom Bezirksamt und dann wieder im aufgetragenen Hut des Herrn Regie- tungsrates vom Finanzamt auftrat, Dann machte der Großvater einen lustigen Eindruck, aber er wedelte mit den Schößen des Gehrockes so geschickt, als ob sie aus seiner eige- nen Haut wüchsen und grüßte mit dem Hut so elegant, als ob seine Finger zeitlebens nur Zylinderhüte gespürt hätten. Wer es sah, freute sich und seine Beliebtheit zog weite Kreise. Ein Bauer trug es dem ande- ren auf, daß der Großvater sich wie- der einmal sehen lassen solle. Da- bei war es höchste Zeit, daß er sich ein paar Wochen Urlaub gönnte, denn von der guten Ernährung auf dem land waren auf seinem Leib einige Fettschichten zurückgeblieben, welche das Gewicht und das Atmen schwerer machten. Und außerdem wurde er mit den Jahren auch älter. Aber das wäre alles nicht so schlimm gewesen, wenn ihn nicht die ver- VON FRIEDRICH WOLFGANG KOLLMANN maledeite Zeh geplagt hätte, die seit Wochen dicht unter dem Nagel offen war und um nichts In der Welt zuheilen wollte. Selbst alle Salben, die e: früher bei Wunden und Geschwüren verordnet hatte, versagten nun an seiner eigenen Zeh. Zum erstenmal in seinem Leben gab sich der Großvater einer ans Schwermütige rührenden Trau- rigkelt hin Das Landvolk, das er früher mit seinen Späßen mitriß, unterstützte Ihn nun in seinem Jammervollen Leid, Alles wegen der wehen Zeh Ja, eine wehe Zeh. Nein, so was! Dagegen muß doch eine Salbe helfen! Nein, das war es ja eben, daß keine Salbe half! Im Gegenteil, jetzt eiterte die Zeh auch noch bald und machte .dem Großvater bei jedem Schritt grimmige Schmerzen. Die Gänge aufs Land wurden spärlicher und der Großvater hockte Immer häufiger bei uns zu Hause herum, Da zeigte es sich, daß der sonst so lustige Mann auch recht ungeduldig und niedergedrückt sein konnte, B Weil ich damals gerade zehn Jahre alt war und Schulferien hatte, schickte man mich mit ihm spazieren. Auf dem ganzen Weg jammerten wir über die wehe Zeh um die Wette, er, weil er Schmerzen hatte, und ich, well ich aus kindlichem Mitgefühl ebenso sehr litt. So plagten wir uns durch die heimatlichen Wälder von einem Bauern- hof zum anderen und erweckten allseits tiefes Bedauern. Die Bauern hatten alles vorbereitet. So SPUKHAFTE RHEINFAHRT Gespenstig jagt auf glattem Schienenband Der Eilzug durch das feiste grüne Land. Ein Dichter denkt: Er ist die Kraft, die Tat! Schreibt ein Gedicht nach stählernem Diktat. Die Reben ziehn vorbei in langen Reihn, Ein ferner Dunststreif sagt: dort fließt der Rhein. Die schlanken Pappeln, diese Sturmverächter, Sind seiner Ufer altgetreue Wächter. Sie zeichnen durch das Land die Spur der Straßen: Geometrie, in der nahrhafte Kühe grasen — Bukolisches Idyll! — mit mütterlichen Eutern Und treuen Augen. Überklugen Deutern Ein Vorbild der bescheidenen Nafur!, . Dann plötzlich Wald. Geheimnis, das, vom Sung des Stahls durchhallt, In sich verbirgt den tiefern eignen Spuk Vom sanften „Spinnmweb“ und vom kecken „Puck“ ‘Auf einmal fühlst du dich bei Shakespeare -Gast. Zerreiße, Freund, was du gedichtet hast! Vom Wasgaugrat. der Goethen einst entzückte, Als Friederikens Fernbild ihn beglückte, Sinkt dunkelblau und silberklar die Nacht, Der Zauber soldier Stunde ist erwacht, Die Meister grüßt mit goldenem Betören Die schlanke Birke herbstlidı aus den Föhren. Ein Maler sieht's und spöttelt: „Kitsch“ — und wendet Den eitlen Blick zum eignen Untalent... Der Zauber endet. RAINER PREVOT 658 lange wir bei ihnen gastlerten, konnte Ich mich auf dem Heuboden tummeln, während der Groß- vater seine Zeh in Kamillentee badete. Aber kaum fuhr er in den Stiefel, da schrie er auch schon vor Weh, daß uns das Herz stehen bleiben wollte. Ich weiß nicht, wieviel hundert Salben auf die Zeh geschmiert wurden. Nach Aussagen des Gioß- vaters halfen sie alle nichts. Da erfuhr er von irgendwo her, daß das frische Harz aus den Bäumen bei irgendeiner Großmutter der Um- gebung, welche dasselbe Zehenleiden zwanzig Jahre lang mit sich herumgeschleppt hatte, ge: radezu Wunder wirkte, Zwanzig Jahrel Du lieber Himmel, der Großvater wußte ja gar nicht, ob er noch so lange zu leben hattel Und mit einer wehen Zeh ins Grab zu steigen, er als Salbendoktor — nein, da wollte er schon lieber Harz sammeln, soviel aus den Bäumen floß. Mit je einer leeren Streichholzschachtel bewalfl- net, schlichen wir fürderhin ins Gehölz Wo ein Tröpfchen Harz in der Sonne glänzte, griffen wir mit pappigen Fingern danach und strichen das Tröpfchen zu den anderen in die Schachtel, deren sechs bereits bis oben angefüllt zu Hause lagen Wir wirtschafteten auf Vorrat, denn die Zeh wurde immer schlechter und der Großvater sah den Tag kommen. an dem meine Ferien zu Ende gingen und er ganz zu Hause bleiben mußte. Sieben Schachteln, acht Schachtelnl Jeden Morgen be- strichen wir die Zeh dick mit Harz ehe der Großvater in den Stiefel fuhr und mit einem lauten Schmer- zensruf vorne anstieß. Aber er ertrug die peinigende Lederhülle tapfer bis zum Abend. Zum Angewöhnen, wie er sagte Am Abend zogen wir dann vorsichtig den Schuh ab und noch vorsichtiger den Socken, denn diese‘ war felsenfest mit Harz und Zeh ver- pappt. Es war eine Prozedur zum Steinerweichen. Der Großvater hielt sich mit beiden Händen am Stuhl fest, während ich den Socken so lange drehte und wand, bis er von der Zeh abging und einen langen Pechfaden hinter sich herzog. Wenn der Socken nicht so varpappt ge- wesen wäre, hätte ich sehen können daß er genau dort ein Loch hatte, wo die Zeh auch eines besaß Doch darauf kamen wir erst später. Als nämlich der Großvater seine Absätze und Spitzen zugelaufen hatte, kamen die Stiefel zum Schuster. Nach drei Tagen holte ich sie ab Der Schuster hielt mich zurück: „Sag deinem Großvater einen schönen Gruß, Bub, und den dicken Nagel habe Ich auch umgeschlagen, der genau vor der großen Zeh nach innen stand! Mit diesem Stück Eisen muß dein Großvater ja allerhand Socken kaputtgerissen haben!” Nicht nur den Socken, sondern sogar eine ganze Zehl Aber der Großvater wußte nichts von dem Nagel, Drum trug er Tag für Tag still ergeben seine wehe Zeh mit sich herum und suchte Harz für ihre Heilung. Wie gesagt, acht Streichholzschachteln hatten wir schon voll. Doch die neunte blieb — unvollendeil Denn seit der Schuster den bösen Nagel umnasrhlanen ha'te, hellte die wehe Zehe von ganz alleine. Zeitwende “ {R. Krlosch) „Weißt du, Guste, die jungen Männer von heute lassen unsere Beine kalt, und auf die alten wirken sie nur noch als Jugenderinnerung!