Wer den stümmel nicht ehrt ist die kippe nicht weert

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München, 6. Januar 1943 i 
48. Jahrgang / Nummer 1 30 Pfennig 


SimPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN 





Was dem einen sein Darlan, ist dem andern sein de Gaulle 


(Wilhelm Schulz) 





„Nun beruhige dich, Gaullechen, daß dich Onkel Roosevelt nicht mit Nordafrika spielen läßt, du bekommst dafür Madagaskar!“ 


Tanto vale per l"uno Darlan quanto per l’altro de Gaulle: “Non inquietarti, Gaulluccio, se zio 
Roosevelt non ti lascia giocare coll’ Africa del nord; in compenso tu ricevi l’isola di Madagascar, 


Stilleben eines Bildhauers - “Natura morta,, d'uno scultore 




































































DIE BLAMAGE 


VON WALTER FOITZICK 


Der Mensch Ist nicht nur ein gewöhnlicher Mensch, 
er muß auch ein Stammkunde sein. Ich habe mich 
bisher für einen ehrenwerten Stammkunden gehal- 
ten trotz vieler menschlicher Schwächen, die Ich 
besitze, ja sogar für einen von reinstem Wasser 
oder echtem Schrot und Korn. Zum Stammkunden 
‚gehört die Mangelware, wie das Huhn im Topf zum 
König Heinrich. Ohne Mangelware kein Stamm- 
kunde, da liegt der Hund begraben. Als die Vor- 
sehung Im Weltenplane die Mangelware schuf, kam 
Ihr auch/sofort die vorzügliche Idee vom Stamm- 
kunden, eine großartige Ideel 

Ich bin also Stammkunde in dem Laden, und Ich 
kaufte die Ware dort schon, als sie vorne noch kel- 
nen Mangel hatte. Ich wandte mich daher an den 
Herrn des Ladens, und der schrieb mir, ich solle 
königlich belohnt werden, wenigstens dem Sinne 
nach, 

Eines Tages begab ich mich In den Laden, die Brust 
geschwellt mit der Sicherheit, wie sie nur ein 
Stammkunde haben kann, erfüllt von reinem Ge- 
wissen, wie ich es selten in meinem Leben habe. 
Da stand auch das Fräulein, welches mich schon 
seit Jahren bedient hatte, Freundlich und immer 
sachlich, sehr sachlich. 


© ich war die Leutsellgkelt selber, Ich war sozu- 
sagen wie ein Filmstar In selner Lieblingsrolle als 
Stammkunde, wie Ich Ihn mir denke. 

Ich sagte: „So Fräulein, da bin Ich, Ich komme 
wegen meiner Sachen.“ 

„Was für Sachen“, fragte das Fräulein, und dann 


SCHADENFREUDE 


Pointen oder Spiten 

hab’ ich für's Leben gern. 
Man- kann fie nicht erfiten, 
fie müften ohne Schroigen 
fpontan geboren wern. 


Es if nicht auszufprechen, 

mie mich’s zufrieden macht, 
menn fie fich dann erfrechen, 
den krummen Hund zu ftechen, 
dem Ich fie zugedacht. 


Oft merkt der Dummulore 

gar nicht, um was es Seht. 

Des freut fich der Autore, 

und mit ihm lacht Im Chore, 

wer font fich drauf verfteht. 
Ratatöskr 


(X. Rönsing) 





fragte sie noch: „Für wen?“ Wenn Ich such nicht 
erwartet hatte, daß das durchaus korrekte Fräulein 
gleich an meine Stammkundenbrust geflogen wäre, 
so war Ich doch etwas enttäuscht. Ich gab mich zu 
erkennen. Doch da geschah etwas Schreckliches. 
„Ach so“, sagte das Fräulein, „Jawohl die Sachen 
liegen für Sie bereit, aber Stammkunde sind Sie nie 
gewesen.“ Nochmal: „Stammkunde sind Sie nie ge- 
wesen.“ Grausige Wortel Noch scherzte Ich, ver- 
suchte zu scherzen, ich versuchte ihrem Gedächtnis 
nachzuhelfen, ich zeigte mich von vorne und im 
Profil. „Nein“, sagte das Fräulein, „Ich kenne Sie 
nicht.” Ich stammelte von zwanzig Jahren, die ich 
hier hereinkomme. Das Fräulein schüttelte nur 
immer wieder den Kopf und sagte: „Nein Ich kenne 
Sie nicht, aber hier sind ihre Sachen.” 

Ich weiß, jetzt hätte es meine Ehre erfordert, daß 
Ich die Mangelware von mir stieß. Ach, Ich bin 
auch nur ein schwacher Mensch und ein entthronter 
Stammkunde, ich stieß nicht. Ich nahm die Mangel- 
ware und schlich von hinnen und weinete sozusa- 
gen bitterlich. 

Ich möchte hoffen, daß mir dereinst Gerechtigkeit 
widerfahre. Dann müßte mir das Fräulein im jen- 
seitigen Laden zujubeln: „Ja, ich erkenne dich jetzt, 
du bist mein alter Stammkunde, an dem ich mein 
Wohlgefallen habe.” Und dazu müßten die Posau- 
nen schmeitern und alle himmlischen Ladenkassen 
klingeln. 














Der Yankee im Himmel 2 (9. Gutbransson) 





Sur zunmantıe n 4 


„Sechs Tage hat Euer Chef zur Erschaffung der Welt gebraucht. Lächerlich! - 
Das hätte unser Produktionsminister leicht in ein bis zwei Tagen geschafft!‘ 


Il Yankee in cielo: “Di sei giorni abbisognava il Vostro principale per creare il mondo. 
" Cosa ridicola! II nostro Ministro delle:produzioni I" avrebbe creato fagilmente In uno, due giorni!,, 


3 


Macht der Gewohnheit ak) 











„Eine merkwürdige Art spazieren zu gehen haben diese amerikanischen Soldaten! 
„Das sind die Freiwilligen aus Sing-Sing, die sind das so gewöhnt!" 


Forza d’ abitudine: "Questi soldati americani hanno un modo curioso d’ andare a spasso!,, 
"Sono I volontari di Sing-Sing che hanno quest'abitudine!,, 


4 


DIENSTLICHER BESUCH 


Du, lieber Leser, bist mit der Vollendung der Ge- 
burt für das BGB. „der Mensch”, für den Pfarrer 
„die unsterbliche Seele” und für Regierungsrat 
Krause „das Publikum”. Also Masculinum, Femi- 
ninum und Neutrum zugleich. Mit den Jahren gibt 
sich das. Und es bleiben als Neutra Pensions- 
inhaberinnen und Statistiker übrig. Und für Re- 
glerungsrat Krause: das Publikum. Die Anderen 
teilen sich In die beiden ewig feindlichen Ar- 
meen, verfolgen sich, verwunden sich, besiegen 
sich, nehmen sich gefangen, lassen sich frei, ver- 
folgen sich usw. ad infinitum. 


* 


Es war ein früher Frühlingstag, wo der Himmel 
hellblau und weiß ist wie Porzellan, und wo man 
die Fenster halboffen läßt und daran glaubt, daß 
etwas ganz Neues passieren könnte. Es war rich- 
tig Mousseux in der Luft. Im Hof der Behörde saß 
ein kleiner Vogel auf noch kahlem Ast und pro- 
bierte, wie laut er singen könnte, 

Da klopfte es bei Regierungsrat Julius. „Vor- 
herige Anmeldung in Zimmer 176a“, steht erst 
beim Abteilungsleiter. Später kommt dann das 
Vorzimmer. Und zuletzt hat man einen ständigen 
Sekretär, der ständig bedauert, daß man gerade 
heute so überlastet sel. 

Nach dem Klopfen fragten sich zwei Augen her- 
ein. Das rechtsuchende Publikum trug einen klei- 
nen Hut (so zwischen Tattersall und Teestunde) 
mit einem festanliegenden Schleier, der die pi- 
kante Linie des kleinen Gesichts fein heraus- 
arbeitete, Hinter diesem seidenen Gitter der Ko- 
ketterle leuchteten die dunkelsten Augen und 
lächelten die weißesten Zähne. Sie wäre die Frau 
des Facharztes Dr.Schneider, sagte sie, und möchte 
um eine kleine Auskunft bitten. „Sind Sie auch 
zuständig? — Mein Mann sagt, das müßte ich 
fragen, um nicht unnötig aufzuhalten.” 


Panisches Spiel 


Aus einsam Unfaßbarem taucht 
das spiegelnd schwanke 

Du und Ich 

und sinkt einander schauernd zu. 
Und dachtest du 


Entzücken nur, es überhaucht 
dein Lächeln sich 

jäh fremd betört 

und grell. 


Welch brennend wilder Schwell 
bebt, aufgestört 

von sternher 

nahendem Orkan? 


Schon zuckt die Brandung über dich; 
in deine letzte Gegenwehr 

schlägt ungeheuerlich 

die Pranke 


Pan. HANS LEIP 


VON SCHLEHDORN 


„Ja“, erwiderte er mit Überzeugung und ohne 
Rechtsirrtum. Denn für das, was bisher an dem 
Sachverhalt klar war: eine schöne fragende Frau, 
eine Dame, die Beistand braucht, ist Jeder Mann 
zuständig. „Selbstverständlich”, sagte er. Sie sah 
Ihn dankbar an. 

Es waren Augen voll überlegener Hilflosigkeit, 
mit jenem Vertrauen, das sich dir ganz in die 
Hand gibt, wenn auch in zwei Meter Abstand. 
Und es war das Lächeln, das gar nicht sachlich 
sein will, und mit dem man ganze Behörden ver- 
rückt machen könnte. 

Lächeln und Rauchen verboten! würde Regie- 
tungsrat Krause anschlagen lassen, dem beides 
nicht bekam, 

„Darf man eine Zigarette rauchen?” fragte sie, 
strich den Schleier hoch, bediente sich aus dem 
kleinen goldenen Etul, ließ sich Feuer geben und 
begann ihren Fall vorzutragen mit leise fragen- 
dem Heben der Stimme, bei jedem juristischen 
Ausdruck — sagt man so? 

„Es handelt sich um meine Schwester in Bra- 
silien und ihr Indigenat, — sagt man so?" 
„Brasilien, ach daher.” 

„Nein, wir sind aus Perleberg. Aber ursprünglich 
Refugiös.” 

Ach, daher, Richtig, erinnerte sich Julius, Frago- 
nard hat sie schon vor sechs Generationen ge- 
malt, hängt im Louvre, im Raum der Watteaus, 
rechts am Fenster. 

Dann sprachen sie den Fall durch, eingehend. 
Nicht ohne auf Brasilien selbst zu kommen, wo 
sie beide noch nicht gewesen waren. Und auf 
Taormina, Parls und Stockholm, die gar nicht in 
Brasilien liegen. Er erklärte ihr alles und ließ sich 
alles von dem schönen Echo ihrer Stimme wieder- 
holen, Ach ja, Brasilien. 

„Also, gnädige Frau, da bedarf es eines schrift- 
lichen Antrags.” 

Er stellte sich ihre Schrift vor; bei einer so klel- 
nen Hand natürlich Balken von Buchstaben, die 
Tinte natürlich violett. 

„Schriftlich, — ach, ich drücke mich sicher falsch 
aus. Medizinisch ist schon schwer, aber juristisch, 
wo man gar nicht ahnt, was einem fehlt... Kann 
ich nicht selbst kommen? Ich erreiche es dann 
eher...” 

Beamtenbestechung, ging ihm durch den Sinn. 
Und er wurde mißtrauisch gegen sich selbst, Die 
Menschen denken bei Bestechung Immer an Geld 
— was hat erst das ungemünzte Gold des weib- 
lichen Löchelns angerichtet, das in einem Augen- 
blick verschenkt, gewechselt, für wertlos erklärt, 
eingeschmolzen und schöner wieder verschenkt 
wird, Und schon rollte in seinem Gewissen eine 
Lawine heran: seine Befassung mit Staatsangehö- 
rigkeltssachen war Eingriff in ein fremdes Re- 
ferat, obendrein in das von Regierungsrat Krause, 
Also Zuständigkeitsüberschreitung, beinahe Amts- 
anmaßung. 

Die Lawine begann unter ihrem Lächeln zu 
schmelzen, der Fall war ja eine Frage wert. Die 
Behörden sind Diener des Publikums, — ja, auch 
wenn es reizend ist. Aber was sollte er mit der 
Frau des Facharztes Dr. Schneider; ob sie wohl 
Desir6e hieß oder Aime? — 

Regierungsrat Julius stand auf und schloß das 
Fenster. Dabei sagte er ein wenig zu kurz: „Münd- 
licher Antrag ist unzulässig.” 

Sie lächelte wie die Dame des Hauses, wenn 
Jemand bei Tisch etwas umwirft, was keine Flecke 
macht. 

„Außerdem bin ich für den Fall unzuständig”, 
suchte er sich zu entschuldigen. 

„Um so freundlicher, daß Sie mich aufklärten — 


5 


oder war das auch unzulässig?“ Sie hatte offen- 
bar Freude an dem Wort, das klingt, wie eine 
Schranke, die zufällt und die mit Stacheldraht 
umwickelt ist. 

„Ich melde Sie jetzt telefonisch bei Herrn Re- 
glerungsrat Krause an.” Der stellte anhelm, die 
Erschlenene In sein Dienstzimmer zu verweisen. 
Sie zog den Schleier übers Kinn, drehte unten 
daran, öffnete ein paarmal das Mäulchen, blies 
gegen den Schleier (der die pikante Linie ihres 
Gesichts fein hervortreten ließ): „also jetzt Re- 
gierungsrat Krause“, ließ sich die kleine, dunkle 
Hand küssen, dankte, lächelte und ging. 

‚Jetzt Regierungsrat Krause,“ Dies „jetzt” machte 
aus einem Erlebnis eine Vorbareitung, und aus 
Julius einen von vielen Regierungsräten gleicher 
Ärt und Güte. Naja, was sonst? Aber. Krause, 
würde der diesen Besuch würdigen? Wenn Krause 
statt Adam im Paradies gewesen wäre, der hätte 
den Apfel als Asservat zu den „Ermittlungsakten 
gegen Schlange” an die Kriminalpolizei gegeben, 
wo er ungegessen vertrocknet wäre, — 
Regierungsrat Krause stellte später fest, die Er 
schienene habe sich wohlinformiert erwiesen, ihr 
Ehemann sei ein geachteter Facharzt. Er, Krause, 
habe den Antrag gleich zu Protokoll genommen, 
damit die Erschienene nicht zu schreiben brauchte. 
Und, fügte er zu Julius‘ maßlosem Erstaunen hin- 
zu, das Parfüm, das sie zurückgelassen, sei beim 
Publikum nicht immer so gut. — — 

Inzwischen sagte die reizende Frau zu ihrer 
Freundin, die solange draußen hatte warten dür- 
fen: „Sag mal, müssen Männer Im Dienst eigent- 
lich stets dümmer tun, als sie In Wirklichkeit 
sind?” 

„Laß gut sein, Frauen, die flirten, tun das auch.” 
„Aber ich war ganz sachlich und habe gefragt, 
ob sie zuständig wären, und habe keinen auf- 
gehalten.” — 

Ja, so ist das Publikum. 


Traumland 


Ich denk mir irgendwo ein Land, 
dort lieg ich unter einem Baum; 
aus meinem Munde wächst ein Band 
und darauf steht ein schöner Traum. 


Das Ganze aber ist gemalt 

vor vielen hundert Jahren schon; 
ich bin nicht jung und bin nicht alt 
und bin mein Vater und mein Sohn. 


Der Himmel wölbt sich über mir, 

ich bin nicht traurig und nicht froh, 
doch manchmal sehn’ ich mich nach dir 
fort aus dem Lande Irgendwo. 


Dann will ich wieder arm und klein 
und ob es noch so schmerzlich ist, 
hier, wo ich bin, auch wirklich sein, 
weil du ja dann doch bei mir bist. 
PETER SCHER 


Der Vielgeliebte - Il tanto amato 


„B’sinnst dl" no", Allst? Des Hemderl hab I 
als Jungs Mad trag'n!" — „Mel, da müßt 
I mi auf viel Hemderl b'sinna könnal" 





(Magon) 





N 


es 


"TI rammentl, Luigl, della camicluola che portavo da ragazza!,, — "Eh Dio, di quante camicivole dovrei rammentarmit,, 


DAS SCHAUKELPFERD 


VON ERNST HEYDA 


Weiß der Kuckuck, wer mir am Dienstag abend 
jenes mottenzerfressene, dämliche, dreibeinige 
Schaukelpferd vor die Vorplatztüre gestellt hat... 
Jedenfalls stand es da, Ich merkte es, als ich 
vor dem Aufschließen darüberstolperte und mit 
‚dem Nasenbein auf die Türklinke schlug. Ich 
packte das Biest und brachte es mühsam ins 
Zimmer. 

Zum Glück schlief Adele schon. Ja, da stand also 
das Blest. Kinder hatten wir keine. Was machte 
ich bloß? 

Jedenfalls warf Ich es erst einmal um und 
schleifte es unter das Sofa. Dann ging ich 
schlafen. 

‚Am Morgen, nach dem Frühstück — Ich war ge- 
rade dabei, nachzusehen, welche Temperatur 
draußen war, brachte Adele das Schaukelpferd 
angeschleppt. Sie sah mich fragend an. 

'schrak und murmelte etwas von einer später 
einmal beabsichtigten Weihnachtsüberraschung. 
Adele grinte und meinte, Ich hätte es wohl beim 
Preisschießen gewonnen. Schließlich erklärte Ich 
es ihr. Ob sie es allerdings glaubte, weiß ich 
heute noch nicht. 

Dann überlegte ich. Drei Beine hatte das Biest, 








keinen Schweif, eines von den dicken Glasaugen 
hing zwanzig Zentimeter an einem Draht aus der 
Augenhöhle herab, — ein tierischer Anblick. 
„Ich werde es reparieren!” sagte ich mutig, 
„dann können wir es gelegentlich verschenken — 
irgendwohin, wo Kinder sind...” 

Ich zog mich an und ging In die Stadt. Um Ma- 
terial zu holen, Leim, Farbe, ein Stück Fell, Draht, 
welches Schnitzholz und eine ganze Menge an- 
derer Dinge, die man eben nur zur Wiederher- 
stellung eines versehrten Schaukelpferdes brau- 
chen kann. 

Um neun Uhr abends kam ich nach Hause. Ich 
gebe unumwunden zu, daß ich einige Stunden 
eher hätte da sein können. 

Ich schlich mich mit den Paketen vorsichtig hoch, 
nein, diesmal stand kein Schaukelpferd vor der 
Türe. 

So wütend hatte mich allerdings Adele noch nie 
empfangen. 

„Jetzt kommst du“, tobte sie, „für vier Uhr hatte 
ich das Ding schon dem Herrn versprochen, der 
in der Zeitung stand...” 

„Ding... Herr... Zeitung ...!” stammelte ich ver- 
wirrt. 








Es war so: In der Zeitung stand eine Anzeige, es 
habe jemand einen elektrischen Kocher über, er 
suche dagegen ein Schaukelpferd zu tauschen. 
Adele schluchzte. 

cn wußte, ein elektrischer Kocher war ihr Traum, 
Ich wurde gerührt. 

jein liebes Mädchen”, sagte Ich und streichelte 
sie, „verlasse dich ganz auf mich, du bekommst 
deinen Kocher" 

Ich raste zum Telefon, wählte die Nummer aus 
der Zeitungsanzeige, erwischte endlich den 
Kochermann. Also, hier sei das Schaukelpferd, 
was? Nein, nicht persönlich natürlich. Wegen dem 
Kocher, Jawohl... 

Wir verabredeten, Ich solle am nächsten Morgen 
das Schaukelpferd hinbringen. Adresse da und da. 
Adele band mir eine Schürze um, und ich be- 
gann die Reparatur. Adele ging schlafen. Als sie 
mir um ein Uhr heißen Kaffee und eine Stulle 
brachte, hatte ich mit Leim, Draht und Nägeln das 
Glasauge wundervoll verstaut. Jedenfalls machte 
das Tier längst nicht mehr einen so erbärmlichen 
Eindruck. Um drei Uhr hatte ich einen Schwanz 
gebaut, zwei Stunden später aus einem maskier- 
ten Besenstiel ein viertes Pferdebein. 

Um sieben Uhr, als Adele aufstand, wusch Ich 
schon den Leim und die Farbe aus dem Teppich. 
Jedenfalls war alles in tadelloser Verfassung. 
Um dreiviertel zehn brachte Ich einen wunder- 
vollen Kocher an — Adele strahlte... 

Wir schlossen ihn gleich an. Fünf Minuten später 
waren alle Hausbewohner oben, well nirgends 
mehr ein Licht brannte. Die Sicherungen waren 
zum Teufel, eine merkwürdige glühende Draht- 
spirale war plötzlich aus dem Kocher und In die 
Gardinen gesprungen. Ich setzte meinen Luft- 
schutzstahlhelm auf und begann zu löschen. Vor- 
sichtshalber löschte ich gleich in den anderen 
Stuben mit. Bis an die Knöchel stand ich im 
Was: es erfrischte herrlich. 

Dann rief ich den ehemaligen Kochermann an. 
Ich hatte kaum etwas gesagt, da fing er schon 
an, Ob ich vielleicht einen Besenstiel als Pferde- 
bein bezeichnen könne? Und alle fünf Minuten 
hänge dem Biest das Glasauge bis auf die Erde, 
Nachdem wiı beide sechzehn Minuten lang gegen- 
seitig geschimpft hatten, hängte Ich ein. 

Ich ging zur Zeitung und ließ eine Anzeige los: 
„Tausche elektrischen Kocher gegen Schreib- 
maschine... 
Es kam tatsächlich einer. Er brachte am Nachmit- 
tag eine Maschine an und nahm den Kocher mit, 
Die Spiralfeder hatte ich wieder eingebaut. 
Zwei Stunden später hatte Ich die Maschine schon 
wieder gegen eine Standuhr vertauscht. 

Es war herrlich. Ich tauschte acht Tage lang alles 
gegen alles. Adele und ich waren wie im Rausch. 
So oft wir eine Zeitung aufschlugen, fanden wir 
einen Artikel, den wir brauchen konnten. Ich 
tauschte mein Fahrrad gegen eine Luftbüchse, 
einen alten linken Lederhandschuh gegen eine 
Marmorplatte, Adele bekam für ihre Pelzboa eine 
Taschenlampe. 

Am neunten Tage tauschte ich die Standuhr ge- 
gen ein Schaukelpferd. Ich wußte es gleich, es 
war mein Schaukelpferd.. 
Es hatte jetzt ein schwarzes und ein hellblaues 
Glasauge, einen wundervollen Schwanz — aus 
Adeles Pelzboa und ein herrliches, künstlerisch 
geschnitztes viertes Bein. 

Unser Schaukelpferd. 

Wir standen lange davor, dann holte Ich ein Beil 
und hieb das neue Bein ab. Mit einem Stemm- 
eisen entfernte ich das hellblaue Glasauge und 
Adeles Pelzboa hing ich wieder in den Kleider- 
schrank. 

In der Nacht packte Ich das Schaukelpferd und 
schleppte es auf den unteren Vorplatz, vor die 
Türe unseres Hauswirtes. - 

Als der Mann nach Hause kam, hörte ich ihn 
fürchterlich fluchen, Er,war mit der Nase auf die 
Türklinke aufgeschlagen. 

Am nächsten Nachmittag stand in der Zeitung: 
„Tausche Schaukelpferd gegen elektrischen 
Kocher..." 




















Zünftigen 


(K. Helligenstaeat) 


„Den hab ich auch schon gezeichnet, das ist der mit der Blinddarmnarbel* 


Consorti di maestranza: “L' ho glä disegnato anch’ Io costul; & quegli dalla cIcatrice d’ appendicitel,, 





BEGEGNUNG 


MIT ARTEMIS 


VON A. WISBECK 


Brigitte habe ich in jener Nacht zum letztenmal 
gesehen und keinen Versuch unternommen, mit 
ihr wieder in Verbindung zu treten. Weshalb 
auch? Hätte ich ihr vielleicht schreiben sollen 
„Wie geht es Ihnen, mein Fräulein? Haben Sie 
den Sommer gut verbracht? Kleiden Sie sich noch 
immer In Schwarz? Tragen Sie noch das Schnür- 
chen ziegelroter Korallen um Ihren Hals?‘ Oder 
hätte ich sie um ihre letzte Aufnahme bitten 
sollen, das enttäuschende Bild einer gealterten 
Frau? Denn schon damals, vor vielen Jahren, als 
ich sie kennen lernte, dürfte sie im Anfang der 
Dreißiger gestanden haben. Heute mag sie wohl 
in irgend einem verschneiten Städtchen des Nor- 
dens sitzen, ihre Strümpfe stopfen und einen 
schnurrenden Kater in ihrem Schoße kraulen. Was 
geht es mich an? Wir haben uns nicht geliebt, 
und niemals kam auch dieses Wort über unsere 
Lippen. Doch denke ich oft an Brigitte, ich muß 
es gestehen, ich denke oft an sie. War es ein 
‚Abenteuer nur, das Erlebnis flüchtiger Stunden? 
Im üblichen Sinne könnte man es wohl so nen- 
nen. Doch suche ich nach einem anderen Wort, 
einem, das die Nacht von der gläsernen Kuppel 
des südlichen Himmels über das Meer und durch 
Olivenhaine trägt, das den tausendfältigen Duft 
unbekannter Blüten verströmt und im Geflimmer 
der Sterne die Lippen weißer Götterbilder um- 
spielt. Ich finde es nicht, dieses Wort, und auch 
Brigitte würde es wohl vergeblich suchen. „Wie 
war es doch nur?" möchte sie sagen, „ein rosig 
betupfter Nachtfalter taumelte über uns durch das 
Weinlaub, Herden von Sternen zogen ihre silber- 
bestäubte Bahn, der heiße Atem des Meeres 
hauchte uns an. Und wissen Sie noch, mein Herr, 
hinter einer vermorschten Säule der Loggia hielt 
sich Pan verborgen. Während das Wachs der 
Kerze langsam zerrann, schwebte sein verliebtes 


Bedenken - Riflessione 


Hirtenlied durch die Sternennacht,” — „Ihre Schil- 
derung stimmt vollkommen“, antwortete ich, „und 
auch die Tatsache, daß ein Schnürchen ziegel- 
roter Korallen Ihren Hals umwand, blieb in mel- 
nem Gedächtnis haften. Komisch, wie man über 
den großen Dingen des Lebens solcher belang- 
loser Kleinigkeiten nicht vergißtl” „Ja, es Ist höchst 
komisch”, bestätigte Brigitte mit dem müden Lä- 
cheln ihrer welk gewordenen Lippen und krault 
dabei das gelbe Fell ihrer Katze. — — 

Zu jener Zeit verlebte ich einen Sommer in Posi- 
tano, dem Städtchen der Fischer und Maler, das 
sich zwischen Sorrent und Amalfi über weiße Klip- 
pen geisterhaft den Berg hinauf windet. Ein Hei- 
ligtum des Poseidon soll hier gestanden haben, 
und es ist wohl glaubhaft, daß der Gott des 
Dreizackes an dieser schmalen, von Fels und 
Gischt umsäumten Bucht an Land stieg, um nach 
den Mühen des Meeraufwühlens ein Schläfchen 
zu halten. Später besiedelten Griechen, Saraze- 
nen und latinische Völker den schützenden Ha- 
fen, und dann kamen die Schwabinger Maler. 
Seht nur, wie sie in Schwärmen an Land stoßen, 
ein leichtes Bündel in der einen, eine schwere 
Rolle Leinewand in der anderen Handi Jawohl, 
Ihr siebengescheiten Reiseführer, wir Schwabin- 
ger haben diese kostbare Perle der Schaum- 
geborenen für die Menschheit entdeckt, und ihren 
Ruhm bis zum Nordkap getragen! Manch einer 
von uns konnte sich von diesem Gestade der 
Seligkeit nie mehr trennen. Kobalt und Oxydgrün 
versteinten auf der Palette, die Staffelei zerfiel 
— an der Marina sitzt ein Greis und blinzelt ver- 
sonnen in das schwarze Blut des Chiantl, — 
Wo es Maler gibt, da fehlt es nicht an Frauen, 
und wo es Frauen gibt, da fehlt es nicht an Liebe. 
Ein Rudel von mehr oder weniger Schönen folgte 
der Spur der bildenden Kunst in die Gefilde zeit- 


(Hanna Nagel) 





„Das Ist eben das Schwierige: wenn ich vom Wuschelkopf zum Madonnen- 
scheitel übergehe, müßte ich mich auch seelisch umstellen!“ 


"Qui appunto sta la difficoltä: se dalla esta arruffala passo alla diseriminatura 
di Madonna, anche Ia mia anima dovrebbe mutar rotta!,, 


loser Freude. Da saßen sie nun Abend für Abend 
vor der kleinen Taverne am Meer und verschenk- 
ten im Rausch der weinseligen Stunde ihr po- 
chendes Herz. Da saß die stupsnasige Trudl, die 
am Kopf des ungetreuen Buhlen eine Amphora 
zerschmettert halte, es saß Lizzi da, vor deren 
ungestümen Leidenschaft der Kunsimaler Wein- 
zierl flüchtig geworden war, die rassige Nelly, 
die dem Maler Heimerl alltäglich mit einer Schein- 
todpistole bedrohte — es gab viel Liebe In Po- 
sitanal Doch was war mit Brigitte? Hatte sie denn 
nicht auch Anspruch auf einen von uns? Weshalb 
lockerte nie eine Regung der Sinne diese edel 
geformten, zu Marmor erstarrten Züge? Warum 
hielt sie sich abseits unseres weinfrohen Kreises, 
überhörte sogar unsere anständigen Witze und 
saß schweigsam in ihrer Ecke? „Wer ist diese 
Brigitte?” frug ich meinen Freund Schmälzle, denn 
er durfte als Auskunftei über alle Fremdlinge gel- 
ten, die hier ihren Fuß an Land gesetzt hatten. 
„Man weiß es nicht”, antwortete er mißlaunig, 
„sie dürfte aus dem Holsteinischen stammen und 
ist ein hochnäsiges Frauenzimmer. Wir nennen sie 
‚Artemis‘, denn sie hat die straffen Beine, die 
schmale Hüfte, die schwach gewölbten Äpfelchen, 
den federnden Schritt der göttlichen Jägerin. 
Dazu trägt sie das Haar antik geknotet und will 
von Männern so wenig wissen, wie ihr olympi- 
sches Vorbild. Hol's der Teufel, man müßte schon 
die Verwandlungsgabe des Zeus besitzen, um 
sich diesem Mannweib vielleicht als Taschenkrebs 
‚oder Tintenfisch zu nähern!” In der Tat, die Schil- 
derung meines Freundes schien das Richtige zu 
treffen: eine marmorne Schönheit, die nur als 
Kunstwerk zu werten war, und der bloß noch die 
Etikette eines Museums fehlte. — 

Eines Tages stehe ich oben, in der citta morte, 
der toten Stadt, an meiner Staffelei, Unheimlich, 
aus leeren Fensterhöhlen, starren dich hier die 
Häuser an, denn das Viertel wurde vor langen 
Jahren schon von den Einwohnern verlassen, Sie 
hatten in Amerika Ihr Glück gesucht. Ein leichter 
Schritt klingt in der leichenhaften Stille auf: Bri- 
gittel Sie erwidert meinen Gruß schweigend mit 
kaum merklichem Nicken, will an mir vorüber 
eilen, Nun, ich liebe es im allgemeinen nicht, bei 
meiner Arbeit beobachtet zu werden — das war 
aber denn doch ein starkes Stück! „Das gnädige 
Fräulein interessieren sich wohl nicht für Malerei?” 
rufe Ich ein wenig grob der göttlichen Jägerin 
nach, Sie wendet sich sofort um, tritt neben mich 
und betrachtet wortlos das Bild. „Wie gefällt 
Ihnen meine Patzerei?” fragte ich spöttisch. „Ich 
verstehe nichts von Malerei”, erwiderte Brigitte 
schlicht, „und wenn Ich sagte, das Bild geliele 
mir, so könnte Sie das nicht befriedigen.” Nun, 
das war nichtübel gesagt, und wir kommen etwas 
in das Plaudern. Plötzlich fällt ein Schatten über 
das Bild. Von rasch aufkommendem Wind getrie- 
ben zieht gelbliches Gewölke über die Bucht. 
Gewitter zählen in dieser Gegend zu Seltenhei- 
ten. Entlädt sich aber die aufgespeicherte Kraft, 
dann durchjagen Dämonen, in flammende Fetzen 
gehüllt, die Luft, die Erde windet sich unter den 
Stößen der Blitze, heulend zerschlägt sich der 
Gott des Meeres an Fels und Klippe die zot- 
telige Brust. „Was Ist?” frägt Brigitte verwundert 
und blickt nun auch zum verdüsterten Himmel 
auf. „Poseidon ist von seinem Schläfchen er- 
wacht” sage ich und raffe meine Farben zusam- 
men. „Nun springt er gröhlend in das Meer. Seine 
blanken Schultern triefen von Algen, das schwarze 
Gekräusel seines Bartes ist mit Schnecken ver- 
klebt — heioh — heloh — schon schmettern die 
Muschelhörner der Tritonen, schon gräbt sich der 
Dreizack in den felsigen Grund! „Was sollen wir 
tun?” frägt Brigitte und erstaunt vernehme ich 
die Stimme eines verängstigten Kindes. Artemis? 
Göttliche Jägerin? Wo ist dein kühner Schritt, die 
gestraffte Kraft deiner Beine? — Bündel von Blit- 
zen zucken aus zerfransten Wolkenballen, der 
Sturm peitscht klumpigen Regen durch die engen, 
verfallenen Gassen. Ich ergreife die Erstarrte am 
Arm, geleite sie unter eine schützende Beda- 
chung. Hier sitzt sie auf einem Mauerbrocken, 
blickt schweigend vor sich hin. — 

Immer weiter hat sich der Dreizack durch die 
Bucht in das offene Meer gewühlt. Dort flockt die 
schöäumende Gischt aus tiefen Furchen über das 


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blelerne Grau. Die kalkige Klippe des Kap aber 
hebt sich schon wieder aus ihm, über der Marina 
schwebt bereits die Glorie des Lichtes. Schweig- 
sam steigen wir über zerbröckelnde Treppen hin- 
ab In die Stadt der Lebenden. „Es würde mich 
freuen, wenn Sie mich heute Abend besuchten” 
sagt Brigitte, und ich höre die Überwindung, 
die es sie kostet. Das Erstaunen über die über- 
raschende Einladung benimmt mir eine glaubhafte 
Ausrede, „Mit Vergnügen werde ich kommen!” 
lüge ich, meine Unbeholfenheit verfluchend. Denn 
wo bleibt nun der verheißungsvolle Abend der 
tehäugigen Toni? Mit kühlem Händedruck ver- 
abschleden wir uns. — — 

Weinlaub rankt sich um die vermorschenden Säu- 
len der kleinen Loggia, tief unten ruht, vom Kup- 
fer der Abendsonne zart Überhaucht, das Meer. 
Wir sitzen bei einem Mahl, das Erde und See 
freigebig spenden, der Rubin des Chianti funkelt 
durch altertümliche Kelche. Bei Brigitte deutet 
nichts auf die Erregung des Tages. Die marmorne 


Ruhe unnahbarer Gottheit lagert wieder auf der 
edien Wölbung der Stimme, auf den sanft ge- 
schwungenen, schweigsamen Lippen. Ich muß mit 
Freude an Toni’s niederen Hirnkasten, an Ihre 
breiten Backenknochen, ihr aufgefärbtes, nußgro- 
Bes Mäulchen denken. Nun Ja, später — später — 
es ist noch Zeit! — Nun breitet sich Veilchen- 
bläue über die Bucht, flimmert an der hohen Kup- 
pel des Himmels der erste Stern. Rasch sinkt die 
Nacht auf Stadt und Meer. Kein Hauch kräuselt 
das steile Licht der Kerze, Ihr Schein wirkt ein 
goldenes Neiz über das dunkle Rankenwerk des 
Weinlaubes. Ein Nachtfalter mit rosig betupften 
Flügeln taumelt durch die Maschen. Wir sind an 
die Brüstung der Loggia getreten. Nun funkeln 
allüberall die Sterne auf, sammeln sich zu unüber- 
sehbaren Schwärmen und ziehen still ihre ewige 
Bahn. „Hören Sie nicht die Schalmei des Pan?” 
flüstert mir Brigitte zu. Lauschend neigt sie ihren 
Kopf gegen eine dunkle Ecke der Loggia. „Ich 
höre nichts” sage ich, „Vielleicht ist es die Gul- 








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tarre eines Fischers.“ „Nein, es Ist ein Hirtenlied 
des Pan”, kommt eskaum hörbar zurück. Verwundert 
wende ich mich der Frau zu. Ihre Augen sind 
geschlossen, der Mund bebt, sie atmet tief. Ich 
greife nach Ihrer Hand, die sie mir willenlos 
überläßt. „Es ist Pan”, höre ich Brigitte nochmals 
flüstern, und glaube nun selbst, die lockenden. 
liebesseligen Weisen einer Schalmel zu verneh- 
men. Ein Kopf sinkt mir zu, Lippen öffnen sich. — 
Der Docht der Kerze ist verschwelt, schon tasten 
der Eos zarte Finger über das dämmerige Meer, 
kränzt sich der Nimbus des Morgenlichtes um das 
tragende Kap. „Morgen— wieder beiDir?'frageich, 
als wir uns verabschleden. Brigitte antwortet nicht, 
ihre Hand Ist kühl und widerstrebt meinem Druck. 
Um die Mittagszeit des nächsten Tages wird mir 
ein Brief überbracht: „Leben Sie wohl! Ich bin 
abgereist und werde nicht mehr zurückkehren. 
Vergessen Sie so rasch, wie Ich zu vergessen 
suchel Brigitte.” 
Ein jäher Schmerz durchfuhr mich, ein Schmerz, 










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wie Ich ihn noch nie empfunden hatte, wenn 
eine Frau von mir ging. Habe ich sie geliebt? 
Damals glaubte ich es, und es war mir, als hätte 
ich in wenigen Stunden das Kostbarste gefunden 
und wieder verloren, was mir das leben zu 
geben hatte, Heute denke ich wesentlich kühler 
über den Fall und sage mir: Brigitte war eben 
doch das hochnäsige Frauenzimmer, wie es 
Schmälzle beschrieben hatte. Die göttliche Arte- 
mis, und ein armseliger Schwabinger Malerl 
Schande — Schandel — 


„Wo Ist unsere schöne Olympierin?” frägt 
Schmälzle, als Abends Briglitens Platz in der 
Taverne frei bleibı. „Eine Depesche der kranken 
Mutter rief sie nach Hause”, lüge ich, „Sie wird 
nicht wiederkommen.” „Der Verlust ist schwer”, 
schmunzelt mein Freund, „laßt uns zum Trost eine 
Flasche trinken!” „So viel Ihr wollt!“ lache ich 
In den Kreis hinein, werfe eine Handvoll Lire- 
Scheine auf den Tisch und gehe 


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Grat Bobby hatte Freunde zum Abendessen ein- 
geladen. Am Nachmittag rief sein Freund Rudi an 
„Bobby, machts dir was aus, wenn Ich einen gu- 
ten Freund mitbringe?" 

„Aber gar nicht! Wen willst denn mitbringen?” 


„Einen bekannten Aftikaforscherl Stell dir vor, et 
hat zehn Jahre mit Menschentressern gelebt!” 

Graf Bobby erschrack: „Zu dumm! Und wir haben 
ausgerechnet heute Fisch!“ 3.H.R. 


* 


Ich traf einen. Er sah von den Jahren recht mit- 
genommen aus 

„Wie alt sind Sie denn, Väterchen?“ fragte ich 
voll Mitgefühl 

„Bald neunzig Jahrel” 
„Haben Sie Kinder?” 

Und er: „Nein. Noch nicht.” 


* 


Zum Obermedizinalrat Dr. L. In Stuttgart kam eln 
Patient und sagte schlicht und gottesfürchtig: 
„Oh, Herr Doktor, sehet Se, ich möcht‘ halt gern 
amol so sterbe: Kei langs Krankelager, bloß so @ 
Schlägle, daß mer nix meh von sich weiß!” 
„Gelt Sie Schleckerl“ war die Antwort. 


3.H.R. 


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Warum muß die Schürze 
noch drei Tage reichen? 
Ella soll die Schürze noch drei 

Tage tragen, well sie „nach nicht 

schmutzig genug" ist. Auch die 

Küchenhändtücher sollen bei Frau 

R. richtig dunkel sein. che sie 

in die Wäsche kommen. Frau R. will nänlich Wasch- 

pulver sparen; deshalb wäscht sie so selten. 
Spart sie damit aber wirklich Waschpulver? Im Gegen- 


teil: doppelt schmutzige Wäsche kostet nicht nur doppelt. 
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sondern oft dreimal soviel Waschpulver. Denken Sie nur 
daran, wie schwer man überfettete Küchenhandtücher sau- 
ber bekommt — oder wie schwierig es ist, Schweiß- und 
Schmutzränder an Kragen und Manschetten von Oberhem- 
den zu entfernen. Die Schmutzstellen müssen dann stark 
gerieben und gekocht werden. Die Wäsche geht dadurch 
sehr rasch entzwei. 

Lassen Sie also Ihre Wäsche nicht so schmutzig werden. 
Wäsche hält länger und erfordert weniger Waschpulver, 
wenn man sie häufiger wäscht. 

Vor allem aber: Weichen Sie heute im Kriege gründ- 
licher ein! Mindestens eine ganze Nacht soll die Wäsche in 


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der Einweichlösung liegen, Vor allem schwenke man die 
Wäsche im Einweichwasser öfter hin und her. Wenn sie 
besonders schmutzig ist. kann man einen Wäschestampfer 
zu Hilfe nchmen oder die Wäsche in der Waschmaschine 
kurz schlagen. Das unterstützt die Lockerung des Schmutzes 
und Sie kommen auch mit weniger Einweichmitteln zurecht, 

Nadı dem Einweichen darf man das Ausspülen in klarem 
Wasser nicht vergessen, Der gelöste Schmutz würde das 
Waschpulver ganz unnötig verbrauchen, Nehmen Sie diese 
kleine Mehrarbelt im Kriege mit in Kauf: sie spart Ein- 
weichmittel und Waschpulver und schont Ihre Wäsche, die 
sich heute schwerer ersetzen läßt als in Friedenszeiten. 


Handlung 


Braunfchweig 





Wie wird 
Wein zu Sekt? 


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feurige Weine harmonisch mit 
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Der Wein beginnt zu gären 
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DIE KANINCHEN 


VON ERIK STOCKMARR 


Mein Freund Henry und ich machten in unserer 
grünen Jugend allerlei Narrenstreiche, über die 
wir uns köstlich amüsierten, Eine unserer liebsten 
Vergnügungen war es, an verschiedene Bekannte 
in Kopenhagen zu telefonieren. 

Einer unserer Freunde, Christian Hansen, der da- 
mals Jura studierte, wohnte bei einer alten Dame, 
Fräulein Mortensen, bei der er ein kleines Zim- 
mer ihrer Wohnung im vierten Stock gemietet 
hatte. Eines Tages, als wir wußten, daß Christian 
nicht zu Hause war, telefonierten wir an die alte 
Dame. Henry, der seine Stimme fabelhaft ver- 
ändern konnte, führte das Gespräch in tiefem Baß. 
„Hallo“, sagte er, „ich möchte gerne mit Herrn 
Christian Hansen sprechen.” 

„Herr Hansen ist leider nicht zu Hause, aber viel- 
leicht kann ich ihm etwas ausrichten? Hler ist 
Fräulein Mortensen, die Wirtin von Herrn Hansen.“ 
„Ach so. Ausgezeichnet! Sie sprechen mit Tisch- 
ler Petersen aus Hellerup. Wollen Sie, bitte, Herrn 
Hansen sagen, daß ich heute Vormittag komme, 
um den Kaninchenstall in seinem Zimmer aufzu- 
stellen. Um zehn Uhr bin ich da.” 

„Was sagen Sie? Kaninchenstall?? In meiner Woh- 
nung?“ 

„Ja. Zehn Kaninchenställe sollen wir bauen, an 
den Wänden entlang, und dann noch einen oben 
auf dem Kleiderschrank. Das wird wohl vorläufig 
genug sein. » 

„Aber Menschl Was ist das für eine Komödie? 
Kaninchenställe wollen Sie aufbauen? In meiner 
Wohnung? Und oben auf dem Kleiderschrank auch 
einen?" 

„Jawohl, in Ihrer Wohnung. Herr Hansen wohnt 
doch bei Ihnen, nicht wahr?” 

„Ja, gewiß.” 

„Herr Christian Hansen?” 

„Ja, Herr Christian Hansen.” 

„Gut, dann ist alles in Ordnung.” 

„Aber was'sind das für Kaninchen, von denen Sie 
reden?“ 

„Das weiß ich nicht bestimmt, ich glaube aber, 
es sind Angorakaninchen. Jedenfalls will Herr 
Hansen mit der Kaninchenzucht anfangen. Er hat 
mich beauftragt, die Ställe in seinem Zimmer 
schnell aufzustellen, und ich muß wissen, ob ich 
heute Vormittag kommen kann?” 

„Heute Vormittag?” rief die alte Dame erschrocken. 
„Ach so, das paßt Ihnen nicht, merke ich. Gut, 
dann komme ich heute Nachmittag. Also auf Wie- 
dersehn, und viel Glück mit den Kaninchen.” 
Eine halbe Stunde später telefonierten wir wie- 
der an Fräulein Mortensen. Diesmal führte ich das 
Gespräch, während Henry daneben stand und 
Tränen lachte, — „Hallo, ich möchte gerne mit 
Herrn Christian Hansen sprechen.” 

„Herr Hansen ist leider nicht zu Hause.” 

„Und mit wem habe ich das Vergnügen zu spre- 
chen?“ 

„Hier ist Fräulein Mortensen, die Wirtin von Herrn 
Hansen,” 

„Aha, Guten Tag Fräulein 
Tierhändler Petermann aus 
ich Herrn Hansen treffen?” 
„Das ist schwer zu sagen, ich glaube aber, er 
kommt erst heute Abend nach Hause.’ 

„So spät! Er hat mir gesagt, er wäre am Vormittag 
zu treffen. Ich soll ihm doch heute seine Kaninchen 
bringen. Na, das macht ja sowieso nichts, wenn 
ich nur in sein Zimmer hereinkommen kann.” 
„Was sollen Sie ihm bringen?” 

„Seine Kaninchen, Fräulein Mortensen; 37 Kanin- 
chen hat er doch bestellt. Und was für Kaninchen 
das sind! Prachtvolle Tiere, sage ich Ihnen, herr- 
liche Tierel Drei sollen sogar Junge bekommen, 
niedliche kleine Kaninchenjunge. Darüber werden 
Sie sich riesig freuen.” 

„Aber ich verstehe nicht..." 

„Ich auch nicht, denn Herr Hansen hat gesagt, 





Mortensen. Hier ist 
Söborg. Wann kann 


er wäre bestimmt heute vormittag zu Hause. 
Merkwürdig Ist das. Na, das wird schon alles ge- 
hen, wenn Sie nur den Schlüssel zu seinem Zim- 
mer haben.” 

„Ich? Ich habe doch keinen Schlüssel. Und übri- 
gens verstehe Ich überhaupt nicht... ich kann 
doch keine Kaninchen in meiner Wohnung haben.” 
„Nein, nein, Fräulein Mortensen nicht in Ihrer 
Wohnung, sondern im Zimmer des Herm Hansen 
werden wir sie installieren.” 

„So? Und wo denn?” 

„In den Ställen längs den Wänden.” 

„Es sind aber keine Ställe da.” 

„Was sagen Sie? Es sind keine Ställe da? Hat 
denn der Tischler sie noch nicht aufgestellt? Der 
verdammte Kaninchentischlerl” 

Fräulein Mortensen weinte ins Telefon. 

„Heute Nachmittag wollte er kommen... 
gesagt... Ach Gott im Himmel!” 

„Heute Nachmittag? Das Ist aber viel zu spät. 
Hier stehe ich mit 37 Kaninchen und kann sie nicht 
abliefern. Ich muß sie aber sofort los werden, 
denn ich brauche den Wagen für andere Transporte.” 
„Schrecklich ist das... schrecklichl” 


hat er 


„Ach nee. Das ist alles nicht so schlimm. Weinen 
Sie doch nicht, Fräulein Mortensen, wir werden 
die Kaninchen bis heute Abend in Ihrer Woh- 
nung aufheben, bis der Tischler kommt.” 

„In meiner Stube sollen die Tiere sein? 

„Ja, wo soll ich sie denn sonst unterbringen? In 
den Taschen kann ich doch nicht 37 Kaninchen 
haben und den ganzen Tag mit ihnen herumlau- 
ten, nee...“ 

„Aber lieber Herr Kaninchenmann, ich kann doch 
nicht...” 

„Aber natürlich, Fräulein Mortensen. Wir werden 
sie in Ihren Kleiderschrank einsperren, oder in 
Ihrem Schlafzimmer oder sonst irgendwo. Das ist 
gar nicht so schlimm. Und denken Sie einmal, 
wie viele schöne Sachen Sie aus der Wolle strik- 
ken können.” 

„Aber sie riechen doch, Herr Petermann.” 
„Ich??" 

„Nein, die Kaninchen.” 

„Ach wo. Also auf Wiedersehen, Fräulein Mor- 
tensen und leben Sie recht wohl. Herrliche Tiere 
sind das. Guten Morgen, guten Morgen!” Im 
Telefon erklang ein Schluchzen, als wir einhängten! 


DIE DOPPELTE STASI 


VON KARL SPRINGENSCHMID 


Uber das Bachleitenwiesi geht er geschwind 
voran, der Gefreite Michl Hollenzer, wie er es 
von draußen, vom Eismeer, gewohnt ist, schaut 
ein wenig links, schaut rechts, man kann nicht 
wissen! schaut achtsam voraus; denn das Ge- 
lände hinterm Dort ist ihm schier fremd gewor- 
den, so lang war er nicht mehr auf Urlaub, und 
führt die Seinige, die Stratzlinger Stasi, wie es 
in der Tundra Brauch ist, zwei Schritt hinter seiner. 
„Kimm, Stasi”, sagt er, „da sein mier eing’sehn!” 
Aber es ist alles ruhig, nichts Feindseligs rundum. 
Bloß der alte Hansenbichiknecht dangelt noch 
die Sangsee. 

Das Dörfl rückt hinter die Apfelbäum, bloß der 
Kirchturm spitzt noch drüber. Aber der sagt nichts; 
denn er hat schon genug Liebsleut hinterm Dorf 
verschwinden sehen, die siebenhundertneunund- 
dreißig Jahr, die er steht. 

Jetzt sind die Birken da und das Wegl biegt 
tiefer hinein in den Hollauer Wald. 

„So, Stasi“, sagt: der Michi hinter dem Holz, „da 
sein mier hiez guet in Deckung!” 

Die Stasi hängt sich ihm in den Arm. Aber er tut 
nichts mehr dergleichen. Ein Urlauber, gar einer 
vom Eismeer, Ist halt eln seltsamer Mensch. Jedes 
grüne Blatt! schaut er eigens an und zupft die 
roten Nagerln ab am Wegrand und horcht dem 
Nachtvogerl nach, der über die Lärchenwipfel 
fliegt, als wär er bloß wegen Wiesen, Bäum und 
Vögel auf Urlaub gefahren um die halbe Welt. 
„Wissen möcht i schun,. wia ös da am Eismeer 
tuet”, hebt die Stasi an, „soviel Mannerne bei- 
nand und koa Weiberne nit in der ganzen 
Gegendl” 

Aber der Michl hört gar nicht hin. Er loost bloß 
wie schön der Nachtvogel schreit drin im Holl- 
auer Wald. 

„Irgends wo mueß ja die Kraft hin”, setzt die 
Stasi fort, „wann ah der Bolschewik viel braucht, 
aber die richtige Kraft, die inwendige, die bleibt 
enk dö übrig!” 

Spitzt der Mich! bloß den Schnabel und pfeift 
dem Nachtvogel drein in seinen Tanz. 

Da fahrt die Stasi auf: „Wo tüet ös denn die ganze 
Mannskraft hin, oben am Eismeer, und die Liab?" 
„Liab?” wacht da der Michl auf, „recht hascht, 
Stasi. Der Mensch, und gar der Mensch oben am 
Eismeer, braucht was für sei LiabI!” 

„Na, alsdann“, meint die Stasi zufrieden. 

„Ja, so ischt es, Stasi: Um so armseliger die 
Gegend ischt, um so mehr bleibt für die Liab 
übrig. Wann i da oben unter Fels und Eis nit was 
Lebendigs hätt für mei Liab...” 


12 


„Was Lebendigs sagst?” 

„Ja, was Lebendigs, wann i nit mei Stasi hätt... 
„Stasi? 

„Ja, Stasi, grad so hoaßts wia du und liab Ischt 
sie, wia halt grad a Stasi liab sein kann!" 

Da bleibt die Stasi stehn und faßt ihn fest beim 
Arm. „Dös ischt ja Intressant, daß du am Eismeer 
ah so a Stasi hascht. Wie alt ischt sie denn 
nacher?'“ 

„Alt? Jung ischt sie, jung und sauber. So was 
Saubers gibt's nit wieder hinterm Polarkreis, wis 
mein Stasi ischt, die andere, die nördliche Stasi, 
moan I.” 

Jetzt ist es aus. Keinen Schritt geht sie mehr, 
die Stasi, die richtige mit so einem, der überall 
in der Welt, wo er hinkommt, seine Stasi hat. 
„Etwa bringst sie nacher gar amol hoam ins 
Zillertal, die ander, die vom Eismeer, die kalte, 
bal der Krlag aus Ischt?" 

„Nix liaber wia dös”, lacht der Michl, „so guet 
wia mier zsammpassen, mier zwoa. Dös dritt Jahr 
leben mier schun mitnand, ob’s stürmt oder 
schneibt, allweil ischt sie bei mir, die Stasi, den 
Tag und die Nacht...” 
„So, die Nacht ah?” 
„J8, die Nacht ah und dö gibt besser aus als die 
Nacht dahoam, Siebzehn Wochen dauert die Nacht 
am Eismeer oben...” 

„Du bischt Ja ganz a Schlacher, du”, schluchzt die 
Stasi, „slebzehn Wochen allweil mit der andern!" 
„Und mueß i amol auf Posten, da freu I mi die 
ganze Zeit, wann i wieder zu meiner Stasi kimm, 
‚Stasi‘, sag I, ‚hlez bin i dal‘ und pack sie um 
den Hals, weil sie ja ah Stasi hoaßt wia du...“ 
„Urschl kannst sie hosßen von mir aus oder 
Trampl oder..." 

„Na, na, Stasi hoaßt sie. So ischt es Brauch bei 
uns Tragtierführer oben am Eismeer. Jeder hoaßt 
die Seinige so, wla die Richtige dahoam hoaßt 
und du hoaßt bei mir Stasil” 

Da erst schlagt es ein bei ihr, auf springt sie 
und packt ihren Urlauber um den Hals: „So Ischt 
die ander Stasi bloß a Gaul?” 

„Mei Stasi ischt nit bloß a Gaul, wia du sagst, 
dös ischt a Roß oder, wann du es genau wissen 
willst, a Mull. Aber a feins Muli, a liabs..." 

„A Muli”, jauchzt die Stasi, „dös kann so liab 
sein, als es grad will. Aber weiberne Stasi hascht 
bloß oane, gell?” 

„Bloß di”, lacht der Michi und haltet sie fest mit 
beiden Händen, als hätt er jetzt erst begriffen, 
für was er auf Urlaub gefahren war um die halbe 
Welt. 








Wohltätigkeitsfest in Washington a 
{Erich Schilling) 


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EEE je u auge -. =. 4 











„Wie findest du dieses marokkanische Kostüm, Frank?‘ — „Ausgezeichnet, so gefällst du mir am besten!‘ 


Festa di Beneficenza a Washington: “Come trovi, Frank, questo costume maroccano?,, — “Magnifico! Cosi mi piaci di piü che in ogni altro!,, 


13 


AUFRUHR ÜBER GENF 


Einmal an einem frühen Sommermorgen führte uns 
der bunte Weg dieses Krieges unversehens auf 
die Höhe des französischen Jura und drüben 
halben Weges zum Genfer Seeboden so welt 
hinab und auch so rechtzeitig vor unser neues 
Quartier, daß wir alle, noch im Ablegen des Ge- 
pöckes begriffen, Zeugen eines ungewöhnlichen 
Vorganges wurden. 

Vordem, noch auf dem Scheitel der Paßstraße, 
hatte uns trocken und kalt treibender Nebel um- 
fangen, und auch die vielgewundene Paßstraße 
hinab waren die schwarzen Fichtenwände noch 
im dichten Nebelrauch vorübergeschwommen. 
Nun aber ward der grau fließende Vorhang plötz- 
lich von wehenden Händen aufgetan, ein heftiger 
weißer Glanz von unten her machte uns für lange 
glückselige Augenblicke blenden und dann be- 
griffen wir mählich das vollkommenste Landschafts- 
bild dieser Erde: einen im hellodernden Morgen- 
lichte weithin schimmernden Seespiegel, zwischen 
blauen Vorgebirgen und grünen Buchten und den 
sanftesten Halbinseln ausgebreitet und unter dem 
Aufstiege der Sonne fern und grünlicht sich ver- 
schlelernd, und Gebirge dahinter, kühn über- 
einander gestellt bis unter die Kuppe des höch- 
sten Horlzontes, im Antlitze des Morgens golden 
erstrahlend, In den schattigen Rücken kühl 
schauernd, und ein Gürtel rosenfarbener Wolken- 
bänder darüber, und noch einmal über diesem In 
einsamer unfaßbarer Hoheit, von blauschattendem 
Grat emporgehoben, die reine Gipfelschneide des 
Montblanc! Neben dem beharrte als ein liebliches 


Lockung - Adescamento 

















VON WALTER PAUSE 


Menschenwerk die berühmte Stadt Genf, zu un- 
serer Rechten den Busen des ausgehenden Sees 
säumend, mit hellen Häuserfronten in den Morgen 
blickend, und als äußeres Zeichen Ihrer Friedsam- 
keit einen prächtig niederrauschenden Spring- 
brunnen vor den Toren. 

Betroffen standen wir vor diesem Bilde, unfähig 
des lauten Lobes und auch nicht mächtig, es ganz 
zu begreifen. Doch nicht genug damit, hob Jetzt 
ein Schauspiel an, das uns tiefer noch ergriff und 
für Stunden erschüttert und fromm auf unseren 
grünen Feldherrnhügel am Jurahang bannte. Un- 
vergeßlich für sein Leben sah ein jeder von uns 
diese merkwürdigen Erscheinungen: 

In die weite Senke zwischen unserem hohen 
Range und dem Hochgebirge gegenüber trieben 
plötzlich von rechts her um den Bug des schwarz- 
waldigen Jurarückens schwere düstere Wolken- 
züge, auf grauen Bleigründen hochgeballten regen- 
schweren Troß tragend. Bald füllten sie westwärts 
das breite französische Rhonetal aus und warfen 
erste dunkle Schatten auf das morgenselige 
Hügelland zwischen den Bergen Und achteten 
noch nicht des Sonnenballes, der unverzagt dem 
kühlen Zackenkranze des östlichen Hochgebirges 
entstieg. Bis zum Ufer des Sees drangen die 
schwarzen Kolosse vor, Immer zormiger sich ver- 
färbend und immer Üüppiger sich aufblasend, doch 
geschah noch nichts, was an eine schlimme 
Wendung hätte denken lassen. Kaum aber war 
das Seeufer erreicht und die Grenze der Eid- 
genossen überschritten, da fielen die feindlichen 


(€. Sturtzkopf) 





„Wissen Sie, der Mann, den Ich liebe, muß nicht reich — aber klug sein!" 
„Na, und wenn ich sage, daß ich noch drei Büchsen Friedens-Sardinen besitze?!“ 


“Badate che I" uomo ch’ io amo, non occorre sia ricco, ma Intelligent‘ 





"Ebbene „..se VI dico ch’ lo possiedo tuttora Ire scatole di sardine prebelliche?!,, 


Gewalten erbittert übereinander her und stritten 
in einer Schlacht ohnegleichen um den Vortritt. 
Die feuchten Haufen der westlichen Mächte, auch 
sie eines Segens gewiß und so nicht ohne Ehre 
und Einsatz kämpfend, stellten sich sofort in brei- 
teren Fronten auf und stießen dann In blindem 
Eifer tief auf die schwarz splegelnden und vom 
Entsetzen wildbewegten Wasserflächen nieder. 
Dergestalt suchten sie die Fluten der Sonne zu- 
rückzutrelben und ihnen das Vorandringen zu 
sperren. Der strahlende Stern im Osten aber, 
seines endlichen Sieges jetzt schon gewiß, dachte 
nicht daran, das Spiel vorzeitig aufzugeben und 
schäumte in einem erhöhten Glanz über das Land 
und die Gebirge hin. Dies verdroß die Regen- 
kolosse gleich so sehr, daß sich die schwersten 
und schwärzesten unter Ihnen nicht enthalten 
konnten, sich vorzeitig und wütend über dem 
leuchtenden Lande auszugleßen. Mit dicht nieder- 
setzenden Wassergüssen peltschten sie den See- 
spiegel auf und überschwemmten das Land, und 
nicht genug damit, spien sie giftige Blitze voraus 
und drohten entsetzlich mit grollenden rollenden 
Donnerschlägen. Mit solchem Ungestüm war nun 
freilich keine Schlacht zu gewinnen, und es sollte 
sich auch rasch herausstellen, daß es nur unbe- 
dachte Vorhuten des Westens waren, die sich 
hier so eifrig 'opferten. Sie wurden zunächst 
gründlich geschlagen und erfochten gar nichts, 
bald regneten sie immer schwächer und dünner 
hernieder und in einem waren sie nur noch strei- 
fige windschiefe Regenschleier, mit letzter Kraft 
an die Fronten geschleppt. Dahinter aber und 
zwischen ihnen flammten nun Bündel um Bündel 
der feurigsten Sonnenstrahlen auf und narrten Ihren 
Feind In schiliernden Regenbögen und leuchteten 
nur noch festlicher und feierlicher In den Tag 
hinein. So wäre dies alles noch ein Gewitter 
gewesen, einem jeden anderen über flachem 
Lande vergleichbar. Da wir aber auf der Höhe 
des nördlichen Bergzuges standen, vermochten 
wir die Ordnungen dieses Schlachtwesens auf 
eine besondere Weise zu Übersehen und zuzelten 
sogar teilzunehmen an den schlimmsten Wendun- 
gen. Denn ein äußerster Flügel der zu einem 
neuen Male heranströmenden Westmächte ergriff 
mit kalt treibenden Armen auch unseren Hügel 
und schob eine Haube des dichtesten Gewölkes 
darüber. Regenböen und wirre Schneeschauer 
schlugen über uns zusammen, In den Tobeln zu 
Selten unseres erhabenen Planes begann es zu 
schluchzen und rauschen, aber noch bevor wir 
uns abwenden konnten, durchstach ein fremder 
Hauch die trübe Welt und öffnete tlef unter uns 
eine klaffende Fuge im Gewölk: und In unwirk- 
lich gestelgertem Glanze, vom Scheine der milde- 
sten Sonne überflutet, lacht ein Stück holden 
Uferlandes zu uns herauf, mit blitzendem Gewäs- 
ser und dunkel bewaldeter Kuppe. 

Dann zog sich der Vorhang mit schwerer Hand 
wieder zu. Für eine Weile schienen nun die 
Wolken gesiegt zu haben und sie bliesen mit 
feuchten Fahnen frech gegen uns her, Aber da 
stellte sich abermals ein guter Wind ein und 
streifte die grauen Horden beiseite, und eine 
neue Szene des berückenden Welttheaters hub 
an: Das weite Land samt der guten Stadt Genf, 
die wir längst versoffen und verloren geglaubt 
hatten, lag nun wieder vor uns, frischer und blan- 
ker gespült von den Schauern des ersten Kamp- 
fes und mit dem Lächeln der kräftigsten Strahlen 
geziert. Während sich ein Haufen der Wolken 
in die breiten Täler jenseits des Sees aufgemacht 
hatte, verharrte ihrer eine einzige noch über dem 
Stadtrande, in rosiger Schwellung träumend und 
Vergessen suchend, vielleicht auch In Trauer 
wallend, denn nun begann sie leise zu regnen 
und ihre zarten Schleier, dem sonnigen Hinter- 














Vorantwortl, Schrift! 
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gültig ab 15. Okt. 194 





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jangte Einsendungen werden nur zurückgesa, 









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rto beilleg 





ugspreise 
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ttüllungsort München. 


Das Gerücht - La vociferazione 


(A. Paul Weber) 





grunde wehrend, stellten bleiche felerliche 
Kulissen... 

Während sich dieses kindlich unkriegerlsche Ge- 
schöpf bald genug in Trauer verzehrte, trieben es 
verschlagene Banden Ihres Herkommens grau- 
samer denn je. Blasend und qualmend drangen 
sie durch die weiten Gründe über dem See, 
machten sich hinterhältig über die sonnigsten 
Matten her und scheuchten auch sonst die Sonne 
auf, wo sie nur anzutreffen war, Später mühten 
sie sich lüstern die höheren Felsen und Gletscher- 
becken hinauf, wohin wir sie Ja nun alle für diese 
Stunde verwünschten. Denn es war Sonntagmorgen 
und der göttlichen Drohung schien uns genug. 
Was aber wissen wir Ameisen von den höheren 
Mächten! Diese dachten ihrerseits, es sel nun 
ganz und gar nicht genug und schickten auf ein 
Neues ihre schwerlastenden Verbände um die 
dunkle Waldkante. In unabsehbarer Menge stie- 
ßen sie noch einmal hemieder auf Stadt und 
Land, daß die Wälder sich zitternd bogen und 
die Wasser des Sees In der äußersten Erregung 
wild und schaumig an die Ufer schlugen. Aber 
da verbündete sich der Wind diesmal, leichten 
Sinnes, wie es nun einmal seines Wesens Ist, der 
Sonne, vielleicht ihren nahen Sieg erahnend, kurz 
und gut, er stand um und blies nun plötzlich 
falsch und teuflisch gegen eben dieselben Wol- 
kenbänke an, die er selber vorhin noch wild 
Jjohlend und pfeifend angeführt hatte. Daß diese 
sich dadurch teilen und voneinander lösen muß- 
ten, sollte zur glänzendsten Entfaltung unseres 
Schauspieles führen, denn nun gab ein Jeder der 
Streitenden seine ganze Macht ohne Zögern her: 
der hoch am Mittag stehende Feuerball warf 


Garbe um Garbe glühender Lichtbahnen zwischen 
den Feind und lichtete siegreich dessen Reihen 
und sog an ihrer feuchten Kraft, daß man sie ver- 
zweifelt sich winden und da und dort schon ohn- 
mächtig verflüchtigen sah. Die nachsetzende Haupt- 
macht des Westens freilich hatte die entschel- 
dende Stunde begriffen und schüttete sich so- 
gleich mit Ubermacht aus, wo sie auch gerade 
stand. So regnete und goß und sprühte es dies- 
mal an vielen Orten zugleich auf das In Licht und 
Schatten zerfetzte Land herab, und da und dort, 
und einmal unter, ein andermal über uns tobte 
der Kampf in zahlreichen Gewittern. Freute man 
sich heimlich eines Einbruches der Sonne, wenn 
sie sich zwischen den düstersten Regenwänden 
auf ein fernes Kirchlein senkte und es In seinem 
lieblichen Almgarten sogleich zur heitersten 


NEUE LIEBE 


Der neue Schnee fällt auf den alten. 

Das freut den Fuchs: verborgen feine Spurl 
Und morgen? Nur 

Wer nicht füchfifch, wird fich darum forgen! 


Sich, wie's die weißen Flocken niedermeht - 
Und nichts von geftern fcheint zurück geblieben! 
Im Dunkel aber, unfichtbar, da fteht 

Es unterm Schnee gefchrieben. 


GeorgBritting 
15 


Farbentafel verzauberte, heilig friedsamen Schel- 
nes der schaurigen Unruhe trotzend, so mußte 
man gleich daneben um ein hellblühendes Wald- 
stück sorgen, das hilflos von der nassen Flut über- 
mannt wurde. 

Gegen den frühen Nachmittag hin siegten die 
Sonne und der Sonntag. Endlich erlahmten die 
Kräfte des ungestümen Angreifers aus dem 
Westen und bald hingen seine Nachhuten nur 
noch als dünne verzerrte Regenwände vor dem 
überall kräftig durchbrechenden Lichte. Der eben 
noch wild aufgerührte Seespiegel verlor seine 
kalkweißen Wellenkämme über dem schwarzen 
Lack und glättete sich In goldenen Flüssen. Uber 
seine Mitte gegen Evian-les-Bains zu lagerten 
noch letzte Fetzen Wolken, gleich weißen zer- 
rissenen Schleiern, oder wie Segel ohne Wind, 
unfähig mehr sich zu erheben. Auch das Almen- 
land gegenüber im tieferen Gefälle des Hoch- 
gebirges hatte noch für eine Zelt die Last ver 
sprengter Schwaden zu tragen, aber da es des 
herben Streites gewöhnter war als das Tlefland, 
so mochte es sich nicht viel daraus machen. Aus 
der Immer stilleren Walstatt über dem See hob 
sich Jetzt ein Schwall des frischesten Atems zu 
uns herauf, von den ersten beständigen Strahlen 
der Sonne süß und wohlig durchglüht, 

Am späteren Nachmittag, als die Sonne sich des 
Kampfes und aller Verschwendung müde hinter 
das Gebirge begeben wollte, meldeten sich die 
Wolken noch einmal an, aber siehe: als fromme 
friedliebende Schäfchen schwebten sie hoch über 
dem verlassenen Palaste des Völkerbundes dahin. 
Daran mochten die Eidgenossen ihre besondere 
Freude gehabt haben. 


Erfahrung 


(R. Kriosch) 





„Das ist das Schöne am Wintersport: er bindet sozusagen für die ganze Saison. 
Was man aber im Sommer so im Schwimmbad kennenlernt, hält nicht lange!" 


Esperienza: ‘ll bello dello sport invernale si &: che esso, per cosl dire, lega per tulta la 
stagione. Le conoscenze invece che si fanno In estate al nuoto, non durano a.lungo!,, 


16 


München, 13. Januar 1943 fenni 
enni 
48. Jahrgang / Nummer 2 30 r g 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





























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„Glaube mir, Winston, der Hut paßt dir vorzüglich, du mußt dich nur allmählich daran gewöhnen, von mir geführt zu werden!" 
Il protettore: “Credimi, Wiston, il cappello ti sta a meraviglia; solo devi un po’ per volta abituarti ad essere guidato da me!,, 























Dr. Owlglaß zum 70. Geburtstag = Al Dott. Owiglaß, nel suo 70° compleanno 


(0. Gulbransson) 





— 





STARKES MATROSENSTÜCK 


VON HEINZ SCHARPF 


Kennen Sie die Geschichte des norwegischen 
Matrosen, der bei einer Theatervorstellung In 
Japan zum Glück nicht mehr verlor als seine 
Mütze? 

Ich hörte sie in einer Münchner Hafenschenke 
und sie Ist rasch erzählt. 

Das war damals, als die Meere noch allen Schif- 
ten offen standen und ein norwegischer Frachter 
noch nicht mit dem Kurs Meeresgrund aus einem 
‚amerikanischen Hafen auslief. Da stieg eines Tages 
Sven Classen in Hakodate an Land. Er besichtigte 
die Stadt und fand sie recht hübsch an ihrem 
"Platze, aber als der Abend kam, wußte er nicht 
techt, wie er ihn verbringen sollte, 

Da erblickte er auf einer Anschlagsäule einen 
Theaterzettel: „Das Weib des Samurai”, In zehn 
verschiedenen Sprachen reihten sich die Titel 
neben der Japanisch gepinselten Schrift. 

Gut, dachte Sven Classen, das werde ich mir 
mal ansehen. Weibergeschichten sieht ein alter 
Fahrensmann immer gern, davon wird einem oft 
recht warm unter der blauen Jacke, 

Die Ausstattung war sehr bunt, als hätte ein Wald 


von Papageien darin gemausert, aber was ge- 
spielt wurde, davon verstand der Matrose nicht 
viel. Das Weib des Samurai wurde von einem 
Mann dargestellt, was durchaus nicht nach dem 
Geschmack Sven Classens, aber allgemeine Lan- 
dessitte war, Trotzdem’ ging der erste Akt rasch 
vorüber. Im zweiten schürzte sich der Knoten, 
doch ohne viel Tamtam und Geschrei, so daß 
der Matrose in seinem Schlaf nicht weiter gestört 
wurde. Aber im dritten kam Leben in die Bude. 
Da zog der Samurai wutschnaubend sein Schwert 
und ging auf den Drachen los, der ihm sein Weib 
streitig machen wollte. Der Drache spie Feuer 
und Schwefel, daß es nur so rauchte und die 
Nase kitzelte. Das Theater pfiff vor Vergnügen. 
Aber nicht genug an dem. Mit einmal erzitterte 
‘der Erdboden, zwar nicht von den sehenswerten 
Sprüngen des Ritters oder den wilden Schwanz- 
schlägen des Drachen, sondern von einem ein- 
setzenden Erdbeben, wie sie Japan immer wieder 
heimzusuchen pflegen. Mit einem ungeheuren 
Krach stürzte die Galerie ein, so daß der Matrose 
ohne weitere Aufzahlung sich plötzlich in der 


18 


Avromansson un 


ersten Parterrereihe vorfand. Nur mit Mühe konnte 
er aus Schutt und Verwirrung den Ausgang ge- 
winnen. Ohne Mütze und mit starker Schlagseite 
torkelte er auf sein Schiff zurück. 

Jahre verstrichen. Sven Classen war Inzwischen 
dreimal um die Welt gefahren und eines Tages 
landete er wieder in Hakodate. Diesmal schlen- 
derte er mit einem Freund durch die Straßen der 
Stadt, Da erblickte er ganz wie damals auf einer 
Anschlagsäule: „Das Weib des Samurai“, 

„Halt, Olaf“, blieb er stehen, „dies Stück kenne 
ich, das müssen wir uns ansehen,‘ Und sofort er- 
stand er zwei Plätze auf der Galerie, 

Der erste Akt ging vorüber, der Freund des 
Matrosen langweilte sich zu Tode, 

„Wart’s nur ab“, blinzelte Sven vielsagend. 

Der zweite Akt ging zu Ende, der Freund wollte 
aufbrechen. 

„Wart’s nur ab“, hlelt ihn Sven zurück. 

Der Vorhang zum dritten Akt ging in die Höhe 
und Sven Classen wurde sichtlich unruhig. Es war 
alles wie damals. Der Samurai zog sein Schwert, 
der Drache fing an, Feuer und Schwefel zu speien, 
daß es nur so rauchte — 

Da packte der Matrose seinen Freund aufgeregt 
am Arm und raunte ihm zu: „Jetzt halt’ deine 
Mütze fest, Mensch, jetzt kommt’si” 









Erfahrung (8. Kiic) 





„Aber Frau Ameisl, der Herrenbesuch von gestern Abend war doch ganz harmlos!“ 
„Ausgeschlossen — bal es ein Herr bei nix als wia Hagebuttentee so lang aushalt', ist er nie nicht harmlos!‘ 


Esperienza: "Ma, signora Formicuccia, la visita del signore di lersera & stata affatto Ingenual,, 
“Escluso! — Quando un signore resiste tanto tempo soltanto con una tazza di t& di rosa canina, allora essa non & mal ingenval,, 


19 


Die Anti-U-Boot-Kommission brütet 


(Wilhelm Schulz) 





„Spüren Sie schon was, Herr Kollege?“ — „Den Drang habe Ich wohl, aber ich glaube, es kommt dabel nichts heraus‘ 


La Commissione “Antisommergibili, sta covando: “Signor collega, sentite 
glä qualcosa?,, — “Ne sento glä lo stImolo; ma credo che non venga fuorl nullal,, 


20 


DER SCHERZARTIKEL 


Acht Wochen alt war er, als Ich Ihn kaufte, ein 
kleines Kerichen mit schwarzen Flecken auf dem 
Rücken, einem braun und weißen Kopf und einer 
weißen Spitze an seinem schwarzen Schwänzchen, 
das er stell nach oben trug. 

„Stummel”, sagte Ich, als ich die weiße Schwanz- 
spitze sah, und so hieß er denn auch von da ab: 
Stummel, Er hatte einen Stammbaum mit erlauch- 
ten Ahnen. Seine Manieren Jedoch waren schlecht, 
ausgesprochen und eindeutig schlecht, ja gerade- 
zu ordinär, Ich nehme an, Sie verstehen, worauf 
ich ziele, Wann und wo er es für nötig hielt, traf 
er seine Entscheidungen. Ließ Wasserkünste spie- 
len oder betätigte sich ornamentarisch. 

Ich kaufte mehrere Bücher über Hundeerziehung. 
In allen hieß es, nur mit Geduld könne man da 
etwas erreichen. Nie hätte ich gedacht, daß ich 
so viel Geduld aufbringen, würde. 

Mit meiner Geduld schaffte Stummel es schließ- 
lich, Ja, Ich brachte es sowelt, daß er rechtzeitig 
beilte, wenn er das Stadtreinigungsamt in An- 
spruch nehmen mußte. Aus einem Hundekind 
wurde er ein HundeJüngling. Man konnte ihn ohne 
Folgen in fremde Wohnungen mitnehmen. Er hatte 
ja gelernt, rechtzeitig zu bellen. 

Immerhin, daß ich mir überhaupt einen Hund an- 
schaffte, war bedenklich. Ich war dreißig Jahre alt 
und nicht verheiratet. Viele Mütter heiratsfähiger 
Töchter luden mich ein zu kleineren und größe- 
ten Gesellschaften, auch zu ganz kleinen und In- 
timen. Ich hatte einige Vorzüge, die mich in den 
Augen dieser Mütter angenehm machten. Ich war 
sollde. Und ich war Beamter. Aber dann schaffte 
ich mir den Hund an. Wenn das Bild oder der 
Vergleich gestattet ist, der Hund war die kalte 
Dusche. Er wirkte in weiten Kreisen ernüchternd. 
Ich wurde als hoffnungsloser Fall abgetan, Wei- 
tere Einladungen zum Essen oder zu, Geselligkei- 
ten wurden als nutzlose Verschwendung ange- 
sehen. 

Nur von Lehmkuhls wurde ich weiterhin eingeladen. 
Amalle Lehmkuhl. Sie war das einunddreißigjäh- 
tige Töchterlein der Familie Lehmkuhl. Amalie, 
Malchen, Malle, Amy, welch eine Fülle liebreizen- 
der Wortbildungen erlaubte doch dieser Name. 
Und so war das ganze Mädchen, Frau Lehmkuhl 
hatte mir des öfteren Malchens vielfache Tugen- 
den in direkten oder diesbezüglichen Schilderun- 
gen nahegebracht. 

„Die heutige Welt“, sagte Frau Lehmkuhl einmal, 
„die heutige Männerwelt vornehmlich, hat leider 
so gar kein Verständnis mehr für die Tugend eines 
Jungen Mädchens. Was gilt diesen Männern schon 
die Unschuld? Aber Sie, lieber Freund, Sie sind 
anders als so viele andere, Ihnen würde ich ein 
unschuldiges Junges Mädchen wohl anvertrauen.” 
„Wirklich?“ sagte Ich und fühlte mich in keiner 
Weise geschmeichelt. „Nun Ja”, meinte ich, „so 
eine gewisse Art verruchter Unschuld oder un- 
schuldiger Verderbtheit, als Synthese gleichsam 
von..." 

Frau Lehmkuhl ließ mich nicht ausreden. „Sie scher- 
zen", sagte sie und blies die Luft heftig aus der 
Nase. 

Bel Lehmkuhls also wurde Ich auch noch eingela- 
den, als Stummel schon meinen Teppich fraß. Sil- 
vester nahte. Und Lehmkuhls gaben sich die Ehre. 
Amalie war nicht häßlich, wenn ich es recht über- 
legte. Sie war eigentlich auch besser, als ihre 
Mutter sie machte. Zudem ist ein Hund doch nicht 
die rechte Gesellschaft an langen Winterabenden. 
Es wurde eine nette und gemütliche Silvesterfeler. 
Amalie goß Blel, Leider hatte Amalie auch einen 
Bruder, einen kleineren Bruder, einen dreizehn: 
jährigen Bruder, Egon, 

Geschäfte für Scherzartikel haben die sinnigsten 


VON WERNER STELLY 


Dinge für Siivesterfelern. Auch überraschende. Sie 
kennen sicher den Tintenfieck aus schwarz glän- 
zender Pappe. Die Tinte läuft gerade aus der 
Flasche, man stürzt darauf zu, und dann ist’ es gar 
keine Tinte. Etwas derartig Banales hatte Egon 
nicht erstanden. 

Amalie goß Blei. Frau Lehmkuhl ging aus dem 
Zimmer, um nach der Bowle zu sehen. Da hörten 
wir einen Schrei. Amalle und ich liefen auf den 
Flur. Da stand Frau Lehmkuhl und starrte in eine 
Ecke. In der Ecke lag... Ersparen Sie mir die ge- 
naue Schilderung dessen, was dort lag. 
„Amalie, die Schaufel“, rief Frau Lehmkuhl und 
blies die Luft heftig aus der Nase. Amalie brachte 
die Schaufel. Und dann war es aus Pappe, aus 
brauner Pappe. Es war wirklich verblüffend ähn- 
lich. Egon wurde ins Bett geschickt. Trotzdem war 
es eine nette Silvesterfeler. Amalle und ich 
waren uns doch beträchtlich näher gekommen. 
Anderentags machte ich zur Mittagszeit Lehm- 
kuhls meinen Besuch, um mich noch einmal für 
den gelungenen Abend zu bedanken. Amalie war 
nicht zu Hause. Ich hatte Stummel mitgenommen. 
Er blieb auf dem Flur. Wir plauderten, Mir schien 


Kindheit des Herkules - Infanzia di Ercole 





21 


es, als wenn Frau Lehmkuhl von mir etwas Be- 
stimmtes erwarte. Da bellte Stummel, 

„Egon ist wirklich zu ungezogen”, sagte Frau 
Lehmkuhl. „Gestern diese unerfreuliche Sache und 
Jetzt ärgert er Ihren Hund. Egon“, rlef Frau Lehm- 
kuhl, „laß den Hund.“ Stummel bellte noch ein 
paar Mal, dann war er ruhig. 

„Ich möchte doch einmal nachsehen”, sagte Ich. 
Frau Lehmkuhl kam mit auf den Flur. In der Ecke 
lag genau wie am Abend vorher... Frau Lehm- 
kuhl bückte sich und hob die braune Pappe auf. 
Die braune Pappe? Ach nein, es war echt, gold- 
echt hätte Ich fast gesagt. Ich sah es, als sie es 
in der Hand hielt, Sie blies die Luft heftig aus 
der Nase, 

Wen wundert es, daß ich auch. bei Lehmkuhls 
nicht mehr eingeladen wurde? Nach einiger Zeit 
wurde Ich versetzt In der neuen Stadt lernte ich 
meine Frau kennen, Als ich ihr die Geschichte 
erzählte, und daß ich beinahe Amalie geheiratet 
hätte, wenn nicht der Hund,.,, da sagte 5! 
„Ich habe immer daran geglaubt, daß es Glück 
bringt, wenn man da hinein tritt.“ 

„Tritt ist gut”, sagte Ich, 


(A. Kubin) 






DAS MÄRCHEN VON DER SCHÖNHEIT 


Frau Dorette wollte wieder mal ein Märchen 
hören, und Regierungsrat Jullus mußte erzählen. 
Also: Die Schönheit ging Über die Erde, und ein 
Leuchten ging mit ihr. Und als der König erfuhr, 
daß die Schönheit im Lande sel, sandte er seine 
Diener mit Musik und Kränzen, und sie sollten die 
Schönheit nicht über die Grenze lassen, so ihnen 
Ihr Leben lieb wäre. Und die Kunsthistoriker soll- 
ten hernach die Geschichte seiner Reglerung 
schreiben. 
Die Knechte zogen aus. Aber als sie das Leuchten 
von ferne sahn, da huben die Kränze ein Duften 
an, und die Saiten klangen von selber so süß, 
und die Knechte meinten, sie selen auf einmal Im 
Paradies, und lachten und weinten. Die Sache 
war eben nicht ordentlich durchorganisiert, Und 
als sie sich an ihre dummen Schädel griffen, ging 
die Schönheit schon weit dahinten und ein Leuch- 
ten ging mit ihr, 
Sie traten vor den Thron mit Zittern: „Wie sah 
sie denn aus?“ forschte der König. 
„Sie glich“, platzte der Pferdejunge vom Marstall 
heraus, „sie glich der Liese Im Kuhstall, sie schielte 
auch so schön.” 
„Dummer Kerl‘, stieß ihn der Fourier beiseite, der 
auch mitgegangen war, „sie glich der Theres‘, 
der zweiten Tochter des Sattelmachers.” 
„Aber nein”, berichtete der Kammerherr, der die 
Leute geführt, „sie sah genau aus wie Comtesse 
Blondhllde, die Jüngste unter den Damen der 
Königin.“ 
„Halten zu Gnaden, sie war doch dunkel von 
Haar”, beschwor sein Knappe. 
Und der dicke Kanzler, der das alles aufzuzeich- 
nen hatte, begann an dem Wert der Zeugenaus- 
sagen zu zweifeln. 

” 
Des Königs Jüngster Bruder stand hinter dem 
Thron. Der besaß kein Reich, aber aller Leute 
Herzen. Der hätte die Schönheit gar zu gern ge- 
sehen. Er hatte ein Roß, das stampfte im Stall 
und hieß „der Gedanke” und war gleich überall. 
Und er hatte eine unwiderstehliche Waffe, die hieß 
„Jugend”. Und als Drittes, wie es im Märchen Ist, 
hatte er ein Zaubermittel, womit er alle Welt be- 
törte, das hieß „die Vornehmheit”. So zog er aus. 
Er mochte eine kleine Weile geritten sein, Immer 
in der Richtung, die sein Roß angab (in diesem 
Fall war das angebracht), da kam Ihm ein Mensch 
entgegen, der tanzte wie toll und strich sich 
selbst die Fiedel dazu und sang noch obendrein. 
Sah ihn, fiel dem Roß um den Hals und rief, — 


Dem Haltigen 
Von Alf Bachmann 


Du Tor, der du von der Natur 

Durch Haft die Zeit zu ftehlen glaubteft 
Und fo, dich felbft betrügend, nur 

Dir felber Ruh’ und Muße raubteft. 


Du fühl es nicht, mie balde du 
Der Sklave diefer Zeit geworden: 
Sie wird dir graufam Zug um Zug 
Gericht und Maß der Seele morden. 


So wird durch eig'ne Unnatur 
Dies fchöne Leben dir zur Bürde: 
Vom Manne ohne Harmonie 
Wirkt du zum Greife ohne Würde. 


VON SCHLEHDORN 


denn Freude bei sich behalten ist menschen- 
unmöglich — „weißt du herzlieber Mitmensch, Ich 
bin der Schönheit begegnet.” — „Wie sah sie 
denn aus?” — „Wie sie aussah? O...” Er ver- 
stummte mit Jauchzenden Augen, — „Das hast du 
hübsch beschrieben”, sagte der Königssohn; aber 
der andere war schon vorüber, und die Heer- 
straße hatte knapp Raum für all seine Lustigkelt. 
Eine kleine Zeit darauf kam ein Mensch daher, 
der sah keinen Weg und keinen Himmel. Der 
Königssohn rief ihn an: „Hast du die Schönheit 
gesehen?” — „O Jal’’ — „Wie sah sie aus?” — 
„Unerreichbar schön.” — „Und wohin Ist sie ge- 
gangen?‘ — „Vorüber.” — Dann fielen seine 
Träume wieder über ihn her, noch ehe sich der 
Könlgssohn für die wertvolle Auskunft bedanken 
konnte. Der wird nun lebenslänglich Iyrische Ge- 
dichte machen, dachte er, und ihn schauderte, 
Ach ja, natürlich begegnete ihm auch ein äußerst 
greulicher Drache, der war ganz gelb und hieß 
der Neid (den Drachen gibt es im Märchen noch), 
und war noch gelber geworden, seit er die Schön- 
heit gesehen. Als der Königssohn sein Schwert 
zog, sagte der Drache voll schielender Angst: 
„Lassen Sie stecken, Königliche Hoheit, mich krie- 
gen Sie am wenigsten klein. Außerdem, je klei- 
ner ich werde umso größer werde ich, und wenn 
ich ganz klein bin, bin ich ganz groß. Ihr Zauber- 
mittel ist für mich nur ein Reizmittel... Und was 
die Schönheit angeht: ihre Fehler hat die sicher 
auch, wenn man sie genauer kennt.” 

Der Königssohn riit weiter... 

„Entschuldige”, unterbrach Frau Dorette, „hat er. 
denn nun die Schönheit gefunden oder nicht?” 
„Tja“ erwiderte Jullus, „man sagt, er sel ihr be- 
gegnet. Aber er sprach später nicht davon. Denn 
es war damals eine romantische Zeit und sehr 
diskret. 

Das Roß ‚Gedanke’ ist noch heute neben ande- 
ten Pferdekräften in der Industrie tätig. Die un- 
widerstehliche Waffe Jugend’ ist umgeschmie- 
det durch die Generationen von Hand zu Hand 
gegangen, Und an der Massenherstellung des 
Zaubermittels arbeitet die Chemie fieberhaft.” 
„Weiter“, sagte Frau Dorette. 





* 


Ein paar Jahrhunderte später hieß es wieder, die 
Schönheit ginge durchs Land. 

Begreiflicherweise wollte man sie halten. Und der 
Bürgermeister selbst nahm die Sache In die Hand, 
Man schrieb ihr also einen Brief: 

„An Frau / Fräulein / Firma Schönheit, Hotel Für- 
stenhof. Portopflichtige Dienstsachel — Sie wer- 
den gebeten, in wichtiger Angelegenheit bei dem 
Herrm Bürgermeister vorzusprechen.”“ 

Der versammelte nachher den Rat in demselben 
dunkelgetäfelten Raum und gestand mit Stolz: 
„Ja, Ich habe ihr — die ganze Stadt geschenkt.” 
„Sie sind wohl irr-“, fuhr eln Ratsherr auf, „-tümlich 
zu einer falschen Auslegung Ihrer Kompetenzen 
gelangt?!” Aber der Stadtsyndikus beruhigte ihn: 
Schenkung von Immobilien hätte der Beurkundung 
bedurft, und der Bürgermeister obendrein der Zu- 
stimmung des Rats. — Die Schönheit ist auch 
später nicht auf die Sache zurückgekommen. — 
Pfitfiger glaubte sich ein Kreissekretär, der den 
Landrat vertrat. Er ließ sie kommen: „Haben Sie 
überhaupt einen Wandergewerbeschein?” 
Nachher sagte er zu seiner Frau, er hätte ge- 
dacht, schöne Frauen, die so in der Gegend her- 
umzögen, wären doch bestenfalls beim Variete. — 
Nun kam das Finanzamt. Uns entgeht keiner, sag- 
ten die. Vielleicht hat sie doppelten steuerlichen 
Wohnsitz, oder sie ist Steuerausländerin oder 
vielleicht noch gar nicht veranlagt... Sie wurde 
zu 11 Uhr bestellt. Um die gleiche Stunde kamen 
Hunderte, die wollten Steuern voraus bezahlen. 
Einer sogar für 5 Quartale. Die Schönheit erschien 


22 


zwar, aber angesichts der Akten, der Steuertarlfe 
und der unendlichen Ausführungsbestimmungen 
dazu, verlor sie den Mut zu sich selber und zer- 
rann... Und nachher saß ein altes Fräulein da, 
mit Schmuck behängt, und hieß Puwelka, und sie 
wäre zu 11 Uhr bestellt. 

Auch bei der Fremdenpolizei fehlten die Vor- 
gänge. 

Einen Personalausweis ließ sie sich auf Erfordern 
ausstellen: 

Größe; mittel. 

Nase: gewöhnlich. 

Besondere Kennzeichen: keine. 

„Nanu, keine? Die Schönheit?” fragte man den 
aufnehmenden Beamten, — „| wo’, sagte der, 
„besondere Kennzeichen sind Muttermal, Wasser- 
kopf, Kropf und so was Reelles.” — 

Nun behaupteten die Künstler, für die Schönhelt 
zuständig zu sein. Dichter hatten sie von ferne 
gesehen. Aber sie äußerten sich unklar. — Die 
Maler erklärten sie für ein noch nie dagewesenes 
Sujet. Nur ein Vertreter der realistischen Richtung 
meinte: „Ich kann mir nicht helfen, ich finde die 
Schönheit einfach häßlich.” — Und ein märchen- 
haft eleganter Filmstar sagte verärgert: „Nun Ja, 
schön war sie, und eine Frau war sie auch, also 
alles da, aber gar nicht beachtet hat sie mich. 
Die ist anscheinend nie in größeren Filmen ge- 
wesen.” — 

Aber die alten Klatschen, die für alles zuständig 
sind, erzählten sich beim Kolonialwarenhändler 
Käsebein Schauergeschichten, was die schon für 
Unglück zum Nachteil junger Männer und älterer 
Damen, aber auch Junger Damen und älterer Her- 
ren angerichtet hätte. „Nee, nee, nee, mit der 
wollen wir nichts zu tun haben!” Und sie haben 
Wort gehalten bis auf den heutigen Tag. 


* 


Abends hat die Schönheit dann bei einem Ehe- 
paar geklingelt. Die saßen bei Tisch und sie 
strich Ihm die reizendsten Butterbrote und nach- 
her wollte sie ihm noch was Reizendes vorsin- 
gen oder vorlesen. 

„Ach“, sagte die Schönheit, als Frau Dorette ihr 
öffnete, „Ich bin heute soviel angesehen und aus- 
gefragt worden. Ich brauche kein Bett und kein 
Gedeck —, darf ich nicht hierbleiben?“ Sie sarık 
auf einen Sessel und legte etwas Rouge auf... 
Und wenn sie nicht vergangen ist, Ist sie heute 
noch da — so schloß Reglerungsrat Jullus dies- 
mal sein Märchen, — aber du darfst es keinem 
weitersagen. 


An eine tote Pappel 
Von Erich Veidl (im Felde) 


Der letste Winter hat Dein Mark erftarrt, 
Vergebens rechft zur Sonne Du die kahlen Afte, 
Der kalte Tod, er blieb Dir nicht erfpart - 

Nur düftre Krähen fuchen Dich ale Gäfte. 


Bald mwirft Du umgelegt und klein gefpalten, 
Nimmft knifternd Abfchied von der Welt; 
Man könnt’ Dein Schichfal für recht traurig halten 
Und meinen, daß für unerfüllt man's hält. 


Jedoch, ich möcht es gerne leiden: 

Du haft gesrünt, geblüht und warft geliebt. 
Und ohne Zieifel I da zu beneiden, 

Der nach dem Tode anderen noch Wärme gibt. 


Aussichtslos 


(X. Holligenstaedt) 








„Ist es deinem Mann noch nicht aufgefallen, wie schmal du geworden bist?‘ 
„Wenn der nach Hause kommt, liege ich ja meist schon im Bett!‘ 


Senza speranza: “Non s’& ancora accorto tuo marito che sei divenuta sl affilata?,, — "Quando egli rincasa, io giaccio per lo plü gla & lettol,, 


23 


HOPPE IST GENERALDIREKTOR 


VON BRUNO 


Als der Oberverwalter Riepl aus dem Büro nach 
Hause kam, zog er nach seiner Gewohnheit so- 
fort die Schuhe aus und nahm die gestickten 
Hausschuhe mit dem sinnigen Blumenmuster: Ver- 
gißmeinnicht, Dann setzte er sich auf das rote 
Sofa und seufzte. Seine Frau, die Im Nebenzim- 
mer bügelte, hörte den Seufzer wohl, beantwor- 
tete Ihn aber nur mit einem ärgerlichen: „Ah 
wasl' Sie wußte genau, daß ihr Mann nur seufzte, 
um zu beweisen, wie überanstrengt er sel. Sie 
hatte aber vor dem bißchen Büro nicht die 
mindeste Hochachtung, Er hatte ab fünf Uhr nichts 
mehr zu leisten. Ihre Arbeitszeit dauerte aber bis 
tief in die Nacht. Er hatte die Aussicht nach Zu- 
rücklegung der vollen Dienstzeit ein arbeitsloses 
Penslonistendasein zu führen, während ihre Dienst- 
zeit so lange dauerte wie das Leben. Sie hatte 
nicht einmal Zeit, zu seufzen. 

Als sie die Wäsche fertiggebügelt hatte, kam sie 
Ins Zimmer und setzte sich nieder. Eine Weile 
schwiegen sie beide. Dann aber gerieten sie aus 
Gewohnheit von selbst ins Gespräch. 
„Hoppe ist Generaldirektor geworden”, 
Herr Riepl. — „Wer?” 

„Hoppe, mein ehemaliger Kollege, der manchmal 
mit uns Ausflüge machte, als wir noch nicht ver- 
heiratet waren. Er ist dann später zur Industrie 
übergetreten, und Jetzt ist er Generaldirektor. In 
der Zeitung steht es.” 

„Generaldirektor?” Frau Riepl sank langsam in 
dem Stuhl zurück und starrte vor sich hin, Er be- 
merkte es nicht und fuhr fort: 

„Ja, wer hätte das gedacht? Er war, weiß Gott, 
kein Kirchenlicht. Und er war der Bequemste von 
uns allen, um nicht zu sagen, der Faulste. Schon 
um halb drel begann er, sich die Hände zu 


sagte 


Schwierige Verständigung - Difficile accordo 


WOLFGANG 


waschen, die Nägel zu putzen und auf die Uhr 
zu sehen. Und dabei war er so klein und unan- 
sehnlich, eigentlich häßlich, muß ich schon sagen... 
aber was hast du, Emilie?” 

Frau Riepl saß mit leicht geröteten Wangen selt- 
sam versunken da und murmelte: „Ach Gott... 
nein... wer das geahnt hätte... wenn ich be- 
denke...” 

„Was bedenkst du?” 

„Daß ich jetzt Generaldirektorin sein könnte.” 
„Du?” 

„Ja. Es hätte mich nur ein Wort gekostet. Hoppe 
war schon vor dir mein Verehrer. Ich hätte nur 
mit dem kleinen Finger zu winken gebraucht. Es 
ist zum Verzweifeln. Hättest du mir lieber nichts 
erzählt!” 

„Du hättest dich ja lächerlich gemacht. Er Ist um 
einen Kopf kleiner als du.” 

„Ach was, bei einem Generaldirektor kommt es 
auf einen Kopf mehr oder weniger nicht an.” 
„Und seine Häßlichkeit...“ 

„Laß gut sein, so schön wie andere war er auch. 
Wo ist er denn Generaldirektor?" 

„In Konstentinopel.” 

„Auch das noch! Und wie viel Gehalt kann er 
haben?” 

Herrn Riepl ärgerten diese Fragen sehr, und da 
er das Feuer nicht löschen konnte, beschloß er, 
wenigstens Ol hinein zu gießen. Er sagte: „Nach 
unserem Geld mindestens Dreißigtausend." 

„Im Jahr?” 

„Nein. Im Monat, selbstverständlich.” 

„Mein Gott das ist etwas anderes als dein Jam- 
mergehalt.” 

„Nun habe ich es aber bald satt. Du glaubst doch 
nicht Im Ernst, daß er nur einen Augenblick dar- 





IF. Bloyer) 





„Bal i jetzt nur wüßt", was auf Russisch ‚Du Himmihergottsakramentsgoaß, du traurige‘ hoaß'n tat! I" 


“Se mai sapesi adesso come si dice in ruso: ‘Cha Dio Hi mandi un aceidente, schifosa d' una capra... 


24 


an gedacht hat, dich zu heiraten?“ 

„Nicht? Also da kann ich dich beruhigen. Ich war 
mit Ihm verlobt. Glaubst du es Jetzt?” 

„Das sagst du mir ein wenig spät. Hättest du mir 
das rechtzeitig mitgeteilt, hätte ich gewiß ver- 
zichtet. Übrigens wird es mit der Verlobung nicht 
so gefährlich gewesen sein.” 