“ Svolta dei tempi: “Sal, Augusta, ai glovanoiti d’ oggi le nostre cambe non fanno impressione e nei vecchi non destano che rimembranze di gloventl,, 659 Der Zauberspiegel € Bak) Lo specchio megico 660 ICH HAB GENUG VON BRUNO WOLFGANG Es sind nım ziemlich genau zwanzig Jahre her, seit Herr Wanka starb. Sein Todesdatum steht zwar in den Verzeichnissen nicht vermerkt, aus denen die Zeitungen die Anregung für ihre mehr oder weniger tiefgründigen Betrachtungen über ver- storbene berühmte Männer entnehmen. Wanka war kein berühmter Mann. Aber eine Zeitlang galt er doch als der wichtigste Mann von Hinter- petzluckau und stieg vorübergehend sogar zum Range einer Weltsensation empor. Und alles nur durch drei schlichte, bescheidene Worte, Sie standen auf dem winzigen Häuschen, das Herr Wanka draußen in der Au besaß. Nach einem jahrzehntelangen Leben äußerster Bedürfnislosig- keit hatte er es aus eigenen Erspamissen und mit eigenen Händen erbaut. Zum Schluß hatte er mit großen Buchstaben über die Tür gemalt: Ich hab genug. Eine Unverschämtheit sondergleichen, So lautete die allgemeine Ansicht. Jedermann wußte, daß er ein Habenichts war, der wie ein indischer Büßer lebte, fast nur Gemüse und Kartoffeln aß und seine Wäsche selbst wusch. Unter diesen Umstän- den zu erklären, daß man genug habe, konnte nur als eine Herausforderung der Öffentlichkeit an- gesehen werden. Die ersten, welche die neue Inschrift erblickten, waren zwei Händler, die eben über die möglichst nutzbringende Verwertung Ihrer Gewinne spra- chen, Sie starrten die Worte zunächst völlig ver- ständnislos an, als wären sie Chinesisch. Dann trat auf ihren Mienen.ein Ausdruck von Ärger und Besorgnis hervor. „Das ist sicher irgendeine Gaunerei von einer neuen Sorte. „Natürlich, Niemand hat doch genug. Nicht ein- mal der Rockefeller.” „Das Ist Ja naturwidrig, Man soll den Kerl an- zeigen.” Schon am Nachmittage kam der Wachinspektor Herr Schebesta zu Herrn Wanka. = „Wovon leben Sie?" „Hauptsächlich von Salat und Kartoffeln.” „Nein, was für Einnahmen Sie haben.” „Ich habe eine Pension ‘von siebenundneunzig Mark.” „Und weiter?” „Weiter nichts.” „Davon können Sie doch nicht leben?” „Ich kann es, Herr Inspektor, ich versichere Ihnen, Ich kann es. Ich bin nicht so, daß ich die Ent- sagung immer nur von anderen verlange. Das Rechte muß man selber tun. Ich ernte auf meinem kleinen Grund so viel Korn, als ich auf Brot brauche, weil ich die chinesische Ackerbeetkultur anwende.” „Aber wenn Sie Fleisch kaufen?” „Ich esse kein Fleisch.” „Und das Rauchen kostet doeh Geld, das Bier, Kleider, Schuhe, Rundfunk, Postporto, Fahrtaus- lagen...” „Ich rauche und trinke nicht. Mit einem Anzug komme ich zehn Jahre aus. Ich gehe den größten Teil des Jahres barfuß. Rundfunk brauche ich nicht, ich schreibe niemandem und fahre nirgends hin.” „Hm. Haben Sie vielleicht einmal einen Treffer gemacht?” „Niemals." „Hm. Oder beziehen Sie irgend etwas? Eine In- validenrente?” „Nein, Ich bin zwar sechzig Prozent invalid, habe aber keine Unterstützung in Anspruch genommen, weil ich sie nicht brauche. Ich habe ja genug.” Jetzt fühlte Herr Schebesta, daß sich ihm die Haare unter der Kappe sträubten wie beim An- blick eines Gespenstes. Er suchte eine Weile nach einem Grund zur Verhaftung, fand aber kei- nen und entfernte sich schließlich sehr ernst. Abends kam der Gemeinderat Hintermuhrer, der drei Häuser hatte und eben einen Prozeß führte, um einer armen Verwandten das vierte abzuluchsen. Voll Biederkeit versuchte er Hermm Wanka zur Änderung der Aufschrift zu bewegen. Vor allem im Interesse des Fremdenverkehrs. Wie würde es einem Fremden je einfallen, sein Geld in ein Land zu tragen, wo ohnedies alle genug haben? Und wenn alle Leute genug hätten, wie könnte da noch jemand ein Geschäft machen? Er schlug harmlosere Aufschriften vor. Etwa: „Ich wünsche jedem, der mich kennt, zehnmal so viel, als er Die Weihnachtsüberraschung - La sorpresa di Natale mir gönnt”, oder „Grüß Gott, wenn's sein muß, tritt halt ein, doch mach dir erst die Füße rein.” Und so weiter. Aber Wanka war trotz seiner Sanftmut zu keinerlei Nachglebigkeit zu bewegen. Am nächsten Vormittag erschienen 24 Bettler, 17 Musikanten und 11 Darlehenswerber. Denn jeder vermutete bei Herrn Wanka geheime Reich- tümer. Es kam ein Reklamechef zur Erforschung dieses neuartigen Reklametricks und ein Steuer- beamter wegen des Steuerbekenntnisses, Dann kam ein Herr in eigenem Auto. „Dozent Dr. Wal- rodt”, sagte er nachlässig, „Ich komme zufällig vorüber, weil ich einen Baugrund für ein Sana- torium suche. Übrigens setzen Sie sich, bitte. Füh- len Sie sich gesund? Puls normal? Pupillarreflex — gut. Haben Sie in der Jugend vielleicht 'n bißchen flott gelebt? Nichts mit dem Rückenmark, he? Vater (A. Pichel) „Ja, schau'n S’, Herr Hefenfinger, selbstgebastelte Geschenke sind halt immer die besten!" "Eh sl, vedele ün po', signor Ditolievito, regali aggeggiati da s& sono sempre i miglioril,, 661 (K. Heiligenstaodt) Das Geschenk „Heuer kann ich Fritzl nichts anderes zu Weihnachten geben, als einen Kußl" „Na ja, wenn du ihn ordentlich streckst, füllt er auch den Abend aus!“ Il regalo: "Quest" anno a Natale non posso dare a Federico che un bacio!,, “Ebbene, se glielo dal lungo lungo, anch’ esso puö colmare la seral,, 662 und Mutter gesund gewesen? Gut. Nirgends in der Familie ein Fall von Paranoia, Irrsinn oder Blödsinn? Nichts? Gut." Dann sprach er noch von Komplexen, Verdrängungen und dergleichen, bis Herr Wanka erklärte, daß auch die Psychoanalyse zu den vielen Dingen gehöre, die er nicht brauche. Der Dozent entfernte sich nachdenklich und machte sich unterwegs Notizen für eine neue Publikation. Am Ausgange der Au warteten der Bürgermeister und Gemeinderat Hintermuhrer. Sie zogen die Hüte und fragten mit besorgten Mienen: „Nichts?” „Nichts“, erwiderte der Dozent und fuhr davon. Die feindselige Stimmung gegen Herrn Wanka wuchs und die Gemeinde suchte schon nach einer Rechtsbasis zur Abschaffung dieses lästigen In- länders. Da begann sich die Sache aber noch von einer anderen Seite zu zeigen, Es kamen Journa- listen, Reporter und Photographen. Alle wollten einen Menschen sehen, der genug hatte. Es er- schienen Berichte und Bilder. Die Witzblätter brachten Herrn Wanka als Säulenheiligen und nannten Ihn „Nirwanka”, Bald kamen auch Fremde und Leute aus allen Staaten der Erde. Selbst In Australien brachten die Blätter das Bild Wankas mit der Erläuterung: „Mr. Wanka pfeift auf alles.” Für das Britische Museum wurde sogar ein voll- ständiger Gipsabguß Wankas hergestellt. Er hätte ein Krösus werden können, wenn er nicht sämt- liche Honorare, Tantiemen und Geschenke zum grenzenlosen Staunen der Welt abgelehnt hätte, Nicht so die Gemeinde. Denn das Gemeinwesen steht unter anderen Gesetzen als der einzelne. Es hat zwar das Recht, vom einzelnen alle Tugen- den zu verlangen, ist aber weder verpflichtet, noch befähigt, sie selbst zu haben. Auch der Arzt nimmt die Medizinen nicht selbst ein, die'er dem Kranken verordnet, Und Wankas Devise mag überall auf der Welt denkbar sein, niemals aber auf einem Steueramt, 7 Die .Gemeinde Hinterpetzluckau hatte sehr bald ihre Segel nach dem Wind gestellt. Da sie Herm Wanka nicht zwingen konnte, Geld zu nehmen, und so ein Steuerobjekt zu werden, ließ sie den ganzen Bezirk umzäunen und erhob bei der ein- zigen Zufahrtsstelle eine Eintrittsgebühr nebst Lustbarkeits: und Warenumsatzsteuer. In den Pro- spekten wurde Herr Wanka unter den Sehenswür- digkelten an erster Stelle noch vor der Burgruine, dem Strandbad und dem Galgenberg angeführt. Er wurde überdies auf Gemeindekosten für den Ablebensfall hoch versichert, Alles wäre in schönster Ordnung gewesen. Aber die Kräfte Herrn Wankas waren dem ruhelosen Leben eines Weltstars nicht gewachsen. Er starb eines Tages in aller Stille ohne Angabe von Gründen. Die Gemeinde war sehr bestürzt. Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, veranstaltete sie sofort eine geheime Ausschreibung zur Neuhbeset- zung dieser wichtigen Stelle. Es meldeten sich mehrere hundert Bewerber, die alle behaupteten, es dem Verewigten gleichtun zu können. Aber jeder begann nach kurzer Tätigkeit so schamlos Geld einzusacken, daß er wieder entlassen, wenn nicht eingesperrt werden mußte, Das in- und aus- ländische Publikum erkannte sofort die Pseudo- Wankas und blieb aus. Das Geschäft war nicht zu halten. Es zeigte sich in der Folge, daß es in keinem Falle zu halten gewesen wäre. Denn die sugge- stive Wirkung Wankas und seiner Devise beruhte auf ihrer Seltenheit. Die Wirtschaft, und Insbeson- dere die Steuerpolitik der Gemeinde brachte es nach kurzer Zeit dahin, daß jedermann bei jeder Gelegenheit sagte: Ich hab genug! Doch dies hatte keinen Wert mehr, wie alles, was in zu großen Mengen vorkommt. Jetzt hätte die Gemeinde gerne jeden belohnt, der sich dieser Devise nicht bediente. Es war aber weit und breit keiner zu finden, Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kom: tgosollse Verantwortl, Schriftlelter: Walter Foitzick, München, — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich anstalten enigegen. — Bezugsprelse: Einzelnummer 30 Pf.; Abonnement im Monat RM. 1.20. WETTEN WIR, ONKEL VON HANS KARL BRESLAUER „Na und —“, sagte Herr Greileder, der mit seinen ‚Gedanken überall, nur nicht bei dieser geschäft- lichen Unterredung war, „— und was willst du von mir, Schachinger?” Schachinger sah von seinem Notizbuch auf: „Seit einer Viertelstunde erkläre ich dir, was ich brauche und wann ich die Ware brauche und du fragst, was ich von dir will?" „Wunder wär's keines, wenn man zerstreut ist. Man stößt ja überall auf Verdrießlichkeiten.” „Greileder, Greileder”, sagte Schachinger, der seinen Freund kannte, „mir scheint, heute hat's dich wieder!” A „Du hast eine Ahnung von einer Idee!” Greileder zog die Weste über dem Bäuchlein glatt, „Aber wenn du glaubst, daß ich übertreibe, dann laß dir erzählen... Gestern, kaum bin ich zu Hause, kommt meine Nichte Anneliese — du kennst ja das Lausdirnd! —* „Und obl... Das Mädi wird von Tag zu Tag hüb- scher und ist immer quieischvergnügt —” „Die hat leicht quietschvergnügt sein... ‚Tant- chen‘, sagte sie zu meinerFrau, ‚wenn Onkel nichts dagegen hat, bleibe ich zum Abendessen bel euch. Die Eltern machen nämlich irgendwo Besuch, äber ich bin nicht mitgegangen; ich quatsche nicht gern über das, was bei Besuchen hinter dem Rücken der lieben Nächsten erzählt wird..." Sie blieb also bei uns und nach dem Essen sagte sie zu mir: ‚Wetten wir um zwanzig Mark, Onkel, daß ich weiß, was du heute um sechzehn Uhr zwo- undzwanzig in deinem Büro gemacht hast!?' ‚Um sechzehn Uhr zwoundzwanzig?' sagte Ich, ‚Mädl, wie willst du das auf die Minute wissen, was ich selbst nicht weiß?‘ ‚Oh‘, sie kramte lachend ein Blatt Papier aus ihrem Handtäschchen, ‚ich weiß alles und schreibe mir auch alles auf. Besonders dann, wenn Ich zwanzig Mark gewinnen kann! Bitte: Sechzehn Uhr zwoundzwanzig: Onkel Balduin sitzt In Hemd- ärmeln an seinem Schreibtisch und spitzt einen Bleistift. Sechzehn Uhr fünfundzwanzig: Onkel Balduin trompetet in sein Taschentuch, Sechzehn Uhr dreißig: Onkel Balduin spricht mit seinem Kassier, schlägt auf den Tisch und ist ganz Auto- nat. Der Kassier verläßt bedrückt das Chefzim- mer. Sechzehn Uhr fünfunddreißig: Onkel Balduin schabt mit der rechten Hand an seinem Kinn her- um. Er scheint zu überprüfen, ob er gut rasiert ist. Sechzehn Uhr vierzig: Onkel Balduin mustert Im Taschenspiegel seinen äußeren Adam, ordnet ein vereinzeltes Haar seiner Glatze und zieht den Knoten seiner Krawatte fester — ‚Balduin‘, sagte meine Frau, ‚wenn das stimmt, was Anneliese da vorliest, dann hast du dich heute nicht überanstrengt, Jetzt will ich"aber nach- sehen, ob der Tee schon gezogen hat.’ Sie verließ das Zimmer und Anneliese rief ihr nach: ‚Es stimmt, Tantchen, es stimmt... Onkel?‘ ‚Jetzt erkläre mir aber, Arheliese‘, sagte ich, un- geduldig werdend, ‚woher du das alles wissen willst?" ‚Noch einen Augenblick, Onkel’, winkte Anneliese ab. ‚Sechzehn Uhr fünfundvierzig: Onkel Balduin zieht seinen’ Rock an, legt Briefe zurecht, drückt auf den Klingeltaster und beginnt, seiner Sekre- tärin die Post zu diktieren... Das stimmt doch auch, Onkel?’ ‚Anneliese‘, unferbrach ich sie, ‚jetzt mach Schluß mit dem Unsinn... Woher willst du das Übrigens alles wissen — ‚Woher, Onkel? Abeı das ist doch ganz einfach. Ich habe einen Fernsehapparat — Nicht wahr, ‚cher linger $: inmal, In diesem Augenblick kam meine Frau mit der Teekanne zurück, und Anneliese rief vergnügt: ‚Tante, der Onkel ist neugierig! Und wie neugierig er ist! Aber ich will ihn nicht länger quälen, denn weiter reichen meine Aufzeichnungen nicht. Ich hatte höchste Eisenbahn und mußte meinen Fern- sehapparat abschalten.‘ Sie blinzeite mir fröhlich schmunzelnd zu. ‚Du mußt nämlich wissen, Onkel, daß man vom Zimmer meiner neuen Freundin Erni aus deln Chefzimmer übersehen kann — und mit einem Opernglas entgeht einem nichts!... So, Onkelchen, und nun rück heraus mit dem Geld! Die fünfzig Mark habe ich ehrlich gewonnen. Wir haben doch um fünfzig Mark gewettet, nicht wahr?” Greileder schwieg verärgert sagte kopfschüttelnd: „Aber, Greileder, du wirst doch nicht so kleinlich sein und dich deswegen ärgern? Das Geld hat dem Mädel sicherlich Spaß gemacht!” Da schnauzte Greileder seinen Freund Schachin- ger an: „Was? Ich soll mich: nicht ärgern?!... Mensch, Schachinger, dann sag du mir gefälligst, wo ich jetzt meiner Sekretärin die Post diktieren soll!” LIEBER SIMPLICISSIMUS (0. Nückel) und Schachinger Zacharias hat einen guten Zug. Wenn er am Abend ausgeht, trinkt er seine guten sechzehn Halbe wie nichts. Zacharias schob der Kellnerin das Glas zu. „Noch ein Bier! Aber dasselbe Glasl" „Ihr Glas verwechsle ich niel" „Nein?“ „Das erkenne ich sofort!” „Woran?" Die Kellnerin lachte: „An Ihrem Glas ist immer der Henkel warm.” I.H.R. Er Ich ging auf der Straße so für mich hin, Kam der Antiquitätenhändler Neu des Weges. Er blieb stehen und starrte mir lange ins Gesicht, „Sie haben Ja eine tolle Weinnase, mein Lieberl” „Erlauben Siel Was geht Sie das an?” Er winkte ab: „Nur gemütlich! Man wird Sie doch noch beneiden dürfen!” J,H.R. * Frau Mitterlein ist eine sehr lebhafte Dame. Wenn sie redet, spricht alles an ihr mit. Ihre Frisur, ihre Figur, nicht zuletzt ihre Arme und Hände, So leb- haft, so plastisch erzählt Frau Milterlein, Sie redet, wie man sagt, mit den Händen. Eines Tages sah sie bei einem Kunsthändler in der Auslage die Venus von Milo, jene bekannte Figur ohne Hände und Arme. Sie trat in den La- den und fragte: „Was kostet die Stumme von Portici?" 3.H.R. (Fernruf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegt. — Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllurgsort München. England, der Weihnachtstruthahn een „Ich weiß nicht, so sehr die zwei sich auch um mich bemühen, die richtige frohe Weihnachtsstimmung habe ich doch nicht!'