„Nicht gefährlich? Ist es vielleicht keine Ver- 
lobung, wenn man Ringe wechselt und sich Ge- 
schenke gibt? Erst als ich ihm deinetwegen den 
Laufpaß gab, tauschten wir die Geschenke wie- 
der aus. Ich gab Ihm ein Armband und eine 
Halskette zurück, und von ihm bekam ich ein 
Paar Hausschuhe zurück, die ich ihm gestickt 
hatte. Und wenn du es noch immer nicht glaubst: 
es sind gerade diese Hausschuhe, die du eben 
an hast und die Uhrkette, die da an deiner 
Westentasche hängt.” 

Das war zu viel. Herr Riepl streifte die Haus- 
schuhe mit einer Gebärde des Abscheues von 
den Füßen und warf die Uhrkette auf den Tisch. 
Dann zog er sich in sein Zimmer zurück, 

Das Leben war mit einemmale anders geworden. 
Er ging nun öfters ins Kaffeehaus und kleidete 
sich sorgfältiger, als wäre er wieder Junggeselle. 
Seine häusliche Stellung war in Ihren Grundfesten 
erschüttert, In der ganzen Haltung seiner Frau 
lag etwas aufreizend Vorwurfsvolles. Sie hatte 
sich in eine Art Generaldirektorswitwe verwan- 
delt. Unablässig kreiste ihre Phantasie um den 
Generaldirektor, an dem sie Immer neue gute 
Eigenschaften entdeckte, Herr Hoppe In Konstan- 
tinopel entwickelte sich allmählich zu einem regel- 
rechten Nebenbuhler, zu einem Hausfreund, der 
gefährlicher war als ein wirklicher, weil er un- 
ängreifbar blieb wie ein Gespenst. 

Eine dauernde Entfremdung der beiden Ehegatten 
wäre vielleicht unvermeidlich geworden, wenn 
nicht Herr Riepl eines Tages nach Hause gekom- 
men wäre und mit eigenartiger Betonung gesagt 
hätte: 

„Ich habe heute Hoppe getroffen.” 

Frau Riepl mußte sich niedersetzen: „Hoppe?... 
Ihn selbst? ...“ 

‚Ja, Ihn selbst.” 

„Du hast mit ihm gesprochen? Hat er das Auto 
halten lassen?” 

„Gesprochen, Ja. Aber das Auto hat er nicht hal- 
ten lassen. Er war zu Fuß.“ 

„Hast du ihn eingeladen? Ach Gott, wir sind so 
schlecht eingerichtet. An der Zuckerdose ist der 
Rand abgeschlagen...” 

„Tut nichts“ erwiderte Herr Riepl gütig, „Hoppe 
hat viel Verständnis für Schäbigkeit.” 

„Was hat er gesagt? Hat er nach mir gefragt?" 
Herr Riepl genoß mit tiefer Befriedigung ihre Auf- 
regung, dann sagte er langsam und ließ jedes 
Wort auf der Zunge zergehen wie türkischen 
Honig: „Er hat mich angepumpt.” 

„Was sagst du?" 

„Ja, er hat mich um drei Mark gebeten, und Ich 
habe sie Ihm gegeben.” 

„Entsetzlich. Ist er nicht mehr Generaldirektor?" 
„Er war es nie. Uns ist ein kleiner Irrtum unter- 
laufen. Generaldirektor ist sein Vetter gleichen 
Namens. Er selbst Ist ein kleiner Beamter bei 
einer Speditionsfirma gewesen. Jetzt Ist er ab- 
gebaut. Wenn du willst, daß Ich ihn einlade...” 
Frau Riepl verzichtete und schwieg den Rest die- 
des Tages. Und nun wurde der arme Hoppe 
auch in ihrer Seele von seinem luftigen Gene- 
raldirektorsposten abgebaut, Sie fand nun, daß er 
doch recht klein und unansehnlich gewesen sei. 
Von einer ernstlichen Verlobung konnte nie die 
Rede sein. „Denn wir beide waren doch nun ein- 
mal für einander bestimmt”, sagte sie voll Über- 
zeugung zu ihrem Manne. 

Es war ein großer Sieg, Herr Riepl fühlte sich 
wieder als Herr des Hauses, geliebt und nach 
Verdienst geschätzt. Nach einiger Zeit trug er 
wieder die Uhrkette und noch etwas später auch 
die gestickten Hausschuhe. Er trug sle sogar mit 
einem gewissen Stolz, wie ein Ritter, der sich 
nichts vergibt, wenn er die Rüstung des über- 
wundenen Feindes anlegt. 








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Dirndi-, Trachten-, 
Dekorations-, 
Bezugs-Stoffe 


PN 1a genügt! 


ı Eine dünne Schicht Aadikleca -Zahnpasta 
2) reicht aus, die Zähne gut zu pflegen. Also 
5 nicht unbekümmert viel nehmen. Immer 

denken: Die Hälfte genügt auch! 


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Patienten, die dem Arzt Behandlung und Medizin vor- 
schreiben. Sie machen sich ebenso lächerlich. 


TrEBoN 


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die „Zeitgemähen Rezepte” mit 


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orten nur ‚Sreude hervorrufen. Bun | 
] Borbeugung und Behebung drtlicher | 
Betchiwerden beim Zahndurdbruc | 


Niemals Seifenrestevom Gesicht 





mit Tarr abwaschen. Erst Wasser 





das altberwährte Dentinor tropfen 
meife in das Zahnfleifch einceiben 


nehmen, dann das Gesicht 


| abtrocknen und zum Schluß 


| Dentinox | 


| verreiben Sie wenige Tropfen 


NAUEN 


2 18709 und 1914 


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sparsam über alle rasierten 





Der altbewährie 
zuverlässige, gute 


Kamerad 


Stellen. Tarr nicht abtrocknen! 


Also: Nach dem Rasieren Tarr, 


en 

























UML 


UHU-WERK BUHL-BADEN 


25 


DIE GANS 


Nagel besteigt den Zug nach Drontheim — gleich- 
zeitig mit einem dicken Mann und einem toten 
Vogel. Der Vogel ist eine Mastgans. Der Dicke 
hingegen, wie sich alsbald herausstellt, ist der 
Personalchel Carlsen von der Eisenbahnverwaltung. 
Nagel liebäugelt mit der Gans. Sein Sinnen und 
Trachten schwillt von Minute zu Minute, 
Nachdem er angestrengt gegrübelt hat ver- 
schwindet er, sucht den Schaffner und fragt: 
„Verzeihungl Ist das der Zug nach Drontheim?” 
„Jawohll” erwidert der Schaffner und fährt fort, 
die Karten zu prüfen. 

Nagel weicht ihm nicht von der Pelle. 
„Verzeihungl!” beginnt er nach einer Weile. „Ist 
das der Zug nach Drontheim?” 

„Jawohll” entgegnet der Schaffner und faßt den 
lästigen Menschen scharf ins Auge. 


Hausfrau - was fehlt hier? 


geht die Hausfrau im Lauf des Morgens an den W 


Bitte, schen Sie sich dieses 
Bild an. Die Wäsche wandert 
nach dem Einweichen direkt in 
den Waschkessel. Das Ist In 


vielen Haushaltungen so. Aber 
es fehlt etwas dazwischen. Können Sie raten. was cs Ist? 

Das ist es: die Wäsche sollte nach dem Einweichen erst 
in klarem Wasser geschwenkt oder durchgestampft werden 
damit der beim Einweichen gelockerte Schmutz die Wasch- 
laug& nicht ganz unnötigerweise verbraucht. 











UND DAS SIEBENECK 


@ 


SIND WELTMARKEN FOR 









hinter denen eine mehr als 
30jähr.wissenschaftliche und 
praktische Erfahrung steht. 


MERZ & CO, CHEM. FABR. 
FRANKFURT A.M. 


















Warum SS} „diese Anstrengung! 












Diese unsichtbare Wale zur sIche 

Solbstvertoldigung 

fahr) Ein richtiger Griff, und 

stärkste Gegner Ist, wehrlog] L 
zu 








f 
Kursgeld aufgorechni tden) er 
halten Sie den illustt Prospekt vor 


H. Zickert, München 22. Postt 12:d! 






DochmachDirklar, 

















KHASANA 


KOSMETISCHE 
WELTMARKEN 


Zwei Minuten später fragt Nagel zum drittenmal. 
Der Schaffner murmelt etwas in seinen Bart. Un 
mittelbar darauf erkundigt sich Nagel zum vierten 
Male, wartet die Antwort gar nicht erst ab, son- 
dern setzt sich neben den dicken Carlsen und 
entrüstet sich über die Unhöflichkelt der norwe- 
gischen Beamten. 

Der Personalchef widerspricht Nagel besteht auf 
seiner Behauptung. Der Personalchef geht in den 
Saft, 

„Machen wir die Probe aufs Exempell” schlägt 
Nagel vor. „Ausnahmen gibt es nicht. Auch unser 
Schaffner Ist bestimmt ein Flaps.” 
„Er wird zuvorkommend sein sämtliche 
„Da 


wie 


Schaffner“, ereifert sich der Personalchet, 
wette Ich Kopf und Kragen.” 

„Wollen wir nicht lieber um die Gans wetten?” 
„Einverstanden!” 
Sache sicher Ist. 


bestätigt Carlsen, der seiner 






Heute im Kriege gcht es darum, Einweichmittel und 
Waschpulver sorgfältig einzutellen. Daran sollten Sie schon 
beim Gebrauch der Wäsche denken. Also gar nicht soviel 
Wäsche erst schmutzig machen. Da sind z. B. die Geschirr- 
und Küchenhandtücher. Bein Waschen machen sie mit 
ihrem fertigen Schmutz die meiste Arbeit. Müssen sie aber 
so schmutzig werden? Oft wird das Geschirr im Aufwasch- 
wasser noch nicht so richtig sauber. Fett- und Speiserestchen 
werden dann einfach am Tuch abgeputzt. Heißes Nachspül- 
wasser würde die Tücher sauberhalten. ja sogar ganz ein- 
sparep. denn das heiß nachgespülte Geschirr trocknet von 
selbst an der Luft. Und die Küchenhandtücher? Wie oft 


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Der Schaffner betritt das Abtell. 

„Verzeihung!” sagt Nagel „Ist das der Zug nach 
Drontheim?” 

„Rutschen Sie mir den Buckel langl’ faucht der 
Schaffner und knallt die Tür zu. 


Und Nagel bekam die Gans. Hans Reimann 


Schwank-Autoren 


Schwänke schreibt man selten allein. 

Kürzlich kam einer zu mir, 

„Meister, wollen wir einen Schwank zusammen 
schreiben?” 

„Haben Sie eine Idee?” 

„Eine fabelhafte, funkelnagelneue Ideel” 
„Erzählen Siel” — Er erzählte. 

Nach zehn Minuten unterbrach Ich ihn. 

„Das ist haargenau der Schwank, den Ich soeben 











= 
haho, um die angeschmutzten Hände zu reinigen. Das muß 
schnell gehen. Sie läßt flüchtig Wasser darüberlaufen, 
braucht vielleicht aucı etwas Seife und — putzt den nun 
losen, aber nicht ‚abgespülten Schmutz mitsamt der Seife 
ans Tuch. Beim Wäschewaschen muß sie dann viel Wasch- 
pulver aufwenden, um den Schmutz wicder aus dem Hand- 
tuch zu bekommen. 

Vielleicht fallen Ihnen noch mehr solcher „Gewohnhelts- 
sünden“ ein. Achten Sie einmal darauf. Sie werden er- 
staunt sein, wie der große Wäscheberg zusammenschrumpft 
und wieviel welter Einweich- und Waschmitte! reichen. 





Für Ihren 
Füllhalter: 


‚schwarz und farbig 
GERA » GEGR.1EN? 
Mandel beschrhak heferbar. 


Schon wenig 
Wind 


wirken viel 


rade 9 





BeiBedart 
nur 1 Tablette 


& 








Gummiwaren 


weltruf 





Auch Öllocak 


Ist heute rar 













Drum bitte spar‘ 











Mit Helfmitteln fol man immer fparfam fein — und 
beute erit recht. Mfo nicht m ehr nehmen und nidt Oft Er , 
als €8 bie Woridhrilt verlangt! 

Bor allem aber; DicliG nuc bana; wenn es unbebingt 
mot tut. 

br Das gilt auch für 


Wenn alle bieß ernflich bedenten, befommt jeder@itphod« 

ealin, ber ed braudıt, 

Cari Bühler, Konstanz, Fabrik der pharm. Präpa- 
rate Silphoscalin und Thyllal, 








beendet habe!” rief ich. Er starrte mich an. 
„Wirklich? 

„Wie traurig!” 

„Mein Pech!” So sagte er und ging seiner Wege 
Aber er kam wieder. 

„Ich habe einen neuen Originaleinfalll” 
„Erzählen Siel" — Er erzählte. 

Und wiederum, diesmal schon nach fünf Minuten, 
stoppte ich ab, 

„Um Gottes willen! Diesen Stoff habe ich ja ge- 
rade als Film begonnen!” 

„Tatsache?“ 

„Ich kann Ihnen das Manuskript zeigen.” 
„Schadel Schadel” 

„Was für ein trauriger Zufalll‘” 

Er reichte mir resigniert die Hand. 

„Ich sehe schon, aus uns beiden wird nichts“, 
sagte er, „wir haben anscheinend dieselben Quel 
len und die gleichen Bücher daheim.“ Rösler 








LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0, Nückel) 


Johannes wollte abends ausgehen. Johannes 
suchte seine schwarzen Strümpfe, Verzweifelt 
wühlte er in der Kommode, 
„O Kitiyl Kitty” 

„Wo fehlt es, Johannes?” 
ein Paar ganze Strümpfel” 


„Du Üübertreibstl” 

„Alle haben ein Loch!” 

Kitty trällerte: „Verlaß dich auf mich, Johannesl’ 
„Du willst sie stopfen?” 

„Nein. Aber dir einen guten Rat geben.” 

„Einen Rat?" 

„Ja. Zieh zwei Paar übereinander. Die Löcher sind 
an verschiedenen Stellen!” ).H.R. 


* 


Ich saß im Wiener Werkel. Auf der Bühne saß 
Rosel Dorena als nacktes Weib In der Badewanne. 
Wir sahen nur Ihre herrlichen Arme und Ihre mar- 
mornen Schultern. Der hohe Rand der Wanne 
verdeckte uns Im Parkett die angenehmen Bel- 
lagen des Lebens. Neben mir am Tisch saßen 
zwei Fronturlauber. Und Ich hörte, wie der eine 
den andern anstieß und knurrte: . 
„Siehst jetzt ein, wie dumm wir waren, uns hier 
unten hin zu setzen? Oben auf dem Rang müßte 
man jetzt sitzen, nachher wärs richtig für unser 
Geldl” 2.H.R. 









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„ICH DANKE DIR - MARTINA...“ 


Der Mann, der gestern gestorben ist, hieß Kaspar. 
Warum eigentlich, weiß niemand; vielleicht hatte 
seine Mutter gedacht, es sei ein besonders schö- 
ner Name, Jedenfalls, indem er auf die Welt kam, 
eignete sich Kaspar diesen Namen zu und trug 
ihn sein ganzes Leben mit sich herum, dankbar 
dem Schöpfer, der ihn erschaffen und seiner Mut- 
ter, die auch dazu beigetragen hatte. Kaspar be- 
schritt den Weg ins Leben mit so krummen Bel- 
nen, daß alle Gevattern sagten: „Es wäre ein 
Wunder, wenn die Jemals gerade würden.” Und 
seine Mutter: „Aber Ja, so krumm sind sie doch 
nicht.“ Die Gevattern: „Wie ein Dackel sieht er 
aus," Trotzdem, die Beine wurden mit der Zelt 
gerade — wenn auch nicht ganz — und die Mut- 
ter sagte: „Seht Ihr, Ich habe es doch immer ge- 
sagt.” Da schwiegen die Gevattern. 

Als es für Kaspar Zeit war, In die Schule zu ge- 
hen, nahm er das nicht so tragisch wie die ande- 
ten, er ging eben hin. Oft schlief er, eine Wange 
auf die Schulbank gepreßt: die Wange rötete 
sich, und die Bank wurde feucht von seinem Atem. 
Daß er lernte, dafür sorgte seine Mutter: „Zehn- 
mal mußt du es wiederholen, wenn du ein Wort 
falsch machst; man fängt beim Daumen an.” Denn 
sie zählte diese zehn Male an den Fingern ab. 
Auf solche Weise wußte Kaspar immer seine Auf- 
gabe. Später ging er wegen ein wenig Latein 
zum Pfarrer und wegen des übrigen zu Martina. 
Er war sechzehnjährig, als 
sie, er und die Martina, 
eines Abends Ins Gebirge 
mußten, um den Hirten die 
neue Gemeindeverordnung 
zu bringen. Die Hirten aber 
waren nicht da, sie waren 
höher hinauf, auf die große 
Alm gezogen, wo die Kä- 
serel war. Martina setzte 
sich, kaum ‚angekommen, 
auf eines der Hirtenlager 
und sagte: „Ich bin müde, 
weiter hinauf gehe ich 
nicht.” Kaspar meinte: „Da 
gehe Ich eben.” „Aber Ich 
will hier nicht allein blei- 
ben. Ich fürchte mich vor 
der Gespensterkuh mit den 
fünf Hörnern, die wie ein 
Mensch brüllt. Wir können 
morgen früh auf die Alm 
gehen.” Und sie fing an, 
ein Stück harten Käse zu 
knabbern. Kaspar setzte 
sich auf einen mit Schaf- 
fellen bedeckten Stein, von 
wo aus er durch das kleine 
Fenster ein Stückchen des 
sanften sternenbesäten Him- 
mels gewährte. Er fühlte 
etwas Sonderbares in sei- 
nem Herzen aufsteigen, und 
eine Angst ließ ihn er- 
schauern: es war nicht die 
Angst vor der Nacht oder 
der fünfhörnigen Kuh. Mar- 
tina sagte: „Ich schlafe auf 
diesem Lager und du auf 
dem anderen dort.” 
Martina, achtzehnjährig und 
mit sonnenfarbenen nack- 
ten Armen, legte Ihren 
kastanienbraunen Kopf aul 
das rohe Kissen und tat, 
als ob sie schlafe. Kaspar 
streckte sich auf die krat- 
zige Decke und fuhr fort, 
die Sterne durch das Fen- 


VON CIANNA ARICO 


sterchen zu betrachten. Drei konnte er sehen, sie 
zitterten: auch sein Herz zitterte und die Schlä- 
fen klopften ihm wild. Schweigen — und draußen 
mußte es frisch sein. Aber das lager war heiß 
von trockenem Laub und Stroh und den überein- 
ander geschichteten Fellen, die durch die Löcher 
im Dach die Sonnenglut aufgesaugt hatten. Die 
Sterne zitterten immer mehr. Martina fragte: 
„Schläfst du?“ Der Knabe antwortete nicht. Angst 
und Begehren preßten ihm die Kehle zusammen, 
er starrte das Stückchen Himmel an. Im fahlen 
Licht der Nacht sah Kaspar zwei nackte Arme 
sich ihm entgegenstrecken, und eine hauchdünne 
Stimme sagte: „Komm!“ Er richtete sich auf und 
fiel sogleich wieder zurück, die Zähne in die 
tauhe Decke schlagend. Kaspar sprang auf und 
torkelte zum anderen Lager... Am Morgen sagte 
er zu Martina: „Ich danke dir!" 

Seit jener Nacht fühlte sich Kaspar verpflichtet, 
zu allen Menschen gut zu sein, well Martina es 
zu Ihm gewesen war. Er wurde gesprächiger, 
streichelte die kleinen Kinder und fragte die grö- 
Beren, in welche Klasse sie gingen und wie sie 
heißen. Oh, wie schön war es, zu leben und 
freundlich zu sein! Dann, als einige Jahre vergan- 
gen waren und bevor er den Ort verließ, schenkte 
er Martina einen Geldschein und sagte: „Ich 
danke dir!" 

Er ging in eine Stadt und wurde Schuldiener einer 


Starkes Verlangen - Forte pretesa 





„So, Meister Petz, und nu singe uns noch recht deutlich das Lied vor: 
‚Oh, wie wohl'ist mir am A-a-bend'!“ 


“Cosi, mastro Pelz... ed ora cantaci anche in modo assal chiaro la canzone: 
"Oh. come ben mi tento.n «es 


Ponte ra 


28 


höheren Schule. Und wenn die Professoren und 
Studenten vorübergingen, legte er die Hand an 
die Dienstmütze und antwortete stets: „Jawohl.” 
Er läutete immer zur rechten Zeit die Glocke und 
hielt auf Ordnung in der Schule. Und wenn er an 
den Kreuzungen der engen Korridore einem Leh- 
ter begegnete, trat er einige Schritte zurück, 
legte die Hand an die Mütze und bat um Ver- 
zeihung. 

Die Studentinnen beteten Ihn an, denn bevor sie 
das Gebäude verließen, huschten sie in seine 
Loge, um sich rasch zu pudern und etwas Rot 
aufzulegen. 

Kaspar tat, als bemerkte er das nicht und grüßte 
dann höflich. Mit einem „gnödiges Fräulein” zog 
er die Dienstmütze von dem einst schwarzen 
Schopf, der nun leicht grau schimmerte, und öff- 
nete das Portal. 

Wieviele Jahre brachte er in seiner Portlerloge 
zul Und Weihnachten und Ostern gab es schöne 
Trinkgelder, die er in ein Kästchen legte, auf dem 
etwas geschrieben stand. Auf der Straße machte 
er öllen Platz und öffnete den Damen, die mit 
Päckchen beladen waren, die Türen der Läden 
Zuweilen blieb er vor den eleganten Auslagen 
der Friseure stehen und bewunderte die wäch- 
sernen Hände und die leuchtenden, sonnenfarbe- 
nen Arme, die Ihn erschütterten und betrübten. An 
den langen Winterabenden machte er sich vor 
den Theatern nützlich. Er 
rief die Autos heran und 
öffnete den schönen Frauen 
die Wagenschläge, wofür 
er reichliche Trinkgelder 
bekam. Manchmal geschah 
es auch, daß er in die 
Höhe schaute, und wenn 
er die Sterne zittern sah, 
wurde Ihm weh ums 
Herz... 

Gestern abend, am Schluß 
elnerGalavorstellung,schien 
es Ihm, als sähe er hinter 
den Fenstern eines Autos 
zwei sonnenfarbene Arme, 
die sich ihm entgegen- 
streckten, und als hätte 
er eine Stimme von ir 
gendwoher flüstern gehört: 
„Komm! 

Wie zitterten da die Sterne! 
Er hatte sich getäuscht. 
Ingend etwas brüllte auf 
Ihn ein, warf ihn zu Boden. 
Er stürzte zwischen die 
Räder der Autos, neigte 
seinen Kopf zur Seite, als 
wollte er noch etwas 
sagen, dann strich Kaspars 
Seele an der sauberen 
Matte seines Gewissens 
die Füße ab und entfloh 
in die Ewigkeit. 

In dem Kästchen, auf dem 
ein Frauenname geschrie- 
ben stand, fand man 
neben einem nicht unbe- 
trächtlichen Vermögen das 
notariell beglaubigte Testa- 
ment vor, in dem er alles 
der Tochter des Gemeinde- 
dieners seines Heimatortes 


0 Hegenbarth) 





hinterließ. Er schloß mit 
den Worten: „Ich danke dir, 
Martinal” 


(Berechtigte 
deutsche Übersetzung 
von Thea Weide) 


Sparmaßnahme in USA. 


(£. thönv) 








„Früher haben Frau Präsident für 2000 Dollar fünfzehn Minuten gesprochen, 
jetzt nur noch zehn!" — „Ja, ja, mein Lieber, wir müssen eben überall sparen!" 





Misura di risparmio negli USA.: “Prima, signora Presidentessa, Vol parlavate quindicl minutl per 
2000 dollarl, adesso dieci soltantol,, — “Ah sl, mio caro: dobblamo appunto risparmlare dappertutto!,, 


29 





DER NEUE ANZUG 


VON HANS FRANCK 


Alle meine Kameraden — die gleichaltrigen Jun- 
gen des Bäckers und des Goldschmieds, des 
Tischlers und des Zimmermanns, des Töpfers und 
des Pferdehändlers, des Schusters und des Bött- 
chers — alle meine Kameraden tragen Anzüge, 
die beim Zeugkaufmann um Geld erstanden wur- 
den, Braun und grün und blau sind sie und hübsch 
gemustert. Die Hosen reichen bis zu den Fußknö- 
cheln hinab. Denn für Zehnjährige sind lange 
Hosen das unentbehrliche Zeichen der beginnen- 
den Männlichkeit. Meine Hosen aber sind weder 
lang noch kurz, Die Mutter näht sie; und zwar, 
da das Geld zu einer Tretmaschine nicht reichte, 
auf Ihrer flitzenden Handmaschine, Aber so ge- 
nau sie jedes Mal Maß nimmt, nach einigen Wo- 
chen passen meine Hosen nicht mehr, Denn Ich 
bin größer als alle meine gleichaltrigen Kame- 
taden, wachse ungebührlich und mein Vater nennt 
mich oft einen langen Lulatsch. So steige ich 
zwar wie meine Kameraden, allmorgendlich mit 
meinen Beinen oben in lange Hosen hinein, aber 
Ich als Einziger stelge Im nächsten Augenblick 
unten wieder hinaus. Das möchte hingehen, wenn 
meine Anzüge, gleich den Anzügen der Kame- 
raden, beim Zeugkaufmann gekauft und farbig 
wären, Ich aber trage Anzüge aus farblosem, dik- 
kem, grauem wollenem Stoff, der vom Weber 
geholt wird. 

Jeden Herbst nämlich bringt Mutters Vater, der 
auf einem Rittergut Schäfer ist, eine Unmenge 
Wolle, aus der sein Lohn besteht, zu uns. Jeden 
Herbst fragt Vater: Was er dafür schuldig sel? 
Und die Antwort lautet; „Nix, Hinnick.” Jeden 
Herbst fragt meine Mutter ihren Vater: Ob er 
einen besonderen Wunsch wegen Verwendung 
der Wolle habe? Und die Antwort lautet: „Han- 
nis sall'n nigen Antog dorvon hebb’n.” Wenn ich 
des andern Morgens erwache, Ist der Schäfer- 
Großvater längst fort: ohne seine Wolle, die in 
unserm Hause blieb; ohne seine zweielnhalbhun- 
dert Schafe, die er mit „Wasser“ allein in die 
Stadt zum Schlachter brachte; begleitet von dem 
zottigen, vierbeinigen unzertrennlichen Gefähr- 
ten seiner Tage und Nächte, gestützt von dem 
Haselstock, der — doppelt gebogen — auf 
der einen Seite In einen Haken zum Lämmerfan- 
gen ausläuft, auf der andern in eine Flöte zum 
„Wasserl"-Pfeifen. 

Großvaters Wolle wird von Mutter gewaschen, 
getrocknet, gewaschen, getrocknet, gewaschen, 
gewaschen, gezupft, gesäubert, gesponnen, ge- 
haspelt und zum Weber gebracht. Der macht 
Warp daraus: dickes, kratzendes, breitern. 
graues Tuch. Das tauscht Mutter ein gegen weiße 














Leinenbolzen für Tischwäsche und Bettzeug, ge- 
gen Köper für Vorhänge und Säcke, gegen blau- 
gestreiftes Halbleinen für Vaters sommerliche 
Arbeitskittel, 

Aus dem Großvater-Warp werden meine Anzüge 
von Mutter zurechtgeschneidert. Sie sitzen gut. 
Denn Mutter Ist eine geschickte Frau. Aber den 
grauen, dicken, unschmiegsamen Großvaterstoff 
kann selbst Mutter durch keine Geschicklichkeit 
zum Gegenteil verwandeln. Meine Hosen umste- 
hen die Beine wie fichtene Rohre. Meine Röcke 
sitzen wie vom Tischler angemessen. Jahr für Jahr 
bekomme ich nach Großvaters Wunsch einen 
bretternen grauen Anzug. Dann erscheint das 
Mutter eines Tages unsinnig. Der Warp ist selbst 
von einem unachtsamen Bengel nicht kaputt zu 
kriegen. Wüchse Ich nicht unterwärts und ober- 
wärts aus meinen sorgsam abgemessenen Hosen 
heraus, so daß man sie wohl oder Übel an Ar- 
menschulkinder verschenken mußte, brauchte Ich 
bis zu meiner Konfirmation keinen neuen Anzug 
mehr. Jedes Jahr? Großvaterunsinn! Wie wäre es, 
wenn man einJahr Überschlüge? Der Vater braucht 
viele Sommerblusen, Vor allem aber hat die Mut- 
ter viel Leinen nötig. Denn die Schwester ist 
schon neun Jahre alt. Da wird es Zeit, daß sie an 
die Aussteuer denkt und Bolzen auf Bolzen in der 
totgestrichenen Eichenlade verschwinden läßt. 
Mithin bekomme Ich in einem Jahr trotz Groß- 
vaters Wunsch keinen neuen grauen Anzug. Der 
vorjährige wird geschont und auch im zweiten 
Jahr nicht vom Sonntagsanzug zum Schulanzug, 
dieser nicht vom Schulanzug zum Straßenanzug, 
der nicht vom Straßenanzug zum Feldanzug— alle 
vom ‚selben Warp, alle vom selben Grau, alle 
von der selben Bretternheit — herabgesetzt. 

Da Großvater im Herbst mit der Wolle kommt, 
sieht er mich lange an. Mutter rutscht auf dem 
Stuhl hin und her, als fürchte sie festzukleben. 
Großvater sieht abermals mich, die Mutter, den 
Vater, zum Schluß wieder mich an und fragt plötz- 
lich: „Wann is dei Antog, den'n Hannis anhett, 
makı?“ 

Mutter sagt: Vor einem Jahr, wie ers bestimmt 
habe. Jahr für Jahr kriege ich von seiner Wolle 
einen neuen Anzug. 

Vater nickt zustimmend. Er kennt sich zwischen 
meinen immergrauen Anzügen nicht aus. 

Ich werde rot wie ein Krebs. 

„Is del Antog door, den'n Hannis hüt anhett, 
letzten Harwst makt, Doris?" fragt Großvater 
mit erhobener Stimme, 

Ich blicke zu Boden. Zum ersten Male in meinem 
Leben höre ich mein Herz hämmern. Vor meinen 





IN MANCHEN NÄCHTEN 


Wenn die Nacht zu uns kommt, 
dann missen mir nicht, 


Ob wir den Morgen nodı einmal sehen — 
Schlaflos unter dem Sternznlicht 

Verworrenen Weg die Gedanken gehen. 

Sie gehen für sich und lassen den Leib, 

Den müden und grauen, teilnahmslos liegen, 
Es ist ihr einziger Zeitvertreib, 

Auf- und davonzufliegen ... 

Fragt nidıt: wohin —?! 

Wir fassen selber nidıt Ziel nodı Sinn — 
Und wollen audı gar nidıts ahnen und wissen! 
Da unten blutet die Erde zerrisseı 
Genug! Genug! 

Die Sterne kreisen 

Wie sprühende Funken um den leisen, 
Schmerelosen Gedankenflug. 


vo 
Vorantworti. Schrift 





t: Walter Foltzick, München. Ve 
gültig ab 15. Okt 1941 


Nur meiter, immer nur weiter so 
Wiegen und mwogen und schattenhaft gleiten, 
Nidıt traurig mehr und audı nidıt mehr froh — 
Und irgendwo dann ein Lager bereiten 
Inmitten der Sterne — und näher dem Mond, 
Als unter den Menschen der Erde, 
Vielleicht, wenn dort oben die Seele wohnt, 
Daft Frieden in ihr werde —? 
Fragt nidıt: warum — ?! 
Wir sind‘vor den eigenen Fragen stumm — 
Und mollen nicdıt Antwort hören nodı geben, 
Wir grauen Soldaten aus Bunkern und Gräben— 
Genug! Genug! 
Die Sterne kreisen 
Wie sprühende Funken um den leisen 
Irren und wirren Gedankenflug. 

Herbert Lestiboudois 








Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal, 
nt im Monat RM. 1,20. 


Augen hängen schwarze Schleier, Die werden 
dichter, immer dichter, In melnem Kopf saust es, 
als ob Oktobersturm von Ohr zu Ohr quer durch 
mich hinfegte, Auf Ehr und Gewissen fragt Groß- 
vater die Sünderin. Bei Namen nennt er Mutter. 
Das hat er nie getan in all den Jahren, die ich 
erdenken kann. Jetzt wird Mutter die Wahrheit 
bekennen. Aber sie antwortet: Jawohl, im letzten 
Herbst gemacht. Warum sies zweimal sagen müsse? 
„Hannis!” kommt es aus dem zahnlosen Mund des 
Siebzigjährigen, 

Ich springe vom Stuhl hoch, Das Ist nicht mehr 
die Stimme eines Schöfers, Aus dem Herzen eines 
Propheten steigt sie auf. Ich wage nicht, ihm in 
die zornzückenden Augen zu blicken. 

„Hannis!” mahnt die übermenschliche Stimme. 
Ich weiß, was sie von mir will, gehorche und 
sehe einen Kopf vor mir, wie ich keinen sah: Das 
Flackerfeuer der langen, noch Immer nicht völlig 
gebleichten halbroten Haare Üüberzüngelt den 
Schädel. Wie ein Kranz liegt der schlohweiße 
Bart um das Antlitz, Das Gesicht einem Acker- 
gebreite gleich, auf dem die Furchen kreuz und 
quer, zufällig und sinnlos gezogen scheinen, 
wenn man es als Ganzes betrachtet; das aber, 
wenn man es Stück für Stück ansieht — Ihre Lage 
im Tal auf der Kuppe, am Hang —, sinnvoll be- 
stellt Ist bis ins Allerkleinste, Der Mund schmal 
und eingesunken. Die Lippen kaum zu sehen. Die 
Augen so weit hervorbrechend, daß man den 
buschigen Brauen dankbar ist, die sie über- 
wölben. 

„Wann is din Antog makt?” höre ich es über mir 
grollen. „Segg del Wohrheet, Hannisl" 

„Vor zwei Jahren”, sage ich hell und klar und 
ohne Besinnen. Hochdeutsch antworte Ich auf 
eine plattdeutsche Frage. Denn die mich anrief, 
war nicht des Großvaters, war Gottes Stimme. 
Und Im selben Augenblick, da Ich „Gott“ denke, 
bin ich gewiß, daß Ungeheures geschehen wird, 
Etwas, das nie zuvor in der Stadt geschah; wohl 
aber, wie das Buch der Bücher berichtet, hun- 
dertfältig im Volke Gottes. 

Es geschieht aber nichts. 

Wir — auch Ich, der wieder auf seinen Stuhl hin- 
abgesunken Ist — sitzen um den Tisch, erzählen, 
essen, trinken und gebärden uns, als ob alles 
genau so wäre wle in Jedem Herbst, wenn der 
Großvater seine schlachtreifen Schafe in die Stadt 
trieb, seine Jahreslohn-Wolle der Mutter schenkte, 
meinen Anzug besah, betastete, feststellte, daß 
doch nichts über handgewebtes Warp gehe und 
enordnete, daß Ich, obwohl der vorjährige An- 
zug noch makellos sel, doch einen neuen Anzug 
haben soll. Keiner läßt schauen, was sein Inneres 
aufwühlt. Nur Vater schüttelt bin und wieder ohne 
Jeden Anlaß seinen Kopf. 

Aber eine Gewitterwolke hängt über meinem 
Haupte, nur eine Frage der Zeit, daß sie sich 
entlädt. Am andern Mittag, als Ich aus der Schule 
nach Hause komme, Ist diese Stunde da. Groß- 
vater hat wie stets mit dem vierbeinigen Wasser 
seinen Heimweg angetreten, während ich noch 
schlief. Vater, der es alljährlich so einrichtet, daß 
er am Großvater-Tag in der Stadt arbeiter und 
des Mittags beim Kalfee, des Abends mit dem 
Alten sich aussprechen kann, Ist für den Rest der 
Woche überland gegangen. Kaum habe ich mit 
meinen Schulbüchern die Stube betreten, da pras- 
selt es auf mich nieder: Was für ein nichtsnutzi- 
ger Jung Ich doch wärl Die eigne Mutter schmäh- 
lich im Stich gelassen wie ein gefühlloser Bam- 
buse, der nicht wisse, zu wem er gehörel Die 
Mutter redet sich in Wut hinein, in Immer hef- 
tigere Wut, Sie reißt mich an den Ohren um mich 
selbst herum, Sie packt mich bei den Haaren und 
rüttelt mich wie einen ungefügen Sack, In den 
hinein muß, was doch nicht hinein will. Und der 
Kehrreim zu allem lautet: Seine eigne Mutter 
verraten! 
Ich weine nicht. Aber ich schöme mich, wie ich 
mich noch niemals in meinem Leben schämte. 
Ich selber habe hundertfach gelogen. Wo Ist ein 
Junge, welcher nicht lügt? Aber Mutter. Wie 
kann, wie darf die Mutter lügen! Denn während 














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Die späte Blüte - La tarda fiorltura 




















sie mich schilt und zaust und schlägt, welß ich 
Plötzlich; Ich liebe meine Mutter. Liebe sie über 
alles auf der Welt. Vater steht so hoch, daß 
Meine Liebe oder Unliebe nicht bis zu Ihm hin- 
@ufreichen. Ich achte, ich verehre, ich bewun- 
dere ihn. Aber lieben? Ich liebe nur die Mutter. 
Und plötzlich bricht es wie aus einem Krater aus 
Mir hervor: „Mut—terl” Die Mutter hat den Schrei 
der Liebe vernommen. Sie hält mit dem Schla- 
‚gen inne. Sie nimmt mich auf den Schoß, um- 
schlingt mich mit den Armen, legt Ihren Kopf an 
Meine Wange und weint. Ich umschlinge sie hef- 
ig, presse mein Gesicht an Ihre Wange und 
Weine, 
Am übernächsten Sonntag fahren wir mit einem 
gemieteten Kullerwägelchen zu Großvater. Ich 
"age einen neuen Anzug. Großvater sieht es. 
Da will ich sagen: Es sei bei uns im Hause alles 
ein Irrtum gewesen. Diesen Anzug besäße ich 
schon ein ganzes Jahr lang. Ich hatte an dem Tag, 
da Großvater in der Stadt war, den verkehrten 
Zug angezogen, Aber Mutter schneidet mir das 


Wort ab. Ihre Hand Jedoch streckt sie mir zu 
heimlichem Dank entgegen, 

Im nächsten Jahr kommt Großvater ohne Wolle 
zu uns ins Haus. Die Mutter begreift nicht. Der 
Vater ist verärgert, Schließlich sagt Mutter wie 
beiläufig zu dem Alten: Er habe hoffentlich ge- 
sehn, daß ich bei unserm Wagenbesuch einen 
neuen Anzug angehabt hätt. „Dat weer dei Antog 
von dei vörvörjährig Wull“, stellt Großvater fest 
und eröffnet der Mutter: solange die Sache mit 
Hannis seinem vorjährigen Anzug nicht in Ord- 
nung wär, gäb's keine neue Wolle, Oh, er behalte 
nichts für sich! Dabei zieht er ein knallblaues 
Büchlein aus der Tasche, ein Einlagebuch der 
Städtischen Sparkasse. Das übergibt er dem Va- 
ter. Der sieht zu seinem Staunen, daß Großvater 
die Jahreswolle veräußert und den Erlös mir 
hat zuschreiben lassen. Vater ist mit dieser Form 
der großväterlichen Zuwendung einverstanden. 
Seinetwegen kann der dickköpfige Alte es Jahr 
für Jahr so machen. Aber Mutter will ihre Wolle. 
Was soll sie während der langen Winterabende 


31 


(Fr. Bilek) 


anfangen, wenn nichts zum Spinnen da ist? Vom 
Lichtanstecken bis zum Zeugausziehen lesen? 
Dann schläft sie noch schlechter als ohnehin schon. 
So fahren wir ein paar Wochen später wieder mit 
unserm gemieteten Kullerwägelchen zum Groß- 
vater. Ich habe einen neuen grauen Anzug an, 
obwohl die großväterliche Wolle ausblieb, „Dat 
is del Antog von dei vörjährig Wulll” stellt Groß- 
väter sachkundig fest, „Nu hedd dei Sak ehr 
Richtigkeit.“ 

Im nächsten Jahr bekommt Mutter, weil der Han- 
del seine Richtigkeit hat, wieder ihre Wolle. Und 
ich kriege, solang ich zur Schule gehe, Jahr für 
Jahr einen Anzug, der nicht wie die Anzüge mei- 
ner Kameraden beim Zeugkaufmann gekauft, son- 
dern vom Weber gewebt, von der Mutter ge- 
schneidert wird; der nicht braun oder grün oder 
blau ist, auch nicht gemustert, sondern grämlich 
grau; der sich nicht anschmiegt und streichelt, 
sondern mich breitern umsteht und, wenn ich ge- 
schlossenen Auges mit der Hand darüber gleite, 
sich anfühlt wie ungehobeltes Fichtenholz. 


Im Botanischen Garten von Washington 





So herrl 








(Erich Schilling) 


ich hat die Korruption noch nie geblüht! 


Nell’ Orto Botanico di Washington: Giammai la corruzione ebbe una sl splendida fioritura! 


32 


München, 20. Januar 1943 30 i 
48. Jahrgang , Nummer 3 Pfennig 


SimPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Roosevelts Weißbuch 





„Verdammt schwer ist es, meine schmutzige Wäsche wieder weiß zu waschen !,, 


U "Libro bianco, di Roosevelt: “E maledettamente difficile di lavar via Il sudiciume dalla mia biancherial.. 


Mondscheinsonate - Sonata al chiaro di luna 


ee 


LESEZEICHEN 


VON WALTER FOITZICK 


Es gibt Gedächtniskünstler unter den Lesern, die 
schauen sich die Seitenzahl des Buches an, bis 
zu der sie gelesen haben, klappen zu und schla- 
"gen es nach Tagen wieder an der richtigen Stelle 
auf. Die haben’s leicht! Wir andern brauchen Lese- 
zeichen. In meiner Schulzeit gabs „Hauchblätter” 
als Lesezeichen. Sie hatten den Vorteil, nicht nur 
zur Anmerkung einer Stelle im Buch benutzt wer- 
den zu können, sondern man legte sie auf die 
Hand, und dann krümmten sie sich, oder man 
hauchte sie an und dann krümmten sie sich auch, 
aber nach der anderen Seite, Dabei verging 
schon ein guter Teil der Unterrichtstunde. Außer- 
dem standen da noch in Goldschrift ermahnende 
und erbauende Sprüchlein drauf, die krümmten 
sich dann Immer mit, wenn man sie anhauchte, 
wie ein getretener Wurm. 

Heute habe ich keine Hauchblätter mehr, wenn 
ich mir eine Seite im Buch bezeichnen will, Ich 
nehme das, was gerade zur Hand ist. Merkwür- 
digerweise ist nie etwas Passendes zur Hand, 
außer abgebrannten Streichhölzern, Zetteln mit 
wichtigen Notizen und dringend zu beantworten- 
den oder lieben Briefen. Die wichtigen Notizen 
und die dringenden und lieben Briefe entgehen 
auf diese Weise der Erledigung und Beantwor- 
tung, während es den abgebrannten Streichhöl- 


zern nichts schadet. Diese sehen aber gar nicht 
schön als Lesezeichen aus, und bibliophil sind sie 
auch nicht, 

Ich habe einmal in einer berühmten Bibliothek 
ein großes Tafelwerk durcharbeiten müssen. Als 
ich nach Jahren mir dieses Buch wieder geben 
ließ, fand ich an einer bestimmten Seite meine 
Brille von damals als Lesezeichen. Ich bekam 
dadurch die Gewißheit, daß niemand inzwischen 
bis zu dieser Stelle vorgedrungen war und somit 
noch Immer wissenschaftliches Neuland zur Be- 


ABRUSTUNG 


Wo find der Würde Silberlocken? 
Der Abend naht auf grauen Socken: 
»Freund, mache deinen Laden zul 

Du fchabteft allzu lang fchon Rübchen. 
Verzieh' dich jest ins Hinterftübchen, 
leg’ Patiencen, gönn’ dir Ruhl 


Sei’s noch um eine kurze Weile, 

dann wird fie dir komplett zuteile, 
Ein Schild aus Pappe macht fich breit. 
Steigt wer die abgetret'nen Stufen 
herauf, fo liert er: ‚Einberufen!‘ 

und fpricht: ‚Es ı8ar auch höchfte Zeitl'« 


Ratatöskr 


34 





(Fr. Bllk) 


arbeitung vor mir lag. Natürlich hat man nicht 
genug Brillen, um sie in allen Fällen als Lesezei- 
chen bei wissenschaftlichen Arbeiten verwenden 
zu können. Größere Mappenwerke von quadrat- 
metergroßem Flächeninhalt leiden übrigens kaum 
durch diese Methode, Ich vermisse selt Jahren 
ein Brillenetui, das muß auch an einer wichtigen 
Stelle eines großen Buches als Einmerkl liegen. 
Ich bitte den ehrlichen Finder, das Lesezeichen 
nicht zu entfernen. Es ist nämlich. sehr unange- 
nehm, wenn so ein Lesezeichen ‚an andere Stelie 


. gelegt wird. Da sitzt man eines Abends und liest 


und liest, und plötzlich kommt es einem so vor, 
als habe man das schon einmal irgendwo gele- 
sen. Nun kommt so etwas allerdings öfter vor, 
aber man hat es doch lieber, wenn der Autor 
daran schuld ist und nicht ein verschobenes Lese- 
zeichen, das einen gezwungen hat, eine Sache 
zweimal zu lesen. Namentlich bei Romanen und 
Kurzgeschichten merkt mans oft recht spät, daß 
diesmal nur das Lesezeichen zu den erstaunlichen 
Anklängen an schon Bekanntes geführt hat. 
Robuste Leute machen als Lesezeichen einfach 
ein Eselsohr, sie kniffen die Ecke einer Seite um. 
Wir zarter Besaiteten haben gelernt, daß sich 
solches für einen Bücherfreund nicht schickt. Ist 
halt auch so eine Sitte wie das Verbot, den Fisch 
mit dem Messer zu essen. 

Sehr empfehlenswert ist es, größere Geldscheine 
als Lesezeichen zu benutzen. Man freut sich nach 
Jahren immer über das Wiedersehen, nur darf in- 
zwischen keine Inflation eingetreten sein. 


Truppen für Nigeria 








„Mohr, tu" deine Schuldigkeit und geh’! 


Truppe in Nigeria: “Ehi, Moro ... fa il tuo dovere e vattene!, 


35 


Der Yankee In der Narkose 


(E. Thöny) 


N 


Bi. 
FREE 





„Vier Millionen, fünf Millionen, sechs Millionen ..."" — „Er kann nur 
in Millionen zählen, er ist im Produktionsministerium angestellt!‘ 


Il Yankee nella narcosi: “Quattro milioni, cinque milioni, sel millonl ...... 
“Egli non puö contare che o milioni; & addetto al Ministero delle Produzloni!,. 





36 


KLEINE BUNKERLAMPE 


Einft haft du wohl die Stube fanft durchdrungen, 
Um deinen Schimmer fcharte man fich dicht. 
Du fahft die Alten Ipinnen und die Jungen, 
Warft Sterbenden vielleicht das letite Licht. 


Nun hängt du fen Im Bunker an der Krampe, 
In deinem Scheine Ichreiben wir nach Haus, 
Und ift der Krieg zu End’, o kleine Lampe, 
Wie zärtlich puften wir dich dann wohl aus! 


Du kleine, blakende Petroleumlampe, 
Wir fanden dich in einem Bauernhaus, 
Verftaubt lagft du auf einer Bodenrampe, 
In deiner Gloche niftete die Maus. 


Heinz Friedrich Kameche 


ERLEBNIS IN NANKING 


In Nanking begleitete ich meinen Freund Ander- 
sen in das Bankhaus Bah6 Fröres, wo er sich einen 
seiner gewichtigen Reiseschecks auszahlen ließ. 
Er stand am Schalter und betrachtete den blaß- 
wangigen Kassier, der mit fahrkgen Bewegungen 
längliche Dollarscheine auf die Platte warf. 
„Stimmt was nicht bel diesem ‚Schein-Werfer‘, ent- 
weder bei seiner Leber oder In der Kassa”, 
brummte er, als wir durch die Schwingtür in die 
dampfendheiße Sanpallou-Straße traten. Ich sah 
ihn von der Seite an. Die humorvoll zwinkernden 
Augen in seinem hageren Gesicht blickten zu- 
weilen tiefer, als man Ihrer sorglosen blauen Fär- 
bung zugetraut hätte. Am Abend schleppte er 
mich in den Lawendelklub, dessen Inhaber ein 
Wiener war, ein Etablissement, halb Bar und halb 
Kaffeehaus, in dem berühmt gute Schnäpse aus- 
geschenkt wurden. Andersen trank wie gewöhn- 
lich mehr als Jeder andere im Lokal, nur am Ne- 
bentisch sah Ich einen Mann sitzen, tief und düster 
über seinem Glas gebückt, der durch seinen 
Trinkhalm noch größere Quantitäten in sich hin- 
elnzusaugen schien, Andersen wurde aufmerksam 
und, war es blasser Neid oder fachliches Inter- 
esse an diesem trunkfesten Kumpan, er stand auf 
und setzte sich zu Ihm, „Was gibt's, Alter, he?“ 
fragte er auf seine unverblümte Art. Als der Mann 
erschreckt den Kopf hob, sah ich, daß es der 
Bankkassier war. In seinen vernebelten Augen 
blitzte es zornig auf, er jegnete jedoch dem 
gewissen jungenhaften Grinsen, mit dem Ander- 
sen, wie mir zur Genüge bekannt war, Jedermann 
auf der Stelle entwaffnete. Das Gesicht des Kas- 
wurde plötzlich hilflos und zu meinem Ent- 
setzen wuchsen zwei dicke Tränen aus seinen 
Augenwinkeln, Er begann hemmungslos zu er- 
zählen, Er hieße Charles Demille, wäre seit zehn 
Jahren Kassierer bei Bah6 Fröres und genösse 
dort unbeschränktes Vertrauen. Er hätte sich, auf 
einen totsicheren Tip hin, auf eine Spekulation 
eingelassen und die Sache wäre natürlich schief 
gegangen. Am übernächsten Tag würde die üb- 
liche Bücherrevision stattfinden und da wäre das 
Manko von fünftausend Dollar und... kurz und 
gut, er würde sich noch heute eine Kugel in den 
Kopf schiel Andersen nahm seine Pfeife aus 
dem Mund. „Loch im Kopf ist Blödsinn, M’sieur 
Scheinwerfer, pfeift bloß der Wind durch”, 
brummte er. 

„Gibt's ein anderes Mittel?" Demille sah Ihn be- 
gierig an. 

„Sie müssen noch sechstausend Dollar unter- 
schlagen, mein Guter Die gel Sie mir, werde 
die Sache prompt erledigen...” Mehr hörte ich 
nicht. Andersens taktlose Späße waren mir hin- 
teichend bekannt. Ich ließ Ihn sitzen und ging In 
mein Hotel schlafen. Am nächsten Tag war ich 
emsig tätig und machte mich erst nachts auf die 
Suche nach meinem Freund Ich traf ihn natürlich 
Wieder im Lawendelklub. Er rauchte eine Ziga- 
rette, ein sicheres Zeichen, daß er sich wieder 
einmal übernommen hatte, denn im Stadium des 
vorgeschrittenen Zungenschlags pflegte er die 
übelrlechende zerschrammte Pfeife seinen Zähnen 
nicht mehr anzuvertrauen. „Eine Schande, wie Sie 
sich vollsaugen, Andersen!” begann ich. „Ich muß 
Ihnen einmal...“ Da war wieder sein verdamm- 
tes Lächeln. Ich stockte, grinste mit und bestellte 
auch etwas. „Na, schön‘ ıgte ich achselzuckend 























VON LUDWIG C. VON TÖTH 


„Und was ist mit Charles Demille?“ Andersen 
staunte mich mit hochgezogenen Brauen an. Dann 
nickt ‚Weiß schon, hab's komplett vergessen, 
kenne ihn bloß als M'sieur Scheinwerfer! Oh, Ist 
prompt erledigt. Bin heute zu M'sieur Bahe mit 
Ri.. Rl.. na, wird's bald, mit Rikscha gefahren. 
Er kennt mich und liebt mich, weil ich dicken 
Kreditbrief habe. Ist ein kleiner Glatzenkerl mit 
Walroßbart, der alte Bah6, lacht bloß so um den 
Bart rum, Augen lachen nicht mit, Böser Bursche.” 
Andersen zog den Mund breit. „Hat das Walroß 
ein Gesicht gemacht, nö, wie Ich so sage, daß 
sein Scheinwerfer elltausend Dollar unterschlagen 
hat! Hoho, Habe gesagt: Bin ein alter Freund von 
Charles, zahle bar fünftausend Dollar, wenn er 
keine Anzeige macht und Ihn weiter als Kassierer 











Die Pirouette - La piroletta 





behält. Habe Ihm die Banknoten gleich zum 
Schnuppern hingelegt. Sage Ihm, wenn er sie 
nicht nimmt, verliert er elftausend Dollar, well 
Charles kelnen Nickel hat, No, kurzlang, hat mehr 
wollen, habe nein gesagt, hat geschimpft, ge- 
flucht, gebeten, habe nein gesagt, und so hin 
und her. Dann Vertrag, schriftlich mit Konsular- 
stempel, Stempel hat Bah@ bezahlt. Charles bleibt 
Scheinwerfer, kriegt gleichen Gehalt und Bahe 
verliert bloß sechstausend Dollar. Aus... Walroß 
wär dann noch gerührt, hat gesagt, ich sei ein - 
guter Mensch und daher auch ein verdammter 
Narr, Bin ich auch, viel zu gut bin Ich!” Andersen 
begafin erschütternd falsch einen Marschtakt zu 
pfeifen. Ich war starr. Da hatte doch wer tausend 
Dollar verdient?l... 








(Magon) 


„Sehr geschickt, die Kleine — aber sie dreht sich zu schnell!" 
“E molto destra la picelna ... ma gira troppo rapidamente!,. 


37 


An der Straße nach Woronesch - Sulla strada verso Woronesch 





(Toni Bich! Im Felde) 





BLATTSCHUSS - HERR WINDELBAND! 


Morgennebel verhängte die Landschaft. Er hatte 
den Großgrundbesitzer Windelband nicht hindern 
können, die umfangreichen Feldarbeiten zu Pferde 
zu besichtigen. Nun ritt er ganz gemächlich heim. 
Sein Leibroß Adam, ein Gewichtsträger mit Bel- 
nen wie Tempelsäulen und einem Rücken aus 
federndem Stahl, schnoberte plötzlich und spitzte 
die Ohren. DerReiter sah auf und parlerte das Pferd, 
Was war denn das?! Mitten im freien Felde — 
auf dem Wege — ein Hirsch? Ein guter sogar, 
einer, der etwas drauf hatte, ein Vierzehnender. 
Donnerwetter, wenn er jetzt seine Büchse hätte, 
vom Pferde herunter, würde er dem Hirsch eins 
aufs Blatt geben! 

Der Hirsch sicherte. Windelband verhielt den 
Atem, konnte aber nicht verhindern, daß sich 
Adam — ausgerechnet jetzt — erhobenen 
Schweifes geräuschvoll erleichterte. Der Hirsch 
setzte sich in Bewegung. Windelband folgte. Der 
Hirsch blieb auf dem Wege. zum Gutshof, ver- 
schörfte aber die Gangart, Windelband brachte 
‚Adam in Trab. Der Hirsch ging zu raumgreifenden 
Sprüngen Über. Windelband gab Adam die Spo- 
ten. Die Jagdpassion war über ihn gekommen. 
Konnte er den Hirsch nicht schießen, wollte er 
Ihn hetzen. Einer Güterlokomotive gleich preßte 
der galoppierende Adam den Atem heraus; der 
weit über zwel Zentner schwere Großgrundbesit- 
zer keuchte asthmatisch. Immer noch war der 
Hirsch auf dem Wege zum Gut. „Hussa — hussa”, 
wollte der Jäger laut Hals geben, aber seine 
Stimme klppte über und es klang nur wie das 
heisere Bellfern eines wütenden Teckels. Adam 
war schließlich der Klügere, er fiel in Schritt; der 
Hirsch verschwand Im Nebel. 

Der riesige Gutshof war menschenleer. Nur gegen- 
über dem uralten gewaltigen Burgtor, das noch 
aus der Raubritterzeit sein unverwüstliches Da- 
sein fristete, kamen aus der Kellertür eines breiten 
Wirtschaftsgebäudes gedämpfte Stimmen. Sie 
rührten von zwei alten Frauen her, die im Keller 
Kartoffeln verlasen. „Un, das sa’ ch dr, Meinek- 
ken, wo doch nu alles sparen soll, muß da die 
Inädche Frau... Rrırr — rummmi 

„Herrjesses, Herrjesses —" 

Die Stallaterne war klirrend umgefallen und ver- 
löscht. Ein schreckliches Keuchen, sonst Toten- 
stille im Keller. 


VON CHRISTIAN GUTENBERG 


„WilRen, Herrjessesi" jammerte nach geraumer 
Zelt eine klägliche Stimme, „Hilfe, Herrjessesi” 
„Ruff, ruff“, krächzte die andere. 

Oben an der Kellertür, elf Stufen hoch, schien ein 
wenig Tageslicht. Die Frauen retteten sich die 
Treppe herauf. Dem Hof zurückgegeben, began- 
nen sie erneut zu schreien. Alles lief zusammen. 
„Es spukt, es spukt”, wimmerte die Meinecken. 
Der Kuhfütterer höhnte: „Am hellichten Tage 
spuken! Im Kopfe spukt's euch ahlen Weibern!” 
„Nee, nee, im Kartoffelkeller spukt's, da ist der 
Leibhaftche ungen.” 

Der Hofverwalter kam hinzu: „Ach was spuken, 
anstatt Kartoffeln auszulesen, werdet Ihr euch 
wieder soviel Räubergeschichten erzählt haben, 
daß ihr an euren nen Mumpitz glaubt. Nun 
mal wieder ran an die Arbeit.” 

„Nee, nee, Herr Verwalter, ums Verrecken nich 
jehe ich da noch mal runger”, barmte die Wilken. 
Die verstörten Gesichter der beiden Frauen ver- 
anlaßten den Beamten, diesem vermeintlichen 
Spuk einen schnellen Garaus zu bereiten. Er 
stieg die Kellertreppe hinunter, kam jedoch 
schnell wieder hoch. „Da scheint wirklich etwas 
unten zu sein“, sagt ein wenig betreten und 
verheimlichte seinen Schreck über das entsetz- 
liche Fauchen, das er da unten wahrgenommen hatte. 
In diesem Augenblick ritt Windelband durchs 
Burgtor ein. Adam war schweißbedeckt. Sein 
Reiter hatte ebenfalls keinen trockenen Faden 
mehr am Leibe. Der Gutsbesitzer erblickte mit 
Späherauge die nichtstuerische Ansammlung vor 
dem Kartoffelkeller und rief gereizt: „Leute, habt 
Ihr nichts zu tun, was ist denn da losI” 

Der Verwalter kam ellfertig entgegen und berich- 
tete verlegen. Kutscher Willi setzte sich in Trab 
und half seinem Herrn aus dem Sattel 

„Lampe herl” kommandierte der Hofherr. 

Mit gezückter Reitpeltsche stieg er die Keller- 
treppe hinab. Gespannt lauschten oben seine 
Leute. 

„Hahaha — hohoho”, dröhnte ein gewaltiges 
Lachen aus dem dunklen Verließ, „hahaho — ha- 
haho der Hirsch, der Hirschl“ 

Der König der Wälder stak ‘im Kartoffelkeller, elf 
Stufen tief, ohne, wie es schien, sich verletzt zu 
haben. ‚Er war wohl auf der Flucht im Nebel die 
Straße entlang durch das Burgtor gejagt und 


38 





















blindlings die Treppe hinunter in den Kartoffel- 
keller geprasselt. 

Am Mittag war die Sonne durchgebrochen und 
erfüllte auf das glücklichste die erste Vorbe- 
dingung für das geplante Unternehmen, 

Der Verwalter, der Kutscher, der Gärtner, der 
Flurhüter, der Kuhfütterer und der alte Schäfer 
wurden zum Kartoffelkeller beordert. Daselbst 
erschlen auch im Jagddreß mit Büchse Herr Win- 
delband und hielt Musterung ab. 

„Was wollen Sie denn da mit dem Riesenmessar?” 
fauchte er den alten Schäfer an, 

„Nu, ich denke, mer woll'n jetzt den Hersch 
schlachten, 
„Schlachten! — Sie sind wohl verrückt.“ Das Wort 
„schlachten” hatte Windelbands Jägerseele auf 
das tiefste getroffen, 

„Nu Ja”, brummelte der Schäfer, „mer kann Ihn 
ja ooch vorher dotschießen, aber hingerher muß 
der Hersch allemal ausgeschlächtet werden,” 
\ufgebrochen”, verbesserte Windelband kopl- 
schüttelnd und fuhr dann zackig fort; „Mal her- 
hören, Leutel” 

Nun wurde der Schlachtplan — Verzeihung — der 
Jagdplan verkündet. Erstens: Der Hirsch wird un- 
ter Anführung des Verwalters vom Kutscher, Gärt- 
ner, Kuhfütterer und Schäfer aus dem Keller be- 
fördert. Zweitens: Oben angelangt, wird der 
Hirsch in Freiheit gesetzt, Drittens: Ein Pfiff des 
Kutschers auf den Fingern benachrichtigt den 
Jagdherrn von der Freilassung des Hirsches. Vier- 
tens: Der Flurhüter postiert sich zweihundert Mo- 
ter außerhalb des Gehöfts auf der Straße zwacks 
‚Absperrung gegen Passanten. Fünftens’und letz- 
tens: Der Jagdherr selbst wird ebenfalls außer- 
halb des Hofes unweit des Burgtors Aufstellung 
nehmen und dem Hirsch mit einer Kugel das 
einzigmögliche ehrenvolle Ende bereiten. An die 
Gewehrel 

Im Keller stand wie aus Erz gegossen der Hirsch. 
Vorsichtig näherte sich das Transportkommando, 
Der schlaue Kuhfütterer hatte einen dicken Strick 
mitgebracht und warf ihn lassoähnlich über das 
Geweih. 

„Zwei Mann vorne ziehen“, kommandierte der 
Verwalter. Es fand sich Jedoch angesichts des 
drohenden Geweihs kein Freiwilliger für dieses 
gefährliche Unternehmen, So mußte der Verwalter 











Am Treffpunkt de decch 





„Kalte Hände und eisige Füße — damit wird er fertig; aber wie er meinen 
Schnupfen in seine Leidenschaft einbauen wird, darauf bin ich gespannt!‘ 


All’ appuntamento: “Mani fredde e piedi gelati ... eh, se ne sbrigherä; ma sono 
curiosa di vedere come Innesterä il mio raffreddore nella sua passione!,, 


39 


schließlich selbst zum Strick greiten, worauf der 
Kutscher und der Kuhfütterer eine heroische An- 
wandlung bekamen und ebenfalls zu ziehen be- 
sannen, hingegen der Gärtner und der Schäfer 
von hinten schlebend nachhalfen. 

Der Hirsch machte, scheinbar in unnahbarer Hal- 
tung, aber innerlich zu Tode geängstigt, ein paar 
vorsichtige Schritte, Programmäßig ging es weiter 
bis zur Mitte der Treppe. Hier besann sich der 
Hirsch eines anderen und wich und wankte nicht. 
„Hätten mer man das dämliche Viech abjestochen”, 
schimpfte der schwitzende Schäfer. 

„Quatsch“, sagte in Vertretung des Jagdherrm der 
Jagdkundige Kutscher, „ein Hirsch kann nur durch 
eine Kugel fallen.” 

„Du Döskopp, dann treck ihn man alleene ruffl” 
„Ruhe, Leute”, beschwichtigte der Verwalter, „wir 
machen eine Atempause."” 

Es verging eine Weile, Trotz erneuter Anstrengung 
tührte sich der Hirsch nicht von der Stelle, 

„Wor missen den Strick verlängern und & Paar 
Pfärde holen, die von oven das Biest raustrecken”, 
meinte der Gärtner, 

„Da brechen ihm die schenen Hörner wech un 
der Alte macht eenen Mordsschpektakel”, er- 
widerte der Kuhfütt« 
„Ein Hirsch hat keine Hörner, sondern ein Geweih“, 
gab vornehm der Kutscher zum zweiten Male 
solne Jagdlichen Kenntnisse zum besten, 

„Horn is-Horn, und Rindviecher jibts ooch ohne 
Hörner”, trumpfte patzig der Kuhfütterer auf. 
„Laßt doch das Gequatsche. Paßt mal uff, wie das 
Luder jetzt Boene macht“, sagte der beim Appell 
gemaßregelte Schäfer giftig und pikte dem Hirsch 
mit der Spitze des Schlachtmessers ein ganz klein 
wenig In die Hinterkeule. Die Wirkung blieb nicht 
aus, der Hirsch stieg wieder Stufe um Stufe. 
Oben angelangt, stand er, von der Helligkeit ge- 
blendet, einen Augenblick regungsios. Dann legte 
er das Geweih an; ein Ruck — die haltenden 
Männer fielen durcheinander, dem Schäfer, der auf 
den Strick trat, wurden die Beine unter dem Leibe 
weggerissen. Geistesgegenwärtig und pflichten- 
treu zugleich legte der sich am Boden wälzende 
Kutscher noch die Finger in den Mund und pfiff. 
Windelband ging, vom Jagdiieber geschüttel 
aber sich selbst zur Ruhe mahnend, in Anschlag. 
Auf dreißig Schritte würde er den Hirsch auch in 
voller Flucht nicht verfehlen. Er hörte Schreien auf 
dem Hof, Hühnergackern, Kuhgebrüll. Jetzt vor- 
nahm er auf dem Pflaster im Burgtor, karacho, 
karacho den flüchtigen Hirsch. 

Bautz — fiel der Schuß. Im Feuer brach — eine 
Kuh zusammen. Der Hirsch aber Jagte, den Strick 
um den Hals, karacho, karacho dem Walde zu. 
Windelband setzte das Gewehr ab, äugte und 
wurde bleich. Dann stampfte er zum Tor. Auch die 
Leute vom Hof eilten herbel, 

Der unglückliche Schütze fühlte, daß Irgend etwas 
geschehen mußte, So brüllte er, daß der alte 
Burgturm wackelte: „Wie kommt die Kuh zum 
Tor hinaus?1” 

Der Herr Verwalter faßte Mut und berichtete, daß 
der Hirsch nach seiner wiedergewonnenen Frel- 
heit entgegen aller Erwartung In den Mistring ge- 
sprungen sei und unter den dort befindlichen 
Kühen eine derartige Verwirrung angerichtet 
habe, daß ein Rind mit ihm gleichzeitig über die 
Barriere ausgebrochen und ihm auf der Flucht 
gefolgt wäre. 

Windelband zitterte vor Wut und Scham zugleich. 
‚Auf den flüchtigen Hirsch gezielt und die dahinter 
rasende Kuh getroffen, er hätte In den Boden 
sinken mögen, — Ein finsterer Blick machte die 
Runde, dann warf er das Gewehr über die Schul- 
ter und ging — ein geschlagener Mann — wort- 
los davon. 

„Das scheene Stick“, jammerte der Kuhfütterer, 
als die Luft rein war. 

Der treue Kutscher versäumte nicht, eine leise Ent- 
schuldigung seines Herrn anzubringen: „Alles was 
recht Ist, aber ein sauberer Blattschuß ist es doch.” 
„Dafir gannste dir nischt koofen”, brammelte der 
alte Schäfer, „hätten mer den Hersch Jeschlacht', 
brauchten mer die Kuh nich’ uffzubrechen!” 











BIERSSIIEBERIN ET EOÖFFFEEILE 


VON STRY ZU EULENBURG 


Sie lebten In der gleichen Stadt. Seit zehn Jahren 
lebten Hans und Heinrich in der gleichen, aller- 
dings sehr großen Stadt und hatten sich In dieser 
langen Zeit nicht ein einzigesmal gesehen, waren 
einander nicht einmal zufällig In die Hände ge- 
laufen. Genau so gut hätten sie auf verschiedenen 
Erdteilen wohnen können und nicht im gleichen 
Viertel in zwei, gar nicht so welt voneinander 
entfernten Straßen, wie es sich herausstellte, 
als sie eines Tages dann doch plötzlich un- 
versehens aufeinander stießen. War das eine 
Wiedersehensfreudel Kindheitserinnerungen wur- 
den auf der Stelle ausgetauscht, waren doch 
Hans und Heinrich als Jungen die Unzertrenn- 
lichen gewesen und auch heute, so schien es 
ihnen, je länger sie einander gegenüber standen, 
würden sie sich Immer noch gut verstehen, präch- 
tig zueinander passe: 
„Ich bin unverheiratet”, sagte Hans. „Auch ich bin 
noch Junggeselle”, gestand Heinrich, 

„Dann Ist es also ziemlich gleichgültig, wo wir 
unser Wiedersehen felern, bel dir oder bei mir 
zu Hause”, meinte Hans. 

„Gleichgültig, Ja, nur mit dem Unterschied, daß 
Ich dich doch zuerst zu mir einladen möchte”, 
erwiderte Heinrich mit den Augen blinzelnd, „denn 
ich habe, im Vertrauen gesagt, noch eine kleine 
Reserve von ein paar Flaschen Wein zu Hause, 
die Ich mit Freuden opfern will” 

Hans war gerührt und sagte zu. 

Und dann kam der Abend, an dem sich Hans bel 
Heinrich in dessen möbliertem Zimmer einfand, 
wo die wiedererstandene Freundschaft begossen 
werden sollte.Heinrich hatte ein kleines Abendessen 
beschafft, hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, 
um alles manierlich und nett herzurichten, hatte 
das melste, was dazu an Gegenständen nötig 
war, von seiner Wirtin entliehen. Das Essen 
schmeckte den Freunden ausgezeichnet, der Wein 
mundete Ihnen vorzüglich. 

Immer später wurde es über den Gesprächen der 
Freunde, Immer mehr Glöser wurden geleert, 
Immer lauter und dröhnender wurde ihr Lachen 
über frühere gemeinsame Scherze und neue, die 
sie Jetzt trieben. 

Mitternacht war schon vorbei, als Hans endlich 
nach einem rührseligen Abschled und erneuten 
Freundschaftsschwüren aus dem Zimmer wankte, 
Der nöchste Morgen war, wie fast alle dieser 












Gemütliches Beisammensein 


Placevole compagnla 


40 


Morgen nach verrauschten Festen, grau und eln- 
tönig. Eine der ersten Tätigkeiten, die Heinrich 
nach dem Aufstehen ausführte, war das Zusam- 
menstellen der von der Wirtin entliehenen Dinge, 
da er wußte, wie ängstlich die Verleiherin bei 
solchen Gelegenheiten auf die vollzählige Rück- 
gabe ihrer Kostbarkeiten zu warten pflegte. Und 
schon, kaum hatte Heinrich die Silbersachen zu 
zählen begonnen, mußte er feststellen, daß ein 
großer schwerer Löffel fehlte. Eine volle Stunde 
lang durchsuchte er vergeblich sein Zimmer nach 
allen Richtungen, In allen Ecken und Winkeln, 
dann zweifelte er nicht mehr daran, daß der Löf- 
fel abhanden gekommen war, daß Ihn nur Hans 
mitgenommen haben konnte. Es blieb für ihn nur 
noch die Frage bestehen, ob Hans den vermißten 
Gegenstand aus Versehen, im Ubermut oder gar 
in der Absicht, ihn sich anzueignen, eingesteckt 
hatte. Letzteres wollte Heinrich zuerst auf keinen 
Fall wahrhaben, aber als ihm die Inzwischen auf 
den Plan getretene Jammernde Wirtin darüber Vor- 
haltungen machte, daß er seinen sogenannten 
Freund nach so langer Trennung dpch unmöglich 
ıoch genau kennen konnte, mußte er auch diese 
Möglichkeit in Betracht ziehen. 

Er entschloß sich, Hans sofort ein Stadttelegramm 
zu schicken. Er überlegte lange, wie er den Text 
abfassen sollte, um Hans nicht dirakt vor den 
Kopf zu stoßen, Ihm aber trotzdem die Dringlich- 
keit der ganzen Angelegenheit bewußt werden 
zu lassen, und kam zu der folgenden, Ihm als die 
geeignetste erscheinenden Formulierung: 

„Ein silberner Löffel fehlt. Schöme dich, Hansi” 
Als Hans das Telegramm erhielt, war er zunächst 
ratlos. Doch je eindringlicher er sich den gestrl- 
gen Abend Ins Gedächtnis zurückrief, um so klarer 
erstand vor Ihm das Bild des Waschtisches In 
Heinrichs Zimmer mit dem Krug, in dem sich das 
Wasser für Heinrichs allmorgendliche Reinigung 
befand. Lächelnd stellte Hans dann noch fest, daß 
es fası schon Mittag gewesen war, als Heinrich 
das Telegramm aufgegeben hatte, 

Und er antwortete dem Freund sofort triumphie- 
rend. Sein Telegramm lautete: 

„Habe gestern Löffel in gehobener Stimmung im 
Waschkrug versenkt. Schäme dich, Heinrich!“ 
Ob die Freundschaft zwischen Hans und Heinrich 
der Belastung durch diesen Telegrammwechsel 
standhielt, ist leider nicht bekannt. 


0. Hagenbarth) 









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Süße Frucht 


Von Hans Karl Breslauer 


In meiner Jugend hatte ich nicht ganz legale Be- 
ziehungen zu einem Zwetschgenbaum. Es war ein 
häßlicher, verknorzter, alter Zwetschgenbaum, 
aber Früchte trug er — Früchte von einer un- 
beschreiblichen Süße. 

An diesen Zwetschgenbaum und seine süßen 
Früchte muß ich Immer denken, wenn ich meine 
Hausfrau und ihre Tochter sehe. Tja, die liebe 
Natur kann Bocksprünge machen. 

Aber als ich dieser Tage die süße Frucht meiner 
Hausfrau mit ihrer neuen Freundin sah, konnte ich 
mein Erstaunen nicht verbergen und sagte zu der 
Mutter: 

„Frau Oberdalek, sagen Sie mir nur, wo hat Ihre 
Tochter diese häßliche Freundin aufgegabelt?“ 
„30, schau'n $’", erwiderte sie mit einem gewissen 
Stolz, „das hat so g’wissermaßen seine diplomati- 
schen Hintergründ. Es fallt halt um so mehr auf, 


Halt - 
hier ist zweierlei gefährlich! 


Hier schen Sie einen Un- 
glücksfalt, wie er unter norma- 
len Verhältnissen nur selten 
vorkommt, Keine gute Hausfrau 
wird — auch wenn sie eilig ist — beim Abtrocknen mit 
der Gabelspitze in das Wischtuch stechen. Und wenn es 
früher wirklich mal passierte, war es nicht so schlimm. denn 
unbrauchbar gewordene Wischtücher ließen sich ersetzen. 

Heute im Kriege Ist das anders. Die Hausfrau muß mit 





wla schön als das Madl is, wann’s mit aner so 
schlachen Person spazieren geht!” 

Worauf Herr Oberdalek beistimmend hinzufügte: 
„Wissen S’, es Is ja nur deshalb, weil mei Alte 
jetzt gar so wenig Zeit hat; früher ıs sie immer 
mit dem Madi ausgangen!” 


Bremische Anekdote 
VonKarllerbs 


In einem jener überaus vornehmen Geschäfte, 
deren mit dunklem Samt ausgeschlagene Schau- 
fenster mit einem einzigen aus einer Kristallvase 
quellenden Seidenhemd, zwei Krawatten, einem 
Paar Handschuhe, einer Parfümflasche und einem 
ebenso kostbaren wie winzigen Blumenstrauß ge- 
schmückt sind, und in denen durchaus nur Die- 
jenigen Welche Ihre anspruchsvollen Einkäufe 
machen dürfen — in einem dieser überaus vor- 
nehmen Geschäfte unterfing ich mich, eine Kra- 
watle erstehen zu wollen. Es ist das eine Zerreiß- 


ihrem Aufwasch rascher fertig werden als sonst. Da müssen 
die Kinder beim Abtrocknen helfen. Die ungeübten Kinder- 
hände stechen dann manchmal die Gabelzinken in das Wisch- 
tuch — oft bleibt das Wischtuch auch dort hängen, wo die 
Glasur an Geschirr oder Töpfen abgesprungen ist. Oder 
das Geschirr ist noch nicht richtig sauber und wird nun ein- 
fach am Tuch abgeputzt. Die Wischtücher sind dann schmut- 
ziger als sonst — bis eines Tages die Hausfrau staunt: so 
viel Wischtücher habe ich doch im Frieden gar nicht ver- 
braucht! 

Hier ein Weg. wie Sie mit der Hälfte der Wischtücher 
auskommen: Spülen Sie jedes Geschirr vor dem Abtrock- 


probe, für die man vorher üben sollte — etwa 
indem man beim Hallenkellner in Hillmanns Hotel 
ein Glas Wasser bestellt und es dann zurück- 
schickt, weil es zu warm sel. 

Die Dame, deren leicht geistesabwesender Zurück- 
haltung ich das mir mögliche Höchstmaß an un- 
gezwungener Selbstverständlichkeit entgegen- 
setzte, ließ vor meinem Irunkenen Blick eine An- 
zahl jener seidenen Wunder aufblühen, wie sie in 
so vollendet diskreter Musterung nur als gebän- 
digte Farbkompositionen auf wahrhaft patrizischer 
Kleidung gedeihen. Es wäre verfehlt gewesen, 
Bewunderung zu zeigen: Also ließ ich einen Ken- 
nerblick über die edlen Seidengebilde hinweg- 
gleiten und sah zu einem anderen Kasten hinüber, 
in dem es beträchtlich farbiger zu leuchten schien. 
„Was haben Sie denn da drüben noch?“ fragte ich. 
Die Dame verwies den Kasten mit einer müden 
Bewegung der schön beringten Hand ins Reich 
des Unbeträchtlichen. 

„Die kommen für Sie nicht in Frage”, sagte sie. 
„Das ist etwas für auswärtige Herren.” 


nen noch einmal kurz in heißem Wasser! Da wird es von 
allen Speiseresten gesäubert, die vom Aufwaschwasser noch 
dranhängen. Es ist genug. wenn Sie sich einmal die Arbeit 
mit dem Aufwaschen machen. Warum wollen Sie noch ein 
zweites Mal später den Speiseschmutz aus den Wischtüchern 
waschen? Wissen Sie auch, daß viele Hausfrauen über- 
haupt keine Wischtücher brauchen, weil sie das gründlich ge- 
säuberte Geschirr an der Luft trocknen? Vielleicht kommen 
wir überhaupt mit der Hälfte der Küchenwäsche aus? Denken 
wir nur daran, wie oft man in Gedanken die fettigen oder 
leicht angeschmutzten Hände einfach am Küchenhandtuch 
abwischt! 








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Johannes erhielt einst den Besuch eines von Ihm 
sehr geschätzten Mädchens. 

„Johannes, leider darf ich aber nur bis 10 Uhr bei 
dir bleiben“, bedauerte sie, 

„Hast du eine Uhr bei dir?" fragte Johannes 
„Ja“, sagte sie. 


„Schade“, sagte Johannes. 

„Warum schade, Johannes?“ fragte sie, 

„Wir könnten uns sonst nach meiner richten. Die 

bleibt nämlich gleich stehen", sagte Johannes. 
J.Bieger 


* 


Im Anschluß an die prachtvoll gerittene Fuchs- 
jagd, bei der die blutjunge Komtesse Götz von 
Ueberlingen Siegerin geblieben war, fand eine 
Jagdtafel Im Schloß statt. 

Sämtliche Teilnehmer der Jagd, Damen und Her- 
ren, wurden von der Schloßbesitzerin mit einem 
Eichenbruch geschmückt, der an einem roten 
Bändchen befestigt war. 

Beim darauffolgenden Tanz verlor die Komtesse 
von Ueberlingen ihr Schleifchen. 

Mit einmal ertönte ihre helle Stimme im Saal: 
„Heilige Barbara, jetzt habe ich mein Bruchbänd- 
chen verloren.” —pf 


Es sitzt ein Angler an der Havel und starr un- 
entwegt auf seine Angel. Schlendert ein Spazier- 
gänger heran und gesellt sich zu ihm, 

„Womit angeln Sie denn da, Herr Nachbar?“ 
„Mit n’er Angel. Sehn Se det nich?" 

„Ich meine, was Sie an dem Haken haben?‘ 
„Käse.“ 

„Käse? Solln sie darauf beißen?” 

„Ick hab se nich jefragt.” 

„Warum nehmen Sie denn Käse und keine Würmer 
an den Haken?” 

„Weil ick in Tierschutzverein bin und unnötiger- 
weise keen Tier quälen will.” 

„Keinen Fisch?” 

„Ne, keenen Wurm.” 

„Ja, wenn der Fisch in den Haken beißt, das Ist 
doch auch Tierquälerei. Oder meinen Sie, das tut 
dem Fisch nicht weh?" 


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DIE VERSUCHUNG DES UNHEILIGEN SEPP 


Sieben Truthähne und -hühner gehörten dem 
Bauern am Rain außer einem ganzen Hühnervolk, 
dazu Enten und Gänse. Dem alten Sepp lief, 
wenn er mit selnem ewigen Rucksack auf dem 
Rücken vorüberkam, beim Anblick dieses Reich- 
tums jedesmai das Wasser im Mund zusammen, 
so daß er sich hastig den borstigen Schnurrbart 
wischen mußte, wobei seine gutmütigen Äuglein 
vor Aufregung einige Tropfen in die — wie prak- 
tischl — von der Natur darunter angebrachten 
Tränensäcke gleiten ließen. 

Auch mußte er zum Tabakfläschchen greifen und 
ein Niesgebirge auf den Handballen häufen, das 
unter bedeutendem Schnüffelgeräusch in die Nase 
emporbefördert wurde. Danach war die Seelen- 
ruhe wieder sowelt hergestellt, daß er kopf- 
schüttelnd unter Selbstgesprächen weiterschreiten 
konnte. 

Der Sepp hegte Im Grunde seines Herzens eine 
nahezu franziskanische Liebe zur Tierwelt, nur — 
Im Gegensatz zu dem Heiligen — mit der Ab- 
wandlung, daß er sie sich auch gern und voller 
Zärtlichkeit In der Pfanne vorstellte. Ihm schien 
im Prutzeln und Schmoren ebenfalls etwas vom 
Lobgesang der Kreatur zur höheren Ehre Ihres 
Schöpfers enthalten zu sein, und besonders von 
so einem Truthahn, der ja schon lebend durch 
seine fabelweltliche Ausstaffierung die Phantasie 
befruchtet, wollte ihm bedünken, daß sein gellen- 
der Schrei ein einziges ungestü- 
mes Verlangen nach der Pfanne 
und dem damit verbundenen Sin- 
gen zum Preise des Herrn aus- 
drücke, 

Immer häufiger — und Je seltener 
er Fleisch zu kosten bekam, um 
so aufreizender — sah er vor sel- 
nem Inneren Auge die Erscheinung 
bratender Geschöpfe, und all- 
mählich, da selbst die Nase mit 
eingriff und alarmierende Düfte 
zu wittern glaubte, bekam der 
Sepp das, was die gebildeten 
Städter einen Truthahn-Komplex 
nennen würden, Ideen von Immer 
größerer Hemmungslosigkeit be- 
mächtigten sich beim häufigen 
Anblick der Tiere des Geplagten, 
bis er eines Tages zu schwach 
war, den Einflüsterungen des Teu- 
fels ferner standzuhalten, 

Dieser aber raunte Ihm Ins Ohr: 
Weißt du denn nicht, daß Trut- 
hähne die ausschweifende Eigen- 
schaft haben, unaufhaltsam da- 
vonzurennen, so daß ständig Je- 
mand auf dem Sprung sein muß, 
sie zu suchen und heimzutrelben! 
Den Bauern freut es schon lang 
nicht mehr, daß er sich diese 
Plage auferlegt hat. Wenig Leute 
sind da, am hellichten Tag könnte 
man spielend so ein Ungetüm 
greifen — hol’ mich Gott, das 
gäb’ einen Braten! 

So zischelte der Böse und der 
Sepp konnte seinen Speichelfluß 
nicht mehr bändigen. Etwas mußte 
geschehen und zwar bald, denn 
gerade waren „sie“ felst und reif 
zum lLobsingen in der Röhre. An 
elnem nebligen Wintertag, da 
obendrein Schnee wirbelte und 
weit und breit kein Mensch zu 
sehen war, geschah es, daß der 
Sepp drei der Hähne ganz ge- 
mütlich daherkommen sah, als ob 
sie bestellt worden wären. 

„Ah — ah —, da schau herl” stieß 


VON PETER SCHER 


er hervor und blieb stehen. „Sie haben sich da- 
vongemacht“, fuhr er im Selbstgespräch fort, und 
vor Aufregung ging sein Atem wie ein Blasbalg. 
„Ja, gibt es denn so etwas auch“, fuhr er, sich 
näher schleichend, fort, „mir scheint pfeilgrad, es 
soll so sein! Na wart, dich werd’ ich kriegen!” 
Und weiter fügte der Böse alles günstig. Die 
Hähne stolzierten auf eine leere Klesgrube zu, In 
der sie untertauchten — und der Sepp ebenfalls. 
Kurz darauf trabte er murmelnd und ein einge- 
wickeltes Etwas von ziemlichem Umfang liebe- 
voll an sich drückend, seinem abseits gelegenen 
Häuschen zu, In dem er ganz allein wohnte. Der 
Zufall hatte es gefügt, daß er als Störschneider, 
der er war, gerade eine Decke bei sich hatte, in 
die er gelegentlich Kleider zu hüllen pflegte. 
Darein gewickelt, saß nun ergeben der Truthahn, 
der im Anfang überaus ungebärdig gewesen war. 
Im Häuschen angelangt, wurde das stolze Ge- 
schöpf hinter sorgsam verriegelter Tür befreit und 
mit Überschwang bewundert. So ging einige Zelt 
hin, Der Hahn und der Sepp schienen sich ge- 
fühlsmäßig einander zu nähern, doch blieb ersterer 
von einem leichten Mißtrauen, gepaart mit Un- 
tuhe, nicht ganz frei. Er wollte offenbar hinaus 
zu den Brüdern, was ihm nicht verübelt werden 
konnte, 

Auf einmal schlug sich der Sepp mit der flachen 
Hand vor die Stimm. Ihm war mit Schrecken ein- 


Französische Kleinstadt - Cittaduzza francese 





gefallen: Um das Tier braten zu können, mußte 
man es Ja erst totmachen — und wer um alles in 
der Welt sollte das tunl 'O Himmel, wie hatte er 
diese nicht ganz unwichtige Voraussetzung so 
vollständig vergessen können! Erschrocken staärrte 
er den Hahn an, der eben daran ging, mit kräftl- 
gen Schnabelhieben das wacklige alte Kanapee 
zu zertrüummern. Bei diesem Anblick streute der 
Sepp das übliche Tabakgebirge auf den Hand- 
ballen, riß es mit einem starken Schnaufer empor, 
tupfte mit dem geblümten Tuch die bläuliche 
Knollennase und brach in eine ansehnliche Folge 
von Flüchen aus, von „Kruzitürken” angefangen 
bis zu „Himmiherrgottsakramentkreizteifinoch- 
amall” 

Hierdurch ein wenig entlastet, wenn auch nicht 
in der tieferen Schicht um den Magen herum, kam 
er allmählich zu der bitteren Erkenntnis, daß das 
Unternehmen verfehlt und also bestimmt vom 
Teufel eingegeben worden war. Da zudem das 
unbändige Geschöpf immer bedenklicher auf das 
Kanapee einhackte und keiner vernünftigen An- 
sprache zugänglich schien, öffnete der Sepp die 
Brotlade, schnitt ein Stück ab, zerkrümelte es 
sorgsam und fütterte den Hahn, der es sich mit 
einer gewissen Herablassung gefallen ließ; denn 
Körnern hätte er den Vorzug gegeben. 

Eine Welle verbrachten sie so in einem auf seiten 
des Tieres vergnügten, beim Sepp aber leicht ge- 
trübten Beleinander, während 
draußen die Flocken Immer dich- 
ter wirbelten. Endlich erhob sich 
der alte Schneider seufzend vom 
Kanapee, erhaschte mit unerwar- 
tetem Zugriff den strampelnden 
Hahn und schlug Ihn wieder, wie 
vorher, In die Decke ein. 

Noch zögerte er einen Augen- 
blick, wobel ihm vor Erregung 
zwei richtige Tropfen aus seinen 
Äuglein In die Tränensäcke hin- 
unterkollerten, dann trat er ent- 
schlossen den Rückweg nach der 
Kiesgrube an, wo er den schö- 
nen Gockel niedersetzte und mit 
lautem „Ksch ksch“ weiterjagte, 
Er hatte dies kaum vollbracht, als 
er Im Schneegestöber eine Ge- 
stalt auftauchen sah, den Aus- 
tragsvater vom Hofe, der seuf- 
zend und rufend den letzten Hahn 
suchte und soeben freudig auf- 
atmend auch fand. Sie kamen In 
ein Gespräch, In dessen Verlauf 
der alte Bauer zu erkennen gab, 
wie dankbar er dem Sepp sel, 
daß er den vagabundierenden 
Hahn zurückgescheucht habe; an 
etwas Nahrhaftem solle es zur 
Belohnung nicht fehlen. 

So kam der Sepp, der sich hütete, 
die gute Meinung, die man von 
ihm hatte, in Frage zu stellen, zu 
einem Stück Geräucherten, das 
er am Abend nachdenklich, je- 
doch nicht ohne Genuß verzehrte. 
Als er dabel seinem Schutzengel, 
der ihn vor einer Schandtat be- 
wahrt hatte, ein frommes Geden- 
ken widmete, wurde ihm freilich 
nicht recht bewußt,daß diese Dank- 
sagung ein wenig den Charak- 
ter einer Vergeltungsmaßnahme 
hatte, die er in begreiflichem 
Zorn dem Teufel gönnte, weil er 
seln angefangenes Werk — wenn 
auch auf dem Umweg über die 
eigene Gutmütigkeit — so leicht- 
sinnig Im Stich gelassen hatte. 


(69. Gaggell) 


Vor dem Spiegel 


(K. Holligenstaedt) 





„Findest du, daß mich die rote Kette kleidet?" 


„Kleidet? Na ein bißchen was würde ich schon noch dazu anziehen!“ 


45 


EIN MANN MIT VOLLBART 


Vor Herren mit ehrbaren Vollbärten habe ich 
Achtung gehabt. In Ihrer Nähe kam ich mir klein 
und nebensächlich vor. Ich führe das auf meine 
Schulzeit zurück. 

Von einem Vollbart auch will ich Ihnen hier etwas 
erzählen. Sie werden da erkennen, daß sich hinter 
solch einem Vollbart zuweilen allerhand verber- 
gen kann, und daß Sie einen gänzlich andern 
Menschen vor sich haben, wenn der Bart ab ist. 
Ramon und ich, wir hatten Geld verdient, viel 
Geld, hatten uns anständige Pferde gekauft mit 
prächtigen Sätteln und Zaumzeugen, und nun 
ritten wir nach Barros, wo wir uns neu einkleiden 
wollten. Auch das Haar wollten wir uns dort 
schneiden lassen, es war wieder mal Zeit, wahr- 
haftig. 

Am Morgen waren wir losgerltten. Gegen Abend 
hätten wir in Barros sein können. Aber es gab 
unterwegs eine Reihe von unvorhergesehenen 
Aufenthalten. Und es wurde Abend, ehe wir vor 
den Bergen ankamen, hinter denen Barros lag. 
Uber die Berge, die Sierra de los Candeleros, 
führte ein schmaler, steiniger Weg, der selten 
benutzt wurde, Wer nach Barros ritt, der wählte 
den breiteren Weg, welcher sich am Fuß der 
Berge entlangschlängelte. Er war bequem und 
ziemlich belebt. Wir aber ritten über die Sierra. 
Die Dunkelheit kam plötzlich und viel zu früh. Wir 
sahen ein, daß wir Barros an diesem Tage nicht 
mehr erreichen konnten. Der Weg war uns un- 
bekannt. Und wir wußten auch nicht, ob unsere 
neuen Pferde uns sicher auf die andere Seite 
der Sierra de los Candeleros bringen würden. 
Deshalb beschlossen wir, nicht weiterzureiten 
und in den Bergen den Morgen abzuwarten. Wir 
sahen uns nach einer Stelle um, an der wir über- 
nachten konnten, 

Während wir nach langsam weiterritten, tauchte 
vor uns der Schein eines Feuers auf, Wir sagten 
uns, daß es wohl einem Menschen ähnlich gehe 
wie uns, daß er, wie wir, den Weiterritt nicht 
wage und in der Sierra übernachte, Es konnten 
auch mehrere Menschen sein. 

Doch die Sache verhielt sich anders. Wir kamen 
zu dem Feuer, das an einer etwas überhängenden 
Felswand brannte, und sahen dort einen Mann 
sitzen. Er erhob sich, als wir in seiner Nähe waren, 
Ich sah, daß er Ramons breite Schultern, Ramons 
ganze Figur hatte. Etwas aber unterschied ihn 
von Ramon: er trug einen wallenden Vollbart, der 
pechschwarz war und ihm bis zur Brust reichte. 
Ich erschrak und dachte sofort an die Vollbart- 
herren, die mir in meiner Jugend das Gemüt ver- 
düstert hatten. 

Aber dieser Vollbart, der uns ein paar Schritte 
entgegenkam, schien ein netter Mann zu sein: er 
begrüßte uns freundlich und lud uns ein, ihm an 
seinem Feuer Gesellschaft zu leisten, falls wir die 
Absicht hätten, in den Bergen zu Übernachten. 
Wollten wir aber nach Barros weiterreiten, dann 
gestätte er sich, uns darauf aufmerksam zu 
machen, daß der Abstieg schwierig sei und selten 
von Reitern in der Nacht gewagt werde. 

Es war klar, daß wir uns bereits zum Bleiben ent- 
schlossen hatten, noch ehe der freundliche Voll- 
bart seine Ansprache beendete, Wir stiegen ab, 
zogen unsere Hüte, nannten unsere Namen und 
erfuhren, daß wir den Sefior Teofilo de Pisagua 
vor uns hatten, 

Am Feuer aßen wir etwas, und dann boten wir 
Don Teofilo eine Zigarette an. Aber er lehnte 
höflich ab. „Nein“, sagte er, „ich rauche nicht, 
Ich halte nichts vom Rauchen. Ich halte über- 
haupt nichts von den Dingen der sogenannten 
Zivilisation. Die Natur gibt mir, was ich brauche. 
Und das genügt mirl” 

Dieser vollbärtige Teofilo war ein interessanter 
Mann. Wir unterhielten uns sehr gut mit ihm. Die 
Stunden vergingen schnell. Die Sterne hingen 
groß und nah auf uns herab. Unsere Pferde gras- 


VON KONRAD SEIFFERT 


ten nicht weit von uns. Es war eine schöne Nacht. 
Wir erfuhren, daß der Mann, der mit uns am 
Feuer saß, das Land kannte, er war schon überall 
gewesen, Am besten aber kannte er die Natur, mit 
der er eng verbunden war, wie er uns erzählte. 
Er war recht ärmlich gekleidet, besaß nicht ein- 
mal einen Hut, seine Schuhe waren zerrissen, sein 
Haar hing ihm lang auf Schultern und Nacken 
herab, er ließ es nie schneiden, er raslerte sich 
nicht, Das sei eine barbarische Sitte, behauptete 
er, ein Eingriff in die Natur. Er sprach so über- 
zeugend, daß Ich fast bereit war, mir auch einen 
Vollbart wachsen zu lassen. 

Im Lauf der Unterhaltung erzählten wir einiges 
von uns. Wir hatten keine Bedenken, davon zu 
sprechen, daß wir sehr viel Geld verdient, daß 
wir uns Pferde gekauft, daß wir die Absicht hat- 
ten, uns in Barros neu einzukleiden. 

Unsere Kleidung war wirklich nicht mehr erst- 
klassig, Sie können es glauben. Don Teofilos An- 
zug aber hing nur noch sehr lose zusammen. Er 
trug eine zerfetzte Hose, einen Kittel, um den er 
einen dünnen Strick gebunden hatte. Da wir uns 
neue Anzüge kaufen wollten, boten wir, Ramon 
und ich, dem Don Teofilo, der mir wie ein Prophet 
in der Wüste vorkam, unsere Jacketis an. Aber 
er lehnte dankend und lachend ab. 

„Weil Sie aber, Caballeros, so nett zu mir sind, 
will Ich Ihnen etwas geben!“ rief er. Dabei zog 
er unter der zerschlissenen Decke, auf der er saß, 
eine In Zeitungspapier gewickelte Flasche hervor: 
„Es Ist Alkohol. Ich trinke keinen Alkohol. Man 
hat mir vor längerer Zeit diese Flasche geschenkt. 
Es ist ein guter Schnaps. Etwas davon habe Ich 
gewissermaßen als Medizin verbraucht.” 

Wir tranken von diesem Schnaps. Don Teofilo 
trank nicht. Es war ein recht guter Schnaps, der 
mächtig ins Blut ging. Wir wurden schnell müde 
beim Trinken. Müde waren wir schon vorher ge- 
wesen vom langen Ritt. Und so legten wir uns 
denn an der Seite des Feuers hin. 

Don Teofilo sagte, er werde nicht schlafen, er 
werde sich mit den Sternen beschäftigen. Ich sah 
noch, wie er ein paar trockene Baumöste ins Feuer 
schob. Dann schlief Ich. Ramon war schon vorher 
eingeschlafen. 

Als wir am Morgen erwachten, waren wir allein: 
Don Teofilo war nicht zu sehen, auch unsere 
Pferde nicht. Wir sprangen hoch, suchten das 
Gelände ab, fanden nichts. Und dann erst stell- 
ten wir fest, daß auch unsere Brieftaschen mit all 
dem vielen Geld und mit all unseren Papieren 
verschwunden waren. 

Ramon begann gräßlich zu fluchen, und dann be- 
hauptete er, ich, ich sei schuld an der ganzen 
Schweinerei, ich sei zu vertrauensselig gewesen, 
er habe gleich gesehen, daß hinter diesem voll- 
bärtigen Teofilo etwas ganz Gefährliches stecke, 
und wenn es nach Ihm, nach Ramon, gegangen 
wäre, dann hätten wir Barros noch vor Einbruch 
der Dunkelheit erreicht. 

Nichts davon stimmte. Ramon hatte sich genau 
so übers Ohr hauen lassen wie Ich. Und ich 
dachte nicht daran, auf seine Vorwürfe einzugehen. 
Er.beruhigte sich dann auch bald, und.wir gingen 
zu Fuß nach Barros, das wir am Spätnachmittag 


STERNENHIMMEL 


Die fchwarze Nacht hat fich im Raum verbreitet, 
von taufend Lichtern feierlich geleitet: 
der Himmel hat fich hoch zum Dom gemeitet. 


Nun funkeln lautlos all die kalten Sterne, 
als atmete die unermeffne Ferne, 
auf daß der Menfch fich felbft vergeffen lerne, 


Richard von Schauhal * 


erreichten. Etwas Geld besaßen wir noch, es war 
wenig. Da wir hungrig waren, beschlossen wir, 
im Hotel an der Plaza zu essen. 

Als wir dort eintraten, betrachtete man uns recht 
argwöhnisch. Denn wir sahen wirklich nicht vor- 
teilhaft aus. Ich sagte es Ihnen schon: es war 
nötig, daß wir uns das Haar schneiden ließen, und 
rasiert waren wir auch nicht. Aber das Schlimmste 
war, daß wir zu Fuß kamen. Ach, lieber Herr, es 
macht immer einen schlechten Eindruck, wenn ein 
Mensch, der gewohnt ist, Im Sattel zu sitzen, zu 
Fuß erscheint. 

Als wir Platz nehmen wollten, entdeckten wir in 
einem Sessel einen Herrn, der eine mächtige 
Zigarre rauchte. Eine Flasche Wein und ein Likör- 
glas standen vor ihm auf dem Tisch, zwei Kellner 
waren gerade dabel, Teller und Schüsseln vom 
Tisch zu nehmen, der Gast hatte eine reichliche 
Mahlzeit hinter sich. Nun betrachtete er uns auf- 
merksam und ein wenig lächelnd. 

Als Ich zu ihm hinsah, glaubte ich, der Raum drehe 
sich um mich: dieser Kerl dort war der Mensch, 
der sich Sefior Teofilo de Pisagua nannte, der 
gestern abend in der Sierra de los Gandeleros 
den Philosophen markiert, der einen Vollbart ge- 
tragen hatte, der in Lumpen gekleidet war. Jetzt 
war der Bart ab. Der Anzug, in dem der Mensch 
steckte, war elegant und nagelneu. Sein pomadi- 
siertes Haar klebte blauschwarz an seinem Kopf, 
es roch bis zu uns herüber nach einem lächer- 
lichen Parfüm. 

Auch Ramon erkannte den Kerl. Und er stürzte 
sich mit einem Wutschrei auf ihn, gab ihm einen 
Hieb zwischen die Augen und brüllte: „Heraus 
mit unserm Geld! Wo sind unsere Pferde, du 
Lump?” Ich hielt dabei den ehemaligen Vollbart 
am Kragen fest. 

Ach, Ileber Herr, wir erreichten nichts. Gäste und 
Kellner stürzten sich auf uns, die Polizei kam, Und 
dieser geschniegelte und parfümierte Mensch 
behauptete, uns nicht zu kennen. Wir hatten kein 
Geld. Mit Geld kann man allerhand tun. Aber 
wir hatten auch keine Papiere. Und das war 
schlimmer. Vielleicht haben Sie schon mal er- 
fahren, was es heißt, ohne Paß und Auswels zu 
sein. Es ist überall das gleiche. Man traut Ihnen 
das Niederträchtigste zu, und man denkt nicht - 
daran, Ihnen auch nur ein Wort zu glauben. Nur 
weil Sie kein Papier mit irgendeinem Stempel 
vorzeigen können! 

Nein, uns glaubte man nichts. Dem gewesenen 
Vollbart aber glaubte man, daß er Ramon sel, Er 
war ja Im Besitz von Ramons Papieren. Und er 
glich Ramon ohne Vollbart im Aussehen, In der 
Größe, in ‚der Figur. Meinen Paß hatte er wohl 
vernichtet, den brauchte er nicht. 

Uber vier Wochen saßen wir im Gefängnis von 
Barros. Ach, das war eine häßliche Zeit für uns. 
Man behandelte uns, wie man vielfache Raub- 
mörder behandelt und ließ sich erst von der Rich- 
tigkeit unserer Aussagen überzeugen, nachdem es 
uns gelungen war, ein paar Freunde zu mobilisie- 
ren, die sich für uns verbürgten. 

Inzwischen aber hatte der Philosoph aus der 
Sierra de los Candeleros die Stadt Barros längst 
verlassen, Eins unserer Pferde hatte er verkauft, 
wir erfuhren es später, mit dem andern war er 
verschwunden, es waren schöne Pferde, wahr- 
haftigl Unser Geld war weg. Unser Haar war 
noch immer nicht geschnitten. Wir trugen Bärte, 
aus denen Vollbärte geworden wären, wenn wir 
sie uns nicht hätten abnehmen lassen. Jetzt wollte 
ich keinen Vollbart tragen, nein, Jetzt nicht mehr! 
Ramon auch nicht. 

Sie glauben es mir vielleicht, lieber Herr, daß ich 
seit dieser Zeit vor den Vollbärten nicht mehr 
die Achtung habe, die ich bis zu meinem unfrel- 
willigen Aufenthalt in Barros vor ihnen hatte. Weiß 
ich doch jetzt, daß sogar Pferdediebe sich hinter 
ehrbaren Börten verstecken können! 





Verlag und Druck: Knorr & Hirih Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fernruf 129%). Brielanschrift! München 2 BZ, Brleffach. 


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, Zeitungsgı 








Walter, Foltzick, München, Vorantwortl, Anzelganleiter: Gustav Sch 
195g jo und Postanstaltan entgegen. Bezugspreise: Einzelnummer 30 Pf,; 
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München. — Der Simpliclsslmus erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nahmen 
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eigenprelse nach Prolsllste Nr. 7 


Der Entendieb - Il Iadro di aniire 


(0. Nückei) 








47 


Der Nachfolger Darlans 


(Wilhelm Schulz) 


„Wollen sich Herr General nicht in eine Lebensversicherung aufnehmen lassen? 
Die Mortalität in Ihrer Branche Ist sehr groß!" 


II successore di Darlan: “Non volete, signor Generale, entrare In una "Assicurazione per la vita,? La mortalitä nel vostro ramo & assal grande, 


48 





München, 27. Januar 1943 
48, Jahrgang / Nummer 4 


30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Sammlerpech 


(Wilhelm Schulz) 


|: 
A 
R 
v 


Be 





„Schade um diese hübsche chinesische Vase, die schönere Hälfte ist schon abgesprungen !" 


Sfortuna di collezionista: "Peccato che la parte migliore di questo bel vaso cinese sia giä saltata vial,, 


Draußen am Stadtrand - Fuori, all’ orlo della cittä 


Höflichkeit 
zwischen Türen 


Wir sind im allgemeinen guterzogene Leute, und, 
wenn wir elnem auch alles Schlechte ‚wünschen, 
so vermeiden wir doch, vor ihm durch die Tür zu 
gehen. Das hat man uns mit vieler Mühe in der 
Kindheit schon beigebracht. Ludwig, laß dem an- 
dern den Vortritt, Davon ist viel haften geblie- 
ben, und wir handeln darnach, außer beim Schlan- 
genstehen, aber das gehört mehr ins Sportliche 
und hängt mit der Erzielung von Spitzenleistungen 
zusammen. Es Ist ein Sonderfall, 

Sie kennen ja das Spiel, das sich ergibt, wenn 
zwei Herren gleichen Höflichkeitsgrades an einer 
Tür zusammenkommen. Sie komplimentieren ein- 
ander hinein, längere Zeit, bis sie sich plötzlich 
entschließen, dem Drängen des andern nachzu- 
geben. Schlagartig prallen sie in der Türöffnung 
zusammen, und wie zwei Walzen in einer Drucker- 
presse drehen sie sich hindurch, wobei unter ver- 
legenem Lächeln letzte Höflichkeiten ausgetauscht 
werden, gemischt mit Bedauern über Höflichkeit 
und ihre Folgen. 

Hierzu verwendet man jede gewöhnliche Tür, es 
kann eine Zimmertür sein, die Tür einer Amts- 
stube, eine Ladentür, kurz, jede Tür von geringen 
Ausmaßen. 

Eine ganz besondere Sorte sind die Klapptüren, 


die vermöge eines Mechanismus von selber zu- 
schlagen. Meist steht „Drücken oder „Ziehen“ 
drangeschrieben. Aber wer beschäftigt sich mit 
Lektüre, wenn er schnell durch solch eine Tür 
kommen will. Diese Türen sind nämlich überall 
dort, wo man schnell hindurch will. Kommen nun 
zwei von entgegengesetzter Richtung an diese 
Tür, so geschieht es mit ziemlicher Regelmäßig- 
keit, daß die beiden gleichzeitig drücken oder 
gleichzeitig ziehen. Dieser Fall aber ist bei der Tür 
nicht vorgesehen, und deshalb rührt sie sich nicht. 
Da aber auf beiden Seiten höfliche, wohlerzogene 
Menschen stehen, so werden beide, wenn sie vor- 
herdrückten, jetztziehen,undwennsievorherzogen, 
jetzt drücken. Nach den Gesetzen der Mechanik 
tührt sich auch in diesem Falle die Türe nicht. Es 
kann längere Zeit dauern, bis die Höflichkeit des 
einen nachläßt und damit der Durchgang frei wird. 
Was geschieht aber, wenn zwei in einem gewis- 
sen Abstand, sagen wir mal von zwei bis drei 
Metern, hintereinander herkommen? Da kann doch 
nichts passieren, nicht wahr? O doch, aus Höflich- 
keit natürlich Der erste hält nämlich, wenn er 
sieht, daß jemand hinter Ihm kommt, die Türe 
einige Zeit auf. Nach einem Naturgesetz hält er 
sie gerade so lange auf, wie es genügt, um sie 
zurückschnellend seinem Nachfolger gegen den 
Bauch prallen zu lassen. Probieren Sie's mal, Sie 
werden's fühlen, Die Eile überwiegt die Höflich- 
keit nur um ein Geringes, aber das genügt. 
Foitzick 


50 


0. Hegenbarth) 





SEESCHLACHT 


Von Hans Leip 


Und gifchtgekränzt zu gnadenlofem Tun, 
fo trat fie vor die Wolkenbank, 

schrönt 

von Dunft, 

von grauen Vögeln überdröhnt. 


Und hier wie dort ein harter Wille 
bewegte ihrer Flotten Pracht, 

ftraff angeftaut mit Pflicht 

und Ehrbegriff und Mut. 


Und wie es hohe Rechenkunft 
lang vorbedacht, 

entlud 

fie jäh fich übers Meer. 


Und mwährte als ein brüllender Taitun 
Und als ein Weltgericht 

und fank, 

von Qual und Trümmern fchmwer, 
hinab in eine große Stille. 


Das Erwachen (ech Schiting) 


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23 


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„Ach so sehen Sie in Wirklichkeit aus! Und mir hat von so einem netten harmlosen Burschen geträumt!“ 


I risveglio: “Ah cosl & in realtä il Vostro aspetto! Ed io sognavo quello di un simpatico ed ingenuo ragazzo!,, 


51 





Cafe Algier {E. Thöny) 








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| Gen-Eenhow 


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Nerarvier 
\Lard Mc Milion, 








„Miese Stimmung, die Herren wollen sich absolut nicht an einen Tisch setzen!" 


Caff& Algeri: ""Cattivo umore; i signori non vogliono assolutamente sedersi insieme ad un Tavolo!,, 


52 


[E 


Im trauten Heim 


Tra le fide pareti 


(Fr. Bllek) 





„‚Zieh' die Beine ein, Diogenes, ich glaube, es fängt an zu regnen!" 


DER-BREMDE 


VON KURT GROOS 


Die Deckenleuchten, alte schmiedeeiserne Gas- 
lüster, brannten an diesem Abend nicht; der 
Gastgeber hatte die Wandkandelaber mit den 
Wachsleuchten anzünden lassen. Es lag ein milder 
und hoheitsvoller Schein in der hohen Halle. 
Wenn alles ganz still war, hörte man in der 
Ferne das Meer singen. 

Noch in diesem gedämpften Raum mit seinem 
uralten Ringsum fühlte man die Weite, die dieses 
Haus umgab, die Weite des Meeres dahinter und 
die Weite der Landschaft davor. Und doch war 
nur Einsamkeit in diesem Haus. 

Wir waren unser dreizehn an diesem Abend; die 
meisten kamen von welther in dieses Haus in 
der melancholischen grauen Landschaft, die wild 
und voll Leidenschaft nur Im Sturm war. 

Der Dichter, der Hausherr, hatte seine Beichte 
beendet; es war die Geschichte seines Lebens. 
Er hatte sie in ihrer Ungeheuerlichkeit vollkom- 
men ruhig, bewegungslos erzählt, und nun saß 
er da wie erloschen, Um uns geisterte, verhalten 
und eindringlich wie alles hier, die Tragik des 
gehörten Erlebens, ein feierliches Nachklingen 
im Raum. 

Die Erzählung hatte uns noch versunkener und 
nachdenklicher gemacht; wir grübelten den Stun- 
den nach, in denen auch uns das Schicksal be- 
gegnet war — in der Ferne hörte man das ein- 
same Meer singen; es klang wie eine Trauer- 
melodie. 

Schließlich machte einer ein paar Scherzworte — 
aber wie unecht, wie verkrampft klangen siel 
Irgend etwas Unaussprechliches bannte uns. Der 
Gastgeber ließ die Kelche wieder füllen, und 
jeder sank in seine eigenen Gedanken zurück. 
Vielleicht” — der große Geiger Birdelli hob bei 
diesen Worten das Glas ein wenig und sah durch 
den satten Purpur des Weines in das sich im 
Kelch wie schmelzendes Gold brechende Licht 
der Kerzen — „vielleicht öffnet sich doch einmal 
das Tor, und er kommt zurück als ein Anderer 
und weiß nichts mehr von den Schmerzen, die er 
bereitete. Vielleicht erlebt er das gleiche Schick- 
sal am anderen Ende der Sehnsucht — ein ebenso 
Einsamer dann. Vielleicht kommt er schon heute, 
vielleicht morgen...“ 

„Vielleicht nie“, unterbrach ihn der Dichter, um 
dessen Lippen ein harter, abweisender und 
schmerzlicher Zug lag. 


„Vielleicht nicht so, wie ihn damals das Laster 
hinabzog, vielleicht als ein Gewandelter, aufge- 
spült wieder vom Ozean des Lebens”, grübelte 
der Geiger. „Wir würden ihn nicht mehr erken- 
nen mit unseren Augen und dann doch alle fühlen, 
daß nur er es sein ‚kannl"” 

Das Gesicht des Hausherm wurde noch gequäl- 
ter, im Schein der Kerzen schien er erschreckend 
alt und zerfallen — der Geiger schwieg betreten; 
Jeder von uns versank wieder in sich, 

In die Stille der Halle trat plötzlich ein Brausen 
von draußen; unvermittelt erhob sich der Herbst- 
sturm, und das Meer schrie. 

Immer mehr Kerzen brannten nieder; erst im 
Weichen Ihres Lichtes erkannten wir, daß schon 
der graue, glasige Morgen durch die hohen 
Fenster in die Halle kroch. Unsere erst feurigen, 
dann kritischen und endlich so nachdenklichen, 
an die letzten Dinge rührenden Gespräche hatten 
die Zeit vollkommen getötet — keiner war müde 
geworden; die meisten schienen überwach. 

Der Dichter brach das Schweigen. Er fragte, ob 
wir den durch seine Einladung versäumten Schlaf 
nun nachholen wollten. Doch danach war keinem 
zumute; der dunkle Wein und der seltsame Zau- 
ber der Stunden bannten uns weiter in unsere 
tiefen Sessel. 

„Dann soll die Nacht uns bleiben”, sagte der 
Dichter. Ein Diener setzte neue Wachslichte auf, 
schloß die hohen Vorhänge, vor denen der bleiche 
Morgen geisterte, und es war uns, als ob die Zeit 
von neuem stillstehe. 

Wieder alle in uns versunken, fuhren wir erschreckt 
bei einem seltsamen Klirren auf: Das Glas des 
Hausherrn, der bleich und mit weitaufgerissenen 
Augen lauschend vorgebeugt in seinem Sessel 
saß, war zersprungen. Wie eine blutige Lache 
tränkte der Wein das weiße Tuch der Tafel; die 
Hand des Dichters zitterte, 

Wir alle sahen ihn an. 

„Es kommt Jemand!” sagte der Gastgeber tonlos. 
Er starrte mit seltsamen Augen auf das hohe Por- 
tal der Halle, und wie in einem Bann sahen alle 
dorthin; wir fröstelten, elne ungeheure Spannung 
lag über uns. 

Aber nichts war zu hören als draußen der Sturm 
und das Rauschen des Meeres. Mit erstickter, 
unsicherer Stimme meinte der Geiger, daß unsere 
Nerven ein wenig herunter seien von den Phan- 
tasmagorien der durchwachten Nacht. 

„Er kommtl' sagte der Hausherr ganz leise und 
hart, so als ob es etwas Unentrinnbares sei, das 
von ferne wie ein Schicksal nahe und seine 
Schatten schon auf uns werfe. 


53 


“Tira dentro i piedi, Diogene, ch& credo comincl a plovere!,, 


Kaum hatte der Dichter dieses uns furchtbar er- 
scheinende „Er kommil” über die blutleeren, ver- 
zerrten Lippen gebracht, da hörten wir ein Pochen, 
ein erst zaghaftes, dann herrischeres Pochen — 
leise knarrend öffnete sich der hohe Flügel der 
Halle, und im gleichen Augenblick strich der 
Sturm In den Raum und löschte die Kerzen, Nur 
an der hinteren Wand brannten noch drei ein- 
same Leuchten, die Halle mit fahlgelbem Licht 
verschwimmend erfüllend. 

Keiner von uns rührte sich; wir alle standen unter 
einem unerklärlichen Bann. Der Große, Hagere — 
im unbeständigen Licht konnten wir nur seine Um- 
tisse erkennen — trat schweigend in den Raum; 
der Sturm oder eine Geisterhand fegte den Flügel 
des Portales hinter ihm zu. Er blieb — wie lange 
es sein mochte, weiß ich heute nicht mehr; viel- 
leicht habe ich es nie gewußt — eine Zeitlang 
wie angewurzelt stehen, und nun konnten wir Ihn 
deutlicher erkennen, wenn er auch von dämoni- 
scher Unwirklichkeit im seltsamen Zwielicht er- 
schien. Er mußte von weither durch den Sturm ge- 
kommen sein, er mußte Wind und Wetter nicht 
fürchten — sein Gesicht war von einer starren 
Kälte, und doch schien es wie gegeißelt von den 
wirren Haarsträhnen, die der Sturm in die Stirne 
und über die harten Wangenknochen gepeitscht 
hatte, Er trug einen langen schwarzen Olmantel, 
wie ihn Seefahrer auf alten Abbildungen tragen 
Den breiten Hut hatte er tief in die Stirne gezogen, 
seine Augen wären mit unhelmlicher Ruhe auf 
uns gerichtet. 

Das Magische, das von der Erscheinung ausging, 
wurde verdeckt durch etwas, das uns allen wie 
ein unheimliches Spiel erschien: Der Fremde tat 
verlegen, aber sein Gang war fest und aufrecht, 
als er mit tödlicher Unausweichlichkeit auf uns 
zukam, durch unsere Runde hindurchschreitend 
wie durch Luft, immer den Blick nur auf einen, 
‚den Hausherrn, gerichtet. Vor ihm, dem jetzt ganz 
Zusammengekauerten, blieb der Unheimliche 
stehen; erst jetzt sahen wir, daß er in seiner 
Linken eine kleine schwarze Kiste in der Art eines 
Kindersarges trug. 

Das Entsetzliche war, daß der Fremde noch immer 
kein Wort sprach, 

„Was wollen Sie?" Es war die ächzende Stimme 
unseres Gastgebers; sie kam wie aus Gräbern. 
Doch brach sie den fürchterlichen Bann, denn der 
Fremde, mißbilligend, verächtlich fast den Blick 
auf die letzten verflackernden Kerzen gerichtet, 
nahm den breiten Hut ab, räusperte sich ehr- 
erbletig und sagte: „Ich möchte die Gasuhr 
prüfen!" 





Unerreichtes Ziel - Meta non raggiunta 





(0. Herrmann) 


„Ich glaube, liebes Kind, du hast dich nun genug geschminkt.' — „Aber, Papa, ich sehe mir doch immer noch ganz ähnlich!" 


*Bambina mia, credo che ormal tu 1 sia Imbellettata abbastanza.,, — “Ma, babbo, sono sempre ancora riconoscibile!,, 


PRINZESSIN MARYS UNGLÜCKSFALL 


Der höchst peinliche Vorfall hatte sich folgender- 
maßen zugetragen: Auf der bezaubernden Ve- 
randa des prachtvollen Sommersitzes am schil- 
lernden Meere hatte die bildschöne Prinzessin 
Mary den Erbprinzen Henry, ihren neugebackenen 
Bräutigam, Inmitten der Hofgesellschaft bei einer 
Unterhaltung auf einmal stehen lassen. Gerade in 
dem Augenblick, da er ihr liebevoll zuflüsterte: 
„In Ihrer Gegenwart, Mary, schlägt mir keine 
Stundel” hatte das Königskind urplötzlich erblei- 
chend das bildschöne Gesicht verzogen, war auf- 
gesprungen und mit einem bloßen „Pardon!” da- 
vongelaufen. Sogar die alte Fürstin Katinsky, die 
hochgradig versierte Hofdame, deren Amt es 
war, das Verlöbnis, von dem das Geschick zweier 
Yölker abhing, zu, beschirmen, war platterdings 
sprachlos. Mit Müh’ und Not erholte sie sich und 
nahte dem erstarrten, durch die beschämende 
Demütigung gleichsam gelähmten Prinzen. 

„Oh, Hoheit wollen den plötzlichen Aufbruch der 
Prinzessin verzeihen... Sie ist zur Zeit außer- 


VON L. M. PALMARINI 


ordentlich nervös. 
an... Vielleicht... 
Der Prinz jedoch hatte sich, ohne ihr im gering- 
sten Gehör zu schenken, erhoben, war mit einem 
schneidigen „Adieul“ solo zur Verandatür hinaus- 
spaziert und eilends durch den Garten ver- 
schwunden. 

Die Fürstin Katinsky hatte, tief beunruhigt, den 
Vorfall schleunigsı der Königin berichtet, und die 
erlauchte Frau, die gerade, in ihr Arbeitszimmer 
zurückgezogen, die Dosen ihres Cedro- und Me- 
lissensaftes ausprobierte, ein ausgezeichnetes 
Mittel gegen nervöse Schwäche- und Ohnmachts- 
anfälle, war, als sie die seltsame Begebenheit 
vernahm, höchst verwundert. Als weitblickende 
Frau bedachte sie die Folgen, die diese unbe- 
sonnene Tat haben könnte, Sowie sie die Ge- 
schichte erfahren hatte, begab sie sich mit gro- 
Ben Schritten, begleitet von. der bejahrten Rund- 
Hchkeit der Katinsky, die wie ein hinter dem Gros 
zurückgebliebener Pinguin hinter ihr dreinhüpfte, 


54 


. Die See strengt le zu sehr 





ins Gemach der Prinzessin, Sie fand sie mit ver- 
weinten Augen in einen Sessel versunken. 
„Was ist geschehen, Mary? Du hast den Prinzen 
stehen lassen? Sag, warum?” 

„Unmöglich Das Mädchen brach in Tränen 
aus, „Das kann ich nicht sagen.” 

„Ach, Unsinn! Was kann schon gewesen sein? 
Der Prinz Henry ist so ein feiner, netter Mensch, 
und außerdem liebt er dich so.” 

„An ihm liegt es ja gar nicht... Es hängt gar 
‚ht mit ihm zusammen..." 

„Womit denn? — Geh, bring mich nicht auf... 
Wer weiß, was der König dazu sagt! Ich muß ihm 
doch die Wahrheit sagen... Los, sprich, schnell” 
„Verzeih, Mama, aber es ist unmöglich... Es ist 
eine diskrete Angelegenheit... Ich bin untröst- 
lich... Lieber würde ich sterben, als es aus- 
sprechen...” ’ 

Da die Königin sah, daß ihre Beharrlichkeit ver- 
gebens war, begab sie sich zum König, die Ka- 
tinsky Im Vorzimmer zurlcklassend, Seine Maje- 








Das Engagement (Kilos) 





„Glauben Sie mir, Herr Direktor, meine Tanzdarbietungen finden stets rauschenden Beifall!‘ 
„Was heißt Beifall? Die Frauen müssen vor Eifersucht platzen und die Männer irrsinnig werden!“ 


La scrittura: ““Credetemi, signor Direttore, le mie danze raccolgono sempre un frenetico applausol,, 
E che significa applauso? Le donne devono scopplare dalla gelosia e gli vomini devono perdere il cervello!,, 


55 


stät weilte in seinem Studierzimmer, das in glei- 
cher Höhe mit dem Garten lag, von dessen Rosen 
die Duftwellen in den strengen, ganz mit Büchern 
ausgefüllten kleinen Saal fluteten. Der König 
strich, wie er beim Nachdenken pflegte, den wal- 
lenden Bart und sog an der Pfeife. Als er die 
seltsame Geschichte vernommen, enisetzie er 
sich und heftete unverwandt den verwunderten 
Blick durch die Brille auf das noch jugendliche 
Gesicht der Königin. Dann nahm er die Pfeife aus 
dem Mund und stammelte: „Wieso denn? Ist sie 
verrückt geworden?” 

„es war unmöglich, den Sachverhalt aus ihr her- 
auszukriegen. Sie sagte, der Prinz habe sich stets 
durchaus korrekt benommen, er habe gar nichts 
damit zu tun, und den eigentlichen Grund könne 
sie nicht sagen; lieber stürbe sie, als daß sie 
ihm die Sache erklärel” 

Darauf schnellte der König empor — er war von 
hoher, imposanter Gestalt — und schlug mit der 
Faust auf den Schreibtisch, daß die tintegefüllte 
Schale des goldenen Schreibzeugs auf ein Bün- 
del bereits unterzeichneter Erlasse sprang. 

„Ich will die Wahrheit wissen! Ich muß sie wis- 
sen! Das ist eine höchst peinliche Angelegenheit! 
Laß sofort. Mary hierherkommen!” 

Während die Königin sich anschlckte, den Befehl 
auszuführen, trat ein Kammerherr ein und blieb 
mit einer Verbeugung einige Schritte vor der 
Portiere, stehen. 4 

„Was gibt's?" 

„Majestät, der Flügeladjutant Seiner Königlichen 
Hoheit des Prinzen Henry bittet Euer Majestät, 
Ihn empfangen zu wollen.” 

„Da haben wir den Salat!” knurrte der König und 
versteckte seine Pfeife hinter einem Bücher- 
stapel, Laut sprach er sodann: „Er soll eintreten." 
Der Flügeladjutant, der überaus kurzsichtig war, 
näherte sich In dem ungewohnten Halbdunkel 
des Studierzimmers unter vielen Verbeugungen 
einem großen Olgemälde, darauf der alte König, 
der Vater des gegenwärtigen, ein Zepter im 
Schoß hielt neben sich eine Erdkugel, auf der 
die andere Hand majestätisch ruhte, indes in 
augenfälliger Großartigkeit ihn ein zu Pelz ver- 
arbeitetes Rudel Hermeline drapierte, 
„Entschuldigen Sie, wo wollen Sie denn hin?" 
sagte der König ein wenig ungeduldig. „Hier, 
hier, kommen Sie hierher! Machen Sie sich’s be- 


quem!” 
„Ich bitte Euer Majestät um Verzeihung... Ich 
komme aus der Sonne... Ich sehe schlecht... 


Dies ungewohnte Halbdunkel...” 

„Also?“ fragte der König nervös, 

„Nun wohl, Majestät werden bereits um den 
höchst ernsten Zwischenfall wissen, der sich so- 
eben ereignet hat und bei dem Ihre Hoheit, die 
Prinzessin Mary, unsern durchlauchtigsten Erb- 
prinzen urplötzlich ihrer erhabenen Gegenwart 
beraubt hat, Ein so erlauchter Fürst wie Euer 
Majestät wird die außerordentliche Tragweite der 
Tatsache einsehen. Seine Hoheit will durchaus in 
seine Residenz zurückkehren und beansprucht ge- 
hörige Genugtuung, ehe die Angelegenheit poli- 
tischen Charakter annimmt und ernstliche Folgen 
für die freundschaftlichen Beziehungen beider 
Staaten nach sich zieht.” 

„Mein lieber General“, entgegnete der König 
und betrachtete die Bartspitze, die er mit der 
Rechten zwirbelte, „der Zwischenfall hat sich vor 
einer Viertelstunde ereignet; Ich habe selber 
noch nicht Zeit gehabt, die Ursache dieser plötz- 
lichen Anwandlung meiner Tochter festzustellen... 
Aber, was zum Teufel, machen Sie denn?” 

Mit dieser ungeduldigen Frage unterbrach sich 
der König, weil der Angeredete sich unbeherrscht 
vorgebeugt hatte, um die blütenweiße Hose sei- 
ner Generalsuniform zu betrachten, auf die er 
seit einer Weile etwas Naßkaltes niedertropfen 
fühlte, das er trotz seiner Kurzsichtigkeit sogleich 
mit kohlpechrabenschwarzer Tinte identifizierte. 
Da es nicht Hofbrauch war, Tinte, von welcher 
Farbe sie auch sei, dem Besucher auf die Hose 
zu gießen, war er in hohem Grade verwundert 
und suchte also nach einer glaubwürdigen Er- 


klärung für die so unangenehme Erscheinung. 
Doch war es, wie wir wissen, die Tinte aus dem 
goldenen Tintenfaß, das des Königs herkulische 
Faust hatte in die Höhe hüpfen lassen; mit der 
aufdringlichen Unbekümmertheit jeder sich selbst 
überlassenen Flüssigkeit tropfte sein Inhalt nun- 
mehr von der Tischkante herab. Auf die Frage 
des Königs hatte der Flügeladjutant und General 
sich erhoben und auf das ernstliche Malheur ge- 
wiesen. Alle beide waren erbleicht. Dann hatte 
der König sich erinnert und gelächelt. 

„Ach, Donnerweiter, das Tintenfaß ist umgelallen! 
Ich bitte Sie um Entschuldigung, General. Vorhin, 
in einem Augenblick der Gereiztheit, hab’ ich es 
tanzen lassen!” 

Er läutete sodann dem Kammerherm und befahl: 
„Führen Sie den General in mein Ankleidezim- 
mer, damit er sich umziehen kann.” 

Der Flügeladjutant verbeugte sich und deckte die 
Flecken mit dem Taschentuch zu. Als er aber als- 
bald niesen mußte — er war aus der brennenden 
Sonne in das ungewohnte Halbdunkel getreten —, 
führte er das Taschentuch instinktiv an die Nase 
und ließ auf seinem Gesicht ein dermaßen komi- 
sches Schwarzweiß zurück, daß der König in 
homerisches Gelächter ausbrach, 

„Gehen Sie, gehen Sie, General, machen Sie sich 
sauberl”... konnte er, mühselig sich zusammen- 
nehmend, endlich hervorbringen. 

Als der Flügeladjutant sich im Vorbeigehen der- 
art maskiert in einem Spiegel erblickte, verbeugte 
er sich verwirrt. Der Kammerherr, der ihn be- 
gleitete, war bei dieser Szene korrekt uner- 
schütterlich geblieben; mit einem Seltenblick ver- 
glich er die schmächtige Figur des Generals und 
die gigantische Gestalt des Königs und stellte 
fest, daß der General die erlauchten Hosen höch- 
stens als so etwas wie einen reichlichen Mantel 
hätte benutzen können. Darum ließ er, was mehr 
angebracht war, den ausländischen Würdenträger 
von einem Kammerdiener ins Ankleidezimmer des 
Prinzen bringen, eines achtzehnjährigen Jüng- 
lings und Bruder der Prinzessin Mary, der gerade 
zu einer Entenjagd abwesend war und in dessen 
reicher Garderobe sich Hosen jeder Farbe und 
Fasson befanden. Der Diener wählte ein Paar 
weiße aus, nahm ein Handtuch, deutete auf ein 
Glastürchen, wo das Nötige auch zu einem Bad 
zu finden wäre, verbeugte sich sodann und ging. 
Der Flügeladjutant entledigte sich nicht anders 
als der bescheidenste Bürgersmann der Hose 
und bemerkte zu seinem Mißvergnügen, daß die 
ebenholzschwarze Qualitätstinte das feine Unter- 
zeug durchdrungen und die Farbe seiner Beine 
verändert hatte. Hierauf öffnete er In der Ab- 
sicht, seiner Haut die natürliche Farbe ‚zurück- 
zugeben, das Türchen zum Toilettezimmer, Auf 
einmal hörte er, wie jenseits einer schalltragen- 


"MANCHMAL 


Manchmal, wenn die böfe Einfamkeit 

Groß und gierig einer Spinne gleichend, 
Aus dem Dunkel langfam näher fchleichend, 
Mich umlauert wie zum Sprung bereit - 


Manchmal, wenn - als wär’ fie gramgefeit! - 
Frohe Jugend, fich die Hände reichend 

Und zum Reigen wild die Fiedel ftreichend, 
Sang und Trank dem gold'nen Heute weiht - 


Dann gefchieht cs, daß in meinem Herzen 
Auch die Wehmut mit dem Neid erwacht: 


Grollend hör’ ich deiner Lippe Scherzen, 
Traurig feh’ ich, wie dein Auge lacht! 


Und dann löfch’ ich meiner Schnfucht Kerzen, 
Und dann flücht" ich in den Schoß der Nacht... 


Kurd Schrader 
56 


den Zwischenwand aus Hohlziegeln eine Tür auf- 
ging und eine Mädchenstimme in verzweiflungs- 
vollem Tonfall sagte: „Hüte dich, Lissyl Du hast 
mir beim Evangellum geschworen, niemand, nie- 
mand, sag ich, die Ursache meiner Flucht von 
der Veranda anzuvertrauen. Wehe dir, wenn du 
plaudersil“ 
„Hoheit, beruhigen Sie sich, ich plaudere nicht. 
Sie wissen, ich bin Ihnen ergeben. Aber, sagte 
ich es nicht gleich heute früh? Bei der Hitze so 
viele Kirschen essen und dann Wasser darauf 
trinken ...” 
„Still, still, rede nicht davon!... Ich dachte, ich 
stürbe... Armer Prinz Henry! Er wird wer weiß 
was gedacht haben... Nun geh fort, schnell, laß 
mich allein!“ 
Der Flügeladjutant, der, wenn er auch kurzsichtig 
war, doch ein ausgezeichnetes Gehör hatte, wurde 
zum Lauscher. Er hatte die Stimme ihrer Hoheit, 
der Prinzessin Mary, erkannt, Reglos, nachdem er 
zum Hüter des wahren Geheimnisses geworden, 
das einen tüchtigen Krach zwischen beiden 
Herrscherhäusern nach sich ziehen konnte, begriff 
er die ganze delikate Bedeutung und wagte 
nicht zu atmen. Schließlich ging die Tür nebenan 
zu und es ward wleder still. 
Sogleich beschleunigt er, so gut es ging, die 
Waschung, kleidete sich Hals über Kopf an, ließ 
sich vor den König führen und rief quietschver- 
gnügt: „Majestät, alles hat sich geklärt. Die 
Flecken in meiner Hose haben mich erleuchtet. 
In der Tat ist mir eingefallen, daß heute früh mein 
durchlauchtigster Prinz, als er die Schokolade 
nahm, sich ein wenig auf die Hemdbrust gegossen 
hat, was er nicht sehen konnte. Die Prinzessin Mary 
kam vielleicht das Lachen an, und sie Ist lieber 
davongelaufen, ehe sie Ihm ins Gesicht lachte. 
Ich werde dem Prinzen das kleine Abenteuer 
erklären...” 
Der König lachte und atmete tief erleichtert auf, 
Der Flügeladjutant verbeugte sich und zog sich 
schnell zurück, um in die benachbarte Villa, die 
Residenz des Prinzen, zu stürzen, Doch ehe er zu 
ihm ins Zimmer trat, rief er den diensttuenden 
Kammerdiener. 
„Sag mal, hat sich der Prinz umgezogen?” 
„Jawohl, Exzellenz.” 
„Hol’ mir das Hemd, das Seine Hoheit heute mor- 
gen anhatte... So, jetzt spring hinunter zum 
Koch und laß dir eine Tasse Schokolade geben, 
sie kann getrost kalt sein, aber schnelll” 
Der Befehl ward ausgeführt, und der General 
machte auf den oberen Teil der Hemdbrust, unter- 
halb des Kinns, einen Schokoladefleck, den er 
eintrocknen ließ. Dann trat er lachend, das Hemd 
in der Hand, vor den Prinzen. 
„Hier, Hoheit, Ist der Anlaß zu dem plötzlichen 
Verschwinden der Prinzessin.” 
„Wie meinen Sie das?” fragte der Prinz erstaunt, 
betrachtete den Fleck und errötete. 
„So und nicht anders: Euer Hoheit hatten diesen 
Fleck auf der Hemdbrust, die Prinzessin hat sich 
eine Weile beherrscht, dann ist sie aus Furcht 
vor einem Lachanfall davongelaufen, gar nichts 
Schlimmes also, eine Kinderei...” 
Seine Hoheit, die ganz unsagbar in die liebliche 
Prinzessin vernarrt war und die der lächerliche 
Zwischenfall bedrückt hatte, eilte in die könig- 
liche Villa und erbat ein Wiedersehen mit Mary. 
Sie zeigte sich nunmehr beruhigt und sicher, un- 
befangen, mit einem himmlischen Lächeln auf den 
Jungen Lippen. 
„Wollen Sie mir mein plötzliches Aufbrechen ver- 
geben, Hoheit ...?" 
„Es gibt nichts zu vergeben, Mary, ich weiß 
alles“, entgegnete Henty mit verschmitztem 
Lächeln. 
„Alles?! stammelte die Prinzessin entsetzt und 
fühlte sich von brennender Schamröte über- 
gossen. 
„Ja, ich weiß alles... wegen so eines kleines 
Fleckchens im Hemd...” 
Da schrie Prinzessin Mary auf und fiel In Ohn- 
macht. Vier Wochen später ging sie In ein Kloster. 
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Diese Geschichte ist einem sehr bekannten ungari- 
schen Schriftsteller passiert. Es ist noch nicht so 
lange her, daß er in einem seiner aufregenden 
Romane Gelegenheit hatte, einen phantastischen 
Mord zu schildern, nach dessen Verübung der 
Leichnam in einen Sack genäht wurde Der Autor, 
der sich eingehend mit der Sache beschäftigte, 
fand, daß es keine Kleinigkeit sei, eine Leiche in 
einen Sack zu kriegen, jedenfalls nicht für solche, 
die Neulinge auf diesem Gebiet sind Eine ge- 
raume Zeit verging, jedoch die salcherart ge- 
wonnenen Kenntnisse sollten Ihm zustatten kom- 
men, als er eines Tages in einem Segelboot (er 
ist ein ausgezeichneter Sportler) eine Fahrt 
machte. Denn plötzlich entdeckte er einen großen 
Sack, der seelenruhig flußabwärts trieb. Selten 


hatte er zuvor ein derart, verdächtiges Objekt 
gesichtet. Immer mehr gewann die Überzeugung 
Raum in des Dichters Seele, daß hier grausige 
Wirklichkeit wurde, was er mit schaudernder 
Phantasie geschaut. Trotzdem er sich nun sagte, 
das Beste wäre, so zu tun, als ob der unheim- 
liche Sack nicht da sei, fand er bald zu seinem 
Entsetzen, daß das Ding sich nicht abschrecken 
ließ, sondern vielmehr an sein Boot herantrieb. 
Kurz entschlossen holte er es herbei — ein 
Schnitt in das vermutliche Kopfende und — ein 
Schopf schwarzen, krausen Haares quoll hervor. 
Der erschütterte Dichter schöpfte Atem, ehe er 
in seinem schweren Werk fortschritt. Ein weiterer 
Schnitt — und es stellte sich nun heraus, daß der 
Sack von oben bis unten voll — Roßhaar war. 
Irgendwie hing die Sache mit einer Matratzen- 
fabrik etwas weiter stromaufwärts zusammen. Es 
war immerhin eine nervenaufreibende Erfahrung, 
die der Dichter da gemacht hatte. 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


10 Nückal) 





Dahinten in der Heide gehen in der Winternacht 
die Musikanten erheblich beschwingt vom „Danze- 
fest“ nach Hause. — Ihre Instrumente haben sie 
unter den Arm geklemmt, nur der eine hat die 
dicke Baßgeige auf den Rücken geschnallt und 
so stiebeln die vier im Gänsemarsch durch die 





Warum ist Waschen 
am Abend wichtiger? 


Man hat eine neue Ent- 
deckung gemacht: das Waschen 
am Abend hilft Volksvermögen 
sparen. Es dreht sich um nichts 
weniger als den Wunsch, mit 
der Hälfte des Wäschebestandes auszukommen. Was das 
bet 10 Millionen Haushaltungen an Materlaleinsparung und 
Arbeltserleichterung bedeutet, kann sich jeder ausrechnen. 

Fangen wir im kleinen an. Es ist selbstverständlich, daß 





die Kinder abends die Füße waschen, wenn sie tagsüber 
barfuß liefen. Aber geschicht es auch gründlich? Wird der 
Schmutz gut abgespült? Genau so ist es mit den Händen, 
mit dem Hals! Mutter muß am Abend schon eine gründ- 
liche Generalinspektion ansetzen — gründlicher als früher, 
wo Waschen leichter war und Wäsche sich rascher ersetzen 
ließ! Es handelt sich hier nicht nur um Bettücher und 
-bezüge, sondern auch um Nachthemden und Leibwäsche. 
Man glaubt gar nicht, wieviel unnötige Wascharbeit man 
sparen und raschen Verschleiß vermeiden kann! Überhaupt 
läßt sich gerade bei Kindern mit etwas Findigkeit viel 
Wäsche sparen. Ist es z. B. nötig, daß die Allerkleinsten 





immer ein blitzsauberes, neugewaschenes Leinenlätzchen 
umhaben? Ein dauerhafter, abwaschbarer Latz ist prak- 
tischer und spart unnötige Wascharbeit. Aber auch die 
Größeren sollten wir so erzichen, daß sie es nicht nötig 
haben, sich nach dem Essen den Marmeladenmund an der 
Serviette abzuwischen, Am besten bekommen -die Kinder 
bis zu 5 Jahren eine Wachstuchunterlage unter den Teller, 
damit das Tischtuch länger sauber bleibt. Wo blankgescheuerte 
Tische sind, kann man sogar aufs Tischtuch verzichten, 
Warum nicht mal auf alle diese Dinge achten? Wir 
werden mit Befriedigung feststellen, wie sich auf diese Weise 
unser Wäscheberg bei der großen Wäsche verkleinert. 








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7 RAHN» 





IHM 






lief verschneite Gegend. Jetzt müssen sie über 
einen Steg. Der erste fummelt danach mit dem 
Stock im Schnee, findet ihn und sie schlurfen vor- 
sichtig hinüber. Aber mitten auf der Brücke tut 
der zu dritt gehende Baßgeiger einen Fehltritt 
und fällt, durch die Schwere des Basses gezogen, 
tücklings In den Graben — das Instrument unter 
sich! 

„Mein Gott”, jammert der vierte, der Trompeter, 
hinterher, „Corl, wat mokst du bloot vor Ge- 
schichten! — Nu is de Baß woll im Moase?” 
„Ganz in'n Gegendeill” stöhnt es von unten herauf. 
„Wat heet denn dat nu wedder, Corl, ganz In’n 


Gegendeil?” 
„De Moas Is In'n Bassel — Dumme Kirli“ war die 
Erklärung. F. W. 


* 
Der Pletschacher Baschı soll bei Gericht als Ent- 
lastungszeuge auftreten. 

Er hat sich alles schön zurechtgelegt, was er 


sagen will und denkt, vor seinen Landsleuten eine 
gute Figur zu machen. 

Der Vorsitzende der Verhandlung wird vom. Ver- 
teidiger dauernd mit Herr Oberlandesgerichtsrats- 
stellvertreter angesprochen, ein Titel, den der 
Bascht krampfhaft sich einzuprägen versucht. 
Endlich kommt die Reihe an ihn. 

„Zeuge Sebastian Pletschacher, was haben Sie zu 
sagen?“ 

„Herr Ober —, beginnt der Bascht und stockt 
„Herr Oberlander —* S 

„Herr Oberlandvertreter —" 

„Herr Oberratgericht —" 

„Herr Oberlandgerichtsvertreter —" 

„Herr Oberstellvertreter —” 

„Herr © — Herrgottsakkrament!” 

„Na“, winkt der Vorsitzende ab, „lassen Sie schon 
Was haben Sie zu sagen?” 

„Sell woaß i jetzt nimma”, sagt der Bascht und 
setzt sich erschöpft auf die Zeugenbank. -pf 


Wir saßen selbaritt, Tante Adelheid, meine Frau 
und ich, an einem der Feiertage beim Mittag- 
essen, Die Ursache, weshalb wir die Tante ein- 
geladen hatten, war ein uns unverhofft ins Haus 
geschneites Hühnchen, und als Tante Adelheid 
einen Flügel dieses Hühnchens nach Fleisch ab- 
suchte, sagte sie gerührt: 

„Odumeigottl... Odumeigottl... Net zum sagen 
Is, wia schön als des von euch is, daß net auf mi 
vergess’'n habt'sl Das, wann mei Alter derlebt 
hätt, der tat si g’freuen! Jessasna, wann er Jetzt 
so da bei uns sitzen tat —" 

„Tante, der Onkel —“, ich wollte recht etwas 
Zärtes sagen, aber.sie sprach mit ihrer Rührung 


und dem Hühnerflügel beschäftigt, unbelrrt 
weiter, 
„Na, na... es is ja eh g’schelter, daß er’s nei 





derlebt hat... Jawohl, besser is a so... Dasklane 
Henderl da, das wär ja für vier Personen viel 
z'wenig g'wesen!” H.K.B 











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ÄR 


; 
und 'runter 
soll man die Zähne bürsten, 
um dio Speisoresta gründ- 
lich zu entfernen. Hierbei 
genügt eine kloino Menge 
Kalkies-Zohnpasta. Lotz- 
tere Ist knapp und mußschr 
jerbroucht wordon 











Lungensaft 


Grippe, Asthma, 
Husten, Verschleimung 


bittet um Rückgabe leerer 

Flaschen an die Apotheken 

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DIE VERJÜNGUNGSMEDIZIN 


Tommy Tip, der alte Wächter des Leuchtturmes, 
saß oben in seinem hohen Turm und guckte über 
das Meer hinaus, während er sich nachdenklich 
über den Bart strich. Er hatte seine Sorgen, denn 
er fühlte das Alter herankommen, und das quälte 
Ihn furchtbar, er wollte nämlich so gerne das 
ganze Leben lang jung bikiben. Er war kein 
Veilchen mehr, der alte Mann, oder jedenfalls 
ein älteres Vellchen, denn er hatte gerade seinen 
9%sten Geburtstag gefeiert. Seine 17 Kinder 
waren schon längst erwachsen und hatten selbst 
Kinder bekommen, Kinder, die gleichfalls Kinder 
bekommen hatten, und die Kinder seiner Kindes- 
kinder sollten auch bald Kinder be- 
kommen.. Tommy Tip sah sehr be- 
trübt aus, denn jetzt war es mit der 
Liebe endgültig aus, und Purzel- 
bäume konnte er auch nicht mehr 
schlagen, Das war einJammer, denn 
er möchte gerne wieder einmal Jung 
sein und die Mädels küssen. 
Die’Gedanken Tommy Tips beschäf- 
tigten sich immer wieder mit dem 
Problem, auf welche Weise er sich 
verjüngen könnte. In einer Zeitung 
hatte er einmal gelesen, daß es 
einem Arzt gelungen war, Alfen- 
drüsen in den menschlichen Organis- 
mus einzupflanzen, und auf diese 
Weise seinen Patienten neue Jugend 
und Kraft zu schenken. Tommy Tip 
fühlte aber keine Lust für diese Kur, 
vielleicht bekäme er sogar das Aus- 
sehen eines Affen und würde in 
einen Käfig im Zoologischen Garten 
eingesperrt, und am Sonntag kam 
dann seine Familie und fütterte ihn 
mit Nüssen und Bonbons. Nee, das 
war kein Leben für ihn. Eine andere 
Verjüngungskur, die ihm besser ge- 
fiel,.gab es doch auch. 

Ein berühmter Arzt hatte einmal 
die Aufgabe bekommen, das Leben 
eines Fürsten zu verlängern, und er 
hatte den Versuch gemacht, ihm 
das Blut von zwei Knaben in die 
fürstlichen Adern zu spritzen. Doch 
anstatt das Leben des hohen Herrn 
zu verlängern, verkürzte er es, 
denn der Fürst starb sofort nach 
der Kur und die Knaben übrigens 
auch. Das hatte also keinen Zweck. 
Zu allem Glück kam an diesem Abend ein Freund 
von Tommy Tip, der alte Seemann Pjolte Pjol- 
tesen, von einer Reise zurück, und wie immer, 
wenn er nach Hause kam, besuchte er seinen 
Freund in dem Leuchtturm, Pjolte Pjoltesen war 
ein keckor Bursche, er war 127 Jahre alt, aber 
frisch wie ein Fisch im Wasser. Einmal war er mit 
seinem Schiff mitten im Atlantischen Meer unter- 
gegangen, aber Pjolte rettete sein Leben, indem 
er bis zur Küste Amerikas watete. Man kann natür- 
lich sagen, daß dies unmöglich sei, aber einen 
anderen Ausweg gab es nicht, denn er konnte 
nicht schwimmen, und ertrinken wollte er nicht. 
Also watete er ans Land. Nebenbel bemerkt war 
dieser Pjolte als fabelhafter Spucker bekannt, 
man sagt, er habe einmal von Calais bis Dover 
gespuckt, noch dazu sogar gegen den Wind, 
Pjolte war ein Mann, der für jede Situation im 
Leben einen Rat wußte, und selbstverständlich 
wußte er auch sofort, wie der alte Tommy Tip 
verjüngt werden könnte. Er nahm eine kleine 
Flasche aus der Tasche und zeigte sie stolz sei- 
nem Freund. Die Flasche, die die sogenannten 
„asiatischen Wunder-Verjüngungstropfen“ enthielt, 
hatte er in China bekommen, und hatte dafür mit 
einer seiner 14 Frauen bezahlt. (Zwei von seinen 


VON ERIK STOCKMARR 


Frauen waren Zwillinge, und er hatte also Du- 
bleiten davon.) Solche Tropfen, sagte Pjolte, 
braucht man im Osten, man nimmt drei Tropfen 
in der Woche in einem Glas Wasser, dann kehren 
die Jugend und die Kräfte wieder zurück, und 
man wird froh und munter wie ein Füllen auf der 
Wiese, Pjolte Pjoltesen spuckte aus dem Fenster 
hinaus und ging dann nach Hause, um seine 
Frauen zu begrüßen. Tommy Tip schenkte sich ein 
Glas Wasser ein und goß die Hälfte des Inhaltes 
der kleinen Flasche ins Glas, damit er schneller 
die herrliche Jugend bekäme. Ein merkwürdiges, 
leichtes Gefühl ergriff ihn, es war, als ob er in 


EHE DU HEIMKEHRST 


Ehe du heimkehrst in deine tosenden Städte, 

mende nodı einmal den Blick hinüber und schau: 
Siehe die Garben der Felder, mwelce der Schnitter mähte, 
siehe des Erntemagens scdiwankenden Bau, 


Alme nodı einmal den Duft der unendlichen Wälder, 
die sidı wadısend dehnen, bis mo die Ferne verblaut. 
Trinke das Lidıt der Birken, das Gold der Felder, 
das schon der scdiwermutlächelnde Herbst betaut. 


Dann aber schreite hinab zu dem schimmernden Teiche: 
Audı die Wiesen haben sic festlicdı mit Blumen gescdimückt, 
Bridı aus der Fülle, daß dir zur Freude gereiche, 
mas sic. vollendet, indem es beschenkend beglückt. 


Nidıs, das dic beugte, was du auch immer durdhlitten; 
und mwas verloren, es füllt dir gesammelt zurück, 
Was didı bescdimufzte, ist von dir abgeglitten, 

kühler wurde dein Blut und härter dein Glück. 


Ehe du heimkehrst in deine tosenden Städte, 
türme ein neues auf ein vergehendes Jahr. 
Trinke nodı einmal den Haudı, der die Stirn der Männer ummehte, 
Birken, Blumen und Wälder, durdırausdıt von Gefahr. 


Werner Iundertmark (im Felde) 


der Luft schwebte. Dann schlief er ein, verlor das 
Bewußtsein und merkte nichts mehr, 

Als er erwachte, saß er in der Stube in seinem 
kleinen Hause unten am Leuchtturm, wo auch 
soine Eltern gewohnt hatten. Der alte, unglück- 
liche Tommy Tip war wirklich verjüngt geworden, 
nur vier Jahre alt war er und nicht größer, als 
daß er die Nase gerade über den Tisch pressen 
konnte. Ein wenig erstaunt guckte er in der 
Wohnung umher. Merkwürdig ist es doch, dachte 
er, kurze Hosen habe ich an und mein herrlicher 
Vollbart Ist verschwunden, Sonderbarl Er blickte 
sich wieder in der Stube um, f 

Am Fenster saß eine alte Dame und nähte, Das 
war seine Mutter. 

„Wo sind denn die Kinder?” sagte der kleine 
Tommy. 

„Die Kinder?” fragte sie erstaunt, „welche Kinder, 
Bubi?” 

„Meine Kinder natürlich”, erwiderte er: „Grete, 
lizzie, Else, Peter, Hänschen und...” 

Seine Mutter verlor vor Schrecken die Brille. 
„Deine Kinder, Bubil Aber was hast du denn, 
Tommy, du bist vier Jahre alt und redest über 
deine Kinder. Was glaubst du wohl, was der 
Storch dazu sagen würde, wenn er so etwas hörte?” 


60 


Der kleine Tommy Tip nahm eine Zigarre vom 
Tisch und zündete sie an. 

„Der Storch”, sagte er verächtlich, „ach laß doch, 
Muttil” 

Als seine Mutter den kleinen Knaben mit einer 
Zigarre im Munde sah, flüchtete sie schreiend in 
Gle Küche, um ihren Mann zu holen. Tommy griff 
in die Hosentasche nach den Zündhölzern, bekam 
aber die kleine Flasche in die Hand, „Aslatische 
Wunder-Verjüngungstropfen”, stand auf der Eti- 
kette, Woher diese Flasche in seine Tasche ge- 
kommen war, wußte er nicht, da er aber den 
Pfropfen abnahm, spürte er einen herrlichen Duft 
In seiner Nase. Schnell trank er einen 
tüchtigen Mund voll, Ein merkwürdi- 
ges leichtes Gefühl ergriff ihn, als 
ob er in der Luft schwebte. Dann 
schlief er ein und merkte nichts mehr. 
Als er wieder aufwachte, saß er in 
einem Liegestuhl vor einem wunder- 
baren Haus unter Palmen und schö- 
nen Bäumen. Ein grüner Papagei 
wiederholte sein ständiges „Guten 
Morgen, guten Morgen!” Die Medi- 
zin hatte wieder Ihre Wirkung getan, 
er war noch Jünger geworden, die 
Wundertropfen hatten Ihn nämlich 
diesmal ein paar Jahrhunderte zu- 
rückgeführt und hatten ihn in seinen 
eigenen Ururgroßvater verwandelt, 
Sein Ururgroßvater war Gouverneur 
irgendwo In China gewesen, und 
diese Stellung war es also, dieTommy 
Tip jetzt bekleidete. Neben Ihm stand 
ein Chinese und lächelte ihn freund- 
lich an. Erstaunt guckte Tommy Tip 
umher und verstand kein Wort von 
der ganzen Komödie. Der Vollbart 
war weg, und die kleinen Hosen 
auch. Erschrocken wandte er sich 
an den Chinesen. 

„Hör mal, mein Junge”, fragte er, 
„kannst du mir sagen, wer ich eigent- 
lich bin?" 

Der Chinese warf sich auf den Boden 
und küßte seine Füße, 

„Euer Hochwohlgeboren”, sagte er, 
„es Ist Ihnen doch bekannt, daß 
Euer Hochwohlgeboren der Gouver- 
neur Peter Tip sind.” 

„Was bin ich?’ rief Tommy Tip wü- 
tend und warf seln Whiskyglas dem 
Mann an den Kopf. „Du verdammter Lügnerl” 
schrie er, „verfluchter Affe, mach daß du weg- 
kommst!" 

Tommy lehnte sich In den Stuhl zurück, Ich glaube, 
ich habe getrunken, sagte er zu sich selbst, das 
bin ich ja gar nicht, der hier sitzt. Was Ist denn 
dies für ein Salat, flüsterte er, ich muß schnell 
weg, sonst werde ich verrückt. Er nahm die 
kleine Flasche aus der Tasche und trank den gan- 
zen Rest des Inhaltes in einem Zuge aus. Wieder 
kam dieses merkwürdige, leichte Gefühl, und 
dann merkte er nichts mehr. 

Als er aufwachte, saß er hoch oben in einem 
Baum in Afrika, Jetzt war er nicht mehr Gouver- 
neur und lebte nicht im 16. Jahrhundert, nein, er 
war viel jünger geworden, indem er ein paar 
Jahrtausende in der Zeit zurückgeführt worden 
war, in die Zeit, wo es noch keine Menschen auf 
der Erde gab. 

Ein Affe war er geworden, ein kleiner, niedlicher 
Attel . 

Jetzt ist er schon längst gestorben, der arme 
Tommy Tip, aber ein Nachkomme von ihm in der 
587. Generation sitzt in dem Kopenhagener Zoo- 
logischen Garten und Ißt Nüsse und süße Bon- 
bons. Tragisch, nicht wahr? 


Mißtrauen (K. Holliganstaodt) 





„Schade, daß Egon nicht hier ist! Jetzt könnte er sich davon überzeugen, daß die blauen Flecke vom Stürzen kommen!" 


Diffidenza: “Peccato che Egon non sia qui, perche ora potrebbe persuadersi che le lividure vengono dalle cadute!,, 


61 


BELOHNTE RITTERLICHKEIT 


Ich liebe Leopardi sehr, denn er Ist der einzige 
echte Dichter des Weltschmerzes. Schon lange 
hätte Ich gerne seine Gedichte vollständig in dem 
kleinen Bändchen, das sie nur füllen, besessen, 
und in der letzten Zeit steigerte sich dieser 
Wunsch zu einer Jener brennenden kleinen Be- 
gierden, wie sie die Herzen der Bücherfreunde, 
Sammler, Kunstliebhaber immer wieder heim- 
suchen. Aber auch Bücher sind jetzt im Kriege 
selten geworden und vor allem — eine sehr be- 
merkenswerte Erscheinung übrigens — vor allem 
die „Klassiker. — „Klassiker haben wir gar nichts 
mehr, oh, schon seit einem Jahr nicht mehr‘, das 
sind für jeden Buchhändler heute so häufig be- 
nötigte Antworten, daß er sich für sie mit Fug 
einer Schallplatte oder eines Papageis bedienen 
dürfte, ein Verfahren, das auch Insofern Förderung 
verdiente, als diese Sprecher sich einmalig auf 
einen ganz bestimmten Ton stellen ließen, so daß 
die Antwort ohne zu harte Inanspruchnahme der 







(Magon) 


VON HANS WEINDL 


Gemütskräfte des Buchhändlers sogar höflich ge- 
geben werden könnte. 

Es bestand also herzlich wenig Aussicht, meinen 
ersehnten Leopardi zu finden. Ich gab mir unend- 
liche Mühe. Nach und nach lief ich in siebenund- 
dreißig Buchhandlungen. Auf dem Heimweg vom 
Dienst machte ich jeden Umweg, um einen neuen 
Bücherladen aufzusuchen, und versäumte etliche 
Male sogar das Essen. Als ich wirklich keinen 
Laden mehr wußte, beschloß ich, wieder von 
vorne anzufangen und die Reihe noch einmal 
durchzugehen. Ich kam also wieder zu St. in der 
M.-Straße, wo ich vor Wochen begonnen hatte. 
Dieser Laden war ehedem wirklich ein Paradies 
für Schmökerer; im ersten Stock ist da ein großer 
Saal mit vielen langen Tischen und langen Ge- 
stellen an den Wänden. Sie waren einst voll der 
Schätze; jetzt sind sie recht licht geworden, Plan- 
mäßig begann Ich dort noch einmal die Suche. 
Ganz hinten in einer Ecke waren ein paar Fächer 


Ihr Traum - Il suo sogno 























„Nein, nein, und wenn Ich täglich ins Dampfbad gehe, das möchte 
ich noch einmal erleben, daß ein Mann ‚Engelchen' zu mir sagt!" 


“Eh sl sl... prendendo un bagno a vapore ogni glorno, mi capiterä pur di 
nuovo che un uomo mi dica: *Angioletto mio,!,. 


Verantwortl. Schritt! 
‚alle Buchhandlun 
aültig ab 15. Okt, 






ind Po.itanstal 
jondung: 





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werden nur zurückg 


Vorlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fornruf 128). 











', München. — Der Simplicissimus erscheint «öchentlich einmal 
50 Pf.; Abonnement Im Monat RM. 1.20. — An 
orto balliegt.— Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München. 


noch gut gefüllt. Ich stieg auf die Leiter; im 
obersten Fach sah ich ein schmächtiges Bändchen 
zwischen zwei dicken Schwarten eingeklemmt, 
mit zartem Lederrücken ohne Aufschrift. Daß es 
nicht mein Leopardi sein würde, das wußte Ich 
freilich. Aber das Bändchen verriet dem Einge- 
weihten schon mit seinem halben Gewand so sehr 
eine gediegene Buchseele, daß ich danach greifen 
mußte. Ich schlug es auf — — — da — —: „Gia- 
como Leopardi — sämtliche Gedichte". Freude- 
zitternd hielt ich es In Händen. 

In diesem Augenblick aber vernahm ich nicht 
welt von mir eine so angenehme Frauenstimme, 
daß Ich trotz des Schatzes In meiner Hand auf- 
blicken mußte. Die Stimme stellte eine Frage an 
den Verkäufer — und was fragte sie? Sie fragte: 
„Haben Sie Leopardis Gedichte?” Freundlich, sehr 
freundlich erwiderte er: „Ich glaube leider kaum, 
Gnädigste; ich werde aber mal nachsehn.” Es 
bestand für mich gar kein Zweifel, daß der Ver- 
käufer ohne jedes Besinnen kurz „neln” gesagt 
hätte, wie kürzlich zu mir, wenn irgend, ich sage 
irgend jemand andrer die Frage getan hätte. 
Daß er aber hier die Antwort ein Weilchen in der 
Schwebe ließ, war mir sehr verständlich, denn 
diese Fragerin war ein ganz erlesenes weibliches 
Geschöpf. Sie war schlank, edel, trug einen 
schmiegsamen Fohlenmantel, der bei jeder ihrer 
Bewegungen über den mädchenhaften, aber 
vollen Formen seidig schimmerte, Und was war 
das für ein Gesicht, ein Gesicht, in dem sich 
Schönheit und Durchgeistigung zu jenem wunder- 
samen Reiz zusammenmischten. Und was waren 
das für tiefe schwermütige Augen! Und sie ver- 
langte Leopardis Gedichtel 

Begeisterungsfähig, wie ich nun einmal bin, regte 
sich sofort ein heldischer Gedanke in mir. „Gib 
ihr deinen Leopardil” flüsterte es in mir. (Ein 
weher Schmerz zuckte als Widerhall von der 
schlechteren Seite meines Ichs für eine Sekunde 
auf) „Denk doch”, sprach es in mir weiter, 
„dieses Geschöpf, diese Seele und Leopardi, was 
gibt das für einen seltenen, göttlichen Zusammen- 
klang. Und würde der Meister —, würde er nicht 
millionenmal lieber von ihr gelesen sein als von 
dir —?! Doppelt wäre deine treue Suchermüh ge- 
krönt ...” 

Der Verkäufer, der nicht sehr eingehend, die 
Augen mehr bei derDame, an einem Bord gesucht 
hatte, wo nie ein Leopardi stehen konnte, kam 
zurück: „Leider ist nichts da’, sagte er herzlich 
bedauernd. — „Oh schade”, antwortete das Mäd- 
chen mit einem tiefen Seufzer und senkte traurig 
die schönen Augen. 

Mein Entschluß war gefaßt. Ich trat, während der 
Verkäufer abgerufen wurde, rasch zu Ihr und 
sicherlich lag das Edel-heldische jetzt auch In 
meiner Haltung und in meinem Gang. „Verzeihung, 
gnädiges Fräulein”, sagte Ich, „fragten Sie nicht 
eben nach Leopardis Gedichten?” 

„Ach ja, aber leider vergeblich.” 

Ich reichte Ihr mein Bändchen, „Hier sind sie”, 
sagte ich, „Ich habe sie soeben hier gefunden. 
Gegenwärtig ein seltenes Ding.” 

„Ohl“ rief sie entzückt und leuchtete mich mit 
einem vollen Strahl ihrer schönen Augen an, „das 
ist ja herrlich!” Ich verneigte mich. Ich empfand 


* die Wonneschauer der edlen Tat. 


„Ohl“ fuhr sie fort, indem sie nach dem Buche 
griff, „wie wird sich meine Tante freuen, die guie 
alte Haut —" 

„Ihre... Tante...?” stotterte ich. 

„Ja. Sie war mal in Italien und wünschte es sich so, 
Und Ich bekam es nirgends. Und nun hat sie doch 
ihre Beschäftigung für heut abend und ich kann 
ins Kino gehn.” Damit nickte sie mir noch einmal 
liebenswürdig-dankend zu und lief mit dem Buch 
zum Ausgang vor an die Kasse. 

Ich setzte mich nieder und sagte, sehr deutlich: 
„Rindviechl” zu mir. o 


etöonschrift: München 2 BZ, Brietfach. 


stellungen nehmen 
zeigenprelse nach Preisliste Nr. 7 





[A. Kubin) 


Abwürgung - Strangolamento 





63 


Auftritt in Afrika en 


En ] 

















Ocar CAuroran Ion EN NZ, 1 


„Es fällt mir verdammt schwer, hier den guten Freund zu spielen; bei der Hitze geht die ganze Schminke ab!" 


Entrata in scena in Africa: “Per me & maledettamente difficile far qui la parte del buon amico; con questo calore tutto Il belletto se ne val,, 


64 


München, 3. Februar 1943 ® 
48. Jahrgang / Nummer 5 a Sn 


SimPLIcissimuSs 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN 





Der Scharfrichter 


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„Komm nur herauf, Winston! Bis wir den Richtigen erwischt haben, werde ich inzwischen an dir üben!" 


ll carnefice; “Vieni pur su, Winston. Finch® non avremo acciuffato quello giusto, io nel frattempo mi eserciterö con te!,, 


An der Promenade - Nel viale del passeggio 


D. Hogenbarth) 





Wenn Besuch kommt 


Von Walter Foltzick 


Besuch ist Immer lieber Besuch, auch wenn er sehr 
ungern gesehen wird. Man kann doch nicht 
sagen: „Sie, hören Sie mal, das paßt mir aber gar 
nicht, daß Sie zu mir kommen!“ Nein, das geht 
nicht, da müssen noch so alte Vorstellungen von 
Gastrecht, vom müden Wanderer und von Wölfen, 
die draußen lauern, in uns sein. Natürlich, soweit 
geht's nicht, daß ein Schwein geschlachtet wird 
und Felle neben dem Gasherd ausgebreitet wer- 
den und eine Tochter zwecks Ehe angeboten wird, 
Das ginge denn doch zu weit, aber man sagt im- 
merhin: „Bitte, legen Sie ab“ oder „Nehmen Sie 
bitte Platz’. Das Ist eigentlich schon so viel wie 
Schwein und Felle und Tochter, oder manchmal 
sogar mehr, was die Überwindung anbetrifft. 

Was die alten Rittersleut” getan haben, wenn plötz- 
lich Besuch kam, weiß ich nicht genau. Manchmal 
haben sie geschossen auf den Besuch, weil sie 
gefährlich gelebt haben. Daß aber so ein Ritter 
gerufen hat: „Du, Roßwalda, nimm doch schnell 
den Unterhosenkettenpanzer vom Ahnenstuhl Im 
Pallas und staub die Brünne ab, der von Werden- 
fels sprengt eben mit eingelegter Lanze beim Por- 
tler vorbei”, also das kann ich mir schwer denken. 
Ich weiß nämlich, daß es vielerorts heute so ähn- 
lich zugeht, wenn man plötzlich vernimmt, daß je- 
mand auch ohne eingelegte Lanze sich dem trau- 
ten Heim naht. Ha, was entsteht da für ein Wirbell 
Das mit der Unterhose und der Brünne hab Ich 
schon gesagt. Der Hausherr ordnet noch schnell 
den Schreibtisch. Was sage ich, ordnet? Mit aus- 
gestrecktem Arm schiebt er den ganzen Belag der 
Tischplatte In die oberste Schublade. Dort wird er 
lange liegen bleiben, denn was man so auf dem 
Schreibtisch hat, entbehrt man eigentlich nicht, 
wenn es verschwunden ist. Manche Leute schie- 
ben Dinge auch unter die Kommode oder unter 
die Ottomane, Dinge, die keineswegs zur Schande 
gereichen, aber die doch durch ihr pures Vorhan- 
densein nicht gerade den Eindruck von ordent- 


lichem Haushalt erwecken. Es kann dabei Immer 
passieren, daß Vaters Schlips über dem Arm des 
betenden Knaben aus Bronze hängen bleibt und 
während der ganzen Besuchszeit die Augen sämt- 
licher Familienmitglieder magisch auf sich zieht. 
Zum Staubwischen bleibt meist keine Zeit mehr, 
und nur auf blankpolierten Möbeln zeigt ein prü- 
fender Fingerstrich die nimmermüde Hand der 
Hausfrau. Meist wird schnell das Fenster geöffnet, 
um das Rüchlein vom Sauerkraut hinauszulassen. 
Übrigens braucht es nicht Kraut zu sein, auch 
Bohnenkaffee tut die gleichen Dienste. Eigentlich 
könnte öfter unerwarteter Besuch kommen, es tut 
der Wohnung gut. 


EPISODE 


Das Leben It ein Wartefaal. 


Da fiten wir nun allzumal 

oder wir gehen hin und her; 

denn Warten fällt bekanntlich fchver. 
Der Eine fochert in den Zähnen, 

der Andre in den Fahrteplänen; 

ein Dritter pacht fein Frühftück aus; 

ein Vierter, durftig nach Applaus, 

läßt muntre Wite fich entgleiten; 

ein Säugling plärrt; zwei Männer ftreiten. 


Kurzum, es wär’ fomeit ganz nett, 

menn’s nursauch bald ein Ende hätt’. 
Denn wer lebt bloß vom Zeitvertreiber 

Ein Wartefaal it keine Bleibe. 

Und jeder hat halt doch den Spieen: 
Fort! - Fragt fich nur: wann? und wohin? 


Wie aber foll man bei fo vielen 
die Seelenharmonie erzielen? ... 


Als jüngft mich ein Madamchen frug: 
»Pardon - wann geht mein nächfter Zug?« 
»Ach, Gnädigfte«, hab’ ich gefagt, 

»da bin ich leider überfrast.« 


Ratatöskr 
66 


Das mißlungene Werk 


Von Ernst Sander 


Claude Prosper Jolyot de Cröblllon — dieser 
wohltönende Name ist derjenige eines bedeuten- 
den französischen Trauerspieldichters der klassi- 
schen Zeit. Er war ein ernster, felerlicher Mann, 
der nur einen Stolz hatte: seine Kunst — und nur 
einen Kummer: seinen Sohn. Denn nicht nur, daß 
dieser mißratene Sprößling den gleichen Namen 
trug wie der Vater. Weit peinlicher war, daß er 
gleichfalls schrieb. Aber was er schrieb — das 
war das peinlichste. Claude Prosper Jolyot de 
Crebillon der Jüngere nämlich verfaßte viel- 
gelesene Romane und Erzählungen von einer sol- 
chen Leichtfertigkeit, daß die melsten seiner 
Bücher, vor allem das berüchtigte „Sofa“, noch 
heute, fast 170 Jahre nach des Autors Tode, aus 
guten Gründen als verboten zu gelten haben. 
Kein Wunder, daß der berühmte Sohn dem be- 
rühmten Vater zum Kummer gereichte — kein 
Wunder, daß beide einander nicht sonderlich 
mochten. Dazu wären sie zu häufig verwechselt 
worden. Um wenigstens einen der beiden ganz 
sicher zu haben, lud man sie zumeist gemeinsam 
ein. Da stand dann der tragisch umwölkte ältere 
Crebillon, umgeben von einem Schwarm blut- 
Junger Mädchen, die noch nichts wußten, alles 
glaubten und an des ehrwürdigen Meisters Lip- 
pen hingen. Und da stand der frivole jüngere 
Crebillon, umgeben von reifen Frauen, die längst 
alles wußten, nichts mehr glaubten und an des 
galanten Spötters Lippen hingen. So auch an 
jenem Abend, da eines der Gönschen den Alten 
fragte: „Verehrter Meister: welches ist das beste 
Ihrer Trauersplele?" Der bejahrte Dichter strich 
sich bedachtsam den Corneille-Knebel-Bart und 
antwortete mit sonorer Stimme: „Das ist schwer 
zu sagen, mein Kind. Aber soviel Ist sicher: das 
da —",und er deutete auf den Sohn, „— ist mein 
schlechtestes“. Und der Sohn? Er lächelte strah- 
lend zurück: „Ganz recht, Papa! Deshalb wird 
auch immer behauptet, es sel gar nicht von dirl" 


Ernüchterung 


(R, Krlesch) 





„Aber du kannst doch nicht sagen, daß deine Ideale für alle Zeit zerstört sind?“ 
„Doch! Theo hat mich gebeten, seinen Hosenträger zu flicken!* 


Disinganno: “Ma tu davvero non puoi dire che I tuoi ideali siano annientati per semprel,, 
Ma si! Teodoro mi ha pregato di rappezzargli le bretelle!,, 


67 


Wer liefert wem? 


(Erich Schilling) 


„Aber meine Herren, warum streiten Sie sich wegen der Lieferungen? Ich bin mit den Ihren durchaus zufrieden!" 


Chi fornisce ... e a chi?: “Ma, Signori miel, perch& litigate in causa delle forniture? ... Colle Vostre lo sono affatto contental,, 


68 





DIE GEBURT DER ANEKDOTE 


Der allein besitzt die Musen, 
der sie heg! am warmen Busen. 


(Schiller) 


Als Klio, die Muse der Geschichte, die schlicht 
gescheitelte, das Bleibende schreibende, und 
schreibend schreitende, die mit Ihrem streng ge- 
spitzten Griffel gleichsam die Studienrätin unter 
den neun Schwestern darstellt, als Klio noch Jung 
war — es war noch vor der Zeit des Herodot, 
der Sage und Geschichte zu sondern begann — 
da geschah es, daß Hermes, der fersengeflügelte, 
der leichte Gott der Händler und Reisenden und 
Handlungsreisenden, der Gott der lüge, des 
Klatschs und der Rhetorik, durch den Ort kam, 
wo Klio sich studienhalber aufhielt — das heißt, 
sie befaßte sich mit Vorgeschichte, eine andere 
gab es ja noch nicht, 

Er ließ sich im Säulenhof der Akademie nieder, 
lässig auf den Flügelhut gestützt, damit der nicht 
allein von dannen flöge, und hatte mit geübtem 
Auge unter allerhand Jungem Gemüse die Muse 
bald entdeckt 

Zuerst, zeigte sie ihm zwei klassisch schöne 
kalte Schultern, Aber er, der gewitzte Begleiter 
schöner Frauen (Persephone fiel ihm ein, und die 
drei Schönsten, die er zu Paris brachte), der Chef 
des Protokolls im Auswärtigen Olymp, der Logios 
und Kenner aller Beredsamkeit, fragte sie nach 
der technischen Seite Ihrer Tätigkeit — das ver- 
fängt bei berufstätigen Damen Immer: 

„Warum stenographleren Sie nicht? Gesetzt, die 
Geschichte bringt einst bewegtere Zeiten, wo 
sich die Ereignisse drängen, da versagt die Kur- 
renischrift und nachher klingt alles nur halb so 
epochal.” 

Sie fand ihn zwar keck, aber höchst interessant 
auch. „Ja, und warum schreiben Sie nicht Füll- 
federhalter, will sagen warum füllen Sie nicht das 
Rund des gehöhleten Griffels mit dem schwärz- 
lichen Saft des Tintenfischs oder der Apfel, die 
auf den knorrigen Eichen an Helikons Hängen 
schmarotzen? Donnerwetter, was gibt es doch 
noch auf der Welt zu erfinden!” Und nahm ihr 
den Griffel spielend aus den Händen... 

Abends gingen sie zusammen aus; man kann das 
®inem aktiven Gott nicht abschlagen. Auf dem 
Heimweg wurde er zärtlich. Als sie laut an das 
Urteil der Geschichte appellieren wollte, ver- 
schloß ihr Hermes hermetisch den Mund mit dem 
seinen, 

Was dann geschah, hat Klio nicht aufgeschrieben. 
Sei es, daß sie ihren Griffel nicht zur Hand hatte, 
sei es, daß sie das Persönliche Im Ablauf der 
historischen Darstellung für fehl am Orte hielt, 
sei es, daß es selbst für die rücksichtslose Sach- 
lichkeit studierter Damen einen Punkt gibt, wo 
ihnen gestattet Ist, nicht alles auszusprechen. 
Kurz, als sich der gottlose Gott auf seinen Flügel- 
schuhen aufwärts schraubte und in windiger Eile 
von dahnen schwang, schaute Klio ihm mit ver- 
änderten Augen nach: 

„Ach, wie treulos und reulos und ruchlos und 
'ühlos und — reizend, Das sind also die Männer, 
von denen Geschichte gemacht wird. Ach, passe 
defini — nun erfuhr ich's am eigensten Leibe. 
Hin ist hin. Am klügsten ist schon, ich nehm es 
historisch. Schade und schönl" 

Mit solchen Geschichten begann die Geschichte. 


* 


Dann kam es, wie es kommen mußte, und zwar 
kam es schon nach neun Tagen — bei dem Vater! 


— und war ein Mädchen und hieß: die Anek- 
dote. 


VON SCHLEHDORN 


Es war voll Phantasie und Grazie, voll Eigensinn 
und Laune, klug und nicht ganz ehrlich und zeigte 
bald eine unerfreuliche Eigenschaft: sie lief allen 
bekannten Männern nach und allen „berühmten“ 
Damen. 

Und war entsetzlich 
diskret... 

Wenn sich Ninon de Lenclos mit einem ihren un- 
gezählten Liebhaber in den Alkoven zurückzog, 
die Anekdote war dabei — oder wenigstens da- 
bei gewesen. Wenn Caesar bei der Landung in 
Spanien oder Wilhelm der Eroberer in England 
bel der Landung stürzte — auch sie eroberten, 
indem sie fielen, und zogen sich mit einem guten 
Wort aus der Affäre — war sie schon da, um das 
Bonmot zu haschen. Sie weiß von allen zu er- 
zählen, von Kyros bis Clemenceau, von Seneca 
bis Slezak, von Aspasla bis zu Fräulein X, (übri- 
gens nicht, die Sie meinen). 

Dr. Trockenschwung, ordentlicher öffentlicher Pro- 
fessor der ordentlichen öffentlichen Geschichte — 
also schon deshalb im Gegensatz zur Anekdote 


indiskret, entzückend in- 


Auf der alten Eiche - Sull'antica quercia 


— mißbilligt dieselbe, denn sie gefährdet die 
Objektivität und sogar die Langweiligkeit in der 
Wissenschaft. 

Aber alle Sekundaner und alle älteren Semester 
sind ihr dankbar, denn ohne sie bestünde die 
Geschichte nur aus großen Ereignissen und Jahres- 
zahlen, und keiner könnte sie behalten, So hal- 
ten wir uns an das Brett des Karneades, den 
Ring des Polykrates und notfalls an das Hemd 
der Erzherzogin Isabella um 1604. 

Es ist die Anekdote, die gelegentlich Blüten vom 
Baum der historischen Erkenntnis streut. Sie macht 
die Helden menschlich und die Menschen witzig. 
Sie erhält die großen Alten im Gedächtnis frisch 
und die schönen Frauen in ewiger Jugend. Und 
klatscht reizender als ein ganzer Damentee. 
Was aber wäre anregender als ein Damentee? 
Bei dem nichts fehlt als die Männer. Die machen 
derweil die Geschichte, 

Und vielleicht, von einem anderen größeren Stern 
gesehen, ist das, was wir Weltgeschichte nennen 
— Anekdote. 


(A. Paul Wober) 





ERKENNE DICH SELBST! 


Heute bin ich traurig. Ja, liebe Leser! Heute bin 
ich traurig! Ich habe mich flüchtig im Spiegel be- 
trachtet und fühlte mich sofort von einer Welle 
der Traurigkeit durchdrungen. Jemand von euch 
wird nun sagen — Ich höre es beinahe. „Nun, 
nun, Herr Pancrazio wird alt!“ Aber nein. Nicht 
wegen Runzeln und grauer Haare ist heute mor- 
gen mein Herz so bedrückt. Die Jahre vergehen 
für alle, auch für mich. Und nur Dumme lassen 
sich vom Alter überraschen, ohne den Geist dar- 
auf vorbereitet zu haben, es mit heiterer Würde 
zu tragen. Dieses Problem habe Ich schon längst 
gelöst. Es ist das andere, das mich nimmer mehr 
quält, das von dem Sichkennen. Auch diesen 
Morgen hat es mir Kopfzerbrechen verursacht. 
Ich habe gedacht: Sol Ich kenne Camillo, kenne 
Renato, kenne den Herrn Donati, kenne den Zei- 
tungshändler an der Ecke, kenne die Frau, die 
mir Jeden Morgen die Milch bringt, kenne sogar 
den Hausbesitzer und den Hundefänger, der’ mir 
eines Tages beinahe meinen kleinen Fido er- 
würgt hat. Kurz und gut, ich kenne eine Menge 
Personen, viel mehr als notwendig Ist. Es ist un- 
nötig, alle zu verzeichnen, Aber der einzige, von 
dem ich nicht sagen kann, ihn zu kennen, wer 
ist es? Herr Pancrazio Contardi, nämlich ich selbst. 
Jal Sie lachen! Sie wenden sich an Ihren Nach- 
barn zur Linken und lächeln wohlwollend, als 
wollten Sie sagen: „Ohl Herr Contardi ist zum 
Scherzen aufgelegt! Dieser Spaßvogell" Abor 
nein, um Himmelswillen nein! Ich habe absolut 
keine Lust zum-Scherzen. Ich spreche im Ernst; 
ich habe gesagt und wiederhole es, daß ich viele 
Leute kenne, aber mich selbst nicht. Und 
glauben Sie nicht, daß ich mir ein phllo- 
sophisches Mäntelchen umhängen will. 
Ich weiß, auch Sokrates verfocht dieselbe 
Angelegenheit. Aber er beabsichtigte, 
von der Kenntnis des Geistes zu spre- 
chen, und ich bin viel zu bescheiden, um 
mich auf ein so gefährliches Gebiet zu 
wagen. Für mich formuliert sich das Pro- 
blem in einer viel einfacheren Weise. 
Eine Person kennenzulernen, ist das Leich- 
teste auf dieser Welt. Zum Beispiel treffe 
ich meinen Freund Claudio zusammen mit 
einem mir Unbekannten. Claudio bleibt 
stehen und sagt: „Hier stelle ich dir Herrn 
Marco Tancredi vor.” Ich drücke diesem 
Herrn die Hand, höre seine Stimme, stelle 
die Farbe seiner Haare, seiner Augen fest. 
Dann bemerke ich, daß er eine kleine 
tote Narbe neben dem rechten Nasen- 
loch hat. Den Tag darauf sehe ich ihn 
auf der anderen Straßenseite vorüber- 
gehen. Beim Laufen stelle ich fest, daß 
er sich in übertriebener Weise in den 
Hüften wiegt und Worte vor sich her- 
murmelt, Kurz und gut, nach einer einzi- 
gen Vorstellung und einigen ergänzenden 
Begegnungen kann ich sagen, eine ziem- 
lich klare Vorstellung von Herm Tancredi 
zu haben, das heißt, ihn zu kennen. Aber 
lieber Gott, niemals ist es mir passiert, 
daß mein Freund Claudio auf mich zuge- 
kommen wäre und mir gesagt hätte: „Hier 
stelle ich dir Herrn Pancrazio Contardi 
vor.” Und nicht einmal ist es vorgekom- 
men, daß ich um Herrn Contardi herum- 
laufen konnte, um die Form seines Halses 
und seiner Ohren festzustellen, noch ihn 
von weitem gehen zu sehen, ob er sich 
in den Hüften wiegt oder nicht. Auf 
Ehrenwort, das habe Ich noch nie erlebt 
und werde es auch niemals erleben. Da- 
her stehe ich auf dem Standpunkt, den 
Herrn Pancrazio Contardi nicht zu kennen. 
Manchmal habe ich ihn gesehen, ja, Im 


VON BERTO PEROTTI 


Spiegel oder auf einer Photographie. Aber glau- 
ben Sie, daß dies genügt, um zu sagen, daß ich 
ihn kenne? Was habe ich in dem Spiegel ge- 
sehen? Höchstens ein plattes Gesicht und die 
Vorderseite einer Person. Das Ist alles. Und auf 
einem Bilde? Ein Gesicht oder Profil mit ge- 
zwungenem Lächeln oder mit trockenem und kal- 
tem Ausdruck, Weiter nichts! Aber, lieber Him- 
mel, vom Herrn Marco Tancredi habe ich von der 
ersten Vorstellung her zehn, was sag Ich, hundert 
verschiedene Stellungen, Ausdrücke, Lächeln und 
Bewegungen gesehen. Von vorn, von hinten, von 
der Seite habe ich ihn gesehen. Später habe ich 
ihn beim Laufen beobachtet, ohne daß er es 
merkte, und habe in seinem Wesen irgend etwas 
Neues entdeckt, das ich bei der ersten Begeg- 
nung nicht gesehen hatte, Aber wie kann ich 
jemals meine Person von außen so objektiv ver- 
folgen? Wie könnte ich sie in Augenblicken der 
Zerstreuung und der Hingabe überraschen? Sagen 
Sie es mir, wie? Es gab eine Zeit, in der ich mir 
einbildete, wenigstens einen gewissen Grad der 
Kenntnis meines Ichs erreicht zu haben. Ich lief 
zum Beispiel durch eine sehr belebte Straße, 
und plötzlich drehte ich mich zum Schaufenster, 
um meine Art zu laufen zu beobachten. Bisweilen 
geschah es, daß ich unbewußt in eine Scheibe 
blickte und meine Person wirklich in einem 
Augenblick der Unbekümmertheit überraschte. 
Eines Tages stellte ich sogar an meinem Gange, 
das heißt, an der Art und Weise die Füße auf 
den Boden zu setzen, fest, daß etwas Seltsames, 
beinahe Lächerliches, darin lag, etwas, was ich 


EIN WINTERTAG 


A Schneepfluag fteht vereift am Straßenrand. 

Zwoa Dacheln hocka drobn am «Starenhaus. 

De Weid’n fehaugn mia Reiferbef'n aus, 

Und buachas Holz loahnt an da Stadelmand. 


De Mannerleit vom Bräu ftenga bereits 
A ganze Wocha fcho da drunt am Bach. 
Sie moana leicht, de Kältn laffat nach. 

Und ’s Bachauseil’n, des geht fei Ins Kreiz. 


Beim Nachbarn drent, da klopfas heint an Raps. 
Da Girgl is beim Stöckaushebn im Wald. 

Und werd’s eahm diamal do a wengl z’kalt, 
Schnupft er a Pris und nimmt a Mai voi Schnaps. 


Vom Schulhaus kimmt a kloana Bauernbua 
Und laft glei hoam. Es friert'n, er is krank. 

Er fchmuggelt fi ganz hint auf d’Ofabank 

Und ziagt an Rot; auf, fchneizt und huaft dazua. 


A Metiga fteht beim Stangl feiner Waag 
Und handelt lang und broat zıweng ara Sau. 


Er bfcheißt beim Wiagn und greift an Speck genau 


Und kaft des Viech und holt's am andern Tag. 


De Annamierl, de hoazt an Ofa ei, 

Daß d’Platt'n glüaht, damit de Apfi bratn, 
Holt Briafpapier und Tint'n aus’'m Ladn 
Und fchreibt fein liab’n Schat auf Minka nei. 


An Hund fei Kett'n macht da Voda frei. 

De Nebi fteign in D’Höh und D’Nacht werd frifch. 
A Weitling voller Supp’'n dDampft am Tifch. 

Und wieder is a Wintertag vorbei. 


* H. Essendorfer 


70 


nie vermutet hatte. Diese Entdeckung befriedigie 
etwas mein Bedürfnis nach Kenntnis, aber de- 
mütigte nicht wenig mein Selbstgefühl. In den 
folgenden Tagen ging Ich wieder an den Schau- 
fenstern vorüber, und versuchte jene Spur, die 
mich so betroffen hatte, von neuem zu entdecken. 
Aber so sehr ich mich auch anstrengte, es ge- 
lang mir nicht, ihr zu begegnen. Seil es durch 
eine gewisse instinktive Sorgfalt, die ich beim 
Laufen entfaltete, sei es durch eine andere Gei- 
stesverfassung, Tatsache ist, daß alle meine Be- 
mühungen, jenen Teil meines Ichs wiederzusehen, 
der mir einen Augenblick in die Augen gesprun- 
gen war, vollkommen vergebens waren. Bis ich 
feststellte, Ja, liebe Leser, bis ich feststellte, daß 
ausgerechnet, wenn ich an einem Geschäft vor- 
überging, auf der Schwelle Mädchen oder Kun- 
den sich ansammelten und mich frech anstarrten 
und boshaft untereinander grinsten. Eines dieser 
Mädchen wagte sogar mit lauter Stimme zu er- 
klären: „Der ist in sich selbst verliebt!” Ich hätte 
dieser Unverschämten am liebsten ein paar hin- 
ten drauf gegeben, und die anderen mit den 
Köpfen aneinander geschlagen, so groß war meine 
Wut über das Mißverständnis, in das ich da ge- 
raten war. Aber ich erfaßte sofort, daß, wenn ich 
in irgendeiner Weise auf diese Beleidigung rea- 
gierte, sich meine lächerliche Lage nur verschärft 
hätte. Zu den Leuten konnte ich doch nicht sagen: 
„Hören Sie mal, Sie täuschen sich. Sie halten 
mich für irgendeinen eitlen Affen, der in die 
Scheiben schaut, um seine Figur zu bewundern. 
Nein! Ich bin nur ein armes Wesen, das auf der 
Suche nach sich selbst ist!” Nein, es ist 
wahr! Das konnte ich Ihnen nicht sagen, 
aus dem einfachen Grunde, weil sie es 
mir nicht geglaubt hätten. Man würde 
mich höchstens für verrückt gehalten ha- 
ben. Und auf einen solchen Ruf lege 
ich wirklich keinen Wert. Daher begnügte 
ich mich, mit geknickter Miene mich zu 
entfernen; das zweideutige Flüstern die- 
ser Menschen folgte mir. In den nächsten 
Monaten bemühte ich mich, meine Bitter- 
keit zu vergessen. Wie die andern ver- 
suchte Ich zu leben, ohne mich um etwas 
zu kümmern. Wenn ich an einem Spiegel 
vorbeikam, warf ich einen schnellen Blick 
hinein und dachte bei mir: „Mag es sein, 
wie es ist! Leben und leben lassen!” Bis 
eines Tages ein kleiner Zwischenfall ein- 
trat. Was sag Ich, Zwischenfall, eine voll- 
kommen belanglose Angelegenheit, die 
mich von neuem in Aufruhr versetzte. Ge- 
gen Abend traf ich unter den Bogengän- 
gen des Matteiplatzes den MalerDePiva, 
der, nachdem er mir die Hand gedrückt 
hatte, meine Stirn betrachtete, mich nach 
allen Richtungen drehte, dabei aber immer 
meinen Kopf fixierte, und schließlich 
barsch meinte: „Ich habe es nie bemerkt. 
Aber du hast einen Dante ähnlichen 
Kopfl” Bei aller Achtung, die ich für 
Dante empfinde, muß ich Ihnen doch be- 
kennen, war mir bei dieser Feststellung 
nicht wohl zumute. Nicht weil ich eine 
besondere Antipathie für Adlernasen und 
für finstere Augen hege, sondern weil ich, 
der doch an meinem Profil am meisten 
interessiert war, noch nie in meinem le- 
ben gemerkt hatte, eine Dante-Ähnlich- 
keit zu besitzen. Daher protestierte ich 
lebhaft, zur großen Verwunderung meines 
Freundes, Er ließ die Arme baumeln und 
erwiderte sehr ernst: „Es tut mir leid, 
aber du hast wirklich einen Dantekopf, 
besonders wenn du die Stirn in Falten 
ziehst!” Und er ließ mich im Stich 


Kaminkehrers Morgentoilette - Toilette mattutina dello spazzacamino 


(Fr. Btlok) 





























mit meiner großen Verblüffung. Als ich mich 
von meinem Staunen erholt hatte, stürzte 
ich nach Haus, trat in mein Zimmer ein, zündete 
das Licht an und betrachtete mich in dem großen 
Spiegel des Schrankes. Aber, o weh, statt Dante 
Allghieri sah ich darin das finstere Antlitz eines 
armen Menschen, der den Kopf verloren hatte. 
Ich wartete, bis ich mich ein bißchen beruhigt 
hatte, dann betrachtete ich mich wieder; immer 
Jedoch mit demselben Erfolg. Vor mir sah Ich ein 
bleiches, ziemlich mageres Gesicht, in dem ich 
die Gesichtszüge aller Personen der Danteschen 
Hölle aufspüren konnte, bloß nicht die des Dich- 
ters selbst. Wütend rief Ich aus: „Die andern 
dürfen sehen, was in mir steckt, nur Ich nicht!“ 
Einige Schübe des Schrelbtisches öffnete Ich, zog 
verschiedene Photographien heraus, auch die 
Neuesten, aber in keiner gelang es mir, Dante- 














sche Züge zu identifizieren. Da verließ ich das 
Zimmer und klopfie bei meiner in. Ich fühlte 
das Bedürfnis einer Bestätigung dessen, was mir 
enthüllt worden war. Aber unglückseligerweise 
Ist meine Wirtin etwas schwerhörig. Nicht dehr 
liebenswürdig sagte Ich zu Il ‚Sehen Sie Dante 
hier?” Und ich zeigte mit der Hand auf mein Ge- 
sicht. Ohne zu verstehen, sah sie mich erstaunt 
an, Da wiederholte ich lauter: „Haben Sie den 
Eindruck, daß ich Dante ähnele? Zufrieden, be- 
griffen zu haben, lächelte sie und antwortete: 
„Nein! Er Ist nicht gekommen. Nur Corradi mit 
dem Verzeichnis ist dagewesen.” Es war ver- 
gebene Liebesmühe, das merkte Ich. Aber ich 
versuchte es zum letzten Male. Ich ließ die Alte 
in mein Zimmer kommen, legte eine farbige Auf- 
nahme Dantes vor sie, zeigte auf meln Gesicht 
und fragte: „Was meinen Sie? Ahnele ich ihm?“ 











71 





Nun erschrak die Frau, Mit erstaunten Augen 
schaute sie auf meinen Mund, um meine Worte 
zu verstehen; dann fing sie an zu jammern und 
zu klagen: „Ich habe nichts weggenommen, Ich 
habe wirklich nichts genommen, Das wird die 
Sofla gewesen sein. Bei mir hat noch nie etwas 
gefehlt. Wir sind doch ehrliche Leute.” Ich ver- 
zichtete auf meinen Vorsatz und verließ wütend 
die Wohnung. Meine Nerven waren so gereizt, 
daß ich mit Jedem Streit angeknüpft hätte, wenn 
nur die Gelegenheit dagewesen wäre, Zum Glück 
bot sich mir diese Gelegenheit nicht. Statt das 
Zentrum aufzusuchen, wo Ich gewiß einem Freunde 
begegnet wäre, entfernte ich mich von der Stadt 
und streifte lange Im Dunkel am Ufer des Flusses 
umher. Als ich nach Hause zurückkehrte, um mich 
zu Bett zu legen, hatte ich mich etwas beruhigt. 
In der Nacht träumte ich, in der Danteschen 


Hölle zu sein. Ich spazierte am Ufer des sumpfi- 
gen Styx, Arm in Arm mit einem Mann, der den 
eigenen Kopf in der Hand hielt, Lange schaute 
ich mir diesen Kopf mit den aufgerissenen Augen 
an, der mich mit beinahe gierigem Interesse 
fixierte. Und ich dachte bei mir: „Wenn Dante 
doch kämel” Bis auf der anderen Seite des 
Sumpfes jemand immer lauter meinen Namen rief. 
Mit laut klopfendem Herzen drehte ich mich um 
und erblickte einen Kahn, auf dem unter anderen 
der Maler De Piva sich befand. Er trug ein Ver- 
zeichnis unter dem Arm. Kaum war er aus dem 
Boot gestiegen, als er das Verzeichnis öffnete 
und mit energischen und begeisterten Gesten 
anfing zu zeichnen, Schließlich riß er das Blatt 
heraus, übergab es mir mit den Worten: „Hier 
ist dein Bild! Es kostet fünf .Lirel”” Als. ich die 
Zeichnung mir ansah, stellte ich zu meinem größ- 
ten Erstaunen fest, daß es sich um ein Bild von 
Julius Cäsar handelte, 

Nun abgesehen von dem verstümmelten Kopf, der 


Umzug - Trasloco 





mich mit aufgerissenen Augen von der Seite 
meines Gefährten anstarrte, scheint Ihnen nicht, 
daß sich in diesem Traume ein beinahe scherz- 
hafter, grausiger und scherzhafter Sinn verborgen 
hält? Eine bissige Anspielung auf mein trauriges 
Schicksal? Tatsache ist, daß ich mich am folgen- 
den Morgen wieder von dem Gedanken an meine 
Physiognomie gequält fühlte. Unterwegs traf Ich 
Furlanl, diesen geriebenen Kerl von Furlani, der, 
kaum daß er mich von weitem gesehen hatte, 
auf mich zusteuerte, mit der offenbaren Hoffnung, 
sich von mir einen Kaffee bezahlen zu lassen. 
Gern bot ich ihm einen an. Ich hatte meine 
Gründe dafür. Nachdem wir von diesem und 
jenem gesprochen hatten, richtete Ich die Frage, 
die mir so am Herzen lag, an ihn. Dabei tat Ich 
so, als wenn ich scherzte: „Man hat mir erklärt, 
ich ähnele Dante, Was sagst du dazu?” Ernst 
schaute er mich an, zog sich etwas zurück wie 
ein Maler, der seine Leinwand prüft, und meinte 
beinahe feierlich: „Bei Gott! Das Ist wahr! Du hast 


(©. Hermann) 


„Sagen Sie, Frau Müller, haben Sie nicht einen Strumpf von mir gefunden?" 
„Nee, Frollein, bloß 'n jroßes Loch, und da war 'n bisken Wolle herum!“ 


"Ditemi, signora Müller, non avete mica trovalo una mia calza},, 
"No, Signorina ... soltanto un buco con Intorno un po’ di lana!ı, 


72 


ein Dantesches Profil.” In diesem Augenblick 
wurde ich rasend. „Geh zum Teufel mit deinem 
dummen Urteill” Bleich vor Überraschung ließ 
ich ihn zurück, während die anderen Gäste sich 
nach mir umdrehten und mich wie ein seltenes 
Tier anstarrten. Wirklich, ich war außer mir. War 
denn so etwas möglich? Alle bestätigten diese 
Ähnlichkeit, und ich nicht? Ich betrat ein Cafe 
und sah verstohlen in einen Spiegel. Aber nicht 
einmal jetzt konnte ich den großen Dichter in 
mir entdecken. Da zürnte ich mit der Unzuläng- 
lichkeit der menschlichen Wissenschaft. Ich ver- 
suchte mich zu überzeugen, daß, wenn es mir 
nicht gelänge, die Spuren zu finden, die die an- 
deren in mir entdeckt hatten, nur die Tatsache ! 
Schuld hätte, daß mir die geeigneten Mittel zum 
Beobachten fehlten. Ich hätte aus mir heraus- 
gehen müssen, um mich so zu betrachten, wie 
man einen Fremden beobachtet. Oder ich müßte 
einen Film von mir drehen lassen, der alle meine 
Bewegungen und Ausdrücke eines Tages fest- 
hielte, Dann vielleicht wäre ich imstande, einen 
einigermaßen objektiven Begriff meiner äußeren 
Person zu erhalten. Aber für einen solchen Film 
braucht man sehr viel Geld. Und Ich verfluchte 
meine Armut, die mich vor die Unmöglichkeit 
setzte, mich selbst besser kennenzulernen. So 
schmiedete ich einen Plan nach dem anderen, 
geriet von einem Ärger zum andern, bis ich mich 
allmählich mit meinem traurigen Schicksal be- 
freundete, Eines Tages Jedoch, an einem schönen 
Maienmorgen, erlebte ich die Überraschung, mit 
Dante zusammenzustoßen, das heißt mit jenem 
Teil meines Selbst, den ich mit solcher großer 
Sorge gesucht hatte, und in dem die Danteschen 
Züge verborgen sein sollen; ich saß im Eßzimmer 
meines Freundes Florenzo. Zerstreut schaute ich 
auf die gegenüberliegende Wand, als mein Blick 
auf einen runden Spiegel fiel, der gerade vor 
mir hing, und der mein Bild wiedergab, Zum 
größten Erstaunen der Anwesenden rief ich aus: 
„Mein Gott, wie Dantel” Und wahrhaftig sah ich 
in meinem Gesicht die unzweideutigen Spuren von 
Dantes Person. Voller Bewunderung schaute Ich 
mein Spiegelbild an, ohne mich um die Witze 
der andern zu kümmern. Es war, als wenn mein 
Geist sich nun von einer schweren Last befreit 
fühlte. Meinen beinahe chronischen Skeptizismus 
überflutete ein zuversichtliches und optimistisches 
Lebensgefühl. Nun war Ich auf dem Wege, mich 
selbst zu kennen. Am nächsten Tage spazierte 
ich durch die Straßen der Stadt voller Stolz und 
mit tänzelnden Schritten wie ein Junger Gott. Ab 
und zu schaute ich verstohlen in einen Spiegel 
oder ein Schaufenster und freute mich, Immer 
wieder mit dem Blick jenem mageren und heite- 
ren Antlitz zu begegnen, das so klar die genialen 
Züge Dantes trug. Es war, als wenn sich in die- 
sen heimlichen Blicken zwei alte Freunde nach 
langer Trennung wieder versöhnt vorfänden. Nie- 
mals wie In diesem Augenblick fühlte ich so stark 
meine Bewunderung für Dante Alighierl. Bis ich 
gegen Abend mit meinem alten Freund De Piva 
zusammentraf. Ich freute mich, als ich ihn unter 
der Menge sah. Jedoch ich hütete mich wohl, 
ihm die Gründe meiner Freude auselnanderzu- 
setzen. Nur bei einem gewissen Punkt unserer 
Unterhaltung sagte ich freundschaftlich: „Erinnerst 
du dich? Vor ein paar Wochen hast du mir ge- 
sagt, ich hätter einen Dantekopf.” De Piva schaute 
auf, wie beleidigt über meine Worte, Lange sah 
er mir ins Gesicht, schüttelte dabei den Kopf 
und brummte enttäuscht: „Du bist ein komischer 
Mensch. Alles faßt du wörtlich aufl” Beunruhigt 
rief ich aus: „Wie? Ist das nicht wahr, was du 
gesagt hast?” Bitter lächelte er und fügte hinzu: 
„Warum nicht? Es kann wahr sein! Man sagt so- 
viele Dummheiten. Tatsache ist, daß, je länger 
ich dich ansehe, um so lebhafter mir deine Ähn- 
lichkeit mit Christoph Columbus erscheint.” 
(Aus dem Italienischen von Charlotte Opitz) 


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IN WIEN 


Ich saß in einem kleinen Wiener Beisel. 