* L’Inghilterra, tacchino di Natale: “Eh non so, per quanto i due s’ affannino con me, pure il vero buon umore di Natale io non I’ ho!,, 664 München, 29.Dezember 1943 Fl 48. Jahrgang / Nummer 52 30 Pfennig SiMPLICISSIMUS VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Der Konferenzsieger (eich Schifing) „Meine Freunde habe ich jetzt: besiegt, nun brauche ich nur noch meine Feinde zu besiegen!‘ Il vincitore della Conferenza: ''Adesso ho vinto | miel amici; ora occorre soltanto ch’io vinca anche I miel nemici!,, SBIEISZEUG VON WALTER FOITZICK Auf einem kleinen Sockel steht ein bunter Herr und um ihn herum läuft an einem Draht ein Pferd. Wenn das Pferd läuft, gibt es ein knarrendes Ge- täusch und der Herr zuckt ununterbrochen mit allen Muskeln, als habe er ein schweres Nerven- leiden. Herr und Pferd und Muskeln’ sind aus Blech ge- bogen und im Sockel ist ein Uhrwerk. Das ist ein Spielzeug, ein älteres Spielzeug. Die Erwachsenen haben es sich so ausgedacht, daß solches Kin- dern eine besondere Freude macht. Es macht auch Kindern Freude, namentlich im Anfang, weil Kindern fast alles Freude macht, z. B. mit einer Zahnbürste Butter In ein leeres Portemonnaie zu füllen. So ein Spielzeug mit Zahnbürste und But- ter aber kann man nicht kaufen. Jeder reifere Der Sportfischer - II pescatore per sport — Knabe im Alter von zwei bis drei Jahren wird mir zugeben, daß das ein ganz besonders schönes und reizvolles Spiel ist, weil es allerlei Variatio- nen und Kombinationen zuläßt. Der Clown mit dem Pferd kann nur laufen, schnur- ten und zucken, wenn man ihn aber rückwärts dreht beim Aufziehen, geht er kaputt. Dies macht ihn zur weiteren Verwendung höchst brauch- bar. Man kann beispielsweise mit den Zahnrädern auf eine polierte Tischplatte Figuren kratzen oder sie zusammen mit Nägeln und kleineren Gegen- ständen aus dem Nähkorb sowie toten Fliegen in eine leere Bierflasche füllen. Erwachsene haben hierfür keinen Sinn, deshalb kann man auch Bier- flaschen, leicht gefüllt mit diesen Materialien, in keinem Spielwarengeschäft kaufen. Womit Kinder zu spielen haben, damit beschäftl- gen sich die Pädagogen und Psychologen und sie leiten das Spiel in Bahnen, von denen sie be- haupten, daß sie vernünftig seien. Kinder haben manchmal andere Ansichten. (A. Pichel) GGG SSH = „Ist mir ganz wurscht, und wenn Ich bis nächstes Silvester sitze — anbeißen muß er!" "Per me & affatto lo stesso anche se restassi qui fino al prossimo San Silvestro”. .. esso dovrä pure abboccare all’ amo . 666 Vor einigen Jahren haben sich auch die Kunst- gewerbler der armen Kinder angenommen, und sie beschlossen, daß die Kinder einfache Formen wünschten, well sle sonst nicht wüßten, wo sie mit ihrer Phantasie hinsollten. Das nannten sie künstlerisches Spielzeug und die Erwachsenen hatten einen Heidenspaß daran. Auch die Kinder dachten sich ihren Teil, aber vermutlich einen anderen als die Kunstgewerbler, Sorgenvoll sehen geschmackvolle Eltern auf den kitschigen Geschmack ihrer Kinder, aber die un- geratenen Kleinen wollen sich absolut nicht den Gesetzen der Aesthetik beugen. Ihnen gefällt halt der Kitsch und diese Glücklichen dürfen’s auch noch sagen. Ein kleines Mödchen, das Vertrauen in meine Kenntnisse hatte, fragte mich einmal, welche Farbe der liebe Gott habe. Ohne meine Antwort abzuwarten, sagte sie, sie werde ihn hellblau malen, hellblau sei die schönste Farbe. Ich glaube, sie hat Ihn gut getroffen, - DIE LIEBE Man sagt es von der George Sand, sagt es von der göttlichen Ninon de Lenclos und wahrschein- lich noch von vielen anderen Damen bis zurück ins graue Altertum, daß sie sämtlich auf eine ge- wisse Frage der Neugier die gleiche Antwort gaben, . Alle diese Vertreterinnen des schönen Geschlech- tes wurden In einem Alter, wo Ihre Urenkelinnen sich bereits weigerten, an das Märchen vom Storch zu glauben, von naiven Bewunderinnen bestürmt, wann denn im Leben einer Frau eigent- lich die Sache mit der Liebe ende? Und jede antwortete darauf, sich dabei kokett die Wangen pudernd und ein vlelsagendes Feuer in die Augen legend, mit einem bezaubernden Lächeln: „Ja, mein Kind, da müssen Sie ‚schon eine Ältere fragen.” So Ist das also mit den Frauen, Und wie steht es wohl mit den Männern? Für das starke Geschlecht mag der alte Grieche Monopulos Zeugnis ablegen. Monopulos, unter den athenischen Opapas sicher nicht der allerjüngste, wurde von einem Jüngling Interviewt, wie lange denn die Liebe Im Leben des Manı eine Rolle spiele? „Warte, mein Sohn“, sagte Monopulos, „ich will meinen alten Herrn fragen, der kann da sicher Antwort geben.” Monopulos begab sich hinaus in den Garten, kehrte aber gleich wieder zurück. Freund”, sprach er zu dem Jüngling, „ich kann Ihn augenblicklich nicht stören. Er sitzt draußen in der Rosenlaube und schäkert mit einem Mäd- chen" — , Demnach scheint es sich bel dem Glauben, daß die Liebe aufhöre, lediglich um eine Alterserschel- nung der Jugend zu handeln, Heinz Scharpf UNTERWEGS Still faßen wir beifammen - fehmiegen - fehnten uns nach der fernen Jugend goldnem Grün. Wir alten Toren rechnen nach Jahrzehnten. Das Welken geht uns näher als das Blüh’n. War’s nicht, als ob er taufend Jahre währte, der Tag von damals - bie zur Mitternacht? So haben wir die Zeit auf Gottes Fährte - mir mußten’s nicht, rwir träumten - hingebracht. Und gingen fehl und wurden müd und gähnten. Heut gilt uns gleich, was morgen kommen mag. Wir find fo weit: wir rechnen nach Jahrzehnten... Vor Gott find taufend Jahre wie ein Tag. Dr. Omlglaß Was man schwarz auf weiß besitzt — (0. Gulbransson) Bun oyıprmansom 43 „So, Mandschukuo hätten wir wieder. Gib aber auf deine Aktenmappe acht, daß wir es nicht wieder verlieren!“ Ciö che sta scritto si ha in pugno ...: “Cosi riavremmo Mandschukuo. Ma fa attenzione alla tua busta, che non lo perdiamo di nuovol,, 667 ER, SIE UND DIE BEIDEN WINDHUNDE Herr Anselmo Zavetta begegnete jeden Tag im Städtischen Park dem Fräulein Hortensia Pagani. Herr Zavetta war ein Mann von noch nicht ganz fünfzig Jahren, Er war durchaus kein Adonis, aber auch nicht gerade häßlich. Vor allem war er ele- gant, sehr elegant, denn er wechselte häufig die Anzüge, trug leuchtende Krawatten, eiercognac- farbene Schuhe, weiße Gamaschen, einen Stock mit goldenem Knauf und einen goldenen Klem- mer. Unschön an ihm war nur der kleine Spitz- bauch und der dicke Schnurrbart. Anselmo Za- vetta war Junggeselle geblieben, denn schon seit frühester Jugend hatte er keine besonders gute Meinung von den Frauen. „Wenn eine Frau zu mir sagt: ‚Ich liebe dich‘," meinte der gute Zavetta, „hat sie bestimmt stets irgendeine böse Ab- sicht.” — Im schönsten Teil der Stadt besaß er ein entzückendes Häuschen, wo er den angeneh- men Beruf des Rentners ausübte und mit einer treuen, liebevollen, aber bissigen Freundin zusam- menlebte: einer rassereinen, edlen Windhündin. Jeden Tag begegnete Herr Anselmo Zavetta, wie gesagt, im Städtischen Park dem Fräulein Hor- tensia Pagani, die ihrerseits ebenfalls weder schön noch häßlich war: mit einem leichten An- flug von Eleganz, Geist und Temperament, Fräu- lein Hortensia steuerte mit vollen Segeln den Vier- zig