Zum Nachtisch gab es Zwetschgenröster. 

Ein Gast aus dem Norden protestierte: „Was 
soll mir das Mus?" 

Der Wiener Kellner deutete mit dem Finger auf 
die Schüssel: „Das ist Kompott, mein Herr!” 
„Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen? Det 
soll Kompott sein? Det Ist günstigstenfalls Mar- 
meladel” 

„Das ist jaa Kompottl” 

„Quatsch Brotaufstrich ist det! Pflaumenmusl” 
„Der Herr können es ja stehen lassen!” 

„Wie komme ich dazu? Auf der Karte steht als 
Nachtisch Kompott, Ergo verlange ich auch Kom- 
pott Und zwar ein wenig hurtig!" 

Der Kellner gab sich geschlagen. 

Er lief zum Wirt, 
















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Haderbrän 
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Mündpener Malygerränt 












an wie, umanger 





Erzählte ihm aufgeregt den Vorfall. 

Der Wirt schob grimmig seine zwei Zentner 
Leibesfülle zu dem Tisch des Gastes. Er stemmte 
seine Faust auf den Tisch, beugte sich drohend 
vorund fragte: „Haben der Herr eine Reklamation?” 
„Und ob! Und ob, mein Lieber! Ihr Kellner hat 
mir das Zeug hier als Kompott serviert!“ 
„Freilich! Dös san herrliche Zwetschgenröster, wie 
Sie sie da drüben gar net kennen!“ 

„Die Politik lassen Sie gefälligst aus dem Spiel, ja?” 
„Mit Eahnen werd i mi net streiten!“ sagte der 
Wirt, packte den unzufriedenen Gast beim Kragen 
und setzte ihn vor die Tür. 

Dann kehrte er in die Gaststube zurück, stellte 
sich in der Mitte auf und sagte, grimmig seine 
‚Augen von Tisch zu Tisch gleiten lassend: 

„Es sind noch ein paar Leute hier, die behaup- 
ten, Zwetschgenröster sind kein Kompott — aber 
ich kenne sie alle! Ich kenne sie allell” ).H. R. 





FERHTLKA F 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 
RIES 


(0. Nückel) 





Mein Freund Johannes hat früher selber Zigarren 
und Zigaretten geraucht, Aber neuerdings ist er 
ganz auf die Pfeife verschworen. 

Neulich kam er zu mir und brachte auch mir eine 
mit. 

„Ich kann es nicht länger mit ansehen, daß du die 
andern Dinger In den Mund steckst. Ich finde 
das zu unappetitlich, Uberlege dir doch nur mal, 


Wichtig 3 
für die Erhaltung 


der Gesundheit ist die An- 
wendung der unveränderten 
Heilmittel, wie sie uns die 
Natur schenkt, Adolf Justs 
Luvos-Heilerde ist einurdeut- 
sches Erzeugnis der Natur, 
das ausgleichend und regulie- 
rend auf den gesamten Orga- 
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wer alles die Zigarren und Zigaretten angefaßt 
haben kann. Nein, da Ist eine Pfeife doch hygie- 
nischer”, sagt er, 

Ich wollte ihn nicht gerne kränken. So nahm ich 
sein Geschenk also entgegen. Aber als ich es 
mir dann näher ansah, da mißfiel es mir doch so, 
daß ich die geplante Rücksichtnahme vergaß. 
„Johannes, es war Ja nett von dir gedacht. Aber 
wenn du mir wirklich schon eine Pfeife mitbringst, 
dann hättest du weiß Gott eine etwas hübschere 
aussuchen können”, sagte ich. 

„Aussuchen? Na höre mal, meinst du vielleicht, 
daß da gleich eine ganze Mustersendung auf der 
Straße gelegen hat?“ fragte Johannes. J.Bieger 


* 


Ich warte in einsamer Straße In Leipzig um die 
Mitternachtsstunde auf die Straßenbahn. — Da 
vernehme Ich aus finsterem Hauseinang eine 
halblaute, von bitterem Weinen durchzitterte, 













Wo darf ich = 
Pfeilring 
Haut-Creme 
verwenden? 















Wo es gut tut, dahin ge- 
hört beute Pfei 
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Sonne oder Wind die Haut 
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weibliche Stimme, die anklagend, verzweifelt und 
beschwörend, sich manchmal überschlagend, ohne 
Unterbrechung auf irgendwen herniederprasselt. 
Zu verstehen war für mich kein Wort, zumal die 
Tirade im ursächsischen Dialekt gehalten wurde. 
Der passive Partner dieser Unterhaltung war, wie 
mir dann klar wurde, ein Mann, der in Zwischen- 
räumen immer wieder versuchte, auch einmal zu 
Wort zu gelangen, aber nie über die eindring- 
lich gesprochenen drei Worte: „Ehr deine Mut- 
ter —” ninauskam. — Die Situation war mir klar, 
ein ungehorsames, eigensinniges Geschöpf, das 
von einem vernünftigen, wohlmeinenden Freunde 
bezüglich seiner Pflichten gegenüber der Mutter 
zurechtgewiesen wurde. — 

Endlich verebbte der gewaltige Redestrom des 
Mädchens; ich hörte nur noch leises Weinen 
und nun kam die sonore Mannesstimme schließ- 
lich wie folgt zu Worte: „Ehr deine Mutter nischt 
merkt, brauchste nischt zu saajn!" — FW. 














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Das Gütezeichen für 


Johannes lernte Schlittschuhlaufen. Das heißt, er 
versuchte, es zu lernen. Aber er kam nicht recht 
voran damit. 

Nun saß er grübelnd auf einer Bank am Rande 
der Eisbahn. Mitleldsvoll setzte ich mich zu ihm. 
„Wenn ich nur wüßte, wer diesen Sport erfunden 
hat“, sagte Johannes nachdenklich, 

„Wozu möchtest du das wissen? Willst du dich 
an seinen Nachkommen vergreifen?” fragte ich. 
„O nein. Ich bewundere den Mann und möchte 
näheres über ihn hören. Sieh mal, du und Ich, 
wir alle, die wir diesen Sport erlernen wollen, wir 
sehen doch Leute, die ihn beherrschen, Wir 
wissen also, daß es tatsächlich möglich ist, sich 
auf Schlittschuhen zu halten und zu bewegen. 
Aber er, er wußte es nicht. Und hat doch 


durchgehalten“, sagte Johannes nachdenklich, 
„Ja, der Mann muß einen eisernen Willen gehabt 
haben“, stimmte ich zu, um ihn nicht zu entmutigen. 
„Oder einen eisernen Hintern”, sagte Johannes. 
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Der Künstler am Werk ee i 

















„Sehen Sie, so stelle ich mir den Frieden vor!“ 


L’ artista all’ opera: “Vedeie, la pace io me la immagino cosil,, 


76 


Musikalische Untermalung 
"4, az * 


(K. Helligenstaodt) 





a #8 2 


un 


„Erinnerst du dich, Albert? Bei dieser Platte hast du mich zum erstenmal geküßt?‘' 
„Weiß nicht mehr — war in diesem Augenblick völlig unmusikalisch!** 


Sostrato musicale: “Ti ricordi, Alberto, al girar di questo disco mi baciasti per la prima volta?,, 
"Non me ne ricordo piü. In quel momento ero completamento insensibile alla musica!,, 


77 


Die tote Stadt - La cittä morta 


(Toni Blchl Im Felde) 





DAS „E“- EIN HÜBSCHER BURSCHE 


Ein hübscher Bursche, der sich in der Eleganz 
einer Exzellenz wlegt. Das E hat die Haltung eines 
Engels, der aus der Ewigkeit heranflügelt. Ein 
Edelmann. Manchmal auch ein Emporkömmling, 
der seine Ellenbogen zu gebrauchen weiß. 

Das E hat den Wuchs schöner Bäume; der Erle, 
der Eiche, der Eibe, der Espe, der Esche und der 
Eberesche. Es ist erlaucht, weil es die Erde be- 
nennt. Es Ist reich und begnadet, well es die 
ganze Ernte In sich birgt und die Ehre trägt. Es 
ist verziert mit Ecken und Erkern. Elvira tritt auf 
seinen Balkon und singt Arlen aus der großen 
Oper. 

‚Das E steht da wie der treue Ekkehard, der vor 
der wilden Jagd warnt und am Eingang zum 
sagenhaften Venusberg steht. Es ist der magische 
Palast des Erlkönigs und der Elfen. Die flüchtige 
Nymphe des Echos ruft aus seinen Winkeln und 
Schluchten. 





Das E ist neugierig, fühlerausstreckend und unter- 
nehmungslustig; denn die Entdecker haben in ihm 
Ihr Geburtshaus, aber auch die Erfinder wohnen 
auf seinen Etagen. 

Das E ist der große Edelsteinladen und irisiert in 
sämtlichen Farben. Es hat etwas Langes, fast Un- 
endliches — die Ewigkeit. Es trägt alle Farben 
der Erde: das Schillernde des Entengefieders, den 
Emailleglanz der Smaragdeidechse, das grünlich- 
blaue Licht des Eises. 

Das E Ist ein Übergangslaut, der nach mythischen 


Vorl 
ntwortl. Schriftlelte 
‚alle Buchhandlunger ng: 
gültig ab 15. Okt. 1941. — Unver 





te 1geg: inzeln 
insendungen werden nut zurückgesandt, wenn Porto beilieg 


VON ANTON SCHNACK 


Vorstellungen den Frühling, das weiße „a”, mit 
dem Sommer, dem rotgoldenen „li“ verbindet. 


* 


Es hat die Hauer des Ebers, der die Erde nach 
Fraß aufwühlt. Es hat die eisernen Zähne der 
Egge, welche die Furche durch die Ebenen der 


ENTFALTUNG 


Ein Rehbock bellte in der Nacht; 

ich bin aus tiefem Traum erwacht. 
Noch lag in Dunkelheit das Moor 
und leife zitterte Das Rohr. 

Der Finfternis tieffamtene Wand. 
hob fich gemächlich und entfchmand. 
Der Morgenitern erglitierte 

und ftrahlte hell und bliterte 

auf eine Hütte, drin ein Paar 

noch immer wach und traurig war, 
Ein Hahn zog mit Triumphgefchrei 
den erften Sonnenftrahl herbei, 

ein anderer ermiderte, 

ein Chor von Vögeln liederte 

und leuchtend fchritt durch Dorn und Hag 
im Morgenmind der junge Tag. 


Peter Scher 












Acker zieht. Es.hat das Schaufelgehörn des Elchs 
und das scharfe Holz der Ecker, der ölhaltigen 
Buchenfrucht. 

Es Ist das Gasthaus für den lachenden Eulen- 
spiegel und für den würdigen Spießbürger Ernst. 
Es trägt mitten am Bauch einen Hahnen; wenn 
man Ihn aufdreht, fließt Essig heraus. 

Das E ist das Zeichen für Wasser — die Elbe und 
der Ebro strömen hindurch, die Ebbe seufzt und 
gurgelt aus ihm, der See ruht auf seinem Grund 
und das Meer brandet an ihm empor. 

Das E treibt Vielweiberei, Ehe mit vielen — ein- 
mal mit dem feurigen | und das Kind heißt ei; 
dann mit dem dumpfen u, und dieser Sprößling 
wird eu genannt. Das el Ist ein breiiger käsefar- 
biger Balg, der nach Zärtlichkeiten beglerig ist; 
das eu hat Wesenszüge von einem Gummi, Es ist 
behend, drahtig, listig, neugierig. 

Das E ist ein sehr literarischer Buchstabe. Man 
findet bei ihm das Epos, die Erzählung; das Epi- 
gramm oder das Sinngedicht; den Epilog, ein zu- 
meist aus Versen gedrechseltes Nachwort; die 
Episode oder die Zwischenhandlung; die Epistel 
oder den Brief; das Epitheton oder das Belwort; 
die Edition oder die Herausgabe; das Exemplar 
oder das einzelne Buch; die Einbildung, woran 
mancher schlechte Schriftsteller leidet; die Ekstase, 
in die manche Dichter geraten; das Eldorado, das 
Goldland, wovon die meisten Dichter träumen; 
die Epigonen, die Nachahmer, was viele sind; und 
die Enzyklopädie, das Nachschlagewerk, worin sie 
wünschen für alle Ewigkeit zu stehen. 





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Das Ende des Grauens - La fine dell' orrore 





79 


Mahlzeit 


(Wilhelm Schulz) 


„Die Seepferdchen schmecken wieder abscheulich nach Öl€!' — „Ja, mein Lieber, wir sind eben im Krieg! 


Pasto: “Questi cavallucci marini sanno di nuovo orribilmente di petrolio!,, — "Giä, caro mio; siamo appunto in guerra!,, 


80 


















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“Se avessi plü che la mia vita, lo sacrificherel alla mia patria!,, Federico Il Grange 





Anspruchsvoll‘- Arrogante 


ven 


(Magon) 





„Sö Lackl, Sö hundshäutana, kinnan mich überhaupts kreuzweis' — — —!" 
„Jetzt, mit so allgemeine Redensarten derfa S’ mir fei net kemma!" 


“Ehl, villanzone, figlio d’ un cane, che Vi pigli un accidente — — — 


DER AUTOMAT 


Drüben am Haus hängen zwei Automaten, der 
eine ist ein amtlicher Automat, er verkauft Fahr- 
karten, der andere sollte Schokolade verkaufen. 
Er tut es nicht. 

Automaten haben früher das Erstaunen der Welt 
hervorgerufen. Es gab eine Zeit, da hatte fast 
jeder Fürst neben seinem Hoftheater, neben sei- 
nem Hofmaler, seinem Hofnarren auch einen Auto- 
maten, Der verkaufte allerdings keine Schokolade 
und auch keine Fahrkarten, er zeigte auch nicht 
die tägliche Gewichtszunahme an, sondern or 
blies die Trompete, schlug die Pauke, sagte ein 
bißchen die Zukunft oder zauberte sonst irgend 
‚etwas, als Türke verkleidet. Die Hersteller solcher 
‚Automaten waren hochberühmt, denn Automaten 


DER TOD 


Eo hat der Tod verfchiedene Geftalt, 

In welcher er die Menfchen locht und fchrecht: 
Als füße Braut, In der fchon Fäulnis hecht, 
Als eitler Arzt, der mit dem Heiltrunk prahlt, 


Als Kriegsmann, dem die Helmzier niedermwallt, 
‚Als kaiferlicher Richter, ftolz gerecht - _ 

So treibt er Spaß, in Masken fchlau verftecht, 
Und feine Späffe find tie Eis fo halt. 


Und ob du fchläfft im mwindummehten Zelt _ 
Oder daheim in deiner warmen Stube: 
Du bift vor ihm nicht ficher auf der Welt! 


Und kläfft dich nur ein Hündlein an im Feld: 
Kann fein, du finkft vor Schrecken in die Grube, 
Als habe dich ein Drache angebellt, 


Georg Britting 


waren damals hübsche Spielzeuge vornehmer Her- 
ren und man zeigte sie den fremden Gästen und 
auswärtigen Gesandten, wenn sie kamen, um 
einen Pakt abzuschließen. Einen Fahrkartenauto- 
maten zeigt man heute keinem Diplomaten mehr. 
Das Ist nun schon ein paar Jahrhunderte her, und 
die Automaten sind bürgerlich geworden. Sie sind 
durchaus nützliche Glieder der menschlichen Ge- 
sellschaft, wenn sie auch im Augenblick keine 
Schokolade, keine Pfelferminzplätzchen und keine 
gebrannten Mandeln verkaufen. 

Und doch gibt es noch Wunder am Automaten, 
aber nur dann, wenn sie persönlich werden. Wenn 
man ein Geldstück hineinwlrft, so erhält man 
prompt seinen Fahrberechtigungsschein. Der Auto- 
mat handelt nicht, der Automat nimmt kein Trink- 
geld, der Automat hat keinen Ladentisch, unter 
dem er etwas hervorholen kann, der Automat Ist 
zuverlässig bis in die Zahnräder, vielleicht ist er 
sogar pensionsberechtigt. An diesen Automaten 
tritt nun ein Mann heran. Er zückt eine Münze, 
wirft sie ein, zieht am Knopf und benimmt sich 
durchaus vorschriftsmäßig. Aber nun geschieht 
das Wunder: Der Automat macht gar nichts. Er 
verabreicht keine Karte, er verharrt herzlos und 
stumm. Der Mann bleibt vorläufig noch ruhig. Er 
zieht noch einmal am Griff, er drückt auf den 
Knopf, an dem „Störungsknopf” steht, der direkt 
hineinführt, dorthin, wo das Gewissen des Auto- 
maten schlägt, wo er am verantwortlichsten ist. 
Der Automat rührt sich nicht. 

Jetzt klopft der Mann gegen den Apparat. Es er- 
folgt nichts. Er gibt dem Automaten einen rechten 
Kinnhaken und einen linken Kinnhaken, ja sogar 
einen verbotenen Nierenschlag unten hinein. Gar 
nichts! 

Nun wendet der Mann sich um, sucht nach einem 
Menschen, dem er sich anvertrauen könnte, sucht 
jemand, dem er durch verwundertes Kopfschütteln 
zeigen könnte, daß hier der ‚vorschriftsmäßige 
Lauf der Welt jäh unterbrochen wurde, daß ein 
amtlicher Automat versagt hat. Woran soll man 
noch glauben, wenn die Automaten versagen? 


82 


— "Ma non dovete adesso venir fuorl con frasi sl generiche!,, 


Der Mann fühlt sich im tiefsten gekränkt. Er sucht 
Zeugen gegen den Automaten, er möchte mit 
Ihnen die Dinge der Welt besprechen mit beson- 
derer Berücksichtigung der Automaten. 

Aber niemand hat den Vorfall gesehen. Einsam 
und verlassen steht der Mann vor seinem herz- 
losen Gegner. Noch einmal schlägt er Ihm eine 
links und eine rechts hinein, daß es scheppert. 
Ein letztes Mal zieht er am Griff, noch einmal 
drückt er auf den Störungsknopf, dann geht er 
kopfschüttelnd weiter, Sein Weltbild Ist erschüt- 
tert, er glaubt nicht mehr an das Gute im Auto- 
maten. Foltzick 


MEIN FREUND JOHANNES 


Wir fuhren mit der S-Bahn nach Hause. Es war 
schon ziemlich spät und entsprechend dunkel Im 
Wagen. y 
Johannes rauchte eine Pfeife. Unheimlich, wie 
schlecht die diesmal in Glut zu halten war. Immer 
wieder holte er seine Streichhölzer hervor. Das 
war jedesmal für mich und alle anderen Insassen 
des Abteils eine recht lästige Störung. Geblendet 
mußten wir die Augen schließen. Ihm aber schien 
es nichts auszumachen. 

Endlich, eine Station vor der unseren, schien sich 
die Pfeife besonnen zu haben. Die Hölzchen 
blieben in der Tasche. 

Auf dem Heimweg fragte ich Ihn: „Sag mal, was 
war denn da eigentlich los? Du hast Ja eine Un- 
menge Streichhölzer verschwendet.” 

„Nicht verschwendet. Gebraucht!” verbesserte er 
mich. 

„Gut, also gebraucht. Und wie kam es, daß du 
von der letzten Station an auf einmal keines mehr 
gebrauchtest?” wollte ich wissen. 

„Wenn ich von da an noch eines gebraucht hätte, 
hätte ich es verschwendet”, orakelte Johannes. 
„Weil die Pfeife da gut in Brand war?" fragte ich, 
„Nein, weil das hübsche Mädchen uns gegenüber 
da ausgestiegen war”, sagte Johannes. ).Bieger 


Wunder der Dressur 


(Erich Schilling) 





„Wenn ich bedenke, was für ein unnahbares Vieh die englische Bulldogge war — 
und jetzt frißt sie mir so schön aus der Hand!" 


Miracolo d’ ammaestramento: "Quando penso che bestiaccia Inaccessiblle era II bulldog 


inglese ... 


Der höfliche Mann 


In einer kleinen schwäbischen Stadt lebte einst 
ein höflicher Mann (oder lebt er noch?). 

Er war wie alle Schwaben etwas einfürig und 
nelgte dazu, mit den Leuten, die ein Amt hatten, 
in Händel zu geraten. Den Bürgermeister und 
seinen Secretarius haßte er, den Richter und den 
Aktuar mochte er nicht leiden, und es versteht 


e adesso invece mangia sI garbatamente dalla mano!,, 


sich, daß er auf alle Parteigebietiger schlecht zu 
sprechen war. Er ‚betrachtete sie sämtlich als 
seine Feinde. 

Da er aber gegen die „Bagage“ nichts von Be- 
lang ausrichten konnte, entschloß er sich, allen 
seinen Widersachern den „Schwäbischen Gruß” 
zu entbieten. 

Indes, er war zu höflich, das mit Worten zu tun. 
Er ließ sich die Sache etwas kosten. Er kaufte ein 
Dutzend Radierungen des Ritters Götz von Berli- 


83 


hingen löblichen Gedächtnisses, sogar gerahmt, 
das Stück zu RM. 9,50, und ließ jedem seiner 
Gegner ein solches Bildnis, fein und säuberlich In 
ein Kistchen verpackt, durch die Post ins Haus 
bringen. 

Man kann's auch so machen, 

In der Amtsstube des Bürgermeisters sah ich das 
Bild des furchterregenden Ritters an der Wand 
hängen. Zum Teufel, was will der damit sagen? 

K. 


Stalingrad 


te. Thöny) 


2 





Besitz stirbt und Sippen sterben, Nur eines weiß ich, das ewig lebt: 
Du selbst stirbst wie sie! Der Toten Nachruhm! 


84 


DER ALTE RAPP 


VON BRUNO WOLFGANG 


Der alte Rapp stammte aus einer Weingegend und 
aus einem Weinjahr, Was eine Weingegend ist, 
weiß jeder. Ebenso, was ein Weinjahr ist. In einem 
solchen Jahr ist der Wein gut geraten. Es gibt viel 
Wein. Er ist billig. Alles freut sich, alles lacht, nie- 
mand weint, Deshalb heißt das Jahr ein Weinjahr. 
Aber neben der Freude bringt es auch Grund zu 
weinen, Es regnet mehr Prügel als sonst im trauten 
Famillenkreise, wenn die Väter unsichern Schrittes 
heimkommen, das Eheleben entbehrt der Harmo- 
nie, Es ist eine alte Erfahrung: wenn der Wein gut 
ist, geraten die Menschen schlecht. Die Kinder, die 
im Dunstkreise des Dämon Alkohol erzeugt und 
geboren werden, gedeihen schwer, sie erlernen 
das Einmaleins ‚langsamer als andere, und wenn 
sie später nicht ein günstiger Wind in jene Höhen 
emporbläst, wo kein Befähigungsnachweis mehr 
verlangt wird, bleibt ihr Dasein schwer und unbe- 
holfen. Sie rollen ihr Leben mühsam wie ein Faß 
mit saurem Wein die holprige Landstraße vorwärts, 
die schließlich in den großen Weinkeller mündet, 
in dem wir alle vom feinsten Bordeaux bis zum 
unterschwefelsauren Krätzer verläßlich eingelagert 
werden. 

Zu diesen Minderbegünstigten des Schicksals 
zählte auch Herr Rapp. Sein Leben begann und 
verlief im Zeichen des Weines. Der Vater hatte 
ihm eine kleine Wirtschaft hinterlassen, ein Häus- 
chen mit einem Garten, mit Obstbäumen, einer 
kleinen Bienen- und Hühnerzucht, einem Schweine- 
stall und einigen Gänsen. Außerdem betätigte er 
sich gelegentlich im Weinhandel als Vermittler und 
Sachverständiger. Das trug auch eine Kleinigkeit. 
Und schließlich, nach dem ewigen Naturgesetz, 
daß dort, wo schon etwas Ist, noch etwas hinzu- 
kommt, erbte er von einem Onkel ein kleines Ka- 
pital. Auch dieses stammte vom Wein her. Denn 
der Onkel war ein geschätzter Weinbeißer gewe- 
sen und hatte sich, nachdem er vierzig Jahre lang 
in Ehren Wein gebissen hatte, mit einem ganz net- 
ten Vermögen zur Ruhe gesetzt, von dem bis zu 
seinem Tode noch nicht einmal drei Viertel ver- 
trunken waren, 

So konnte Herr Rapp leben, und was die Haupt- 
sache ist, er konnte trinken. Das war Ihm das 
Liebste. Denn von den drei Dingen, die man lie- 
ben muß, um nicht ein Narr zu sein: Wein, Weib 
und Gesang, liebte er eigentlich nur den Wein. 
Trotzdem war er bereits zum drittenmal verheira- 
tet, getreu dem Erfahrungssatze, daß gerade Jene 
Männer am öftesten heiraten, die besser täten, 
ledig zu bleiben. Rapps erste Frau,'die er als an- 
gehender Vierziger heimgeführt hatte, war ein blut- 
Junges Ding, zart, klein und schüchtern. Sie liebte 
ihren Gatten aufrichtig. Er war damals noch ein 
stattlicher Mann. Seine Nase war noch nicht ge- 
tötet, Sie stand, oder besser gesagt, sie hing 
noch vor Sonnenaufgang. Und er trug den küh- 
nen Schnurrbart „Es ist erreicht”. 

Sie betreute ihn mit großer Hingebung, die er mit 
ebensogroßer Selbstverständlichkeit entgegen- 
nahm. Sie plagte sich von früh bis spät im Garten 
und in der Wirtschaft, Sie sorgte für die Bienen, 
sie fütterte die Hühner, rief sie mit Namen und 
numerierte gewissenhaft die Eier. Die Schweine 
hatten es gut bel ihr, die Ferkel gediehen präch- 
tig und erzielten besondere Preise auf dem Fer- 
kelmarkt. Am besten aber hatte es Herr Rapp. Das 
Essen war gut und reichlich und immer pünktlich 
auf dem Tisch. Die Stube glänzte vor Sauberkeit, 
die blütenweiße Wäsche duftete nach Sonne und 
frischem Wind. Alles wäre gut und schön gewe- 
sen, wenn es keinen Wein gegeben hätte. Jeden 
Abend nahm Herr Rapp Hut und Stock und ging 
zum „Weißen Elefanten“, von wo er nie vor Mit- 


ternacht heimkehrte. Der Wein machte ihn streit- 
lustig und später immer rücksichtsloser und gröber. 
Die junge Frau bewies eine unendliche Geduld. 
Sie nahm alles hin und bemühte sich nach Kräften, 
ihm das Trinken abzugewöhnen. Oft konnte man 
sie gegen Mitternacht mit einem Tuch um die 
schmächtigen Schultern, vor dem Weißen Elefan- 
ten stehen und ans Fenster klopfen sehen. Drinnen 
tobten die Zechbrüder, der Wirt schimpfte, und 
aus den Nachbarhäusern flogen alte Schuhe ge- 
gen die Wirtshausfenster. Wenn Herr Rapp end- 
lich aus dem Tor gestolpert kam, hatte sie die 
Aufgabe, ihn mühsam an den anderen Wirtshäu- 
sern vorüber nach Hause zu bugsieren, und war 
glücklich, wenn er endlich im Bett lag und 
schnarchte. 

Später blieb er ganze Tage und Nächte aus. Er 
versäumte keine Kellerpartie. Dort ist das Trinken 
eine Wissenschaft. Nur der vermag sich im Keller 
zu behaupten, der genau weiß, wie man die 
Schichten zu legen hat: erst Geselchtes, dann 
Wein, dann fetter Speck mit Schwarzbrot und 
wieder Wein, dann kaltes Schweinernes und aber- 
mals Wein, dann ein viertel Meter Salami oder ein 
Dutzend Knackwürste und nochmals Wein und so 
weiter. Der Anfänger, der das nicht richtig macht, 
muß nach einer halben Stunde unter dem Tisch 
hervorgezogen und ins Spital gebracht werden. 
Aber dem Wissenden ist unsäglich wohl und 
nirgends gedeiht der Humor so fest und spit- 
zig wie ein schwarzer Rettich, Einmal saßen die 
wackeren Kämpen schon lange beisammen und 
ihre streitenden Stimmen polterten wie hohle 
Weinfässer durch das kühle Gewölbe. Herr Rapp 
war schwer beleidigt, weil ihm einige vorwarfen, 
daß er weniger als sie vertrage. Das ist in einer 
Weingegend die schrecklichste Ehrenbeleidigung. 
Rapp war so gekränkt, daß er die Gesellschaft ver- 
lassen wollte. Die Zechbrüder hatten aber die Kel- 
lertür versperrt. Da faßte Herr Rapp den toliküh- 
nen Plan, durch den Nachbarkeller zu entweichen. 
Er begann sich in die Zwischenwand aus Lehm 
einzubohren. Die anderen bemerkten ihn anfangs 


Die Limonade - La limonata 


a 


{Hanna Nagel) 





85 


nicht, sondern meinten, er läge unter dem Tisch 
Als sie wieder hinsahen, steckte Herr Rapp be. 
reits tief im Erdreich und krabbelte mit Armen 
und Beinen wie ein riesiger Mistkäfer. Die Zecher 
waren sehr gespannt auf den Erfolg, Noch ge 
spannter aber war die Lederhose Herrn Rapps 
Das verleitete die Anwesenden, gegen den noch 
sichtbaren Teil der Persönlichkeit Rapps ein Trom 
melfeuer mit heurigen Kartoffeln zu eröffnen. Das 
tat sehr weh. Denn fast jeder Schuß war ein Trei 
fer. Gern wäre Rapp wieder zurückgekrochen, 
Aber er steckte fest wie ein Spund im Weintaß 
und es blieb Ihm nichts übrig, als auszuhalten, bis 
der ganze Mezertzentner verfeuert war. Dann be 
rieten die Scharfschützen, wie man ihn befreien 
könne. Einer schlug vor, ihn mit einem Pfropfen- 
zieher wie einen Kork herauszuziehen. Ein anderer 
beantragte, ihn mit einer Pulverladung zu spren- 
gen. Schließlich einigten sie sich darauf, ihm an 
jedem Fuß eine Kette anzubinden und mit verein- 
ten Kräften anzutauchen, Mit viel Geschrei, mit 
Hoh und Ruck, stemmten sie sich an und plötzlich 
lagen alle auf der Nase, Aber Herr Rapp war nicht 
entzweigerissen, bloß die Stiefel hatten nachge- 
geben und schwammen nun in einem See von ver- 
schüttetem Wein. Jetzt beschlossen sie, die Sache 
gründlicher zu machen. Sie befestigten die Ketten 
an seinen Beinen und spannten draußen einen 
Ochsen ein, den sie durch Poltern auf leeren Wein- 
fässern und wildes Indianergeheul erschreckten. 
Alsbald waren die Beine Herrn Rapps zu dünnen 
Heuschreckenbeinen langgezogen und drohten 
abzureißen. Aber die Haltbarkeit des Menschen 
ist groß, Im nächsten Augenblick fuhr Herr Rapp 
bäuchlings bei der Kellertür hinaus und fand erst 
im gegenüberliegenden Kartoffelacker die wohl- 
verdiente Ruhe. Er sah übel aus und schimpfte 
fürchterlich. Es kam zu einem Prozeß, den er zwar 
gewann, aber er mußte einige Wochen lang das 
Bett hüten, bis seine Beine sich wieder auf ihre 
normale Länge zusammengezogen hatten, Seine 
Frau machte den Versuch, ihm in dieser Zeit den 
Wein abzugewöhnen. Doch er wurde wild und be- 
wärf sie vom Bett aus mit allen erreichbaren Ge- 
genständen. Da gab sie den Kampf auf, wartete 
nicht einmal seine völlige Genesung mehr ab, son- 
dern kehrte eines Nachts zu ihren Eltern zurück 
und kam nicht wieder. 

Herr Rapp änderte den Schnurrbart „Es Ist erreicht” 
in eine Art Husarenschnurrbart mit waagrecht 
wegstehenden Spitzen und nahm eine zweite 
Frau, Diese war von anderem Schlage. Groß, 
kräftig und energisch ergriff sie am ersten Tage 
schon das unbestrittene Regiment, Aus dem Herrn 
wurde ein Knecht. Herr Rapp warl nichts mehr, 
sondern würde selbst beworfen. Von einem 
regelmäßigen Besuch des Weißen Elefanten war 
keine Rede mehr. Nur hie und da gelang es Ihm, 
heimlich auf eine Stunde zu entfliehen. Er wurde 
zum Gespött der alten Zechkumpane, und da es 
Ihm an der täglichen Übung gebrach, vertrug 
er weit weniger als früher. Zum Glück wurde 
seine Frau in den Ausschuß einer rührigen Frauen- 
organisation berufen und verbrachte nun man- 
chen Abend außer Hause, Manchmal führ sie 
auch über Land und blieb sogar eine Nacht aus, 
Das waren jedesmal Feste für Herrn Rapp. Kaum 
war sie fort, ellte er im Sturmschritt zum Weißen 
Elefanten. Bald war er wieder im besten Training. 
Sein Ansehen hob sich aufs neue, seine Nase 
färbte sich in kraftvollem Rot, das Leben war 
wieder schön. Er wurde immer kühner und es 
gelang ihm sogar manchmal trotz der Anwesen- 
heit seiner Frau auszureißen. Wenn sie fest schlief 
kroch er leise durch das Fenster im Erdgeschoß 
und erschien im Schlafrock und in Hausschuhen 
im Wirtshaus, wo er mit großem Hallo empfangen 
wurde. Aber auch diese glückliche Zelt fand ihr 
Ende. 

Einmal, als das Zechgelage gegen Mitternacht 
auf dem Höhepunkt angelangt war, begannen 


Der Genesende - Il convalescente 


(A. Kubin) 





die Tischgenossen Herrn Rapp wieder zu hänseln 
und seine hausherrliche Gewalt In Zweifel zu zie- 
hen. Sie verlangten als Beweis, Herr Rapp möge 
Jeizt sogleich nach Hause gehen und ein Span- 
ferkel holen. Der Wirt erbot sich, es zu braten, 
die Tafelrunde, es zu verspeisen. Herr Rapp hieb 
auf den Tisch, daß die Gläser hüpften, und er- 
klärte mit gesträubtem Haar, mit funkelnden Au- 
gen und funkelnder Nase: jJawohl, er werde es 
tun. Sofort! 

Als er durch die kühle Nachtluft schritt, wurde 
ihm ein wenig bange zu Mut, Das Herz sank Ihm 
in die Hose, Er verlor es aber nicht, weil diese 
unten mit blauen Bändern zugebunden war. Er 
beschloß, nicht mit Gewalt, sondern mit List zu 
handeln. Leise kroch er über den Zaun in den 
Garten, schlich sich auf den Zehenspitzen zum 
Stall und schob den Riegel zurück. „Psch, psch“, 
machte er, um unter väterlicher Güte sein schwar- 
zes Vorhaben zu verbergen. Dabei tastete er 
mit beiden Händen nach einem Ferkel. Aber nun 
zeigte sich, daß sich alles in der Weltgeschichte 
wiederholt. Die Gänse, die schon im Altertum 
besser als die Menschen bedrohte Staaten zu 
reiten verstanden, retteten auch hier das Ge- 
meinwesen. Vor dem Stall hatte sich nämlich 
eine Gans zur nächtlichen Ruhe niedergelassen. 
Herr Rapp trat ahnungslos auf sie. Laut trompe- 
tete die Gans und fuhr mit den Flügeln schla- 
gend unter ihm davon, Er fiel mitten in die Fer- 
kel hinein, die ein entsetzliches Geschrei erho- 
ben. Die alte Sau schoß in panischem Schrecken 
hervor und rannte im Garten wie wahnsinnig 
herum, wobei sie sämtliche Bienenstöcke umwarf. 
Die erschreckten Gänse vollführten einen Höllen- 
lärm, die Hühner flatterten irrsinnig gackernd 
durcheinander, der Hahn, in der Melnung, es sei 
schon Morgen, begann schlaftrunken zu krähen. 
Frau Rapp, verstärkt durch einen Knotenstock 
und einige Nachbarn, kam herbeigestürzt und alle 


schlugen im Finstern auf den vermeintlichen Dieb 
los. Herr Rapp wehrte sich tapfer, Er packte die 
Ferkel bei den Schwänzen, schwang sie wie 
Handgranaten im Krelse und warf sie den Fein- 
den an die Köpfe. Schließlich aber unterlag er, 
übel zugerichtet, dennoch der Ubermacht. 

Aus diesem Vorfall ergab sich ein Rattenkönig 
von Prozessen, von denen der einfachste und 


Besuch aus Fabelland 


Ein Heuschreck, grün und riesengroß, 
sprang aus dem Garten in das Zimmer, 
und nicht nur einer Dame in den Schoß — 
nein, seine Kühnheit war noch schlimmer: 
Er hüpfte weiter, immer weiter, 

bis unter ein Vergrößerungsglas, 

wo er dann sitzen blieb und heiter, 

als wollt’ er sagen: „Also bittel” saß, 


Die Sache ward zum Teil verbösert, 

weil kleine Kinder ängstlich schrien, 

denn sie erblickten ihn furchtbar vergrößert, 
doch andrerseits genoß man ihn 

als Fabeltier mit holdem Grausen 

und zog die Wunder Gottes in Betracht. 


Auf einmal hüpft’ er wieder — schnipp — 
nach draußen. 


Wer weiß, ob er die drinnen’ nicht belacht? 
PETER SCHER 


86 


kürzeste der Ehescheidungsprozeß war. Als alles 
erledigt war, bürstete Herr Rapp den Schnurrbart 
abwärts und blieb ein paar Jahre allein, Er war 
froh, daß er bei der ganzen Sache mit einer 
blauen Nase davongekommen war, 

Er war schon ein alter Mann, als er die dritte 
Frau nahm, Er durfte nicht mehr hoffen, In einem 
Frauenherzen vulkanische Leidenschaften zu ent- 
zünden. Diese Ehe stand im Zeichen der neuen 
Sachlichkelt. Er bedurfte der Pflege für seine 
schon schwer beweglichen Glieder. Die Frau hin- 
gegen fand In dem Gedanken an die ansehnliche 
Erbschaft die Kraft und Ausdauer, deren sie für 
unbestimmte Zeit bedurfte, Mit größter Sorgfalt 
pflegte sie Herr Rapp, den die Gicht grausam 
in allen Gelenken zwickte. Da er nur noch selten 
zum Elefanten ging, brachte sie ihm den Wein 
ins Haus, „Trink nur, trink, wenns dir schmeckt, 
Josef”, sagte sie freundlich. Sie brachte ihm so- 
gar auch Siiwowitz, an den er sich rasch ge- 
wöhnte. Sie gab Ihm einen halben Liter täglich 
und schüttete, so herzensgut war sie, noch ein 
Achtel Rum dazu, Als ihm der Doktor auch das 
Rauchen verbot, stopfte sie trotzdem seine 
Pfeife, so oft er wollte, Ja sogar noch öfter. So 
gut war sie. 

Rapp trank und rauchte, und nun machte er spät 
die seltsamste Erfahrung seines Lebens, Er be- 
gann diese Frau zu lieben. Er sah sie gerne ins 
Zimmer kommen, und manchmal, wenn er das 
Glas ansetzte, nickte er ihr zu. Er merkte mit 
Befriedigung, wie sie den von der Vorigen ver- 
wahrlosten Garten wieder in Ordnung brachte, 
wie sie die Ferkel günstig verkaufte und das 
Geld auf die Sparkasse trug. Der Gedanke, sei- 
ner Frau dies alles hinterlassen zu müssen, be- 
reitete ihm viel weniger Schmerz als die beiden 
ersten Male, Ihr zuliebe nahm er noch täglich 
einen Viertelliter echt russischen Wodka, beson- 
ders gut für die Gesundheit, wie sie sagte. „Alles 
gehört dir, wenn mich einmal der Gangerl holt“, 
sagte der alte Rapp zärtlich, Die Frau seufzte 
kaum hörbar. 

Aber der alte Rapp starb nicht. Im Gegenteil, 
Als Im Frühjahr die Grippe kam, nahm sie Frau 
Anna mit, und der alte Rapp war wieder allein. 
Uber achtzig Weinjahre zählte nun sein Leben. 
Aber er hielt es noch fest, Er ging sogar wieder 
zum Elefanten. Dort hauste längst ein anderer 
Wirt. Die Zechbrüder hatten sich verlaufen oder 
waren gestorben. Der alte Rapp sitzt nun allein 
in seiner Ecke und nickt mit dem Kopf. Zuweilen 
greift er nach dem Glas, Die Hand zittert so 
stark, daß er fast die Hälfte des Weines ver- 
schüttet. Er öffnet den zahnlosen Mund, aber 
Glas und Lippen wollen lange nicht zusammen- 
kommen. Geduldig wackelt er mit dem Glas hin 
und her, die Augen glänzen, die Nase strahlt In 
violetter Pracht, der Mund zittert — endlich hat 
er es erschnappt und tunkt den spärlichen 
Schnauzbart tief in das köstliche Naß. 

Seit einiger Zeit ist aber der alte Rapp nicht 
mehr allein. Ein unsichtbarer Gast sitzt bei Ihm. 
Die anderen sehen ihn nicht, aber er sieht ihn 
gut und spricht mit ihm. Er erzählt ihm von Anna, 
der dritten Frau, die er geliebt hat. Da werden 
seine Augen feucht, „Alles hätt’ ihr gehört. Und 
jetzt hat sie noch vor meiner die Krax'n g’machtl” 
seufzt der alte Rapp. „Macht nichts'‘, lacht der 
Gangerl, „wirst's auch bald machen. Prost, Rapp, 
wer mehr vertragti“ Das kann der alte Rapp nicht 
hören und alsbald setzt er an und trinkt und 
trinkt. Der Gangerl trinkt auch, Aber der alte 
Rapp sieht nicht mit seinen halb erblindeten 
Augen, daß der Gangerl schwindelt. Was er 
oben trinkt, läuft ihm unten zwischen den Rippen 
wieder hinaus. Deswegen kann ihn auch der 
Stärkste nicht besiegen. Es wird ein Wein sein, 
und der alte Rapp wird nicht mehr sein. Es hilft 
ihm nichts, er muß verspielen. Weil der Gangerl 
immer gewinnt, 


Der Unterschied R-Kttosch) 





„Siehst, Lizzi, wenn ich bloß ein Mensch wär’, tät ich sagen, du gefällst mir, 
weil ich aber ein Maler bin, sag’ ich, schau’, daß d’ oben 'rum voller wirst!“ 


La differenza: "Vedi, Lizzi, s’io fossi soltanto un uomo, direi: ‘Mi piaci!,. 
Ma, siccome sono un pittore, ti dico: Guarda di diventare piö piena sopral,, 


87 


DASZSCHIEOSSTAMEMIEER 


VON HANS B. WAGENSEIL 


Mit Recht glaubt man, außergewöhnliche Taten 
drückten dem Schauplatz ihres Geschehens einen 
bleibenden Stempel auf. So spricht man von der 
Lieblichkeit oder Melancholie eines Ortes, ohne 
doch sagen zu können, auf Grund welcher Merk- 
male sich einem diese Stimmung mitteilt. Glei- 
cherweise gibt es grausige, verruchte Orte. Bei 
ihnen Ist es, als hätten die Dämonen, deren ent- 
fesselte Bosheit einstmals hier getobt hat, sie 
zu ihrer bleibenden Wohnstatt erkoren. 

Jedem von Salnt-Jean-de-Luz zufällig des Weges 
kommenden Wanderer, der das unweit derspani- 
schen Küste gelegene Baskenschloß Merret sieht, 
teilt sich ein ähnliches Gefühl mit. Das fragliche 
Schloß liegt heute fast in Ruinen da. Seine ver- 
witterten Fensterläden hängen schief und zer- 
borsten an rostzerfressenen Angeln; der Park ist 
völlig verwildert. Dennoch hat sich über Genera- 
tionen hinweg die Kunde von dem Drama erhal- 
ten, das sich einmal in seinen Mauern abgespielt 
hat, Wenn der Bericht während seiner Weiter- 
gabe von Mund zu Mund vielleicht auch ver- 
färbt und entstellt worden ist, so mutet er doch 
glaubhaft und lebendig an. Folgendes erzählt 
sich der Volksmund: 

Damals, als die Zinnen noch nicht zu morschen 
Mauerzähnen zerbröckelt waren, sondern stolz 
und lanzengerade gen Himmel starrten, wurde 
das Schloß von dem Grafen und der Gräfin Mer- 
ret bewohnt, Der Graf war ein südländisch heiß- 
blütiger, stolzer Mann, während die Gräfin füg- 
sam und friedfertig war, lieblich anzusehen von 
Angesicht. Vor allem aber hielten ihr die Um- 
wohner zugute, daß sie mit Recht für eine unge- 
wöhnlich fromme und gottesfürchtige Frau galt. 
Jedenfalls war sie ihrem Mann in allem gehorsam 
und zu Willen. Auch in jenem Sommer, als sie 
von einer leichten Krankheit heimgesucht  dalag 
und der Graf — angeblich um sie nicht zu in- 
kommodieren — In ein im oberen Geschoß ge- 
legenes Schlafzimmer verzog, beklagte sie sich 
nicht, Vielleicht begrüßte sie es sogar, ihr gro- 
Bes, ebenerdig gelegenes Zimmer, das Ausblick 
auf den bezaubernden Garten und das Meer ge- 
währte, allein zu bewohnen. An dem einen Ende 
des Raumes befand sich ein offener Kamin, am 
andern ein großer eingelassener Schrank, in dem 
die Kleider der Gräfin hingen. 

Während der Krankheit seiner Frau verbrachte 
Merret seine Abende im Stadtklub, wo er Karten 
spielte oder politische Gespräche führte. Zu 
jener Zeit wimmelte es in der Stadt von spanl- 
schen Kriegsgefangenen, denen der Kaiser Na- 
poleon gegen Ehrenwort Bewegungsfreiheit be- 
lassen hatte. Unter ihnen war auch ein unge- 
wöhnlich Junger und hübscher spanischer Grande, 
der sich meist allein hielt und weite Wanderun- 
gen in die Umgegend machte. Einer der Stall- 
knechte wollte ihn sogar gesehen haben, wie er 
spät nachts unweit des Schlosses einsam im 
Meere badete, 

Der Schloßherr begab sich immer geradeswegs 
auf sein Zimmer, wenn er aus der Stadt heim- 
kehrte. In einer Herbstnacht aber, als er spät aus 
dem Klub kam, ließ er seine Handlaterne am Fuß 
der Treppe stehen und schritt den steinernen 
Bogengang hindurch geradeswegs zum Zimmer 
seiner Frau. Gerade als er vor der Tür stand, 
glaubte er, die Tür von Madames Schrank sich 
rasch schließen zu hören. Als er aber ins Zim- 
mer trat, lehnte seine Frau am Kamin. „Du kommst 
spät”, sagte sie rasch. In diesem Augenblick kam 
das Kammermädchen Rosalie aus der Halle her- 
ein. Demnach hatte also nicht sie die Schranktüre 
zugemacht. Rosalie sah Zweifel, dann Zorn sich 
im Gesicht ihres Herrn malen. Sie eilte aus dem 
Zimmer, blieb aber draußen stehen und hörte 
Ihn mit eisiger Stimme sagen: „Madame, es ist 
jemand in Ihrem Schrankl" 

Seine Frau erwiderte ganz schlicht; „Nein, mein 
Gebieter.” Er ging auf den Schrank zu, aber seine 
Frau hielt Ihn zurück: „Wenn Sie niemanden drin- 
nen finden, ist alles zwischen uns zu Ende — und 
zwar für immer.” 

Er sah sie durchdringend an, „Schön, sagte er. 
„Ich werde ihn nicht aufmachen. Hören Sie zu: 
Ihr Seelenheil und die Hoffnung auf ein Fortleben 


bedeutet Ihnen viel. Schwören Sie mir, daß sich 
niemand drinnen verborgen hält — und die Türe 
bleibt geschlossen.” 

Sie ergriff ihr Kruzifix — ein seltsames spani- 
sches aus Ebenholz und getriebenem Silber. 
Ohne zu zittern legte sie die Hand darauf und 
sagte: „Ich schwöre es.” 

„Rufen Sie Ihr Kammermädchen!” befahl er. Als 
Rosalie kam, sagte er zu ihr: „Geh und hole 
Gorenflot, den Maurer. Heiße ihn seine Kelle 
mitbringen, und die noch im neuen Stall liegen- 
den Ziegelsteine und den Mörtel.“ Erschrocken 
tat Rosalie nach seinem Befehl. Als sie den ver- 
dutzten Maurer anbrachte, erteilte der Graf seine 
Weisungen: „Maure diese Schranktüre rasch und 
ohne Fragen zu stellen zu. Mache deine Arbeit 
gut — und es soll dir nicht mehr an Geld feh- 
len — solange du zu schweigen verstehst. Das 
gleiche gilt für Rosalie.’ 

Er blieb da und sah zu, während der Maurer sich 
ans Werk machte. Einmal hieß die Gräfin Rosalie, 
ihr ein Umhängetuch bringen, und ihre eiskalte 
Hand hielt die Finger des Mädchens fest: „Sage 
Gorenflot, er solle ein Luftloch lassen... Irgend- 
wiel” flüsterte sie Ihr zu. Und sagte dann laut: 


„Geh und hole noch ein paar Kerzen, damit der 
Maurer besser sehen kann.” 

Abgesehen von dem leisen Schaben der Kelle 
herrschte Stille. Die Wand wuchs zusehends hö- 
her. Als sie halb fertig war, benützte Gorenflot 
einen Augenblick der Unaufmerksamkeit seines 
Auftraggebers, als dieser ihm den Rücken kehrte, 
um mit einem Schlag seiner Kelle die schmale 
Glasscheibe im oberen Gesims des Schrankes zu 
zertrümmern. Ein Augenpaar, dunkel vor Ent- 
setzen, starrte heraus — aber kein Laut war zu 
hören. Es tauchte unter, als der Graf sich um- 
wandte, 

Mit Tagesgrauen war das Werk vollendet. Der 
Graf rief seinen Diener: „Meine Frau ist erkrankt”, 
sagte er. „Ich möchte sie nicht allein lassen, 
Trag uns die Mahlzeiten hier herauf.“ 

Zwanzig Tage lang blieb Graf Merret im Zimmer 
seiner Frau. Manchmal, während der ersten fünf 
Tage, war ein leises, ersticktes Stöhnen aus dem 
Schrank zu hören. Dann schrie die Gräfin, halb 
ohnmächtig, auf. Aber der Graf gebot den Wor- 
ten, die sie sagen wollte, rasch Einhalt: „Sie ha- 
ben beim Kreuze geschworen, daß sich niemand 
dort drinnen befindet. Das genügt mir.” 

Bald war nichts mehr zu hören, nur noch Ma- 
dames leises Weinen. Die Umwohner wunderten 
sich, als das Schloß plötzlich leer stand, 

Auch nach dem Tode der beiden, die getrennt 
voneinander starben, wurde es nie wieder be- 
wohnt. 


NÄCHTLICHE TRAGÖDIE 


VON WENCESLAO FERNÄNDEZ FLÖREZ 


Eines Nachts stieg ich um zwei Uhr morgens im 
Dunkel — das Stiegenlicht hatte eine Panne — 
in Gedanken verloren die Treppe zu meiner 
Wohnung hinauf. Als Ich den Schlüssel aus mei- 
ner Tasche ziehen wollte, entglitt er meinen Hän- 
den und fiel hinab. Deutlich hörte ich, wie er 
zweimal gegen das Aufzugsgitter schlug und tief 
unten auf einem Treppenabsatz liegen blieb, 
Das Leben hat mich schon schwer geprüft, aber 
nichts läßt sich mit dem vergleichen, was nun 
meiner harrte. 

Der Ernst meiner Lage war mit keineswegs sofort 
klar und so blieb ich zunächst abwartend stehen, 
wie wenn der Schlüssel von selber wieder kom- 
men oder sich von unten melden müßte. Mein 
erster Gedanke war zwar albern, aber — Sie 
werden das zugeben — von strenger Logik. Als 
ich nämlich den Schlüssel unten aufschlagen 
hörte, dachte ich: 

„Jetzt ist er hin.” 

Dann fing ich an, langsam die Stufen hinabzustel- 
gen. Ich hatte mir überlegt, daß der Ausreißer 
zwischen dem ersten und zweiten Stock liegen 
müsse, Ich stieg also vorsichtig hinunter. Als 
Nichtraucher hatte ich keine Streichhölzer bei 
mir, zum Haustor konnte ich auch nicht hinaus, 
denn der Nachtwächter hatte hinter mir abge- 
schlossen. Als ich im ersten Stock zu sein glaubte, 
drehte ich mich um und stieg verkehrt hinunter, 
um mit den Händen die einzelnen Stufen abzu- 
tasten. So gelangte ich, wie mir schien, bis zum 
Zwischenstock. Dann ging Ich behutsam wieder 
hinauf, Der Schlüssel war nicht zu finden. Also 
ging ich wieder hinunter. Vergeblich. Der Schweiß 
drang mir aus allen Poren: Da.beschloß ich, das 
Suchen aufzugeben und ganz einfach an meiner 
Wohnungstür zu läuten. In der undurchdringlichen 
Finsternis hatte ich jedoch die Orientierung ver- 
loren, ich wußte nicht mehr, in welchem Stock- 
werk ich mich befand. ” 

„Ich gehe ganz einfach zur Haustüre zurück und 
zähle die Stufen”, sagte ich mir, 

Noch war ich aber keine zwei Treppen hinabge- 
stiegen, stand ich schon vor der Haustüre. Das 
machte mich stutzig, denn meiner Berechnung 
nach mußte ich mindestens im dritten Stock ge- 
wesen sein. Ich unternahm also neuerdings den 
Aufstieg. Aber kaum war ich bei der zwanzigsten 
Stufe angelangt, hörte die Treppe überhaupt auf 
und ich stieß rings um mich an lauter Wände. 
Also wieder zum Haustor zurück. Ich fluchte leise, 
bewährte aber Immerhin noch eine gewisse 
Ruhe. Bei meinem neuen Abstieg waren es auf 


88 


einmal sechsundfünfzig Stufen. Verwirrendi Also 
wieder hinauf. Nun geschah etwas ganz Selt- 
sames. Die Stufen schienen gründlich verändert, 
die einen wuchsen bis zu einem Meter Höhe an, 
während die anderen fast im Boden versanken. 
Bei jedem Tritt aber stieß mein Fuß ans Stoß- 
brett und verursachte einen betäubenden Lärm, 
der im Treppenhaus wie Kanonendonner dröhnte. 
Ich blieb erschrocken stehen, mein Herz begann 
wild zu klopfen, 

Nun hatte ich die Übersicht total verloren, Eines 
aber war sicher: ich mußte mich, gering gerech- 
net, mindestens im zwölften Stock befinden, Ich 
setzte mich ein bißchen nieder, dann erklomm 
ich weitere fünfzehn Stockwerke. 

In Madrid müssen die Häuser schrecklich hoch 
sein. Ich überlegte, daß das Haus, in dem ich 
wohne, doch gar nicht so viele Etagen hat. Gro- 
Ber Gott, ich war am Ende gar nicht im richtigen 
Haus...? 

Welches Haus in Madrid hat denn siebenund- 
zwanzig Stockwerke? Siebenundzwanzig... sie- 
benundzwanzig... 

Die Augen quollen mir aus dem Kopf, mein Herz 
schlug wie rasend und verzweifelt rang ich die 
Hände, als ich mir sagen mußte: keines. 

Nein, wirklich keines. Es gibt in Madrid kein 
siebenundzwanzigstöckiges Haus... Gütiger Gott, 
war ich denn überhaupt In Madrid? 

Meine Nervosität wuchs. Ich mußte mich wieder 
niedersetzen. Kalter Schweiß stand mir auf der 
Stirn. 

„Ruhel Ruhel” ermahnte ich mich. „Denken wir 
doch einmal vernünftig nach. Wann hätte Ich 
denn den Zug bestiegen?” 

„Heute nicht, gestern auch nicht. Das ganze Jahr 
nicht.” 

Der Gedanke des Wolkenkratzers wurde zur 
fixen Idee und erweckte in mir eine Kette düste- 
rer Vorstellungen. 

„Ich muß in New York sein”, stöhnte ich. „Ma- 
donna, wie bin ich denn dahin gekommen...? 
Ich bin verloren!" 

Auf der Treppe sitzend barg ich das Gesicht in 
den Händen und überließ mich meinen trüben 
Gedanken. Meine Existenz ist vernichtet. Wie 
soll ich denn in Amerika mein Brot verdienen, 
ich kann ja kein Wort Englisch. Und selbst wenn 
man mich wieder nach Spanien transportiert, was 
soll aus einem Menschen werden, der in der Zeı- 
streutheit von einer Hemisphäre zur anderen 
reist, ohne sich nur im geringsten über die Fol- 
gen klar zu sein...? Mein Leben war zerstört. 


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liche Ticken einer großen Uhr. Nichts ist geheim- 
nisvoller und von so unerklärlichen Lauten erfüllt 
wie eine dunkle Treppe In den ersten Morgen- 
stunden. Alle Spukgestalten unserer Kindheit hu- 
schen über die Stiegen, die blutleeren Gespen- 
ster unserer Alpträume keuchen asthmatisch die 
Stufen herauf und tappen ächzend durch das 
Dunkel. Sie kommen, gehen und verlieren sich in 
den Stockwerken, sie husten, räuspern, raunen, 
schlurfen.... 

Diese Betrachtungen sind für einen Menschen, 
der Im dunklen Treppenhaus seinen Schlüssel ver- 
loren hat. keineswegs trostreich. Ich machte mich 
also wieder auf die Suche Ein endloser Gang 
schlen sich vor mir zu öffnen, meine Hände stie- 
Ben an ein Gitter. Ich fand eine Klinke. Ich be- 
rührte sie zaghaft und versuchte festzustellen, 
wo Ich mich befand. 

Da hörte ich unten schwere Tritte. Sie kamen 
















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näher. Schon waren sie unter mir, da rief ich: 
„Wer da?“ 

Der Fremde blieb stehen. Eine Stimme, die aus 
meinen Stiefelsohlen zu kommen schien, treo e 
bebend: 

„Wer da oben?“ 

„Wer da unten?“ beharrte ich. 

Stille. Dann fragte die Stimme: 

„Was tun Sie denn da oben?” 

„Ich habe mich verlırt.‘“ 

„So, so sagte der Mann im Dunkel, 

Dann hörte ich ein leichtes Schnappen und einige 
unsanfte Worte auf die Unzuverlässigkeit der 
automatischen Feuerzeuge. 

„Wo sind Sie denn eigentlich?‘ fragte der Un- 
bekannte. 

„Ich glaube, Ich stehe an einem Gartengliter, 
weiß aber nicht ob innen oder außen, Ich habe 
zwar eine Klinke in der Hand, getraue mir aber 
nicht daraufzudrücken.” 

„Es wird wohl die Aufzugstüre sein?” 

Ich schwieg einen Augenblick. 





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„Nein“, sagte ich dann mit Festigkeit, „denn meine 
Füße stehen auf einer Wiese. Soeben rupfe ich 
ein paar trockene Gräser aus.” 
„Mir scheint”, grunzte der Fremde, „Sie ruinieren 
den Abstreifer der Frau Gonzälez. — Trinken Sie 
gerne Kognak?” 
„Überhaupt nicht.” 
„Ja dann... Sind Sie etwa ein Einbrecher? Sagen 
Sie es offen, 
„Nein, Ich bin kein Einbrecher. Sie können un- 
besorgt heraufkommen.'* 
„Verrücktl” brummte er, 
Ich vernahm ein leises Knarren, wie wenn sich Je- 
mand auf den Zehenspitzen entfernt. Dann mußte 
es der Mann mit der Angst gekriegt haben, denn 
plötzlich sprang er in wilden Sätzen die Treppe 
hinab... 

Ich aber setzte mich traurig mit dem Rücken 
gegen das Gitter und wartete bis der Tag an- 
brach. 


(Aus dem Spanischen von Helma Flessa) 





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Ich hatte dieser Tage in Wien den Tapezierer Im 
Haus. Das kleine Zimmer wurde und wurde nicht 
fertig. Am fünften Tage fragte ich den Tapezierer 
verärgert: 

„Bei Treßlers waren Sie in zwei Tagen fertig und 
bei mir brauchen Sie für das gleiche Zimmer fast 
eine Wochel” 


Der Tapezierer schmunzelte vertraulich: 

„Pudelns Eahna net auf, Herr Direktorl Schaun $', 
bei Treßlers war die Köchin sechzig und bei Ihnen 
ist das Stubenmäder! sechsundzwanzig — i möcht 
wissen, wie lange Sie hier tapezieren möchten, 
wann Sie tapezieren täten!” ®.HR. 


* 


Meine Frau wollte einen Laubfrosch haben 

Ich hasse Frösche. 

Kitty ließ nicht nach. 

Fünf Jahre redete sie auf mich ein. 

Am Tage, bevor ich den Laubfrosch kaufte, ging 
ich mit ihr in die Skala. Ein Fakir stand auf der 
Bühne. Er schluckte Degen, fraß Feuer und stach 
sich scharfe Dolche durch alle vier Backen, Tau- 
send Mark waren dem versprochen, der Ähnliches 
Imstandel 

Ich ließ es mir nicht zweimal sagen. 

Ich sprang auf und eilte auf die Bühne. 


Dort ergriff ich ein Messer und stach es mir in 

den Bauch. 

Einmal. Zweimal, Dreimal. 

Kein Blut, kein Schmerz, nichts! 

Direktor Duisberg ständ starr: 

„Wie machen Sie denn das, Verehrtester?“ 

Ich lachte: 

„Ein kleiner Trick! Ich stoße mir das Messer ein- 

fach in das loch, das mir meine Frau seit fünf 

Jahren wegen dem Laubfrosch in den Bauch ge- 

redet hat.” I. HR. 
* 


Grat Bobby ging durch den Wiener Wald. 

Er traf einen Schulfreund. 

„Servus, Pepperl! Was machst denn im Wiener 
Wald?” 

„Ich sammle Käfer und ein paar Schwammerln 
zum Mittagessen!” 

Graf Bobby erschrak: 

„Was du net sagst! Ja, schmeckt denn das zu- 
sammen?” I. HR. 





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9 





BEGEGNUNG IM ZWIELICHT 


Petersen stapfte über den aufgeweichten Feld- 
weg zu der kleinen Bahnstation. Sein Herz und 
sein Gepäck waren schwer an diesem Tag, einem 
der trostlosesten Tage In einem der trostlosesten 
Landstriche. 

Auf den regengetränkten, grauschmutzigen Fel- 
dern und den überschwemmten Wiesen hockten 
Nebelkrähen, die einzigen Gäste In diesem men- 
schenleeren Raum. Der Himmel war verhangen, 
die Bäume standen ohne Laub, heimtückisch weh- 
ten die Winde, und die am Wegrand zusammen- 
gewehten modernden Blätter erinnerten an Grab- 
hügel, 

Immer wieder verwarf es Petersen, im Kampf ge- 
gen seine schmerzenden, erlahmenden Arme die 
beiden Koffer abzusetzen; er befürchtete die Be- 
tührung des funkelnagelneuen Gepäcks mit dem 
überall schlammigen Boden. 

Die Bahnstation in der Ferne schien immer gleich 
klein zu bleiben; unendlich dehnte sich der Weg 
durch den trüben Tag. Alle hundert Meter drehte 
Petersen sich um und hielt nach rückwärts Aus- 
schau, ob sich vielleicht nicht ein Bauerngefährt 
nähere, Durch dieses dauernde Umwenden be- 
kam er einen steifen Hals und ein böses Ziehen 
im Nackenwirbel, Dazwischen fluchte er unab- 
lässig auf den Jungen, der das Gepäck zur Bahn 
bringen sollte und ausgeblieben war. Dann zählte 
er 1500 Schritte, dann nochmals 800, und schließ- 
lich, endlich, wurde der kleine Bahnhof etwas 
gıößer. - 

Die Ermüdung ließ ein wenig nach, denn je näher 
der Bahnhof kam, desto intensiver konnte sich 
Petersen Über dessen Aussehen ärgern, so daß 
er manchmal den Schmerz in 
den Armen aus lauter Wut 
über den Bahnhof vergaß. Der 
Bahnhof war aus unverputzten, 
nun vom vielenRuß geschwärz- 
ten Ziegeln erbaut. Im Unter 
teil war es ein sachlicher Bahn- 
hof; der obere Teil mit zwei 
angeklebten Türmchen erin- 
nerte an das Burgenzeitalter. 
Der Bahnsteig war vollkom- 
men menschenleer. Petersen 
ontsann sich, daß nach den 
Aussagen der Dorfbewohner 
eigentlich nur zwei Züge, früh- 
morgens und abends, Fahr- 
gäste halten; sie wurden von 
den in der Kreisstadt beschäf- 
tigten Landbewohnern benutzt. 
Der Schalter im kleinen Innen- 
raum des Bahnhofes war ver- 
hangen, auch hier zeigte sich 
keine Menschenseele, jedoch 
zog es stärker als in anderen 
Bahnräumen. 

Petersen setzte die Koffer ab, 
wischte sich den Schweiß aus 
der Stirne und begann, die 
Aufschriften an den Wänden 
zu studieren. Um sich Innerlich 
zu beruhigen, seine Wut ab- 
klingen zu lassen, las er zwölf- 
mal hintereinander das Schild, 
das auffordert, nicht auf den 
Boden zu spucken. Dann ging 
er zur Lektüre eines Steck- 
briefes über, in dem ein Mann 
gesucht wurde, der eine recht- 
winklige Narbe am Oberarm 
besaß, 1,70 groß war und 
grüne Unterhosen auf seiner 
Flucht benutzt hatte. Außer- 
dem trug der Mann einen sehr 
auffälligen Schnurrbart, wobei 
die Polizei aber gleich ver- 


VON KURT GROOS 


merkte, daß der Gesuchte ihn sich inzwischen 
vielleicht habe abnehmen lassen. Auch diesen 
Steckbrief las Petersen wiederholt; er war das 
Interessanteste in diesem nüchternen Raum. 
Bis zur Abfahrt des Zuges blieb noch eine halbe 
Stunde. 

Erst jetzt entdeckte der einsame Fahrgast, daß 
dieser trostlose Bahnhof noch einen zweiten 
Raum hinter einer hohen dunklen Tür besaß, den 
Warteraum. 

Petersen klinkte die Tür auf, und es schlug ihm 
aus dem Halbdunkel, in dem er undeutlich ein 
paar Bänke und Tische, einen alten gußeisernen 
Ofen und einen Palmstumpf entdeckte, eine stik- 
kige, modrige Luft entgegen, 

Aber einen Vorteil bot dieser im Zwielicht dop- 
pelt kahl und häßlich wirkende Raum: man konnte 
sich setzen. 

Petersen ließ sich auf die der Tür am nächsten 
stehende Bank nieder, warf den Hut auf den stau- 
bigen Tisch und preßte das Gesicht in seine 
Hände. Er seufzte tief, verfluchte den unglück- 
lichen Tag, die Landschaft, den Bahnhof und sich 
selbst. In dem Augenblick, als er die Hände von 
seinem Gesicht nahm, schien ‚es ihm heller ge- 
worden; aber es war nicht heller geworden, das 
Auge hatte sich an das fahle Zwielicht des Rau- 
mes gewöhnt. 

Zusammen mit dieser Entdeckung des Heller- 
werdens machte Petersen eine zweite, als er 
den Kopf zur anderen Hälfte des Raumes 
wandte, eine Entdeckung, die ihn seltsam er- 
schütterte, verwirrte und auf rätselhafte Weise 
verzauberte. Er war nicht allein in diesem grau- 


Winterliche Gartenfigur - Figura in glardino in veste invernale 
IK. Rössing) 





samen Raum. Er schloß für einen kurzen Augen- 
blick die Augen, und als er sie wieder öffnete, 
kam eine bange, wehe und, süße Erregung in sein 
Blut. Links, neben dem gußeisernen Ofen, erblickte 
er eine Frau, der die Götter alles, aber auch alles, 
geschenkt hatten. Petersens Herz pochte schnel- 
ler, seine Hände wurden heiß und er preßte sie 
auf die kühle, staubige Tischplatte. h 
Die Dame, sie trug einen aufgeschlagenen, pelz- 
gefütterten dunkelroten Wildledermantel, sah etwas 
gezwungen über ihren Warteraumgefährten hin- 
weg, aber sie lächelte dabei, ein Lächeln wie es 
Petersen nur von wenigen Frauen geschenkt be- 
kommen hatte. Gut, mochte sie wegsehen, aber 
dieses Lächeln sagte so viel, so viell 

Zu Füßen der Dame standen zwei schweinslederne 
hellgelbe und ein bläulicher Koffer, außerdem 
ein schwarzlackiger Hutbehälter. 

Petersen fühlte, daß eine solche Frau alles Leben 
ganz hell und alle Liebe unvorstellbar schön ge- 
stalten würde. Er zählte seine Jahre und prüfte 
seinen Mut — es schien ihm wie ein vermessener 
Traum, Wünsche zu stellen, die für ihn schon über 
allen Irdischen Glückseligkeiten stehen mußten. 
Immer wieder glitt sein Blick über die Fremde. 
Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen und 
wußte vielleicht gar nicht, daß ihr Rock sich nach 
oben verschoben hatte. Diese Art des Sitzens, 
die Petersen sonst als peinlich empfunden hätte, 
war hier von beklemmendem Reiz, Aber das selt- 
same, etwas kindliche, etwas wissende, in allem 
doch so damenhafte Antlitz löschte jeden Zwei- 
fel; das Gesamtbild zeigte dem Anbetenden 
immer wieder, wie die Götter verschwenden und 
sich hinschenken können. Uber 
der linken Brust, vielmehr 
über dem linken Herzen, trug 
die Fremde ein großes silber- 
getriebenes Y. Sie heißtYvonne, 
dachte Petersen, Yvonne oder 
Ypsilon. Gerade als der Ver- 
zauberte tiefer über diesen 
Namen nachdenken wollte, riß 
es ihn wie mit einem kalten 
Stich aus aller Grübelei — 
aus der Ferne kam der schrille 
Pitif des nahenden Zuges. 
Petersen zuckte zusammen, er 
raffte den Hut und die Koffer 
an sich und stand so ruck- 
artig auf, dad die Bank gegen 
die Wand schlug. 

Die Lokomotive pfiff wieder, 
näher. 

Einige Sekunden stand Peter- 
sen hochaufgerichtet und starr 
in dem trostlosen Raum, Er 
horchte auf das Nahen des 
Zuges, und er schaute auf die 
fremde Frau. Er wußte, daß 
sie nicht mitfahren würde, 
nicht mit diesem Zug, über- 
haupt nie, nie mit.ihm fahren 
würde. Er ging nun, und sie 
blieb. In seine Augen kam 
ein aufbegehrendes Funkeln, 
er dachte, daß andere Men- 
schen nach ihm... Er konnte, 
er wollte es nicht zu Ende 
denken — der Zug lief drau- 
Ben ein. 

Mit ein paar schnellen Schrit- 
ten wär Petersen neben dem 
Ofen, stieg auf die Bank und 
zerriß in einer wollüstigen An- 
wandlung das Plakat der 
Dame mit dem Y über dem 
linken Herzen in zwei große 
traurige Fetzen. 


Bange Frage 


(K. Heiligenstaedt) 





„Ob Heinz wohl schielt? Immer spricht er von meinen seelenvollen Augen und sieht dabei auf meine Beine!“ 


Domanda inquietante: “Che Heinz sia forse guercio? Parla sempre dei miei occhi tanto espressivi e guarda invece le mie gambe!,, 


93 


DER VETERINÄR 


VON PAL JSANDER 


Die Kleinstadt hatte einen Arzt und einen Vete- 
rinär; der Arzt hatte zwei Töchter, der Veterinär 
eine tiefe Liebe zu der älteren der beiden. 

Mit dem Bürgermeisterwechsel im Spätsommer, 
da der alte irgendwie an den Kurgeldern der 
Sommergäste kleben geblieben, kamen auch die 
neuen Doktoren; denn der neue „podestä” war 
ein reform- und organisationsliebender Geist, So 
trafen sie sich, der Arzt und der Veterinär, und 
entdeckten bald voneinander, daß sie gleiche 
Interessen hatten und dieselben Steckenpferde: 
die Jagd auf Rebhühner und den Rotwein. Der 
Veterinär sah Giovanna, des Arztes ältere Toch- 
ter, verliebte sich in sie, spürte die Verllebtheit 
zu einer tlefempfundenen Liebe reifen; und schon 
war es Herbst, womit die Vorgeschichte ein Ende 
und die eigentliche Erzählung ihren Beginn hat. 
Es war Herbst, die Zeit der Weinlese. Diese war 
den tleißigen Winzern Belohnung für alle ihre 
Mühen während des Jahres, für das Setzen, Dün- 
gen, Pfählen, Behauen. Sie hatten die roncala, das 
sichelförmige Krummesser, geschwungen, Dung in 
Körben auf ihren Rücken geschleppt, gebunden, 
gebrochen, gegraben, gerührt, geschwefelt. Zu- 
letzt, im Sommer, die reifenden Trauben gespritzt. 
Oh, es war ein großes Stück Arbeit gewesen, 
und das wurde nun belohnt, 

Die Sonne, die die Kleinstadt so selten im Stich 
gelassen während des Sommers, hatte Ihren Teil 
dazu gegeben, und die Ernte ward gut, viel 
besser als im vergangenen Jahr, da es viel ge- 
regnet hatte und der Wein sauer gewesen war, 
so sauer, daß die Gastwirte öfters hatten Klagen 
hören müssen. 

Noch selten hatte der Goldhauch des Herbstes 
so viele und so süße Trauben gebracht, und die 
Weinlese war lustig. Die in den weiten Wein- 
gärten verstreuten Winzer und Winzerinnen san- 
gen sich gegenseitig fröhliche Lieder zu, und die 
Sonne war wieder warm, sie wollte aus der 
„vendemmia” eine noch sommerliche Angelegen- 
heilt machen. Männer und Frauen, Knaben und 
Mädchen sammelten fleißig ihre Lägel voll, die 
Trauben wollten kein Ende nehmen, sie wurden 
in schweren Tragkörben zu den Schlitten ge- 
bracht, die auf den steinigen Pfaden warteten, 
und die Fahrt nach der Kleinstadt hinab war für 
die Kinder, die zwischen den Körben umher- 
kletterten, ein wahres Fest. Als man in der Stadt 
ankam, hatten die Kinder blaue Gesichter und 
Hände; aus manchem Korbe. tropfte schon der 
Traubensaft. Und dieser war für die Erwachsenen 
der Höhepunkt des Festes, denn er gab die 
schönste Festzeit des Jahres, die sieben Tage 
anhaltenden Mostfeiern. 


Der Arzt und der Veterinär feierten mit, es war 


ihnen so recht nach dem Herzen. Und der Vete- 
rinär nahm die glückliche Gelegenheit wahr; er 
hielt zwischen einem Liter und dem anderen bei 
dem Freund um Giovannas Hand an. 

Gott, so etwas gab es auch! Dem Arzt war es 
ein Neues, er spülte es mit dem roten Most her- 
unter, aber nicht zu tief, denn er mußte es wieder 
hervorholen, um es Frau Margherita, der guten 
Gattin, in die Hände zu legen. Und Glovanna 
lachte hell auf, als die Mutter es ihr weiter- 
gegeben, über diesen Gockel von einem Vete- 
rinär. 

Der Veterinär, ein schmächtiger Mittdreißiger, 
hatte drei grundlegende Fehler: er war sehr klein, 
sehr eitel und glaubte, bei den Frauen unerhörte 
Aussichten zu haben. 

Der größte dieser Fehler war seine Eitelkeit, die 
trieb pyramidale Blüten, 

Wenn er über die Straße oder den Platz ging, 
reckte er eigenartig Brust und Hinterteil heraus, 
und seine Schritte waren tänzelnd wie die eines 


Maultiers. Die linke Augenbraue hielt er stets 
ein wenig in die Höhe gezogen, was ihm eine 
ungemein wichtige Miene verlieh, aber auch eine 
sehr abgefeimte, glaubte er. Er hatte kleingelock- 
tes, schon leicht gesprenkeltes Haar und ein 
Schnurrbärtchen ohnegleichen, das ihm nur so auf 
die Oberlippe gehaucht schien. Im ganzen waren 
seine Bewegungen von einer gewissen Spann- 
kraft und Form, doch er war so klein! Neben ihm 
war der Arzt ein Monumentalbau, und leider war 
Giovanna das Ebenbild ihres Vaters... 

Der Tierarzt war der bestangezogene Mann der 
Kleinstadt; er trug stets die figurgerechtesten 
Anzüge aus weichem, anliegendem Stoff: eine 
Dummheit bei seinen kurzen Beinchen und den 
bereits erwähnten, stetig herausgereckten „zwei 
Balkons des Veterinärs‘, wie sie Giovanna nannte. 
Und, da sein großer, runder Kopf dem Körper 
eine viel zu schwere Krone war, wirkten auch 
seine breitkrempigen Hüte nach Künstlerart nur 
lächerlich an ihm. Doch dies alles war ihm nicht 
bekannt; so betörte er in einem fort brust- und 
gesäßreckend, strampelnd und abgefeimt drein- 
schauend die kleinstädtische Weiblichkeit. Dar- 
über hinaus war er ja Dr. med, vet.! Er fühlte sich 
also wohl; und dem ist zuzuschreiben, daß er die 
Beherztheit besaß, um Giovannas Hand anzu- 
halten, 

Die aber trieb ihm verschiedenes aus, denn sie 
war aller Barmherzigkeit bar. 

Es war Herbst, die Zeit der Weinlese und der 
Mostfeste in der Kleinstadt. So kam es, daß der 
Arzt und der Veterinär öfters einmal ein wenig 
mehr zu sich nahmen von der roten Flüssigkeit, 
als ihre Gehirne ungetrübt zu vertragen vermoch- 
ten. Und so kam es auch, daß einmal In des Arz- 
tes Haus eine Nacht hindurch gefeiert wurde, So 
kam es endlich, daß der kleine Veterinär, als er 
sich am berelts späten Morgen reizend, betörend 
von Frau Margherita verabschiedete, nicht dessen 
gewahrte, was sich hinter seinem Rücken ab- 
spielte. Dort kauerte nämlich die ebenfalls an- 
geheiterte Angebetete und vollzog eine nicht 
alltägliche Operation: sie befestigte vorsichtig 
mittels einer Sicherheitsnadel ein großes, buntes 
Handtuch an des Veterinärs unterem Rockinneren, 
so daß es daraus hervorzuwachsen schien wie 
eine kühnfarbige Schleppe. 

Beim Abschied spendete Giovanna ein Lächeln, 
voll von nie gesehener Verheißung!... 

Der Veterinär strampelte über den Platz, an der 


DER WEINHÄNDLER 


Er lieft die goldenblaue Etikette 

und lächelt übers Angeficht. 

Der Wein des alten Pedro Marchandette 
mie Feuer aus der Flafche bricht. 


So kann man ruhig in die Polfter finken 

und blinzeln und vergnüglich fein. z 

Der Pfarrer und der Arzt wird davon trinken, 
vielleicht auch noch der Rat von Stein. 


Die Sonne fehimmert um die Fenfterftätte 

und hat im Römer Spielerei genug. 

Wie liebensmwürdig ift der Namenszug 

des alten Herren Pedro Marchandette! 
Albert Hiemer 


Post vorüber, vor der viele Leute des Briefträgers 
harrten; und seine Schleppe machte ihn zu einer 
kleinen Majestät. Das undankbare Publikum lachte, 
aber es war ein so tückisches, heimliches Lachen, 
daß es die kleine Majestät nicht erreichte, So 
wippte der Dr. med. vet. arglos weiter, durch 
die halbe Kleinstadt seiner Wohnung zu, und 
oben auf dem Balkon des Arzthauses stand 
kichernd eine monumentale, angeheiterte Gio- 
vanna und schaute ihm nach, bis er verschwun- 
den und allein den Augen und dem Spott anderer 
übergeben war. 

Zu Hause angelangt, warf sich der Veterinär auf 
sein Bett und schlief unmittelbar ein. Ähnlich er- 
ging es der Angebeteten, denn auch sie war 
müde von der Mostfeier; so schliefen sie beide 
bis in den Nachmittag hinein. Dann aber trafen 
sie sich wieder auf dem Platz, und der Veterinär 
trug seine Schleppe noch immer. Giovanna konnte 
sich eines prustenden Lachens nicht erwehren; 
Gott, sie war noch so jung und vielleicht nervös 
wie alle Mädchen ihres Alters, und stand zum 
ersten Male vor einem Heiratsantrag: so etwas 
ruft in Jungfräulichen Herzen und Köpfen die 
eigenartigsten Reaktionen hervorl... Die Leute, 
die sie umgaben, wurden angesteckt, auch sie 
ließen sich zu etwas mehr als nur einem Lächeln 
hinreißen, und der Veterinär grinste mit, doch 
war das seine ein elegantes, beherrschtes Grinsen. 
Man hatte den Eindruck, ja, das Ist ein lustiger 
Herbsttag; er paßt so richtig in die Zeit der 
Weinlese. 

Die Kleinstadt schmunzelte, lächelte, griente und 
lachte, barst vor Lachen — je nach dem Tem- 
perament ihrer jeweiligen Vertreter vor: der 
Schleppe der kleinen Majestät. 

Am Abend endlich, als er zu Bett ging, fand der 
Veterinär das Handtuch, das ihn, so glaubte er, 
vom Betörer zur lächerlichen Figur gemacht hatte. 
Ein ohnmächtiger Zorn überfiel ihn — viel wurde 
ihm klar von der Heiterkeit aller, die er getroffen 
an diesem Tage; und sein Zorn war tatsächlich 
ohnmächtig, denn er wußte nicht, gegen wen 
sich richten. Es mußte jedoch in dem Arzthause 
geschehen sein, daß man dem Veterinär diesen 
gemeinen Streich gespielt. Und er schimpfte, 
schimpfte, bis er den Entschluß faßte, auf etwas 
zu warten, was Ihm beim bloßen Gedanken wieder 
alles gab, was er zuvor besessen: der Missetäter 
mußte sich bei ihm entschuldigen, ihn um Ver- 
gebung bitten! Giovanna zuliebe würde er sich 
auch großzügig zeigen, 

Vorerst verlleß er nicht sein Zimmer. Er spielte 
den Kranken. Wartete. Wartete zwei Tage lang. 
Am dritten endlich erschien das Dienstmädchen 
der Arztfamilie und übergab einen verschlosse- 
nen Umschlag. 

Ob sie auf Antwort warten solle? Nein, 

Der Umschlag trug Giovannas Schriftzüge. An 
Herrn Dr. med. vet. Glraldi, Da reckte sich etwas 
an dem kleinen, gekränkten Mann; der Brief mußte 
das Ja enthalten; die Bitte um Vergebung für 
einen kleinen Missetäter, vielleicht das Brüder- 
chen der Angebeteten; den Schwur ewiger 
Liebe... Und seine Finger flogen, als er öffnete. 
Dann las er: 

„Leber Dr. Giraldi! 

Sie sind In der ganzen Stadt eine lächerliche Per- 
son geworden. Sie werden mir nicht verübeln 
können, wenn ich, um meine Familie nicht dem 
Spott der Stadt preiszugeben, Ihren Antrag ab- 
lehne. Zudem sind Sie in meinen Augen durch 
Ihre fingierte Krankheit, die eine große Feighelt 
verrät, um viel gesunken. Über diesen Umstand 
kann meine Großzügigkeit, die zuvor Ihre kleine, 
schmächtige Gestalt und Ihre lachhafte Eitelkeit 
übergangen, nicht hinwegsehen. Ich hoffe auf Ihr 
Verständnis. Giovanna.” 


Der Veterinär war einige Augenblicke wie ge- 
lähmt; dann schritt er zum Spiegel, vor dem ihm 
eine urkomische Grimasse entfuhr und ein kleines 
Winseln wie das. eines jungen Hundes... 





Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlingor $: 





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Obstverteilung - Spartizione di frutta 























er sich ohne Sündenfall! 


“....e poi si allontanö senza il peccato originale!,, 


Gedanken am Atlantik eg 





„Die Methode wäre nicht schlecht, es fragt sich nur, welchen Köder man verwenden soll!" 


Pensieri sulle coste dell’ Atlantico: “I! metodo non sarebbe cattivo; solo occorre sapere qual sorta d' esca si deve adoperare!,, 


96 





TEA N ah 1 253 Ir 2 7 


48. Jahrgang / Nummer 7 30 Pfennig 


SiMPLICisSimUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN 





Der Diktator 


(€. Thöny) 











„Fräulein, Sie stenographieren zu langsam, was glauben Sie, wie schnell ich die Welt aufgeteilt habe!‘ 


Il Dittatore: “Signorina, Voi stenografate troppo lentamente; non sapete con quale rapiditä lo abbia spartito il mondo!,, 


An der alten Karawanenstraße - Lungo la vecchia carovaniera 


(9. Nückel) 





Wettergespräche 


Es geht doch nichts über die gemäßigte Zone, 
und zwar über den nördlichen Tell der gemäßig- 
ten Zone. Komme mir etwa keiner mit den Tropen! 
Ewig blauer Himmel, und wenn er nicht gerade 
blau Ist, so regnet es um punkt drei Uhr nachmit- 
1ags genau zwei Stunden lang, in der Regenzeit 
zum Beispiel. Wie kann man in so einer Gegend 
übers Wetter sprechen? 

Bei uns aber ist das Wetter eine anregende Sache, 
ein ewiger Gesprächsstoff. Mit den fremdesten 
Menschen kann man sich übers Wetter unterhalten 
und niemals wird man dabei anstoßen, niemand 
wesentlich verletzen. Was soll man in den Tropen 
sagen? Mit der Feststellung, daß es heute wieder 
sehr warm ist, kann man keinen Hund hinter dem 
Ofen weglocken, denn heute ist es heiß, morgen 
ist es heiß und übermorgen wird es genau so 
heiß sein, Aber bei uns, da geht was mit dem 
Wetter vor, namentlich In diesem Monat. Jedem 
Unbekannten, den Sie auf der Straße treffen, kön- 
nen Sie mitteilen, daß wir heuer einen ganz un- 
gewöhnlichen Monat haben, und jeder wird Ihnen 
darauf erwidern, daß man um Gotteswillen auf 
diese trügerische Temperatur nicht bauen dürfe, 
es könne womöglich noch Schnee geben, ja viel 
leicht noch Frost, und das würde für die Veg: 
tion ein großer Schaden sein. „Bedenken Sie nur 
die Obstblütel” Und Sie bedenken ein Wellchen 
die Obstblüte, fügen noch blühende Kastanien 
hinzu und einige Fliederblüten, und können pro- 
phetisch sagen, daß diesmal das Frühjahr viel- 
leicht eine Ausnahme mache. Die schönste Unter- 
haltung ist im Gange, ja, das Gespräch ist sogar 
sehr aktuell, und, wie gesagt, niemand wird daran 
Anstoß nehmen. Es ist durchaus üblich, am Wetter 
Kritik zu üben, sogar nicht nur wohlwollende Kri- 
tik, obwohl sich am Wetter gar nichts ändern läßt. 
Man kann sogar mit der Faust auf den Tisch 
schlagen und sagen: „Wenn es jetzt nicht bald 
regnet, vertrocknet der ganze Kohlrabi in meinem 














‚so sehr ih den Tropen, 


Garten!‘ Jawohl, das darf man, und der Herrgott 
nimmt es einem nicht mal übel und zieht keine 
Schlüsse daraus. 

In dieser Woche war ich in einer Gesellschaft, 
und wir haben uns vier Stunden damit unterhalten, 
einander mitzuteilen, daß eine geradezu hoch- 
sommerliche Temperatur herrsche. Wir zogen an- 
dere hochsommerliche Temperaturen zum Ver- 
gleich heran, verglichen mit dem Frühling der letz- 
ten Jahre und ließen atlantische Depressionen 


spielen. Es war eine sehr angeregte Unterhaltung, _ 


und es entwickelte sich schnell das schöne Bild 
gepflegter Geselligkeit. Dabei kannten wir ein- 
ander kaum. 

Sehen Sie, das Ist der Segen der gemäßigten 
Zone, hier kann man sich Im Notfall Immer über 
das Wetter unterhalten. Auf diesem Gebiet gibt 
es bei uns immer Überraschungen und die Me- 
teorologie steht meines Wissens ganz außerhalb 
der Politik. 

Jetzt verstehe ich, warum so viele Kenner der 
Tropen sagen, es sei dort langweilig. Bei ewig 
blauem Himmel und auf die Minute vorher be- 
stimmbaren Regenfällen kann natürlich kein rich- 
tiges Gespräch in Gang kommen. Es sei denn, 
man spricht über Kunst, aber unter dem heißen 
Himmel führt auch so ein Gespräch leicht auf ver- 
fängliche Nachbargebiete, und nichts fürchtet man 
Foitzick 





MEIN FREUND JOHANNES 


Wir kannten einen, den die Natur recht schlecht 
behandelt hatte. Dennoch fand er den Mut, sich 
um unsere Freundin Eva zu bemühen. 

„Was soll ich nur tun, um den Kerl loszuwerden?" 
fragte sie uns um Rat. 

„Behandle ihn doch einfach schlecht!“ empfahl 
Martin kurz. 

„Ich fürchte, das wird nichts nützen”, meinte Jo- 
hannes nachdenklich. „Bedenkt doch nur, wie er 
für die Natur schwärmt.” .Bieger 


98 


VOM SAND 


Man meditiert fo allerhand...» 
Wozu zum Beifpiel dient der Sand? 


Bei ausgedehnteren Geländen 

läßt er als Wüfte fich verwenden, 
mo er, durch Aolus entfacht, 

als Sandfturm fich bemerkbar macht. 
Auch gibt es eine Art von Flöhen, 
Die feine Peinlichheit erhöhen. 


Eh’ ung das Fließblatt ward gefpendet, 
hat man als Löfchfand ihn verwendet. 
Der Luftfchut neuerdings zum Glück 
griff wiederum auf ihn zurück, 

meil Löfchpapier, mie klar fich zeigt, 
Brandbomben gegenüber Areikt, 


‚Geriffe Leute pflegt’s zu freuen, 
ihn anderen ins Aug’ zu freuen... 
* 


Schon Diele kurze Lberficht 
bemweift: der Sand kennt feine Pflicht, 


Wenn mir nunmehr noch tiefer blicken 

und der Hiftorie näherrücken, 

dann wird eindeutig offenbar: 

Er Ift und war 

hauptfächlich dazu aufgehäuft, 

daß mancherlei in ihm verläuft. 
Ratatöohr 








Churchills Lied 














1 
ee Sn 


„Was nützet milir mein Afrikaachen, wenn andere drinn spazieren gehn?“ 





La canzone di Churchill: “A che m-I-I-I-I glova la mia Africhetta, se dentro altri vi-i-l-1 sgambetta?,, 


99 


Der Geist von Stalingrad 


(Erich Schilling) 


ug (re eainündeen hy. 


„Du glaubst mich besiegt zu haben, Stalin, und doch wirst du durch mich besiegt werden!" 


Lo spirito di Stalingrado: “Tu, Stalin, credi d’ aver vinto me; ma infine tu sarai vinto da mel, 


100 





Die kleinen Pilze 


Von Tito Colliander-Helsingfors 


Wie alle wirklich eifrigen Pilzsucher ging auch 
Onkel Rudolf am liebsten allein mit seinem Korb 
in den Wald. Dann kann man gehen wohin man 
will oder wo man Pilze findet, und man braucht 
nicht dauernd Hallo und Heda zu rufen, um mit 
seiner Begleitung Kontakt zu behalten. Hallo, wo 
bist du? He, komm hierher, komm und sieh die 
vielen Pfifferlinge. Die Stimmen hallen wider und 
stören die Stille des herbstlichen Waldes. 

Die Pilze verschwinden, pflegte Onkel Rudolf zu 
sagen. Sie verstecken sich, und man findet sie 
nicht, Jedenfalls nicht die richtig frischen, feinen... 
Es glitzerte in seinen Augen, er schmunzelte schon 
bei dem Gedanken an diese kleinen Pilze, die 
verstohlen aus dem Moose zwischen dem gefal- 
lenen Laub hervorlugen. Man muß langsam gehen, 
stehenbleiben, wieder ein paar Schritte tun, jeden 
Fleck Erde genau betrachten, um diese Neu- 
ankömmlinge zu finden, die so vergnüglich an- 
zusehen sind und ausgezeichnet in Essig ein- 
gelegt schmecken, Marzipanpilze nannten wir sie 
als Kinder, wenn wir mit Interesse Onkel Rudolfs 
Korb durchsuchten. Jeden Herbst kam er zu uns, 
um Pilze zu suchen. Wir erwarteten ihn so sicher 
wie den Star und den Buchfink zur Zeit der 
Schneeschmelze und die ersten reifen Walderd- 
beeren zu Johanni. Und er war ein lieber Gast: 
ein stiller und feiner Mensch, hörten wir die Er- 
wächsenen von ihm im Gespräch sagen. 

Aber wenn die Pilze selten waren — es gibt ja 


Vorfrühling in der Mark Brandenburg - Primavera precoce nella Marca di Brandenburgo 


ESS 
DI 





SH 
ISaE 


gute und schlechte Pilzjahre — war Onkel Rudolf 
ganz melancholisch, Nicht so, daß er laut knurrte, 
aber er war gleichsam betroffen, er ging umher 
und wußte nicht richtig, was er anfangen sollte. 
Und dauernd klopfte er ans Barometer und sah 
zum Himmel hinauf und hoffte auf Regen — — 
Ja, Ja, ein ordentlicher Pilzregen wäre nicht 
schlecht, sagten auch die andern, denn gestobte 
Pilze mit neuen Kartoffeln sind ja ein großer 
Leckerbissen, 

In einem solchen Spätsommer hatten wir auch 
einen anderen Gast, eine Tante, denn für uns 
Kinder gehörte sie zu den Alten — aber für On- 
kel Rudolf war sie Jung und anziehend. Ein paar- 
mal war er mit seinem Korb in den Wald ge- 
gangen, aber halte ihn leer zurückgebracht — da 
wußten wir, daß der Fall hoffnungslos war, und 
daß es wirklich keine Pilze in unserer Gegend 
gab. Und Onkel Rudolf wußte das natürlich bes- 
ser als irgend jemand anders, er resignierte und 
wartete auf den Pilzregen, der in diesem Jahr 
nicht kommen wollte. 

Und doch war er nicht so melancholisch wie in 
anderen Jahren, er lächelte und lachte, spielte 
mit der Tante und uns Krocket und schien sich 
ganz wohl zu fühlen, besonders in Tantes Gesell- 
schaft. Man sah sie beinahe immer beisammen, 
und von Pilzesuchen war keine Rede. 

Aber endlich regnete es. Ein herrlicher, warmer 
und tliefgehender Regen, zuerst kräftig und dann 


101 


sachte rieselnd, und er kam zwei Tage vor Tan- 
tes Abreise. Und hatte das Zusammensein mit 
ihr Onkel Rudolf getröstet, während er auf den 
Regen wartete, so spendete ihm nun die Aus- 
sicht auf das Pilzesuchen einen willkommenen 
Trost in der Stunde des Abschieds, Aber nichts 
war natürlicher, als daß er sie zur Bahn begleiten 
und die Reisetasche tragen wollte. 

Sie gingen, Und ich erinnere mich noch, wie 
Mama und Papa ihnen nachsahen, einander zu- 
blinzelten, lachten und sagten: „Warten wir's ab. 
Vielleicht sammelt er...“ Aber als er zurückkam, 
war nichts Besonderes geschehen. Er zog nur einige 
Pilze aus den großen Taschen seines Überrocks 
hervor und sah sehr nachdenklich aus. Was ihn so 
nachdenklich machte, erfuhr ich erst viel später. 
Sie gingen zusammen, er und Tante Elna, sie hat- 
ten reichlich Zeit und brauchten sich nicht be- 
eilen. Sie wechselten nicht viel Worte, Onkel Ru- 
dolf hüstelte und sagte dann unsicher: 

„Tja, nun werden wir uns also trennen...” 

„Ja“, sagte Tante Elna gleich unsicher. Dann 
schwiegen beide. 

„Es war eine schöne Zeit”, fuhr Onkel Rudolf 
nach einer ganzen Welle fort, 

8", sagte Tante Elna. Und wieder schwiegen 
beide. 

Sie kamen an einen Waldhügel, und Onkel Rudolf 
nahm einen neuen Anlauf: 

„Dank Ihnen, es war so schön", sagle er. 
„Meinen Sie?" sagte Tante Elna etwas 
essierter. 

Und Onkel Rudolf rief mit Überzeugung: 
„al Absolutl” 

Nun wandte sie ihm den Blick zu, Aber wie alle 
leidenschaftlichen Pilzsucher, konnie Onkel Rudolf 


inter- 


(C. Sturzkopf) 





Konkurrenz (A Kriesch) 


„Hört mal, Kinners, welchen Beifall der Hengst hat!“ 
„Ja — ja— aber unsere.Beene hat er eben doch nich! 


Concorrenza: ‘Sentite, bambine, che applauso ha lo stallone!,, — "Eh, sl sl... ma pure non ha mica le nostre gambe!,, 


102 





nicht durch den Wald gehen, ohne unausgesetzt 
zur Seite zu blicken, und darum sah er ihren 
Blick nicht. 

Er starte auf einen Punkt im Schatten zwi- 
schen den Baumstämmen, und im nächsten Augen- 
blick hatte Onkel Rudolf die Reisetasche auf den 
Weg neben sich gestellt. 

„Verzeihung“, sagte er hastig. „Einen Augenblick! 
Ich sehe einen entzückenden kleinen Pilzi" 

„Oh, bitte sehr —I” 

Sie sah Ihn in den Wald rennen. 

Das kann vorkommen, dachte sie, und ging dis- 
kret weiter. 

Aber sie mußte lange allein gehen, bevor sie 
seine eilenden Schritte hörte. Da blieb sie stehen 
und wartete. 

„Verzeihung”, hörte sie ihn keuchen. „Ich blieb 
etwas lange, aber sehen Sie, ich fand nicht nur 
einen, sondern drei..." Er lachte verlegen und 
zeigte drei kleine Steinpilze, die entzückendsten, 
die man sich denken kann. 

Aber sie blickte sie gleichgültig an — sie schien 
kein Vergnügen daran zu haben, sie lachte, aber 
verstand nichts von Pilzen. Etwas betreten 
steckte er seinen Fund In die Tasche des weiten 
Überrockes. 

Sie gingen weiter, schweigend. Aber nach einer 
Weile fuhr Onkel Rudolf zögernd fort: 

„Sehen Sie, das ist so wie, ja — wie, wie soll ich 
sagen, wie — Ja — wie nein — wie —" 

«Ja? Wie was?” unterbrach Elna mit einem er- 
munternden Seitenblick. 

Aber wieder sah sie selnen Blick starr in den 
Wald gerichtet. Jeder Pilzliebhaber versteht Ihn: 
es waren ja die ersten Pilze des Jahres, frische, 
niedliche, kleine Steinpilze mit gebogenem Hut 
auf einem festen, weißen Fuß. Gerade solche, die 
wir Kinder Marzipanpilze nannten. Und Onkel 
Rudolf konnte sie nicht stehen lassen. Wieder 
stellte er die Reisetasche hin. 

„Verzeihung“, stammelte er, beinahe Verzweif- 
lung, in der Stimme. „Oh, Verzeihung — einen 
Augenblick Aber ich muß! Ich muß” 

Mit einem Satz war er im Wald verschwunden. 
Leicht errötend, ohne sich umzusehen, ging Tante 
Elna langsam weiter. 

Es dauerte diesmal nicht so lange, bevor sie wie- 
der ‘seine Schritte und gleichzeitig seine ent- 
schuldigende Stimme hörte: 

„Ich genlere mich wirklich, es ist nicht artig von 
mir. Aber ich kann nicht — aber ich kann mich 
einfach nicht halten! Das ist ein — ja, das ist ein 
Bedürfnis.” 

„Ich verstehe”, sagte Tante Elna ganz steif. 

„Sie dürfen mir nicht böse sein”, fuhr Onkel 
Rudolf fort. „Ich glaubte, daß wir uns in dieser 
kurzen Zeit so nahe gekommen sind — ohl Jetzt 
wieder! Ja, Sie mögen mich für unmöglich halten, 
aber —“ 5 

Und wieder sprang er über den schmalen Graben 
am Weg. 

Sie zuckte die Achseln, ging weiter. Schon lich- 
tete sich der Wald, das Stationsgebäude wurde 
sichtbar. Bald würde es zu spät sein... Sie blieb 
stehen. 

„Verzeihung, Verzelhung”, flehte er. „Oh, Ver- 
zeihung. Aber das Ist wie eine Krankheit.” 
„Wie?‘, fragte sie mit deutlicher Ironie. 

Aber Onkel Rudolf merkte ihren Tonfall nicht. 
„Ja“, sagte er, „gerade wie eine Krankheit: Ich 
kann nichts dafür, Aber so bald ich einen Pilz 
sehe —" 

„Oh”, unterbrach sie ihn trocken und. vorwurfs- 
voll. „Wir sind ja erwachsene Menschen — wozu 
also die Komödie? Ich finde jedenfalls, daß Sie 
zu einem Arzt gehen sollten. Nicht wahr?" 
„Einen Arzt?” 

Nun wurde Onkel Rudolf nachdenklich. Er grü- 
belte und wunderte sich noch, als der Zug fuhr. 
Der Abschied war entsprechend. Und als er nach 
Hause kam, sah er noch Immer nachdenklich aus. 


Die Liebe auf den zweiten Blick 


Von Ernst Hoferichter 


Seit drei Tagen war Brigitte verwandelt. Alle 
Schieferfarbe des Alltags war ausgewischt und 
fortgetragen. Das Grüne schien Ihr noch grüner 
und das Rote noch röter zu seln. Was in Ihr Blick- 
feld traf, das hing in einem frisch bronzierten 
Goldrahmen... 

Der Weg ins Geschäft wurde zu einem gewichts- 
losen Wandeln über Wasser. Die Schreibmaschine 
fand sie lustig wie ein Schlagzeug und der Gang 
vom Kassenhauptbuch bis zum Telephon war 
nichts als ein Gleitflug. Sie schrieb ein X für 
ein U und lächelte. Denn seit Donnerstag wußte 
sie, daß ein großes Glück schwindlig machen 
kann. 

Zufällig las sie das Inserat: „Herzenswunsch! Re- 
präsentative Erscheinung, einsamer, edler Charak- 
ter, voll aussichtsreicher Zukunft, sucht aus bis- 
heriger Zurückgezogenheit solides Mädchen mit 
etwas Vermögen zwecks Ehe kennenzulernen. Für 
mein sonniges Wesen mögen meine Wünsche 
sprechen —I" 

Brigitte schrieb hin — und er schrieb her, Sein 
Brief mit Paßfoto berauschte sie. „... das Schick- 
sal hat gesprochen, Auf der Schwelle der Zukunft 
steht das Glück, mit dem Finger am Munde ....!” 
Jedes Wort ward ihr zu seelischem Brotaufstrich. 
Selbst in seinen Gedankenstrichen steckte noch 
Poesie. Brigitte dachte nur noch In Rosa. Und sein 
Bild...! Hier sprachen die Augen und der Mund 
konnte sehen. 

„Der Mann kann nur Arthur heißen!” bebte sle. 
Während der Mittagspause flüsterte Brigitte Ihrer 
Freundin Ella von dem, was überfloß, ins Ohr: 
m..Und heute abend treffen wir uns, Ich fühle 
die Welt auf- und untergehen ...!” 

„Ich habe gestern mit dem Meinigen Schluß ge- 
macht. Liebe ist Kitsch...” 

„Weil du mir neidig bist...| Ich erzähle dir kein 
Wort mehr... 1” 

Der Abend kam wie ein Festzug näher. Brigitte 
hatte sich mit Dauerwellen und den ersten Sät- 
zen, die sie ihm -zu sagen gedachte, eingedeckt. 
Als sie durch die Flügeltüre des Caf& Korso 
schwebte, saß er schon, wie vereinbart, am lin- 
ken Ecktisch. Sie legte vor Erregung den Weg 
vom Eingang bis zum Tisch in Schlangenlinien zu- 





Für den Winter geträumt 


Von Arthur Rimbaud 


Im Winter fahren wir Ineinem kleinen rofa Wagen 
Mit blauen Kiffen, wohlgemut, 

In deffen weichen Polftern, leis getragen, 

Ein Neft von tollen Küffen ruht. 


Du Ichließt die Augen, daß fie nicht am Fenfter 
Des Abenddunkels Fratenfpiel erfchrecht, 

Die fürchterlichen, fchmwarzen Nachtgefpenfter, 
Dämonen, Wölfe, die es auferwecht. 


Doch plößlich ftreichelt deine Wange 
Ein kleiner Kuß - ein närrifch Tierchen fchlüpft 
Hinab den Hals dir, gar nicht bange. 


Du fagft mir: »Suchl« und beugft das Köpfchen 
lange. 

Wir mühn uns alle beide wirklich fehr, 

Das Tierchen auch in feinem Drange, 


Deutich von Gerhart Haug 


103 


rück. Es war ihr, als ob sie wieder das Radfahren 
erlernen sollte! 

Seine ersten Worte vernahm sie wie Gesungenes. 
Was sie zu sagen gedachte, blieb ihr auf der 
Zunge liegen. Er nahm ihr jedes Wort wie einen 
Mantel ab. Sie ließ ihn allein reden und saß in 
der zehnten Parkettreihe. Er fragte und antwor- 
tete auch schon sich selbst, 

Brigitte schnaufte nur hörbar dazu. Sein ganzes 
Wesen fiel als Hechtsprung in ihr Inneres. Schon 
flitzte er in scharfer Kurve von der Begrüßung auf 
sich selbst zurück: 

„Seit Jahren lebe ich einsam —" 

Brigitte fing das Wort „einsam” wie einen Schmet- 
terling von seinen Lippen weg. 

in, ein buntes Leben liegt hinter mir —” 
Sogleich sah sie einen siebenfarbigen Regen- 
bogen durchs Lokal gezogen. 

w..zehn Jahre Bahla de Todos os Santos ver- 
gißt man nicht... 1” 

„Oh, bitte, sprechen Sie nochmals dieses Land 
aus...” flüsterte Brigitte verzaubert, 

Er wiederholte es nicht und erhöhte dadurch seine 
Kraft, 

in..in dieser Stadt begrub ich meinen Glauben 
an die Menschheit —" 

Mitleid überflutete ihr Gesicht. Sie sah Arthur 
nahe einem Abgrund. Ein Schacht tat sich auf, in 
dem er zu versinken drohte. Nur sie allein konnte 
ihn retten... Eine Pause benützte sie, um ihn 
wieder emporzuziehen. “ 
Aber er war durch einen Klimmzug schon in höch- 
ster Höhe: 

ws» Über Nacht begann ich ein neues Leben. 
Der Bankrott ist überwunden... Seit zwei Jahren 
studiere ich Medizin —" 

Brigitte atmete auf. Bahia de Todos os Santos 
versank in Nebel. Es konnte ihm nichts mehr ge- 
schehen — er wär bei ihr. 

Gegen Mitternacht, kurz vor dem Abschied, ver- 
lieh er seinem Dasein wieder einen Schuß Schwere. 
„Tja, das Leben ist nicht leicht... 1" sprach er in 
eine Rauchwolke, 

Wie oft hatte Brigitte selbst schon vor sich her 
gesagt: .das Leben ist nicht leicht.“ Aus 
seinem Munde aber bekam es plötzlich ein ande- 
tes Gesicht. ‘Seinem Herzen enischlüpft, fiel er 
wie Granit in ihre Hand, die er zum Abschied 
küßte. 

Und die Nacht hindurch fühlte sie im Halbschlaf 
die Schwere seines Lebens buchstäblich in Ihre 
Hand gelegt. Das Tapetenmuster ringelte sich zum 
Namen „Arthur. Neben dem Nachtkästchen be- 








“ gann der Abgrund. Auf der Bettvorlage war Bahla 


de Todos os Santos abgebildet. Unterm Türrahmen 
stand der Geliebte im Ärztemantel, weiß und 
leicht. Aus der Seitentasche sah sein Reflexham- 
mer hervor. Lächelnd trat er an ihr Bett heran und 
sprach: „Tja, das Leben ist nicht leicht... !"“ Die 
Schärfe seiner Hosenbügelfalten hinderte sie dar- 
än, tröstend seine Knie zu streicheln... 

Der kommende Tag war mit Vorfreude auf das 
nächste Wiedersehen ausgefüllt. „Punkt acht unter 
der Normaluhr...!“ Er kam zehn Minuten zu spät. 
Er lächelte. Aber Brigitte fühlte: nur — um da- 
hinter eine Sorge zu verdecken. 

„Arthur, was hast du?” 

Er schwieg vornehm und küßte ihre Hand, in der 
vom gestrigen Tage noch granitschwer lag: „...das 
Leben ist nicht leicht. Auf dem Weg zum See- 
haus sprach er von seinem Studium und ließ In 
den Kies. ab und zu einige medizinische Fach- 
ausdrücke fallen. Brigitte pickte sie wie goldene * 
Körner auf, 

ır.. daß wir uns gefunden haben, das tichtet mich 


Die andere Seite - L’altra parte 





„Schau, Liebling, jetzt setze ich 


{R. v. Hoorschelmann) 


mir eine Menschenmaske auf!“ 


2 „Aber, Bimbo, wo bleibt da die Affenwürde!" 


"Vedi, mio caro, adesso mi melto una maschera di uomo!, 


auf. Und wenn ich das Examen hinter mir habe, 
dann wird—I" sprach er plötzlich ohne Übergang. 
Brigitte welnte vor Glück. Die Tropfen flelen hör- 
bar auf seinen Panamahut. Wellen und Wogen 
brausten über sie her. 

Er fühlte Ihren Puls und zählte leise dazu. Von 
der Ludwigskirche her schlug es dreiviertel EIf. 
„Und jetzt sag mir deine heimliche Sorge...!” 
'hauchte Brigitte Ihm Ins Ohr. 

w..mein Examen kostet, was.ich nicht habe... 
Ich bring’ das häßliche Wort nicht über die Lip- 
pen...” 

m. Geld?” jubelte Brigitte befreit und setzte 
hinzu: ...Was mein Ist, das ist dein... 1" 
„Sprich nicht davon... 1" 

„Ich habe ein Sparkassenbuchl” Sie gingen nach 
Hause, er wartete unten. 

Brigitte Übersprang drei, vier Treppen. Und schon 
war sie wieder an seiner Seite. Im Licht des 
Fünfminutenbrenners las sie ihm die Summe der 
Einlage aus dem Buche: „...mit Worten: fünl- 
tausend Mark.” 

Er quittierte ihre Gabe mit vielen Küssen. „... Und 
am Sonntag auf Wiedersehen!’ Aber ein Stadt. 
telogramm kam am Mittag: „Wegen Examenarbi 
ten dringend verhindert. Mit Kuß — Arthur.” = 
Brigitte war nicht traurig. Sie zitterte und bangte 
nur: „Daß er die Prüfung bestehen möge...!” 
Die Ungewißheit der Entscheidung überfiel sie mit 
flebernder Spannung. Und schon- war sie auf dem 
Wege zu Frau Morasch, Quellengasse 19, dritter 
Hof, vierter Stock links, zweimal läuten... 

Ein Gesicht, wie ein gebratener Apfel, sah runze- 
lig durch den Türspalt. 

„Frau Morasch, Sie müssen mir pendeln...“ 
„Ah, ich sehe, Sie sind verliebt...i” 

„Ja, das erstemal im Leben...! Und er ist ein 
Gott..." 

„Kommen Sie herein —I" 

In der Wohnküche lag der Geruch von ange- 
branntem Sauerkraut. Am Fensterbrett stand ein 
Aquarium mit Goldfischen. Aus den Ohren der 
Frau Morasch sahen Wattepfropfen. 

„Haben Sie seine Fotografie...! Legen Sie das 
Bild auf den Tisch..." 

Frau Morasch zog aus dem Nähkorb ein Bern- 
steinpendel, das an einer Seidenschnur befestigt 
war, Sie wickelte das Ende des Fadens um ihren 
Zeigefinger — und schon schwang das Pendel in 








— "Ma, bimbo, dove sta allora la dignitä di scimmia?,, 


Kurven und Elipsen. Es tanzte über Arthurs Brust- 
bild und schlug aus wie ein Füllen. 

„Der liebt sie heiß und stürmisch... Seine Ab- 
sichten sind lauter und rein... in elnem Jahr seid 
ihr vereint... 1” 

Brigitte vibrierte wie eine elektrische Klingel, Ihr 
Puls trommelte vor Freude. 

„Fräulein Brigitte, Sie haben Glück... Ich spüre 
heute meinen goldenen Hausgeist... Odstrahlen 
durchfluten mich aus der vierten Dimension... 1" 
„Fragen Sie, bitte, das Pendel — ob er das Exa- 
men besteht ,...?” 

n».. Goldener Dämon! Ich frage dich...! Ja...! 
Er besteht alle Prüfungen — und sogar glän- 
zend...” schnaufte Frau Morasch. 

„Ich danke Ihnen...! Sie haben mich beruhigt. 
sprach Brigitte und legte fünf Mark auf das Wachs- 
tuch des Küchentisches. 

Selig und des goldenen Hausgeistes eingedenk, 
eilte sie nach Hause. 

Im Briefkasten lag ein Eilbrief. Sie öffnete ihn 
wie einen Reißverschluß, 

„Mein Liebling! Ich arbeite Tag und Nacht 
durch. Und alles für dich, für uns...! Aber ich 
brauche noch dringend Literatur, wissenschaft- 
liche Fachwerke. Dreihundert Mark genügen! Tau- 
send Küsse in Eile und Not! Dein Arthur.” 
Brigittes erster Gedanke stürzte sich auf ihre 
goldene Armbanduhr, auf ihr Samtetul mit zwölf 
silbernen Löffeln und auf den Fotoapparat. Sie 
lief damit zum Tändler und schrieb an Arthur 
zurück: 

..ich bin glücklich, daß Du arbeitest. Das Ge- 
wünschte liegt bereit. Ich erwarte Dich am Sams- 
tagabend um sieben Uhr bei mir...! Ewig Deine 
Brigitte.” 

Drei Stunden zu früh war sie mit den Vorberei- 
tungen für seinen ersten Besuch fertig geworden. 
Der Teetisch sah festlich aus wie ein Hochaltar, 
Zwischen dem Weiß der Tassen wuchsen rote 
Rosen. Servietten spielten Pyramiden. 

Und aus der Zuckerdose sahen, wie durch einen 
Türspalt, sechs Fünfzigmarkscheine hervor... 
Vorfreude fuhr in ihr Karussell. Wie eine Vestalin 
umschritt Brigitte den Tisch, sah hier noch eine 
Falte, die zurechtzulegen war und zog dort 
ein Lachsbrot über den Rand der Vorlegeplatte. 
Dadurch hatte sich das Kuchenmesser in seiner 
Lage verschoben und mußte wieder verführerisch 


104 





unter die erste Apfelschnitte gelegt werden. 
„Der wird sich freuen...” jubelte sie vor sich 
hin und trommelte mit den Fingern den Einzug 
der Gladiatoren auf die Fensterscheibe. 
Vorwegnehmend ließ sie den Geliebten im Geiste 
Immer wieder durch die Türe kommen. 
„Das Examen macht mich noch verrückt, 
sie ihn sagen. 

„Jetzt ruh’ dich aus...!” lacht ‘sie und nimmt 
sein Gesicht wie ein Gefäß in ihre Hände. Aus 
seinen Mundwinkeln fließt das Bächlein Schel- 
melel. Und seine Augen werden zu Waldseen. 
Farnkraut im Haar und Lianengestrüpp ist sein 
Haar... 

Dann löste sie Ihn wieder zu Nebel auf, Immer 
wieder ließ sie ihn zergehen, damit er wieder 
kommen konnte... 

Plötzlich läutete die Klingel Sturm. Einen Augen- 
blick lang wußte Brigitte nicht, ob sie dieses 
Läuten in ihr Spiel hineingedacht hatte oder ob 
es aus Wirklichkeit gemacht war, Gewohnheits- 
mäßig sah sie auf ihre Armbanduhr, die längst 
schon beim Händler war. 

„Der kann's nicht mehr erwarten... |" War mehr 
Gefühl als Gedanke. Und schon riß sie die Türe 
wie eine Pralinenschachtel auf, 

Draußen stand eine Dame. Brigittes Erwartungen 
schnellten automatisch wie zu weit gespannte 
Gummibänder zurück... 

„Sie sind Fräulein Brigitte...? Ich muß Sie drin- 
gend sprechen.‘ Schon stand die Fremde mitten 
im Zimmer. Sie hatte rote Augenlider. Brigitte 
dachte „wie Kaninchen”, 

„Sie kennen Herrn Arthur? „..Erlauben Sie, daß 
ich mich setze ...?” 

„Und Sie kennen ihn auch —?“ 

„Darf ich mir von Ihnen eine Zigarette nehmen? 
...Ich.bin ohnmächtig vor Erregung. Seit gestern 
habe ich nichts gegessen. ...Erlauben Sie, daß 
ich ein Brötchen ...?" 

„Aber, bitte, so sagen Sie doch —I” hauchte 
Brigitte. 

w..Ich fand bei selnen Briefen Ihre Adresse. In 
seiner Schreibtischschublade unter einem" Pack 
von Briefen war —" 

„Aber erlauben Sie, wie kommen Sie —?” zitterte 
Brigitte. 

„Wenn Sie schon fragen — Ich bin seine Braut....! 
Und er kann leider nicht kommen, denn er wurde 
gestern verhaftet —" 

„Sie lügen...! Spielen Sie mir keine Komödie 
vor...! Er steht mitten im Examen, und in diesem 
Jahr noch werden wir heiraten... 
„Das hat er mir auch versprochen...| Darf ich 
mir eine Tasse Tee einschenken... ich verdurstel 
Ja, Sie und ich, wir sind nicht die einzigen. Heute 
früh fand die Polizei bei der Hausdurchsuchung 
noch sechs bräutliche Spuren... Und meinen letz- 
ten Pfennig hat er mir —" 

„Ich glaube Ihnen kein Wort, Diese Augen, die- 
sor Mund, sein Gesicht... ! Nein, nichts konnte an 
ihm lügen...! schrie Brigitte auf, 

„Wir sind Leidensgefährtinnen...!" sprach die 
Dame und sah dabei auf die Zuckerdose. „Ich bin 
In arger Not... Können Sie mir mit einem kleinen 
Darlehen aushelfen —?" 

„Das Geld Ist für Arthur, Er —" 

„Nach der Verhandlung erhalten Sie es bestimmt 
wieder von mir zurück.” 

„Nehmen Sie —" murmelte Brigitte ohne Bewußt- 
sein. 

„Danke ..:! Und wir werden uns ja wiedersehen.” 
Brigitte hörte die Türe noch ins Schloß fallen und 
die Tritte der Fremden im Treppenhaus verhallen. 
Dann fielen violette Schleier. Scharlachrote Kreise 
tanzten auf der Zimmerdecke. Nebel stiegen vom 
Boden auf und die Wände rückten aufeinander 
zu—— 

Acht Wochen vergingen. „Ich mache die Zeugin- 
nen darauf aufmerksam, daß Sie die reine Wahr- 
heit zu sagen haben, nichts verschwelgen — —" 
ertönte die Stimme des Richters durch den Ver- 
handlungsraum. 

Sechzehn Mädchen und Frauen saßen auf der 
Zeugenbank. Brigitte sah nur auf den Rücken 


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105 


Arthurs. Er trug den dunkelblauen Anzug vom 
Cafe Korso. Seine linke Schulter hatte noch das 
leise Zucken, das sie zum erstenmal sah, als er 
sprach: „...das Leben ist nicht leicht." 
«“.„dreihundertvierundzwanzig Zuschriften erhielt 
der Angeklagte auf sein Inserat „Herzenswunsch“, 
Dreihundertvierundzwanzig Mädchen wollten selne 
Braut werden. Sechzehn wählte er fürs erste aus. 
„Mein sonniges Wesen möge für meine Wünsche 
sprechen!” Der Angeklagte wurde den Frauen 
zum Massengrab. Seine Worte waren Bella Donna 
für süchtige Seelen und Digitalis für heiratslustige 
Herzen. Auf die Liebe schlug er und das Geld 
meinte erl“ ertönte die Stimme des Staats- 
anwaltos. 
w..Waldseen waren 
Mund 
Seele. 
m.«.die Arbeit kannte er nur vom Wegschauen. 
Er lebte von Frauen und Liebe. Die Opfer mach- 


und sein 
Brigittes 


seine Augen 
—"" durchzuckten ferne Bilder 


ten es ihm nicht schwer. Seine Bräute glichen 
jenen Karpfen, die lustig im Fischbehälter herum- 
schwimmen und gleichzeitig schon auf der Spei- 
senkärte stehen... 

Ich beantrage gegen diesen gefährlichen Heirats- 
schwindler, der schon vielfach vorbestraft ist, eine 
Zuchthausstrafe von — —” 
„Fräulein Brigitte, Sie haben Glück 
heute meinen goldenen Hausgeist 
das Pendel. 

„.. eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren. Welter- 
hin stelle ich — — 

w..der liebt sie heiß und stürmisch... 
dazwischen Frau Morasch von weither. 
w.+.stelle ich den Antrag wegen der ehrlosen 
Gesinnung die bürgerlichen Ehrenrechte — —" 
m.«.Seine Absichten sind lauter und rein... 
fluteten die Odstrahlen. 

w.. die Ehrenrechte auf fünf Jahre abzuerkennen 
und — —” 


Ich spüre 
" schwang 





I" sprach 


Der Teetisch schob sich schnell zwischen das Ge- 
richt und Brigitte. Sie hörte noch deutlich die 
Worte: „... den überhelratslustigen Mädchen möge 
auch dieser Fall wiederum zeigen, daß wahllose 
Liebe und lockeres Geld — —" 

Dann wuchsen die roten Rosen aus dem Weiß 
der Tassen. Wie eine Vestalin umschrlitt sie den 
Tisch, schob das Kuchenmesser wieder unter die 
Apfelschnitte und zog das Lachsbrötchen über 
den Rand der Vorlegplatte Nur das Geld ließ sie 
nicht mehr aus der Zuckerdose herausstehen. 
Durch einen jähen Ruck war es vom Tische weg- 
radiert. 

Und sie sah auch nicht, wie Arthur in die Zelle 
abgeführt wurde, 

Der kleine Teetisch wurde wieder zum Hoch- 
altar. Brockenweise versank vor Ihm alles Graue. 
Und jetzt erst fühlte Brigitte, daß sie wahrhaftig 
und echt das Grüne noch grüner und das Rote 
noch röter erleben könnte... | 





GUSITAV LOHSE IB TEIRILIEN 











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106 


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jert. Föllen Sie ihn dashalb ständig mit der leicht 
Menden, farbstarken 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nücken) 






Urias saß bei Belgrad an der Donau und angelte. 
Er hätte gern einen Fisch gegessen. Er hätte auch 
gern ein Mädchen geküßt. Beides ist beim Angeln 
möglich, 

Aber kein Mädchen kam gegangen und kein 
Fisch geschwommen. 





Nur eine Nixe, bildschön, tauchte aus der Flut. 
Urias lief ein Pfützchen auf der Zunge zusammen. 
Dann riß er schnell ein Blatt Papier aus der Tasche 
und heftete es der Nixe an den Schwanz, 

Darauf stand geschrieben: 

„Liebe Göttin Danublal Schicke entweder einen 
gänzen Fisch oder ein ganzes Mädchen heraufl 
Mit halben nackten Tatsachen Ist mir nicht ge- 
dient!” J.H. R. 


* 


Fräulein Agathe von Tottenstjerna war das 
Muster einer bösen Erbtante. 

Mit der Aussicht auf ihre recht ansehnliche Erb- 
schaft hatte diese alte Jungfer seit Jahrzehnten 
die ganze Familie tyrannislert und in der „Furcht 
des Herrn” gehalten. Schließlich tat sie der 
Familie den Gefallen und starb, — und zwar 
ebenso sonderlich wie sie gelebt halte, näm- 


lich genau einen Tag vor Ihrem achtzigsten Ge- 
buristag. 

Voll froher Hoffnung ging die Familie zur Testa- 
mentseröffnung, aber es wurde eine arge Ent- 
täuschung: Tante Agathe hatte die ganze Familie 
enterbt una ihr gesamtes Vermögen einem Stift 
für ehrsame alte Fräuleins vermacht, Die ganze 
Familie schäumte vor Wut, am meisten aber der 
Neffe Adolar, weil er das Geld am nötlgsten 
brauchte und es eigentlich schon einkalkullert 
hatte. — Am nächsten Tag las Adolar Tante Aga- 
thes Todesanzelge In „Stockholms Tidningen”, 
Sie hatte folgenden Wortlaut: 

„In der vorigen Woche verstarb Fräulein Agathe 
von Tottenstjerna nach elnem — bis aui einen Tag 
— tugendsamen achtzigjährigen Leben.” 

„Na“, söägte Adolar nach einigem Nachsinnen 
großzügig, „den einen Tag will Ich Ihr trotzdem 
gönnen.” 























Meisterdetektiv Styx blätterte vor sei- 
nem Schreibtisch in einem frischen 
Aktenstück, Es waren neue Fälle, alle 
auf ähnlicher Linie. Hatte hier der 
gleiche Unhold seine Finger im Spiel? 
Draußen heulte der Schneesturm. 

Das Telefon schnarrte. 


„Hier Styx. Bitte recht kurz. Wimmern 
hinter der Tapetentür® Es spukt? Aber, 
aber! In zehn Minuten bin ich bei 
Ihnen!“ 

Das ältere Ehepaar führte Styx in einen 
eiskolten Wohnraum. Die Frau zitterte 
wie Espenlaub, der Mann schlotterte. 
Er berichtete, Seine Stimme schien aus 
einer mit Angstkomplexen gefüllten Kiste 
zu kommen. „Furchtbar! Wir sitzen 
hier... Plötzlich raschelt, wimmert es 
hinter der Tapetentür. Grabeskälte 





Das Wimmern hinter der Tapetentür... 


kriecht heran. Ohne Mäntel erstarren 
wir zu Eiszopfen.” 

„Warum heizen Sie nicht?" fragte Styx. 
„Vierzig Kohlen stecke ich in den Ofen,” 
iammerte die Frau, 

Da.,. Ein Wimmern hinter der To- 
petentürl Tatsächlich! Das Gesicht des 
Detektivs straffte sich. Er schlich zur Ta- 
petentür, suchte mit der Lupe ab, 
wandte sich dem Fenster zu, untersuchte 
die übrigen Türen, Dann ein Lächeln 
des Erkennens. 

„Hm,“ machte er, „dachte mir's. Der- 
selbe Verbrecher! Sehen Sie her! Über- 
all an den Türen klaffende Fugen! 
Weiße Bohnen könnte man hindurch- 
werfen, Auch das Fenster schließt nicht. 
Der kalte Wind pfeift herein und spielt 
auf dem schlechtverklebten Loch in der 


Topetentür Mundharmonika. Machen 
Sie dos Fenster dicht, legen Sie Füll- 
streifen in die Türspalten, dann wim- 
mert's nicht mehr.” 

n..„zeihung, Herr Styx," meinte der 
Ehemann, „sagten Sienich!Verbrecher?” 
„Jawohl,“ antwortete Styx konzentriert, 
„Kohlenklau heißt er. Sie pulvern 
hier vierzig Briketts in den Ofen und 
holen sich trotzdem Eisbeine. Machen 
Sie die Schotten dicht, und Sie werden 
mit der Hälfte oder noch weniger ein 
molliges Zimmer haben, Wo Kohle, 
Gas und Strom vergeudet werden, ist 
Kohlenklau am Werk. Wenn Sie diesen 
gefährlichen Burschen nicht umgehend 
an die frische Luft setzen, wimmern Sie 
bald vor Ihrem leeren Kohlenkeller mit 
der Topetentür um die Wette. Wollen 
Sie das®" 








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Salbstvartejdigung schützt Sie vor Ge, 
fahr! Ein tiger Griff, und der 
stärksto Gegner ist wehrlos! Lernen | 
‚d ua Sie Jiu-Jits: zu Hause, Se best. 
e und Licht box, JIu-JitsuM 
k-| Unterrichtei auch Sie brieflich. Für 5 
Rpf. in Marken (die Ihnen aut er 
Kursgeld aufgerechnet wer: 
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107 


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Besuch 


Natürlich mußte ich das gesehen haben, ein biß- 
chen Grauen verträgt jedermann, und wer wei 
für was es gut ist, wenn einem mal ein Gletschei 
strom den Rücken rauf und runter fuchtelt! Also 
ich ging hin. 

Man fährt vor die Stadt, richtig, Palermo heißt 
sie, ist die Hauptstadt von Sizilien, groß, breit 
und schön; und, da kommt nicht etwa der Milch- 
mann an die Türen der Häuser, o nein, man ist 
praktisch, die Ziegen und die Kühe selber kom- 
men, werden vor deinen Augen gemolken, und 
du Köchin bekommst die frische, garantiert reine 
und echte Milch gleich in dein Gefäß, das du 
mitgebracht. Also diese Stadt war es, und ich 
fuhr hinaus vor die Stadt, da ist ein Klostergarten, 
der zugleich Friedhof war, die Blumen wachsen 
da wild, denn es ist da ewig warm und heiterer 
Himmel; wenn sie gegossen werden, stehen sie 
sehr schön, aber das wollte ich nicht erzählen, 
ich sah sie nur noch einmal an, dachte: die Er- 
Innerung nimmst du mit hinunter. 

Dann ging ich zu den Toten. 

Da, wo man die eine Tür nach den Lebenden 
schloß, saß ein dicker Mönch, ein überdicker un- 
appetitlicher Kerl. Nun ja, er hatte sicher nicht 
die Aufgabe, appetitlich zu sein, nur den Eintritt 
zu kassieren, und das macht er unfreundlich und 
mit unzufriedenem Gesicht, wie sein Kater. Dabei 
gab ich ihm gleich noch Irgendeine Kupfermünze 
als Trinkgeld. Der Kater, der ein struppiges, über- 
großes, unsauberes Viehzeug war, knurrte, und 
ich meinte, daß der Mönch grunzle. Vielleicht ist 
das Bosheit von mir, jedenfalls, ich war In un- 
lebenslustiger Stimmung, als ich zu den Toten kam, 
Die Ihrerseits kehrten sich gar nicht daran. Einige 
sahen an’ sich recht freundlich aus; doch, das 
muß man sagen, so stand da gleich am Anfang 
einer auf einem Postament, grüß Gott Herr Direk- 
tor, dachte Ich, sagte aber nichts zu ihm, er 
schwieg auch, er wird auch so an hundert, zwei- 
hundert Jahre dastehen, war allerdings sauber, 
schwarz angezogen, ohne Bügelfalten, aber sonst 
durchaus salonfähig; hatte ein Gesicht, das sym- 
pathisch geschminkt war, so daß einem die roten 
Bäcklein etwas auffielen, und sah gerade so in 
die Welt. 

Ja doch, das muß ich auch noch sagen, das 
kommt davon: wir sind da Im Lande des Schwe- 
fels, der ganze Boden ist offenbar von Schwefel- 
dunst durchdrängt, und das bringt mit sich, daß 
Leichen nicht verwesen und nicht zerfallen, son- 
dern gerade so bleiben, wie sie sind, man hatte 
noch künstlich nachgeholfen, Aber nicht verwech- 
seln mit ägytischen Mumien, nichts derärt, so wie 





Von Fritz Sänger 


im Leben stehen sie da, und man möcht fast 
sagen, bitte, kommen Sie doch einmal herunter 
von ihrem Postament. Aber sie kämen bestimmt 
nicht, am Tag auf keinen Fall. 

Nicht weit von ihm sitzt die Gemüsefrau. Ich 
taufte sie so, weil sie einfach mich sofort an eine 
Gemüsefrau aufdem Basler-Wochenmarkt erinnerte. 
Sie war einfacher gekleidet, aber auch wieder 
nett in ihrer Art. Sie hatte In der einen Hand 
Blumen, die andere war leer. Dicht daneben lag 
in einem schönen Glasschrein ein nettes, liebes 
Kind. Es hatte rote Lippen und blaue Augen und 
sah durch den Glasdeckel seines reichgeschmück- 
ten Kästchens, daß man meinte, man müßte es 
hinausnehmen. 

Was soll ich sagen, so sind sie da, ein, zwei, drei 
oder vier Dutzend, ich weiß es nicht mehr, durch- 
aus nette Menschen, und gar nicht graulich an- 
zusehen, wie der Mönch und der Kater. Die Toten 
hatten auf einmal etwas sehr Sinniges und sehr 
Interessantes für mich. Sie sitzen oder stehen, 
immer aber so, daß man wohl meinen könnte, sie 
leben noch, sie sind in einem großen Gefrier- 
haus und auf einmal, bums, steif geworden. 

Sie sitzen und stehen, liegen und kauern, einem 
jeden ist es freigestellt, sich unterzubringen, 
wie es seinem Charakter am besten entspricht. 
Im Durchschnitt sind sie mehr als hundert Jahre 
alt, aber man hat noch In den achtziger Jahren 
reiche und gut gekannte Leute aus Palermo da 
hineingebracht. Heute geht das nicht mehr. 

Es kamen andere, die das sehen wollten, solche, 
die wirklich entsetzt wären, die gingen wieder, 
solche, die es mit leisem Schaudern sahen und 
doch von Fall zu Fall gehen mußten. Es kamen 
einmal etwa zwölf oder mehr, sie sprachen lauter, 
und ich verbarg mich hinter einem großen Holz- 
aufbau, in dem eine ganze Familie am Tisch saß. 
Unter Glas und wohl frisiert und gut angezogen. 
Dahinten war ich sicher, nicht gesehen zu werden, 
und auf einmal kam mir die wunderliche Idee: 
— ich bleibe mal bei denen. 

Ich blieb wirklich. Es war Nacht geworden, ich 
sah gar nichts mehr; ich fürchtete gar nichts, und 
ich wußte, hier mußte man irgendwie hinter ein 
Geheimnis kommen, das man sonst nicht zu lösen 
imstande wäre. 

Es wurde später und später, nur selten drangen 
noch von draußen Laute herein, es war spät in 
der Nacht oder ganz früh am Morgen, das weiß 
ich nicht; ich hatte keine Taschenlampe bei mir. 
Den Revolver ja, selbstverständlich, braucht man 
Toten gegenüber nie. 

Ich mußte eingeschlafen sein, denn ich wachte 


Das kleine Welttheater 


Das kleine Welttheater — 
Wem wär es nicht bekannt? 
Denn unser aller Vater 

Das ist der Intendant. 


Wir selber sind die Spieler 
Auf diesem Erdenrund, 
Der Wirkungsstätte vieler 
Und wahrlich kunterbunt. 


Jedwedem ist die Rolle 

Von vornherein bestimmt 
Und, ob er sie nicht wolle — 
Er lernt und übernimmt. 


Für Könige und Helden 

Ist meist der Platz besetzt. 
Man braucht sie auch zu selten, 
Sie sind zu hochgeschätzt. 


Auch Schönheit findet immer 
Noch gerne ihren Mann. 
Wär ich ein Frauenzimmer, 
Ich hielte mich daran. 


Doch weil ich nur ein Träumer 
Und armer Narr von Fach, 
Drum spiel ich einen Reimer 


Und den am Ende schwach. J0SEr MARX 


108 


in den Totenkammern von Palermo 


auf und sah und hörte. O Gott! Das war jetzt 
wieder mehr als ich eben noch so mit Ruhe und 
Sachlichkeit hinnehmen konnte. Der Herr Direktor 
stand neben der Gemüsefrau, die sich ihrerseits 
um das Kind bemühte, er sah ihr zu. Sie griff 
durch den Deckel als wenn er nicht da wäre, und 
nahm das Kleine hinaus, das seinerseits richtete 
sich auf und lächelte. Ach so, wie war denn das. 
Es brannte kein Licht, nein, die alle leuchteten 
selber, mild und angenehm, sie waren selber zu 
Licht geworden. Das Kind in frischem jungem 
Lebenssinn und Atem, die Frau etwas härter, der 
Mann delikat, der Pferdehalter daneben und der 
Magistrat ein wenig mehr links, so im siziliani- 
schen Alltagshellsein. 

Merkwürdig, aber wenn alles so ganz anders ist 
als wir's gewohnt, dann fällt das Einzelne gar 
nicht mehr auf, es muß nur eben alles zusammen- 
passen, und das tat es nun wirklich. Ich wandte 
mich zu dem Holzkabinett, in dem die Familie am 
Tisch saß, sie saßen und sprachen miteinander, 
als wenn sie die Erlebnisse des Tages durchgehen 
würden. 

Ich hörte es auch, es war ein halblautes, sehr 
gewähltes Sprechen, wie es vornehme Leute tun, 
wenn sie zeigen wollen, daß sie es sind. 

Ich verstand nichts, es war vielleicht im siziliani- 
schen Dialekt, den verstand Ich nicht, das hatte 
ich bereits draußen auf der Straße feststellen 
können. 

Ich war sicher in dieser Gesellschaft nicht stan- 
desgemäß, ich irug die Kleider eines Wander- 
burschen, und schämte mich.fast deswegen, was 
ich sonst nie so empfunden hatte, man hatte mich 
sicher gesehn, aber man ingnorierte mich einfach. 
Nun ja, ich wollte auch nicht, daß man sich um 
mich kümmerte, hätte vielleicht gern den und 
jenen etwas gefragt, aber irgend etwas Scheues 
hielt mich auch davon ab. 

Sie kamen jetzt auch aus anderen Räumen, die 
sonst verschlossen gewesen, auch solche in an- 
derer Tracht, und es blieb alles sonst gleich, 
immer dieser etwas steife vornehme Ton, immer 
dieses absolute Nichtachten mir gegenüber. Als 
mich einer fast anstieß, sagte ich, ich wollte 
Jetzt einfach auch einmal beachtet sein, ich sagte 
deutlich und klar: 

„Sie entschuldigen bittel” 

Mit einem Schlage war es finster. Ich stand wie 
hingehauen. Das war nun doch ein klein wenig 
mehr als ich eben so noch mit der nötigen Sach- 
betrachtung ausgleichen konnte, 

Ich tastete mich an die Wand zurück, und ich 
wußte da — da irgendwo — jawohl, das hatte 
ich mir gemerkt, auf alle Fälle, da irgendwo — 
richtig, war der elektrische Schalter. 

Na, wartet, jetzt bin ich an der Reihe, wir kön- 
nen zwar nicht selber Licht spenden, aber helle 
sind wir trotzdem, ich redete mir Mut zu, ich 
drehte an. Hell war's mit einem Male. ‘ 
Donnerkiel, der Herr Direktor stand wieder auf 
seinem Postament, die Marktfrau saß auf dem 
Stuhl und das Kind lag im vergoldeten Schrein 
mit dem Glasdeckel. 

„Jetzt ist's ja wieder in Ordnung”, sagte ich so 
vor mich hin. 

„In Ordnung”, antwortete eine schwere, dumpfe 
Stimme, und das, Jawohl, das war mir jetzt wirk- 
lich ungemütlich, 

Ich suchte und fand den Ausgang. 

Na ja, vielleicht geh’ ich wieder zu den Toten, 
wenn ich das nächste Mal nach Palermo komme. 
Übrigens: als ich so durch die stille Nacht dahin- 
schritt, auf das Meer hinaussah und über das Er- 
lebte nachdachte, wunderte ich mich eigentlich 
über das Geschehens gar nicht: Man muß sich das 
vorstellen: wenn man so an zweihundert Jahre 
sich gegenübersteht, sitzt und liegt, will man 
doch auch einmal miteinander sprechen — — — 


Die Entschuldigung ee) 


Iph EN 1 A 


u 





».+.. mit dem Horst? Ich denke, der hängt dir zum Hals raus?“ 
„Ja, aber das merke ich immer erst am nächsten Tag!“ 


La scusa: “... con Horst! ... Penso che tu ne abbia giä abbastanza di lul?,, — “Eh sl, ma me n’accorgo sempre solo il giorno dopo!,, 


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Schlechte Erfahrung - Brutta esperienza 


(0. Hermann) 





“ „Ja, ja, ich habe auch schon manchen Männern die Knöppe anjenäht, 
aber sie sind alle bald wieder ausjerissen und die Männer ooch!" 


*S1 sl, anch' io ho cucito dei boltoni a parecchi vomini; ma tutti si sono staccatl presto ... e cosl pure anche gli vomini!,, 


Ohrenstechen 
Von Ralph Urban 


Als Herr Diehl am Montag morgen erwachte, 
störte ihn halb unbewußt ein peinliches Gefühl. 
Er führte den Zeigefinger an den Eingang zum 
‚Ohr, bohrte ein wenig und schrie: „Aul” Drinnen 
stach es fürchterlich. 

„Was hast du denn?“ rief seine Ehefrau aus der 
Küche, aber es klang nicht übermäßig besorgt. 
„Ohrenstechen!” lautete die düstere Antwort. 
„Hoffentlich wird es keine Mittelohrentzündung.” 
„Sterben wirst du daran”, kam es respektlos zu- 
rück, denn Frau Erna hielt alle Männer für Hypo- 
chonder, 

Herr Diehl steckte sich vorsichtig Watte ins Ohr 
und verzehrte sein Frühstück mit leidendem 
Zug. Mit schiefgeneigtem Kopf verließ er die 
Wohnung. 

„Steifes Genick?” erkundigte sich am Gang die 
Nachbarin, die gerade vom Einholen kam. 


„Ohrenstechen!” entgegnete Herr Diehl und blieb 
gegen seine Gewohnheit stehen, gerührt durch 
die Anteilnahme. 

„Das hat mein Schwager neulich auch gehabt”, 
erklärte die Frau, „Tagelang Ist er damit herum- 
gelaufen als halber Mensch, bis er meinen Rat 
befolgte und sich gekochte Lorbeerblätter auf- 
legte. Ein paar Stunden später war es weg.” 
Herr Diehl bedankte sich für den Rat und ver- 
sprach auch, ihn anzuwenden. Auf dem Weg zur 
Arbeit kaufte er sich Zigaretten. Er klagte der 
Verkäuferin sein Leid. 

„Da gibt es nur ein Mittel, das sicher hilft”, 
meinte das Fräulein. „Kaufen Sie sich ein Stück 
Kampfer und reiben Sie die Umgebung des Ohres 
fest damlt ein. Sie werden sehen, wie das hilft.” 
Herr Diehl versprach es und begab sich Ins Ge- 
schäft. Ein Kollege merkte gleich, daß es mit ihm 
heute nicht richtig wäre. 

„Einen heißen Umschlag“, riet der Kollege, „aber 
so heiß muß er sein, wie Sie es nur vertragen 
können.” Eben kam der Chef vorbei und hörte die 
letzten Worte. 


„Ohrenstechen?“ meinte er. „Da gibt es nur ein 
sicheres Mittel, mein lieber Herr Diehl: machen 
Sie sich am Abend einen Grog, und zwar ganz 
steif. Wenig Wasser, viel Rum. Und Sie werden 
sehen, morgen sind Sie gesund wie ein Fisch.” 
„Danke, danke”, flüsterte Herr Diehl mit den 
Tränen der Rührung kämpfend, denn er empfand 
selbst tiefes Mitleid mit sich. 

„Wenn Sie mir folgen”, sagte später der Buch- 
halter, „dann trinken Sie heiße Milch, nehmen 
dazu zwei Pulver, decken sich fest zu und schwit- 
zen sich gründlich aus 
Am Heimweg vom Geschäft kaufte Herr Diehl 
ein. Im Hausflur traf er mit der Portiersfrau zu- 
‚sammen. 

„Mein er Herr Diehl“, meinte sie, „die Schmer- 
zen Im Ohr sind meist Anzeichen schwerer Er- 
krankungen. Träufeln Sie sich warmes Ol ein und 
legen Sie sich mit einem Wickel Ins Bett.” 

In der Wohnung angelangt, beschäftigte Herr 
Diehl nach heftigem Wortwechsel mit seiner ver- 
ständnislosen Frau diese zwei Stunden lang. Nach 
einer Einreibung mit Kampfer bekam er gekochte 

















Verlag und Druck: Knorr & Hiıth Kommanditgesellschaft, München, Sandlinger Straße 80 (Fomruf 129%). Briefanschrift: München 2 B; 
Simplicissimus erscheint wöchentlich ein 
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Die lohnende Rasur - Rasura lucrativa 


(Fr. Bilok) 





Lorbeerblätter aufgelegt, trank heiße Milch und 
nahm zwei Schwitzpulver. Als Ihm das Ol Ins Ohr 
geträufelt wurde, brüllte er, denn es war etwas 
zu warm geraten, Rauchende Umschläge folgten 
der Lorbeerkur, hierauf erhielt er den ganzen 
Wickel und einen steifen Grog, der Ihn In sanfte 
Traumnarkose versetzte. 

Um Mitternacht erwachte er schweißgebadet, 
aber die Schmerzen waren jetzt wirklich arg ge- 
worden, Den Rest der Nacht verbrachte er schlaf- 
los, doch als Pflichtmensch ging er am Morgen 
trotzdem ins Geschäft. Auf der Treppe begegnete 
er dem Briefträger, dem er rasch ebenfalls seine 
Krankheitsgeschichte erzählte. 

„Ich bin verzweifelt”, sagte er, „die ganzen er- 


probten Mittel, die ich versuchte, haben nichts 
geholfen.” 

„Waren Sie schon beim Arzt?” fragte der Post- 
bote. 

„Beim Arzt?“ meinte Herr Diehl verblüfft, „Das 
hat mir noch niemand geraten.” 

Und nachdem er im Geschäft noch ein Dutzend 
andere gute Ratschläge erhalten hatte, nahm er 
sich nachmittag dennoch eine Stunde frei und 
ging zum Doktor. Dieser hörte sich die langen 
Ausführungen zerstreut an, band sich den Ohren- 
spiegel um, ‘euchtete Herrn Diehl ins Innere der 
Gehörorgane und sagte: „Ahal’” Und dann ent- 
lockte er ihm mittels der Pinzette ein Stöhnen und 
dem Ohr ein Stück abgebrochenen Zahnstocher. 


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MEIN FREUND JOHANNES 


Ich traf Johannes. 

„Sag mal‘, so fragte Ich ihn, „hast du eine Ahnung, 
was mit unserer Freundin Ingeborg los ist?” 
„Was soll schon mit ihr los sein? Ich habe sie 
lange nicht mehr gesehen“, erklärte Johannes. 
„Aber du weißt doch sicher noch, wie lustig und 
vergnügt sie früher immer war. Und nun, seitdem 
sie den Schriftsteller Sch. geheiratet hat, macht 
sie einen so müden und gequälten Eindruck, als 
hätte sie das Lachen verlernt.” 

„Um Gotteswillen, er wird ihr doch nicht etwa 
seine heiteren Romane vorlesen?” rief Johannes 
besorgt. ]. Bieger 


VORFRÜHLING 


Wenn jetzt es auch noch stürmt und schneit, 
Der Frühling ist im Werden, 
So schön wie in der Heimat zeigt 


Er nirgends sich auf Erden. 


Ach, könnt man von den Freuden all, 
Die er da weiß zu spenden, 

Den lieben Brüdern fern im Feld 
Doch auch ein gut Teil senden: 


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(Wilhelm Schulz) 





Ein Vogellied, ein Blütenhauch, 
Ein frohes Mädchenlachen. 
Und was ein treu Soldatenherz 


Noch sonst könnt fröhlich machen! 


WILHELM SCHULZ 


Ü Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHA MÜNCHEN 


Der Europabissen (Wilhelm Schulz) 


„Zuschnappen darfst du erst, wenn ich's erlaube, aber natürlich mußt du Obacht geben, daß du mich dabei nicht erwischst!“ 


Il boccone d’ Europa: "Abboccare devi solo quando io lo permetta; ma nello stesso tempo devi naturalmente badare di non addentare mel, 





—— 





Der Weg zum Erfolg - La via del succeso 


(0. Hegenbarth) 


N 


„Ich gebe zu, meine Damen, daß wahre Herzensbildung den Frauen gefällt, 
aber nach meinen Erfahrungen muß sie mit sicherem Auftreten gepaart sein!"* 


“"Ammelto pure, signore mie, che una vera educazlone del cuore piaccla alle donne; ma secondo le mie esperlenze essa deve oppalarsi con un slcuro contegno!, 


KAMPF GEGEN GRIPPE 


Eines Tages sagt man: „Ich weiß nicht recht, aber 
mir ist so komisch!” Eigentlich ist einem gar nicht 
komisch, sondern sehr unbehaglich, aber man 
will das Kind nicht beim rechten Namen nennen. 
Wenn Sie sagen, daß Ihnen Irgendwie komisch 
Ist, wird Irgendwo einer auftreten, der Ihnen 
wiederum sagt, daß Sie vermutlich Grippe be- 
kommen werden. 

Aber vorsichtig muß man doch sein. Doch wie Ist 
man vorsichtig. „Trinken Sie eine halbe Flasche 
guten Kognak“, hatte man mir gesagt, Oder hatte 
as geheißen: „Trinken Sie eine gute halbe Flasche 
Kognak"'? Ehe ich mir ‚darüber noch ganz klar 
war, kam schon wieder einer und sagte: „Um 
Gottes willen keinen Alkohol, Kognak ist gerade- 
zu Gift für Siel” Das war mir Immerhin neu, aber 
In Krankheitsfällen Ist man vorsichtig. Da war 
schon wieder einer da, der riet: „Am besten sind 
ganze Packungen in nasse Leintücher, darüber 
eine wasserdichte Zeltbahn und darüber wieder 
Wolle, viel Wolle. Sie werden sich wie neu- 
geboren fühlen!” Ich welß nicht, ob es ein so 
schönes Gefühl ist, neugeboren zu sein, die- 
Jenigen, die Ich in dieser Lage sah, machten mir 
eigentlich nicht den Eindruck, Außerdem habe 
ich keine Zeltbahn. So mußte ich auf dieses ein- 
fache Hausmittel verzichten. Aber schon traten 
andere Bekannte auf, die empfahlen mir Medika- 
mente, eines immer besser als das andere, Sie 








endeten auf „In“ oder „ol”, Wahre Wunder soll- 
Mittel wirken, ganze Familien waren 
durch sie gesünder als Je zuvor geworden. 

Ich schrieb mir alle auf, ein ganzes Notizbuch 
voll. Davon wurde mir schon bedeutend besser. 
Der Gesundungsprozeß wurde jäh unterbrochen 
durch gute Freunde, die riefen: „Sofort ins Bett, 
gleichmäßige Wärme ist das einzig Richtigel“ 
Schon stürmten andere herbei, die schtien: 
„Frische Luft, keimfrele Luft, nichts fürchten Bak- 
terien so sehr wie gute Luftl” 

Aus all dem kann ich entnehmen, daß die Bak- 
terien, die sich mit Grippe beschäftigen, äußerst 
heikel sind. Sie hassen kalte Umschläge, sie ver- 
abscheuen gleichmäßige Wärme, reine Luft ist 
ihnen ein Greuel und Kognak ist ihr Tod. Ganz 
zu schweigen von den Gefahren, die ihnen von 
der Chemie her drohen. Ich bekam geradezu MIt- 
leid mit diesen kleinen Lebewesen, die ganz auf 
sich selbst gestellt sind und nicht einmal in das 
Arbeitsgebiet des Tierschutzvereins fallen. 
Schließlich sagte ich mir, daß ich mir selbst am 
nächsten stehe, und daß sich die Bakterien viel 
schneller vermehren als ich und infolgedessen 
gar nicht so sehr zu bemitleiden sind. Ich trank 
also Kognak, nahm einige gleichmäßige Wärme 
und ein wenig frische Luft, fügte dazu etliche 
Medikamente auf „In und „ol”, wickelte Zitronen 
in nasse Leintücher und gab einige Tropfen !od 
irgendwohin. 

Jetzt fühle ich mich fast schon wie neugeboren. 











Foitzick 


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Seelenwanderung 


In einen Hund verwandelt fühlt" ich mic 
und sah die Welt im Widerschein der Seele, 
dierauh sidı äußernd durdı den Gang der Kehle 
am Boden schnupperte und sprang und schlich. 


Wiemunderlicı der Mensch! Sehr seltsam stand 
sein Sein und Tun der Erde zu Gesicite! 
Ganz sdiauerlich stand er der Welt im Lidite 
und dodı —icı sprang und leckteihm die Hand, 


Da scdılug er mich und scıleuderte den Stein; 
er schien ein Mädchtiger teils nadı Belieben, 
doch andernteils vom Bösen selbst getrieben 


und wiederum audı gülevoll zu sein. 


Da widı der Zauber, Sonne tat sicı auf 

und idı stand wieder in der ridıligen Sphäre, 
doch weiß ich nidit— wenn idı es wieder wäre, 
ich nähm' als Hund nidıt ungern meinen Lauf. 


Peter Scher 


Das ist etwas anderes 


(Erich Schilling) 





„Sie wollen mich verhaften? Erlauben Sie, ich bin vom Moskauer Nachrichtenbüro ‚Tass‘ !" 
„O verzeihen Sie, mein Herr, das wußte ich nicht, bitte lassen Sie sich nicht stören !“* 


Ma allora & tutt’ altra cosa: “Vol volefe arrestarmi? Ma scusate, lo sono dell’ Ufficio-Notizie di Mosca “Tass, !,, 


“Ah, perdonate, signore; non lo sapevo! Fate pure, Vi prego, il Vostro comodo!,, 


MEIN FREUND JOHANNES 


Herr Schramm war nun einmal die Zielscheibe 
unserer Streiche. Es sel nicht verschwiegen, daß 
er durch sein ganzes Gehabe auch wirklich dazu 
herausforderte. Wenn er klug gewesen wäre, 
hätte er es uns nicht immer wieder gezeigt, wie 
sehr er sich ärgerte. Aber er war eben nicht klug. 
Wenn wir uns langweilten und etwas ALwechs- 
lung in unsere Atende bringen wollen, dann 
trafen wir uns vor seinem Haus. Und solange 
warfen wir kleine Steinchen gegen das Fenster, 
hinter dem er saß, bis er die Nerven verlor und 


in irgendeiner sonderbaren Aufmachung aus der 

Tür stürzte und uns zu erwischen versuchte. Natür- 

lich waren wir schneller als er, so daß ihm das 

nie gelang und er uns deshalb auch nichts be- 

weisen konnte, 

Als wir uns eines Abends wieder zu diesem Tun 

versammelt hatten, überkam Martin eine Anwand- 

lung von Mitleid 

„Er hat heute Geburtstag. Darauf sollten wir 

Rücksicht nehmen!” meinte er. 

„Gut, Unterlassen wir es heute, mit Steinen zu 

werfen. Nehmen wir Eicheln“, sagte Johannes. 
J.Bieger 


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MÄRCHEN VON HEUTE 


Ich holte mir beim Metsger Stramm 
Streichlebermwurft: einhundert Gramm. 
Er fäbelte das Stückchen - Ichwapp! - 
Und außerdem zıvei Marken ab. 

Ich zahlte und ging froh nach Haus 
Und wog die Wurft zur Vorficht aus, 
Hurrjeb, was tat da Meifter Stramm? 
Es waren hundertfünfzig Gramm! 


Da bin tch fchnell gefprungen 
Und hab’ Die fünfzig Gramm zurückgebrungen ! 


Wendelin Überzwerch 


Auf Draht (K. Holligenstaodt) 





„Die Punkte verfallen ja nicht, gnädige Frau, nächste Woche kommt sicher was in reiner Seide rein. 
Wenn Sie so liebenswürdig sind, noch einmal nachzufragen, können wir das nicht verhindern!“ 


In ogni caso: ‘I punti non scadono mica, signora, la prossima settimana viene di certo un 
g p 9 p 
po di seta pura, Se avete Ja bontä di ripassare un’ altra völta, nol non possiamo impedirlo!,, 


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DIET"VERGESSIENE «MAPPE 


Mit meinem Schwager, der ab und zu die bay- 
rischen Kreise bereist, um im Auftrag der Regie- 
rung die Kirchen und Denkmäler zu besichtigen 
und zu pflegen, bin ich einmal, vor dem jetzigen 
Krieg, vierzehn Tage lang im Kraftwagen durchs 
obere Franken gefahren. Ich bin auf diese Weise 
in manche abseitige Gegend gekommen, die ein 
Fremder sonst nicht besucht und habe schöne 
Dinge gesehen, vom kleinsten Bildstöckl und Ka- 
pellenkind, das verloren am Wegrand vor wogen- 
den Kornfeldern oder an schlanken Buchenwäl- 
dern stand, bis zu den wehrhaften Kirchenburgen 
und den reichen Klöstern, Wallfahrten und Stadı- 
kirchen. 

Ich habe alles genau anschauen müssen, denn der 
Schwager machte es gar gründlich mit Begutach- 
ten und Nachfragen und wenn ich mich auch 
manchmal derweil In einem Apfelgarten ins Gras 
legte oder beim nächsten Wirt ein Schöpplein 
trank, die meiste Zeit mußte ich doch dabel sein 
mit Rat und Tat und allerlei gelehrten Mutmaßun- 
gen, denn ein bißchen was versteh ich auch von 
der Kunst. Wir haben vom Fränkischen in die 
Oberpfalz herüber und hinüber gewechselt, die 
lutherischen Landstriche mir nichts dir nichts, drei- 
mal an einem Tag mit den katholischen vertauscht, 
so wie sie dort oben aneinanderstoßen seit dem 
unseligen dreißigjährigen Krieg und noch früher. 
Wir sind bei den kinderreichen Pastoren und den 
einschichtigen Pfarrern zu Gast gewesen und ha- 
ben hier wie dort umgängliche Herren und quer- 
köpfige Narren kennengelernt, haben in heiterem 
Frieden unsere Sache erledigt oder in hitzigem 
Streit gegen die Bretter gehämmert, die der oder 
jener vor'm Hirn hatte. 

Es ist ganz hoher Sommer gewesen, so glühend 
und dürr, wie er im grünen, wasserdurchrauschten 
Oberbayern, bei uns daheim, gar nicht sein kann, 
viel Sand und Staub ist auf den Wegen gelegen 
und wir sind, weiß Gott, auf den verwahrlosesten 
Sträßlein gefahren, um in irgend ein elendes 
Nest zu kommen, wo dann oft, wie ein Wunder 
aus einer andern Welt, die edelsten Bauten von 
einer verschollenen Zeit geträumt haben. 

So sind wir auch einmal, auf sandigen und holpe- 
tigen Spuren, über einen Heidehügel gefahren, es 
ist schon Abend gewesen, voll zittriger Hitze 
noch, aber blau schon rauchend aus den Gründen 
und die Sonne ist riesengroß und dunkelrot in 
eine veilchenschwere Dämmerung hinuntergeglit- 
ten, Es war bezauberd schön, gewiß, aber es 
war auch eine elende Fahrerei und mein Schwa- 
ger, am Steuer, hat mehr als einen Fluch durch 
die Zähne gestoßen über die verdammten Wege. 
Und auf einmal, wer weiß, wie ihm der Gedanke 
plötzlich an die Oberfläche gerüttelt und geschüt- 
telt worden ist bei dem wüsten Dahinkutschieren, 
auf einmal hat er ganz blaß und leise gesagt: 
„Meine Mappe?” und hat den Wagen mit einem 
Ruck angehalten. 

Richtig, die Mappe ist nicht mehr dagewesen, die 
schwarze Aktenmappe mit den wichtigen Paple- 
ren und wir haben auch gar nicht lang zu suchen 
brauchen, denn jetzt, wo es zu spät war, Ist es 
meinem Schwager ganz klar und schön eingefal- 
len, daß er sie droben in Heiligenstein hat liegen 
lassen, und daß sie dort noch liegen muß, auf 
der letzten Kirchenbank links, wenn, Ja wenn sie 
nicht einer von den Wallfahrern erwischt hat, die 
beim Beten fleißig die Augen spazieren gehen 
lassen und eine so wunderbare Ledermappe gern 
als ein persönliches Gnadengeschenk von Sankt 
Antonius entgegennehmen. 

Mißmutig genug drehen wir unseren Wagen um 
und fahren in die Nacht hinein, den erbärmlichen 
Weg wieder zurück, mit tausend ängstlichen Vor- 


VON EUGEN ROTH 


stellungen im Kopf, wie grade, vielleicht im letz- 
ten Augenblick, ehe wir ankommen, krallige 
Hände die Mappe ergreifen und ausweiden, wie 
es, selbst im günstigsten Fall, hundert Scherereien 
und Rückfragen gibt, bis wir die Mappe wieder 
haben, das gute, das unersetzliche Stück. 

Die Kirche auf dem Berg ist schwarz und still da- 
gelegen, kein Dieb ist verdächtig drum herum- 
geschlichen, die Tür ist offen gewesen, vor dem 
heiligen Antonius haben golden die Kerzen ge- 
brannt und ein altes Mütterchen hat ganz einge- 
sunken davor gekniet. Die Mappe aber ist fried- 
lich in der letzten Bank links gelegen, wir haben 
sie aufatmend an uns genommen und sind, jetzt 
schon bei völllger Finsternis, mit tästenden Lich- 
tern zum drittenmal den Weg gefahren, der ein- 
mal schon Mühe genug gemacht hatte. 

In Auerbach haben wir dann ein leldliches Quar- 
tier gefunden und am andern Tag, als wir auf der 
großen Straße zügig dahinfuhren, ist die ganze 
aufregende Geschichte mit der vergessenen Ak- 
tenmappe zu einem kleinen, fast heiteren Reise- 
abenteuer zusammengeschrumpft. 

Wir sind in eine größere Stadt gekommen, eine 
langweilige Stadt, und mein Schwager hat nur 
rasch einen Blick in die nüchterne evangelische 
Kirche tun wollen, ob eine befohlene Ausbesse- 
tungsarbeit an der Orgel auch sinngemäß ge- 
macht worden ist. 

Die Kirche ist offen gewesen, weil der Verwalter 
grad drin war, um irgend was In Ordnung zu brin- 
gen. Wir stellen also unsern Wagen in den Turm- 
schatten und spazieren gemächlich hinein, als 
Leute, die ein Recht dazu haben, auch am Werk- 
tag in die Kirche zu gehen. Aber wir hatten nicht 
mit dem Machtgefühl des Küsters gerechnet, der, 
gelbhäutig und stechäugig wie er war, hager 
und frostig uns in den Weg trat und uns böse 
fragte, was wir hier zu suchen hätten. Er war der 
unbeugsamen Meinung, das sah man ihm anı 
nichts, aber rein gar nichts! 

Mein Schwager ist grad so gut aufgelegt, daß 


er den galligen Burschen ein bißchen tratzen muß, 
’ 


Unglückliche Liebe - Amore infelice 


(Fr. Bilok) 





er zieht also nicht gleich seine Beglaubigungs- 
schreiben aus der Tasche, sondern versucht es 
mit einer spöttischen Liebenswürdigkeit, aber der 
hohlwangige Schwarzbart versteht keinen Spaß, 
er geht in die Luft wie eine Kette von Knallfrö- 
schen und als wir ihm nun amtlich, schwarz auf 
weiß, kommen, ist es fast zu spät, er. mißtraut 
uns gründlich, für ein verdächtiges Gelichter hält 
er uns und behält uns im Auge, wie wir jetzt 
durch das Schiff wandeln, zur Orgel hinaufsteigen, 
um den Altar herumpirschen, 

Die Sache selbst ist leidlich in Ordnung, wir ha- 
ben auch keine Lust mehr, uns mit dem Grobian 
in ein Gespräch einzulassen, das Nötigste kann 
von München aus schriftlich gemacht werden — 
kurz, wir empfehlen uns in dem berühmten unbe- 
waächten Augenblick, ohne Abschied; aber die 
schwarze Mappe, die mein heillos vergeßlicher 
Schwager wieder im Gestühl hat liegen lassen, 
nehme ich mit, werfe sie, ohne daß ers sieht, hin- 
ten auf den freien Sitz des Wagens und wir brau- 
sen los, in voller Fahrt diesmal, auf breiter, glat- 
ter Straße, in den glühenden Sommertag hinein. 
Eine halbe Stunde vielleicht sind wir gefahren, 
da halte ichs nicht mehr aus, ich muß, wenn ich 
nicht platzen soll, meinen ungeheuern Trumpf aus- 
spielen und ich frage, so beiläufig, wie mir’s ge- 
lingt, den aufmerksam Steuernden neben mir, ob 
er nicht am Ende wieder einmal seine Mappo 
liegengelassen hätte, Mein Schwager, ohne wei- 
ter aufzublicken, sagt gleichmütig, indem er ein 
Bauernfuhrwerk überholt, die Mappe habe er dies- 
mal gar nicht mit in die Kirche genommen, die 
liege hinten im Wagen, heute früh wenigstens, 
davon habe er sich überzeugt, wäre sie noch 
dort gelegen, Aha, denke ich, der hat was ge- 
merkt und zahlt dir deinen schlechten Spaß heim. 
Aber unheimlich wird mir's doch und ich frage 
ihn noch einmal, dringlicher. Und er, schon etwas 
unwirsch, sagt, ich solle ihn doch mit der sau- 
dummen Mappe in Ruhe lassen, 

Jetzt ist das Erschrecken an mir und ich sage, 
wenn das wahr ist, dann habe ich, Himmelherr- 
schaftseiten, die Mappe von dem verdammten 
Schwarzbart mitgenommen! 

Mein Schwager lacht häßlich, er fährt an den 
Straßenrand und zieht die Bremse. Natürlich, jetzt 
seh ich's auch, es ist nicht unsere Mappe, aber 
das Mössenzeug sieht sich ja so ähnlich, wie ein 
Ei dem andern. Wir schauen in die fremde Mappe 
hinein, Geld ist darin, viel Geld und ein Rech- 
nungsbogen über vereinnahmte Kirchensteuern, 
an die tausend Mark. 

Wenn so ein Abenteuer einen Geschichtenschrei- 
ber in die Hände fällt, der macht einen Roman 
draus mit vielen lustigen Verwicklungen und pein- 
lichen Zwischenfälle. Auch ich hätte nicht übel 
Lust dazu. Aber ich will bei der Wahrheit blei- 
ben — der Roman ist uns erspart geblieben. 
Wir sind auf der Stelle zurückgefahren, bei jedem 
Ortseingang haben wir schon gedacht, jetzt steht 
ein Gendarm da oder ein Leiterwagen ist quer 
über die Straße gestellt, um die flüchtigen Ban- 
diten aufzuhalten. Aber es ist alles noch gut ge- 
gangen, wir haben den finsterbleichen Mann ge- 
rade noch in seinem ersten, ratlosen Schrecken 
abgefangen, wie er zur Polizei hat gehen wollen. 
Es ist bei Gott nicht leicht gewesen, ihm klar zu 
machen, daß es sich um ein Versehen gehandelt 
hat. Er ist aber dann höflich genug gewesen, so 
zu tun, als ob er uns glaube. Ja, er hat sogar der 
Versuchung widerstanden, vor unsern Augen das 
Geld abzuzählen, ob auch nichts dran fehle. Aber 
für Hochstapler und \ausgemachte Spitzbuben, 
die's dann doch mit der Angst gekriegt hätten, 
hält er uns sicher heute noch. 


BIERSOIE 


. VON HANS B. 


Diese Geschichte hat jeder schon einmal gehört. 
Hier soll sie aber zum erstenmal erzählt werden, 
wie sie sich wirklich zugetragen hat, 

Nach dem Weltkrieg kehrte eine kleine Gruppe 
Soldaten in Ihr Itallenisches Heimatdorf zurück. 
Die meisten von ihnen fanden sogleich wieder 
ihr bescheidenes Fortkommen, aber einer — 
Mario P., der gasvergiltet worden war und nicht 
mehr seine alte Leistungsfähigkeit hatte — konnte 
nicht regelmäßig arbeiten und verfiel mit der Zelt 
In Armut, Dennoch ließ ihn sein Stolz eine mild- 
tätige Unterstützung oder Hilfe vonseiten der 
übrigen Dorfbewohner zurückweisen. 

Einmal Im Jahr hielten die ehemaligen Kriegsteil- 
nehmer ein Versammlungsfestessen ab. Bei einer 
dieser Gelegenheiten trafen sie sich im Heim des 
Ingenieurs Borsali, der es zu großem Wohlstand 
gebracht hatte, und der dick und ein wenig 
prahlerisch geworden war. Borsall ließ unter den 
Festteilnehmern eine Seltenheit herumgehen, eine 
große wundervolle Goldmünze, über deren hohes 
Alter, Seltenheit und Wert er sich wohlgefällig 
verbreitete. Alle Anwesenden bewunderten sie 
voll Interesse, während sie um den langen ova- 
len Tisch herumgereicht wurde, Alle Jedoch hatten 
reichlich dem Wein zugesprochen und der Raum 
erdröhnte von ihren in Erinnerungen schwelgen- 
den Gesprächen, so daß die Goldmünze bald 
vergessen worden war. Später, als Borsali wieder 
daran dachte und danach fragte, war die Münze 
spurlos verschwunden. 

Sofort erhob sich ein Gewlrr von Fragen und Ver- 
wahrungen. Endlich schlug der Bürgermeister, der 


DMUNZE 


WAGENSEIL 


auch geladen war, vor, jedermann sollte sich 
durchsuchen lassen. Sogleich stimmten alle die- 
sem Vorschlag zu — ausgenommen P. Seine Ka- 
meraden blickten ihn erstaunt an, „Du welgerst 
dich also wirklich?” fragte ihn Borsali ungläubig. 
P. errötete. „Ja“, sagte er. „Ich kann es nicht zu- 
lassen.” 

„Bist du dir auch bewußt”, fragte der Eigentümer 
der Münze, „was deine Weigerung bedeutet?” 
„Ich habe die Goldmünze nicht gestohlen, und 
lasse mich nicht durchsuchen”, erwiderte P. 
Einer nach dem anderen der Gruppe kehrte seine 
Taschen um. Als die Münze nicht zum Vorschein 
kam, richtete sich die Aufmerksamkeit erneut auf 
den armen P. 

„Sicherlich wirst du nicht auf deiner Weigerung 
bestehen wollen?“ fragte der Bürgermeister. P. 
gab keine Antwort. Borsali stapfte ärgerlich aus 
dem Zimmer. Keiner der Anwesenden sprach 
mehr ein Wort mit P., und unter den tellnehmen- 
den Blicken seiner Freunde verließ er mit der ver- 
Pprügelten Miene eines überführten Verbrechers 
das Zimmer und ging heim, 

Von diesem Tage an war P. ein verachteter Mann. 
Die übrigen Dorfbewohner wandten den Blick 
weg, wenn sie ihm begegn: . Er geriet in im- 
mer gröi Armut, und als nicht lange darauf 
seine Frau starb, wußte niemand genau oder 
kümmerte sich groß darum, ob dies aus Not oder 
Scham geschehen war. 

Einige Jahre später, als der Vorfall mit der Münze 
fast schon zur Legende geworden war, nahm 
Borsall einige bauliche Veränderungen In seinem 








Im tierärztlichen Wartezimmer - Nella stanza d’ aspetto del veterinario 


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Hause vor. Bei dieser Gelegenheit fand ein Ar- 
beiter die Goldmünze. Sie war In den Schmutz 
zwischen zwel Fußbodenbretter des Zimmers ein- 
gebettet, in dem das Festessen stattgefunden hatte. 
Wenn Borsali auch manchmal etwas großtuerisch 
und eitel war, so war er doch auch ein gerecht 
denkender Mann, und nun er den Beweis von P.s 
Unschuld in Händen hatte, eilte er, Abbitte zu 
leisten, Er ging in P.s bescheidene Behausung, 
berichtete ihm von dem überraschenden Wieder- 
auftauchen der Münze und bat Ihn aufrichtig we- 
gen der Verdächtigung um Verzeihung. „Aber", 
endete er, „du hast doch gewußt, daß man die 
Goldmünze nicht bei dir finden würde: warum 
hast du dich dann nicht durchsuchen lassen?” 
P., abgerissen, mager und vorzeitig gealtert, 
blickte Borsali aus glanzlosen Augen an. „Weil 
ich doch ein Dieb war", sagte er stockend. „Selt 
Wochen hatten Ich und meine Familie nicht satt 
zu essen. Da stopfte ich meine Taschen voll Brok- 
ken, die ich vom Tisch genommen hatte, um sie 
meiner Frau und meinen hungrigen Kindern heim- 
zubringen.” 


MEIN FREUND JOHANNES 


„Denk dir", erzählte Ich, „was Schulzes für ein 
Pech gehabt haben. Sie hatten sich doch Im 
Frühjahr ein paar Kaninchen gekauft. Den ganzen 
Sommer und Herbst über konntest du die Leut- 
chen herumlaufen und Futter sammeln sehen. Und 
nun sind sie ihnen weggelaufen. Die ganze 
Familie ist untröstlich. Jedem klagen sle Ihr Leid. 
Wie sie an den Kaninchen gehangen hätten, und 
wie nledlich und zutraulich die schon gewesen 
wären.” 

„Sie sagen niedlich und zutraulich und meinen 
„fett“, sagte Johannes. ). Bleger 


(Heh. Kloy) 


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Eifersucht 


(K. Heiligenstaedt) 





„Wer war der Herr in der Loge, der dich so vertraulich grüßte?" 
„Bei dem sind wir doch mit Marinaden eingetragen! 


Gelosia: ‘Chi era quel signore nel palchetto che tl salutava con tanta confidenza?,, 
“Eh, nol siamo Iscritti da lul pel pesce marinato!,, 


119 


«DAS STAMMGERICHT 


VON HERBERT A. LOHLEIN 


Jeder aus der kleinen, fröhlichen Gesellschaft 
hatte die stets dankbare Geschichte erzählt, wie 
er sozusagen am roten Faden des Schicksals zu 
einer Frau gekommen war. Der Gemischtwaren- 
händler Pföderl entpuppte sich hierbei als Fata- 
list, denn — so behauptete er — hätte der Fox 
von Geheimrat Wiesecke damals nicht an die 
Finokki-Kiste vor seinem Laden gepinkelt, so hätte 
er niemals das Fräulein Elsbeih kennengelernt, 
das den Fox spazierenführte. Dem widersprach 
der Güteradministrationskanzleiobersekretär Wirr- 
zabel leidenschaftlich: „Alles Blödsinn!” Es gäbe 
kein Schicksal, keinen Kaffeesatz, keine Sterne 
und keinen Zufall. Alles sei Sache des nüchtern 
technenden und ordnenden Verstandes. Kurz — 
der Geist herrsche über Körper und alle wandel- 
baren Dingel 

Der Buchhalter Zwitscherer, der bislang geschwie- 
gen hatte, mischte sich jetzt in die Auseinander- 
setzung: „Gestatten Sie meine Herren, daß ich 
Pföderl verteidigen mußl Er hat recht: Es gibt 
tolle Zufällel Wenn ich mit meiner wahren Ge- 
schichte nicht etwa Ihre ästhetischen Gefühle vor- 
letzen müßte, würde ich Ihnen den Beweis lie- 
fern, wie sehr einem manchmal das Schicksal 
einen Possen spielt und” — hier wandte er sich 
im Besonderen’ an Wirrzabel — „wie zuweilen 
der Körper den gutiwilligsten Geist vergewaltigtl” 
„Raus mit der Geschichtel” — drängten nun alle, 
aufs höchste interessiert an einer unästhetischen 
Begebenheit, die vielleicht das geheimnisvolle 
Dunkel um den schwermütigen Buchhalter Zwit- 
scherer aufhellen könnte. 

„Sehen Sie...”, begann Zwitscherer, „ich wäre 
heute ebenso glücklich verheiratet wie Sie alle, 





Trost - Conforto 


mit Hannetrude nämlich, einem netten, hübschen 
Mädel, das ich vor nicht allzu langer Zeit kennen- 
lernte — In einer nahe gelegenen Kleinstadt 
übrigens. Leider hielt sie allzuviel auf das Urteil 
anderer Leute und legte auf Äußerlichkeiten zu 
großen Wert. Auch war Ich mit Ihr noch in jenem 
kritischen Stadium, wo das Herz den Verstand 
noch nicht besiegt hat. Das Schicksal spielte mir 
vielmehr gleich am Anfang schon den absonder- 
lichsten Streich. 

Ich war eines Abends um sieben bei Hannetrude 
zur Geburtstagsfeier eingeladen. Knapp nach 
sechs kam ich aus dem Büro, rannte von der Bahn 
weg In ein Blumengeschäft, in dem lediglich ein 
Kaktus und ein paar Araukarientöpfe zu haben 
wären. Sie werden zugeben, daß. dies keine Blu- 
men für eine junge, moderne Dame wie Hanne- 
trude sind. Mein Friseur hatte seln letztes Parfüm 
vor einigen Tagen verkauft und in den übrigen 
Geschäften gab es lediglich noch Papierserviet- 
ten oder Klorollen. So gab ich die Jagd nach 
einem Geschenk auf und stürzte in das Bahnhof- 
restaurant, um nicht mit knurrendem Magen zur 
Geburtstagsfeier zu kommen. 

Der Tag war in der Tat schicksalhaft für mich, 
denn hier waren die Fleischgerichte bereits ge- 
gessen und vom Stammgericht blieb noch eine 
Mischung von Sauerkraut mit Blaukraut übrig. 
Na schön — ich schlang in aller Eile das fru- 
gale Menu hinunter, es lag in vier Vogelnäpfen 
ausgebreitet und nannte sich Mischgemüse. Als 


ich das Souper beendet hatte, war es sieben © 


geworden und höchste Eile. Hannetrude empfing 
mich im Abendkleid und in strahlender Laune, 
Voller Vorfreude teilte sie mir mit, daß ihre 


(0. Hortmann) 





„Ja — ja —, aber in dem Alter macht's ja noch nix!“ 


„Non & vero, papä, che la bambina asıcmiglia tutta alla nonna?,, — "Sl...sl.. .ma in questa etä non fa mica nientel,, 


120 


Schwester zwei Theaterkarten zu einer Premiere 
im Stadttheater zu verkaufen habe, da sie selbst 
plötzlich verhindert sei. Man gab die ‚Heilige Jo- 
hanna’ — ein Ereignis für das kleine Städichen. 
Wunderbar! entfuhr es mir — denn jetzt war ich 
doch noch zu einem Geburtstagsgeschenk ge- 
kommen. Hannetrudes Freude steckte mich an 
und ich war nun froh, daß ich doch die neuen 
Lackschuhe angezogen hatte, die mich so fürch- 
terlich zwickten. Prüfend Üüberflog Hannetrude 
mein Äußeres, denn, wie ich schon bemerkte, 
war sie sehr akkurat in allen Dingen guter Le- 
bensart. Sie schnippte einige Stäubchen von mei- 
nem Rockrevers und meinte sachlich zu meinem 
schwarzen Anzug: ‚Wenn Sie ihn gelegentlich 
wenden lassen, geht er noch ein paarmall’ 
Und nun komme ich langsam zum Kern meiner 
Geschichte und insbesondere zur Widerlegung 
von Wirrzabels Behauptung, der Geist sei Herr 
über alle Dinge der Materie...” — Zwitscherer 
holte tief Atem und nahm einen gierigen Schluck 
aus seinem Glas. Wirrzabel Jedoch, bekannt als 
rechthaberischer und spöttischer Mensch, erklärte 
kategorisch: „Ich betrachte Ihren sogenannten 
Beweis a prior als Blödsinn, denn hier gibt os 
nichts zu beweisen!" 

Zwitscherer lächelte mit jenem tragischen Zug um 
die Mundwinkel, den nur Wissende, Philosophen 
und Angehörige freier Berufe besitzen. 

„Die Plätze waren vorzüglich, ganz vorne im 
Sperrsitz und die Honoratioren des Städtchens 
liefen sich im Foyer gegenseitig Spießruten, Jedes 
kannte jeden. Ich war der einzige Fremde. 
Hannetrude dagegen wurde allseltig begrüßt. 
Ab und zu trat sie mir auf die Lackschuhe und 
flüsterte leise: ‚Vernelgen Sie sich — die Frau 
Geheimrat kommtl‘ Ich verneigte mich denn 
auch bei jedem Fußtritt ehrerbietig und lächelte 
verbindlich. 

Dann läutete es draußen im Foyer. Die Stühle 
klappten herunter. Das Licht‘ging aus. Beseligt 
streichelte ich einmal zart und flüchtig über 
Hannetrudes nächstliegende Hand. ‚Lassen Sie 
das!" sagte sie eindringlich — ‚hier sitzt man 
auf dem Tablett!" Ich setzte mich also ebenso 
steif in Positur wie die übılgen Herren und ver- 
tröstete mich auf den Nachhauseweg, denn ich 
wollte an diesem Abend mit Hannetrude zu 
einem gewissen Abschluß kommen, 

Der Vorhang hob sich. Die ‚Heilige Johanna’ be- 
gann. Es war eine weihevolle, spannunggeladene 
Stille In dem großen Raum. Ich verspürte ein 
unangenehmes Gefühl, eine Art Alpdrücken, un- 
ter dem Herzen in der Magengegend. War es 
die Dramatik des voraneilenden Geschehens oder 
war es ein innerer Druck — ich halte zuwellen 
das Gefühl, in einem Lift zu sitzen — kurzum, 
ich wurde nervös und kribblig, drehte die Dau- 
men, verschränkte die Arme, nahm sie wieder 
herunter und zupfte bald hier, bald dort an mel- 
nem Rock. Hannetrude sah einmal strafend und 
leise kopfschüttelnd zu mir herüber. Da wurde 
es nur noch ärger, denn jetzt spürte ich plötz- 
lich ein heftiges Stechen in der linken unteren 
Seite des Magens. Es setzte zeitwellig aus, Dann 
wartete ich nervös, bis es wieder kam. Es kam 
auch tatsächlich, aber diesmal auf der anderen 
Seite, Und dann, Teufel nochmal, spürte ich es 
rechts und links zugleich, schon etwas tiefer. 
Meine Herren — ich möchte diesen medizinischen 
Tatbestand nicht mit einem vulgären Wort be- 
legen, aber ich glaube, daß Sie sich alle schon 
einmal in einer ähnlich fatalen Lage befunden 
haben — wenn auch nicht gerade während der 
Premiere der ‚Heiligen Johanna‘, Diesen abson- 
derlichen Witz hatte das Schicksal sich nur für 
mich ausgedacht” 

Hier unterbrach Pföderl, dem nichts heilig war, 
Zwitscherer’s Geschichte mit einem lauten Gröh- 
len: „Ha, ha... Mensch, Bauchweh, was? Kenn 
Ich! Mischgemüsel Ha—ha—hal" 

Zwitscherer runzelte die Stirn: „Mir war, weiß 





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Gott, nicht zum Lachen! Bauchweh zu Hause in den 
vier Wänden und Bauchweh in der ‚Heiligen Jo- 
hanna‘ sind Unterschiede, meine Herren! Na ja, 
es verging ab und zu wieder. Aber verflucht — 
es kam auch wieder! Nach jeder Pause immer 
heftiger — und was das Ärgste war: Mit musi 
kalischer Untermalung!” — Jetzt nahm sogaı 
Wirrzabel lebhaften Anteil: „Erzählen Sie schon 
weiterli” 

„Ja also: Die ‚Heilige Johanna’ kam ebenfalls rich 
tig in Fluß. Die Spannung wuchs ungeheuer — 
der Theaterhusten setzte bald völlig aus. Eine 
Stecknadel hätte man fallen hören können! Und 
nun geben Sie acht, meine Herren: In diese 
Stille hinein zirpte mein Innenleben plötzlich 
leise wie die Winde des Zephyr: ‚Wuwiewünui— 
düdlüt—krrr. .." — 

Sie werden verstehen, daß mir langsam schwül 
wurde, Ich rückte auf meinem Sitz hin und her 
Zugegeben: Manche Stellen aus der ‚Heiligen 


Johanna’ sind miı völlig entgangen, Ich sugge- 
rierte mir Inbrünstig: ‚Es geht alles vorüber...‘, 
aber richtig erschrak ich erst, als es plötzlich 
aufdringlich aus meinem Innern in einer Art 
Bauchrednersprache dröhnte: ‚Rogl—rogl—gugi— 
hugl—lüt—witt—witt—ziep ...” 

Jetzt waren unvermeldlicherweise auch Hanne- 
trude und die Nächstsitzenden um mich herum 
aufmerksam geworden. Ich sah deutlich, wie 
Hannetrude empört zu mir herüberschielte und 
nervös Ihr Handtäschchen umkrallte. Ich begann 
zu schwitzen — natürlich können Sie auch darüber 
leicht lachen, aber machen Sie das einmal wirk- 
lich mitl! 

Gottseidank, es waren dann ein paar Sekunden 
Ruhe. Bis — na ja, bis ich dann zum Orchester 
für die ‚Heilige Johanna’ wurdel Kennen Sie die 
Stelle, wo der Inquisitor aufsteht und... aber las- 
sen Sie mich vorerst weiter berichten: 

Ich verfluchte alle Stammgerichte der Welt, denn 








a ge | | 





jetzt platzte ich förmlich in die verhaltene, dra 
matische Stille hinein: ‚rummwummschru—krr-— 
wumm—swief...‘ Der letzte Ton endete in Moll. 
Wenn Sie schon einmal in einer Bauernkegelbahn 
das Umfallen aller Neune beobachtet haben, so 
hörte sich mein musikalischer Exzeß an. Ich be- 
gann Blut zu schwitzen. Ja, der Schweiß sickerte 
mir aus allen Poren in die gestärkte Hemdbrust 
hinunter und der Stehkragen hing mir wie ein 
zermanischtes Treibsegel um den Hals. Dazu hatte 
Ich eiskalte Hände und glühende Ohren. Na, ich 
kann Ihnen nur sagen: Not lehrt beten! Ich 
opferte Im Geist dem zuständigen Heiligen rie- 
sige Kerzen, gedachte Waisenhäuser zu stiften 
oder mich stundenlang auf spitzen Scheitern zu 
kasteien. Dazwischen hinein fluchte ich auf Sauer- 
kraut und alles Krauı von Stammgerichten.“ 

In einer Art peinvoller Rückerinnerung fuhr sich 
Zwitscherer über die Stirm und fuhr mit heiserer 
Stimme fort: „Und jetzt also kam jene Stelle, die 





Unheimliche Schatten auf der Mattscheibe 








Bei der Rückkehr von einer Reise 
fand Meisterdetektiv Styx auf sei- 
nem Schreibtisch einen Brief vor. Er 
war in großer Erregung geschrie- 
ben. Zum Schluß hieß es: „Wöh- 
rend unserer Abwesenheit muß ein 
Fremder in die Wohnung kommen. 
Wir erkennen es am Verbrouch des 
elektrischen Lichtes. Bei der letzten 
Stromrechnung wurde uns vor dem 
Riesenbetrag_schwindlig. Schreck- 
lich, dieses Gefühl! Ist ein Ver- 
brechen gerlanıt Auf den Matt- 
scheiben der Türen glauben wir un- 
‚heimliche Schatten zu sehen. Kom- 
men Sie schnell, helfen Sie uns!” 
Bald dorauf läutete Styx an der 
Wohnungstür des Briefschreibers. 
Mon öffnete. Mehrere Personen, 
dos hilfesuchende Ehepaar und 
seine drei Töchter, standen in der 
Diele. Alle machten sie einen stark 
verängstigten Eindruck. 





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Blitzschnell stieß Styx die Rechte 
vor. In ihr blitzte es auf. „Hände 
hoch!” 

Die Anwesenden rissen die Arme 
aufwärts, als griffen sie in einer 
Stroßenbahnkurve nach den Halte- 
gurten. 

„Erschrecken Sie nicht!" beruhigte 
Styx. „Kein Schießeisen, nur meine 
Tabakspfeife. Ich bin Styx.“ 

Der Hausherr hatte sich zuerst ge- 
faßt. „Ich muß schon sagen, Heır 
Styx,” stammelte er, „Ihre Einfüh- 
rung ist eigenartig. 

Styx lächelte. „Ich wollte Sie nur 
an Maßnahmen hindern,“ meinte 
er, „die Ihre Zimmer und damit 
den Beweis verdunkeln konnten.” 
Domit ging er zum elektrischen 
Stromzähler.Sorgfältig untersuchte 
er ihn. Dann durchschritt er die 
Zimmer. „Habe mir's gedacht,” 
sagte er, „in allen Räumen Fest- 





beleuchtung! Kronenmitacht, zehn, 
zwölfBirnen, dreiTischlampen, eine 
Klavierampel! Kein Wunder, daß 
die Uhr Ihres Stromzählers den 
Drehwurm hat und daß Sie Kauf- 
hausstromrechnungen zahlen müs- 
sen! Wissen Sie, wer sich in Ihre 
Wohnung eingeschlichen hat?“ 
„Wer denn?” kam es hastig wie 
aus einem Munde. 
„Kohlenklau! Wo Kohle, Gas 
Und Strom verplempert werden, 
sitzt er auf dem Zählerzeiger und 
fährt Karussell. Wozu muß, sich 
iedes Familienmitglied in seinem 
eigenen Zimmer mit Vielfraßkron- 
leuchterverkrümeln#Setzen Sie sich 
um den gemütlichen Familientisch, 
begnügen Sie sich mit einer Ge- 
meinschaftslampe! Sind die übri- 
gen Zimmer dunkel, werden Sie 
auch keine Schatten mehr auf der 
Mattscheibe sehen.” 





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UND DAS SIEBENECK 


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paßt sich Ihr Füllhalter der I nönsschrifl an, 
> denn sie ist besonders dünnflüssig und dobei lorbstark, die 


bewährte 
Vf Fällhalter-Tinde 


FILTER 


Gefillerter Rauch 
Reiner Genuß 





ich vorhin erwähnte: Der Großinquisitor stand auf 
und richtete an die ‚Heilige Johanna’ die Frage 
‚Und wer sagt dir, daß du im Recht bist?" — Da 
antwortet die ‚Hellige Jchanna', und diese Stelle 
bleibt mir ewig unvergessen: Meine inneren 
Stimmen! 

Im gleichen Augenblick dröhnt es aus mir bis hin- 
auf zum 1. Rang und hinaus auf die Bühne: , 
rump! — humpl— wugl— rugl — jÜÜ— tsil—fftl" Eine 
ganze Tonleiter! Alles wurde unruhig, quliekste 
zuweilen da und dort, ja — ich sehe noch den 
Großinquisitor, wie er das Lachen verbeißt, 
schluckt und druckt — ersparen Sie mir das wei 
tere: Ich habe, um es kurz zu sagen, die ganze 
Vorstellung umgeschmissen! Einige kicherten ganz 
offen und hinter mir schneuzte sich Jemand durch 
die Nase. Hannetrude aber saß, mühsam be- 
herrscht und weiß wie Käse im Fauteuil. Ich sel- 
ber war einer Ohnmacht nahe, ich hielt fieberhaft 


m 


meiden und rundherum schwankten die Ränge. 
als ob sie sich vor Lachen schüttellen. Ist es 
nicht paradox, daß zuweilen die unsagbaren 
Dinge am lautesten reden?! 

Endlich flammten die Kronleuchter wieder auf. Ich 
schwebie wie ein Fesselballon zur Tür. Die ‚Hei 
lige Johanna’ wurde beinahe zur Nebensache, 
während ich für Minuten zum Star dieses Abends 
aufrückte. Heute weiß ich, wie einer Dynamit 
patrone vor dem Platzen zumute Ist! 

Bleich und abgekampft sage Ich an der Logen- 
tür: ‚Trudhanne .. * — in der Aufregung verwech- 
selte ich ihren Vornamen — ‚Trudhanne ich 
komme gleich wieder... .nur bitte einen Augen 
blick!" 

Hannetrude aber maß mich mit einem unsäglich 
verachtungsvollen Blick und zischte mir noch ent- 
gegen: ‚Sie sind ja ein unmöglicher Menschl! 
Gehen Siel’ 


wumm...‘ — aber diese letzte Bauchrede ging 
Gottseidank im Foyerlärm unter. Wie aus einem 
Nebel hörte ich noch von weither Stimmen: 
‚Guck mal... hier ist doch der ulkige Mensch 
mit der inneren Stimme..." 

Es bleibt weiter nichts mehr zu berichten als der 
Tragikomödie letzter Schluß; Ich habe Hanne: 
trude nie wieder gesehen. Sie war und blieb ver- 
schwunden. Und dies alles wegen einer Portion 
Stammgerlichti 

So... und jetzt, meine Herten — urteilen Sie 
selbst: Wo ist nun hier die Macht des Geistes 
über den Körper geblieben, he?" 

Der Güteradministrationskanzleiobersekretär Wirr- 
zabel, ein rechthaberischer und spöttischer 
Mensch, schlug sich auf die Schenkel und pol- 
terte eine dröhnende Lache heraus: „Alles Blöd- 
sinn — nicht der geringste Beweis — wären Sie 
eben in die Oper gegangen, dann hätte kein 


den Atem an, um neue Bauchrednerkünste zu ver- 


Es machte noch einmal: 














Viel Laufen und Stehen ermödet ie 
Beine und laßt vie anschwellen Ver 
michen Sie mal die Beine nachts um 
30 am höher zu legen! 





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bittet um Rückgabe leerer 

Flaschen an die Apotheken. 

u, an Laboratorium Graifix, 
Leipzig-Wiederitzsch 














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sieren, und zwar immer von der Seite 
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123 


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Die soziale 
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104 Selten Großloktar 
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genügt eine kloino Mango 
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tore lat knapp und mußschr 
sparsam verbraucht worden. 


WINNIE 


29) 


ARRDN NINE 








HUNDE - BÜRGER - DIPLOMATEN 


Es gibt Anknüpfungshunde, die sind besonders 
klein, körperlich sehr gepflegt, stets an derLeine. 
Und abends, wenn der Herr, der sich für den 
Hund der Dame interessiert hat, mit ihr soupiert, 
ist der Anstandswauwau schon im Bett. Kurz: 
wenn eine Dame sehr oft darauf angesprochen 
wird, ob ihr Hund echt sei, ist die Dame meist 
nicht ganz echt. 

Andererseits gibt es Nachbarhunde. Die können 
sich nicht riechen, deshalb, wenn sie sich sehen, 
bellen sie sich an. Und die p. t. Besitzer bellen 
mit. Sie beleidigen ihre gegenseltigen Hunde 
(als „Köter‘“ oder „Töle”) und nehmen es sich 
gegenseitig übel und grüßen sich nicht mehr. 
Kurz, es ist mit den Hunden wie mit den Ozea- 
nen: sie verbinden, aber sie trennen auch. 
„Vorsichtig! Bissiger Hund!” steht häufig neben 
dem Namen des Besitzers am Gartentor. Mit die- 
sen Hunden ist es wie mit dem Gewissen man- 
cher Leute: das wird auch von ihnen gerühmt 
wegen seiner Wachsamkeit und seiner empfind- 
lichen Gewissensbisse, und wenn man näher zu- 
sieht, ist es gar nicht da, 

Wie Philosophen wirken die Teckel. Sie verste- 
hen ihr Fell, von dem sie offenbar zuviel anhaben, 
über der Stirn In gedankenreiche Falten zu legen 
und — wer sie ruft, merkt das — haben eigene 
abweichende Auffassungen — die aber keiner so 
leicht versteht — wie Philosophen. Über wald- 
gerechte Vorstehhunde, kurzangebundene Polizel- 
hunde usw, erkundige man sich bei den zustän- 
digen Stellen. 

Wer Standesunterschiede sehen will, muß einen 
Barsoi — schmal, wie eine Segelyacht und hoch- 
mütig wie die Tochter ihres Besitzers — Im, sa- 
gen wir, Gespräch mit einem gewöhnlichen Stra- 
Benhund beobachten. Er schnüffelt nicht zurück. 
Er sieht gar nicht hin. Er trägt einen Hochmut 
mit sich, der gar nicht ahnt, wie er den knurten- 
den Neid der ganzen Hundewelt-gegen sich 
aufbringt. Aber hübsch ist es doch, wenn der 
Herr, der Ihn führt, oder gar die Dame, auch zu 
ihm paßt, 

Nero, eine große, gefleckte Dogge, verkörperte 
den Typ eines diplomatischen Hundes: repräsen- 
tativ und exclusiv. Sein Herr, zweiter Sekretär an 
der Gesandtschaft, war ein kleiner Grande, leb- 
haft, aber gemessen, dunkelrasiert, weder der 
Schönste noch der Klügste, aber betont exterri- 
torial und umgeben von dem Selbstbewußtsein 
des ganz jungen Diplomaten auf dem ersten Aus- 
landsposten. Wenn er neben Nero daherschritt, 
mochte er die Einen an den kleinen Prinzen Karl 
von England neben der großen Dogge auf dem 
Bild von van Dyck erinnern, die Anderen gar an 
einen soeben vom Pferd gestiegenen Vetter von 
Napoleon. 

Eines Tages nun mußte ein Bürger jenes Staats 
— es war ein kleiner, sehr demokratischer Staat, 
wo jeder den Nachbarn auf strikte Innehaltung 
der Freiheit kontrollierte — sehen, wie bei einem 
solchen Spaziergang Nero, der Diplomatenhund 
— mitten auf dem Bürgersteig, auf dem „Boule- 
vard der Freiheit‘ —, gegenüber dem Bürger- 
park, unter den Augen der Freiheitsstatue —, also 
wie der Hund... 

Zum Glück ist dies eine Kurzgeschichte und kein 
Epos, sonst müßte hier der schwer auszudrük- 
kende Vorgang geschildert werden und man 
müßte plastisch den Grund der Empörung des 
Bürgers beschreiben, die unbeschreiblich war. 
„Auf freier Straßel”, kochte es in ihm. „Wenn 
schon kleine Hunde, aber Hunde, die Ochsen 
gleichen... Wenn schon unsere Hunde, aber 
fremde Hunde... Wenn nun Leute kommen, die 
das sehen, oder gar leute kommen, die das 
nicht rechtzeitig sehen...” 

Er trat auf den kleinen Grande zu: „Ist das Ihr 
Hund?” 


VON SCHLEHDORN 


„Ja.“ Nero stand dabei, mit anmaßend unbefan- 
genem Ausdruck, wie ein Agent des Secret Ser- 
vice, der seine Hinterlistige Aufgabe erledigt hat. 
„Was haben Sie zu dem Verhalten Ihres Hundes 
zu sagen?” 

„Ach so... Bedauerlich, aber keine grande Chose.” 
„Im Gegenteil, mein Herr. Hier auf der freien 
Straße unseres freien Staates...” 

Der kleine Grande mußte lachen, soviel Grund- 
sätzlichkeit war er beruflich nicht gewöhnt: „Der 
Hund hat sich leider die Freiheit genommen.” 
Das hätte er nicht sagen sollen. 