zu, Sie hatte weder einen Verlobten, noch einen Geliebten, denn seit früher Jugend hatte sie eine Art Abscheu vor den Männern. Im Zen- trum der Stadt hatte sle eine hübsche Wohnung, wo sie mit einem Kanarienvogel, vielen Blumı einem Grammophon mit schönem, messinge: Trichter und einem liebevollen, stolzen Freunde zusammenlebte: einem rassereinen, edlen Wind- hund, , Fräulein Hortensia und Herr Anselmo vertrauten einander — auf einer Bank im Städtischen Park — die Melancholie ihres einsamen Daseins an und tauschten ihre Meinungen über liebe und Ehe aus. Jeden Tag führten sie,das gleiche Ge- spräch über Junggesellen, alte Jungfern, unglück- liche Ehen und Liebesverhältnisse, Unterdessen Jagten Mauro, der rassige Windhund Fräulein Hortensias, und die edie Windhündin Herrn Anselmos, mit Namen Pola, durch den Park. „Meine Pola Ist ganz toll nach Ihrem Mauro.” „Und mein Mauro kann nicht ohne Ihre Pola sein.” ‚ „Abends, wenn wir uns verabschieden, werden die beiden Tiere ganz traurig.” „Das habe Ich auch schon gemerkt; sie leiden unter der Trennung. Wo stecken sie nur?” „Dort Im Gebüsch kriechen sie herum.” „Meinen Sie nicht auch, Herr Anselmo, daß die Tiere glücklicher sind als wir?” „Zweltellos sind sie glücklicher, well sie nalver sind.“ „Demnach wird mein Mauro wohl nie so leichtsinnig und treulos werden wie ein Mann?” „Ich glaube nicht. Ebensowenig wie meine Pola je so launenhaft und kokett wie eine Frau sein wird.” „Ich bin weder launenhaft noch kokett. Ich ‚hätte gute Partien machen können, öber ich habe sie ‚alle abgewiesen, Jetzt bereue Ich es mitunter...“ „Wieso?” „Nur so...” Da kamen Pola und Mauro mit glänzen- den Augen und offenen Mäulern daher- gejagt, zähnefletschend und japsend. Einer an den andern gedrängt, schauten sie die beiden an, die In Gedanken über das Problem der Liebe versunken waren. Dann begannen sie von neuem ihren Wett- VON NARCISO QUINTAVALLE lauf schwänzelnd, hetzend, die buschigen Ruten wie Fragezeichen. „Hierher, Polal” „Mauro!“ Ach was! Pola und Mauro hörten nicht, sie ließen nicht ab, ihre Freiheit zu genießen, „Sehen Sie”, stellie Herr Anselmo fest, „wenn man verliebt ist, hört und sieht man nichts mehr. Wir — Fräulein Hortensia — —" „Reden Sie ruhig weiter.” Anselmo Zavetta rückte den Klemmer zurecht, sah auf seine elercognacfarbenen Schuhe, zupfte an den Manschetten und befühlte den Knoten seiner leuchtenden Krawatte. „Wir, Fräulein Hortensla, wollte Ich sagen, wir zwei scheinen doch für einander geschaffen zu sein.” „Meinen Sie?” „Zwelfellos.” Er rückte ein wenig näher, streichelte über den goldenen Stockknauf und sagte: „Draußen an der Porta Nuova besitze ich ein klei- ‚nes Häuschen, ein wahres Schmuckkästchen. Allein darin zu wohnen, ist traurig. Warum weihen wir es eigentlich nicht zusammen ein?...” Hortensia senkte den Kopf, betrachtete erst ihre Hände, danı: die Spitzen ihrer kleinen Schuhe und antworlete beinshe gekränkt: „Ihre frivole Art, eine Dame wie mich in Ihre ein- same Villa einzuladen, wirkt nicht gerade takt- voll...” „Verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, aber Ich weiß, Sie sind einsam, Sie sind frei, und darum...“ ” „Mir scheint, Sie sind etwas voreilig... Wir ken- nen uns kaum vier Wochen, und schon fordern Sie mich ganz unumwunden auf, Ihre Geliebte zu werden...” „Sie müssen bedenken, Fräulein Hortensia, ich bin auch nur ein Mann.’ „Das merke ich, und vielleicht auch nur einer wie alle anderen...” „Jetzt beleidigen Sie mich. Sie müssen verstehen, daß ich mich zu diesem Vorschlag nur durch Sie RUSSISCHER MOND Von Rudolf Seebacher Kameraden schlafen alle wie gewohnt, * Durdı die Scheiben füllt ein Fetzen blasser Mond. Sieben Ratten husdıen schleifend über Dielen — — Eine Nadıt in Rußland, gleidı den andern vielen, Irgendwo im Dorfe geift ein Hund, meil er beißend nidıt den Mond erreichen kunnt, Auf der Rollbahn rumpelt dumpf ein sdiwerer Karren, daß im Haus erscıreckte Giebelhölzer knarren. Zeitungüberklebte Wände knistern: Wanzen, die Befehl zum Angriff Nlüstern. Gleich wird sidı die Meute plalter Käfer . slürzen auf die ruhbedürft'gen Scläfer. Dunkler Himmel sdwwingt in wehendem Gebrumm: Flieger sudıt und kreist ums Dorf herum. — — Dürre Bäume spreizen breit sid vor dem Fenster. Nadıtwind tutet, scieucht die drohenden Gespenster, ..„ und der Mond schickt einen Strahl mir ins Gesicht, tastend, fragend: Lieber Freund, du schläfst nodı nidıt? 668 hinreißen ließ, von Ihrer offenkundigen Sympathie ermutigt...” „Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr...” „Mitunter habe ich Ihre Stimme zittern gehört, wenn wir uns abends verabschiedeten...” „Das bilden Sie sich ein — Sie lügen.” „Hören Sie?... Auch Jetzt zittert Ihre Stimme. Ihre Augen glänzen. Ihr Mund dürstet nach Küs- sen...“ Und da niemand durch die Allee kam, umarmte er sie und küßte sie auf den Mund... Als sie sich verwirrt erhoben, standen Mauro und Pola vor ihnen und zeigten die Zähne, als ob sie lachten, * Hortensia zog in das Häuschen Anselmo Zavettas und brachte den getreuen Mauro, den Kanarlen- vogel und das Grammophon mit dem schönen, messingnen Trichter mit, Das kleine Haus war jetzt voll Glanz und Fröh- lichkeit. Der Vogel sang, das Grammophon war schon ganz heiser und spielte immer die Platte aus Traviatar „Lieb mich, Alfredol”; wozu Hor- tensia „Lieb mich, Anselmol‘ sang. Auch Pola und Mauro waren glücklich. Sie verbrachten ihre Nächte gemeinsam auf Polas Lager und fraßen aus einer Schüssel. Anselmo und Hortensia, Pola und Mauro wären im ersten Viertel Ihres Honigmondes. Im zweiten Viertel Jedoch schien die Glut schon am Verglimmen. Eines Abends stellte der ziemlich kritische Anselmo fest, daß Hortensia ein wenig zu dick sei. Und während er im Nachtkästchen nach seinem Zigarettenetui suchte, dachte er, daß es sich eigentlich nicht gelohnt hatte, sich mit fünfzig Jahren einer alternden Frau zu nähern. Gab es nicht genug Junge ....? Wenn sie sich abends zur Ruhe begaben, ba- merkte er, daß sie immer die erste war, die ein- schlief, und wenn er das Licht brennen ließ, drehte sich Hortensia brummend auf die Seite. „Sie brummt”, dachte Anselmo, „aber das Licht bezahle Ja Ich.” Zuwellen betrachtete er sie, wenn sie schlief, mit stiller Wut, zählte die dünnen Falten, die um ihren Hals liefen, die silbernen Fäden an ihren Schlöfen. Eines Nachts, es war im letzten Viertel des Honigmonds, hörte Anselmo, wie Hortensia schnarchte. Er drehte das Licht an und‘rief sie mit schneidender Stimme. Die Frau erwachte und sah ihn böse an. „Da hast du nöch den traurigen Mut, mich wütend anzusehen?” „Was ist denn in dich gefahren?” „Du hast geschnarcht, meine Liebe, ge- schnarchtl” „Ich, geschnarcht? Ich schnarche? Da hört sich doch alles aufl So was nennt man einen Flegel, jawohl, Flegell Ich und schnarchen!” Damit warf sie die Decke zurück, sprang aus dem Bett, schlüpfte in die Pantoffeln und legte sich Im Nebenzimmer schlafen, Auch Hortensia war enttäuscht, aber sie enrug es resigniert, gleichsam als Strafe. Auch sie dachte, daß es sich nicht ver- lohnt hatte, so lange gewartet zu haben, um schließlich bei einem Fünfziger zu landen, der elegant und