„Halt! rief der Bürger, „Sie haben unseren Staat 
beleidigt. Ich ersuche um den Namen.” 

„Der Hund heißt Nero.” Nero hörte seinen Namen 
und bekam gefährliche Augen. Der Bürger wich 
zurück: 

„Folgen Sie mir zur Polizeil” (An der Ecke stand 
ein Hüter des Gesetzes, aber mit dem Rücken zu 
dem empörenden Vorgang.) 

In diesem Augenblick war der legationssekretär 
schon vor seiner Gesandtschaft angelangt. 

„Hier ist meine Polizei”, sagte er und nahm so- 
zusagen das Asylrecht seiner Gesandtschaft in 
Anspruch. 

Nero folgte ihm mit einem halben Blick zu dem 
Ankläger auf gleichmütigen Pfoten in das Portal. 
Der Bürger blieb zurück. Er hatte freie Zeit und 
ließ deshalb seinem freiheitlichen Zorn freien 
Lauf. 

„Die diplomatischen Beziehungen müssen abge- 
brochen werden“, forderte er von dem Minister, 
bei dem er „in dringender Angelegenheit” ein- 
gedrungen war, Der meinte, soweit wolle er nicht 
gern gehen. 

Dem anwesenden Referenten der Rechtsabteilung 
drängten sich die Fragen auf, wie man dem Hund 
die Pässe zustellen könne, ob man dem Hund 
sein Placet oder Exequatur entziehen könne, In- 
wieweit der Hund überhaupt exterritorial sei (als 
Hund des Gesandtschaftsarztes oder -predigers 
wäre er es zweifellos nicht gewesen.) 

„Dann muß ein Notenwechsel erfolgen“, beharrte 
der erzürnte Bürger, „andernfalls“, drohte er, 
„andernfalls wird das, was der Hund gemacht hat 
und das, was der Außenminister versäumt hat, 





morgen zusammen in den Spalten der ‚Freien Tri- 

büne‘ zu finden sein.” 

Was sollte der Minister tun? 

Seine Note war lang, nicht zu scharf, aber wür- 

dig, und schloß mit dem ernsthaften Hinweis, 
+, daß die Regierung unseres Freien Staates 

Äußerungen, wie sie ein Mitglied der von Ew. 

Excellenz geleiteten Gesandischaft der öffent- 

lichen Demarche seines Hundes folgen zu las- 

sen sich bewogen gefunden, hinnehmen zu sol- 
len nicht verantworten zu können sich be- 
wußt ist. 

Genehmigen Sie ..., usw. 
Es folgten drei Tage der Spannung. Endlich kam 
die Antwort. Sie befriedigte nicht voll, aber sie 
gab genügende Genugtuung und endete mit den 
Worten: 

„Im übrigen wird Verständnis dafür erwartet 

werden dürfen, daß es undurchführbar ist, 

Hunde mit unbedingt vollkommenen Anweisun- 

gen zu versehen und für deren Durchführung 

absolut zu garantieren, — surtout dans une quo- 
stion si dölicate. 

Indem ich die Versicherung meiner vollkom- 

menen Hochschätzung erneuere usw. 

Nero hat es nicht mehr zu Zwischenfällen auf der 
Straße kommen lassen, denn der Legationssekre- 
tär wurde bald darauf nach Montevideo versetzt, 
Der Vorgang ist in Sonderakten — Hunde B.) aus- 
ländische, 1.) diplomatische. b) inkorrektes Ver- 
halten derselben — beim Außenministerium je- 
nes Staates abgelegt. 

Womit wieder bewiesen ist: 1. Daß mehr Akten 
durch unkorrektes als durch korrektes Verhalten 
entstehen. 2. Daß es nicht nur diverse Rassen, 
Klassen und Charaktere von Hunden gibt, son- 
dern neben solchen, die den Menschen helfen, 
einander zu finden, auch ‚solche, die Zwischen- 
fälle säen. Man vergesse nie, daß Mephisto beim 
Osterspaziergang als Pudel auftrat. 3. „Aber“, so 
erklärte der Minister dem wieder beruhigten Bür- 
ger: „Wenn die Menschen so verschieden wären 
wie z. B. ein Bernhardiner, ein Teckel und ein 
Mops, ein Pointer, ein Pinscher und ein Pudel, so 
wäre ein diplomatischer Verkehr unmöglich. Aber 
erfreulicherweise sind alle Menschen gleich.” 

' 








LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Otto erhielt einen unfrankierten Brief. Er war von 
einem Bekannten. 

„Mir geht es gut”, stand darin, „meiner Frau geht 
es gut, den Kindern geht es gut, Laß es dir auch 
gut gehen. Till.” 

Wütend blechte Otto die Nachgebühr. Dann ging 
er in den Garten. Packte einen großen Stein 
und verpackte ihn. 

Unfrankiert — Porto zahlt der Empfänger — 
schickte er ihn Till. 

Dazu legte er einen Brief. Darin stand: 

„Dieser mächtige Stein fiel mir vom Herzen, als 
ich las, daß es dir gut geht. Otto.” J.H.R. 


* 
Ich habe eine neue Sekretärin. Sie ist nicht der 
schnellsten eine. Heute diktierte ich ihr einen 


124 


kurzen Brief. Sie kam und kam nicht wieder. 
Nervös läutete ich. 

„Wo bleiben Sie denn so lange?” 

„Ich habe den Brief getippt!” 

„Getippt! Ich nahm an, Sie sticken Ihn aus und 
versehen ihn mit einem Hohlsaumrändchen!" J.H.R. 


* 


„Mir imponiert so a Doktor net!” sagie dieser 
Tage Herr Wrtilek zu mir, „was einem der der- 
zählt, das waas unserans eh alles!” 

„Na, na, na —”, meinte Ich, „so ist das wieder 
nicht, Herr Wrtilek, Es gehört immerhin ein lang- 
jähriges Studium und die entsprechende Praxis 
dazu —" 

„Hör'n S’ mir damit aufl” unterbrach mich Herr 
Wrtilek. „Studium! Praxis! Daß i net lach! Da wir 
I Ihna glei was derzählen, damit’s sehn, daß des 
alles nur a Mumpitz is! Vorgestern kommt mir auf 
der Straßen der Doktor Griabler entgegen und 
sagt zu mir: Gut, daß ich Sie einmal treffe, Herr 
«Wirtilek, ich wollte Ihnen nämlich schon längst 
sagen, daß mir Ihre Frau Gemahlin nicht gefällt!” 
„Nun”, sagte Ich, „das ist doch schön von ihm, 
Sie aufmerksam zu machen!” 

„Was, aufmerksam machen? Auf was denn?“ 
brummte Herr Wrtilek gereizt. „Dazua brauch i 
kan Doktor netl Oder glauben Sie vielleicht aa, 
daß mir g’fallen tuat?” H.K.B. 


(R. Krlesch) 





„Gibt man einem Mann nicht nach, so läuft er gleich mit einer anderen! 
„Ja, ja, diesen Zeitpunkt darf man eben nicht verpassen!‘ 


Tattica: ‘Se non sicede ad un vomo, egli va subito da un’ altra!,, — **Glä, glä; questo momento non bisogna lasciarselo sfuggire!,, 


125 


(foni Bicht) 


P 


In Berlin an der Spree - A Berlino sulla Sprea 


RI 


nn 
Er ee 





OREST RETTET EIN MÄDCHEN 


Es war einmall Diesen märchenhaften Anfang 
wähle ich bewußt, denn ich kann mich nicht ver- 
bürgen, daß diese Geschichte wahr ist. 


In Hamburg an der Elbe war es. Gleich hinter 


der Reeperbahn. Gleich hinter dem großen Was- 
ser. Dort, wo die gelbe Elbe breiter und breiter 
wird und keine Brücke mehr die beiden Ufer mit- 
einander verbindet, 

Dort stand am Kal ein Junges Mädchen und 
starrto finster Ins Wasser. 

„Berrel“, machte sie, „Brerml Brerel” 

Wenn Menschen allein sind, stoßen sie nur Töne 
aus, Mit Worten hätte sich das Mädchen ungefähr 
so ausgedrückt: 

„Kinder! Kinderl Ist das Wasser kalt und graus- 
lich! Wenn ich noch’elnen Ausweg wüßte — aber 
Ich weiß keinen Ausweg — mir bleiben noch 
zehn Stunden — dann muß es sein — hätte Ich 
doch nicht! $o eine verdammte Dummheit“ 
Nun kam ein netter junger Mann des Kais da- 
her. Orest hieß er und sah aus, wie ein junger 
Zeus. 

„Ahoil” riet er, als er das Mädchen sah. 

Das Mädchen fuhr aus selnen Sinnen. 

Die Laterne warf Ihren Schein auf sie, 

Ein traumhaftes Gesicht! 

Blaue Augen, Blonde Haare. Ein roter Mund, 
„Mich schauertl” sagte das Mädchen. 

„Vor mir?" fragte Orest. 

„O nein! Vor dem Wasser da unten!” 

„Was kümmert dich das Wasser? Komm, laß uns 
gehen!” 

„Das Ist nur ein Aufschubl” 

„Ein Aufschub?” 





v 
Verantwortl. Schrifti 
alte Buchhandlunger 
gültig ab 15. Okt. 1941, 





und Druck: 








Hirth Kommanditgesollschaft, Münchor 


VON JO HANNS ROSLER 


„Morgen früh stürze ich mich hinein!“ 

Orest dachte, das gibt sich. 

Aber es gab sich nicht, 

Drei Stunden redete er schon auf das Mädchen 
ein. 

Jetzt küßte er sie gar. 

„Liebst du mich?” 

„Ich liebe dich, Orest!” 

„Bleibst du bei mir?” 

„Bis morgen frühl” 

„Und dann?” 

„Stürze Ich mich In die Elbel” 

„So eine Dummheit“ f Orest zormig. „Du bist 
Jung, du bist hübsch! Die Männer verzehren sich 
nach dir — warum sollen dich die Fische ver- 
zehren?” 

Das junge Mödchen seufzte: 

„Es muß sein. Ich kann nicht anders.” 

Orest griff sich an den Kopf. 

Wohin hätte er sich auch sonst greifen sollen 
Uber so viel Unvernunft! 

Tausend schöne Worte fielen Ihm ein. 

„Ich werde dich heiraten!” rief er, „ich bin reich, 
Ich bin ledig, ich liebe dich! Du sollst die schön- 
sten Klelder haben! Jede Woche gehen wir ein- 
mal ins Kinol Und Kinder bekommst du, wieviele 
du willst! Alle zwei Jahre mindestens dreil Deine 
Kinder werden weiße Kleider tragen. Mit himmel- 
blauen Schleifen! Wir nennen sie nach dem ABC: 
Anna, Bella, Cora, Dida, Eva die Mädchen, Fritz, 
Georg, Hans, Jürgen und Karlemann die Jungens! 
Und jeden Sonntag gibt es Schnitzell Mit Kar- 
toffelsalatl Na, was sagst du jetzt?“ 
„Wunderbar!“ 















dx 
r 30 Pt.; Abonner 


r Straße 80 (Feinrut 1296). Brio 






„Na alsol" x 

„Hast du auch eine Wohnung?” 

„Eine Wohnung? Eine ganze Etagel Ein Hausl” 
„Ein Haus?“ 

„Es hat drei Zimmei 
„Und einen Garten?” 

Orest nickte: 

„So groß, daß man von hüben nicht drüben über 
den Zaun spucken kanni” 

Da fiel ihm das Mädchen sellg um den Hals und 
küßte ihn, daß die Laterne schwankte, 

Orest schnaufte auf, 

Der Selbstmord war verhindert, 

Gottseidankl 

„Bist du jetzt vernünftig?" 

‚Ja, Orest.” 

„Wir helraten?” 

„Wit heiraten!” 

„Dann brauchst du dich also morgen früh nicht —?”" 
„Doch. Morgen früh stürze ich mich in die Elbel” 
„Das Ist Ja heller Wahnsinn!” 

„Warum Orest?" 

„Du kannst doch nur heiraten oder dich ins Was- 
ser stürzen! Entweder das eine oder das andere?” 
„Nein. Eines nach dem anderen!” 

„Das verstehe, wer will” 

Das Junge, hübsche Mädchen schmiegte sich zärt- 
lich an Orest. 

„Sieh, Oresti” sagte sie, „mir bleibt kein anderer 
Ausweg. Ich muß mich morgen früh in die Elbe 
stürzen. Ich bin nämlich heißer Favorlt des 
Schwimmklubs ‚Verkühle dich täglich!‘ und wir 
haben morgen früh Schauschwimmen quer durch 
Hamburg.” 








nschrift: München 2 BZ, Brleffach. 

us erscheint wöchentlic Bestellungen nehmen 
RM. 1 Anzeigenpreise nach Preisliste Nr.7 
’onischeckkonio München 5920. Erfüllungsort München. 








Von Wölfen verfolgt 


(0. Nückel) 





Inseguito dai lupi 


127 


Jagd nach Kanonenfutter ke. Tony) 





„Mit uns wollt Ihr Eure Feinde schlagen? Nehmt doch die Peitsche, mit der habt Ihr meinen Großvater erschlagen!" 


Caccia di carne da cannone: "Con noi...Vol volete abbattere i Vostri nemici? Ma prendete la sferza, con cui batteste a morte Il nostrononno!,, 


128 








München, 3. März 1943 


48.Jahrgang/ Nummer 9 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN 





Roosevelt und der Bolschewismus 


{Erich Sehltling) 





„Meine geliebten Europäer, Ihr seht, dieses Tierchen ist vollkommen zahm und lieb, Ihr könnt 
Euch ruhig seinem Schutze anvertrauen, es wird Euch dann sicher den ewigen Frieden bringen!" 


Roosevelt ed il bolscevismo: “Mliei amati Europel, Vol yedete, questo animaluccio & giä affatto 
domestico e carino. Polete affidarvi alla sua egida; esso pol Vi porterä ceriamente la pace eternal,. 


Entschuldigung - Scusa 


(Magon) 
































„Wie, nach fünfzigjähriger Ehe finden Sie plötzlich andere Frauen hübscher als die Ihre?" 
„Nicht plötzlich, Herr Doktor, schon selt neunundvlerzig Jahren!" 


“Come, dopo eInquant' ann] di matrImonlo trovate d’ Improwviso che altre donne sono plö graziose della Vostra?,, 
"Non d' Improwiso, signor Dottore, ma gl& da quarantanove anni!, 


ATELIERBESUCH 


VON WALTER FOITZICK 


Wenn man zu einem Schuhmacher In die Werk- 
stalt geht, oder zu einem Schneider, und dort 
sieht, was er Neues gemacht hat, dann wird 
jeder nach seinem Geschmack sagen: „Ah, das 
gefällt mir aber ausgezeichnet, und, sieh mal 
her, Elly, wie elegant das abgesteppt Ist, genau 
wie bei der Dame neulich In Garmisch.” Ja, das 
Ist eine ganz einfache Sache. Aber so ein Besuch 
Im Atelierl Wer getraut sich da, frisch von der 
Leber weg zu reden? Unmöglich Ist es schon, zu 
sagen: „...genau so wie damals bei Professor 
X.”, neln, das geht nicht, auch wenn so ein Bild 
In ähnlicher Welse abgesteppt Ist. Sagen darf 
man’s nicht. 

Wir Atellerbesucher stehen also Im Halbkreis um 
die Staffelel herum, auf die der Meister der Reihe 
nach seine neuesten Werke aufbaut. Wir über- 
legen, was man wohl Kluges sagen könnte, was 
nicht übelgenommen wird. 

Hier könnte einer einwerfen, warum man nicht 
einfach ausruft: „Prächtig” oder „O wie schön” 
oder „Nein, wie natürlich”. Dieser Mann ist schief 
gewickelt, mit so hellem Kinderjubel geht das 
nicht, auch nicht mit vor Freude und sellgem Er- 
staunen Indiehändeklatschen. Sowas können Sie 
bel Obst und Südfrüchten machen, aber nicht bei 
Landschaften in Ol oder Speerträgern In Bronze. 
Bel so etwas gibt es ein bestimmtes Zeremonlell, 
sen Grundton scheue Zurückhaltung ist. Den 
wenigsten wird es gelingen, schlagartige Ergrif- 
fenhelt zu zeigen. Dazu gehörte viel Ubung. Ein 
Lale sollte sich gar nicht darauf einlassen. * 
Sehr gut wirkt es, seine Aufmerksamkeit auf ein 
bestimmtes Bild zu konzentrieren und es immer 
wieder hervorzuholen und schwelgend zu be- 
trachten. Das zeugt von persönlichem Geschmack, 
um so mehr, wenn es kein Hauptwerk, sondern 
eine nebensächliche Arbeit Ist. Auch der Meister 
wird das verzeihen oder anerkennen. 

Bel Geübteren habe ich festgestellt, daß sie an 
ein Kunstwerk herantreten und eine bedeutungs- 
lose Stelle im Bilde vage mit breitem Daumen 











(nicht mit dem Zeigefinger!) umfahren und sagen: 
„Diese Partie finde ich besonders gut.” Doch das 
muß man schon öfter gesehen haben, um es gut 
nachmachen zu können. 


DIE SPEISEKARTE 


In einer rückwärtigen Ruhestellung verwalteten 
zwei ältere bereits kampferprobte Obergefreite, 
der besonnene Paul und der fast Immer zu Spaß 
aufgelegte Willy mit Umsicht und Hingabe eine 
kleine Kantine. Die Bude war neu aufgestellt wor- 
den und die beiden hatten Innen alles sauber 
hergerichtet und sich auch eine Theke zusammen- 
gezimmert. Stolz betrachteten Paul und Willy ihre 
Wiıkungsstätte und gewissenhaft musterten sie 
ihre Lagerbestände an Limonade, Bier und was 
sonst noch vorhanden war. Außerdem brachten 
die durch den Vormarsch bedingten Notschlach- 
tungen an Vieh es mit sich, daß Ihnen von einem 
Metzgerelzug manchmal auch Würstchen zum bil- 
ligen Verkauf zur Verfügung gestellt werden 
konnten und Willy schrieb deshalb auf eine große 
Tafel mit schön verschnörkelten Buchstaben hin: 
„Fleisch von allen Tieren.” a 

„Du wirst mit deinen Albernheiten noch in Teu- 
fels Küche kommen”, mahnte der besonnene Paul, 
aber Willy winkte nur großartig ab: „Laß man, 
Paule, mir kann so leicht keinerl” 

Wie wenn nun "Keckheit gleich auf die 
Probe gestellt werden sollte, ging die TUr auf 
und herein kam Max, gleichfalls ein gewiegter 
Landser, der bestimmt nicht auf den Kopf ge- 
fallen war. Max brummte ein kurzes „Servus“, 
betrachtete die Bude genau, nickte anerkennend 
und während er sich auf eine Bank setzte, sah er 
das herausfordernde und vielversprech« Pla- 
kat von Willy. Max las andächtig und laut: „Fleisch 
von allen Tieren? so-hm-so-s0?” 

„Jawoll”, sagte darauf kühn Willy. 









130 


„So, alsdann, was kannst du mir nachher am 
besten empfehlen, Willy?“ 

Willy wedelte mit einem alten Küchentuch wie 
ein gelernter Ober und meinte so ganz neben- 
bei: „Vielleicht nehmen der Herr ein schönes 
Stück Walfisch mit gelben Erbsen?|“ 
„Ausgerechnet mit gelben Erbsen?” 

„Jawoll, Walfisch kann man nur mit gelben Erbsen 
essen!” 

„Das Ist aber schad, gelbe Erbsen vertrage ich 
nämlich schlecht!”, sagte nun Max absichtlich 
langsam und betont gedehnt, weil er sich fleber- 
haft auf einen Ulk besinnen mußte, „aber“, meinte 
er weiter, „ich hätte dagegen sehr gerne eine 
Scheibe Elefantenrüssell” 

„Nur eine Scheibe?“ ... „Jawohl, nur eine Schelb: 
Darauf wedelte Willy nochmals mit seiner ele- 
gänten Serviette, er hatte das sicher vorher eln- 
studiert, und sagte dann bedauernd zu Max: „Das 
geht leider nicht, denn wegen einer einzigen 
Scheibe schneiden wir jetzt nicht extra einen 
ganzen Elefanten an” K. Vetter 








BANK DER GREISE 


Nun eo wieder märzlich It 

und die Wiederkehr des Alten 

freudig halb, halb fchmerzlich in 

- mie {ft doch der Menfch gefpaltent -, 
wollen mir uns ohne Härmen 
dankbar In der Sonne wärmen. 


Denn, gottlob, wir leben noch. 
Um die grünbemooften Afte, 
füberfarben, fchweben noch 
Träume... Und das If das Befte 
in den Tagen, da co apert, 
menn’s mit den Pedalen hapert. 


Gönnt eo uno, daß mir zu zwei'n 
oder drei'n beifammen hacken, 
ftumm vertieft ins pure Sein, 
und, bemehrt mit dicken Socken, 
hinterm Haus im Rillen Garten 
auf Öle Mittagsluppe warten. 


Ratatöchr 


Alexander kommandiert 


(E. Thöny) 


RETTET TCTTREDTEETETETLET ET 














„Montgomery wieder etwas vortreten, Eisenhower mehr zurück, Sie stehen da, als ob Sie noch was zu reden hätten!" 


Alexander comanda: “Montgomery, di nuovo un po’ avanti! Voi, Eisenhower, 
piö Indietro! State la come se aveste a dire ancora qualcosal,, 


131 


Casablanca in Hollywood ilheim Schul) 


GESUNGEN SEITHER STERN N 


NER 


„Den Hauptdarsteller für die Rolle Roosevelts hätten wir nun, jetzt fehlt uns nur noch ein Darsteller 
für Churchill!“ — „Für ihn können wir ja einen Komparsen nehmen, die Rolle ist nicht wichtig!“ 


Casablanca in Hollywood: “Ebbene Il protagonista per la parte di Roosevelt glä I’ avremmo; adesso non cl manca 
che un attore per Churchilil,, — "Ah per lul pol possiamo prendere una comparsa; la parte non & Importante!,, 


132 





LEGENDE 


VON A. WISBECK 


„Das hätte dein Ahn, der General, erleben müs- 
sen!” konnte ich schon als Kind alltäglich hören, 
wenn ich mich im Dunkeln fürchtete. Ja, dieser 
General Pankratius Weinzierl! Ich glaubte Ihn zu 
sehen, wie er auf feurigem Roß dahinstürmte, wie 
die Kanonenkugeln um ihn einschlugen, wie er, 
allen voraus, Feind um Feind niedersäbelte. Ein 
stärker, riesengroßer Mann, wurde erzählt, der 
als galanter Kavalier in den Salons schöner Frauen 
nicht weniger, wie im Getümmel der Reiter- 
schlacht seinen Mann stellte, Schon im Alter von 
fünfunddreißig Jahren sollte er dank seiner Tapfer- 
keit in der Schlacht bei Hohenlinden den Rang 
eines bayerischen Kavallerle-Generals erreicht 
haben. Aus seinem Leben erzählte man sich viele 
abenteuerliche Geschichten: Wie er die Schloß- 
treppe hinaufgeritten war, seine Braut auf das 
Pferd hob und lachend davonsprengte, wie er 
ein anderes Mal in bitterer Winterkälte auf sel- 
nem Berberhengst die Donau durchschwommen 
hatte, um zu einem nächtlichen Stelldichein zu 
gelangen, wie er, an der Sattelgurt hängend, vom 
galoppierenden Pferde aus die Haarschleife einer 
Dame vom Boden hob. „Mit der Hand bog er 
die Hufeisen seiner Pferde zurecht”, wußte Onkel 
Paul zu berichten. „Und seine Haare pflegte er 
auch besser als dul”, mäkelte Tante Anna mit 
einem mißbilligenden Blick auf meinen zerzausten 
Haarschopf. 

„Und dieser Junge da, der sich im Dunkeln fürch- 
tet, ist nun sein Abkömmling!’” murmelte mein 
Vater. Bitterkeit und Wehmut zugleich bebien in 
seiner Stimme, „Nun ja, zum General wirst du es 
wohl nicht im Leben bringen, aber wenn du auch 
nur die Note Ill im Rechnen erreichst, will ich 
schon zufrieden mit dir sein!“ — Allmählich emp- 
fand ich einen Widerwillen gegen meinen Ahnen. 
Er nahm in meinen Gedanken die Stelle eines 
Gottes an. Aber nicht die eines guten, eines 
lieben Gottes, sondern die eines bösartigen Gei- 
sites, der unnahbar über den Wolken thronend 
mit kalter Verachtung auf mich herabblickte und 


auf meine Erniedrigung sann. Furcht vor dem 
überwältigenden Glanz einer unvorstellbaren Macht 
zitterte Immerzu in meinem kindlichen Herzen. 
„Wo ist der gute Opa?” frug ich eines Tages 
verängstigt meinen Vater. „Dein Ahne?” bekam 
ich zur Antwort, „der General Pankratius Wein- 
zierl fiel an der Spitze seiner Kavalleriebrigade 
am 22. Juni des Jahres 1809 in der Schlacht bei 
Eggmühl.” „Wie war das nur?” frägt Tante Anna, 
„eine Kanonenkugel hat Ihn doch wohl zer- 
schmettert?” „Nein“, berichtigt mein Vater, „der 
Hergang war so: Mein Urgroßvater sprengt, wie 
immer, seinen Dragonern und Chevaulegern 
voran. Rechts und links läßt er seine Klinge auf 
Husaren und Ulanen niederblitzen, Da wird ihm 
das Pferd unter dem Leibe erschossen. Als er 
sich aufrichten will, streckt ihn ein furchibarer 
Säbelhleb nieder. Er Ist sofort tot. So fiel mein 
Urgroßvater, der bayerische Kavalleriegeneral 
Pankratius von Weinzierl.' 

Die Jahre vergingen, und ich fürchtete mich nun 
schon selt langem nicht mehr vor dem Dunkeln. 
Zum General hatte ich es freilich, wie mein Vater 





FLUCHTIGE BEGEGNUNG 
Von Herbert Leftiboudois (im Felde) 


Set gut zu mir! 

Laß mich in deinem Schatten wandern 
Ein Wegftück nurl 

Lang Ift Die Straße nach Rußland von Flandern - 
Sei gut zu mir! 

Und wenn du mir zugelächelt haft, 
Dann foll keine Spur 

Der flüchtigen Rat 

In deinem Herzen verbleiben. 
Nimmer werde ich Ichreiben, 

Nimmer dich wiederfchn - 

Sei gut zu mir! 

Auf meinem Soldatengrabe 

Soll’'n wilde Veilchen ftehn! 


Das Rennen der Exoten - La corsa degli esoticl 


voraussah, nicht gebracht. Manchmal trat noch 
der Ahne vor mich hin. Seine Brust funkelte von 
Sternen und Kreuzen, aber ich empfand keine 
Angst mehr vor ihm. Denn sein Blick ruhte mit 
Milde auf mir, ats wollte er sagen: Wie man auch 
seinem Vaterland dient — lieben muß man es! 
Eines Tages besuche ich die Ortschaft, in der 
meine Vorfahren seit Jahrhunderten als Bauern 
gesessen hatten. Hinterkindibach nennt sich das 
niederbayerische Dörflein, und wenn nicht der 
Zwiebel eines Kirchturmes die weithin wogenden 
Ährentelder überragte, könnte man es gar leicht 
übersehen. Da liegen sie nun auf dem kleinen 
Friedhof, die Bauern meines Namens, und hol- 
perige Verslein künden auf verwitterten Steinen 
von einem Leben der Arbeit. Ja, so ist es nun 
einmal: man pflügt, man söt, man erniet, man 
stirbt. Nun liegt man in der stillen Gruft, und nur 
die Bienen summen über Levkole, Phlox und Gold- 
lack. Man hat aus toter Scholle das Leben er- 
weckt, aber die Menschen nahmen es hin und 
vergaßen. — Wie konnte mein Ahne, der General 
Pankratius Weinzierl aus dieser Enge bodenstän- 
digen Bauerntums den Weg In die große Welt 
gefunden haben? Nun, das Schicksal führt uns oft 
auf seltsamen Pfaden. — 

Ich trete In das Schiff einer ländlichen Kirche ein. 
Uber gewundenen, grün marmorierten Säulen 
schweben, von Putten umgaukelt, goldene Bal- 
dachine mit Schnüren und Quästen, buntes Glas 
flimmert in Kronen, seidene Fahnen neigen sich 
über Schnitzwerk, im Halbdunkel der Nischen 
glühen aus silbernen Kelchen Rosen auf. Im Seiten- 
schiff hängen die Ehrentafeln jener bayerischen 
Soldaten, die dem Dörflein entstammten, und die 
keine Trommel und keine Pfeife mehr aus ihrem 
Schlafe weckt. — 1809 — lese ich auf einem der 
Steine. Mein Blick bleibt auf einem Namen haften: 


Korporal Pankratius Weinzierl 
des 4. bair. Lin. Infanterie Regiments 
verwundet in der Schlacht bei Eggmühl 
am 22. Juny 1809 
t 26. Juny 1809 


Es ist mir, als lächelten die pausbäckigen Enge- 
lein, die über der Tafel schweben. Sei gesegnet, 
braver Korporall 


(0. M. Haussor) 





133 


Ein merkwürdiger Vogel ist doch die Liebe 


An einem trüben, regnerischen Herbstmorgen 
lenkte auf der Straße ein kleiner dicker Mann 
durch sein eigentümliches Gebaren meine Auf- 
merksamkelt auf sich, Den. Hut tief ins Gesicht 
gezogen und den Mantelkragen hochgeschlagen, 
fuchtelte er mit seinem Stock wild durch die Luft, 
als führe er einen erbitterten Kampf mit einem 
unsichtbaren Gegner. Dicht vor mir blieb er plötz- 
lich stehen und rief: „Ah, Sie sind esI” 

Da erkannte Ich Ihn. „Hallo, Hansen! Welch eine 
Überraschung! Lange nicht gesehen, was? Wie 
geht es Ihnen denn?” 

Ich sah die taubeneigroße Beule an seiner Stirn, 
sein unrasiertes Gesicht, den zerbeulten Kragen 
und die zerdrückte Krawatte, 
„Mir geht es nicht gut”, stöhnte 
ich habe da eben was erlebt... etwas ganz 
Merkwürdiges... ach, ich begreife mich selbst 
nicht mehrl“ 

„Ist es mit dem Geschäft?” fragte ich teilnahms- 
voll — er machte In Herrenartikeln en gros. 
„Nein, etwas ganz Privates, Menschliches. Kom- 
men Sie, Ich will es Ihnen erzählen“, keuchte er. 
„Ich habe da einen ganz merkwürdigen Fall von 
Gedächtnisschwund erlebt.” 

„Ist mir auch schon vorgekommen, daß Ich ver- 
gaß, mich zu rasieren“, versuchte ich zu scherzen. 
Doch er erwiderte ernst: „Nein, s> harmlos Ist 








Vagabundenerbe 


Von Klaus Erich Boerner 


Seid stolz gegrüßt vom fremden Strolch im Land! 
Schenkt mir kein Mitleid, der ich reicher bin, 

ich Fahrender im scheckigen Gewand — 

so frei von eudh, frei von Besitz, Geroinn! 


Der rote Mohn, den just am Weg ich fand, 
schmückt schöner mich als euer Sonntagskleid, 
ist meines Sommers heilges Unterpfand, 

ist Gottes Weisheit, Gottes Lieblickeit ... 


Fromm ohne Kirchen halt’ ich mein Gebet: 

dann weiter fort in hell enffachter Lust. 

Zur guten Nacht, da Stern bei Sternen steht, 
schlaf idı im Stall, mein Blümlein an der Brust. 


Idı. hör’ die Erde atmen durch die Nacht 
und neue Länder locken mic im Traum — 
sehnsüchtig steh’ ich, eh’ der Tag erwacht, 
rotüberflutet schon am Hügelsaum. 


Nur immer vorwärts! ladıt die Welt mir zu, 
Gott will mir alles zeigen, was er schuf, 
Dem Bürger sei am Ofen sichre Ruh’ — 
ich folg' der lungen, langen Straße Ruf. 


Im Ranzen, wisset, liegt mein Testament: 
Auch ich 

mar einmal einer Mutter Kind! 

Nun bin ich tot. 

Gut, daß midı keiner kennt. 

Brennt mich zu Asche... 

Blast midı in den Wind! 


Dann mill ich über alle Straßen mwehn 

im Regensturm, im Maiensonnenschein, 

dem müden alten Stroldı zur Seite gehn 

und nachts beim Liebespaar am Waldrand sein: 


Frier' nicht, 

Gott hält ein warmes Grab bereit! 

Adı — meint dodı nidıt 

beim bittren Abschiedskußl 

Das Wandern bleibt Gesetz in Ewigkeit, 
dem jeder Bruder ruhlos folgen mußl 





Von Wilhelm Gross 


die Sache nicht. Sagen Sie mal, sind Sie auch 
schon einmal von einem Glas Wein betrunken 
geworden?” 

Ich schüttelte erstaunt den Kopf. „Nein!“ 

„Na sehen Siel Aber passen Sie auf.” Er ergriff 
meinen Arm und zog mich auf seinem Wege mit. 
„Hören Sie zul” kommandlerte er. „Also seit einer 
Woche war ich auf einer Tour über Land. Artikel 
fürs Frühjahr, verstehen Sie. Ich war tagtäglich 
von früh bis spät auf den Beinen. Gestern abend 
kehrte ich todmüde in einem Gasthaus ein. Ich war 
zu abgespannt und hatte deshalb keinen Appelt. 
So bestellte ich nur ein Glas Portwein. Kaum aber 
hatte ich das Glas geleert, begann alles um mich 
herum sich zu drehen. Ich war betrunken, total 
betrunken. Komisch, nicht wahr?” Er sah mich fra- 
gend an. Als ich nickte, erzählte er weiter. 

„Ich bezahlte also rasch und ging hinaus zu 
meinem Wagen. Ich startete vorsichtig und fuhr 
davon. In die Parkstraße. 

Dort angelangt, klinkte Ich die Gartentür auf und 
wollte die Garage öffnen — fand aber den 
Schlüssel nicht. 

Ich ging zum Haus. Aber auch der Hausschlüssel 
war weg. Da läutete Ich. 

Paula, die Hausgehilfin, öffnete die Tür einen 
Spalt — und stieß einen grellen Schrei aus, 
‚Was schrelen Sie denn so?’ fragte Ich verwun- 
dert. ‚Machen Sie aufl’ Sie aber erwiderte: ‚Die 
gnädige Frau ist nicht daheiml" 

Nun ist Paula von jeher kein großes Kirchenlicht 
gewesen. Ich schimpfte darum: ‚Soll Ich etwa 
die ganze Nacht auf der Straße stehen, bis meine 
Frau nach Hause kommt?’ 

Da ließ mich Paula ein. 

Ich ging sogleich ins Schlafzimmer und legte mich 
zu Bett. Und verfiel augenblicklich In tiefen 
Schlaf. 

Plötzlich aber wurde Ich geweckt. Das Licht 
flammte auf, Ich sah eine Dame In grauem Pelz- 
mantel vor dem Kleiderschrank stehen. Den Man- 
tel kannte ich nicht — wohl aber die Dame. 
‚Hilfe! Hiltel’ rief sie. ‚Oskar, komm rasch herl’ 
Ein Mann In Hut und Mantel ellte herbei und 
stürzte sich auf mich. Plötzlich Jedoch stutzte er 
und rlef: ‚Hugol Das ist Ja Hugol* 

Da erkannte auch ich den Mann. Es war Oskar 
Krämer, mein Schulfreund, von dem ich glaubte, 
er sei in Afrika. 

Als seine Überraschung sich etwas gelegt hatte, 
fragte er: ‚Ach, dann bist du es wohl, mit dem 
sie früher verheiratet war?!’ 

Da wußte ich plötzlich, daß die Dame Im grauen 
Pelz meine Frau war, von der ich vor einem Jahr 
geschieden wurde. — 

In dem Dämmerzustand, in den Ich durch das 
Glas Wein geraten, war Ich also In die Parkstraße 
gefahren, obwohl ich dort Ja gar nicht mehr 
wohnte, Ich schömte mich wie ein Hund. Was 
mußte Karen von mir denken? 

Doch da sprach sie schon in ihrer bekannt Im- 
pulsiven Weise. Ich sei in ihr Haus eingebrochen, 
erklärte sie, weil ich davon erfahren hätte, daß 
sie sich morgen mit Oskar verheiraten würde. 
Ich sel ein intriganter Schurke und so welter 
und so weiter, 

Daß mit Ihr zuweilen nicht leicht Kirschenessen 
wat, wußte ich Ja — war ja auch der Grund un- 
serer Trennung gewesen. Nun aber erschreckte 
es mich. Ich sprang aus dem Bett und beeilte 
mich, in die Kleider zu kommen. 

Unterdessen schwatzte Oskar in einem fort — 
anscheinend war auch er ein bißchen angehei- 
tert. Er erklärte, Ich müsse schon entschuldigen, 
daß er sich nun mit meiner Frau. verheiraten 
werde, doch dann würden wir ja quasi in ein 
verwandtschaftliches Verhältnis kommen und der- 
gleichen Unsinn mehr. 

Meine Frau aber — wie gesagt, sie Ist zuweilen 
sehr impulsiv — war an den Tollettentisch ge- 





134 


treten — — und plötzlich ging es los, wie In 
alten Tagen. r 

Ich bekam eine große Flasche Kölnisch Wasser 
an den Kopf, während sie Oskar die Stehlampe 
und eine Büchse Badesalz vor die Füße warf. 
Woraufhin wir schleunigst die Flucht ergriffen, 
Wir gingen zu Oskars Wohnung. Dort haben wir 
bis vor einer Stunde gesessen und gestritten. 
Denn er soll sich ja heute mit Karen verheiraten. 
Aber nun will er nicht mehr. Es sei meine Pflicht, 
statt seiner aufs Standesamt zu gehen! Kein Zwei- 
tel, daß Ich es sel, dem ihre ganze Liebe geltel 
Bel allen Anlässen habe sie ihn mit ihrem ersten 
Mann verglichen und sich beklagt, so oder so 
hätte dieser sie nicht behandelt. Oskar meinte 
sogar, daß auch die Parfümflasche Ihm gegolten 
und mich nur versehentlich getroffen habe.“ 

Ich besah mir Hugos Beule an der Stirn und 
dachte mir meinen Teil, Und sagte: „Tja, da ist 
schwer zu raten, Hansen. Lieben Sie sie denn 
immer noch?" 

Er wandte sich wie ein getretener Wurm. „Nun 
ja, das schon. Sie müssen wissen, sie hat auch 
ihre guten Seiten. Und dann — — ständig so als 
möblierter Herr? Na, schließlich war es Ja nicht 
meine Schuld. Doch ich hätte das Glas Portwein 
nicht trinken dürfen.” 

Ich begriff, worauf er hinaus wollte „Doch — 
doch, Hansen, es war Ihre Schuld, Und nun sollten 
Sie schleunigst nach Hause gehen und mit Ihrer 
Frau telephonieren. Alles andere ergibt sich dann 
von selbst.” 

Er reichte mir die Hand und dankte: „Ja, das Ist 
ein guter Rat. Daß Ich nicht selbst daraufkam! 
Ich glaube, sie Ist sehr unglücklich und hat nie 
einen anderen geliebt als mich.” 

Da hielt drüben der Autobus. 

„Auf Wiedersehen. — Auf Wiedersehen!” Er 
schwang sich hinauf und winkte mir fröhlich zu... 
Jetzt Ist er wieder mit Ihr verheiratet. Und ich 
glaube, or langweilt sich nicht, 

Ich aber schüttele noch immer den Kopf dar- 
über, — — a, Ja, ein merkwürdiger Vogel Ist 
doch die Liebel 


(Aus dem Dänischen von Werner Rietig) 





MEIN FREUND JOHANNES 





Es war noch im Frie« 
Johannes kam freudestrahlend zu mir. 

„Ich will eine Autotour quer durch Deutschland 
machen. Hast du Lust, mitzukommen?” 

Natürlich hatte ich Lust. 

„Also, ich hatte gedacht, daß wir dann Anfang 
nächster Woche starten würden, Die Route habe 
Ich hier auf der Karte schon eingezeichnet. Fin- 
dest du sie gut?” 

Ich sah mir die Karte an. 

„Du, Hamburg sollten wir uns aber nicht ent- 
gehen lassen, wenn wir ohnehin schon In die 
Nähe kommen“, erklärte Ich. 

„Richtig. Und wenn man da schon Ist, dann auch 
mal eben einen Abstecher an die See”, stimmte 
er zu und trug diese Änderung auf der Karte ein. 
„Was du mitnehmen mußt, Ist dir wohl klar?” 
fragte er dann. 

Ich zählte auf, was ich für notwendig hielt, 
„Gut, das genügt wohl. Nur vergiß nicht das 
Badezeug.” 

Abschließend stritten wir noch ein bißchen über 
die voraussichtlichen Kosten. 

„Wenn man schon so etwas unternimmt, darf man 
nicht knausern“, sagte Johannes kühn. Dann 
wurde er ein ig nachdenklich. „Aber das ist 
ja das dumme an der Sache. Ich weiß nicht 
recht, wo Ich das Geld hernehmen soll und das 
Auto” 3. Bleger 





Des Widerspenstigen Zähmung 


(Fr. Bllek) 





Addestramento del recalcitrante 


135 


EIN STINKTIER 


VON KONRAD SEIFFERT 


Ich glaube nicht, lieber Herr, daß Sie schon mal 
nähere Bekanntschaft gemacht haben mit einem 
Stinktier. Vielleicht haben Sie in einem zoologi- 
schen Garten Gelegenheit gehabt, solch ein Tier 
zu sehen. Und da haben Sie nicht groß hin- 
geschaut. Sie sind weitergegangen. Nein, für Stink- 
tiere haben Sie sich bestimmt nicht sehr inter- 
essiert. 

Und nun muß ich Ihnen hier etwas vom Stinktier 
erzählen. Denn sonst würden Sie vielleicht diese 
Geschichte nicht ganz verstehen. Jawohl, es 
kommt da ein Stinktier drin vor, Es spielt sogar 
die Hauptrolle. 

Also: das Stinktier ist unten dunkelbraungrau bis 
schwarz, oben hat es in der Regel breite weiße 
Streifen. Es Ist ein Raubtier, Aber das ist nicht 
das Schlimmste an ihm. Das Schlimmste ist sein 
Gestank, der Gestank, den es verbreitet. Daher 
kommt sein Name, ja, wahrhaftig! 

Das Stinktier verläßt sich bei seinem Kampf gegen 
Feinde nicht auf Hörner, Zähne, Krallen oder an- 
dere Waffen, mit denen,die Natur ihre Kinder- 
chen ausstattet, sondern auf seine Drüsen, auf 
seine Stinkdrüsen. Die Flüssigkeit, die es aus die- 
sen Drüsen verspritzt, verstäubt, Ist so entsetz- 
lich, daß ihr nichts widerstehen kann. Es gibt 
kein Tier, das ihr gegenüber gleichgültig bleibt. 
Auch der Mensch leidet unter dem Geruch des 
Stinktiersekrets. Er wird elend und schlapp. Er 
krümmt sich vor Übelkeit. Er würgt und schluckt. 
Er sieht graue und weiße Ringe vor seinen Augen. 
Er bekommt keinen Atem mehr. Und das dauert 
tage-, Ja, zuweilen wochenlang. Denn der Stink- 
tlergestank ist keine ätherische Angelegenheit: 
er ist außerordentlich dauerhaft und haltbar, er 
verfliegt nicht. Und aus der Kleidung bekommt 
man’ ihn nicht heraus. 

Gewiß, es gibt Stinktierjäger. Aber Sie können 
es glauben, lieber Herr: das ist ein anrüchiger 
Beruf. Ich habe allerhand gemacht, aber Stink- 
tierjäger bin ich nie gewesen. Doch, doch, man 
kann Geld an den Stinktieren verdienen. Ihr Fell 
wird geschätzt. Es heißt Skunk. Und wenn Sie 
Ihre Frau Gemahlin erfreuen wollen, dann kaufen 
Sie ihr einen Skunksmantel. Sie wird Ihnen dank- 


Aus dem besetzten Frankreich - Dalla Francia occupata 


bar sein, wahrhaftig. Vom Stinktier brauchen Sie 
ihr dabei nichts zu erzählen. 

Ramon hatte so ein Stinktier gekauft von einem 
Mann, der sich mit der Jagd dieser Viecher be- 
schäftigte. Dem war es lebend in die Hände ge- 
fallen. Er hatte dem Ramon versichert, noch nie, 
niemals habe er ein Stinktier erbeutet, das die 
Luft so ungenießbar mache wie gerade dieses. 
Und Ich sagte zu Ramon: „Du mußt total ver- 
blödet sein! Ein Stinktierl Du ruinierst dich und 
mich! Jeder wird einen Bogen um uns machen, 
wenn er uns nur kommen siehtl” 

Aber Ramon lachte: „Das Tier bleibt bei dem 
Jäger, bis ich es brauche. Ich will es ja gar nicht 
in meiner Nähe haben!” 

„Bis du es brauchst? Wozu willst du ein Stinktier 
brauchen? Wozu kann man denn ein Stinktier ver- 
wenden? Nur sein Fell —" 

„Ich werde es lebend brauchen!’ Und dann er- 
zählte mir Ramon, was er plante. Ach, ich muß 
sagen, daß dies ein dunkler Plan war. Aber Ramon 
hatte sich — wieder einmal — verliebt, Und Sie 
wissen es vielleicht, daß Leute in solch einem 
Zustand zuweilen Dinge planen und auch tun, 
die man nicht mit den üblichen Maßstäben messen 
kann. Ich maß überhaupt nicht, ich befürchtete 
nur, daß die Sache schief gehen könne. Und ich 
will es Ihnen hier gleich sagen: sie ging nicht 
schief, sie gelang großartig. 

Diesmal hatte sich Ramon in Dofia Juanita ver- 
liebt, in die Tochter des Sefior Latacunga. Jua- 
nita war ein nettes Mädchen. Mich störten Ja ihre 
hervorquellenden Augen ein wenig. Aber Ramon 
behauptete, Juanita könne, dürfe keine anderen 
Augen haben. Nun gut! 

Die Latacungas waren Freunde der Familie Zapiola. 
Und es stand fest, daß Juanita den jungen 
Zapiola, den Bartolo, heiraten sollte. Sie wollte 
aber nicht. Und sie kam zu Ramon. „Es muß etwas 
geschehen”, Jammerte sie, „halte mir den Bartolo 
vom Leibel Seine blöden Streiche fallen mir auf 
die Nerven! Es muß zum Bruche kommen zwi- 
schen den Zapiolas und unsl” — Das sagte Jua- 
nita zu Ramon. Und darauf kaufte er das Stinktier. 
Ja, es stimmte schon: Bartolo Zapiola war ein 


os. Oberberger) 





eigenartiger Bursche. Er tat: verschiedenes, was 
ein halbwegs vernünftiger Mensch nicht ganz ver- 
stand: er hielt sich einen Sumpfhirsch, den er als 
Reittier benutzen wollte. Er hatte sich eine Gift- 
schlangenfarm eingerichtet und damit Angst und 
Schrecken in seiner Umgebung verbreitet. Er 
schrie wie ein Papagei. Er grunzte wie ein Pekari. 
Er schnarchte wie ein Gürteltier. In der Tierwelt 
war er ganz zu Haus. Und da er ein verzogenes 
Kind war, durfte er tun, was er wollte. Ein Stink- 
tier? Nein, ein Stinktier besaß er in seinem Zoo 
nicht. 

Ramon versprach der Juanita, alles zu tun, was 
sie wünschte. Und er wolle schon dafür sorgen, 
daß es zu dem von ihr ersehnten Bruch zwischen 
den Zaplolas und den latacungas komme, sagte 
er ihr, 

Zuerst aber kam es zu einer Verlobungsfeierlich- 
keit im Hause der Familie Latacunga. Juanita 
konnte nichts dagegen tun, daß sie die Verlobte 
Bartolo Zapiolas wurde. Die Eltern wünschten die 
Heirat. Dagegen war nichts zu machen. Bartolo 
gäckerte, bellte, jaulte, kreischte und fand es 
ganz nett, daß Juanita seine Frau werden sollte. 
Aber seinen Sumpfhirsch hielt er für wertvoller 
als irgendeine Frau. Er hatte ihn schon sowelt 
gebracht, daß er aus der Hand fraß und sich 
kraulen ließ, eine beachtliche Leistung. 

Ramon und ich, wir gingen an dem Abend, an 
dem die Verlobung gefeiert wurde, zum Haus 
der Latacungas. Nein, eingeladen waren wir nicht. 
Wir betraten das Haus auch nicht, sondern 
schlichen uns vom Garten aus auf die Veranda, 
Kein Mensch kam hierher, wir wußten es. Und es 
war ein sehr dunkler Abend, 

Von der Veranda aus gelangten wir bis zu den 
Fenstern des großen Raumes, in dem die Gäste 
versammelt waren. Es waren viele Gäste. Wir 
sahen uns die Leute an, die da am Tisch saßen. 
Ach, lieber Herr, es waren ehrbare Bürger mit 
Glatzen und Bäuchen, sehr satt, sehr zufrieden, 
sehr anständig. Ramon und Ich, wir freuten uns, 
daß wir nicht zu ihnen gehörten, 

Bartolo saß an der Seite Juanitas. Er machte, wie 
immer, seine Spässe und war nur mit Mühe da- 
von abzuhalten, auf allen vieren auf dem Fuß- 
boden herumzukriechen. Nein, auch er gehörte 
nicht in diesen Kreis. 

Juanita war entsetzt über das Benehmen ihres 
Verlobten, dem die Gäste teils mit Schmunzeln, 
teils mit hochgezogenen Augenbrauen zusahen 
und zuhörten. Ich konnte deutlich erkennen, wie 
die schon an sich weit hervorstehenden Augen 
des Mädchens noch mehr aus ihren Höhlungen 
traten. 

Neben dem Fenster, das uns zur Durchführung 
von Ramons Plan am geeignetsten zu sein schien, 
setzten wir die Kiste mit dem Stinktier auf den 
Erdboden. Ja, selbstverständlich: das Stinktier 
hatten wir mitgebracht. 

In dem Augenblick, in dem die Gäste sich an- 
schickten, auf das Wohl des jungen Paares anzu- 
stoßen, hoben wir die Kiste bis an den unteren 
Rand des Fensters, Ramon öffnete deren Deckel, 
und wir schütteten das Tier ins Zimmer. 

Mit einem verhältnismäßig eleganten Satz landete 
das Stinktler auf dem Fußboden und hoppelte 
dort herum. Die Nähe der vielen Menschen, vor 
allem wohl aber der jähe Wechsel von Dunkel- 
heit und strahlender Helle sorgte dafür, daß es 
aufgeregt, ängstlich, nervös wurde. Und dann tut 
es eben das, was ein Stinktier in solch einem 
Augenblick zu tun pflegt: es begann, sich gegen 
seine mutmaßlichen Feinde zu verteidigen. 

Das geschah auf eine geradezu glänzende Art, 
Mir blieb der Atem weg. Dem Ramon auch. Noch 
nie hatte ich Gelegenheit gehabt, zu beobachten, 
wie unerschöpflich die Drüsen eines Stinktieres 
sind. 

Es verspritzte den entsetzlichen Inhalt seiner höl- 
lischen Drüsen über den Tisch, die Gäste, die 
Wände, den Fußboden, Jeden Teil, jede Ecke des 
Raums, hob immer wieder seinen Schweif hoch, 
sprang, lief, rannte hierhin und dorthin, wurde 
bei den Schreien und Angstrufen der Menschen 











,. D, 


Triepeh, 


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Gründungsiahr 1849 





BRIK 
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WEINSTR. 9 

































in seiner Nähe immer aufgeregter und spritzte. 
Der penetrante Gestank drang durch die Fenster 
nach außen. Und ich mußte dem Jäger recht 
geben: so etwas war sicher einmalig. Mir wurde 
übel. 

Übel wurde allen Gästen. Sogar der Bartolo, der 
doch in der Zoologie zu Haus war, schloß den 
Mund und die Augen. Gerade auf ihn schien es 
das Stinktier abgesehen zu haben. 

Und dann griff Juanita ein. Sie wußte zwar nicht, 
daß Ramon hinter diesem plötzlich aufgetauchten 
Stinktier stand. Aber sie begriff sofort, daß sich 
hier eine Gelegenheit für sie bot, die sicher 
nicht noch einmal wiederkehrte. 

Sie schrie gellend in den Tumult, und ihre Kuller- 
augen blitzten dabei: „Das hat der Bartolo ge- 
macht! Jawohl! Nur er konnte auf solch einen 
Gedanken kommen!” 

Bartolo war unschuldig. Sie wissen es, lieber 


Herr. Aber es war ihm nicht möglich, sich zu ver- 
teidigen. Übrigens hätte ihm solch eine Verteidi- 
gung wenig geholfen. Denn als Juanita ihre An- 
schuldigungen herausschrie, gab es nicht einen 
unter den gräßlich stinkenden Gästen, der nicht 
von der Schuld Bartolos überzeugt war. Sie 
schrien mit, so gut sie das eben noch konnten. 
Und dann war das Stinktier verschwunden, ich 
welß nicht, wo es blieb. Der Gestank aber blieb. 
Eine Woche lang machte jeder einen Bogen um 
das Haus der latacungas. Eine Woche lang 
schrubbte Juanita an sich herum. Dann erst konnte 
sie es wagen, sich wieder auf der Straße zu 
zeigen. 

Bartolo? Die Zapiolas? Die Sache war hoffnungs- 
los. Juanitas Vater war tödlich beleidigt. Ein Stink- 
tier in seinem Hausel Der Spott des ganzen 
Ortes! Wenn dieser Bartolo schon jetzt zu solch 
einem Streich fähig war, was würde die Juanita 


erst auszuhalten haben, wenn sie seine Frau warl 
Nein, solch einem Burschen konnte er seine Toch- 
ter nicht anvertrauen! 

Und Ramon? Er vertrug sich gut mit Juanita. Eine 
Zeitlang. Dann stieß er sich wohl doch an ihren 
hervorstehenden Augäpfeln. Und er sagte zu mir: 
„Wie denkst du über Saladillo? Es muß jetzt recht 
schön sein in Saladillol” 

Am nächsten Tage fuhren wir nach Saladillo. Das 
Städtchen war etwa hundert Leguas entfernt, und 
das sind beinah siebenhundert Kilometer. 

Ach, lieber Herr, auch Sie wären an unserer 
Stelle bis nach Saladillo gefahren, nach diesem 
vertrockneten Nest! Denn Bartolo Zapiola hatte 
inzwischen herausbekommen, daß Ramon mit sei- 
nem Stinktier schuld war an allem. Und die 


Zaplolas waren eine große, sehr zahlreiche Fa- 
milie, die bereit und fähig war, kräftig dreinzu- 
schlagen. 


























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* 


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Der Schaffner drängt: 

„Beeilen! Beeilen!“ 

Der Fahrgast fluchte: 

„Wenn wir hier wie die Heringe stehen, kann Ich 
mich nicht wie ein Wurm durchwinden und ab- 
springen wie ein Reh, Sie Hirsch!” I.H.R. 


* 


Unser Zeitgenosse, der Schriftsteller K., hatte für 
eine Wiener Bühne vor Jahren die „Fledermaus“ 
ein wenig bearbeitet. Ein paar kurze Dialoge, ein 


Ich hatte in Wien einen Wasserrohrbruch. Nach 
langen Wochen und Warten kam endlich der In- 
stallateur. Ärgerlich rief ich: 
„Heute kommen Sie erst? Ich hatte doch schon 
im November telefoniert?" 


paar winzige Einfälle, der Rest der Arbeit be- 
stand in nächtlichen Kartensplelen mit dem Inten- 
danten. Aber noch heute kann der Schriftsteller K. 
weder im Radio noch sonstwo eine Melodie aus 
der Fledermaus hören, ohne sofort alle Umstehen- 
den aufmerksam zu machen: „Diese Melodie ist 
aus meiner Operettel” I.H.R. 


* 


Der Frontsoldat meldete sich bei selnem Bürger- 
meister. Der Bürgermeister schüttelte dem Urlauber 
die Hand. 

„Hast drei Wochen Urlaub, Schorsch?” 

„Freilil 

„Freust di, gelt?" 
„Einesteils schon!" 
„Und anderenteils?" 
Der Urlauber lachte: 
„Anderenteils schon aa 























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Schlürf' ihn bedächtig 
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sie an der nächsten Haltestelle aussteigen wollen, oder nicht!" 


“Le signore sono pregate di riflettere giä adesso, se debbano o no, scendere alla prossima fermatal,, 


DIE SCHÖNE SUSANNE 


VON GERMAINE BEAUMONT 


„Sie möchten gerne, daß ich Ihnen von Herrn 
Papeau erzähle. Es ist eine seltsame Geschichte; 
Sie mögen sie sich deuten, wie Sie wollen. Ich 
kann nur alles genau so berichten, wie es sich 
zugetragen hat. Genau so, Ohne etwas hinzuzu- 
fügen oder wegzulassen, 

Um damit anzufangen, so vermittelt Ihnen dieses 
Landhaus, das Sie soeben besichtigt haben, und 
das er mich als seinen Freund und Nachbarn nach 
Möglichkeit für ihn zu vermieten gebeten hat, 
eine recht gute Vorstellung davon, was für eine 
Art Mensch Herr Papeau ist — beziehungsweise 
war, muß ich wohl sagen. Ein kleiner Beamter mit 
etwas Erspartem. Genug als Zulage zu einem be- 
scheidenen Gehalt, aber doch nicht genug, um 
ohne Anstellung leben zu können. Sie haben die 
mit Rips bezogenen Lehnstühle gesehen, die por- 
zellanenen Familienerbstücke auf dem Kaminsims, 
die schweren alten Petroleumlampen — das Haus 
hat kein elektrisches Licht, möchte ich Sie auf- 
merksam machen! —, die grüne Tischdecke mit 
Fransen und das Schlafzimmer mit den vergrößer- 


ten Photographien der letztverstorbenen Verwand- 


ten von Herrn Papeau. Nichts Uppiges, Ausgefal- 
lenes oder Schmuckes. Nur eben ein wenig Be- 
quemlichkeit, Eine Behausung, die nur der schlich- 
testen, anspruchslosesten, stubenhockerischsten 
Sorte von Mensch gehören konnte, die man sich 
nur vorstellen kann. Bis... 

Ich muß erwähnen, daß er jeden Morgen in sein 
Büro ging, in einem kleinen Restaurant zu Mittag 
aß, und abends hierher zurückkam zu einer Mahl- 
zeit, die ihm seine Wirtschafterin bereitgestellt 
hatte. Nach dem Essen rauchte er mit mir in sei- 
nem Wohnzimmer oder in diesem Zipfelchen von 
Garten eine Pfeife, ‘Wir plauderten miteinander. 
Zwei alte Junggesellen ohne Familie oder Ver- 
wandte. So hatten die Dinge lange Zeit ihren 
Lauf. Sie hätten Immer so bleiben können, wenn 
er sich nicht eines Tages in den Kopf gesetzt 
hätte, einem Trödelmarkt einen Besuch abzustat- 
ten. Jemand in seinem Büro nämlich hatte ihm 
von einer neuerlichen Nachfrage nach einer ge- 
wissen Sorte alter Möbel erzählt, und ein paar 


140 


Stücke ebensolcher Möbel standen auf dem Spei- 
cher seines Hauses verstaut. Die Aussicht, sie in 
eine kleine Sonderzulage umzumünzen, tat es ihm 
an. Eines Freitag abends sagte er zu mir: ‚Ich 
würde mich gerne In St. Ouen umsehen, bevor 
ich sie verkaufe, Ich kann mir dann vielleicht ein 
Bild machen, was sie wert sind, ehe Ich zu einem 
Althändler gehe. Würde es dir etwas ausmachen, 
morgen nachmittag mitzukommen?‘ 

Ich konnte nicht, Ach, das war das Verhängnis! 
Wenn ich nur mit ihm gegangen wäre, vielleicht 
hätte er dann nie ‚Die schöne Susanne’ mit heim- 
gebracht.’ 

„Die schöne Susanne?” 

„Ja, Ein Schiff in einer Flasche. Ein kleines himmel- 
blaues Schiff, mit dem Namen in scharlachroten 
Buchstaben auf der Bugwand: ‚Die schöne Su- 
sanne”, Einbezauberndes kleines Schiff, beidemman 
sich fragte, wie es mit seinen Masten, seinem 
Tauwerk und all den getakelten Segeln In die 
Flasche hineingekommen war, Sie wissen sicher, 
wie man solche Schiffe in Flaschen hineinbringt, 
aber es gibt immer noch Leute, die sich darüber 
verwundern, und Ich war einer davon, bis Herr 
Papeau ‚Die schöne Susanne’ erstand. Ich bewun- 
derte sie, wie ich zugeben muß, und riet ihm, 
sie auf den Kaminsims im Eßzimmer zu stellen, 
statt der Marmoruhr, die Sie soeben dort gesehen 


Nach der Oper 


„Sag’ mal, Otto, hat dir denn ‚Aida‘ nicht auch gefallen?‘ 
„Nur die Beene, oben herum hätte sie besser sein können!" 


Dopo l’opera: “Dimmi un po’, Oltone, non & placluta anche a te 
I’ «Aida, 2, —"Le gambe, si, ma sopra poi... avrebbe polulo esser migliorel,, 


141 


(R, Kriasch) 





haben. Die Uhr wanderte auf einen Schrank und 
‚Die schöne Susanne‘ wurde felerlich aufgestellt. 
Ein paar Tage später, als Ich nach"dem Abend- 
brot hinkam, fand ich-Papeau, wie er sein Schiff 
durch ein Vergrößerungsglas untersuchte. ‚Es Ist 
eine Bark’, sagte er. ‚Ich habe Im Konversations- 
lexikon nachgesehen und kenne jetzt die Namen 
all ihrer Taue und Segel, Dies hier sind ihre Vor- 
der- und Hauptbramsegel, dies Ihre Toppsegel, 
dies Ihre Fockstags, das hler ihr Außenklüver, das 
ihr Stagsegel, das Ihr Kluverbaum...‘ Weiß der 
Himmel, was für Namen er noch gelernt hattel 
‚Finden Sie nicht‘, fragte er mich ein paar Tage 
später, ‚daß dieses Schiff die Phantasie anregt?’ 
Er hatte einen ganz anderen Ausdruck in den Au- 
gen. Sie waren klarer, tiefer, und schienen durch 
einen hindurchzublicken. Er streichelte die Flasche 
wie etwas, an dem sein Herz hing. 
Nicht viel später sagte er zu mir: ‚Ich war im Ma- 
rIne-Museum, Ja, die ‚schöne Susanne‘ ist nichts 
im Vergleich zu dem, was ich dort gesehen habe.‘ 
Und er fing an, von Karavellen und Zweimastern, 
Briggs und Korvetten, Schonern und Klippern zu 
reden, als sel er von Jugend an zur See gefah- 
ten, während ich glaube, das einzige Schiff, auf 
dem er Je gestanden hat, war ein Flußdampfer. 
Es wurde so schlimm, daß ich ihn kaum mehr er- 
kannte. Ein In seinem Leben so ordentlicher Mann! 
Und Jetzt verbrachte er die meiste Freizeit auf 
den Kais, unterhielt sich mit Seeleuten und ließ 
sich auf Schleppdampfern und Fähren herum- 
fahren... 
Nach einem dieser Ausflüge war es, daß er zu 
mir sagte: ‚Wir sind zwei alte Spießer, mein Lie- 
ber. Wir werden sterben, ohne irgendetwas von 
der Welt gesehen zu haben, Der Matrose, der 
die ‚schöne Susanne’ In die Flasche gesteckt hat, 
kannte vermutlich alle Häfen Indiens, Chinas und 
Japans. Und die Südsee — Tahitil Stell dir nur 
vor: die Südseel' 
‚Dankel’ sagte Ich. ‚Wenn es schon Inseln sein 
müssen, so genügt mir eine Seine-Insel.’ 
Aber er überhörte das einfach. ‚Man denke nur, 
hier wie ein Kloß sterben zu müssen... viel- 
leicht morgen schon... ohne jede Neugier oder 
Sehnsucht... während es doch das Meer gibt 
und alle diese Orte...’ 
Das war das Ende. Er verlor seine Ruhe und Be- 
häbigkelt. Er rauchte reichlich seine Pfeife und 
verbrachte eine Menge Zeit damit, Reise- und 
Abenteuerbücher zu lesen. Er kaufte einen gro- 
Ben Atlas. Er nahm keinen Anteil mehr an seinem 
Beruf, begann abzumagern und schlecht auszu- 
sehen. Dann plötzlich reichte er seine Pensionie- 
rung ein. Danach wurde er noch ruheloser und 
sah noch schlechter aus. Er konnte sich zu nichts 
beschelden. Er schien ganz In seinen Büchern und 
seinem Atlas aufzugehen. Dies ging eine Zeitlang 
so weiter, und dann...” 
Der Erzähler brach ab. Er schien bewegt. 
starb? fragte Ich mitfühlend. 
„Er ging auf und davon”, erwiderte der Erzähler. 
„Er machte sein kleines Kapital flüssig und schiffte 
sich ein. Vor heute fast einem Jahr. Er sandte 
mir eine Postkarte aus Marseille, dann aus Port 
Said, aus Goa und aus Singapur. Auf der letzten 
bat er mich, sein Haus für ihn zu vermieten und 
schrieb, er fühle sich wie ein ganz andererMensch 
und werde vorläufig nicht zurückkommen...” 
Es dunkelte. In Herrn Papeaus Garten war es ein 
sehr geruhsamer und friedlicher Abend. Ein leiser 
Wind wehte die Zweige eines Fliederbaumes 
über das Antlitz des Hauses, 
„Und die ‚schöne Susanne’?” fragte Ich. 
Mein Begleiter deutete auf die frisch geschau- 
felte Erde am Fuß des Fliederstrauchs: „Sie liegt 
hier“, sagte er. „Hier kann sie kein Unheil mehr. 
anrichten. Herr Papeau stand allein da In der 
Welt. Aber, wissen Sie, sie hätte auch andere 
Menschen anstecken können. Ich zum Beispiel...’ 
Er beendete nicht. Als ich einen Monat später 
Gelegenheit hatte, Ihn wieder aufzusuchen, erfuhr 
ich, daß er alle seine Sachen zu Geld gemacht 
hatte und fortgegangen war. 

(Berechtigte Übertragung von H. B. Wagenseil) 


DER BESESSENE AKT 


voNnL 


In der k. k. Statthalterel eines österreichischen 
Kronlandes war Reglerungsrat Steinberger das 
Urbild eines alpenländischen Riesen und kraft- 
strotzender Männlichkeit. Aber, was ist derMensch? 
Am 23. Jänner 1906 stürzte er am vereisten Geh- 
steig In der Herrengasse. Wenn er auch dies mit 
einem dröhnenden „Ho, Ho” abtat, Freund Hein 
kicherte dafür leise „Hi, Hi”, Am:25. desselben 
Monats blieb er das erstemal infolge einer leich- 
ten Übelkeit dem Dienste fern, am 29. aber stan- 
den seine Amtskollegen vor einem offenen Grabe. 
Der Fall war so erschütternd, daß der Statthalter 
persönlich den Nachruf hielt, wobei er das Schick- 
sal anklagte, eine klaffende Lücke in seinen Be- 
amtenstab gerissen zu haben. Steinberger war 
aber auch wirklich unersetzbar. Steinberger war 
durch fast fünf Jahre mit dem Akt 1752/Ill/ex 1901 
verknotet. Es war nachgeradezu seine Lebens- 
aufgabe, die Causa „Wasserrecht Schwartzing, 
Unter- — gegen Ober- —”, 

Tritt ein Vorkommnis des profanen Lebens ins 
Blickfeld der staatlichen Verwaltung, so geschieht 
dieser Geburtsvorgang durch eine Eingabe. Daran 
teihen sich nun, teils durch Sprossung, tells durch 
Teilung, wie bel den Hefepilzen, andere Schriebe, 
das Kind beginnt zu wachsen, erhält ein Hemd- 
chen, Umschlagsbogen genannt, einen Namen, 
und wird Mitglied einer Lebensgemeinschaft, die 
man mit dem Sammelnamen Akte bezeichnet. 
Viele davon sterben an Kinder-Krankheiten, an- 
dere hingegen wachsen heran und erhalten bei 
einem Gewicht von über 376 Gramm einen Leib- 
gurt, den Aktenstrick, der ihnen Festigkeit für 
ihre fernere Laufbahn gibt.'Nur ganz geübte k. k. 
Beamte konnten diese Umgürtung des Aktes fach- 
gemäß knüpfen. Der Akt wurde so zum Akten- 
Konvolut. Darum auch war man bestrebt, bei einer 
Körperdicke von 74 Millimeter dem Lebewesen 
einen endgültigen Panzer zu geben, in Form von 
bebänderten blauen Deckeln, auf deren Etikett 
In Rundschrift Name, Stand und Geburtsjahr des 
Aktenbürgers deutlich lesbar. waren. 1752/Ill/ex 
1901 „Wasserrecht Schwartzing, Unter- — gegen 
Ober- —” war auf Gedeih und Verderb mit Stein- 
berger verbunden und harrte der Erlösung. 
Wasserrecht Schwartzing war zu knifflig, um von 
der lesenden Nachwelt ganz verstanden zu wer- 
den. Es sel nur erwähnt, daß das Wasserrecht der 
Mühle in Unterschwartzing gehörte, wohingegen‘ 
in Oberschwartzing eine Gerberei den Mühl- 
graben verunreinigte, dieser zweimal im Jähre 
gereinigt werden mußte, wodurch wichtige Ar- 
beitszeit verloren ging. Nur Steinberger konnte 
hier das Verwaltungsschiff zwischen Scylia und 
Carybdis steuern. Er wanderte oft auch stunden- 
lang längs des Grabens, den Endentscheid be- 
reits in seiner starken Hand haltend. 

Sein Amtsnachfolger, Oberreglerungsrat Wimmerer, 
war das gerade Gegenteil dieser Kraftnatur. Kaum 
159 cm groß, hatte er auch noch einen unglück- 
seligen Körperbau. Auf langen, dürren Beinen 
saß ein ganz kurzer Oberleib. Wimmerer stieß 
auf jedem Arbeitsplatz mit der Nase auf die 
Schreibfläche. Wimmerer hatte daher auch auf 
seiner vorigen Planstelle die Schreibtischbeine 
kürzen lassen, so das Inventarstück für einen 


MARZ 


Ein blaffes Haus und milder Schein 
durch Wolken, die fich manchmal teilen, 
Der Wind will wieder fanfter fein. 

Und Waffer rinnt in vielen Zeilen 


von meiten, falben Wiefen her, 
darob fchon hoch die Vögel fliegen. 
Mein Mädchen lächelt. Ach, es hat 
ein helles Kleid zu Haufe liegen! 
Albert Hiemer 


HULEK 


ferneren Dienstgebrauch unmöglich machend. Aber 
auch sonst war Wimmerer der Gegenpol Stein- 
bergers. Letzterer hatte eine hoffnungsvolle Lauf- 
bahn vor sich, Wimmerer hatte hingegen nur mehr 
fünf Jahre bis zum Ruhestand abzudienen. So tra- 
fen beider Schicksal wie die Schifflein der Lebens- 
Luftschaukel zusammen oder wie pünktliche Be- 
ömte einer k. k. Behörde mit geregelter Arbeits- 
zeit, wo der Erste das Gebäude verläßt, wenn 
der Letzte eben kommt. Aber alles erscheint un- 
wichtig gegen die Kluft in der Weltanschauung 
beider: Wimmerer hatte für Wasserrecht Schwart- 
zing, das Lebenswerk Steinbergers, nichts übrig, 
er kannte die Causa kaum dem Namen nach, er 
kannte sie überhaupt nicht und konnte sie auch 
nie kennen lernen, Denn 1752/11l/ex 1901 war auch 
mit Steinberger aus dem amtlichen Leben ge- 
schleden. Das Konvolut war seit Steinbergers Hin- 
scheiden unauffindbarl Aktuar Pimperl gab zu 
Protokoll, den Akt Amtsdiener Tutschapsky aus- 
gehändigt zu haben. Dieser aber sagte unter 
Amtseid aus, den Akt dem Herren Regierungsrat 
— Gott hab’ ihn selig, den edien Mensch’ — 
zu „Dringliche Sachen” am letzten Tag sel- 
nes Wirkens gelegt zu haben. Die Lage stieg auf 
Siedehitze. Der Statthalter wollte sogar das Grab 
öffnen lassen, um festzustellen: 
1. Ob der mit Tod Abgegangene den Akt nicht 
etwa zwecks genauen Studiums etc. ... 
2. Ob nicht gesetzeswidrige Zusammenhänge zwl- 
schen dem plötzlichen Tod des aus dem Dienst 
Geschledenen und der Aktenlage — — Alles 
schon dagewesen, etc.... Nur die Inständigen 
Bitten der Witwe, die sich von der Sargschlie- 
Bung erinnern konnte, daß Punkt 1. Leermeldung 
zu erwarten sel und der Einwurf des Oberstaats- 
anwaltes, daß bei der Amtsverschwiegenheit des 
Obangeführten und -seiner strikten Neutralität 
das Tatmotiv fehle, ließen Ihn In letzter Minute 
Abstand nehmen. Schließlich lud er beide Streit- 
partelen zu sich, um dann doch einen Ausgleich 
zu erzielen. Aber es wurde keine reine Freude, 
denn diese wurden zwar gute Bekannte, Freunde 
wurden sie niel 1752/lll/ex 1901 aber war eine 
häßliche Narbe Im Dienstbetrieb der k. k. Statt- 
halterei, die bei Jedem Wetterumschlag schmerzte. 
Auch als Wimmerer beim Abschied das goldene 
Verdienstkreuz aus der Hand des Statthalters 
empfing, konnte dieser es nicht verschließen, In 
versteckten aber taktvollen Worten des verlore- 
nen Aktensohnes zu gedenken. 
Der Amtsnachfolger Wimmerers war wieder eine 
182 cm große Kraftnatur, wenn auch schon mit 
einigen kleinen Degenerationserscheinungen der 
Zivilisation. Nicht so sehr an Mängeln erkennbar, 
als vielleicht in einer Überbetonung des Kraftmeler- 
tums, wie es die Sportbewegung Im ersten Jahr- 
zehnt des Jahrhunderts mit sich brachte. Richtige, 
gesunde Kraft rümpft nicht gleich die Nase, wenn 
sie einen geschlossenen :Amtsraum betritt und 
reißt nicht gleich Türen und Fenster auf. Stürzt 
vielleicht gar die Welt ein, wenn man sich auf 
einen Stuhl setzt, der fürsorglich mit einer Filz- 
unterlage versehen ist, um den unliebsamen Glanz 
des Amtshosenbodens nicht aufkommen zu las- 
sen? Aber schließlich war der neue Kraftmeler 
nun Herr über den Thron. Mit brutalen Händen 
fingerte er an der unschuldigen Filzunterlage und 
schnitt mit dem Jagdmesser gar noch die Bänder 
durch, als sich die Knoten nicht gleich lösen woll- 
ten. Zum Vorschein kam ein grauer Konzept- 
bogen mit den starken Schriftzügen des unersetz- 
lichen Stelnbergers: Amtsvermerkl 
Der k. k. Bezirkshauptmannschaft Mirstätten zur 
neuerlichen Anberaumung eines Ortsaugenschei- 
nes und sofortigen Rückvorlage. Steinberger. 
24. I. 1906. Darunter aber ein blauer Pappkarton 
mit einer rundgeschriebenen Aufschrift: 
1752/11l/ex 1901 , 
Wasserrecht Schwartzing, Unter- gegen Ober-, 





Verlag und Druc 
Verantwortt. Schrift Walter Fol 
alle Buchhandlunger lungsgeschäfte und Postanstal 








nt 
gültig ab 15. Okt. 1941. — Unverlangte Einsendungen werden sperdne 


nor & Hirth Kommandiig 
Ick, München. Verantworti 








ey sch 





nieige en} 





Ischaft, München, Sendlinger Straße 80 (Foiniuf 1296). B Io 
„München — Der Simpllcirs‘ 
Pl.; Abonnement im Monat R} 

Aal, wenn Porto Baitiegt — Nachdruck verboten, "= Porincheckkonto München 5920, Erlüllungrort München. 





nschrift: München 2 BZ, B 
rscheint wöchentlich einm 
Anzeigenpreise 









!lungen nehmen 
Preisliste Nr. 7 








Vorsatz 


(K. Helligenstaedt) 





„Nein, nein, man soll nicht von mir sagen, die Männer fliegen nur auf das Äußere — 
von morgen ab werde ich mich auch seelisch entwickeln !"* 


Proponimento: “Ah no no, non si deve dire di me che gli uomini volino dietro soltanto all’ esterlore..... 
da domani In pol mi svilupperö anche spiritualmente!,, 


143 


VERBUNDENBN Se 








car Guismandson U 











Ob dieser Druck wohl Liebe ist? 


I due alleatiz Che questa stretta sla davvero... amore? 


144 


München, 10. März 1943 . 
48.Jahrgang /Nummer10 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMAINDITGESELLSCHAFT "MÜNCHEN 


Der begrabene Beveri 


„Seine Konstitution war zu schwach, um unser rauhes, konservatives Klima zu ertragen. Er ruhe sanft!“ 


II piano di Beveridge... sepolto: “La sua costituzione era troppo debole, per sopporlare il nostro duro conservativo clima. Ripos in pace!,, 





Rätsel 


(Fr. BIloX) 





„Merkwürdig: Sie flüstert Im Traum einen fremden Männernamen, ich einen 
fremden Mädchennamen — vielleicht haben wir uns miteinander verwechselt?" 


"Strano! Essa mormora In sogno un nome d’ uomo forestiero ed io un nome di ragazza forestiera ... Che ci slamo forse confusl tutti e duel,, 


Fräulein Mia wird sich erlauben 


Man hat die Wahl, dieses Fleckchen Erde am 
Stadtrand einen Bauplatz zu nennen oder eine 
Wiese, Je nachdem, ob man ein Immobillenhänd- 
lor ist oder ein Kind aus der Nachbarschaft. Es 
wäre wirklich nicht hübsch, hier von Bauplatz zu 
sprechen, wo hinter'dem Bretterzaun jetzt schon 
Fliederbüsche und struppige Holunderzweige mit 
dicken Knospen stehen und es unten auf der 
Erde zu sprießen beginnt, um die Zigaretten- 
schachteln, ein paar alte Konservenbüchsen und 
‚einige Emailletrümmer zu überwuchern. Also hal- 
ten wir es mit den Kindern und sagen Wiese. 
Hier spielen die Großstadtkinder Frühling. Eine 
Kindergärtnerin läßt ihren Kindergarten weiden. 
Sie hat mit den Kleinen einen Kreis gebilı und 
felerlich schreiten sie singend Im Rund. Sie neh- 
men den Frühling und die Spielregeln sehr ernst, 
vermutlich genau so ernst wie der Immobilien- 
händler diesen Bauplatz. In einer Wiesenecke 
sind kleine Buben. Man kann sie nicht Überhören, 
Kleine Buben spielen entweder Fußball oder Sol- 
daten. Beim Soldatenspielen lassen sie sich ge- 
genseitig stramm stehen und rufen etwas Un- 
artikullertes. Die hier haben sich etwas beson- 
deres ausgedacht, sie tun nämlich nur so, als ob 
sie Fußball spielten, aber immer wieder gibt 
einer dem Fußball einen Tritt, und wenn er rich- 
tig gezielt hat, fliegt der Ball in den Kreis der 
Kinder mit ihrer Gärtnerin. Dann kommen die 
Spielregeln In Unordnung und die Kindergärtne- 








rin fängt zu schimpfen an. Das macht den Buben 
recht viel Spaß. Ich muß gestehen, es Ist ein 
spannendes Spiel, denn man kann nie wissen, ob 
die Kindergärtnerin nicht doch einmal einen 
wischt und ihm eins hinter die Ohren haut. Die 
Erwachsenen, die vorübergehen, finden das Spiel 
ungehörig und häßlich. Auf Grund meiner Beob- 
schtungen kann ich feststellen, daß die Buben 
viel aufrichtige Freude daran haben. 
Nun komme ich an die Ecke des Bretterzaunes, 








IM MARZ 


‚Gibt's noch einen Tagedieb? 
Gibt's noch Leute, die nur gaffen? 
Räder rollen, Hände fchaffen. 
Überall it Hochbetrieb. 


‚Auch die Kreatur tut mit. 

Sehen wir nicht unf're Hennen 
neu vom Legetrieb entbrennen, 
menn der Hahn fie mahnend tritt? 


Bloß die Amel drückt fich drum. 
‚Abends von des Haufes Giebel 
flötet fie den alten Stiebel 
und betört das Publikum. 
Ratatöskr 
146 


dort wo die Fiiederbüsche ganz dicht stehen, da 





zierlich sagt: „Fräulein Mia wird sich Jetzt erlau- 
ben, den Herrschaften einen Phantomtanz vorzu- 
führen!” Und schon sehe Ich, wie sich Fräulein Mia 
das erlaubt. Fräulein Mia, ein Mädelchen Im Alter 
von ungefähr acht Jahren, macht nämlich mit den 


Armen flimmernde Schwimmbewegungen, die 
nach einem alten Übereinkommen zwischen Tän- 
zerinnen und Publikum Grazie bedeuten. Mal 
hebt sie auch das rechte Bein und mal das linke, 
genau so, wie sie es von der Tänzerin des Zirkus 
gesehen hat, der vorige Woche. hier nebenan 
sein Zelt aufgeschlagen hatte, Die Herrschaften 
aber, denen Fräulein Mila den Phantomtanz vor- 
führt, werden von einer Schar kleiner Knirpse 
gebildet, Die Herrschaften sind alle in eine dicke 
Wäscheleine zusammengefaßt, vermutlich, um das 
Gedränge im Zuschauerraum zu erzeugen, viel- 
leicht aber auch, um Ihr Entweichen aus der Vor- 
stellung zu verhindern. Fräulein Mia hat aufgehört 
Phantom zu tanzen und das Publikum Ist starr 
vor Staunen, 

Falls sich aber unter den Herrschaften ein künf- 
tiger Kritiker befinden sollte, wird er vermutlich 
In Fortsetzung des Spiels zu Hause schreiben: 
„Fräulein Mia ist zwar noch Anfängerin, aber ihr 
großes Talent Ist unverkennbar. Wenn es Ihr ge- 
lingt, die Ballungen und Lösungen ihres Körpers 
noch freier zu gestalten, dürfte sie ihren Weg 
auf der Tanzbühne machen.‘ 
Aber vielleicht wird sie auch Köchin. 





Foltzick 


Die Probezeit 


(R. Kriesch) 


m 


a di } 








„Wißt ihr, Kinder, wenn ein Mann nicht solange auf mich wartet, bis 
ihm ein Vollbart wächst, ist er eben für die große Liebe noch nicht reif!“ 


Tempo di prova: "Sapete, bambine, se un uomo non aspetta me finch® nongli venga 
la barba lunga egli non & certo ancora maturo pel grande amore!,, 


147 


Die glückliche Ehe 


(Wilhelm Schulz) 





„Schweig, Britannia, und lächle, man beobachtet uns! Gestritten wird, wenn wir unter uns sind !"* 


Il matrimonio felice: “Taci, Britannia, e sorridi! Ci osservano; si litigherä quando saremo fra noi due solil,, 


148 


Der Abgott - L’idolo 


Mr 
RS) ‚ai! 
SELL TE 

l ı 


ABBREVIATUREN 


VON SCHLEHDORN 


Abbreviaturen sind Abkürzungen aus dem Mittel- 
alter. Sie finden sich in geistlichen, weltlichen, 
Insbesondere amtlichen Aufzeichnungen usw. 
(usw. ist eine Abbreviatur für die Tatsache, daß 
einem kein Beispiel mehr einfällt), machten sie für 
den Laien unverständlich und wurden deshalb von 
den Eingeweihten gepflegt. Daß RR. ein Regie- 
rungsrat ist, ROS. nichts anderes als ein Regie- 
tungsobersekretär und P.P. sogar ein Polizei-Prä- 
sident, das sind modernere Abbreviaturen. — 
Durch den Zoo gingen zwei Abbreviaturen. Der 
eine war a. D., der andere z. D. Sie rauchten ihre 
Zigarrenstummel mit dem Genuß solcher, die kei- 
nen Luxus treiben und besahen sich den Marabu. 
Der schien zu sagen: „Mir als erfahrenen Kassen- 
beamten können sie hinsichtlich der Buchführung 
nichts vormachen.” 

Den Marabu kann man sich richtig jung gar nicht 
vorstellen, — wie er als Marabua mit seinem 
Maramadl durch den Frühlingswind zieht, in jenem 
schaukelnden Schweben, mit dem sich andere 
Vögel als Verlobte empfehlen. 

Die Pinguine nebenan wirkten mehr wie eine 
Kollegialbehörde im Frack. Dafür hat der Kasuar 
den schnellen, gereizten Blick des Kontrolleurs. 
Ein weiblicher Wiedehopf ging mit selbstbewußter 
Grazie auf und nieder, wie eine Studienrätin auf 
dem Schulhof des Lyzeums. Der Strauß aber, mit 
dem Hut unserer Großmutter hinten, hörte gleich- 
mütig zu, wie die linden Lüfte, außer dem Duft 
des Raubtierhauses, vom Musikpavilion die Takte 
eines Straußschen Walzers herübertrugen, — Ver- 
wandten gegenüber ist man mit dem Beifallsparsam. 


Der Adler, der tragischste der Gefangenen, saß 
unnahbar und dachte nach, — vielleicht über seine 
seltsame Residenzpflicht... 

Die beiden alten Herren standen dann lange vor 
dem Affenkäfig. Eine Äffin, die Ihr Junges aus Er- 
ziehungsgründen am $chwanz hinter sich herzog, 
entrüsteie sich: 

„Man kommt sich wahrhaftig wie ein Affe vor, 
wenn man sich hier wie ein Affe benimmt, und die 
alten Affen da unten verziehen keine Miene.” 
Aber das hätte seinen Grund, Der a. D. und der 
z. D. hatten gewettet: wenn der erste Affe sich 
umdreht und seine Kehrseite zeigt, — blau oder 
rot? Je nachdem mußte der z. D. oder der a. D, 
das erste Helle bezahlen. 

Als der ‚alte Pavian sich umwendete, und der 
z. D. die Wette mit blau gewonnen hatte, sah von 
nebenan die Giraffe herüber, gleichmütig alles 
überblickend, wie ein älterer Aufsichtsbeamter. 
Der Blick des alten Herrn ging an dem endlosen 
Hals herunter: „Und dann noch ein großer Kog- 
nak‘, meinte er genießerisch. 

So ein z. D. (d. h. ein Wartestandsbeamter, D. hieß 
früher Disposition und ist jetzt in Dienstverwen- 
dung verdeutscht) ist kein glücklicher Zustand. 
Ähnlich einer Weinbergschnecke oder einer 
Schildkröte, halb noch drinnen, mit dem Kopf 
schon draußen und in einigen Jahren Escargot 
oder Mockturtle. 

Der a. D. träumte vor dem Löwenkäfig (an dem 
muß man noch vorbei bis zum Musikpavillon) in 
zwiespältigemGefühl: „Du hast da dauerndDienst- 
stunden. Du frühstückst nicht nur, du schläfst sogar 
im Publikumsverkehr. Aber du darfst doch brüllen 
und Löwe sein. Ich bin frei und ganz draußen.” 
Er dachte an die Zelt, wo er noch a. Pr. war. 
So nannte man früher die Beamten auf Probe 


149 


(A. Paul Weber) 





im Vorbereitungsdienst, um lautmalend anzudeu- 
ten, daß bei Nichtbewährung die Pferde angehal- 
ten werden und er muß aussteigen. Damals hätte 
er sich gewünscht, a. D. zu sein mit Adele. So voll 
und ganz entsprach Adele nicht mehr dem Idole, 
wie damals, als sie, verlobt, im Vorbereitungs- 
dienst der Ehe standen. Gewiß, auch er war kein 
Junger Löwe mehr. 

Hier im Zoo, dachte er im Weitergehen, hatte er 
sich erklärt, auf der Bank zwischen Seekuh und 
Gazelle, während die Musik ein Potpourri aus 
„Martha“ spielte. Es war die Stelle, wo das schöne 
Lied zum zweitenmal vorkommt, und dann ganz 
hoch: „Martha, Mamamamamartha”‘, war er nieder- 
gekniet und hatte ihrer Schönheit gehuldigt. „Du 
entschwawawandest”, hatte die Musik gespielt. 
Auf dem Wege grüßte Jemand. Der z. D. und der 
a. D. dankten mit Reserve. Denn es war ein Ehem. 
Ein Ehem. ist der traurigste Typ derer, die aus 
dem Dienst sind. Der ist mal hinausgeworfen wor- 
den oder hat gar selbst hinter Gittern gesessen. 
Und darf seinen Titel nicht führen, sondern nur er- 
zählen: „Ich war ehemals Bürgermeister, der Land- 
rat haßte mich natürlich, und ließ die Revision kom- 
men, fünf Minuten ehe ich die 289,60 Mk. wieder 
zurKasse gebrachthatte. Undank ist der Welt Lohn.‘ 
Und nun hat der Ehem. im Büro der Versicherungs- 
gesellschaft gegen Feuer, Leben, Hagel und Aus- 
steuer einen kleinen Posten als Privatbeamter ge- 
funden. Und sieht neidvoll hinüber, wenn aus dem 
großen Dienstgebäude drüben die ORR. und RR. 
und RO]. und ROS. und alle die anderen Ab- 
kürzungen kommen, wenn Sonnabends abgekürzte 
Dienststunden sind. Den ORR. Francke holt dann 
seine Frau ab, und ein lustiger Terrier springt an 
ihm hoch und wedelt wie toll mit seiner stumme- 
ligen Abbreviatur. 


DAS GITTER 


VON KARL BERGER 


„Alice hat mir versprochen..." 

„Ich will keinen Schwiegersohn haben, der seine 
Familie nicht ernähren kann.” — „Aber ich be- 
komme als Ihr Privatsekretär doch zwanzigtausend 
Franken Jährlich!” — „Die sie für Krawatten und 
Anzüge ausgeben, mein lieber Pierre. Bankler 
Dubois rief einen Zeitungsjungen heran. Er nahm 
die Zeitung entgegen, gab ihm eine Münze und 
wartete auf den halben Franken, den er heraus- 
bekommen mußte. 

„Sie würden voraussichtlich dem Jungen den hal- 
ben Franken gelassen haben, Pierre‘, sagte er, als 


er das Geld entgegennahm. „Höchstwahrschein- * 


lich”, gab dieser freimütlg zu. „Aber, Herr Du- 
bois, das war doch wirklich nicht Ihr letztes Wort? 
Ich werde ja vorwärtskommen und wenn Alice... 
Der Bankier machte eine abwehrende Handbewe- 
gung und in diesem Moment fiel das Geldstück zu 
Boden und rollte hinter ein Gartengitter. „Sehen 
Sie, junger Mann, ich werde mich jetzt bücken 
und den halben Franken aufheben, wer das Kleine 
nicht ehrt, ist des Großen nicht wert.” Er streckte 
einen Arm welt durch die Stäbe des Gliters, aber 
die Münze blieb außer Reichweite. Einige Leute 


Vorsicht - Prudenza 


blieben neugierig stehen. „Es hat keinen Zweck”, 
flüsterte Pierre ihm zu, „es sammeln sich Leute 
an.” — „Und wenn halb Paris stehen bleibtl Ich 
will mein Geld haben! Sie sollen sehen, was Be- 
harrlichkeit vermagl” Er preßte seinen Kopf durch 
das Gitter. Nun konnte er den halben Franken mit 
dem Stock zu sich heranziehen. 

„Ich habe ihn, verehrter Pierrel” triumphierte er 
und wollte Ihm den Kopf zuwenden; aber er stieß 
dabei mit der Kinnlade gegen die Gitterstäbe. 
Schnell versuchte er, ihn zurückzuziehen. Es ging 
nicht. Es ging auf keine Weise, obgleich er sich 
dabei fast-die Ohren abriß. Angstschweiß trat ihm 
auf die Stirn. „Ich will jemand holen, der Sie her- 
aussägt”, sagte Pierre. Dubois war so einge- 
klemmt zwischen den Stäben, daß er nur mit 
zusammengepreßter Luftröhre keuchen konnte: 
„Schauen Leute zu?” 

„Bis jetzt höchstens zweihundert“, tröstete ihn 
Pierre, 

Als Pierre fort war, hörte der Bankier, wie jemand 
sagte: „Das sind sicher zweitausend Menschen. 
Aber natürlich, so eine Gratisvorstellung In der 
Mittagspause...” Dubols fragte sich verzweifelt, 


(0. Herrmann) 








„Neln, Albert, für ein flüchtiges Abenteuer wäre ich mir zu gut!" 


„Schon recht, aber wo hört das ‚flüchtig‘ auf und fängt das ‚dauernd‘ an?“ 


"Eh sal, Alberlo, un’ avvenlura passeggera non sarebbe mica di mio gradimento!,, 
"Va bene! Ma dove termina Il "passeggero, e dove comincia il ‘costante, ?,, 


150 


ob es unter diesen Umständen möglich wäre, sic! 
Blausäure zu verschaffen, um schnell ein Ende zu 
machen. Da legte sich ihm eine Hand auf die 


„Schulter. 


Wütend schrie der Bankier: „Ich kann doch nicht 
Sehen Sie denn nicht...” — „Das werden wir 
gleich haben”, entgegnete der Polizist ruhig 
packte Herrn Dubois kräftig bei den Schultern und 
zog. Der schrie wie am Spieß und glaubte, seine 
Kinnlade wäre schon abgerissen. „Na, dann ver 
suchen wir es anders“, meinte der Polizist un 
gerührt, Diesmal stieß er von hinten. Aber auch 
das nutzte nicht. Dubois bezweifelte einen Augen- 
blick, daß er noch am Leben sel. „Kopf ab- 
schneiden!” rief einer. „Nein, mit Dynamit!” rief 
ein anderer, 

„Kitzeln hilft da oftl” rief eine alte Dame. Dubois 
betete Inbrünstig, daß ein Erdbeben kommen 
möge, das ihn befreie. Ein Spaßvogel kiizelte ihn 
unter dem linken Arm. Verzweifelt stieß Dubois 
mit dem Fuß nach hinten und traf den Wach- 
beamten am Knie. Ein ambulanter Obsthändler 
sagte: „Den ganzen Kopf mit Seife einschmieren. 
Das hilft todsicherl" 

Der Polizist nickte und ließ aus der Nachbarschaft 
Seife holen. Dann fühlte Dubols kaltes Wasser 
über seinen Kopf strömen, während ihn anschel- 
nend fünfzig Hände einseiften. Inzwischen kämpf- 
ten die kräftigsten Männer aus der Menge um 
das Privilegium, ihn durchziehen zu dürfen. Aber 
der Polizist und der Obsthändler wollten sich dies 
nicht nehmen lassen und gingen an die Arbeit. 
Sie hatten gar keinen Erfolg, aber Herr Dubois 
fühlte trotzdem, daß er seinen Kopf noch hatte. 
Endlich erschien ein Inspektor mit zwölf Poli- 
zisten und säuberte erst einmal die Straße. Dann 
nahm er das Glitter In Augenschein, um zu sehen, 
was sich machen ließe und sagte zu einem Poll- 
zisten: „Holen Sie hier aus der Nähe einen 
Schmied. Die Gitterstäbe müssen durchgesägt 
werden.‘ Als der Pollzist fort war, stand plötzlich 
ein Junger Mann vor Dubols und bat höflich: „Ich 
bitte, den Kopf ein wenig höher.” Der empörte 
Bankler ließ den Kopf nun gerade sinken. Aber 
der Jüngling fiel auf die Knie, um ihm ins Gesicht 
zu sehen, „Ja, ganz recht. Herr Dubois, der Ban- 
kier. Ich bitte um ein paar Angaben fürs Abend- 
blatt. Tun Sie dies Infolge einer Wette oder nur 
so zum Scherz?” 

Dubois fragte sich, vor Zorn bebend, ob es für 
ihn denn gar keine Möglichkeit gäbe, diesen 
Menschen für Lebzeit unglücklich zu machen. „Un- 
verschämtheitl” schrie er Ihn an. „Sie sollten mir 
lieber helfen!” 

„Dazu wird keine Zeit mehr sein, wenn Ich die 
Sache noch rechtzeitig in Druck geben will”, be- 
dauerte der Reporter. „Beellen Sie sich bitte, mir 
alles zu sagen, was Sie möchten!” Als er sich von 
den Knien erhob, sagte er: „Ich habe nie etwas 
derartiges gehört. Doch ob der Chefredakteur es 
bringen wird?" 

Als der Reporter fort war, labte der Inspektor den 
Bankler mit Kognak, um einer Ohnmacht vorzu- 
beugen. Ein Photograph knipste dieses odle Werk 
der Polizei und rannte mit der Platte in die Re- 
daktion der nächsten Illustrierten Zeitung. 
Dubois fragte sich, wie wohl das Ende sein 
würde. Da machte ihm die vertraute Stimme Pier- 
res das Herz hüpfen. „Ich habe endlich einen 
Schmied gefunden”, sagte er, „er wird in einer 
Stunde hier sein. Kann ich sonst noch etwas für 
Sie tun?” 

„Nein“, schnob Dubols, „Sie haben die ganze 
Schuldl Ich will Sie nicht mehr sehen!” Pierre be- 
trachtete das Gitter genau. Auf einmal strahlte 
sein Gesicht, 

„Schnelll‘ flüsterte er. „Lassen Sie den Kopf bis 
nach unten gleiten und knien Sie niederl” 
Dubois gehorchte wie ein Kind. Pierre packte ihn 
beim Nacken und zog seinen Kopf durch das Git- 
ter, Seine scharfen Augen hatten erkannt, daß die 
Stäbe unten welter auseinanderstanden als oben. 
Pierres Frau trägt manchmal einen in Brillanten 
gefaßten’ halben Franken; aber nie, wenn sie ihren 
Vater zu Tisch geladen hat. 





Pythia Stalin 


(Erich Schilling) 





„Wird Englands Größe und Macht erhalten?" — „Ja, eine Macht wird sie erhalten!‘ 


TANTE JENSINE... 


Der berühmte dänische Märchendichter H. C. An- 
dersen liebte seine Bibliothek, ihm blutete das 
Herz, wenn ausgeliehene Bücher gar nicht oder 
in ramponiertem Zustande zurückgegeben wur- 
den. Ein schlimmer Feind seiner Büchersammlung 
war seine enifernte und betagte Tante Jensine 
— sie zählte damals schon über achtzig Jahre: 
Ihr Hunger nach „Lesestoff“ war unersättlich, und 
immer wollte sie ihn in Andersens Bibliothek be- 
friedigen, aber stets brachte sie die geliehenen 


Bücher in einem fürchterlichen Zustande zurück. 
Andersen verdankte Tante Jensine viel, so daß 
er es nicht über sich brachte, ihre Bitte nach 
weiteren Büchern abzuschlagen. Aber schließlich 
verfiel er in seiner Not auf ein Rezept, das beide 
Teile zufriedenstellte, 

In seiner Bibliothek befand sich ein zerrissenes 
und unvollständiges Exemplar von „1001 Nacht”, 
das nur noch das Märchen von „Aladin und der 
Wunderlampe” enthielt. Dieses Buch lieh er Tant- 
chen, und sie verschlang es in acht Tagen, wor- 
auf sie ihn um den nächsten Band bat. Andersen 
ließ einige Tage vergehen, worauf er Ihr den- 


151 


selben Band gab. Tante Jensine las Ihn mit der- 
selben Freude und Begeisterung. Das wiederholte 
sich ein ganzes Jahr, in dessen Verlauf sie „Ala- 
dins Wunderlampe“ 52 mal las. 

Schließlich konnte H. C. Andersen seine psycho- 
logische Neugier nicht mehr zähmen und er fragte 
mit gutmütigem Lächeln die alte Dame: „Na, Tante 
Jensine, wie gefallen Dir den die Märchen von 
‚1001 Nacht‘? 

„Glänzend, mein Junge“, antwortete Tantchen. 
„Sie sind ungeheuer spannend. Ich kann nur nicht 
verstehen, warum der Dichter alle seine Personen 
Aladin nennt...” 


SATIRE MIT KORREKTUR 


Porträt eines Wichts 


Einen unzweifelbareren Wicht als Kauzmann habe 
ich nie erlebt. Er war nach Gottes Ratschluß be- 
rufen, seine Umwelt auf die Folter dessen zu 
spannen, was er seinen Scharm nannte. In vollem 
Ernst bildete er sich suggestives Wesen und eine 
bezwingende Suada ein. Wenn höher geartete 
Menschen In seiner Gegenwart vor Schreck er- 
röteten oder sich bestürzt zeigten, war ihm dies 
Beweis für die Unruhe erzeugende Kraft seiner 
Persönlichkeit, Ironische Anerkennung strich er 
unbesehen als bare Münze ein. Von bedeutsame- 
ten Menschen, die ihn eine Zeitlang duldeten, 
weil ihr Feingefühl seinem Dünkel nicht gewach- 
sen war, sprach er wohlwollend als von seinen 
Freunden. Geriet er aber doch einmal an den 
Unrechten und mußte eine Abfuhr einstecken, so 
schüttelte er nach einer kurzen Pause kleinlauter 
Ergebung die Prügel bald ab 'und übersteigerte 
sich im Bestreben, rasch wieder auf die Beine zu 
kommen, bis zu der Behauptung, jener beneide 
Ihn Ja doch nur. 

Manchmal hatte, die Verranntheit des seltsamen 
Menschen unmittelbar zur Folge, daß eine ganze 
Tischgesellschaft in Schweigen versank — wieder 
ein Beweis für Kauzmann, wie unwiderstehlich 
eindrucksvoll er wirke. Hatte dagegen Jemand 
schon von einem Beisammensein genug für im- 
mer und dachte nicht daran, sich wieder sehen zu 
lassen oder gar jenen einzuladen, so gab es da- 
für nur die Erklärung, daß der andere zu be- 
schränkt sel, um Kauzmann zu würdigen. 

So hatte sich der Mann mit der Zeit zu einem 
eigenbrötlerischen Ekel abgerundet, von dem 
kein Vernünftiger mehr etwas wissen wollte — 
am wenigsten seine beklagenswerte Frau, die da- 
zu auch noch Rosaura hieß. Ein gar nicht übles 
Wesen, doch ein bißchen beschränkt, was sie 
unter anderm dadurch zum Ausdruck brachte, daß 
sie sich selbst eine intellektuelle Frau nannte. Im 


Grunde‘ ein gutes Geschöpf, nur eben durch Kauz- - 


manns überragende Eitelkeit in äußerste Verbitte- 
rung gescheucht Manchmal litt sie mehr als 
Fremde unter seinem anmaßenden Geschwafel. 
Aber da sie von ihm abhing, blieb ihr, wenn sie 
Frieden haben wollte, nichts übrig, als häufig ein 
Auge zuzudrücken, oft auch beide. Es hatte Zeiten 
gegeben, da sie noch aufbegehrte, wenn sein 
hemmungsloses Geschnatter sich an den Wänden 
brach und Abscheu ihr im Hals würgte. Einmal 
hatte sie sogar impulsiv einen Teller voll Milch- 
reis so unglücklich — oder glücklich, wie man will 
— nach ihm geschleudert, daß die Klunkern ihm 
Augen und Nase verschmierten... nicht aber den 
Mund, der ungeachtet des neuartigen Vorkomm- 
nisses emsig fortfuhr, Wortgeräusche zu erzeugen. 
Mit der Erkenntnis, daß dieses Sprechinstrument 
nie zum Schweigen gebracht werden könne, hatte 
sich der Ärmsten Resignation bemächtigt, und aus 
der war dann der Entschluß,zur Unterwerfung ge- 
boren worden. Seitdem zeigte ihre Mundpartie 
skeptische Falten, aber zu Auftritten kam es nicht 
mehr — ein Beweis, daß sie die Klügere, also das 


Gegenteil einer intellektuellen Frau war, für die 


sie sich hielt. 

Habe ich schon gesagt, daß Kauzmann Kultur- und 
Kunstgeschichte betrieb? Wenn nicht, wird es 
hohe Zeit. Er hoffte, mit einer Darstellung des 
zwanzigsten Jahrhunderts auf Grund eigener, 
ganz neuer Erkenntnisse seinen Weg zu machen. 
In der Tat hatte er, wenn auch noch keinen Ver- 
leger, so doch schon eine Art Gemeinde, die 
über dem Toben seiner Worte deren Inhalt nicht 
weiter In Betracht zog und jedenfalls bereit 
schien, irgend einmal für ihn einzustehen. Hier 
war das Rückgrat und Zentrum des Selbstbewußt- 
seins, dessen schließlich auch die in sich ge- 


VON PETER SCHER 


festigte Ahnungslosigkeit eines Wichts auf die 
Dauer nichı entraten kann. Es versteht sich, daß 
Kauzmann von seinen Eingebungen noch nichts 
zu Papier gebracht, sondern alles lediglich sei- 
nem Mundstück zur Weitergabe anvertraut hatte, 
welches denn auch den Erwartungen voll und 
ganz entsprach. 

Eines Tages — war es Zufall, war es Schickung — 
geriet eine wirkliche Persönlichkeit in den Um- 
kreis des Wichts und mußte es natürlich büßen. 
Kauzmann, dem ein dumpfer Instinkt sagte, daß 
die bloße Berührung mit jenem vor der Offentlich- 
keit ein erhebliches Plus für ihn bedeuten würde, 
bemächtigte sich mit brutaler Unbekümmerthelt 
des Arglosen. Je unentrinnbarer sich der Fremde 
von seinem Takt gefesselt sah, um so rustikaler 
schlug ihn die geltungswütige Beschränktheit des 
Gastgebers k.o. Es war zum Erbarmen, Kauzmann 
faselnd und wiederkäuend jenem so lange auf 
der Pelle knien zu sehen, bis er aus Abscheu und 
Schamgefühl zugestand, daß Dummheit gleich 
Überlegenheit und Vornehmheit gleich Unterord- 
nung zu werten sei, 

Die Gattin des so unerbittlich aufgenommenen 
Denkers war eine kluge Person, die schleunige 
Flucht aus der Gastlichkeit als einzige Rettung 
erkannte. Sie instrulerte den Mann, daß er von 
ihrem schlechten Aussehen beginnen müsse, wor- 
auf nach dem üblichen Hin und Her der Rückzug 
angetreten werden könne. Ihm waren aber kaum 
stammelnd und ungeschickt die ersten Worte ent- 
wischt, als Kauzmann auch schon wieder mit 
schnellem und jeden Widerspruch beseitigenden 
Wortgeplätscher eingriff, trotz heftigen Sträubens 
den Arzt zitierte, die Frau an die Wand redete 
und den Mann so tief verstörte, daß er in später 
Stunde, zum Äußersten getrieben, das aufge- 
drängte Du nicht länger verwehrte. 

Worauf für Kauzmann Jener Abschnitt anbrach, da 
er vor seiner Gemeinde in jedem Exzess seines 
Sprechorgans doppelt unterstrichen die Wendung 
anbrachte: „In jener Nacht, als der berühmte So- 
undso mir keine Ruhe ließ, Schmollis mit ihm zu 
trinken..." 





Zwischenbemerkung 


Diese Aufzeichnung über einen Menschen, dem 
ich vor Jahren begegnet war, geflel mir bei aller 
Präzision Irgendwie doch nicht so, wie ich sie 
empfunden und mit ehrlicher Bemühung, der 
Wahrheit nahezukommen, geformt hatte. Aus die- 
sem mir damals noch nicht voll bewußten Grunde 
war sie wohl auch unveröffentlicht geblieben, ob- 
gleich die Zeit gerade solchen Themen besonders 
entgegen kam. 

Mich erinnernd, überdachte ich noch einmal aus 
der Entfernung das nun in andere Belichtung ge- 
stellte Erlebnis, verglich es mit der Niederschrift 
aus vergangenen Tagen und fand, daß der Arbeit 
genau soviel überschüssige Ablehnung inne- 
wohne, wie ihr das künstlerische Moment der 
Liebe zur Erscheinung um jeden Preis mangle. 
Mit anderen Worten: Die Skizze widersprach un- 
geachtet redlichster Absicht der Grundforderung: 
Darstellen, nicht bloßstellen! 

Nun denn, man soll trachten, seine erkannten Feh- 
ler in Vorzüge umzuzaubern. Wie eine liebende 
Gottheit auch innerhalb des kleinsten Wirkungs- 
kreises lasse man seine Sonne leuchten über 
Gerechte und Ungerechte. So sei denn also zu 
Nutz und Frommen des einen oder andern, der 
bei Reibung mit negativen Erscheinungen von der 
Galle manchmal dazu verführt wird, das gleich- 
wohl vorhandene milde Wohlwollen des Herzens 
nicht zu Wort kommen zu lassen, als Gegenbei- 
spiel das Porträt des nämlichen Mannes noch ein- 
mal wiedergegeben. 


152 


Herr und Frau X 


Ein Wicht ist noch keln Bösewicht, 
er kann ein guter Wicht auch sein; 
om 'Ende Ist er nur zu klein 

um bös zu sein, 

vielleicht auch mangelt's Ihm an Blut 
und nur aus Bleichsucht Ist or nicht 
zufällig gut 

und arm und Wicht — 

daß Gott orbarm, 

wie sind wir alle klein und arm 
vor seinem Anspruch und Gericht! 


Wie er hieß, ist mir nicht mehr erinnerlich, doch 
denke ich, daß sein Name mir haften geblieben 
wäre, wenn er ihn irgendwie charakterisiert 
hätte. 

Er war recht gefällig und ließ mir bei einer Ge- 
legenheit, da ich Eile hatte, den Vortritt, wofür ich 
mich bedankte, was von seiner Seite eine Ein- 
ladung nach sich zog, der ich mit meiner Frau 
Folge leistete. 

Wir wurden bei dieser Gelegenheit auch mit sei- 
ner Gattin bekannt, deren sanfte, bescheidene Art 
uns ansprach, wobei wir freilich nicht Im unklaren 
blieben, daß sie, anders als er, unter der Decke 
des harmios Gefälllgen Temperamentsmöglich- 
keiten in sich barg, die nach gelegentlichen Aus- 
brüchen verlangten. 

Der — man-muß schon sagen etwas ungewöhn- 
lich redefreudige — Mann trug indessen kein Be- 
denken, ihr Kindliches und Heiteres unentwegt 
anzusprechen und sich von ihrem gutartigen Ein- 
gehen auf alles zu immer neuen Projektionen, 
Purzelbäumen im Reiche des Selbstgenusses 
und überschüssigen Phantastereien befeuern zu 
lassen. 

So wäre das Beisammensein fast zu einer Stunde 
wirklicher Entspannung gediehen, wenn nicht eine 
etwas üppige Neigung bei ihm obgewaltet 
hätte, uns soviel Gutes aufzuzwingen, wie wir 
nur mit äußerster Anstrengung entgegennehmen 
konnten. 

Dennoch ging soweit alles ganz erfreulich zu 
Ende. Wir begegneten uns noch öfter und konn- 
ten uns, wie es schien, mit der Zeit Immer weni- 
ger der Überzeugung verschließen, daß wohl 
doch etwas Bestimmendes von dem Mann aus- 
gehe, wie auch die Frau mit ihrem durch Sanft- 
mut gefesselten Temperament ständig an Ein- 
druckskraft zu gewinnen schien. 

Wie es gekommen war, wußten wir später nicht 
mehr zu sagen: Eines Tages sahen wir uns vor die 
Tatsache gestellt, daß der redselige Herr und 
seine liebenswürdige Gattin häufiger bel uns blie- 
ben als wir vorher bei uns selbst gewesen waren 
und daß unsere Behausung, nun völlig vom Nie- 
derschlag ihres Wesens durchdrungen, den end- 
losen Schall seiner Rede ebenso wie die begüti- 
gende Herzlichkeit ihrer Sanfımut zurückgab, ohne 
uns überhaupt noch zu Wort kommen zu lassen. 
In dieser Erkenntnis beschlossen wir, uns auszu- 
ruhen und für die Dauer unserer Bekanntschaft 
nur mehr noch ihn und sie als in unserm Bezirk 
wirkend anzuerkennen. So gewannen wir zugleich 
ein Mehr an Überblick und sparten unsere Kräfte, 
bis wir sie gebrauchten. Das aber war an jenem 
Abend vor unserer Abreise, als wir ihnen scho- 
nend die überraschende Eröffnung machten, daß 
wir zu unserm tiefsten Bedauern am andern Mor- 
gen fahren müßten. 

Wir schieden mit herzlichen Beteuerungen, ein- 
ander nicht vergessen zu wollen — wie denn von 
meiner Seite auch durch diese Darstellung aus- 
drücklich bekundet wird — und noch heute liegt 
mir der unaufhörliche Fluß seiner stürmisch be- 
wegten Rede im Ohr, mit der er den Abschluß 
unseres Freundschaftsbundes durch das Anerbieten 
des brüderlichen Du besiegelte. 





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rate' Siiphoscalin und Thylial, 


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würzig und gebaltvoll will er an- 
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Je böher die Wogen schlumen, dene 





dern das Vergnügen: wit eıwas ATA 
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ige Strumpfbad sein. Hierzu erhitzen. 
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dingt nötig Ist und gehen dabei mit 
Kohle, Gas oder Strom atet sparsem um. 

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der Strumpf für jede Jahreszeih 

















153 





DIE WITWE 


VON HEINZ SCHARPF 


Ein alter Mandarin hatte eine junge und schöne 
Frau, wie hohe Wurdenträger allenthalben an 
alten, häßlichen Freuen weniger Freude finden. 
Als er eines Tages krank wurde und sein Ende 
nahen fühlte, sagte er zu Ihr: „Liebliche Lotos- 
blume, ich höre eine ferne Glocke, die mich zu 
meinen Ahnen abberuft, gräme dich nicht allzu 
sehr, wenn ich gestorben bin.” 

„Oh, mein Herr und Gebieter, du Leuchte meines 


Lebens”, begann die Frau zu jammern, „wenn du 
von mir gingest, der Schmerz würde mich er- 
drücken.” 


„Die Zeit wird ihn lindern“, tröstete sie der Man- 
darin, „die Freuden des Lebens werden dich wie- 
der aufrichten.” 






















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„Nie und nimmer”, sagte die Frau, „ich werde 
Trauer bis an mein Lebensende tragen.” 

„Das sollst du nicht, Im Gegenteil, du sollst wieder 
heiraten.” 

„O Gott“, schluchzte die Chinesin, „welcher Ge- 
danke. Wie könnte ich jemals mehr einem an- 
deren Mann angehören " 

„Doch“, sagte der Mandarin, „nur eines versprich 
mir, holder Tau meines Alters, warte damit so 
lange, bis die Erde auf meinem Grabhügel trocken 
Ist. Ich vermache dir dafür diesen kostbaren 
Fächer, mit dem kannst du dir Kühlung zufächeln, 
wenn es die Wallung deines Blutes erheischt.” 
Drauf vermochte die Frau pur zu schluchzen und 
vor Schmerz zu zittern 


Dann starb der Mandarin. 

„Oh, Ich gräme mich zu Tode”, zerraufte sich die 
Junge Witwe am ersten Tage das Haar, am zwei- 
ten puderte sie sich dann den Schmerz aus dem 


Gesicht, denn Schmerz macht die Züge häßlich. 


Wikunl 


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erzeugt nach wie vor ihre 


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1panam verbraucht worden 






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154 











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Am dritten Tag trat sie in ihrem Trauerkleid vor 
den Spiegel und richtete sich die Falten. Am vler- 
ten rief sie die Schneiderin herbei und ließ den 


- Rock um eine Handbreit kürzen. Am achten aber 


besuchte sie das Gıab Ihres Mannes und strich 
unermüdlich mit dem Fächer darüber hin und her, 
auf daß die Erde schneller trockne. 

Und die Leute, die es sahen, sagten mit Recht: 
„Weiß Gott, die Arme war lang genug mit einem 
alten Mandarin verheiratet.” 


* 
DER UMFANG 


Treffen sich zwei. 

„Wie geht's? Wie steht’s?' 

„Meine Frau ist wesentlich schlanker gewsi..n!" 

„Wirklich?” 

‚Ja. Sie kriegt jetzt in der Telefonzelle die Tür zu.” 
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Die Weihnachtszuteilung von Kaffee geht aller- 
orts langsam zur Neige. Denn so gespart wie 
bei Halthaus wird in keinem Haushalt, Jeden Sonn- 
tag zählte Halthaus die Bohnen, 

Heute stockte er entsetzt: 

„Amaliel” rief er, „es sind zwei Bohnen zu wenig! 
Jetzt entsinne Ich mich auch, daß vorigen Freitag 
der Kaffee irrsinnig stark war —" I.H.R. 





Wir sparen Wäsche, wo wir können. 

Nur Großvater kann sich nicht daran gewöhnen 
Er will jeden Sonntag sein frisches Handtuch. 

Er kriegt es natürlich nicht. Nur alle zwei Wochen. 
Aber Großvater ist tückisch. 

Er steckt einfach das alte Handtuch heimlich in 
die Wäschekiste. Und dann schreit er beim Waschen 
nach einem Handtuch, 

Gestern auch wieder: 

„Wo ist das Handtuch?!” 

Meine Frau ılef zurück: 

„Halte die Hände zum Trocknen zum Fenster hin- 
aus, Großvater!“ 

Großvater jammerte: 

„Wer spricht von den Händen? Ich habe ein Sitz- 
bad genommen!” J, H.R 


* 


Island ist das Land der Traditionen und Konven- 
tionen. Wenn zwei Isländer zusammen sind, dann 





gehören erst eine Menge Zeremonien dazu, um 
eine Unterhaltung in Gang zu bringen, es wäre 
nämlich sehr anstößig, wenn man ohne weiteres 
seinen Mitmenschen änreden würde. 

Neulich saßen in Akureyri zwei Fischer nebenein- 
ander auf einer Bank. Der eine stopfte sehr um- 
ständlich seine Pfeife, zündete sie an und sandte 
eine mächtige Rauchwolke in die Gegend. Er be- 
merkte nicht, daß ein paar Funken aus der Pfeife 
auf seine gute Sonntagshose fielen. Der andere 
Fischer blickte nachdenklich den Rauchenden an, 
mach fünf Minuten fragte er: „Wie heißt du?‘ Der 
ändere antwortete nach langem Schweigen: „Orla 
Sigurdsson,” Wieder eine Weile Schweigen, dann 
sagte der erste: „Ich bin Asmundur Jonasson von 
Björnby, Wo bist du her?” „Ich bin von Attavolti” 
Wieder fünf Minuten Schweigen, dann richtet sich 
Jonasson würdevoll auf, streckt den Finger aus 
und sagt: „Orla Sigurdsson von Attavolt, deine 
Hosen brennen . ” 


Der unheimliche Fremde auf der Wendeltreppe 


Hannelore, ‚Schulzens älteste von 
drei Töchtern, stürzte aufgelöst in 
die Wohnung. Sie rang nach Fas- 
sung. „Auf der Wendeltreppe... 
Ein fremder Mann! Flauschmantel, 
Schlapphutkrempe tief im Gesicht! 
Ein Verbrecher! In der Hand..." 
— das Mädchen erschauerte — 
„etwas Blitzendes, Sicher ein 
Messer!" 

Ein paar Tage später hatte Hed- 
wig das gleiche Schreckgesicht, 
und bald darauf auch Klörchen, 
immer auf der Wendeltreppe zur 
Waschküche. Gefahr im Verzug! 
Polizeil 


Schupol Wichtige Fragen stellte 
er. Plötzlich ein Geräusch auf der 
Treppe. Aha, es klappte! Furcht- 


- los ergriff der Polizist seine Maß- 





Erst die Front 
dann die Heimat 





nahmen. Hin zur Wendeltreppe! 
In respektvoller Entfernung dräng- 
ten die Frauen nach. 

„Halt!" Der Schupo hob seine 
Schußwoffe gegen den überrum- 
pelten Fremden. „Messer weg- 
werfen! Folgen Sie mir“ 

Der fremde entfaltete den Mantel. 
Kein Messer, eine Aktentasche mit 
blitzender Nickelleiste hielt er in 
‚der Hand. Er kam die Treppe her- 
ab. Vor Schulzens offener Tür...: 
„Dort ist der Verbrecher! Haltet 
ihn!" Der Fremde strebte in die 
Wohnung, zum Badezimmer. Doch 
der Schupo setzte ihm ein Bein. 
„Kennen wir, Fluchtversuch!” 
„Schade!” sagte der Fremde. „Bei- 
nahe hätte ich den Verbrecher 
erwischt.” 


„In unserer Wo-h-nung?” Die vier 
Frauen kämpften gegen eine Ohn- 
machtsserie. 

„Jawohl", sagte der Fremde. „Ich 
bin Detektiv Styxl" Der Schupo 
legte die Hand grüßend an den 
Tschako. „Ubermäßiger Wasser- 
verbrauch in diesem Hausel Haus- 
wirt übertrug mir Nachforschun- 
gen. Was finde ich? Familie 
Schulz nimmt täglich fünf Voll- 
böder. Der Gasbadeofen krümmt 
sich vor Dauerhitzel Welche Ver- 
geudung! Kennen Sie den Ver- 
brecher® Kohlenklau heißt 
er. Wo Kohle, Gos oder Strom 
vergeudet werden, sitzt Kohlen» 
klav daneben und feixt. Baden 
Sie wöchentlich je einmal, damit 
verpassen Sie dem Halunken die 
Reinigung, die ihm gebührt!" 








KRONEN- 
KRAWATTEN-FABR 


Frite M.Tibkeg 


BERLIN Cs 













seine Krankheit verhehlt, 
verschlimmert sein Übel.“ 





ARZMEIMITTEL 





E 
B 














sondern 
länder, welcher sie 


En leerer Gemelopf gehört nichtin den Mill, 


mih dem Deckel 








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J Dos meiste können wir heute kaum ersetzen. Geht Por- 


zellan oder Steingut in Scherben, bestreichen wir die Bruch- 


stellen ganz dünn mitwasserfestem Klebstofl, deralles klebt. 


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Der Ansager = L’annunciatore 


(Hanna Nagol) 





BDIERUNTERSIEEHRIET 


VON HANS WEINDL 


Ferdinand Obermüller wohnte seit zehn Jahren im 
Haus Angerstraße 18 in Miete. Das Haus wechselte 
in dieser Zeit einigemale seinen Besitzer und 
einer nach dem andern übernahm den Mieter samt 
dem schriftlichen Vertrag, den er, der Mieter, 
einst mit dem Urbesitzer geschlossen hatte. 

Der letzte Hausherr aber verklagte Jetzt den Fer- 
dinand Obermüller nach &$ 2 MSchG, auf Mietauf- 
hebung und Räumung, weil er immer wieder nach 
10 Uhr nachts den Rundfunk überlaut habe spielen 
lassen. Es kam zur Verhandlung. 

Obermüller bestritt die Klagebehauptung. In sei- 
ner Wohnung sei das niemals vorgekommen. Be- 
weis: Seine Frau als Zeugin. — Der Anwalt das 
Klägers wandte ein, daß die Ehefrau des Beklag- 
ten nicht als Zeugin auftreten könne, weil sie ja 
Mitbeklagte sei. Der Richter nickte. Obermüller 
sagte, seine Frau habe nicht mitverklagt werden 
können, denn sie habe mit dem Mietvertrag gar 
nichts zu tun, der bestehe nur zwischen ihm und 
dem Kläger. 

„Aber, mein Lieber”, sagte’ der Richter, noch mit 
recht sanftem Tadel, „wie können Sie das behaup- 
ten, die Frau hat doch den Mietvertrag mitunter- 
zeichnet.” 

„Nein“, sagte Obermüller. 


„Was?' fragte der Richter, jetzt schon bedeutend 
schärfer, blätterte im Akt und legte ein Blatt oben 
auf. „Nun hören Sie mal, hier hab ich den Ver- 
trag” — er schlug mit der flachen Hand auf das 
Papier — „und hier steht schwarz auf weiß: ‚Fer. 
dinand Obermüller’ und ‚Frau Anni Obermüller'.“ 
„Ja, schon, aber —” 

„Was aber? Zum Kuckuck, Obermüller, verscherzen 
Sie sich doch nicht von vorneherein Ihre ganze 
Glaubwürdigkeit beim Gericht durch solche Flun- 
kerei. Im übrigen ist das Ja gar nicht so wichtig, 
ob Ihre Frau als Zeugin auftritt —" 

„Dochl” beharrte Obermüller, „meine Frau muß 
mir Zeugin machen.” 

„Wenn's aber doch nicht geht, zum Donner! — 
Passen Sie mal auf: Zeuge kann nur eine Person 
sein, die am Rechtsstreit nicht beteiligt ist, die 
also weder Kläger noch Beklagter ist. Versteh'n 
Sie das?" 

„Jawohl, freilich”, sagte Obermüller lächelnd, 
„Also! Ihre Frau ist aber Mitbeklagte, weil sie den 
Vertrag mitunterschrieben hat und weil sie folg- 
lich genau so Mieterin ist wie Sie.” 

„Meine Frau hat aber da gar nicht unterschrieben.” 
„Das ist unverschämt“ rief der Anwalt des Klä- 
gers mit Überzeugung. 





156 


Der Richter lehnte sich mit hochgezogenen Brauen 
und gekniffnen Lippen in seinen Stuhl zurück. Dann 
versuchte er's noch einmal sachlich, kühl: 
„Beklagter, hier steht: Frau Anni Obermüller. Wie 
heißt Ihre Frau?” 

„Anni. Anni Obermüller.” 

„Gut. Hat Ihre Frau, die Mitbeklagte Anni Ober- 
müller das geschrieben?” 

„Nein.“ 

„Dann wollen Sie also sagen, daß die Unterschrift 
gefälscht sei?" 

„Nein, nein!” 

„Das ist tolll” lachte der Anwalt des Klägers er- 
regt. Der Richter beherrschte sich mühsam. 

„Sie geben also zu, daß die Unterschrift echt Ist, 
wollen aber mit demselben Atem in Abrede stel- 
len, daß sie von Ihrer Frau geschrieben Ist?! Dann 
sind Sie doch” — brach jetzt der Richter zorn- 
donnernd aus — „der plumpste Lügner, der mir je 
untergekommen ist. Wenn Sie jetzt unter Eid 
stünden, Mann, kämen Sie ins Zuchthaus, verstehn 
Sie, ins Zuchthaust?" 

„Verzeihung, Herr Amisgerichtsrat”, sagte Ober- 
müller bescheiden, „das glaube ich nicht. Das ist 
auch gar nicht toll, wie der Herr Rechtsanwalt 
meint, das ist nämlich sehr einfach... Ich wundre 
mich nur ein bißchen, meine Herren, daß Sie nicht 
selbst draufkommen. Die da unterschrieben hat, 
das ist nämlich — meine — erste Frau, aber die 
ist schon lange tot. Natürlich hieß sie auch Ober- 
müller und zufällig auch Anni, was ja wohl nicht 
allzu wunderbar ist.” 





Von Fall zu Fall (K. Helligenstaedt) 


zu. 


af 


i' 
j 
i 





„Du hast doch immer gesagt, daß dich meine Anwesenheit bei der Arbeit sehr anregt!" 
„Durchaus, durchaus, aber nicht bei der Steuererklärung!“ 


‚ Secondo il caso: “Hal pur sempre detto che la mia presenza tl & sempre di stimolo 
al lavoro!,, — 'Certo, certissimo, ma non giä nella dichiarazione delle tasse!,, 


157 


Dr. JACKSONS BLONDINEN 


Wenn Dr. Jackson, Professor in Anatomie und 
Physiologie, seine Vorlesungen am staatlichen 
physlologischen Institut beendet hatte, eilte er 
schleunigst nach Hause, und nach einer schnellen 
Mittagsmahlzeit begab er sich sofort In seinPrivat- 
laboratorium, das in einem kleinen Gebäude hin- 
ter seiner schönen Villa lag. Hier saß er zwischen 
Haufen von Journalen und statistischem Material 
bis tlef In die Nacht hinein, eifrig beschäftigt mit 
seinen unermüdlichen Versuchen. Das waren sehr 
Interessante Sachen, mit denen Dr. Jackson sich 
beschäftigte, denn es war ihm nämlich gelungen, 
sensationelle Schlußfolgerungen betraffs des Cha- 
rakters, der Haarfarbe und der Liebe zu ziehen. 
Diese drei Faktoren hatte Dr. Jackson, als erster 
Wissenschaftler, In Verbindung gesetzt. Warum 
Pr. Jackson sich In seiner Arbeit nur mit dem 
Charakter, der Haarfarbe und derLiebe der Frauen 
beschäftigte, ist zu umständlich zu erklären, die 
Leser müssen aber das Interesse des Doktors für 
die Frauen nicht falsch deuten, denn Dr. Jackson 
war der ausgeprägte Typus des ernsten Wissen- 
schaftlers, ein zielbewußter Streber, von streng- 
stor Sachlichkeit erfüllt. Für Ihn existierten nicht 
schöne und weniger schöne Frauen, oder z. B. 
schlanke und dicke Frauen, für Ihn existierten nur 
Frauen mit verschiedenen Haarfarben, blonde, 
dunkle und rothaarige Frauen, und dann die kahl- 
köpfigen natürlich, die doch seltener sind, 
Diese außergewöhnliche Gruppierung war beson- 
ders eigentümlich, da Dr. Jackson ein sehr 
ganter und scharmanter, Junger Arzt war, und so- 
gar in dem feuergefährlichen Alter von 35 Jahren. 
Diesem flotten Herzensbändiger hätte man eine 
ganz andere Einstellung zu den Frauen zugetraut, 
z. B. hätte man sich vorstellen können, daß er sie 
nach der Schönhelt Ihrer Beine einteilte, so wie 
viele andere es tun.‘ Falls der Doktor aber seine 
strenge Haltung den Damen gegenüber nicht eln- 
‚genommen hätte, wäre es Ihm nie gelungen, seine 
wissenschaftlichen Experimente so weit zu brin- 
gen, wie es der Fall war. 

Die Resultate, die Dr. Jackson erreicht hatte, waren 
von ganz anderer sensationeller Art: 


Ruhige Nacht 


Zum Winterhimmel heb ich den Blick. 

Der zunehmende Mond bringt mir Glück, 
Ladht nicht. Icı laß mir meinen Aberglauben 
von Euch dodı nicht rauben. 





200 Meter vor uns liegt der Iwan, der Russe. 
‚Aber heute ist eine ruhige Nacht, 

Die Gescrütze scdimeigen. 

Nur einige Leudıtkugeln steigen 

und enthüllen für Sekunden flackernd 

das Geheimnis scılafender Winterpradht. 


Ab und zu mahnt tackernd 

ein MG,, aber das hat nichts zu sagen. 
Sonderbar ist dieseStille nadı wütenden Tagen, 
Die Nadıt scheint so friedlich, so ohne Not. 
‚Aber 200 Meter weiter lauert der Tod, 


Beinah kokett hängt der zunehmende Mond 
schief zwischen seinen Sternen. 

Da löst meine Seele von Feind sich und Front 
und enteilt in heimatlicıe Fernen. 


Wilhelm Hammond-Norden (im Felde) 






nass 








ıntwortl. Anı I 
‚häfte und Postanstalten.enigegen 8 ton. 
erlangte Einsendungen werden nur zurückgesendt, wenn Porto beiliegt —Nachdruck Veıotenıt Pofincheckkonto München #20. Erlnlungsort München, 


VON ERIK STOCKMARR 


1. Schwarzhaarige Frauen sind gewöhnlich boshaft 
und melancholisch. 

2. Braunhaarige Frauen haben ein sehr komplizier- 
tes und tiefes Seelenleben. 

3. Die rothaarlgen sind die lebhaftesten und un- 
artigsten. 

4. Die Blondinen sind kalt, sachlich und berech- 
nend und sind Im allgemeinen ohne Temperament. 
Das Ist sehr interessant, nicht wahr? Wenn diese 
Theorien einmal anerkannt geworden sind, wer- 
den die Damenfriseure mit dem Färben der schö- 
nen Locken viel zu schaffen bekommen. 

Nur durch seine unermüdlichen Versuche war es 
Dr. Jackson gelungen, dieses festzustellen. Er 
hatte keine Schwlerlgkelten gehabt, um das not- 
wendige Menschenmaterlal für seine Experimente 
zu bekommen, denn es gäbe wohl keine Frau In 
der ganzen Stadt, blond, dunkel oder kahlköpfig, 
die sich nicht von Herzen gern zur Verfügung 
gestellt hätte für die Versuche des Jungen, ele- 
ganten Arztes. Der Doktor nahm aber keine Notiz 
von den Damen, die In seinem Laboratorium 
saßen und wie verliebte Tauben gurrien. Daß er 
mit einer Jungen Blondine verheiratet war, war 
für die vielen, llebeskranken Tauben kein Hinder- 
nis. Die Frau des scharmanten Doktor Jackson 
ließ sich niemals im Laboratorium sehen, was 
nach der Meinung des Doktors ein klarer Beweis 
für Ihre Temperamentlosigkeit war, denn sie bo- 
schöftigte sich augenscheinlich überhaupt nicht 
mit dem beunruhigenden Gedanken, daß so viele 
schöne Frauen Im Laboratorlum. ihres Mannes 
waren. Wäre seine Frau dunkel gewesen, hätte 
sie Ihm bestimmt ab und zu einen Besuch ab- 
gestattet, um sich davon zu überzeugen, daß alles 
korrekt vor sich ging, denn dunkelhaarige Frauen 
haben Temperament. So erklärte sich Dr. Jackson 
die Interesselosigkeit seiner Frau, trotzdem es 
doch auch andere Gründe hätte geben könne: 
die Frau Jackson vom Laboratorium weghielt, z.B. 
wäre es ja möglich, daß sie ihn erst in dem 
psychologisch richtigen Augenblick besuchen 
wollte, aber daran hatte der Doktor gar nicht ge- 
dacht. 

Die Frage, die Dr. Jackson am meisten Inter- 
essierte, war das Temperament der blonden 
Frauen, das, wie gesagt, sehr gering Ist. In den 
letzten Monaten hatte er sich nur mit den Blon- 
dinenversuchen beschäftigt, um dadurch endlich 
den Beweis für ihre Temperamentslosigkeit zu 
bekommen. Tag und Nacht hatte er In seinem 
Laboratorium mit 17 blonden Frauen, die 
ausgewählt hatte, gearbeitet. Alles hatte 
sucht, die Funktion ihrer Herzen, sowie auch ihre 
Fähigkeiten zum Küssen, die er auf selnem Liebe: 
registrator gemessen hätte, Die letzten Worte 
muß ich wiederholen: auf seinem Liebesregistrator 
hatte er es gemessen. In seinem Laboratorium 
war es Jetzt so heiß wie an einem Sommertag in 
der Hölle, denn die Versuche mußten bei einer 
Temperatur von 38° vorgenommen werden. Der 
Duft von 17 verschiedenen Parfüms machte den 
Aufenthalt im Laboratorium noch anstrengender. 
Gerade an dem Abend, an dem Dr. Jackson den 
Beweis für die Temperamentlosigkeit der Blon- 
dinen endgültig geführt hatte, traf ein Ereignis 
ein, das eine entscheidende Änderung in die 
sensationelle Theorle des Doktors brachte. Es war 
spät am Abend, gegen. Mitternacht. Während 
Dr. Jackson seine interessanten Versuche mit einem 
Jungen Mädchen, Fräulein Daisy, anstellte, ge- 
schah etwas sehr Unwissenschaftliches, indem das 
Mädchen plötzlich den Doktor, anstatt den Liebes- 
registrator, umarmte, und ihm einen heißen Kuß 
(97°), mitten auf den Mund drückte. Es war, wie 
man sich vorstellen kann, nicht das erstemal, daß 
so etwas pässierfe, denn wie sollte es mit so 
vielen Frauen und bei 38° Hitze anders sein kön- 




















inorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße #9 (Fornruf 1296). Briefanschrlft: München 2 BZ, 
‚Mönchen. — Der Simpiic 
ınemont 





Hay Sche 






: Einzelnummer 30 Pf,; Abonr 


nen? Solche Situationen bekämpfte der junge 
Arzt aber gewöhnlich mit einer ernsten Mahn- 
rede. In dem vorliegenden Fall geschah aber 
auch etwas anderes, was noch peinlicher war, in- 
dem Frau Jackson zum erstenmal und ganz un- 
erwartet im Laboratorium auftauchte, um sich die 
wissenschaftliche Arbeit ihres Mannes ein bißchen 
näher anzusehen. Geräde in dem Augenblick als 
das Fräulein ihren Mann küßte, und Ihm ein sehn- 
suchtsvolles „Ich liebe dich!” zuflüsterte, trat Frau 
Jackson In das von liebeslustigen, blonden Frauen 
erhitzte Laboratorium ein, Resolut ging sie zu der 
Jungen Dame hin und knallte ihr eine Ohrfeige 
(57%) zur Abkühlung ins Gesicht. Auch der Doktor 
bekam eine. Diese Aufmerksamkeit beantwortete 
Fräulein Daisy mit einem energischen Fußtritt in 
Frau Jacksons bezauberndes Hinterteil, worauf die 
beiden blonden Damen einen wütenden Kampf 
anfingen. 

In dem Laboratorium befanden sich außer diesen 
zwel köämpfenden Frauen noch die 16 anderen 
Blondinen, die alle in den Jungen Doktor bis über 
die Ohren verliebt waren, Das Signal war Jetzt 
gegeben, und bald lagen sämtliche Damen auf 
dem Boden und kämpften einen wahnsinnigen 
Kampf aus, den Kampf um das Herz des geliebten 
Doktors. Was sich jetzt abspielte, ist kaum zu bo- 
schreiben. Die wütenden Blondinen kratzten, bissen 
und schlugen einander wie kämpfende Löwen, 
während sie wie Wahnsinnige heulten, oder sagen 
wir es galanter, wie eine Schar wilder Vögel. 
Während dieses erbitterten Kampfes Im Labora- 
torium wurden sämtliche Apparate des Doktors 
vollständig zerschmettert und seine unersetzlichen 
Journale, die er über die Tomperamentlosigkeit 
blonder Frauen geführt hatte, wurden als Wurf- 
geschoße gebraucht und flogen wie schwere 
‚Granaten durch die Luft. Die Temperatur zeigte 75°, 
Im Verlauf einer halben Stunde war das Labora- 
torium vollständig unkenntlich geworden, Dr. Jack- 
son saß in der einen Ecke, unter seinem Liebes- 
registrator, der „Orkan“ zeigte, vollständig zer- 
schlagen. Niemals in seinem Loben hatte er so 
etwas wie diese fürchterliche Amazonenschlacht 
erlebt. 

Dr. Jackson wurde von seiner blonden Frau ge- 
schieden und heiratete später eine dunkelhaarige 
Frau. Er hat jetzt seine Untersuchungen betreffs 
die Tomperamentlosigkeit der Blondinen ein- 
gestellt und arbeitet an einer Abhandlung über 
Ähnlichkeiten zwischen blonden Frauen und Raub- 
tieren. 


MEIN FREUND JOHANNES 


Johannes hat eine etwas absonderliche Art, zu 
rechnen. 

Einst las er eine Anzeige Über irgendeine Lotterie. 
„Ich werde mir ein Los kaufen”, sagte or. „Es 
kostet nur 1 Mark und man kann 1000 Mark ge- 
winnen.” 

„Tu das“, entgegnete Ich, 

Einige Tage nach der Ziehung fiel mir die Sache 
wieder ein. 

„Nun, Johannes, hast du etwas gewonnen?” fragte 
ich, 

„100 Mark”, sagte er so ganz nebenbei. 

„100 Mark? Da hast du aber Glück gehabt! Hun- 
dert für eine — eln ganz netter Gewinn.” 

„Ja, wenn man es so sieht, kann Ich Ja eigent- 
lich doch noch ganz zufrieden sein”, grübelte 
Johannes. 

„Wie um des Himmels willen willst du es sonst 
sehen?“ fragte Ich erstaunt. 

„Ja, wo man doch 1000 Mark gewinnen konnte, 
habe ich doch bei 100 Mark noch 900 Mark Ver- 
lust”, sagte Johannes. J. Bleger 





lach. 


Bestellungen nehmen 
Preisliste Nr. 7 





mus erscheint wöchentlich Er 
R — Anzeige: 








Die fromme Miß en 





„Herrgott — lösch’ sie aus, diese hundert Millionen Deutschen!" 


La pia Miss: '‘O Signore Iddio.. ‚estinguili Tu. .. questi cento milioni di Tedeschi!,, 


159 


Gottesdienst in Canterbury 


(€. Thöny) 





EEE TIGE PT ze BEER TE TER ER ROREEET TE PIERRE 

















„Und wann wollen wir das besondere Gebet für die Sowjetunion verrichten, Herr Erzbischof?‘ 


„Anschließend an den Seelengottesdienst für die durch unsere Freunde umgekommenen Geistlichen, mein Lieber!‘ 


Servizio divino in Canterbury: "Signor Arcivescovo, quando faremo la preghiera speciale per I’ Unione Sovietica?,, 
“Immediatamente, mio caro, dopo le esequie per I nostri amicl ecclesiastici vecisi!,, 


160 


München, 17. März 1943 
48. Jahrgang /Nummer 11 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN 


(Wilhelm Schulz) 


Dan 0 


„Und dieses Zeug soll ich in der Massenversammlung tragen, John?‘ — „Trösten Sie sich, Mylord, die Jakobiner- 
mütze ist mit feinster Seide gefüttert und die Russenbluse aus echtem englischen Homespun gearbeitet!‘ 


Il Lord rosso: *E questa roba, John, devo portarla io nell’ assemblea popolare?,, — ‘"Confortatevi, Mylord, 
il berretto giacobIno & foderato della piü fina seta e la blusa russa & vero tessuto inglese '"homespun, !,, 





Karussell vor der Stadt - Il carosello davanti alla cittä 


0. Hegenbarth) 





ÄHNLICHKEIT 


VON WALTER FOITZICK 


Später spielt es nicht mehr so eine große Rolle, 
wem man ähnlich sleht, aber als Kind wird von 
jedem verlangt, daß er Jemand ähnlich ist. Im 
Familienkreis wird lebhaft erörtert, ob Max der 
Mama oder dem Papa gleicht oder gar einem der 
vier Großeltern. Alles ist erstaunt, wenn es der 
Fallist. Es tritt da das übliche „Ganz der Papa” oder 
„Ganz die Mama” ein. In Pferdezüchterkreisen 
technet man viel bestimmter mit der Ähnlichkeit 
und man erwartet sogar, daß der Sohn ebenso 
schnell läuft wie der Vater oder die Multer und 


DER ALTE WANDRER 


Einft war mein Tor der Anfang aller Straßen, 
Die, fich verzweigend, um die Erde gehn, 

Und immer fchlenen Ruf und Hörnerblafen 
Verführerifch um Wand und Dach zu wehn. 


Nun hat das Tor zum Eingang fich gewandelt, 
Den Jede Straße fich als Ziel erwählt, 

Daß fie, was draußen glänzt und lebt und handelt, 
Mir eifervoll und nimmermüd‘ erzählt, 


So bleib ich ruhend doch der Welt verbunden, 

Hab Teil an ihrem Müh'n, an ihrer Luft. - 

Nachts nahen all die alten Wanderftunden 

Und legen fich mir wärmend an die Bruft, 
Hermann Sendelbach 


womöglich noch schneller als Großvater oder 
Großmutti. Nun, aufs schnelle Laufen kommt es 
bei den Menschen Ja nicht so sehr an, man sieht 
da mehr auf die Augen und die Haare und die 
Nase, 

Ich selbst habe meine Jugend In Ähnlichkeit mit 
einem Onkel Eduard zugebracht. Ich konnte zu 
fernsten Verwandten kommen, es hieß sofort: „Ich 
glaube, du siehst dem Onkel Eduard ähnlich, nein, 
so eine Ähnlichkeit!” 

Ich habe diesen Onkel Eduard nie lebendig von 
Angesicht zu Angesicht gesehen und weiß nicht, 
wer er gewesen ist. Ich kann nur eins sagen, er 
muß mir sehr ähnlich gewesen sein, wenn ich den 
andern glauben soll, 

Später hab ich mal ein Bild von diesem sagen- 
haft ähnlichen Onkel zu Gesicht bekommen. Ich 
bin erschrocken. Er war ein Mann mit einem rau- 
schenden Vollbart und einem Schnauzbart dazu, 
sonst blieb eigentlich nicht viel mehr vom Gesicht 
übrig. Na, wenn ich dem als Kind ähnlich gesehen 
habe, alle Achtungl, ich hätte mir schon damals 
nicht gefallen. Aber Tante Waleska sagte Immer, ich 
hätte so einen zarten Teint und so einen möchte sie 
auch haben. Ich vermute, OnkelEduard hat an den 


* 


KRITIK 


Vor acht Tagen machte ich mit zwei jungen hüb- 
schen Damen einert Ausflug ins Gebirge. Es war 
ein herrliches Wetter und begeistert begann ich 
Goethes Verse zu zitieren: 

„Die Sonne tönt nach alter Weise — In Bruder- 
sphären Wetigesang — Und ihre vorgeschriebne 
Reise — Vollendet sie mit Donnergang.” 

Da unterbrach mich die Jüngere meiner Begleite- 
rinnen: „Meister, das Dichten liegt Ihnen nicht, 
machen Sie lieber eine Kurzgeschichte.” +pf. 


162 


au Ay Aayır 


unbewachsenen Stellen die gleiche Haut gehabt. 
Um eine Ähnlichkeit richtig feststellen zu können, 
muß man eigentlich eine Tante des in Frage 
stehenden Kindes sein, Tanten sind für Ähnlich- 
keit zuständig. Ich selbst bin nicht begabt für 
Ähnlichkelt. Ich finde, alle kleinen Kinder sehen 
wie Olaf Gulbransson aus. Nun schätze Ich Gul- 
bransson sehr, aber den Vätern und Müttern kann 
man das halt nicht sagen, denn sie hören's nicht 
gern. 

Wenn ältere Männer ähnlich sehen, so ähneln sie 
bedeutenden Leuten. Die Maler nennen sowas 
Studienköpfe. Sehr beliebt ist die Sorte Goethe, 
Beethoven und Gerhart Hauptmann, man erkennt 
sie sofort am vollen, etwas strubbligen Haarwuchs 
und der charaktervollen Nase. 


SCHWER MÖGLICH 


Als sich Frau Wotruba, die Gemahlin meines 
Schneiders, unlängst bel mir über ihren Gatten 
beschwerte, sagte ich, um loszukommen: 

„Ja, Frau Wotruba, wenn er Sie so schlecht behan- 
delt, wie Sie sagen, dann wird es wohl das Ver- 
nünftigste sein, Sie lassen sich scheiden!” 

„Das möcht ihm so passen, dem b’soffenen 
Lackell” rief Frau Wotruba. „Und I soll nachher als 
g’schiedene Frau umananderrennen! | dank schön 
dafür! Das derlebt er net! Marandanna, da tat i 
mi Ja vor mir selber schamen! Wenn er mi los- 
werden will, dann soll er dazuaschaun, daß i das 
wieder werden tua, was i g’'wesen bin, ehvor | 
eahm g’heirat hab —“ 
„Liebe Frau Wotruba”, sagte ich lächelnd, „das 
dürfte wohl schwer möglich sein —" 

„Aber geh'n $', was Sie wieder glauben!" Frau 
Wotruba stieß mich verschämt mit dem Ellenbogen 
in die Seite, „Sie san mir a Schlimmerl... Wis- 
sen $’ denn net, daß i Witfrau war?” H. K. B. 





Die Wacht im Osten 


(E. Thöny) 


er na er Rn 





„Ich stehe hier für Europa!“ 


La sentinella all’ est: ‘Io sto qui per |" Europa!,, 


163 


Die klassische Figur ke) 


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D 4 REN, 





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„Zu dumm, daß ich Arme habe — sonst könnt" man mich für die Venus von Milo halten!“ 


La figura classica: “Che stupiditä ch’ lo abbla le braccla ... altrimenti mi si potrebbe prendere per la Venere di Milol,, 


164 


MÖBLIERTES ZIMMER MIT ONKEL 


Ja, so ist es! Ich bin ein gutmütiger Mensch, 
gern in Gesellschaft, bereit, ein Auge zuzudrük- 
ken, wenn es sich um Streiche unruhiger Geister 
handelt, aber etwas, zum Donnerwetter, was ich 
nie habe vertragen können, und was mich im 
höchsten Grade beleldigt, das ist, wenn jemand 
allzusehr seine gute Laune hervorkehrt, und Ich 
gerade schwere Sorgen wälze. Ja, meine Lie- 
ben, so ist es wirklich. Charakterfehler? Nerven- 
schwäche? Nun, denkt, was ihr wollt. Jedenfalls 
kann ich einen Idioten, der lacht, wenn Ich an 
meine Schulden oder an sonst ein Unglück ge- 
rade, denke, einfach nicht verdauen. Und übrl- 
gens, warum soll ich nicht auch irgendeinen 
Charakterfehler haben? Ich rauche nicht, trinke 
nicht, bummle nicht nachts, kurz, ich bin ein an- 
ständiger und sittsamer Mensch, Meine einzige 
Sünde Ist die, mit denen Streit anzufangen, die 
da lachen, wenn ich an die Schwiegermutter 
denke. Aber lieber Gott, ich bin doch nicht hier- 
hergekommen, um euch meine Sünden zu be- 
kennen und von euch Absolution zu erbitten. 
Nein! Nein! Ich wollte euch nur In die Lage ver- 
setzen, das, was ich euch über das unwürdige 
Betragen des Her Giacomo erzählen will, zu 
begreifen, Wie? Ihr wollt wissen, wer der Her 
Giacomo ist? Aber so habt doch ein bißchen 
Geduld! Seid doch nicht so zudringlichl Herr 
Giacomo Ist der Onkel von Frau Mercedes, und 
Frau Mercedes Ist meine Wirtin. Aber ich mache 
euch darauf aufmerksam — um Mißverständnisse 
zu vermeiden — daß ich nicht etwa mit Leu- 
ten, die Onkel besitzen, böse bin. Jeder kann 
Onkel sein eigen nennen, soviel er nur will, 
er sollte sich aber auf den persönlichen Ge- 
brauch beschränken und sie nicht anwenden, 
um das Leben des Nächsten unglücklich zu ma- 
chen. 

Als ich in der Zeitung das Inserat für ein mö- 
bliertes Zimmer aufgab, habe ich nicht einmal 
Im Traume daran gedacht, daß es außer einem 
Zimmer mit Bad, mit Heizung, mit separatem 
Eingang auch ein Zimmer mit Onkel gäbe. Und 
auch bei dem Angebot, das mir Frau Mercedes 
mechte, konnte ich nicht die geringste Anspie- 
lung auf eine Tatsache dieser Art entdecken, Erst 
als ich mich dahin begab, um das Zimmer zu 
prüfen, wurde mir diese Neuigkeit enthüllt. Um 
die Wahrheit zu sagen, im ersten Augenblick 
fühlte ich mich durchaus nicht beunruhigt. Die 
Wirtin ließ mich in das Zimmer eintreten, zeigte 
mir das Bett, den Schreibtisch, hieß mich ans 
Fenster lehnen, das auf einen Hof mit prächti- 
gen herumflatternden Hühnern führte, Schließlich 
pflanzte sie sich mitten im Zimmer auf und 
sagte: „Das hier ist mein Onkel Giacomo. Ein 
Mann, der zu seiner Zelt Aufsehen erregte. Er 
war Architekt und hat die halbe Stadt erbaut.” 
Herr Giacomo stand da mit dem Ellenbogen an 
einen mächtigen Sessel gelehnt, In der Hand 
hielt er ein geöffnetes Buch und lächelte wohl- 
wollend. Er schien, sehr zufrieden mit dieser Vor- 
stellung, zu sagen; „Ich bestätige alles; ich bin 
ein großer Mann gewesen. Die halbe Stadt habe 
Ich erbaut; nun verbringe Ich meine Zeit in die- 
sem Rahmen. Manchmal, wenn niemand da ist, 
lese Ich in diesem Buch.” 

Zuerst legte Ich wenig Gewicht auf diese Dinge. 
Ich war viel zu glücklich, ein Zimmer gefun- 
den zu haben, um mich von dem Vorhandensein 
eines Bildes beeindrucken zu lassen. Einige Tage 
später begann der Konflikt mit Herrn Giacomo. 
Vom Morgen bis zum Abend war ich herüm- 
gelaufen, um gewisse Angelegenheiten zu re- 
geln; aber ich hatte kein befriedigendes Re- 
sultat erreicht. Sehr betroffen war ich von allen 
diesen Mißverständnissen, in die ich mich ver- 
strickt sah. Ich betrat mein Zimmer, setzte mich 
an das Tischchen und verharrte einige Minuten, 


‚YON BERTO PEROTTI 


den Kopf in die Hände vergraben, um über 
mein unglückseliges Schicksal nachzudenken. 
Als ich den Kopf hob, sah ich vor mir das joviale 
und eingebildete Lächeln des Herr Giacomo. 
Alle meine Geschäfte gingen daneben, meine 
Seele war voller Trauer und Wut, und Herr 
Giacomo, vollkommen unempfindlich für meine 
Sorgen, lächelte ruhig weiter, aufgeblasen über 
sein geheimnisvolles Glück. Ich ballte die Fäuste 
und rlef wütend: „Warum lachst du?” Meine 
‚Worte tönten unheilvoll in das Schweigen des 
Zimmers. Aber Herr Glacomo lächelte weiter; 
ohne mit der Wimper zu zucken lächelte ersein 
spöttisches Lachen, Er schien zu sagen: „Nichts 
kann mich erschüttern; nichts kann mich stören. 
Ich habe die halbe Stadt erbaut, jetzt lehne 
ich an diesem Sessel und lache über die Welt. 
Manchmal, wenn mich niemand sieht, lese ich 
in diesem Buch.” Ich muß euch gestehen, ich 
kann apathische Menschen nicht ausstehen, 
diese Leute, die auf meine Worte und Gesten 
nicht reagieren. Wehe, wenn einer sich meiner 
Wut gegenüber gleichgültig zeigt! Lieber will 
Ich Faustschläge einstecken, als mit Gleichgül- 
tigkeit behandelt werden. Ihr könnt euch wohl 
meinen Seelenzustand vorstellen, als Ich diesen 
hochmütigen und Ironischen Blick der Über- 
legenheit auf mir ruhen fühlte. Ich nahm Hut 
und Mantel und ging davon. Die frische Luft be- 
ruhlgte meine Nerven. Als ich so daherlief, kam 
Ich zu der Überzeugung, daß ich nicht recht 
hatte, mich über ein Bild zu ärgern, Ich lachte 
sogar über mich selbst, und ich wunderte mich, 
daß ich den Kopf über eine solche Kleinigkeit 
verlieren konnte. Die folgenden Tage waren mit 
heiterer Tätigkeit ausgefüllt. Meine Geschäfte 
fingen an, besser zu gehen, und ich schien 
mich mit meinem Mitbewohner ausgesöhnt zu 
haben. Aber sehr schnell, als bei mir die 
schlechte Laune zurückkehrte, wurde die Frage 
meiner Beziehungen zu Onkel Giacomo wieder 
akut. Eines Abends, als ich zu Bett ging, er- 
füllten trübe Vorahnungen meine Seele. Mein 
Bruder Francesco hatte mir geschrieben, daß 





Der widerspenstige Bratfisch - II pesce da friggere renitente 


der Hauswirt uns hinausgeworfen hatte. Mein 
Freund Claudio hatte mich um die Bezahlung 
einer alten Schuld gedrängt. Kurz und gut: ein 
Haufen Unannehmlichkelten. Obwohl ich mich be- 
mühte, einzuschlafen, gelang es mir doch nicht, 
Bis mir plötzlich ein Gedanke kam, der mich 
schaudern ließ. In diesem Augenblick, in dem ich 
mich mit meinen Ängsten abplage, ist jemand 
hier neben mir, der den Mut hat, zu lachen. 
Direkt besessen wurde ich von dieser Idee. Ich 
hatte den Eindruck, daß mir etwas Listiges und 
Unheilvolles aus der Dunkelheit drohte. Schließ- 
lich konnte Ich nicht mehr. Die Hand erhob Ich 
und machte Licht. Herr Glacomo, der ehrenwerte 
Architekt, lächelte friedlich, an den Sessel ge- 
lehnt; stolz war er über selne Erfolge und seine 
Gesundheit. Einige Augenblicke starte ich ihn 
an, mit solch wütenden Augen, wie man nur 
einen Todfeind anschaut. Das ganze Zimmer 
schien von dem Lachen, das dem Gesicht dieses 
Mannes eniströmte, erfüllt zu sein. „Du Hundl” 
dachte ich, „ich zerreiße mir die Seele vor Qual, 
und du freust dich darüber.” Da erhob ich mich, 
schlich auf Zehenspitzen zu dem Bilde, packto 
einen Stuhl und stieg hinauf, um es umzudrehen 
Aber mochten es nun meine zitternden Hände 
sein oder trug meine Kurzsichtigkeit die Schuld 
daran, das Bild rutschte ab und fiel mit großem 
Krach zur Erde, Starr vor Schreck blieb ich auf 
dem Stuhl. Ich glaubte, daß etwas Schreckliches 
durch mich passiert wäre, und daß bald das 
ganze Haus deshalb in Aufregung geriete, Statt 
dessen blieb alles weiter ruhig, und in dieser 
Stille vernahm ich deutlich, durch die Wand, das 
röchelnde Schnarchen meiner Wirtin. Ich hatte 
Angst, daß sie aufwachte. Vorsichtig stieg Ich 
vom Stuhl hinunter und verkroch mich unter der 
Bettdecke, ohne mich um das Bild zu kümmern. 
Am nächsten Morgen fiel meine Wirtin fast in 
Ohnmacht, als sie bemerkte, was geschehen war. 
Sie raufte sich die Haare, schaute einmal mich 
an, einmal das auf der Erde liegende Bild und 
tlef: „Jesus Marla, die Geister!“ Düster erwiderte 
ich: „Ja, auch Ich glaube es, die Geister.“ Und 


(6g. Gaggell) 





eiligst verließ ich das Haus, um nicht der Wieder- 
auferstehung des Onkels Giacomo zum Beherr- 
scher meines Zimmers beizuwohnen. 

Von da an artete mein Haß für diesen lästigen 
Nachbarn in einen wahren beständigen Krieg 
aus. Bisweilen, während ich in meinem Zimmer 
meine Mahlzeiten einnahm, hob ich den Blick zu 
dem Bilde und wurde von solcher Wut gepackt, 
daß Ich Ihm am liebsten ein Stück Fleisch oder 
einen Löffel voll Suppe an den Kopf geschleudert 
hätte, In den kritischsten Augenblicken hielt mich 
Jedoch die Furcht zurück, daß eine solche Hand- 
lung, wer weiß was für eine Reaktion von seiten 
des Herrn Giacomo hervorgerufen hätte. Eines 
Tages jedoch machte ich mir auf besondere 
Weise Luft. Ich wartete, bis.meine Wirtin kam, 
um den Tisch abzuräumen, und plötzlich platzte 
ich heraus: „Ihr Onkel ist ein Dummkopfl" Frau 
Mercedes drehte sich mit den Tellern in der 
Hand um und sah mich ernst an: „Was haben Sie 
gesagt?” „Ihr Onkel Ist ein Dummkopfl” wieder- 
holte Ich und fühlte unsagbare Befriedigung, daß 
ich diese Worte noch einmal sagen konnte. Die 
Erregung und Überraschung der Wirtin mußte 
sehr groß sein; denn zwei Teller glitten Ihr aus 
der Hand und zerschellten auf dem Boden. Sie 
bückte sich, hob sie auf und wiederholte wie im 
Traum: „Ein Dummkopf — der Onkel Giacomo? Ein 
Dummkopf?" Darauf verließ sie mit verstörtem 
Gesicht das Zimmer, schloß sich in der Küche ein 
und ließ sich den ganzen Tag nicht mehr sehen. 
Ich wandte mich dem Gemälde zu und stellte 


Die bekümmerte Elefantin - 


fest, daß mein Feind absolut uninteressiert bei 
meinen Schmähungen blieb. Fortgesetzt betrach- 
tete er mich von oben bis unten und schien zu 
sagen: „Ich vertrödele meine Zeit nicht mit Ge- 
schwätz, noch kümmere Ich mich um Vörleumdun- 
gen. Ich betrachte die Welt; lausche und lache. 
Manchmal, wenn mich niemand sieht, lese ich In 
diesem Buch.” Trotz Widerwillen war ich ge- 
zwungen zuzugeben, daß in der Heiterkeit mei- 
nes Gegners etwas Edles und Unangreifbares lag. 
Und gewiß war es dieser würdevolle Gleichmut, 
den ich fürchtete und haßte, vielleicht nur des- 
halb, weil ich absolut machtlos dagegen war. 

Eines Nachts träumte ich, der Onkel Giacomo 
wäre vom Bilde herabgestiegen, hätte sich an 
mein Bett gesetzt und mich gekitzelt. Ab und zu 
beugte er sich über mich und blies mir in die 
Nase. Dann nahm er einen Strohhalm und kitzelte 
mich am Ohr. Die Sache spitzte sich so zu, daß 
ich’ im Traum in ein so schallendes Lachen aus- 
brach, daß Ich plötzlich aufwachte. Das war zu- 
viel. Am Morgen entschloß ich mich, diese Frage 
endgültig zu klären. Ich wartete, bis meine Wirtin 
mit dem Kaffee kam und stellte ihr folgendes Ulti- 
matum: „Mit Ihrem Onkel kann ich mich nicht ver- 
tragen. Entweder verschwindet er, oder ich gehe 
Einer von beiden.” Mit offenem Munde vor Über- 
raschung stand die Wirtin da. Sie stammelte: 
„Mein Onkel Giacomo war ein großer Architekt 
und ausgezeichneter Familienvater. Ich wundere 
mich, Ich wundere mich. Hier haben solche feine 
Herren gewohnt, sogar adlige, und keiner hat 


L’ elefantessa afflitta 


sich jemals über ihn beklagt.” Aber ich war un 
beugsam und erwiderte: „Ihr Onkel kann so gut 
gewesen sein wie Sie wollen, aber ich will ihn 
nicht mehr in meinem Zimmer sehen.” Angesichts 
meines resoluten Betragens mußte sich die Wirtin 
fügen. Sie lief hin und her durch die Wohnung; 
dann klopfte sie und meinte schüchtern: „Ich 
habe etwas anderes gefunden. Ich hoffe, daß Sie 
zufrieden sind.” Dann zog sie den Onkel Gia- 
como herunter und setzte an seine Stelle ein an- 
deres altes Bild mit einem älteren Herrn, Zu mei- 
nem größten Trost bemerkte Ich sofort, daß der 
Neuangekommene nicht lachte. Als sie vom 
Stuhle stieg, schaute die Wirtin das Bild einige 
Augenblicke an; ernst sagte sie darauf: „Das Ist 
der Onkel Onorio. Er war Arzt im psychiatrischen 
Institut von San Tommaso, Er hat beinahe alle Gei- 
steskranken der Stadt geheilt.” In diesem Augen- 
blicke glaubte ich, daß der Ton ihrer Stimme 
eine kleine, fast unwahrnehmbare Erregtheit er- 
lit. War es Rührung, oder was war es? 
Onkel Onorio saß im weißen Kittel vor einem gro- 
Ben Schreibtisch und schaute mich finster durch 
seine Brillengläser an, In der rechten Hand hielt 
er eine große Pfeife mit gebogenem Mundstück. 
Es schien, als wollte er sagen: „Ich bestätige 
alles, Ich bin ein Genie! Meine Aufmerksamkeit 
ist auf das Gehirn der Geistesgestörten gerichtet. 
Die andern Sachen interessieren mich nicht. Ab 
und zu, wehn ich nichts zu tun habe, rauche Ich 
diese Pfeife.” 

(Aus dem Italienischen von Charlotte Opltz.) 


(Fr. Bilok) 





„Sei unbesorgt, Barbara, mir gefällst du auch ohne Dauerwellen!* 


“Sta tranquilla, Barbara! Tu mi piaci anche senza ondulazione permanentel,, 


166 


Frau Tschiangkaischek im amerikanischen Modesalon 


(0. Sulbransson) 




















ont curdaanstem ar 





„Dieses Dollardekor sieht ja ganz hübsch aus — ich kann aber nicht viel 
damit anfangen. Haben Sie kein Flugzeugmuster mit Bomben drumrum?“ 


La signora Tschiangkaisek nel salone di mode americano: "Questa guarnizione di dollari & davvero 
graziosissima ... ma non so che farne. Non avele un campione con aeroplani e bombe tult! attorno?,, 


167 


DER JÄGER 


VON WERNER STELLY 


„Weißt du“, sagte meine Frau, „wir könnten 
wieder einmal Möhlmanns einladen. Wir waren 
zuletzt bei ihnen. Sie werden sicher schon dar- 
auf warten.” 

„Wir waren aber zum Abendessen bei ihnen”, 
sagte Ich. n 

„Sie müssen natürlich auch zum Essen zu uns 
kommen. Es geht ganz gut, Ich habe ein paar 
Fleischmarken gespart.” 

„Ach so”, meinte ich, „jetzt wird mir klar, warum 
wir seit zwei Wochen so wenig Fleisch hatten. 
Aber gut, ich werde morgen früh im Dienst Möhl- 
mann einladen. Knesebeck könnte dann auch mit- 
kommen. Du weißt, wie sich heute ein Jung- 
geselle freut, wenn er zum Essen eingeladen 
wird.” 

Knesebeck war ein Kollege, der erst vor kurzer 
Zeit an unser Amt von außerhalb versetzt wor- 
den war. Er war Junggeselle und wohnte als 
Altermieter bei einer älteren Wirtin. Sie wissen 
selbst, daß man mit einer mehrköpfigen Familie 
ganz gut einmal etwas an Marken ersparen kanh 
— wir haben drei Kinder —, daß das aber einem 
Junggesellen, also einem Wesen, das nur mit 
einer Karte bedacht Ist, doch schwer fällt. Und 
so jemand ist natürlich dankbar, wenn er hier 
und dort einmal zum Essen kommen kann. 

Ich lud also anderentags Möhlmann mit seiner 
Frau und Knesebeck für einen der nächsten Abende 
ein. Meine Frau hatte Gulasch gemacht, weil man 
es, wie sie sagte, gut etwas In die Länge ziehen 
könne mit Gurkenstückchen, ein paar Pilzen und 
sehr viel Soße. Ich stiftete von meinem Wein 
zwei Flaschen und Möhlmann und Knesebeck be- 
kamen Jeder eine Zigarre. Ich hatte deshalb zwei 
Tage nicht geraucht. 

Knesebeck ließ es sich schmecken, Meine Frau 
hatte das Gulasch wirklich recht schmackhaft an- 
gerichtet. Der Wein und die Zigarren waren auch 
nicht schlecht. Wir hatten eigentlich von dem 
Gulasch noch am nächsten Mittag essen wollen. 


Schiffsjunge träumt 


Wär idı Kapitän, Kapitän aller Meere, 

Idı baute den träumenden Jungen ein Schiff, 
Ein Schiff ohne Steuer und Segel und Scdiwvere 
Und triebe hinaus gegen Wind und Rifl. 


So führ' ich die große Fahrt der Gestirne 
Und pfügte die Woge mit ahnendem Bug, 
Und spürte das Salz auf ummitterter Stirne 
Und wiese den kühnen Möven den Flug. 


Und hinter mir hundert irre Fregatten 
Durdıbrädıen den Bannkreis des leuchtenden Turms, 
Bemannt mit den bleidien gespenstigen Schatten 
Versunkner Matrosen im Wirbel des Sturms.“ 


Wir würden entdecken viel neue Gestade 
Und nicıt mehr glauben an Kompaß und Lot. 
Uns lüden Sirenen zum seligen Bade 

Im Märdhenbetle, korallenrot. 


Im Fluge zu nie gedachten Zonen 

Ins Grenzenlose lotsend den Kiel, 

Säh' idı des Nadıts in den Sternen thronen 
Das urgeraltige Gottgefühll 


Wär’ ich Kapitän, Kapitän der Meere, 
Idı stäcdıe vom Ufer des irdischen Raums 
Hinauf in die weite, die himmlische Leere, 
Ic der Kapitän, Kapitän des Traums! 


Rainer Prevot 


Aber es schmeckte Knesebeck so trefflich, mit 
einem Wort, er haute gehörig hinein, und wenn 
man gehässig sein wollte, konnte man auch sagen, 
er schlang förmlich. 

Ja", sagte Knesebeck, „solch ein Essen, das ist 
doch etwas ganz anderes als das, was man im 
Restaurant bekommt. Ich bin es so leid, dieses 
ewige Gasthausessen, und mit den Marken muß 
man sich dabei auch so sehr einrichten.” 
„Heiraten“, sagten Möhlmann und seine Frau. 
„Heiraten, Herr Knesebeck. Dann haben Sie das 
nicht mehr nötig.” 7 

„Ich will es Ihnen erzählen”, sagte Knesebeck. 
„Sie werden es ja doch sicher bald erfahren. Ich 
brauche demnächst nicht mehr in den Gastwirt- 
schaften zu essen. Ich gehe unter die Jäger.” Er 
lehnte sich zurück und brannte seine Zigarre an. 
„Ja“, fuhr er fort, „Ich gehe unter die Jäger. Ein 
Onkel von mir starb kürzlich. Er war ein leiden- 
schaftlicher Weidmann. Von Ihm habe Ich ein 
Jagdgewehr geerbt, einen prächtigen Drilling. 
Zuerst dachte Ich, ein Jagdgewehr, was soll ich 
mit einem Jagdgewehr? Bis Ich auf den Gedanken 
kam, daß man als Jäger doch allerlei Vorteile 
genießt. Bedenken Sie, man darf eine ganze 
Menge Hasen behalten, Enten braucht man Üüber- 
haupt nicht abzuliefern und vom anderen Wild 
bekommt man immer Leber, Niere und Herz. Das 
ist schon etwas. Meine Wirtin will mir dann das 
Essen bereiten.” 

„Und lieber Herr Knesebeck", fragte meine Frau, 
die sofort die Perspektiven ahnte, „von dem, was 
Sie abliefern müssen, können Sie sich doch sicher 
die besten Stücke zurückbehalten gegen die 
Hälfte der Marken? Für Wild bekommt man ja 
die doppelte Menge.” 

„Sicher“, sagte Knesebeck, „guten Bekannten 
könnte ich wohl hin und wieder etwas abgeben 
und vor allem dafür sorgen, daß sie für die hal- 
ben Marken ein gutes Stück Wild bekommen.” 
Von da ab bewegte sich unser Gespräch in weid- 
gerechten Bahnen. Ach ja, das edie Weidwerk. 
Welch wirklich männlicher Zeitvertreib. Unsere 
Reden würzten wir In fachmännischer Weise mit 
Ausdrücken wie Schweißfährte, Lichter, Löffel, 
Blume und Halall. Diese Jäger, sind sie nicht zu 
beneiden? Sie fröhnen ihrer Leidenschaft und ge- 
winnen dabei noch etwas für den Topf. 

Als Möhlmanns und Knesebeck endlich gegan- 
gen waren, sagte meine Frau: „Weißt du, den 
Knesebeck müssen wir uns warm halten. Du lädst 
ihn am besten recht bald wieder einmal zum 
Essen ein.“ 

‚Am anderen Morgen im Dienst ging Ich zu Knese- 
beck. Als ich die Tür öffnete, kam gerade Möhl- 
mann heraus. Der war mir also zuvorgekommen. 
Ach, es waren mir noch andere zuvorgekommen. 
Ich erfuhr es, als ich Knesebeck für die folgende 
Woche einladen wollte, 

„Ich komme recht gem”, sagte Knesebeck, „nur 
geht es leider in der nächsten Woche nicht, da 
bin ich schon bei den anderen Kollegen ver- 
sprochen. Aber In 14 Tagen werde Ich Ihrer Ein- 
ladung gern Folge leisten.“ 

Wir waren 14 Kollegen und so aß Knesebeck 
dann immer abwechselnd während vierzehn Tagen 
in einer anderen Familie, Meine Frau sparte wäh- 
rend der zwei Wochen, wo es nur ging, damit 
wir Knesebeck auch ein Essen bieten konnten, 
das wahrhaft üppig zu nennen war. Es kam so 
weit, daß ich mich während der ganzen Zelt auf 
den Tag freute, an dem Knesebeck unser Gast 
seln würde. Da gab es dann alle die schönen 
Sachen, die ich nur noch dem Namen nach kannte. 
Dreizehn Tage sparten wir und, wie Ich unter der 
Hand erfuhr, auch die Kollegenfamilien, aber am 
jeweils vierzehntenTage wurden wahre Festessen 
veranstaltet. War es da ein Wunder, daß Knese- 
beck auseinanderging wie ein Hefekuchen? Er 
war schon wohlgenährt gewesen, als er den 
Dienst bei uns antrat, aber wie er vor unseren 
Augen zunahm, das grenzte an das Unwahr- 
scheinliche. 2 

Denn leider dauert es seine Zeit, ehe man den 





168 


Jagdschein bekommt. Knesebeck hatte einen lang- 
wierigen Kursus durchzumachen, der sich erheb- 
lich in.die Länge zog. 

Es war uns allen klar, daß wir durchhalten muß- 
ten. Nach einem Dreivierteljahr sollte es endlich 
so weit sein. Die Prüfung stand in wenigen Tagen 
bevor. Da geschah das Unglaubliche, das einfach 
Entsetzliche. Knes®beck wurde versetzt. Zwei Tage 
vor der Prüfung wurde Knesebeck kurzerhand aus 
unserer Mitte gerissen. Meine Frau weinte hef- 
tig. Wir Männer trugen den Schlag gefaßter, wenn 
auch nicht weniger schwer. 

Einige Zeit später, an meinem Geburtstag, be- 
kam Ich unter anderem auch Briefe von zwei 
guten Freunden. Der eine Brief lautete: „Lieber 
Karll Zu Deinem Geburtstag gratuliere ich Dir 
recht herzlich und wünsche Dir für das neue 
Lebensjahr alles Gute. Ich bitte Dich, Knesebeck 
bestens zu grüßen, der, wie ich erst kürzlich er- 
fuhr, seinerzeit von hier auf eigenes Betreiben 
an Euer Amt versetzt wurde. Er ist ein netter ge- 
selliger Mensch, wir mochten ihn alle gern, Er 
war jeden Tag bei einem anderen Kollegen ein- 
geladen. Er war Jäger, vielmehr er wollte es erst 
werden. Kurz vor der Prüfung wurde er dann 
nach dort versetzt. Grüße Ihn bitte herzlich. Er ist 
wirklich ein reizender Kerl..." 

Der andere Freund schrieb: „Lieber Karl! Zu Del- 
nem Geburtstag gratuliere Ich Dir recht herzlich 
und wünsche Dir für das neue Lebensjahr allos 
Gute. Weißt Du übrigens, daß wir hier einen 
früheren Kollegen von Dir Im Amt haben? Den 
dicken Knesebeck, Er hat sich von dort nach hier 
versetzen lassen. Als ich ihm neulich sagte, daß 
wir befreundet solen, wurde er merkwürdig ein- 
silblg. Hast du dich mit Ihm nicht verstanden? Er 
Ist doch solch ein netter geselliger Mensch. Wir 
mögen Ihn alle gern. Er ist Jeden Tag bei einem 
anderen Kollegen eingeladen. Er ist Jäger, viel- 
mehr er will es erst werden. Demnächst wird er 
die Prüfung machen. Er ist wirklich ein reizender 
Kerl...” 

„Was hast du?" fragte meine Frau. „Du bist Ja 
ganz blaß.” 

Ich gab Ihr die Briefe. Als sie sio gelesen halte, 
schluckte sie ein paarmal heftig. „Er Ist wirklich 
ein reizender Kerl", sagte sie. „Oh, dieser Schuft.” 











MEIN FREUND JOHANNES 


Johannes nennt Haus und Garten vor der Stadt 
sein eigen. 

Seine Nachbarn sind fleißige, praktische Leute, 
In ihren Gärten wächst prächtiges Gemüse, und 
In Ställen und Boxen wimmelt es von Schweinen, 
Hühnern, Gänsen und Kaninchen. 

Bis zum Ackerbau hat Johannes sich auch schon 
durchgerungen. Aber an die Viehzucht wagt er 
sich noch nicht heran. 

Eines Tages war Kleintierzählung. Auch bei Johan- 
nes erschien ein Mann und breitete seine Listen 
aus. 

„Wieviel Schweine haben Sie?” fragte der Mann. 
„Keines”, sagte Johannes. Der Mann machte an 
der zuständigen Stelle in seiner Liste einen Strich. 
„Wieviel Geflügel?“ fragte er dann. 

„Leider keines“, sagte Johannes. Ein wenig miß- 
trauisch war der Mann ja, aber er machte doch 
seinen Strich, 

„Nun, aber wieviel Kaninchen?“ fragte er dann. 
„Fehlanzeige“, sagte Johannes. Verwundert und 
betrübt machte der Mann auch diesen Strich. 
„Aber irgendwelche Kleintiere werden doch auch 
Sie haben! Schafe? Ziegen?” Es klang wie ein 
letztes Angebot. 

Traurig schüttelte Johannes den Kopf. „Gar nichts”, 
sagte er. 

Da wankte der Mann gebrochen zur Gartenpforte. 
In Johannes erwachte das Mitleid. Er lief hinter 
ihm her. 

„Sie, ein paar Fliegen hätte ich. Wenn Ihnen viel- 
leicht damit gedient ist?" sagte er. ). Bieger 












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DER PARSIFAL 


Ein Parvenü ist eın Emporkömmling, ein Paravent 
ist ein Wandschirm, ein Pavian hat einen roten 
Hintern, ein Parmesan.. Ja, was ist ein Parmesan? 
Fürst Talleyrand war der erste, der Parmesankäse 
in die Suppe rieb, und ein Partisan kommt zwar 
nicht in die Suppe, aber zerrieban gehörte er 
trotzdem...: und jetzt erzählen wir, wieso das 
alles zusammengehört und weshalb Parsifal, der 
reine Tor, noch hinzukam 

In Köln wurde kürzlich ein ungarischer Film auf- 
geführt, der den Titel trug „Vision am See“, Ein 
Junges Mädchen, das gefragt wurde, ob sie sich 
unter „Vision’‘ auch etwas Ordentliches vorstellen 
könne, antwortete: 

„O Ja. Die Vision... das ist doch das, was die Sol- 
daten haben...” 

Wo? Wo?I So verblüffend diese Auskunft war, es 
lag nahe, an Division zu denken... aber haben 


PARFÜMERIE UND 
FEINSEIFENFABRIK 
GEORG DRALLE 
HAMBURG 


Siegellacke aller Ärt 


tempelkissenu. 











— 





(Tinte u. Ausziehtusche" 


Ep. BUSZIENTUSENE 


Dieguteweiße 
Klebepaste für Papier. 
| Geschmei 


Gelik En nsa | 
| io 
8 can ‚\nlbis zum letzten Rest! 
EEE G leb-Allfu.Büroleime‘) 
Ss U 


[GUTENBERG Werk für Bürobedarfm&H Mainz 


die Soldaten die Division, öder hat die Division 
die Soldaten? 

„Ach was”, meinte das Mädchen und wies diesen 
Ulk überlegen von deı Hand: „Vorn am Gewehr 
doch...!” Bei dieser Gelegenheit erlebte der 
Witz mit dem Parvenü an einem Kölner Stamm- 
tisch seine Grundsteinlegung. 

Tunnes, beginnt er, kommt von einer Gesellschaft 
und beklagt sich bei Schäl, man habe ihn dort 
einen Parvenü genannt. Das sei eine Gemeinheit, 
denn ein Parvenü sei doch das scheußliche Affen- 
vieh mit einem knallroten Hintern... 

„Nö“, beruhigt ihn Schäl, „das verwechselst du. 
Der Aap heißt doch Paravent.” 

Als diese Geschichte erzählt wurde, lachte jeder 
darüber mit kennerhaftem Einverständnis, bis sich 
nach drei Minuten plötzlich einer aufs Knie schlug 
und ausrief: „Eine tolle Biesterei, einen Wand- 
schirm mit einem Parmesan zu verwechseln...” 
Starr sahen ihn die anderen an. Die Fröhlichkeit 





‚aned 


[EITEIS 


dedajyoynJapue 








9191 


zienung 1. Klasse 16. U. 1 
2 Mr 


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pri 

1, Doppelt. 3 faces Los 
T2- RM je Kl, 
sorgfältig und verkhwiegen 
. Lotterie-Einnahme 
Itona 
Große Bergstr. 133/a 


erstarb Bis einer seinem Herzen auf einmal Luft 
machte und tuschelte: „Nun möchte Ich bloß 
wissen... warum macht der denn einen politi- 
schen Witz daraus?” 

„Ja, was hat denn ein harmloser Pavian mit den 
verfluchten Heckenschützen zu tun?” 

Später als sich einer nach dem anderen in der 
Straßenbahn verabschiedete, sagte der alte B., 
der bisher starr und stumm geblieben war, schmun- 
zeind zu mir: „So schön diese unfreiwilligen Witze 
vorhin auch waren — es beweist doch allerhand 
Weltfremdhelt, um nichts Schärferes zu sagen, 
wenn einer den Parsifal als Parmesan bezeichnet 
und die anderen damit auf den Gedanken bringt, 
es wäre von Partisanen die Rede.. Ein Glück, 
daß der alte Wolfram von Eschenbach, der nicht 
einmal schreiben konnte, auch nichts mehr hören 
kann...” 

Und ließ uns mit lächelndem Kopfschütteln von 
der nächsten Statlon ab allein. S. Kasa 


wurde am lHofe in Wien die Firma 


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Bahanigen Si hause, da Euhuie nur ben 

uchränkt halerbar mt, nach mehr ala rohen 

unseren Ranchlog Sarglalng und hauch« 

dann eutvogen Nicht die Mange. de Guss 
unchaider 


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STEINHÄGER 
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München 
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Dachauer Straße 2 


















































"immer ein Zeichen für 
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LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückei) 





Dies geschah in jenen Zeiten, wo die Zeitun- 
gen noch ellenlange psychologische Essays über 
Raubmörder und Gattentöter schrieben und die 
Bilder der Verbrecher in Riesenaufmachung oft 
auf der Titelseite erschienen. Darüber schwoll 
natürlich dem Verbrecher der Kamm, 

Zwei Anwälte verteidigen den Doppelmörder 


von Finsterwalde. — „Was sagen Sie zu unserem 
Klienten, Herr Kollege?” 
Der Kollege sagte: 

„So natürlich und einfach wie er Ist — so reizend 
leutselig —" I.H.R. 
* 

Eines Tages fuhr ich nach Budapest. Schon am 
ersten Abend, in der Hotelhalle, hatte mich Tibor 
entdeckt. Er war schon früher in Wien eine recht 
lästige Bekanntschaft gewesen, der jeden Tag 
ein neues Anliegen hatte und tausend Gefällig- 
keiten verlangte. Ich war damals froh gewesen 
als er der Stadt den Rücken kehrte, auch wenn 
ich jetzt keinen mehr hatte, mit dem ich meine 
bescheidenen ungarischen Sprachkenntnisse pfle- 
gen konnte. Auch heute überfiel er mich sogleich 

mit tausend Wünschen. 

„Kannst du mir eine Empfehlung nach Berlin geben? 
Weißt du In Berlin für vier Wochen ein tesches 
Pupperl für mich? Du bist doch so lieb und leihst 


mir deinen Koffer? Darf ich in Berlin in deiner 
Wohnung absteigen?“ — Ich schwieg eisern. 
„Warum antwortest du nicht, Janos?“ fragte er 
eingeschnappt. 

Ich kann nicht leiden, wenn man mich Janos nennt, 
Ich heiße Johannes. Ich lege Wert darauf. Er 
weiß es 

„Alsdann, was ist, Janos?” wiederholte er trotzdem. 
„Zu dumm! Zu dumm!” sagte ich 

„Hast keine fesche Hetäre für mich, Janos?' 

„Zu dumm! Zu dumm!” wiederholte ich. 

„Magst net oder willst net, Janos?” 

„Zu dumm! Zu dumm!’ — „Was hast denn?” 

„Ich denke nach und denke nach und komme 
nicht darauf!” 

„Auf die Adresse von einer sauberen Hetäre?” 
„Nein. Nein.” 

„Was hast dann vergessen, Janos?” 

Ich seufzte: 


„Wie das Götzzitat auf ungarisch heißt!“ ).H.R, 





Der Hilfeschrei um Mitternacht 





Kurz vor Mitternacht! Stockdunkle 
Nacht! Meisterdetektiv Styx ging 
durch die Stadt seinem Heim zu, 
Plötzlich ...Eine Gänsehaut über- 
lief ihn. Dort im Erdgeschoß ein 
schlecht verdunkeltes Fenster. Da- 
hinter der Schatten eines Mannes, 
der telephonierte, Styx hörte ein 
schreckliches Wort. Hohl, drohend 
klang es, wie aus einem Toten- 
gewölbe. Gleich darauf aus dem 
erstenStock ein gellenderMönner- 
schreil H-i-Hf-el Dann ... Was be- 
deutet das Dröhnen des Laut- 
sprechers, das offenbar aus dem 
Raum drang, wo sich der Be- 
drängte befand? 

Die Haustür war offen. Schon 
stand Styx im erstenStock, Welche 
von zwei Türen? Dort laute Musik, 
dazwischen Ächzen! Styx klopfte. 








Schlurfen! 
öffnete. 
„Mein Name ist St 
Brauchen Sie Hilfe 
Die Frau brach in Tränen aus. 
„Ach ... Mein Mann ... Diese 
furchtbaren Telephonanrufel Alle 
zehn Minuten dasselbe unheim- 
liche Wort! Er ist zusammen- 
gebrochen!” 


Eine verweinte Frau 


Detektiv. 





Styx sah ins Zimmer. Der Laut- 
sprecher raste. In einem Lehn- 
stuhl kauerte der vor Angst 


zitternde Hausherr, 

Rer ... rrrr! Wieder ein Anrufl 
Styx nahm den Hörer ab, lauschte. 
Dasselbe erschütternde Wort! Der 
Detektiv sprach zurück: „Im Prin- 
zip haben Sie recht, Sie Herr aus 
dem Erdgeschoß. Aber lassen 
Sie das". 


„Erlauben Sie mall“ kam es von 
unten, „von früh bis spät Rundfunk 
da oben ... Windstärke zwölfl“ 
„Ich werde für Ruhe sorgen”, ver- 
sprach Styx. „Endel“ 


Er legte den Hörer auf, schaltete 
die Musik ab und sagte zu 
dem erlöst auflauschenden Haus- 
herrn: „Der alte typische Fall! Das 
Rundfunkgerät ist keine Kessel- 
schmiede mit Tag- und Nacht- 
schicht. Nur, was interessiert, hört 
man. Das schreckliche Telephon- 
wort „Kohlenklau“” hat Sie wohl 
endlich aufgerüttelt. Auch mit ver- 
nünftigem Rundfunkgebrauch jagt 
man Kohlenklau, diesen Kohle-, 
Gas und Stromdieb, aus dem 
Hause. Also Schluß mit der ra- 
senden Dauerwellel Ich empfehle 
mich!" 








Wimpernbalsam@leskoti 


(Reichspatentamtl. We. Nr. 545338) 












das bekannte Wim: 
pernwuchmittel und 
übrigen k 


) kann ich x. 


schrönkt vom Log: 
bestand liefern. 










Ueberlegen ob das Bild 
lohnt — jedes Für und 
Wider sorgsam wägen 
und im rechten Moment 
handeln (knipsen) — — 
wie beim Schachspiel. 
So erhalten wir wirklich 
schöne Fotos und sparen 
den guten 


Nur für Männer 


Die Sammlung von Er 
fahrungen und nützlichen 


scheinen hier nach und nach di 







Rasierkunde” der Rasierklin, 
GOLD-STERN-Werk 


GOLD-STE 





Pfeilrin 
Haut-Cr me 
























für das Kind, dann fi 
beitende Hände, 


ze 
verderben, 
‚n oder verdunsten, 


Kniffen für Selbstraslerer' kann 2. Z. 
nicht neu gedruckt werden, Deshalb er- 


sten Ratschläge aus der „Gold-Stern- 


Wann darf ich 


me 
verwenden? 


der gesorgt - heute zuerst 


Pröpar. 
Z. nur 





KRONEN- 


austroc. 
KRAWATTI 





» 


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Gang ins Uhrenfechgeschält Denn oft 
st die Urnache nur eine Kleinigkeit 
‚Aber tropdem gehört manchmal das 
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ETWAS ABWECHSLUNG 


Ramon und ich, wir fuhren zur Hauptstadt, weil 
wir glaubten, ein bißchen Abwechslung könne 
uns nicht schaden. Wir hatten Abwechslung, viel 
Abwechslung hatten wir In der Hauptstadt, wie 
Sie gleich sehen werden. 

An einem Abend saßen wir In einem Variet6. Es 
war ein feines Haus. Und wir waren fein an- 
gezogen. Nur daß mir mein weißer Kragen wie 
ein nasses Handtuch am Halse lag, das war nicht 
fein. Auch Ramons Kragen war aufgeweicht. Das 
kam von der Hitze. Die Hitze macht aus jedem 
Kragen einen nassen Lappen. Sie können es 
glauben. 

Wir hätten gern unsere Kragen abgebunden. 
Aber das ging nicht. Denn wir befanden uns mit- 
ten in einem eleganten Publikum. Die Herren, die 
da mit uns in Plüschsesseln saßen, hatten Kragen 
am Hals, und auch diese Kragen verwandelten 
sich schnell oder langsam in unansehnliche Lap- 
pen, in nasse Lappen. 

Die Damen dagegen waren viel besser dran. 
Was sie auf ihrem Körper hatten, das trug eine 
Katze auf dem Schwanz weg, ohne sich dabei 
anzustrengen. Wir hatten deshalb viel zu sehen. 
Aber davon will Ich nicht welter sprechen, Sie 
kennen das sicher auch, 

Wir saßen ziemlich dicht an der Bühne. Wir hat- 
ten einen Tisch für uns, Wir tranken. Natürlich 
tranken wir. Aber unsere Kragen wurden davon 
nicht trockener. 

Auf der Bühne geschah allerhand. Es gab da 
nur erstklassige Nummern. Die leute taten Ihr 
Bestes, Und wir, der Ramon und ich, wir klatsch- 
ten mächtig. 

Es trat dann eine Sängerin auf. Sie war ein hüb- 
sches Mädchen. Doch, das konnten wir sehen. 
Nun sind Sie, lieber Herr, vielleicht der Meinung, 
bei einer Sängerin komme es vor allem darauf 
an, daß ihr Gesang das Eintrittsgeld wert ist. Weit 
gefehlt! Wenn eine Sängerin auf die Bühne tritt, 
dann muß sie vor allem hübsch gewachsen sein, 
und man muß das sehen können. 

Also: wir sahen, daß diese Sängerin hübsch war. 
Sie hatte außer einigen dicken Armbändern 
eigentlich recht wenig an, noch weniger als die 
Damen, die da saßen. Und das war wirklich nicht 
viel, Sie können es glauben, 

Die Sängerin sang. Ob sie gut sang, welß ich 
nicht, Ich bin da nicht ganz zuständig. Aber die 
Leute waren begeistert. Wir auch. Und da gerade 
eines der Blumenmädchen an unserem Tisch vor- 
beikam, nahm Ramon ihr den Laden weg, den 
sie trug, und warf ihn auf die Bühne. 

Ich fand das in der Ordnung. Das Blumenmäd- 
chen ebenfalls. Sie wußte ja, daß sie die ganze 
bunte Pracht bezahlt bekam. Das haben Sie schon 
mal gelesen? Sicher. So etwas kommt vor in der 
Hauptstadt und auch anderswo. Und das war gar 
nicht die Hauptsache. 

Die Hauptsache kam etwas später, Die Sängerin 
knickste, lächelte uns dankbar zu, trällerte noch 
etwas vor sich hin, und dann fiel der Vorhang. 
Kurz danach begann die nächste Nummer, irgend 
so eine Tanzgeschichte. 

Nein, wir ahnten nichts Böses. Wir wischten uns 
den Schweiß aus dem Kragen und aus dem Ge- 
sicht. Da kam die Sängerin an unseren Tisch. Ja- 
wohl, zu uns kam sie. Wir sprangen auf, verbeug- 
ten uns, ein Kellner schob einen Sessel herbei, 
und dann saß die Sängerin, 

Sie hatte einen dunkelroten Mantel auf den Schul- 
tern. Darunter war sie auch jetzt so spärlich be- 
kleidet wie vorhin auf der Bühne. Das konnten 
wir sehen. Nein, sie war gar nicht zimperlich. 
Sie sprach mit uns. Ob uns ihr Gesang gefallen 
habe, wollte sie wissen. Und Ramon beeilte sich, 
ihr zu versichern, er habe nie etwas Besseres 
gehört. Auch Ich sagte das. Na ja, man spricht 


VON KONRAD SEIFFERT 


manchmal etwas so leicht aus. Aber mit mir gab 
sie sich nicht weiter ab. Ich erkannte gleich, daß 
sie Ramons wegen an unseren Tisch gekommen 
war. Das ärgerte mich zwar ein wenig, aber Ich 
nahm die Sache nicht tragisch, wahrhaftig nicht. 
Und ich war neugierig darauf, was sie von uns 
wollte. 

Sie begann uns auszufragen: woher wir kämen, 
was wir in der nächsten Zeit zu tun beabsichtig- 
ten. Wir gaben Ihr Antwort, Ich merkte dabei, 
daß Ramon sehr entzückt war von dieser hüb- 
schen Sängerin. Und auch sie zeigte, daß ihr 
Ramon gefiel. Doch das war weiter kein Wun- 
der: es hatte schon viele Damen gegeben, die 
sich in den Ramon vergafft hatten. 

Nachdem wir uns etwa eine halbe Stunde recht 


Vorfrühling 


Windsmütter die Kronen kämmen, 
da fällt, was morsch und krank; 
nun steigt der Saft in den Stämmen 
und macht sie warm und blank. 


Es schnaubt der Föhn hernieder 
und frißt den letzten Schnee, 

man riecht den Fuchs schon wieder 
und sieht jungen Hasenklee. 


Mariandl, die schlanke Meise, 

die jüngst noch zur Schule gemußt, 

singt jetzt untertags immer leise 

und bekommt eine runde Brust. 
WILLIBALD OMANSEN 


nett unterhalten hatten, fragte die Sängerin den 
Ramon, ob er sie heiraten wolle. Und ehe ich 
etwas dazu sagen konnte, rief er reichlich laut: 
„Heiraten? Sofort! Auf der Stellel” 

Sie werden zugeben müssen, lieber Herr, daß 
auch Ihnen die ganze Sache zu schnell gegangen 
wäre, Mir ging sie zu schnell. Dem Ramon nicht. 
Aber die Sängerin lachte, legte ihre schmale 
Hand auf Ramons Arm und meinte, es solle nur 
so eine Art Scheinehe sein, und auch nur für 
kurze Zeit, und ob er da mitmachen wolle. 

Ja, Ramon wollte auch da mitmachen. Wir er- 
fuhren: die Sängerin war verpflichtet, In etwa 
vierzehn Tagen in Rio de Janeiro aufzutreten, 
das hier, heute, das war ihr letzter Abend in 
unserer Hauptstadt. Morgen wollte sie abfahren, 
zu Schiff. Alles war schon bereit. Nur eine 
Schwierigkeit bestand: sie durfte in Rio nur dann 
an Land gehen, wenn sie verheiratet war, Doch, 
solche eigenartigen Bestimmungen hat es zeit- 
wellig gegeben. Vielleicht existieren sie auch 
heute wieder, ich weiß es nicht. Die Dame brauchte 
also einen Mann. Und der sollte Ramon sein. 
Ach, ich will Sie nicht langweilen: wir machten 
die Sache. Ich sage: wir. Denn daß ich zurück- 
blieb, während Ramon mit der Dame davonfuhr, 
davon war nicht einen Augenblick lang die Rede. 
Einen Paß für das neue Ehepaar beschafften wir 
am nächsten Morgen. Es war da schon gut vor- 
gearbeitet worden. Am Mittag war Ramon der 
Gatte der Dame. Sie hieß übrigens Teresa Maria. 
Am Abend verließ das Schiff den Hafen. Es war 


172 


eine schöne Fahrt. Nein, es gab keinen Sturm, 
kein Unwetter, nichts, Und wir kamen plan- 
mäßig an. 

Nun aber zeigte es sich, daß sich meine ge- 
heimen Ahnungen und Befürchtungen bewahr- 
heiteten. Ja, ich hatte vom ersten Augenblick an 
solche Ahnungen und Befürchtungen. Ich hatte 
dem Ramon auch auf der Fahrt erzählt, daß mir 
bei der ganzen Sache nicht recht wohl war. Aber 
er hatte gelacht. 

Also: es geschah, daß die Teresa Marla nach 
ihrer Ankunft in Rio nicht daran dachte, den 
Ramon aus seiner Verpflichtung zu entlassen, Es 
gefiel ihr sehr gut, ihn als Gatten zu haben. Und 
Ramon — ach, ich muß sagen, daß wir Männer 
zuweilen eben doch nicht ganz beisammen sind 
— Ramon blähte und sonnte sich an der Seite 
des hübschen Mädchens, mir wurde ganz übel, 
Nun werden Sie sagen, lieber Herr, so etwas sel 
Neid. Sagen Sie es nicht. Es war kein Neid. Es 
war nur der Gedanke an das, was später kom- 
men mußte. 

Denn ich war mir klar darüber, daß dies ein Ende 
mit Schrecken nehmen konnte. Wir waren so welt 
entfernt von allen unsern Grundlagen. Wir waren 
in einem fremden Lande. Wir wußten nicht, wie wir 
zurückkommen konnten. Wir hatten in Rio keine 
Freunde. Und das Leben war teuer, sehr teuer. 
Teresa Marla sang, gewiß. Sie verdiente Geld, 
sie verdiente für uns mit. Aber so etwas Ist doch 
nlederdrückend, meinen Sie nicht auch? Das 
sagte ich dem Ramon. Er sah es ein. Aber die 
Liebe, ach, die Liebe! Ja, die beiden hatten sich 
gern. Doch was sollte daraus werden? 

Ich zählte das Geld, das ich noch besaß. Es 
reichte für Ramons und meine Rückfahrt. Ich hielt 
mich oft am Hafen auf und sah mir die Schiffe 
an, die da lagen, und die nach Süden fuhren. 
Und ich wurde dabei sehr wütend auf Ramon, den 
ich nicht überreden konnte, mit mir zu einem die- 
ser Schiffe zu gehen und abzudampfen. Weil so 
eine Teresa Maria dazwischensteckte, 

Der Zufall ist eine feine Einrichtung, wahrhaftig. 
Der Zufall half mir. An einem Vormittag lag die 
„Zarzamora” Im Hafen (Zarzamora heißt Brom- 
beere, und dies ist ein nicht alltäglicher Name 
für ein Schiff). 

Als Ich die „Zarzamora” liegen sah, schrie ich 
auf vor Freude. Und Ich wußte sofort, daß nun 
alles gut werden würde: der Kapitän dieses 
Schiffes war Werner Altmeyer aus Küstrin an der 
Oder, den kannten wir sehr gut, und er kannte 
uns, den Ramon und mich. 

Ich sprach mit Werner. Er brauchte Leute, sechs 
Mann waren ihm krank geworden, er mußte sie 
in Rio lassen. Ich bot mich ihm an als Kohlen- 
trimmer, Heizer, Koch, Steward, als Mädchen für 
alles. Und ich bot ihm auch den Ramon an, das 
war ja das Wichtigste. Ja, ich erzählte Ihm, wie 
es um Ramon stand, 

Werner grinste, kniff eln Auge zusammen und 
fragte nur: „Hast du Ramons Papiere?" Ich hatte 
Ramons Paß, den echten, er hatte Ihn mir ge- 
geben. Den andern, in dem er als Ehemann er- 
schien, den bewahrte Teresa Maria auf. Ich gab 
dem Werner Ramons Paß und auch meinen. Dar- 
auf meinte er: „Ich will das klar machen. Kommt 
beide morgen abend an Bord. Übermorgen früh 
fahren wir abI” 

Bis zum nächsten Nachmittag verheimlichte ich 
Ramon, daß ich die „Zarzamora” und den Werner 
Altmeyer gesehen hatte, es fiel mir schwer. Aber 
dann erzählte ich ihm die Neuigkeit. Vorher schon 
hatte ich unsere paar Sachen an Bord gebracht. 
Ramon freute sich mächtig auf Werner und die 
„Zarzamora”. Ich brauchte ihm nicht viel zuzu- 
reden, mit mir zum Hafen und zum Schiff zu 
gehen, An diesem Abend sang Teresa Maria, 


Kampf dem Verderb 


(K. Helligenstaadt) 





„Ich habe gestern alle Briefe verbrannt, die ich von Männern bekam!" 