stattlich aussah, wenn or angezogen war, aber bestimmt nicht begehrenswert erschien in seinem über dem Bauch zu knappen Pyjama. Und mit diesem gefärbten Schnurrbart, der mit den grauen Schläfenhaaren in Blutrache zu liegen schien! — Sie hatte festgestellt, daß er nervös, träge, kleinlich und geizig war. Der Honigmond war um. * Eines Tages — Anselmo war entschlossen, Schluß zu machen — begann er, auf das La forza del male Dem Menschen traut man selten zu, daß er im Schlafe Übles tu. Jedoch der Teufel mit Bedacht. versucht per Traum des Bösen Macht. Das Gute siegt. und mit Gezisch entflieht der Teufel. Auf dem Tisch jedoch bleibt des Versuchers Gabe: kreischende Grammophon zu schimpfen, auf Mauro, der ein Dreckfink, auf die Suppe, die versalzen, den Braten, der zäh, den Wein, der sauer sei. „Man kann in diesem Hause nichts mehr ge- nießen... Du hast mir den Magen ruiniert... Du wirst mich noch umbringen mit diesem Fraß...” Hortensia erhob sich so stürmisch, daß die Gläser klirrten, ging hinaus und schlug die Tür zu. Im nächsten Augenblick kam sie zurück, den Hut in der Hand, und blieb zitternd vor Wut auf der Schwelle stehen. „Ich gehe, mein Lieber... Ich gehe... Leb wohll“ Anselmo sah sle zwelfelnd an, dann aß er weiter, ohne zu antworten. Als Hortensia Im Garten war, kam ihr der traue ie Flasche Schnaps zur Morgenlabe. Die Macht des Bösen Mauro in den Sinn. Sie kehrte um, ging ein paar Stufen die Hintertreppe hinauf und rief: „Maurol,. Mauro...” Tänzelnd, wie immer, kam das Tier und hinter ihm Pola, erstaunt über das programmwidrige Rufen. Hortensia erinnerte sich, daß sie ja noch den Meulkorb und die Leine brauche. Sie eilte, von den beiden Hunden gefolgt, in die Küche. „Mauro, schnell — — wir gehen!” Aber das Tier rührte sich nicht vom Fleck und sträubte sich, von Pola unterstützt, sich den Maul- korb umlegen zu lassen. „Wir wollen gehen, verwünschter Kerll” Und sie zerrte ihn am Halsband. Aber das Tier war nicht zu bewegen und begann, aufgeregt zu 669 (U. v. Horväth) Erbittert und in heil'gem Zorn packt ihn der Engel gleich beim Horn und kämpft, des Lämmleins guter Schäfer erbittert um den stillen Schläfer Der Engel. noch vom Sieg ermüdet. schreit auf. wie der. den er behütet behaglich schlürft den Alkohol: „Wie wird dir Mensch!” Der brummt: „Sauwohll” . eff werden. Pola, angesteckt von Mauros Nervosität, haschte nach Hortensias Kleid und zerrie nach der anderen Seite. Die arme Frau wußte in ihrer Not nicht mehr, was sie mit den beiden Tleren beginnen sollte, die sie knurrend und kläffend nach dem Eßzimmer jagten. Verzweifelt warf sie sich dort in einen Klubsessel und brach in er- schütterndes Schluchzen aus. Pola und Mauro aber stürzten sich auf Anselmo und leckten ihm von beiden Seiten das Gesicht. Und in schöner Einmütigkeit heulten sie zwischen ihren heftigen Zärtlichkeitsausbrüchen den heillos verfeindeten Menschenkindern vor, daß die vier- beinigen Bestien doch besser seien als die zwei- beinigen. (Übersetzung von Thea Weide.) DEZEMBERLICH Dezembernacht voll schwarzer Pracht Zieht wie ein Zauber durch die Welt Und wer sich ihr entgegenstellt, . Den fängt sie ein mit aller Macht. Wo ist der Sonne Feuerherz Am Himmel, wo? Da ist nur Nacht. Was schlafen soll, ist aufgewacht Beim Hammerschlag aus Glockeneız Hılft da die Flucht zum Weihnachtsbaum? Vielleicht! Ja, wer das Licht verspürt, Wem Kerzenschein das Herz anrührt. Den packt der alteKindertraum. Das Rauschgold schimmert sonnengleich, Das Engelilinar wie Silberllachs Es weint für dich das Kerzenwachs .-» O Tannengeün im Weihnachtseeicht Die Sonne bleibt nicht lange tot, Glaub mir, sobald sie aufersteht, Wie schnell die längste Nacht vergeht, Wenn feuerrot der Morgen loht! Zu Ende dreht das alte Jahr Sıch leis. Das Neujahr steht bereit, . Noch sieben Tage hat es Zeit, Doch dann marschiert der Januar. Es kommt wohl Lust, es gibt Verdruf,, Das schafft der Tage Hin und Her, Ob gut, ob schlecht, was willst du mehr. Murenichneimelio warkommenmupl Hinweg, die Zukunft hat nicht recht Am Lichterbaum! Im Weihnachtsraum Ist Gegenwart ein süher Traum Und Grübeln macht nur Sorgen echt. ZeebriehldieNühundib den Kern Und Icer das Glas voll Heiterkeit Sieh, heute nacht hat es geschneir, Ins Fenster schaut der Morgenstern. Die Atempause, himmlisch leicht, Schuf diese Nacht, das danke du, Gehst du jetzt deinem Bette zu, Der Dunkelheit, ch sie entweicht. Hermann Seyboth GESELLIGKEIT VON SCHLEHDORN „Vizepräsident Pingelquis und Frau. geben sich die Ehre...“ Vizepräsident Pingelquis — die Älteren werden sich seiner noch erinnern — war eine Säule des Amis (mit kräftiger Basis und schlichtem, würdi- gem Kapitäl), während sich Regierungsrat Julius, ärchitektonisch gesprochen, als Teil eines Bündel- pfeilers empfand und Regierungsrat Krause einen Strebepfeller darstellte, Es Ist übrigens nicht wahr, daß Vizepräsident Pingelquis eine Reinschrift hätte abschreiben lassen, weil ein Komma fehlte; wahr ist vielmehr, daß er eine Sache zur Rücksprache schrieb, weil ein Semikolon angebracht erschien, Sein Dienst war sein Leben, und Gesellschaften waren für ihn der Teil außeramtlichen Dienstes, an dem seine Gattin repräsentativen Anteilnahm und die Damen der Kollegen bel Tisch in die gewohnte Platz- ordnung der Sitzungen eingeschaltet wurden, Von diesen Gesellschaften und ihrem ordnungs- gemäßen Verlauf soll hier nicht erzählt werden. Diesmal hatten Regierungsrat Jullus und Frau Dorette zum Donnerstag Abend gebeten. „Wir werden demnach bei Ihnen, lieber Kollege”, meinte Vizepräsident Pingelquis, nachdem er zu- vor den dienstlichen Teil der Besprechung zum Abschluß gebracht hatte, „wir werden bei Ihnen, schätze ich, wieder die vertraute Gesellschaft antreffen, Franckes, Müllers und v. Plessings, den Kollegen Krause und aus der Gruppe der Ruhe- standsbeamten den*verehrten Gehelmrat Trüffel.” „Obwohl wir keine Gesellschaft so schätzen wie Kollegen und Kolleaenfrauen“, erwiderte Jullus, „dachten wir eigentlich, diesmal einige Freunde aus anderen Kreisen zu bitten.” „Gar Künstler?“, fragte Pingelauis, „vom Theater?” „Welßt du, Dorette”, sante Regierungsrat Julius, als seine Frau ihn abholte, „am liebsten hätte ich ihm erzählt, wir hätten einige bekannte Paare da: Philemon und Baucis hätten zwar wegen Ihres Alters abaesagt. Ahäilard und Heloise weaen Ihrer Heiligkeit. Kloß & Förster seien zu beschäf- tiat.” „Ja“, fiel Dorette ein, „Balazzo und Cavalleria sind wie stets am selben Abend zusammen in der Oner. Zar und Zimmermann sind Überhaupt identisch.’ „Und“, fuhr er fort, „Theorie und Praxis sind, wie häufig, getrennt verreist. — Nun stell dir vor: als erste kommen am Donnerstan — Adam und Eva Sie, in großer Tollette, hat dem Gewohnten nur ein Weniges zugelegt, besonders unten, Übrigens ist Eva auf Jeder Gesellschaft zu treffen, wo es nett werden soll,“ A „Und auch der alte Adam ist immer da“, meinte Dorette. „Ich hätte ihn aber für Interessanter ge- halten” „Dann erscheinen gleichzeitig 'zur festgesetzten Zeit Pingelquis und Frau Gemahlin, Leda und der Schwan...” „Und“, jubelte sie, „der Gott und die BajJadere.“ „Nun wie geht's, Herr Kollege?‘ wird Pingelquis mich begrüßen. ‚Nun, wie geht's, Herr Kollege‘, fragt Mahadöh den Schwan, ‚in diesem Kostüm?’ ‚Es ist mein kleiner Dienstanzug‘, erwidert Zeus, ‚ich hätte auch als Stier kommen können, mit Europa. Aber Europa Ist etwas stark in Anspruch genommen.’ — Inzwischen werden die Paare be- kannt gemacht und Frau Pingelquis, die sehr ge- wandt ist, spricht mit Eva vom Wetter und: ‚Sie ahnen nicht, wie beschäftigt mein Mann Ist‘, und wendet sich dann an Leda mit der Frage, ob sie dem Leonardo gesessen hätte, oder ob der sich das Bild so ausgedacht hätte — denn sie ist auch sehr kunstverständig. Und Pingelquis richtet derweil freundlich das Wort an die Bajadere: ‚Nun, sind Sie auch berufstätig, meln Fräulein?’” „Da wird ihm“, unterbrach Dorette, „Eva 'ant- worten: ‚berufstätig sind wir alle‘, Aber vielleicht _ wird sie nicht verstanden werde: „VÜbrigens”, fuhr Julius fort, „soll der Schwan nicht außer dem Vizepräsidenten das einzige große Tier am Tische bleiben. Denn jetzt öffnet sich die Tür und herein treten Androklus und der Löwe.” „Herrlich“, Frau Dorette ließ im Eifer seinen Arm los, „und während mich Heinz Androklus bearüßt, guckt sich der Löwe bewundernd unsern marmor- nen Dornauszieher an und sagt neldvoll: ‚Selbst- versoraerl’” „Eva aber“, meint Jullus. „areift ihm aleich In die Mähne. Sie ist das aus dem Paradies so gewöhnt. Und einer Eva. weißt du, widersteht auch der stärkste Löwe nicht.” „Halt mal”, fragte Dorette, „wer kommt denn noch? Nofretete, nein, die mußte sich erst aus Ihrer endlosen Wickelaamasche herzuseirahen las- sen. Sonst könnte Krause sie als Tischdame ha- ben. Oder Kleonatra? Lieber nicht. da weiß man nie. welchen Herm sie gerade mithrinat.” „Ich denve. als Letzte”. schlun Tullus vor, „er- scheinen Hermann und Dorothea, Etwas verspä- 670 tet, nachklassisch sozusagen, Hermann erbittet Vergebung, doch hat Dorothea Im Aufzug bei- nah soeben den Knöchel, den klassischen, neu sich verknaxet, Was er sonst spricht, ist mehr all- gemein, aber voller Bedeutung. Auch strengt's die übrigen an, in Hexametern dauernd zu plau- dern!” „Die sind also nicht so Interessant, wie auf der Schule”, meinte Dorette und hing sich wieder an seinen Arm: „Erzähl mal, wie sie sich nun bel Tisch unterhalten.” „Pingelquis wird seiner Tischdame Leda vermut- lich die Verwaltungsbeschwerde erklären, Und dann sagt sie: ‚Ach, wir riefen in solchen Fäl- len einfach mit erhobenen Armen die Götter an. ‚Also eine vereinfachte Form der Dienstaufsichts- beschworde‘, wird er feststellen, Vielleicht fragt er auch den Schwan, ob er vorgestern im Lohen- grin nebenberuflich tätig gewesen sel, Oder den Maradöh, ob er noch im Amt wäre, d. h. ob noch an ihn geglaubt würde. ‚Erfahrungsgemäß verlie- ten wir im Ruhestande doch sehr an Bedeutung.’ Und Frau Pingelquis hört aufmerksam zu, wie sich Eva und Leda unterhält, der verehelichten Tyn: dareos, bekanntlich der Mutter von Helena, der griechischen Eva, die lebensklüger war und mehr wegen ihrer Schönheit beneidet, als wegen ihrer Sünde verurtellt wird. Frau Pingelquis wirft ge- legentlich ein Wort über ihre Tochter, Inge Pin- gelquis, ein (ein etwas sommersprossiges, aber sehr häusliches Mädchen), die im nächsten Monat den Assessor Schultze heiratet, ‚Die müssen gut zueinander passen, Frau Präsident‘, lächelt Leda, ‚aber wer paßt so leicht zu meiner Helena?‘ — ‚Freilich, freilich, Frau Halbgott, mit Faust ist es Ja leider auch nichts fürs Leben geworden.’“ „Und um #12”, sagt Dorette, „will sich Frau Pin- gelquls erheben: ‚Horch, die Uhr, ich glaube, Hugo, wir sind die Ältesten‘, und er will gerade sagen: ‚Richtig, mein Schatz, ich glaube, wir müs- sen: wohl...‘, doch dann fällt ihnen rechtzeitig ein, daß Eva und leda klassisch sind und die zwei Götter sogar höher Im Range. Also wird es diesmal ein langer, reizender Abend... Aber was werden Pingelquissens von dieser Gesellschaft denken?” „Das ist doch klar”, sagte Julius, „Sie sagt: ‚Ei- gentlich recht Interessant, Hugo, und wie mensch- lich die Götter und Halbgötter sich benehmen, als ob es keine Dienstaltersunterschiede gäbe.’ Und Er: ‚Grundsätzlich trete Ich deiner Beurtel- lung bei. Aber unsere gewohnte Geselligkeit, bei der Fachsimpeln verpönt ist, und man über Be- „förderungen und Pensionierungen sowie über an- dere Behörden und Urlaubsreisen redet, Ist mir dech lieber'.“ LIEBER SIMPLICISSIMUS © Nickel) Ich züchte Bienen. Seitdem sich das herumgespro- chen hat, gelte ich unter meinen Freunden als Immenkönig, und jeden Tag kommt ein "nderer mit einem süßen Anliegen. Doch ein Narr gibt mehr her, als vier Völker eintragen. Die kleine Beute ist bald verschenkt. Und wieder kam eines Tages einer: „Honig, Meister, Honig!" „Ich habe keinen. Aber ein naher Verwandter von mir hat Honig. Wenn Sie zu ihm fahren wollen — eln Pfund wird es schon geben —" Er ließ sich die Adresse von mir aufschreiben und fuhr ab. Wochenlang hörte ich nichts mehr von ihm, Eines Tages traf ich ihn wieder. Er grüßte mich „Was Ist geschehen?” fragte ich, „Sie mit Ihren albernen Späßen!” beschimpfte er mich, „zu einem nahen Verwandten haben Sie mich geschickt dabei bin Ich zehn Stunden hin und zehn Stunden zurück gefahren und vom Bahn- hof mußte Ich noch acht Stunden zu Fuß gehen — das nennen Sie dann einen nahen Verwandten!“ I.H.R. Sicherung R Kriesch), „Am liebsten würde ich einen alten Mann heiraten, der bliebe wenigstens treu!“ „Kann schon sein, aber die Hundertjährigen sind halt selten!* Sicurezza: ““Amerei plö che tutto di sposare un vecchio, ch® almeno mi resterebbe fedelel,, “Pu essere, ma | vecchi di cent’ anni sono ben rarl!,, 671 APOLL UND DAPHNE Auch bei berühmten Liebesleuten gab's gute, dann mal fchlechte Zeiten: mal lebten frei die zwei Gefchlechter, dann wieder gab es Koftverächter. So hatte Pech auch einft Apoll (er trieb’s - man muß fchon fagen - toll!) bei Daphne, die zudem fogar als Nymphe unbehleidet war. Sie mußt" von Ihm und mwollte nicht und rannte, als er fie errifcht, im allerlegten Augenblick zu Proteus an das Meer zurück, der des Verfolgers heiß Begehren gefchichlich mußte abzuwehren, indem er - ch’ Apoll gehandelt - in Lorbeer Daphne fchnell verwandelt, - DER WIRT UND SEIN KNECHT In Arling war ein Postwirt Angermaler, der war so dick, daß er, wenn er stand oder. ging, die Arme vom Leib halten mußte, um seinem Bauch Raum zu schaffen, und seln Gesicht war ein weißwurst- farbener, rosig angehauchter Mond. Dieser Anger- maier hatte einen überaus fleißigen Knecht, der die Arbeit fraß wie ein ausgehungerter Ochse sein Heu. Hatte er einen Auftrag erledigt, so kam er gleich wieder und fragte: „Herr Angermaier, was soll | jetz doa?“ Als er eines Vormittags schon zum drittenmal zu seinem Herm kam und so fragte, war der Wirt schlechter Laune, Darum fuhr er den braven Knecht grob an: „Herrgottsakrament, Sepp, Jetzt loß mir amol mei Rua. Meinetwegn reckst dein.. zum Fenster außil“ Das war sehr ungerecht und sehr undankbar von dem Wirt, aber grantige Leute sind eben weder gerecht noch dankbar. - Am Abend war Herr Angermaler wieder gutge- launt und saß bei seinen Gästen in der Stube. Da sprachen sie auch von den Diensiboten. „Mei Sepp“, sagte der Wirt, „frißt d’ Arbat wlar a Dreschmaschin ‘s Troad. Aber er is holt a bisserl dumm.“ Darauf berichtete er, was er Ihm heute für einen Auftrag habe geben müssen, um ihn loszukriegen. Da kam der Sepp in die Stube, „No, Sepp“, rief der Wirt ihn an, „host as nacha do, was I dir heit o’gschafft hob?’ „Jawol, Herr, freilil” „So so, Sakra”, lachte der Wirt, „wos ham nacha d' Leit g’sogt?“ D Der Knecht machte sich an einer Lampe zu schaf- 672 (fr. Bllok) [un us sl rn I \ I II] Ri Wär jedes Mädchen heutzutage mie Daphne einftens in der Lage, zum Schute vor Apollons Händen an Proteus rettend fich zu wenden? Und wenn: würd’ Proteus fich bequemen, in jedem Falle Lorbeer nehmen? - Wie gut könnt’ er die Straßen fiumen mit Apfel» und mit Pflaumenbäumen! Willi Sahler fen und schien nicht gehört zu haben. „Hörst, Sepp, wos d’ Leit g’sogt ham?‘ wieder- holte der Wirt, Da zuckte der Sepp mit der Achsel und sagte milde: „Grüaß God, Herr Angermaler, grüaß God, Herr Angermaier, ham's g’sogt und ham an Huad owa do"... Hans Weind! MEIN FREUND JOHANNES Johannes war ein wenig mißmutig. Wir bemühten uns, Ihn aufzuheitern. „Ach, manchmal kann man eben doch nicht Immer nur vergnügt und zuversichtlich sein”, wehrte er ab. „Das sagst du”, widersprach Marlin „der du uns stets gelehrt hası, man könne an allem etwas Schönes finden?“ „Daß ich dir so schmeicheln mochte”, wunderte sich Johannes nachdem et Martın ein Wellchen prüfend von oben bis unten gemustert hatte ). Bieger Der Adler und Kolumbien ren. „Unerhört, er nimmt von meiner Kriegserklärung keine Notiz!“ L’aquila e la Colombia: “Incredibile! Non prende nemmeno nota della mia dichiarazlone di querral,, 673 Der kritische Punkt „Hast du eigentlich noch nie bereut, mit mir verheiratet zu sein, Alfons?‘ „Doch, jedesmal wenn du meinen Füllhalter benutzt hast!" II punto critico: “In realtä, Alfonso, non ti sel mica mal ancora pentito d’ esseril ammogllato con me?,, — "Eh sl; ogni volta che hal adoperato la mia penna stilografical,, 674 (K. Heiligenstadt) VOR 50000 JAHREN VON KARL LEMKE Der Vulkan brach aus. Lava floß als verderb- licher Strom zu Tal, Die Menschen flüchteten In die Wälder. Großauge, in der Höhle im Berg, konnte nicht fliehen. Die Lava versperrte den Ausgang. Er zog sich zurück in die Tiefe der Höhle, wohin die tödliche Hitze nicht drang, und dachte zu sterben. Aber das Feuer im Berg, der große Gott, hatte es anders beschlossen. Die Lava umfloß die Höhle, verschonte Großauge. Als alles vorüber war, der furchtbare Gott be- sänftigt, kehrten die Menschen zurück In Ihre Höh- len am Fuße des Feuerberges. Sieh da, Großauge trat aus einer großen Höhle oben, von der das Feuer gekommen! Er lebte, er lächelte! Es war ein Wunder, Unten ging der Alltag hin, man ging auf die Jagd, sammelte Früchte, — oben lebte Großauge. Neben seiner Höhle klaffte der Fels, bıannte das ewige Feuer des Vulkans, der Gott. Schlefnase sagte zu Schönohr, dem Mädchen: „Komm in meine Höhlel' Sie schüttelte den Kopf und sah in die Weite. Er zeigte auf seine Jagdbeute. „Ich bin stark. Ich habe immer viel Fleisch. Komm in meine Höhle.” Kopfschütteln. „Du bist Schlefnase.” Er wußte, daß er häßlich war; er senkte betrübt den Kopf, Schönohr zeigte nach oben. Vor seiner Höhle stand lachend Großauge, „Er lebt mit dem Gott”, sagte Schönohr, „er spricht mit ihm. Er ist groß und klug.” Schiefnase ging grollend. Großauge, ja, Groß- auge... Er lebte mit dem Gott. Das Fleisch der Tiere veränderte der Gott seltsam, daß es köst- lich duftete, Sie brachten ihm das Fleisch der erlegten Tiere, daß der Gott es verändere. Groß- auge sorgte dafür. Niemand durfte dabei sein. Aber sie mußten dafür einen Teil des Fleisches dem Gott opfern. Der Gott war gewaltig und gütig. Großauge lebte mit Ihm; auch er war mächtig. Alle ehrten ihn. Schönohr lächelte ihm zu, wenn er vorüberging, Schiefnase hielt sich abselts, voll Groll und Trauer, Und grübelte. Großauge, dachte er, Groß- auge... Er lebt mit dem Gott. Er verändert mit ihm das Fleisch der Tiere, daß es köstlich duftet, Aber das übrige, das wir opfern müssen, — gibt er es wirklich dem Goti? Wie ist dieser Gott? u. Einmal war Großauge in den Wäldern, obwohl "er nicht mehr jagte. Da schlich Schiefnase hin- ‚auf in die große Höhle, Der Gott, der Gott, — er wollte ihn sehen, von fern wenigstens. Er sah Ihn, Es war schrecklich. Neben der Höhle klaffte der Fels. In dem Spalt saß furchtbar glü- hend der Gott, Er grollte dumpf. Schiefnase er- bebte in Uberwältigung und Angst. Den Stecken, mit dem er aufgestiegen war, warf er dem Gott hin. „Da —!” Der Stecken lag zur Hälfte in der ‚Glut, das Ende flammte weiß flackernd auf, Schief- nase starte darauf hin, voll Trauer und bohren- der Gedanken. Dann stieg er ab, „Komm in meine Höhle”, bat er Schönohr zum hundertsten Male. Das Mädchen wandte sich achselzuckend ab und lächelte Großauge zu, der vorüberging. Schlefnase schlich davon. In seinen Augen glomm Haß. Er grübelte, grübelte... IV. Eines Tages — Großauge war wieder in die Wälder gegangen — stieg Schlefnase empor zur großen Gott-Höhle. Auf einen langen Stecken stützte er sich. In der Felsspalte grollte dumpf der Gott. Schief- nase aber näherte sich, neugierig und angstvoll, Den Stecken streckte er, dem gluthauchenden Gott entgegen. Eine weiße Flammenzunge leckte an dem Holz empor, das knisterte. „Ja, ja“, flüsterte Schiefnase. „Komm in meine Höhlel” Die Flamme blieb. Schiefnase trug sie an dem langen Stecken sorgsam zu Tal. Man floh. Scheue Blicke streiften ihn von fern. „Schiefnase trägt den Gott!” Das alte Lied - La vecchia canzone Bald darauf kam der köstliche Duft des göttlich veränderten Tierfleisches aus Schiefnases Höhle. Die Menschen kamen schnuppernd näher, neu- glerig, angstvoll und begehrlich. Schiefnase trat stolz lächelnd vor seine Höhle. Auch Schönohr kam. Bei den anderen blieb sie zögernd stehen. Schiefnase trat zu ihr. ‘omm in meine Höhle, Der Gott ist in meiner hie, Er ist gut. Er'verändert das Fleisch der Tiere, Komm In meine Höhlel” Ja”, nickte sie und lachte Ihn an. „Ja, ich komme." Er schlang den Arm um ihre Schulter, „Du bist nicht Schiefnase”, sagte sie zärtlich. „Du bist der Kluge.” Sie ging mit ihm seiner Höhle zu, Großauge, der finsteren Gesichts vorüberging, gab sie keinen Blick. H. Hövker) „Wie wär's, wenn wir auch einmal die Wilsonplatte auflegten? =E non vogliamo anche noi far girare una yolta II disco di Wilson?,, Verlag und Druck: Knorr & Hirih ‚mmanditges, Vorantwortl, Schriftleiter: Walter Feitzick. München. — Dar Simplicissimus erscheint wöchentlich olnmal. anstalten entgogen. — Bozugzpreise: Einzelnummer 30 PI.; Abonn Nachdruck ver Ischaft, München, Sendlinger Strat im Monat RM. 1.20, 8 (Farnraf 1296). Brlefanschrifi, München 2 BZ, Brieffach. Bostollungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- =. Unverlangte Einsendungen wor boten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort Münchs jen nur zurückgesandl, wenn Porto beillogt. — Peter von Jugoslawien (E. Thöny) „Einst spielt" ich mit Zepter, mit Krone und Stern! Pietro di Jugoslavia: ''Una volta mi dilettavo con sceitro, corona e stellal,, |