„Ach, wie schade — ich habe mir mit meinen ein Schnitzel gebraten!“ 


Der Kavalier - Il cavaliere 












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„Ach, Lisa, so ' 


“Ah, Lisa 


wie an jedem Abend. Nein, immer hörten wir uns 
diesen Gesang nicht an. So etwas geht Ja dann 
doch auf die Nerven. Und das Mädel fand es 
auch ganz in der Ordnung, daß wir sie nur am 
Schluß ihres Auftretens In Empfang nahmen. An 
diesem Abend wartete sie umsonst auf uns: wir 
kamen nicht. 

Wir konnten nicht kommen, Es gab bei Werner 
so viele gute Flüssigkeiten, daß wir es vergaßen, 
zu Teresa Maria zu gehen. Ramon sang, er ko- 
pierte das Mädchen, das machte er sehr gut, und 


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(Magon) 
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n galanter Handkuß geht einem durch bis auf die Straps!'' 


dann konnte er nicht mehr singen. Gehen konnte 
er auch nicht. Mit mir stand es ähnlich, 

Äm nächsten Morgen verließ die „Zarzamora” 
den Hafen. Wir, Ramon und ich, wir merkten 
nichts davon. Und als wir etwas merkten, da war 
es zu spät für Ramon. Nein, er tobte und brüllte 
nicht, als er sah, was Ich angerichtet hatte. Er 
war nur etwas nachdenklich. 

Ich stülpte ihm eine hohe weiße Mütze auf. 
Denn Werner hatte ihn zum Koch gemacht. 
Kochen konnte Ramon, besser als Sie vielleicht, 


«.. un baciamano sl galante penetra giü fino alle giarrettierel,, 


lieber Heır. Und so kochte er eben, bis wir in 
der Hauptstadt ankamen. 

Unterwegs sagte er zu mir: „Es war sehr schön, 
das Verheiratetsein mit dieser — dieser — wie 
hieß sie wohl schon? Aber wir brauchen Ab- 
wechslungl” Und dann kochte er. 

Ich trug das Essen zu Werner, Denn ich war so 
eine Art Steward. Nein, es war für diesen Dienst 
sonst kein Mann auf dem Schiff. Und es Ist keine 
Schande, Steward zu sein. Ich hatte schon ganz 
andere Sachen gemacht, wahrhaftig! 





Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlingor Straße 80 (Femrut 1294). Briefanschrift: München 2 BZ, Brleffach, 


Verantworti. Schriftielter: Walter Foltzick, Münche: 
alle Buchhandlungen. Zeitungsgeschälte und Postarıs 
gültig ab 15 Okt 1941 — Unverlangte Einsendungen 






‚en. Bezugsptelse: Einzelnummar 30 


anige; Pl; Abonnement Im Monal R, nz 
werden nur zurückgesandi, wenn Porto beilleg! — Nachdruck verboten — Posischeckkonto München 5920 Eılüllungsort München 


ıniwortl Anzeigenleiter: Gustav Scheerer. München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal Bestellungen nehmen 
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1,20. — Anzeigenpreise nach Preisilte Nr. 7 


Der kleine Außenseiter mit dem großen Brett 


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(Erich Schilling) 


„Der Bolschewismus ischt für mich nicht g’fährli' — ich hab Gott sei Dank ’ä guete Schutz dagäge!" 


II piccolo internazionalista colla grande asse: "ll bolscevismo non sarebbe pericoloso per me... Io, grazie al clelo, ho un buon riparo contro essol,, 


Isländische Gastfreundschaft 


Norwegens berühmter Liederkomponist Christian 
Sinding reiste um die Jahrhundertwende einmal 
nach Reykjavik, der Haupistadt von Island, Da- 
mals war eine Reise nach Island noch eine große 
Begebenheit, und man kann sich denken, mit 
welchem Jubel der Komponist auf der Insel des 
Nordens empfangen wurde, Er reiste auf Ein- 
ladung der Regierung Im ganzen Lande umher 
bis hinauf nach Akureyri. Diese Reisen waren 
etwas beschwerlich, da sie meist auf dem Rük- 
ken der kleinen zähen Island-Ponys zurückgelegt 
werden mußten, und deshalb mußte unterwegs 


des öfteren Station gemacht werden. Aber die 
Isländische Gastfreundschaft zeigte sich hier von 
der schönsten Seite. Auf den Gehöften im Innern 
der Insel wurde aufgetischt, was man nur hatte 
und meist bis tief in die Nacht hinein gefelert. 

Sinding übernachtete auf dieser Reise auf einem 
alten Hof in der Nähe von Akureyri, Das Zimmer, 
das ihm sein Gastgeber anwies, war groß und 
geräumig, aber es lag dicht unter dem Dach und 
man mußte, um dorthin zu gelangen, über einen 
dunklen Boden gehen. Es war für den Kompo- 
nisten etwas schwierig, sein Zimmer zu finden, 
deshalb sagte der freundliche Wirt: „Ich bleibe 
hier unten an der Treppe stehen, bis ich höre, 


175 


daß Sie auch richtig in Ihr Zimmer gekommen 
sind!“ Sinding kletterte die stelle Treppe zum 
Boden empor, Licht durfte wegen der Feuers- 
gefahr nicht angemacht werden und Taschenlam- 
pen hatte man zu damaliger Zelt noch nicht. Vor- 
sichtig tastete sich Sinding vorwärts, aber plötz- 
lich stieß er mit einem hörbären Bums mit der 
Stimm gegen einen vorspringenden Balken. In die- 
sem Augenblick rief der Gastgeber freundlich: 
„Richtig, Herr Sinding! Nun scharf nach links dre- 
hen, da Ist die Tür" 

Er hatte nur darauf gewartet, daß sein Gast ge- 
gen den Balken rannte, so wußte er Bescheid, 
daß er auf dem richtigen Weg war... 


rd Beayerbrook ‚ um 


„England wäre zufrieden, wenn in Europa die Sowjets herrschten . 


Lord Beaverbrook: “L'Inghilterra sarebbe contenta se in Europa dominassero I Soviell...,, 


176 





München, 24. März 1943 - 
48. Jahrgang/Nummer12 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT MÜNCHEN 


Der Mörder 


(Erich Schilling) 


„Ich versteh’ nicht, was man gegen mich hat — ich will doch nur den Frieden nach Europa bringen! 


L’assassino: “Non capisco che cosa mal si abbia contro di me. lo non voglio altro che portare la pace in Europal!,, 





Schlammzeit - Tempo di fanghiglia 


Dos. Oberbarger) 





DAS LIEBLINGSSTÜCK 


VON WALTER FOITZICK 


Man kommt jetzt bisweilen in die Lage, sich zu , 


überlegen, was man wohl retten sollte, falls es 
einmal brennt. Bei den durchaus lebensnotwen- 
digen Dingen ist die Frage leichter zu entschei- 
den, schwierig wird es mit den Lieblingsstücken. 
Kinder sind da schneller bei der Hand und wäh- 
len sicherer und entschlossener. Ich sah einen 
Buben, der hatte ein Stückchen Knetgummi aus- 
gewählt und man merkte es ihm später an, daß 
er durchaus überzeugt war, das Rechte getan zu 
haben. Ein anderer trug eine elektrische Loko- 
motive. Ich war auf Seiten dessen mit dem Knet- 
gummi, denn Knetgummi ist etwas, was für sich 
allein vollgültig besteht, während eine elektrische 
Lokomotive ohne Schienen nur noch optischen 
Wert besitzt, 

Nun stehe ich oft in meinem Zimmer und suche 
nach dem, was in meinem Fall das Stückchen 
Knetgummi ersetzen könnte. Natürlich müßte es 
etwas sein, was einmalig, was nicht mehr wieder 
zu beschaffen Ist. Ich sehe die Reihe meiner 
Bücher entlang. Es steht viel dort, was Ich liebe 
und manches, was Seltenheitswert besitzt, aber 
ich kann mich nicht entschließen, diesen oder 
jenen Band aus derReihe herauszugrelfen. Oh, os 
sind noch mehr Gegenstände von Wert da, an 
denen Ich’ hänge, was man so hängen nennt, 
aber gewiß, es ließe sich auch ohne sie weiter- 
toben: die Teppiche, die Aquarelle, das alte 
Steinzeug, die große Messingkanne, der japa- 
nische Teekessel, die alte Ansicht von Altötting, 
der Stich mit dem Kolosseum, der fotografische 
Vorgrößerungsapparat und mein Mikroskop, in 
dem ich bisweilen sehe, wie sich die Mikroben 
gegenseitig auffressen. Schade wärs um das 
alles schon, aber ich kann mich nicht ent- 





schließen, diesem oder Jenem Stück die be- 
sondere Ehre zuzuerkennen, als mein Liebstes zu 
gelten. 

Nun, ich will gestehen, was ich getan habe. Ich 
habe die kleine Scherbe einer Muschel zu mir 
gesteckt, die ich einst am Strande einer Mittel- 
meerinsel fand, Sie Ist ganz abgeschliffen von 
den Wellen und hat einen rosaroten Lüster. Sie 
erinnert mich an Wärme, Frieden und offene 
Welt. Ach, Ich bin mir dabei gar nicht als welser 
und überlegener Mensch vorgekommen, ich tat 
es eigentlich aus Verlegenheit, und weil der 
Junge mit dem Knetgummi mir imponiert hat, 


O quae mutatio rerum! 


Beim Kaiferftuhl, am Oberrhein, 

da wächft ein Ichätensierter Wein 
beziehungsmeife wuchs er. 

Denn bald wird er verichwunden fein; 
tut nicht mebr einen Muchfer. 


Doch lamentiert bloß nicht: o weht 
Man pflanzt ftatt feiner jet Kalfee. 
Verfteht mich richtig: echten 

- nicht etwa aus Zichorie 

und ähnlichen Gebrechten. 


Kaffee? ruft Ihr, Kaffee? Nanu! 
Womöglich gar mit Rahm dazu? 
Das käm' ja wie gemunken, 
daß wir die Semmeln in der Fruh 
in Kaiferftühler tunken! 

Ratatöokr 


178 


TRAUER IM FRACK 


VON ERNST SANDER 


Die Serenissima eines deutschen Kleinstaats war 
— um das Jahr 1910 herum — gestorben, und das 
Professorenkollegium der Landesuniversität war zu 
den Bestattungsfelerlichkeiten befohlen worden. 
„Anzug: Frack” stand auf den Karten. Der erst kürz- 
lich aus Süddeutschland in die Residenz berufene 
Professor P. geriet darob Ingelinde Verwirrung. 
„Zum Frack gehört eine weiße Binde“, sagte er; 
„aber die Farbe der Trauer Ist schwarz. ."— „Einan- 
ständiger Mensch, sofern er nicht dom Gaststätten- 
gewerbe angehört, trägt zum Frack eine schwarze 
Binde höchstens Im eigenen Sarg“, antwortete 
seine lebenskluge Frau. Nach einigem Hin und 
Her entschled sie folgendermaßen: „Du bindest 
eine weiße um und steckst die schwarze in die 
Tasche. Wenn du dann siehst, wie die übrigen 
Herren es gehalten haben, wirst du Immer noch 
Gelegenheit zum Wechseln finden.” Und es ge- 
schah also. Der erste, dem Professor P,, feierlich 
angetan, begegnete, war der alte Museumsdirek- 
tor Geheimrat L, der, als seit Jahrzehnten in der 
Residenz ansässig, es wissen mußte. Und siehe 
da: der Geheimrat trug eine schwarze Binde! Die 
beiden Gelehrten begrüßten einander, jeder mit 
einem Schielblick auf die ominöse Stelle unter- 
halb von des Gegenübers Kinn, und dann traten 
sie, der langen Dauer der Zeremonie von vorn- 
herein sicher, in eine jener Türen ein, deren 
Durchschreiten, wie eine Inschrift unmißverständ- 
lich anwies, einzig den Herren der Schöpfung vor- 
behalten ist. Nach kurzer Weile, nach einem Zwil- 
lingswasserrauschen, klappte hinter jedem ein 
Sondertürchen ins Schloß, und beide maßen ein- 
ander mit erstaunten und gleich darauf wütenden 
Augen. Denn Jetzt trug Professor P. eine schwarze 
Binde — Geheimrat L. dagegen eine weiße! 








Der stille Georg 






































möchte ich auch ein bißchen reden!“ 


‚Du Georg, du hast heute Nacht im Schlaf gesprochen!" 


„Ach, Liebling, laß mich doch, irgendwo 


Methode Roosevelt 


(E. Thöny) 


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BEFRTETTT TE ISTLE LINSE 
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„Lassen Sie mir, bitte, wenigstens das Nötigste!““ — „Tut mir leid, Sir, 
haben Sie denn noch nichts von einem Pacht- und Leihgesetz gehört?“ 


Metodi di Roosevelt: ‘Vi prego, lasciatemi almeno cid che mi occorre di piü!,, 
"Me ne dispiace, Sir ..,. Ma non avete inteso ancor nulla di una Legge di Appalto e di Prestito?,, 


180 


DER SMARAGD 


VON BRUNO 


Herr Mey war das, was man einen verbummelten 
Studenten zu nennen pflegt. Im Jahre Neunzehn- 
hundertvierzehn hatte er Rechtswissenschaft zu 
studieren begonnen und die Langeweile des rö- 
mischen Eherechtes hätte ihn fast getötet. Der 
Krieg enthob ihn der weiteren Sorge in dieser 
Richtung. Er setzte das Studium nach Kriegsende 
nicht fort und lebte von Gelegenheitsverdiensten, 
Nachhilfestunden, Spielgewinnen im Kaffeehaus 
oder von Künstlerhonoraren, die er als Statist 
beim Film oder als Volksgemurmel beim Theater 
zuweilen bezog. 

Er war ein Phantast und hoffte unablässig auf 
einen glücklichen Zufall, auf einen amerikanischen 
Milliardär, dem er das Leben rettete, einen Groß- 
industriellen, der ihn für eine welterschütternde 
Reklameidee sofort zum Generaldirektor machte, 
und schließlich — das war noch das Realste — 
auf eine reiche Frau, die auf der Straße. ihren Ca- 
diliac plötzlich halten läßt, herausstürzt, Herrn 
Mey um den Hals fällt und zwischen Lachen und 
Weinen flüstert: „Du, nur du... komm schnell zum 
Standesamt!" 

Vorstellungen dieser Art beruhten auf dem Be- 
wußtsein eines gefälligen Äußeren und dem Be- 
sitz einiger eleganter Anzüge, die aus einer Pe- 
riode günstiger Einnahmen stammten. Wenn er 
gut rasiert und gewaschen durch die Gassen der 
inneren Stadt promenierte, machte er durchaus 
den Eindruck soliden Wohlstandes und in seinem 
Inneren prickelte es hoffnungsvoll: Vielleicht... 
Ein gelbes Plakat fesselte seinen Blick. 


Verloren 
wurde am 14. Mal ein 
tropfenförmiger Smaragd, 
eingefaßt von 24 gelben Diamanten 
auf dem Wege Zentralkino—Hirschgasse— 
Lindauer Platz—Caf& Promenade. 
Abzugeben gegen eine Belohnung von 
600 Mark 


W 130 Halmstraße 56, Tür 8. 


Dieses Plakat interessierte ihn außerordentlich. 
Es behexte ihn geradezu. In der Zeit des trüge- 
tischen Glanzes nach dem Kriege hatte er eine 
kleine Schwäche für schönen Schmuck und Edel- 
steine gehabt. Manch schönes Stück war durch 
seine Hand geglitten. Davon war nur noch eine 
wehmütige Erinnerung zurückgeblieben. Aber auch 
sechshundert Mark hatten etwas Verführerisches. 
Wie schwer war es, sechshundert Mark anständig 
zu verdienen. Sogar unanständig war es nicht 
leicht. Irgendeiner mußte der Glückspilz sein, der 
den Schmuck fand, ihn ablieferte und sechshun- 
dert Mark als nahezu arbeitsloses Einkommen da- 
für erhielt. Warum konnte er nicht dieser eine 
sein? Er, Ernst Ludwig Mey? 

Unwillkürlich blickte er zu Boden. Als ob der 
tropfenförmige Smaragd gerade hier neben dem 
Plakat heruntergetropft sein müßte, zu seiner ge- 
fälligen Bedienung. 

Er bummelte weiter und noch mehrmals sah er 
das gelbe Plakat. „Tropfenförmiger Smaragd...?” 
Wie mochte er aussehen? Groß wie eine kleine 
Glühbirne oder klein wie Großmütterchens Na- 
sentröpflein? Hatte er die Form einer Pflaume? 
Oder einer Hagebutte, die ausgesprochen trop- 
fenförmig Ist und eine krapprote Marmelade lie- 
fert, die innen haarig ist, als wäre sie mit ge- 
brauchter Rasierseife gemischt? Und wie mochte 
eine Dame aussehen, die tropfenförmige Sma- 
ragde trägt und verliert? War sie eine Fürstin 
oder eine Abenteuerin? Alt oder jung, schön oder 
häßlich? Vielleicht war sie auch tropfenförmig? 
Oben spitz, unten breit. Oder umgekehrt? Gräß- 
lich, Er beschloß, nicht mehr an den Smaragd zu 
denken. Aber plötzlich ertappte er sich dabei, 
daß er schon seit einer Stunde nichts anderes 


WOLFGANG 


tat, als den Weg vom Zentralkino bis zum Cafe 
Promenade nach dem Smaragd abzusuchen. 

Im Kaffeehaus griff er, um sich abzulenken, nach 
der ersten besten Zeitung. Das Feuilleton hieß: 
„Das Wundermetall.” Er begann es zu lesen. Das 
Wundermetall war nicht Dukatengold, sondern Be- 
tyllium. Es hatte In der Tat hervorragende Eigen- 
schaften. Es findet sich in dem Mineral Beryll, das 
wieder in zweierlei Formen auftritt, in einer un- 
durchsichtigen und in einer durchsichtigen. Die 
durchsichtige heißt Smaragd. Blitzschnell schloß 
sich wieder der Kontakt mit dem Plakat. Das war 
schon kein Zufall mehr. Das Schicksal verfolgte 
zweifellos besondere Absichten, in denen der 
Smaragd eine Rolle spielte. In der Zeitung stand 
noch, daß der Ring des Polykrates einen präch- 
tigen Smaragd enthalten habe, daß Plinius seine 
(des Smaragdes) bezaubernde Schönheit pries, 
und im Mittelalter die ganze Welt von den ge- 
heimen Kräften des Smaragds überzeugt war. 
Doch wie sollte er den Wink des Schicksals ver- 
stehen? Was hatte er zu tun? Da er den Smaragd 
nicht gefunden hatte, gab es nur eines. Er mußte 
eben ohne den Smaragd an die angegebene 
Adresse gehen. Das Weitere würde sich finden. 
Er hatte nur dem geheimnisvollen Drängen nach- 
zugehen, welches dem unsichtbaren Smaragd ent- 
strömte. Er zahlte und ging Richtung Halmstraße. 
Heute war ihm etwas Besonderes zugedacht. Das 
fühlte er deutlich, als er seinen schwarzen, steifen 
Hut unternehmend auf den Scheitel setzte. 

Das Haus war kein Palast, aber schön und sauber. 
Auf dem Schild der Tür Nr. 8 stand: Hertha Wo- 
rofsky. Das konnte ebensogut eine polnische Grä- 
fin wie eine inländische Fleischhauerswitwe be- 
zeichnen. Er drückte auf den Taster. 

Die Dame, welche die Tür sofort nach dem Klin- 
gelzeichen öffnete, war ohne Zweifel Hertha 
selbst. Sie trug einen schönen Schlafrock und duf- 
tete nach Chanel 22. Sie stand offenbar seit der 
Plakatierung ununterbrochen hinter der Türe und 
wartete auf den Bringer des tropfenförmigen 
Smaragds. 

„Haben Sie ihn?” rief sie bebend und zerdrückte 
nervös ihre Zigarette auf einem Blumentopf. Sie 
war sehr hübsch, Mitte der Zwanzig, ein wenig 


‘DER TAUWIND 


Voll Wolken fegt der Wassermwind, 

Er mwühlt im Wald, er stürmt das Feld 
Und wo er klatsciend stolpert, fällt, 
Schluckt er den Schnee, der grau zerrinnt. 


Vom nassen Berg aufs nasse Haus 
Wirft er sicı grob, an Tür und Tor, 
Durdıs Giebelloc, ins Ofenrohr 
Scinaubt er sic ein, bläst winselnd aus, 


Durdirüttelt Kammer, Flur und Dach, 
Schluckt Raudı im Herd, bläht Rock im Schrank, 
Bläst Augen, Fenster, Himmel blank 

Und bohrt stets nur sich selber nach. 


Verbohrt in seine Melodie, 

Die dröhnt in Bässen, jammert laut, 
Singt in mein Ohr zart und vertraut, 
Er zirpt, er schnauft, er orgelt sie 


Die Melodie, seit Tagen schon, 
Idı kenn den Ton vom vorigen Jahr 


Und mie es sonst im Märzen war: 
Er schreit dem Frühling, seinem Sohn! 


WILLI REINDL 


181 


blaß, lebhaft glänzende Augen, vibrierende Ner- 
ven, Vielleicht eine Künstlerin? 

„Nicht wahr, Sie haben ihn?‘ wiederholte sie 
flehend. Was konnte er darauf sagen? Doch nur 
eines: „Nein.”' Aber was dann? Dann war alles in 
trauriger Banalität zu Ende. Dann mußte sie natür- 
lich fragen: „Also, was wollen Sie eigentlich?” 
Darauf mußte er irgendeine Ausrede stammeln 
und mehr oder weniger rühmlich abziehen. Das 
ging über seine Kräfte. Sie gefiel ihm sehr, sie 
war gerade jener Frauentyp, den er besonders 
liebte und der ihm seit der Zeit des Niederganges 
nur noch als unerreichbares Ideal vor Augen 
schwebte, Sie sah ihm in höchster Spannung auf 
die Lippen und zerbrach dabei eine leere Zünd- 
holzschachtel in winzige Stückchen, die unhörbar 
auf den Teppich niederfielen. Ein glattes Nein 
wäre brutal gewesen, Er suchte hach einer ver- 
bindlichen, weniger schmerzhaften Form. Einst- 
weilen lächelte er höflich und sagte: „Vielleicht 
... darf Ich... einige Worte...” 

Auch sie schien einen Augenblick nachzudenken. 
Mit einem raschenBlick überflog sie nochmals sein 
Äußeres, dann legte sich ein leichter Schatten 
über ihr Gesicht. Mit einer hastigen, fast ärger- 
lichen Bewegung zerdrückte sie den Rest der 
Zündholzschachtel In der Hand, dann beherrschte 
sie sich blitzschnell wieder und sprach mit voll- 
endeter Liebenswürdigkeit: „Bitte, treten Sie doch 
ein.” 

Er folgte Ihr in ein kleines, üppig ausgestattetes 
Zimmer mit schönen Teppichen, Klubfauteuils und 
weichen Pölstern, Sie nahmen bei einem kleinen 
Rauchtischchen Platz, sie bot ihm eine Zigarette, 
nahm auch selbst eine und zündete beide an, 
Dann legte sie ein Knie über das andere (die 
schimmernden Strümpfe erhöhten noch den Ein- 
druck ihrer tadellosen Beine), blies einen feinen 
Rauchstrahl von sich und begann: 

„Ich hoffe, daß Sie ein Gentlemen sind und es 
nicht mißverstehen werden, wenn Ich aufrichtig 
mit Ihnen rede.” 

Er wollte etwas Verbindliches sagen, aber sie 
ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern fuhr sehr 
rasch und bestimmt fort: 

„Sie sind mißtrauisch, Sie befürchten, daß ich den 
Schmuck nehme, schönen Dank sage und Ihnen 
die sechshundert Mark nicht gebe. Ich könnte mir 
zwar vorstellen, daß ein Kavalier einer Dame 
einen gefundenen Schmuck zurückgibt, ohne auf 
den Finderlohn Anspruch zu erheben. Aber das 
sind vielleicht veraltete Vorstellungen. Heute Ist 
alles Geschäft. Bitte, warum nicht? Reden wir also 
vom Geschäft.” 

„Verzeihen Sie...“, unterbrach er. 

Sie ließ sich aber nicht unterbrechen, sondern 
fuhr noch rascher fort: 

„Nein. Sie haben ganz recht, Aufrichtigkeit ist 
immer das Beste. Ich will Ihnen jetzt auch die 
Wahrheit sagen. Ich kann Ihnen die sechshundert 
Mark nicht geben, weil ich sie nicht habe. Ich 
lebe nicht In so glänzenden Verhältnissen, wie es 
vielleicht aussieht. Man hat mir gesagt, daß es 
üblich Ist, auf solche Plakate einen recht hohen 
Betrag als Belohnung zu drucken, damit der Fin- 
der sich leichter entschließt, den Fund wirklich 
abzugeben. Aber dann wird immer nur der ge- 
setzliche Finderlohn gegeben. Hat man mir ge- 
sagt. Sechshundert Mark wäre doch auch viel zu 
viel für diesen Schmuck. Aber bitte, da Sie nun 
einmal auf dem Finderlohn bestehen, was Ihr 
gutes Recht ist, bitte, hundert Mark, sehr gerne, 
bitte.” 

Sie kramte hastig in einem Täschchen und legte 
einen zerknüllten Hundertmarkschein auf den 
Tisch. Sie warf ihre kaum angerauchte Zigarette 
weg, zündete eine neue an und sah ihn fest an. 
Sie war sehr hübsch in ihrer Kampfbereitschaft und 
entschlossenen Geschäftstüchtigkeit. Auch der 
Hundertmarkschein hatte einen eigenen Reiz. 
Lange hatte er einen solchen nicht gesehen, ge- 
schweige denn besessen. Nichtsdestoweniger 
fühlte er sonderbarerweise, fast gegen seinen 
Willen, eine Art Empörung in seinem Innern auf- 
steigen. Einen solchen Bettel für einen tropfen- 


förmigen Smaragd mit vierundzwanzig Diamanten 
zu bieten, war kleinlich, krämerhaft, beinahe un- 
verschämt. Noch war er nicht so weit, ein Trink- 
geld anzunehmen. Seine Sympathie verminderte 
sich, Er wölbte ein wenig die Brust und preßte 
die Lippen zusammen. 

„Nun? Geben Sie mir den Schmuck“, sprach sie, 
leise bebend, 

„Ich habe Ihn nicht‘, erwiderte er kurz. 

Sie machte einen Satz, daß die Ottomane ächzte. 
Sie krallte sich die polierten Nägel in die Schlä- 
fen und stieß einen leisen Laut ohnmächtiger Er- 
bitterung aus. Einen Augenblick war es, als wollte 
sie ihm wie eine Katze ins Gesicht springen. Aber 
dann begann sie plötzlich zu lachen, daß Ihr fast 
der Atem versagte, Als sie wieder zu sprechen 
anfing, war Ihr Ton ein ganz anderer, voll kind- 
lichem Spaß und kameradschaftlicher Herzlichkeit: 
„Ist das nicht wahnsinnig komisch, daß wir hier 
nebeneinander sitzen und handeln wie Hauslerer? 
Ach, wie lange habe ich nicht so gelacht, Ich 
danke Ihnen.” Sie ergriff seine beiden Hände und 
knetete sie förmlich. „Ich hoffe, Sie haben meinen 
Scherz richtig aufgefaßt, Es wäre doch lächerlich, 
Ihnen hundert Mark anzubieten. Sie sind aus guter 
Familie, das sieht man sofort. Also geben Sie mir 
den dummen Smaragd. Bleiben wir gute Freunde.” 
„Ich sagte schon, daß ich Ihn nicht habe... leider 
„.„.ich...”, stammelte er zögernd, Sie war sehr 
schön In diesem Augenblick, 

„Nein, Jetzt lassen wir schon die Spässe. Geben 
Sie mir den Schmuck. Ich werde Ihnen ewig dank- 
bar sein. Es wird mich freuen, Sie bald wieder bei 
mir zu sehen... nun?’ 

Sie stützte sich mit dem Ellenbogen auf sein Knie 
und sah ihm von unten her in die Augen. Ihre 
Lippen waren den seinen ganz nahe, er fühlte die 
Glut ihres betörenden Hauches und das Vibrieren 
ihres blegsamen Körpers. Ein sinnverwirrendes 
Glück tanzte auf der Spitze einer funkelnden Na- 
del für den, der den Mut hatte, es zu nehmen. 
Doch nun zeigte sich die schädliche Wirkung des 
römischen Rechtes, das er einst ein Semester 
lang studiert hatte. Das Bewußtsein der mangeln- 
den Übereinstimmung des Willens bei diesem 
Rechtsgeschäft (consensus) lähmte seine Ent- 
schlußkraft. Unwillkürlich griff er nach seiner Rock- 
tasche. Vielleicht war ein Wunder geschehen und 
der Smaragd lag darinnen. Vielleicht... Aber die 
Tasche enthielt nichts als einen alten Straßen- 
bahnfahrschein und einige Brotkrumen. Es ge- 
schehen keine Wunder mehr. Er sah sie noch ein- 
mal an mit einem traurigen Blick, wie einer, der 
das gelobte Land sieht, das er nicht betreten 
darf. Nun war der Augenblick gekommen, da die 
schimmernde Selfenblase platzen mußte. Seufzend 
schüttelte er den Kopf. 

Sie fuhr zurück, wie von einem elektrischen Schlag 
getroffen. „Sie haben ihn nicht? Wirklich nicht? 
Ehrenwort?" 

„Ehrenwort.” 

„Ohl“, kreischte sie wütend. „Nicht? Nicht? Hin- 
aus! Nein, halt! Sie lügen.’ Hastig durchwühlte sie 
seine Taschen. Er ließ ergeben die Arme hängen. 
Sie zitterte immer heftiger, sie atmete rasch und 
stoßweise, mit Tränen kämpfend (bezaubernd sah 
sie aus). 

„Nichts! ‘schrie sie bestürzt und schlug klat- 
schend die Hände zusammen. „Oh, hinaus! Dieb! 
Schuftl” 3 

Er riß die Tür auf und stürzte davon. Der schwarze 
steife Hut, den sie Ihm nachschmiß, hüpfte vor 
Ihm die Treppe hinab und lag dann unten beim 
Haustor wie ein großer schwarzer Schlußpunkt. 
Langsam ging er heimwärts. An der nächsten 
Straßenecke erblickte er das Plakat. Er blieb 
stehen. Wie im Nebel sah er die Worte vor sich 
und es war, als kämen sie von ihm: 





Verloren 


einen tropfenförmigen Smaragd 
mit 24 gelben Diamanten, 


einen Traum von unsagbarem Glanz 
und sechshundert Mark. 


MUT MIT VORBEHALT 


VON ADOLF WALTER 


Sehr begeistert, entzückt berichtete Herr Schmidt, 
während sie auf der vollbesetzten rückwärtigen 
Wagenbühne des Vorortzuges standen: „Denken 
Sie nurl Gestern habe ich den Edi Greilinger ge- 
sehen! Ich habe ihn gleich erkannt! Diese über- 
breiten Schultern! Und das mächtige, eckige 
Kinn! Und die zerquetschte Nase! Einmalig! In 
Zivil, sozusagen, sieht er noch eindrucksvoller, 
Imponierender aus als bei der Arbeit, im Ring! 
Na, den möchte ich nicht zum Feind haben!" 
Herr Moldaschl zog verächtlich die Mundwinkel 
tief. Herr Moldaschl, eine schlotterichte Gestalt, 
war untermittelgroß, über einer sogenannten 
Hühnerbrust und einem viel und senkrecht ge- 
fältetem Hals saß ein mageres Vogelköpfchen. 
„Sie werden doch nicht behaupten wollen“, 
wandte Schmidt ein, „daß Sie mit einem, wie 
diesem Edi Greilinger, anbinden wollten?” 
„Hören Sie zu, Herr Schmidt“, sagte Moldaschl 
väterlich überlegen, „den Greilinger, also den, 
den steck’ ich in die linke obere Westentasche. 
Verstehen Sie?” 

Schmidt schwieg bestürzt. Edi Greilinger — und 
dieses Fragezeichen, dieses Nichts von einem 
Moldaschl? Wie das? Aber, wie das Sprichwort 
sagt, es sind schon Hausherren gestorben. 
„Also, mit dem Greilinger”, begann Moldaschl, 
„mit dem bin ich in die Schule gegangen. Er war 
kein Kirchenlicht, nein, das kann man nicht sagen. 
Dann erlernte er schlecht und recht das Schmiede- 
handwerk. Später wurde er ‚entdeckt‘. Und wieder 
ein paar Jahre später gründeten wir in unserer 
Heimatstadt ein Sportausrüstungsgeschäft: Grei- 
linger & Co. — Greilinger, nunmehr schon ein be- 
tühmter Boxer, gab das Geld. Ich steuerte die 
kaufmännischen Erfahrungen bei. Der Laden ging 
zugrunde. Warum? Weil Greilinger meist nicht 
vorhanden war. Und seinetwegen hätte ja die 
Kundschaft herbeieilen sollen, verstehen Sie? Er 
wälzte die Schuld auf mich. Das war der erste 
Anlaß zur Verstimmung.” 

„Greilinger war wohl sehr verärgert?” 

„War er. ‚Verflucht und zugenäht' hat er gerufen. 
Das ist so eine stehende Redensart von ihm. 
Knapp vor dem Zusperren gab es noch einen 
Grund zur Entfremdung. Das kam so: es war uns, 
der Firma, ein Klassenlos zugeschickt worden, 
ein ganzes. Greilinger wollte das Los kaufen. Ich 
auch. Da ich zur Zeit nicht bei Kasse war, lieh 


MEIN STROHSACK 


Nun habe ich dich wieder hart geplättet 

Mit meinem Leib, der fich an dich gewöhnt. 
Zwar bift du fchmal, doch bin ich mohlgebettet 
Und nur im Anfang hab’ ich leicht geftöhnt. 


Jegt bin ich froh, daß ich dich kennen lernte: 
Du birgft ein Stückchen fommerliche Welt, 
Vom goldnen Korn das Stroh, das fich von Ernte 
Zu Ernte gut als Neft im Bunker hält. 


Im nächften Herbft werd’ ich dich wieder ftopfen 
Mit frifchem Stroh, an dem noch Sonne hänst. 
Du fpürft ganz facht das Herz des Landfers klopfen, 
Das fich fo gern an deine Mulde drängt. 


Heinz Friedrich Kamecke 


182 


mir Greilinger den Betrag. Das Los gewann den 
Haupttreffer. Dies hat Greilinger, der natürlich 
leer ausging, krumm genommen.” 

„Haben Sie nicht Angst gehabt? — Ich meine: 
wenn so ein Hauptkerl, so ein Bär von einem 
Mann in Wut gerät...” 

„Ach, Angst? Ich? Lächerlich, Er schrie: ‚Verflucht 
und zugenähtl’ Damit war die Angelegenheit er- 
ledigt, Aber dann kam die Sache mit Olga. Sie 
schlug dem Faß den Boden aus.” 

„Die Olga? — Wer ist Olga?” 

„Olga war. Olga war die Gattin Greilingers. Sie 
hat sich scheiden lassen, und ich hab’ sie ge- 
heiratet. Verstehen Sie?” 

„Ehrlich herausgesagt, Herr Moldaschl“, zweifelte 
Schmidt, „seien Sie mir nicht bös, aber das ver- 
steh’ Ich wirklich nicht.’ 

Moldaschi lachte herzhaft, so daß sein Adams- 
apfel in heftige vertikale Schwingungen geriet. 
„Es gibt Im Menschenleben Dinge, denen unser 
Hausverstand nicht gewachsen ist, oder so ähn- 
lich. — Olga, also Olga wäre ihm ein liebendes, 
aufopferndes Weib gewesen, aber sie kam nicht 
dazu, Verstehen Sie? Er war nie da. Allein auf 
dieses Dasein legen die Frauen erheblichen Wert. 
Er war immer auf Reisen. Und wenn er da war, 
war er im Training. Das war genau so, als ob or 
nicht dagewesen wäre, Verstehen Sie?” 

„Ein wenig.” 

„Ein Moldaschl in der Hand aber ist besser als 
ein Greilinger in, sagen wir: in Tökio. Wir, Olga 
und ich, zogen hierher, und als er erfuhr, daß ich 
jener Glückliche sel, den Olga ihm vorgezogen, 
geriet er in mächtige Erregung und leistete den 
Schwur, daß er mich durch ein Kanalgitter durch- 
seihen werde.” 

„Eine schreckliche und eigentlich unwürdige Todes- 
art”, ‚urteilte Schmidt, x 

„Das will ich meinen. Doch ich bin schlau und 
weise und mich erwischt man nicht, oder so ähn- 
lich. Auch muß man Glück haben. Als Ich gestern 
spät nachts aus dem Gasthaus kam, stieß ich bei 
dem nächsten Straßeneck mit einem Herrn zü- 
sammen, das heißt, ich trat ihm mit dem vollen 
Körpergewicht auf den Fuß. Bevor ich mich ent- 
schuldigen konnte, schrie er mich an — Ich spürte 
seinen Atem im Gesicht „—: ‚Verflucht und zu- 
genäht'I” 

„Um Gottes willen! Was geschah?” 

„Ich entfernte mich schweigsam. Die Nacht war 
mondlos und die Straßen vortrefflich verdunkelt. 
— Immerhin nahm ich mir vor, ihm einmal gründ- 
ich meine Meinung zu sagen, Soll ich immer und 
ewig der klügere, der nachgiebige Teil sein? 
Mich fortwährend anpfauchen lassen und dazu 
schweigen wie ein pensionierter Sargträger? — 
Mitnichten. ‚Mein lieber Greilinger‘, habe ich ge- 
sagt, ‚du hältst mich anscheinend für einen dop- 
pelten Waisenknaben, weil ich dein unflätiges 
Benehmen wieder einmal widerspruchslos hin- 
genommen habe? Das stimmt nicht, du Erzbüffel, 
du. Denn: es kann der Schönste nicht In Frieden 
leben, wenn's einem Boxer nicht gefällt, oder so 
ähnlich. Glaubst du, weil du Europameister im 
Schwergewicht bist, du Nilpferd, zittere ich vor 
dir? Olga läßt übrigens grüßen, falls du uns zu 
besuchen vorhast, dir sagen, daß wir auf acht 
Wochen verreisen. Weißt du auch, daß du schon 
viel zu üppig geworden bist infolge Verhätsche- 
lung durch Publikum und Presse und reif bist für 
eine ausglebige Tracht Prügel?" 

„Fürchterlich”, ängstigte sich Schmidt, „und was 
hat er darauf —" 

„Gesagt? Das weiß ich nicht. 
gehängt.” 


Ich habe auf- 


Die Müde 


(K. Helligenstaedt) 





„Wie du es nur fertig bringst, so spröde zu sein, Lilly?“ — „Ganz 
einfach, Erich, ich denke nur dran, wie früh ich morgen aufstehen muß!“ 


La stanca: “Come mai, Lilly, sei capace d’ essere tanto ritrosa?,, 
“£ logico. Non penso ad altro che a quanto di buon’ ora dovrö alzarmi domattina!,, 


183 


Der reine Tor En 














„Sie haben früher immer nur mitganz wenigen Strichen gezeichnet. Ich vermisse jetzt diese sparsamen Mittel bei Ihren Blättern!“ 
„Ja, wissen S', ich denk mir halt, wo Sie jetzt so knapp mit Papier dran sind, müßt man dem Publikum ein bißl mehr bieten —— 


Il vero pazzo: "Prima disegnaste sempre con pochissimi tratti e adesso nei vostri fogli manca purtroppo questa parsimonia di mezzi!,, 
“Eh sl; ma sapete, io penso che ora che scarseggia tanto la carta, si dovrebbe offrire al pubblico un pochino di piü...?,, 


418 





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„Wir haben uns alle gegenseitig schon zehn Mark 
gepumpt, — ich beginne nun, meine Schulden an 
B. zu zahlen.” 

B. machte es ebenso und gab die fünf Mark an 
C., der an D. usw, 

Als sie an A zurückkamen, erklärte dieser groß- 
zügig: „Wohlan, nun zahle ich die zweite Hälfte 
meiner Schulden“, gab wieder die fünf Mark an 
B., diese an C. und so fort. 

Dr. A. resümierte: „So haben wir mit fünf Mark 
























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‚Frankfurt (Main) = Roßmarkt 25 /59h || 


ERLLLLLULLRRL ELLI 


rauf 
und 'runler 


soll man die Zähne bürsten, 
um dio Spelsoresto gründ- 






aromen Gebrauch 
beider Schneiden: 
| Min Schneide Nr. 1 


worranteren und mi 
Schneide Nr. 2 


mufit Du darin zeigen: 
erst die Gläser neigen. 
den drängenden Pfropfen; 


So vergeudest Du 
keinen Tropfen! 


sechzig Mark Schulden bezahlt, — und dabei habe 
ich die fünf Mark noch geliehen.” 
„Da sieht man”, meinte cand. rer, pol. F, „daß 
Geld nicht Wertmesser, sondern Wertträger Ist,” 
„Ich hätte”, bemerkie ein JungerJurist, „das ganze 
sogar ohne fünf Mark gekonnt.” 
Aber F. fuhr fort, voll Bewunderung solcher Orga- 
nisation: „Warum, Herr Doktor, stellen Sie das 
Fünfmarkstück nicht einfach einem großen Werk 
zur Verfügung, um dort die totale Entschuldung 
durchzuführen?” 

* 
Der Postaushilfsbeamte am Schalter vier stellte 
fest, daß es fünf Minuten vor eins sei und daß die 
geduldige Schlange vor seinem Schalter noch 
zwanzig Personen umfaßte, 
Er wußte aus der Naturgeschichte, daß die kleinen 
Schlangen gefährlicher sind als die großen, z, B 


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wenn es verloren ist.“ 





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MUNCHEN, SCHAFFLERSTR.) 11 


mit einer wirklich sach- 
gemähen Fuhpflege 
zu beginnen! 


4 bei und verhötet 


Fuhschweih, Brennen, 
Wand u.Blasenlaulen 


‚Eidechse” 

„ 

ußpflege 
CARL HAMEL & CO. FRANKFURT-M. 9 


die schwarze Cobra weit gefährlicher als selbst 
eine Boa constrictor Er wußte aus Erfahrung, daß 
eine große Schlange vorm Schalter geduldiger 
ist, als sol:he kleinen von etwa drei bis sieben 
Kauflustigen für Briefmarken oder gar Einzahlungs- 
lustigen für Steuern. 

Er stellte also ein Pappschild auf: „Schalter ge- 
schlossen!” Und die große Schlange bäumte sich 
ein wenig, zischte ein wenig, ringelte sich etwas 
und verschmolz sich dann zu einer resignierten 
Riesenschläange vor Schalter drei, Was hatte er 
gestern beim gleichen Anlaß von der kleinen 
Schlange von fünf Personen alles zu hören be- 
kommen! 

Warum also, so fragte er sich auf dem Weg 
nach Haus, warum verhindert man nicht einfach 
durch Verminderung der Schalter die Bildung von 
Kleinschlangen, die doch die gefährlicheren sind? 

























Das gibt argen Schmutz, son 
wenn die Hausfrau Rohr und Züge 
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Aut einer Nebenstrecke der Eisenbahnlinie Oslo— 
Bergen wurden kürzlich Ausbesserungsarbeiten 
vorgenommen. Eine Gruppe Arbeiter war damit 
beschäftigt, neue Schwellen zu legen. In gleich- 
mäßigem Takt wurden die schweren Hämmer ge 
schwungen, aber plötzlich stieß einer der Arbeiter 
einen Schrei aus. Sein Nebenmann hatte nämlich 
mit voller Wucht den schweren Hammer ihm aufs 
Bein fallen lassen 

Natürlich ließ man sofort ein Krankenauto kom- 
men, und der Vorarbeiter brachte seinen verwun- 
deten Kameraden zum nächsten Krankenhaus, 

Am nächsten Tag verlangte die Eisenbahnverwal- 
tung von dem Vorarbeiter einen genauen Bericht, 
wie der Unfall geschehen war, und sandte deshalb 
einen Fragebogen ein. Der Vorarbeiter machte 




























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sich auch gewissenhaft an die Arbeit. Er füllte 
alle Rubriken sorgfältig aus, er schrieb den Na- 
men, das Alter, die Aıbeitsleistung und was sonst 
noch alles dazugehört, er beschrieb auch genau, 
wie der Unglücksfall zustande gekommen war. 
Zum Schluß war da noch eine Rubrik, die bezeich- 
net war mit: „Besondere Bemerkungen.” Lange 
kaute der Vorarbeiter am Federhalter. Schließlich 
tauchte er die Feder entschlossen ein, und wenige 
Sekunden später konnte man in dieser Rubrik 
lesen: „Die Bemerkungen, die der Verunglückte 
auf dem Transport ins Krankenhaus machte, eignen 
sich absolut nicht dazu, schriftlich wiedergegeben 
zu werden...” 


* 


Die gute alte Frau B, traf auf dem alten Wall, 
Richtung Stadtpark, einen jungen Herrn, den sie 


kannte, mit einer Jungen Dame, die sie nicht 
kannte, 

Sie erzählte es einer Freundin. 

Diese einer Dritten. Die Vierte berichtete det 
Fünften: „Ja, mit einer Tänzerin vom Staditheater.“ 
Die Siebente der Achten: „Und küßten sich auf 
offener Straße, Frau B. hat es selbst gesagt.” 
Die Zehnte der Elften: „Ja, denken Sie, auf eineı 
Bank in der Dämmerung. Frau B, hat es selbst ge- 
sehen.” 

Die Vierzehnte der Fünfzehnten: „Im Gebüsch, ob- 
wohl sie schrie. Frau B. hat es’ selbst gehört..." 
Scheußlich, 

Aber schuld ist Frau B. 

Warum erzählt sie nicht zur Vereinfachung 
gleich, der junge Mann habe die Vaterschaft an 
den Drillingen anerkannt. Oder wenigstens an 
zweien davon 











Wenn in iedem deutschen Haushalt in einer Woche nur 1 Schaufel Kohlen un- 


nötig verfeuert wird, so fallen 2,5 Millionen Tonnen Kohlen „Kohlenklau” 





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Der Fährmann - Il nocchiero 


(A. Kubin) 





DIE INSPEKTIONSREISE 


Klitgaard, der Generaldirektor der Brockenhuus- " 


Bahn, setzte seine Unterschrift unter den letzten 
Akt, den ihm sein Sekretär vorlegte und schlug 
die Mappe zu. „Noch was?” fragte er. 

„Nichts von Belang“, entgegnete der Sekretär. 
„In den letzten Wochen liefen einige Beschwer- 
den ein — von Reisenden über Reisende. All- 
gemein wird geklagt, daß sich einige Reisende 
ungehörig benehmen. Man hat bereits Weisun- 
gen an das Personal ausgegeben und...” 
Klitgaard unterbrach seinen Sekretär. „Das hat 
wenig Wert”, meinte er. „Die Leute sind zudom 
überlastet und können sich auch nicht um jeden 
Reisenden kümmern — ich werde einmal eine 
Fahrt machen und mir die Sache aus nächster 
Nöhe ansehen. Lassen Sie mir aber kein Abteil 
sicherstellen, denn ich will unerkannt bleiben. Be- 
sorgen Sie mir nur eine Karte 3. Klasse.” 

Der Zug fuhr, wie Klitgaard zufrieden feststellte, 
pünktlich ab. Er saß beim Fenster und sah gelang- 
*weilt hinaus. Mit ihm fuhr nur noch ein junger 
Mann. Dem war augenscheinlich langweilig, erst 
räkelte er sich, dann fluchte er und endlich 
spuckte er dreimal auf den Boden. Der General- 
direktor zählte es. Endlich zog der junge Mann 
seine Schuhe und Strümpfe aus. 


VON ALEXANDER KELLER 


„Lassen Sie das bleiben", sagte Klitgaard ärger- 
lich, „Sie müssen Rücksicht auf die Mitreisenden 
nehmen.” 

Der junge Mann lachte. „Wieso Mitreisende? Wir 
sind doch allein.” 

„Ich habe mich schlecht ausgedrückt“, entgeg- 
nete der Generaldirektor, „ich wollte sagen: auf 
den Mitreisenden.” 

„Ich verstehe das nicht“, sagte der Junge Mann 
ruhig, „Ich habe meinen Platz bezahlt.“ Er begann 
seine Zehen zu reinigen. 

„Sie haben für eine Fahrt bezahlt, nicht für ein 
Badl” entgegnete Klitgaard empört. 

Der Junge Mann reinigte unverdrossen welter. 
„Ich verlange Ja auch nicht, daß mir die Bahn- 
verwaltung die Füße reinigt." 

Er sah den Generaldirektor herausfordernd an. 
„Von mir aus können Sie sich ausziehen und ganz 
waschen.” 

„Ich will aber nicht”, schrie der Generaldirektor 
wütend, „und ich verlange, daß Sie sofort Schuhe 
und Strümpfe anziehen. Ich habe ein Recht das 
zu verlangen.” Er zog eine Besucherkarte aus der 
Tasche und reichte sie dem anderen. „Vielleicht 
werden Sie vernünftigen, wenn Sie wissen, wer 
ich bin.” 


188 


Der junge Mann nahm die Karte und ließ sie un- 
gelesen in der Tasche seines Rockes verschwin- 
den. „Später“, meinte er freundlich. „Jetzt habe 
ich keine Zeit.” 

Der Schaffner kam und verlangte die Fahrtaus- 
weise. „Hören Sie“, sagte Klitgaard mit vor Er- 
tegung zitternder Stimme, „ich dulde nicht, daß 
sich Jemand hier Im Abteil seine Füße reinigt 
Das Ist zudem strenge verboten.“ 

„Natürlich“, entgegnete der Schaffner. Er wandte 
sich an den Jungen Mann, 

„Ziehen Sie sich an. Das dürfen Sie nicht tun. Wer 
sind Sie?” 

Der-Junge Mann zog die Karte des Generaldirek- 
tors aus der Tasche und reichte diese dem Schaff- 
ner. Dieser las sie und gab sie dem Jungen Mann 
mit einer Verbeugung wieder zurück. 

„Nun? fragte Klitgaard energisch. 

Der Schaffner beugte sich zum Ohr des General- 
direktors. „Reden Sie nichts mehr”, flüsterte er. 
„Der Kerl ist der Generaldirektor der Bahn und 
ein Ekel. Kein Mensch kann ihn leiden und wenn 
er sich seine Füße badet, dann gebe ich Ihnen 
einen guten Rat: Tun Sie's auch!” 

Der Generaldirektor stieg bei der nächsten Sta- 
tion aus und fuhr nach Hause. Er hatte genug. 


Abklärung IM. Dudovich) 





„Ist es wahr, Suleima, daß der Pascha eine neue Lieblingsfrau sucht?“ — „Im Gegen- 
teil, er hat inseriert: ‚Tausche drei prima Lieblingsfrauen gegen Lieblingsköchin'!“ 


Schiarimento: “E vero, Suleima, che il pasciä cerca una nuova favorita?,, 
“Al contrario. Egli ha inserito: Offro tre favorite di prima qualitä per una ‘cuoca favorita,!,, 


189 


DIE HEIMKEHR 


VON A. WISBECK 


Wandern — wandern — immerzu wandern! „Was 
hatten Sie da und dort zu suchen?” werde ich 
bisweilen gefragt. Zu suchen? Nichts. Denn, was 
ich suchen könnte, finde ich am Rande meiner 
Straße. Das Geschäume der Apfelblüten, einKorn- 
feld, das sich Im Winde wiegt, die erlöschende 
Glut herbstlicher Gärten, Vielleicht ist es aber 
auch nur ein Käferchen, das mir über den Weg 
läuft, ein blanker Kiesel im Beit des Wiesen- 
baches, der treibende Strunk einer Weide. Wan- 
dern — wandern! Und nun seht, so geht das Jahr, 
gehen die Jahre an mir altem Manne vorüber, und 
nun züngelt schon wieder die Lohe der Buche 
aus blau verdämmernden "Wäldern, streicht der 
Schwarm der Krähen über die erstorbenen Äcker. 
Bald — bald — es wird still in der Welt. — — 
Und nun habe ich wieder den Strom hinter mir 
gelassen und steige hinauf in den Wald. Den 
„Bayerischen nennt man diese zerklüfteten Blöcke 
des Urgesteins, über denen der Moder von Jahr- 
tausenden Höhen und Täler formte, Aus greisen- 
haften, flechtenbehangenen Stämmen drängt 
neues Leben zum Licht, reckt sich kühn in die 
jagenden Wolken, zerbirst und bricht krachend 
in faulendes Holz. — Kühl und feucht ist nun schon 
der herbstliche Morgen im Wald. Nebelfetzen 
haben sich in zerzausten Fichten verfangen, ringen 
sich los, brauen milchige Schwaden, zerllattern 
wieder In Streifen und wallende Bänder. Nun aber 
schmettert d{e Fanfare des ersten Sonnenstrahles 
durch das. düstere Gewoge, spaltet es und drängt 
es In Senken und Tal. Wohlan, ich grüße dich, 
Licht des ersten Schöpfungstages, Ich grüße dich 
und neige mich vor dir in Dankbarkeit und Demut! 
Rote Beoren leuchten am Rande meines Weges 
auf, aus verwitterten Brocken zerschrundenen Ge- 
steins quillt mannshoch der Wedel urweltlicher 
Farren, Pilze aller Formen und Farben besprenkeln 
das Moos. — 

Still und einsam ist es im heiligen Bezirk dieses 
Waldes, selten nur begegnest du einem Menschen 
‚auf den spärlichen Straßen. Stößt du aber auf einen, 
dann wirst du kaum mehr denn ein oder 
„Neln" aus seinem Munde vernehmen. Denn die 
Einsamkeit hat wortkarg gemacht und gut. Sollte 
denn auch nicht ein hilfreiches Geschlecht auf 
diesen weltfernen Höfen und Wellen heran- 
gewachsen sein, wenn es gegolten hatte, gegen 
die wuchernde Wildnis, gegen Wolt und Bär, 
Feuersbrunst und Wintersnot gemeinsame Sache 
zu machen? — 

Schon webt die Dämmerung Ihre Schatten in das 
Holz. Auf dem Kamm der Bergstraße raste ich, 
denn mein Fuß ist müde, und der Weg zum Nacht- 
quartier noch weit. Langsam nähert sich Huf- 
schlag aus der Tiefe. Nun sehe Ich: Ein graubärtl- 
ger, etwas beleibter Mann führt ein hageres Röß- 
lein, dem man eine altertümliche Kutsche ange- 
hängt hat. Neben mir hält der alte Herr, setzt sich 
zu mir an den Straßenrand. Wir plaudern ein 
wenig, wie man eben mit Unbekannten so 
schwatzt. Plötzlich wendet mir der Mann sein brei- 
tes, ein wenig gerötetes Gesicht voll zu, blickt 
mich forschend an und sagt: „Heißen Sie nicht 
Viktor Thomas, und hast du nicht auf der Schul- 
bank des Gymnasiums neben einem gewissen Pe- 
ter Stumpf gesessen?” „Doch“, antworte Ich er- 
staunt, „das stimmt alles auf das Haar. Woher kön- 
nen Sie es aber wissen?” „Well ich ein gewisser 
Peter Stumpf bin“, lacht der Mann, und aufrich- 
tige Freude glänzt aus seinem guten Gesicht. Ach 
Ja, der kleine Stumpf ist das also! Ich erinnere 
mich seiner genau, denn er war es, der mir die 
Horaz-Übersetzung einflüsterte, von dem ich die 
Algebra abschrieb, und dem ich neben meinem 
scharfen Auge die Note Ill des Abiturs verdankt 
habe. Ich liebe die Aufwärmung alter Bekannt- 
schaften nicht, aber In diesem Falle überkam mich 
doch die Rührung. „Wie kommst du hierher?” 











Verlag und Druck: 





alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Postanstalt 
gültig ab 18. Okt. 





frage Ich, „was treibst du? Welches Schicksal hat 
dich in diese Wildnis verschlagen?” „Gestatte, daß 
ich mich vorstellel” schmunzelt mein alter Mit- 
schüler, „Doktor Peter Stumpf, praktischer Arzt, 
Spezialist sämtlicher innerer und äußerer Krank- 
heiten, Feuerwehrhauptmann, Kutscher, Hebamme 
und Beichtvater! Im übrigen habe ich meine Be- 
hausung da unten, in dem kleinen Nest, und, daß 
du bei mir dein Nachtquartier nimmst, ist selbst- 
verständlich! Viel kann ich dir zwar nicht bieten, 
doch kommt es aus vollem Herzen. Und besser, 
auf meinem alten Karren eine trockene Hose, als 
sich im feuchten Moos die Ischias zu holen!” Wir 
klettern auf den Kutschbock, und das Rößlein 
trabt, den Stall witternd, frohgemut zutal. — 

Nun säumen bescheidene Häuschen den Weg, ein 
Kirchturm hebt sich aus der Dämmerung. Auf 
einem holpeyigen Marktplatz halten wir. „Dr. Peter 
Stumpf, prakt, Arzt und Geburtshelfer” kündet 
das Schild an einem Gartenzaun. Ich werde in ein 
etwas altmodisches Zimmer geleitet. Rote Plüsch- 
möbel, gehäckelte Deckchen, ein Äskulap aus 
Gips, künstliche Mohnblumen, vergilbte Familien- 
bilder in verschnörkeltem Rahmen. Wir plaudern 
von der Jugendzeit, rauchen gemächlich eine Zi- 
garre, Dann öffnet sich die Türe, und eine grau- 
haarige, etwas gebückt gehende Dame tritt ein. 
„Meine liebe Frau — mein Schulfreund Thomas“, 
stellt Stumpf vor. Ich habe Renate auf den ersten 
Blick erkannt. Eine kurze, harmlose Liebe meiner 
Studentenzeit, verschwärmte Briefe, Beteuerungen 
ewiger Treue, ein paar rasche Küsse im nächt- 
lichen Stadtpark, Dann vorbei — vorbeil Ich be- 
ruhige mich bald, denn nichts deutet aus Renates 
Miene, daß sie sich meiner oder meines Namens 
noch erinnert. „Und nun rüste nach homerischem 
Brauch dem Gast ein BadI” sagt Stumpf, „oder, 
noch besser: Strecke die Suppe ein wenig, lege 
ein drittes Schnitzel in die Pfanne und — nicht zu 
vergessen — fege die Spinnweben vom ‚Schwar- 
zen Herrgott’I' „Gut — gut” — lächelt mir Renate 
zu, „es Ist mir eine große Freude, einen Schul- 
freund meines Mannes kennenzulernen.” Klar und 
rein, wie in den Tagen Ihrer Mödchenzelt blickt 
mich das Auge der Frau an. Nein, nein, sie hat 
mich nicht erkannt. Sie hat vergessen, wie ich 
vergaß. — 

Wir sitzen beim Mahl, die Gläser klingen anein- 
ander. „Entschuldige”, sagt Stumpf, „In der Freude 
des unverhofften Wiedersehens vergaß ich, mich 
nach deinem Lebensweg zu erkundigen. Was 
tatest du in dieser langen: Zeit, welchen Beruf 
hattest du? Bist nun wohl Pensionist und hast dich 


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auf deinen Ruhegehalt zurückgezogen?” „Nein“, 
muß Ich etwas kleinlaut sagen, „da wo ich war, 
gab es keinen Ruhegehalt, weder bei den Gold- 
gräbern, noch den Kohlentrimmern, den Pelztier- 
jägern, Schankburschen und Zeitungsverkäufern.” 
„Nun”, versucht Stumpf in seiner gütlgen Welse zu 
trösten, „du hast wenigstens die Welt gesehen, 
während ich zeitlebens diesem verdammten Wald 
verhaftet war. Hast du geheiratet?” „Nein, Ich 
hatte nie eine Frau”, sage ich. „Dachte es mir 
schon”, lacht mein Freund, „denn du mußt wissen, 
Renate, schon als Student war er wie ein Spür- 
hund hinter den Mädels her, heute war es das, 
morgen jenes. Nun hat er das richtige nicht ge- 
funden, und wenn er sich jetzt in seinen alten Ta- 
gen am Straßenrand die Ischlas holt, ist das ge- 
rechte Strafel” „Du aber bist belohntl‘ sage Ich, 
und hebe mein Glas Renate zu. Sie stößt lächelnd 
mit. mir an. — 

Das Telefon schrillt auf der Diele. „Ein schwerer 
Fall“, sagt Stumpf, als er in das Zimmer zurück- 
kehrt, Sein ganzes Wesen hat sich verändert, ein 
schmerzlicher Zug spielt um seinen Mund. „Das 
Kind ist verloren”, murmelt er düster, „nun heißt 
es lügen, sich als Zauberer, als Wundertäter zu 
gebärden. Und bin doch nichts anderes, ols ein 
kleiner Arzt im Wald! Nun, wieder heraus, müdes 
Rößlein, deine Beine werden es gerade noch 
schaffen!” Bald holpert Hufschlag Über den Platz, 
verklingt in der Weite, 

Schweigend sitze ich Renate gegenüber. Sie hat 
den Kopf gesenkt, sinnt vor sich hin. Plötzlich 
wendet sie mir ihr Gesicht voll zu. Ein bitterer Zug 
spielt um Ihre Lippen. „Sagen Sie mir doch, Herr 
Viktor Thomas”, frägt sie, „welchen Grund hatten 
Sie damals, meine Briefe nicht mehr zu beant- 
worten? Welchen Anlaß gab Ich Ihnen, mich zu 
entwürdigen, mich meiner edelsten Gefühle schö- 
men zu müssen, als seien sie ein Makel? Was habe 
Ich Ihnen angetan, daß Sie mich beiseite warfen?” 
„Ich sehe es heute ein“, sage ich, „mein Verhal- 
ten war unentschuldbar, doch bedenkenSie eines, 
ich war Jung!” „Gewiß, Herr Thomas“, höhnt Re- 
nate, und durch ihre Stimme bebt nun Zorn und 
Verachtung, „aber auch Ich war Jung. Wäre ich 
älter; mein Herz erfahrener gewesen, hätte es 
schon den Zweifel gelernt — nun Ja, was konnte 
mir dann eine üble Erfahrung noch schaden? Sie 
aber haben getötet, Herr Thomas, Getötetl Und 
nun habe Ich Im Haus zu tun.” Sie verläßt das 
Zimmer, 

Ein müder Hufschlag holpert heran, „Das Kind war 
bereits gestorben”, sagt Stumpf kurz und mit er- 
matteter Stimme. „Nun wollen wir zu Bette gehen!” 
„Ich danke dir, lieber Peter”, antworte ich, „doch 
fiel mir noch rechtzeitig ein; Ich habe dringende 
Geschäfte In der Stadt zu erledigen. Wenn ich 
losmarschiere, werde Ich die Bahn erreichen.” 
„Unsinn!” wendet Stumpf ein, „mit deinen müden 
Beinen!” „Sie sind es nicht mehr”, lüge ich, „die 
Rast hat mich gekräftigt. Es muß sein, Peter, es 
mußl” „Nun ja, wenn eine Pflicht ruft, kann man 
nicht widerraten”, meint Stumpf, „Ich würde dich 
fahren, doch brachte ich das übermüdete Rößlein 
gerade noch in seinen Stand.” Renate tritt ein. 
„Denke dir, sagt mein Freund, „Viktor will uns 
wieder verlassen. Ich kann es ihm nicht ausreden, 
in die Nacht hinauszuwandern.” Renate sieht mich 
betroffen an. Der bittere Zug weicht aus ihrer 
Miene, und der sanfte Blick ihrer Mädchenzeit 
ruht wieder milde auf mir. Ich schultere meinen 
Rucksack, greife zum Stock. Unter der Haustüre 
verabschlede Ich mich von den beiden, Stumpf 
hat sich schon der Treppe zugewandt, da fühle ich 
nochmals Renates Hand in der meinen und höre: 
„Lebe wohl, Viktor, und kehre heim in Frieden!" — 
Und nun stapfe Ich In die Nacht hinaus. Mein Fuß 
ist müde, aber mein Herz schlägt in Frohmut, als 
hätte es einen Freispruch vom Leben und jeder 
Schuld erhalten. Der Himmel funkelt vom Gewirre 
der Sterne, als silbernes Band läuft die Straße vor 
mir her. Dann nimmt mich wieder das dunkle Tor 
des Waldes auf. Wandern — wandern — heim- 
kehren! Und, wo Ich nun liegen bleibe am Rand 
der Straße, da wird es sich gut ruhen. 








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Ondulation 


(R. Ktiesch) 





„Und wie lange wird die Frisur wohl halten, lieber Mann?“ 
„Das kommt ganz auf die Leidenschaft des Herrn Gemahls an! 


Ondulazione: “E quanto mai a lungo, caro signore, durerä la pettinatura?,, 
“Eh, tutlo dipende dall’ ardore del signor consorte!,, 


191 


Der größenwahnsinnige Feuerwehrmann Churchill 


(Wilhelm Schulz) 


„Nur keine Angst! ... Sollte sich der rote Brand zu sehr ausbreiten, wird es mir ein Leichtes sein, ihn einzudämmen!" 


Churchill, il pompiere megalomane: “Nessuna paura! ... Qualora l"incendio rossosi dilatasse troppo, sar per me una bagattella |" arginarlo!,, 


192 





München, 31. März 1943 i 
48. Jahrgang / Nummer 13 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN 





Der Hausherr in Marokko 


(E. Thöny) 











„Bitte, nach Ihnen!““ — „Ach nein, bitte nach Ihnen, ich bin hier zu Hause!“ 


Il padrone di casa nel Marocco: ‘Prego, dopo di Voi!,, — "Ah no, prego dopo di V 01. Qui Il padrone di casa sono lo!,, 


Geklärte Vision - Visione chiarificata 


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„Ja, sieh mich nur an, Menschlein; ich bin eine Naturgoftheit!“ — „Danke — danke — dann wäre ich ja In diesem Fall nicht einmal betrunken!" 


"SI, guardaml pure, omieclattolo. Io sono una divinitä della natura!,, — “Grazie ... grazie ...! Allora . 


Der Kuß der Muse 


Von Alexander Keller 


Spät am Abend traf Peter Niedermoser In der 
kleinen Stadt ein. Seln Zug hatte Verspätung ge- 
habt und der Anschlußzug ging erst am nächsten 
Vormittag welter — so sah sich Peter Nieder- 
moser nach einem Zimmer um. Er war sehr Jung, 
hatte sich freiwillig gemeldet und war nun auf 
dem Wege zu seiner Abteilung Irgendwo im 
Westen. 

Der alte Bahnhofsdiener, an den er sich um 
Rat wandte, schüttelte den Kopf. „Ein Zimmer? 
Ja, Ich verstehe, Sie wollen einmal ausschlafen — 
aber, die Stadt ist sehr klein und wir mußten viele 
Leute aus den Kampfgebieten aufnehmen.” 

„Mir genügt auch die kleinste Dachkammer”, 
meinte der Junge Soldat schüchtern. . 
„Wir werden Ja sehen”, entgegnete der Alte und 
nahm Niedermoser In die Stadt mit. „Sind Sie 
noch auf der Schule oder haben Sie einen Beruf?” 
Peter Niedermoser wurde rot. „Beruf habe ich 
noch keinen”, entgegnete er verlegen, „aber... 
Ich bin — ein Dichter..." L 

„In Ihren Jahren“, meinte der alte Diener lächelnd, 
„waren wir alle Dichter. Ich habe einmal gelesen, 
daß es da eine Muse geben soll, die den wahren 
Dichter küßt — na ja, mich hat sie jedenfalls nicht 
gefunden”, setzte er lachend hinzu. 

Später, als er in einer hochgelegenen Dachkam- 
mer auf einem alten Sofa lag und schlaftrunken 


durch das Grenzland zwischen Wachen und Träu- 
men fuhr, kam Peter Niedermoser Immer wieder 
sein Gespräch mit dem alten Mann In Erinnerung. 
Selt Tagen arbeitete er an einem Gedicht, aber 
die Gedanken hatten nicht den Flug, den sie 


In der Märzenfonne 


Die Meifen piepen im Germweige, 

Ich fig! auf einem leeren Faß, 

Und während ich mich fonnmärts neige 
Denk Ich an dies und auch an das... 


Daß man die Träume noch nicht meffen 
Und nicht auf Flafchen füllen kann... 
Wie gut if’s, daß man noch vergeffen 
Und imieder neu erleben kannt 


Wie oft faß ich in Märzen=Sonne: 
Die Augen zu, gefpitt das Ohr, 
Doch heute, hier auf diefer Tonne, 
IR alles mie noch nie zuvor. 


Die Meife piept, es kräht der Hahn. 
So war's, fo ift’s, fo wird es fein: 
Jett ward mein leeres Faß zum Kahn, 
Und ich fchlaf in der Sonne ein... 


Karl Otto 
194 


In questo coso „.. lo non sarel mica ubriacol,, 


haben sollten. Wenn einen doch die Muse küßtel 
Er schloß die Augen und sah — halb schlafend — 
ein junges Mädchen, das eine lichtblaue Toga 
trug und sich über Ihn beugte... aber dann fiel 
ihm rechtzeitig ein, daß dieses Junge Mäd- 
chen gar keine Muse war, sondern ein gewisses 
Fräwtsin Friederike, das In seiner Heimatstadt 
wohnte und in dem Augenblick vielleicht an ihn 
dachte... 

„Schade“, dachte or und schlief ein. Sein Schlat 
mußte aber nicht sehr tief sein, denn plötzlich 
war er wach — nicht ganz, aber doch so weit, 
daß er alles, was um Ihn geschah, fühlte — sehen 
konnte er bei der herrschenden Finsternis nichts 
„.. Jemand stand neben seinem Sofa und beugte 
sich über Ihn... dann fühlte er, beglückt, die 
ines warmen Mädchenkörpers und wurde 
.. Sehr nachdrücklich sogar, und dann 
sagte eine gutklingende, gedämpfte Stimme: 
„Gute Nacht...“ 

„. Nacht”, murmelte Niedermoser und streckte 
sich erst einmal. Und dann flel ihm ein, daß er 
nicht allein war und erhob sich langsam. Es war 
eine wunderbare laue Sommernacht. Er ging zum 
offenen Fenster und sah hinaus. Niedermoser 
beugte sich hinaus und bemerkte, daß rund um 
das Dach ein breiter Balkon lief, wie ein Stirn- 
telfen um eine mächtige Stirne. Aber der Balkon 
war leer und der junge Soldat ging wieder in 
sein Bett. 

Am Morgen hatte er nur mehr eine ungewisse 
Erinnerung an die Ereignisse der Nacht... aber 






Karl Arnold zum Sechzigften 


{0. Gulbransson) 














a, 


— 








sstaYiewis 





\ 





Weit offen ftehn des Lebens Tore, 
Dahinter purzeln die Humore, 
die aber nur ad notam nimmt, 


wer klug durchichaut den ganzen Zimt. 


dann geschah eiwas Seltsames — plötzlich fielen 
ihm Worte ein, klingende, süße Worte, und als er 
länger nachdachte, formten sie sich zu Reimen, 
und als er zum Bahnhof ging, war das Gedicht — 
das ihn so lange gequält hatte — fertig... Er hob 
die Hand und sandte einen Gruß an die unsicht- 
bare, treue Muse... 

Zur gleichen Zeit saßen in einer Dachkammer des 


N nnen nanake un SRehzeerren. 


Er ift von diefen wenigen Einer, 

ein Kafperlestheaterfchreiner. 

Und, Herrgott, welchen Augenfchmaus 
fieht er hinein, zieht er heraus! 


gleichen Hauses, das Peter Niedermoser be- 
herbergt hatte, zwei junge Mädchen beim Früh- 
stück. Die Kammer lag am gleichen Balkon, den 
der junge Soldat in der Nacht gesehen hatte. 
„Hast du einen Schlaf gehabt“, sagte Lieselotte 
lachend, „Als ich gestern zu dir in die Kammer 
stieg und dir den Gute-Nacht-Kuß gab, hast du 
scheinbar schon geschlafen...” 


195 


Nur meiter zugegriffen, Befter, 

in Lumpen=, Spießers, Welpennefter! 
Wer fo die Nafen uns drauf ftößt, 
fest aus, erquickt, erbaut, erlöft! 


Ratatöshr 


„So? Margarete schüttelte den Kopf. „Ich war 
bis Mitternacht wach. Hast du meinen Zeltel an 
deiner Tür gefunden? Ich schrieb dir, ich hätte 
meine Kammer für eine Nacht abgeben müssen... 
ich weiß aber nicht, an wen.” 

„Du meine Güte!“ Lieselotte erstarrte. Nach einer 
Weile murmelte sie fassungslos: „Wen habe ich 
denn da gestern abend geküßt?” 


Farbensinn 


(X. Helligenstaadt) 





„Dieses bißchen Schwarz, sagt Robby, stünde mir besser zu Gesicht, als mein ganzes blaues Kleid!‘ 


Senso del colore: “Robby dice che questo po’ di nero mi converrebbe meglio al viso che non tutto il mio abito blu!,, 


196 


HANNIBALS UNTERGANG 


VON KARL TRAMM 


Nachdem Herr Dalquist den Schuppenpanzer mit 
einem Federbusch vom Staub befreit hatte, ging 
er in das Haus zurück, um die Selfenlauge anzu- 
rühren. Währenddes blieb Hannibal, das Krokodil, 
allein Im Garten. Reglos lag es da und schaute 
mit seinen glänzenden Augen aus buntem Glas 
verträumt Über den abendlichen Sund, als wäre 
es tief In Gedanken an seine morastige Urwald- 
heimat versunken. Sein fetter, narbenbedeckter 
Leib mit derf tückischen Kopf und dem gewun- 
denen Schwanz sah abenteuerlich genug aus, den 
Unvoreingenommenen beim ersten Anblick fliehen 
zu lassen, ließe nicht die nähere Betrachtung auf 
Holzwolle statt auf unersättliche Eingeweide in 
selner zugenähten Bauchhöhle schließen. So er- 
klärt es sich auch, daß Hannibal ungerührt die 
Seifenlauge über sich hinwegschäumen ließ und 
gewissermaßen ohne mit der Wimper zu zucken, 
auch die Tollettebürste ertrug, die wesentlich- 
sten Anteil an dieser sich alljährlich wieder- 
holenden Frühjahrsreinigung hatte. 

Zufrieden beobachtete Herr Dalquist, wie das 
kalte Spülwasser die letzten Schaumreste davon- 
schwemmte. „Nun, nun”, sagte er dabei begüti- 
gend, als spräche er zu einem Lebewesen, „gleich 
haben wir es ja geschafft! Schön wollen wir doch 
aussehen — nicht wahr?” 

Ja, Herr Dalquist hing voll Zärtlichkeit und Liebe 
an Hannibal. Zwar war er es nicht gewesen, der 
die Echse einst aus ihrem angestammten Schlupf- 
winkel aufgescheucht und weidgerecht erlegt 
hatte — dafür war es ihm nie vergönnt, sich als 
Großwildjäger zu betätigen, geschweige denn, je 
nilaufwärts zu fahren. Aber wenn er sie auch vor 
Jahren nur auf einer ganz simplen Auktion in 
Stockholm ersteigern konnte, so verlor sich doch 
schon sehr bald sein ganzes Herz an diesen aus- 
gestopfien Popanz, den er nach langem Grübeln 
auf den klingenden Namen „Hannibal“ taufte und 
nicht wenig stolz auf diesen Einfall war — ja, man 
wäre fası geneigt zu sagen, es war weniger das 
Krokodil selber als der Name allein, dem diese 
Liebe gebührte. Seitdem also zierte das Tier den 
Wintergarten seines Junggesellenheims und bil- 
dete im Verein mit einer Kakteen-Gruppe eine 
sinnvolle Dekoration. 

Herr Dalquist streifte seine Hemdsärmel wieder 
herunter, legte den starren Hannibal behutsam 
über zwei aufgestellte Holzböcke, damit er ab- 
tropfen und über Nacht trocknen könne, und ging 
dann In das Haus zurück. — — — 

Als er am Morgen des nächsten Tages auf die 
Terrasse trat und in den Garten hinuntersah, 
mußte er sich an den Stäben des eisernen Ge- 
länders festhalten, um nicht zu taumeln vor 
Schrecken: die beiden Holzböcke waren leor — 
Hannibal verschwunden! Fieberhaft begann Herr 
Dalquist zu suchen und zu rufen. Wie ein Besesse- 
ner durchstöberte er jeden versteckten Winkel, 
spähte unter jedes Mistbeet und benahm sich so 
verstört, daß sich einige teilnahmsvolle Nachbarn 
der Suche anschlossen. Aber es war umsonst. 
Drei Tage und drei Nächte suchte Herr Dalquist 
vergeblich, bis er es völlig erschöpft aufgab. Wie 
konnte sein Hannibal nur verschwinden, wie nur 
in aller Welt war das möglich? Hier lag ohne 
Zweifel eine Mystifikation größten Ausmaßes vor, 
das war sicher! 

Nach einer Reihe ruheloser Nächte kam Herm 
Dalquist endlich der Gedanke, eine Verlustanzeige 
in der Zeitung aufzugeben. Und so geschah es 
auch. — Der Erfolg war verblüffend! Zuerst kam 
die Feuerwehr vorgefahren und erbat sich nähere 
Informationen von ihm, dann rief der Syndikus für 
„Sicherheit und bürgerliches Wohlergehen” an 
Und teilte Herrn Dalquist In einem erregten Wort- 
schwall mit, daß er, wenn jene Bestie eine Panik 
oder gar Verheerungen unter der Bevölkerung 
Anrichte, ins Arbeitshaus käme. Ferner meldete 

















sich eine Rundfunkgesellschaft und bat ihn, einen 
kurzweiligen Vortrag über Großwildjagd im 
Schwarzen Kontinent am Mikrophon zu halten —— 
ganz zu schweigen von den unzähligen münd- 
lichen und schriftlichen Anfragen aus allen Kreisen 
der Bevölkerung und von den verschiedensten 
Instituten und Ämtern, die sich im teils weiteren, 
teils engeren Sinne mit dem Verschwinden des 
Krokodils verbunden fühlten, Erwähnt sel nur noch 
die Steuerbehörde, die Herrn Dalquist entrüstet 
sein widriges Verhalten vorhielt, das Krokodil, 
das in diesem Falle als Haustier zu werten sel, 
nicht gemeldet zu haben. Man habe behördlicher- 
seits bereits dafür etwa die fünffache Hunde- 
steuer errechnet usw, — Und so ging es fort. 

Es war nun Herrn Dalquist wirklich höchst zuwider 
und peinlich, aller Welt unermüdlich darüber Auf- 
klörung zu geben, daß es sich bei seinem Hannl- 
bal um kein lebendiges, sondern um ein ausge- 
stopftes Krokodil handle. Als ihm aber eines 
Tages der Direktor des Zoologischen Gartens per- 
sönlich seine Aufwartung machte, um mit ihm 
wertvolle Erfahrungen über die Lebensgewohn- 
heiten der Riesen-Echsen auszutauschen, da packte 
ihn das Entsetzen, und er verschanzte sich fortab 
konsequent gegen alle weiteren Annäherungen, 
die ja doch nichts Positives erbrachten. — 

So verging die Zeit und mit Ihr der Tumult, dersich 
um das Verschwinden des Krokodils Hannibal er- 
hoben hatte. Niemand sprach mehr davon, und 
selbst Herr Dalquist hatte alle Nachforschungen 
eingestellt — womit jedoch nichts über seinen 
großen Kummer gesagt ist. 

Eines Abends aber schellte es an seiner Türe. Ein 
blasser, abgehärmter Mann stand davor. Er trug 
einen kümmerlichen Bartwuchs im Gesicht, hatte 
tiefe Schatten unter den Augen und stellte sich 
mit brüchiger Stimme als ein gewisser Axel Han- 
sen vor, Ehe er sich näher erklärte, bat er Her 
Dalquist, ein wenig weiter herauszutreten und 
wies auf die Straße, wo ein kleiner Handkarren 
mit einem länglichen Etwas, in ein weißes Laken 
gehüllt, vor der Gartentür stand, 

„Machen Sie mit mir, was Sie wollen“, ächzte der 
späte Besucher, „lassen Sie mich verhaften oder 
töten Sie mich hier auf der Schwelle, es Ist ohne- 
hin einerlei. Ich bringe Ihnen Ihr Krokodil wieder, 
denn ich bin der, der es stahl — — —" 

Herrn Dalquist war zumute, als schlüge ihn Jemand 
mit einer Keule vor den Kopf. „Sie — meinen 
Hannibal — —“‘, vermochte er nur zu hauchen, 
„Ihren was? Ihren Ha — Hannibal? Ach richtig, 





APRIL 


VON PAUL VERLAINE 





Der Nordwind stürzt durch Busch und Baum, 
Sie stehn ganz schwarz, ganz grün im Raum. 
Zerstreuler Schnee friert ringsum weiß 

Auf dem besonnten Land zu Eis. 


Ein Duft steigt herb vom Waldessaum, 
Von Stimmen schallt der Himmelsraum, 
Der Turmhahn dort im Dorfe blitzt 
Grell, wenn die Wolke drüberflitzt. 


Wie köstlid aber läßt sich's gehn 
Still durch das leichte 
Das hier und dort ein Windstoß trennt. 





Vebelmehn, 


Doch pfui! Mein altes Feuer brennt! 
Und in den Hacken zwickt ein Schmerz 
April ist's! Vorwärts, altes Herz! 


Deutsch von Gerhart Haug 


197 


verstehe schon.” Herr Axel Hansen nahm Herm 
Dalquist sanft beim Arm und ließ sich mit ihm in 
der Korbstuhlgarnitur auf der Terrasse nieder. Er 
bot dem Betäubten eine billige Zigarre an, steckte 
sich selbst eine in Brand und fuhr fort: 

„Ich weiß, Herr Dalquist, in welchen Kummer ich 
Sie gestürzt habe. Ich habe mich an Ihrem Eigen- 
tum vergangen, Ich bin zum gemeinen Dieb ge- 
worden. Aber wenn ich Ihnen eben sagte, daß 
Sie mit mir machen könnten, was Ihnen beliebt, 
so ersehen Sie bitte daraus, daß es für mich keine 
Freuden mehr gibt auf dieser Welt. Zwar gab es 
eine Zeit, In der ich glaubte, das Verhängnis ban- 
nen zu können — die Zeit nämlich, wo Ich Ihr 
Krokodil stahl — — aber —" 

„Erzählen Sie weiter, Hansen!” sagte Herr Dal- 
quist barsch, denn er hatte sich Inzwischen wie- 
der sammeln können. „Wozu haben Sie meinen 
Hannibal mißbraucht!” 

Wie aus einem tiefen Traum schrak Herr Axel 
Hansen empor. 

„Mißbraucht — je, das ist der richtige Ausdruck.” 
Und nach einer kurzen Pause: „Sie haben ein 
Recht daran, meine Geschichte zu hören, besser 
gesagt: die Geschichte Ihres Krokodils. — Sehen 
Sie, ich bin ein friedlicher Mann und bewohne 
nicht welt von hier ein kleines Haus mit einem 
Garten, in dem ich meinen Kohl baue. Und da ich 
glücklich verheiratet bin und auch Familie habe, 
fehlt es mir an nichts. Es fehlt‘ mir auch nicht an 
einer gewissen Großtante Emma — und diese 
eben ist es, Tante Emmal” Schmerzlich rief er 
diesen Namen aus, um ertegier fortzufahren: 
„Herr, ersparen Sie mir die Beschreibung dieser 
Verwandten und begnügen Sie sich mit dem Wis- 
sen, daß Tante Emma uns alle vier Wochen be- 
suchen kommt, um uns zu terrorisieren — je, uns 
zu terrorisiereni Was Ihrer Hökernase entgeht. 
das erspähen ihre Falkenaugen, und Dinge, die 
man gemeinhin unausgesprochen läßt, sind auf 
ihrer spitzen Zunge gewissermaßen zu Hause, — 
Aber zur Sache: Eines Tages, vor gar nicht langer 
Zeit, hatte sich Tante Emma wieder einmal an- 
gemeldet. Ich fühlte, daß ich ihren Besuch nicht 
mehr ertragen würde und daß dieses Mal eiwas 
geschehen mußte, ganz gleich, was. Es war am 
Vorabend ihres Erscheinens, als ich mehr im 
Schmerz als in Gedanken versunken nicht des 
Weges achtete und zufällig an Ihrem Garten vor- 
überkam. Wie es geschah, weiß ich heute nicht 
mehr zu sagen, jedenfalls kam mir mit dem An- 
blick Ihres Krokodils eine Idee, die mich sofort 
ganz erfüllte und die mir mein Rettungsanker 
schien. Wie qualvoll langsam verstrich die Zeit, bis 
es völlig Nacht wurde und die Finsternis mein Tun 
bemönteltel Gerungen habe Ich mit mir und alle 
guten Geister beschworen, mich doch zu bewah- 
ren! Zu sehr aber schmeichelte mir der Böse. 
Tante Emma oder das Krokodil — das war hier 
die Fragel So stahl ich Ihr Krokodil und trug es 
auf dem Rücken nach Hause.” 

„Welterl“ befahl Herr Dalquist kurz, als der Gast 
innehielt. 

„)d, weiter“, echote Herr Axel Hansen dumpf und 
fuhr nach einigen Seufzern fort: „Der schmale 
Weg von meiner Gartentür bis zum Haus ist mit 
herrlichem Rhabarber eingefaßt, die einen Üppl- 
gen Blattwuchs entfalten. Unter eine dieser 
Pflanzen postierte ich das Krokodil derart, daß es 
verwegen und zähnebleckend mit seiner spitzen 
Schnauze darunter hervorlugte und jedem unvor- 
bereiteten Besucher, der da vorüberging, Angst 
und Schrecken einflößen mußte. Da ich ganz sicher 
gehen wollte, machte ich zuvor einen Versuch 
am lebenden Objekt. Zwar war es unglücklicher- 
welse der Geldbriefträger, der schreiend wieder 
davonlief, als er nichtsahnend durch den Garten 
auf unser Haus zuschreiten wollte; immerhin aber 
gab mir dieses Beispiel genügend Mut für meinen 
Plan. Ich rechnete dann aus, wann der Zug mit 
Tante Emma eintreffen müßte, wie lange sie vom 
Bahnhof zu gehen hätte, wann sie bei uns sein 
könnte. Ja, und dann erschien sie plötzlich vor 
der Gartentür. Noch heute sehe ich ihre hagere 
Gestalt auftauchen, das ziegelrote Sommerkleid, 


Der Bundesgenosse - L’alleato 


(6. Brinkmann) 





„Schreiben doch diese Engländer, wir würden die Hände nach ihnen ausstrecken! !"* 


*Scrivono pure questi Inglesl che noi stenderemmo le manl verso loro!!,, 


den knallgelben Strohhut, die funkelnden Brillen- 
gläser, das ewig mahlende Gebiß — — —.” Herr 
Hansen schlug seine Hand vor die Augen. „Die 
ganze Familie stand hinter der Gardine und 
schaute dem Schicksal, das sich gleich an Tante 
Emma erfüllen sollte, zu. Jetzt trat sie durch die 
Gartentür, ein paar Schritte — — nun mußte sie 
der Bestie ganz nahe sein — dal — erstarrt 
hemmte sie Ihren Fuß, fixlerte das Ungetüm scharf, 
und — ein Lächeln verzerrte ihre Zügel In diesem 
Moment wußte Ich, daß sich das Schicksal gegen 
mich entschieden hatte. Das Krokodil hatte ver- 
sagt, über mir schritt das Verhängnis hinweg — 
ich lag zermalmt am Boden. Was weiter geschah? 
Wir beobachteten, wie Tante Emma ihrer großen 
Handtasche einige Stückchen Zucker entnahm, sie 
dem Tier vor die Schnauze warf und dabei mit 
ihren spitzen Lippen süßlich flötete, als sei sie 
des Teufels Urgroßmutter, die eine arme Seele 
lockt, selber. Mich, der ich geglaubt hatte, Tante 
Emma unverzeihlich schrecken zu können und sie 
auf Nimmerwiedersehen laufen zu machen, hielt 
es nun nicht länger und ich trat aus der Haustür. 

‚Aaahl‘ rief sie mir entgegen, ‚wie schadel Ich 
dachte, das Krokodil sei lebendi Aber es ist auch 
so ein teizender Einfall von dir, mein lieber Axel, 
den ich dir nie zugetraut hätte. Ich schwärme ja 
so für das Exotische — —I' Ja‘, erwiderte ich 
verkrampft, ‚Ich habe mich eben bemüht, deinen 
Geschmack zu treffen, liebe Tante. Ich will jetzt 


den ganzen Garten mit ausgestopften Tieren be- 
völkern; in vierzehn Tagen bekomme ich einen 
präparlerten Elefanten.‘ Keine Spur davon, daß sie 
sich abgestoßen fühlte. Im Gegenteil: sie glühte 
förmlich vor Begeisterung und war freimütig 
genug, zu bekennen, daß sie gerade vorgehabt 
hätte, uns nicht mehr so oft zu besuchen, da wir 
ihr zu langweilig und zu bäurisch vorkämen. Nach 
diesen reizendenEinfällen jedoch, die ja geradezu 
Ins Exzentrische gingen, fühle sie sich mehr denn 
je zu uns hingezogen. — Am Abend unternahm 
ich noch einen letzten schwachen Versuch, indem 
ich ihr gestand, das Krokodil hätte Ich auf den 
Namen ‚Emma’ getauft — was sie aber nicht im 
mindesten kränkte, sondern sich im Gegenteil als 
eine besondere Auszeichnung anrechnete — —." 
Hier brach Herr Axel Hansen ab und begann zu 
schluchzen. Er bot einen mitleiderregenden An- 
blick. Nach einer Weile erhob sich Herr Dalquist 
und fragte rauh: „Wie sagten Sie? Wie haben Sie 
mein Krokodil getauft? Emma??' Herr Hansen 
nickte stumm, „Es ist gut’, sagte Herr Dalquist; 
und nach einer kurzen Pause: „Sie können jetzt 
gehen — lassen Sie mich allein. Übrigens schenke 
ich Ihnen Ihre Freiheit.” — 

Die ganze Nacht verbrachte Herr Dalquist vor dem 
Krokodil, als hielte er stumme Zwiesprache mit 
ihm. Hin und wieder schüttelte er heftig den 
Kopf, als wollte er einen Gedanken gewaltsam 
verscheuchen. Dann wieder begann er zu mur- 


198 


meln und erregt auf und nieder zu gehen, als 
kämpfe er mit einem Entschluß. Endlich, es ging 
schon auf den Morgen zu, gab er sich einen Ruck, 
stellte sich aufrecht vor das Krokodil hin und 
zelebrierte mit fester Stimme: „Hannibal, man hat 
dich geschändetl Einen heroischen Namen gab ich 
dir — nach einer Tante aber hat man dich ‚Emma’ 
geheißen. Nie würde ich das verwinden können, 
niel Du mein alter, stummer Gefährte, du Opfer 
einer bösen Tat: wir müssen uns trennen!“ 

Nach dieser seltsamen Ansprache trug Herr Dal- 
quist den ehemaligen Hannibal hinunter In den 
‚Garten, schnitt ihm mit einer großen Papierschere 
den vergilbten Bauch auf, entfernte die Holzwolle 
daraus und tat Steine, schwere und leichte, wie 
er sie gerade fand, dafür wieder hinein. Beide 
hielten sich gut bei dieser Prozedur, Herr Dal- 
quist und Hannibal. Zwar ging ersterer außer- 
ordentlich bleich zu Werke, Hannibal aber be- 
währte sein kaltes Lächeln in den faltigen Mund- 
winkeln, was dort festgefroren schien — selbst 
als man ihm den Bauch öffnete und er die nacht- 
kalten Steine in sich aufnehmen mußte. Darauf 
schleppte Herr Dalquist den innerlich Umgewan- 
delten zum Sund und ließ Ihn an einer tiefen Stelle 
von einem-felsigen Stein ins Wasser gleiten, 
worin er alsbald versank. 

So ging Hannibal unter, Im Osten aber erhob sich 
strahlend die Sonne und vergoldete die kleinen 
Wellen. 











Der temperamentvolle Wagen 





Si ch 


SS 
7 








Teufel 


Pierpont Morgan beim 








(Erich Schliling) 


„Kinder habt Ehrfurcht vor ihm, er ist einer der Hauptanstifter von zwei Weltkriegen!" 


Pierpont Morgan dal diavolo: “Ragazzl, rispettatelo! Egli & uno del capi Istigatorl di due guerre mondlali!,, 


VERLORENES GLÜCK 


Kunstmaler Emaillus Fingerhut hatte eine Winter- 
landschaft ausgestellt. Motiv: Tiefverschneites 
Barock-Parktor eines alten Schlosses. Alles sehr 
naturalistisch und so haarscharf gezeichnet und 
gemalt, wie es Balthasar Neumann vor 200 Jahren 
entworfen und der liebe Gott vor wenigen Tagen 
mit großen weißen Hauben versehen hatte. 


In diesem Schlosse war kurz vorher ein lohnender 
Einbruchsdiebstahl verübt worden. 

Um das wenig freudige Ereignis auch auf dem 
Bilde anzudeuten, hatte Emalllus Fingerhut eine 
vom Dieb verlorene goldene Kette in eleganten 
Schnörkeln In den Schnee gemalt. Da dem 
phantasiebegabten Malersmann bei der eingebil- 
deten Ritterkette das sagenhafte „Glück von 
Edenhall”” vorschwebte, nannte er das Ganze 


200 


„Verlorenes Glück”. — Bald darauf erschien fol- 
gende Zeitungsnotiz: „Der Einbrecher ist nach 
dem Gemälde ‚Verlorenes Glück‘ von Emaillus 
Fingerhut ermittelt worden. Der Täter hatte in den 
frischgefallenen Schnee seine Notdurft verrichtet 
und konnte auf Grund seiner dabei auf dem Bilde 
festgehaltenen Linienführung, verglichen mit sel- 
ner Handschrift, überführt werden.” 
Dehler. 








Deckeltrick bei Milei-Suppe 


Kohlenklau ist 


5 
Taps, tapt, tapt... © 
in der Küche, Ah, da kocht eine 
mit MilelG gebundene Suppe. Fluge 
nimmt er den Deckel runteı 
t Gasverschwendung, Nähr- 
‚tahl, Aromaverlust.— Mo 
tal: Gut pamsender Deckel gehört 

auf jeden Kochtopfl 


Milei 


ustauschstoff 





Ein Schuster kann zwar Schuhe, auf denen man + Jahre ge- 
laufen ist, sefort erneuern. Ein Arzt aber kann nicht in 5 Tagen 
wieder gut machen, was dem Körper in 5 Jahren angetan wurde, 


Triton 










Mit Tropon-Präfparaten haushalten 




















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SCHERZO 


VON PETER SCHER 


Es muß vorausgeschickt werden, daß der ange- 
graute Herr ein ungewöhnlich gut aussehender 
angegrauter Herr von der Art war, wie sie auch 
im besten Hotel einem Zimmermädchen nur ganz 
solten vor Augen kommen mögen. 

Vielleicht ein Filmschauspieler? dachte das Zim 
mermädchen, das hübscher und zum mindesten 
frischer war, als selbst der berühmteste Filmheld 
je eins zu Gesicht bekommen haben mochte, 
Was nun erzählt wird, war wiederum eine Ange- 
legenheit mit allen Voraussetzungen zu nicht all- 
täglichem Geschehen. 

Der graumelierte Herr war ein Frühaufsteher und 
wünschte schon zu einer Zeit, da aus naheliegen- 


den Gründen noch kein heißes Wasser aus den 
Röhren strömen konnte, dennoch solches zum 
Rasieren. 

So brachte also das Mädchen am Morgen nach 
seiner Ankunft -im Hotel in aller Frühe einen 
großen Krug mit heißem Wasser aus der Küche in 
das Zimmer. 

Als es eintrat, stand der Herr schon vor dem Spie- 
gel, aus dem sein von der Rasierlampe bestrahl- 
tes Gesicht wie ein schönes Bild herausblickte 
und das Mädchen mit einem so liebenswerten 
Ausdruck von Bewunderung umfaßte, daß es plötz- 
lich errötete, als es das Wasser in das Becken 
goß. 

„Mein schönes Kind”, sagte der grauhaarige Herr, 
„ich bin trostlos, daß ich mich Ihnen nicht so jung 
und so verwegen präsentieren kann, wie ich ein- 
mal warl“ 

Hier hielt er raffiniert einen Augenblick Inne, dann 
fuhr er um so wirkungsvoller fort: „Im anderen 





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„Was denn?” fragte das reizende Mädchen naiv, 
aber merklich doch von einer Ahnung gekitzelt. 
Der ungewöhnlich gut aussehende ältere Harr 
lächelte verschmitzt und erwiderte: „Ich würde 
es schamlos ausgenützt haben, daß Sie keine 
Hand frei hatten!" 

„Würden Sie? Wie denn —?" fragte das Mäd- 
chen unsicher, mit einem leichten Beben in der 
Stimme. 

„Oh“, sagte der Herr fröhlich, „ich wäre imstande 
gewesen... doch davon spricht man nicht... so 
etwa hätte ich es gemacht ...” 

Und er umschloß ihr hübsches Gesicht mit belden 
Händen, die das reizende Oval nun wie eine 
Schale umfangen hielten. 

„Und so — und so —I" fuhr er fort, indem er mit 
seinem Mund zwel-, dreimal zart den ihren streifte, 
worüber ihr ganzes Gesicht, sprachlos der spie- 





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202 


ienden Anmut ausgeliefert, mit der dieser Mann 
alles vollsrachte, in flammendem Rot erglühte, 
doch keineswegs aus Entrüstung. 

Seine Heiterkeit wirkte indessen ansteckend und 
so sagte sie nach einer kleinen Atempause in 
entzückender Mischung von Zurechtweisung und 
Lustigkeit: „Würden Sie das wirklich getan haben, 
wenn Sie noch so jung und so frech wären wie 
früher?” 

„So wahr ich hier stehel” erwiderte er hingerissen 
von der Heiterkeit des Augenblicks. „Ja, ja, ich 
wäre vielleicht gar so unverschämt gewesen, es 
zu wiederholen... so. . sehen Sie,,. so —I' 
Und er küßte sie abermals. 

Nun schien es Ihr aber doch klar zu werden, daß 
hler nicht lediglich ein etwaiger Fall demonstriert 
oder illustriert, sondern doch schon mehr ein 
richtiges Geschehen getätigt worden war, und so 
entlief sie, den Krug in den Händen, mit einem 
nicht allzu entrüstet klingenden Gekicher. 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


0. Nückel) 





Grat Bobby ging als Göd. Stolz trug er sein 
Patenkind zur Taufe in den Stephansdom. Hoch- 
würden betrachtete verwundert den Täufling 
„Für ein neugeborenes Kind ist der Kleine abeı 
über die Maßen groß“, sagte er verwundert. 
Graf Bobby erschrak: „Mein Gott! Jetzt habe ich 
in der Aufregung den Vorjährigen erwischt!” 
I.H.R. 


Am Aschermittwoch — In tlefsten Friedenszeiten 
— saß die Vorstandschaft einer Münchener 
Künstlervereinigung mit dicken Köpfen bel- 
sammen. 
„Was habt’s denn?” fragte eintretend der dicke 
Bildhauer G. 
„A Defizit hammal” 
„Dös macht dech nix — dos vasauf mal” 
H. W. G. 
* 


Heute genügt oft ein Glaserl Wein auf nüchter- 
nen Magen. Wir hatten vier getrunken und gingen 
über den Stephansplatz. Vor dem Stock im Eisen 
blieb mein Freund stehen, gab mir seinen Mantel 
zum Halten, trat zum Postkasterl, warf zehn Pfen- 
nige hinein und schaute auf die Turmuhr und 
seufzte: 

„Jessas! Jessas! Schon wieder zwei Kilo abge- 
nommen!” IHR 





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T sreckbrief 


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BAROCK 


VON SCHLEHDORN 


Der heute SOjährige Dichter Klaus Kleinpiepel 
wurde interviewt. 

Als es klingelte, hatte er sich schnell die legere 
Samtjacke angezogen, in der er sich bei der Ar- 
beit überraschen zu lassen pflegte. „...entgegen- 
zitterte”, diktierte er laut, als der Besucher ein- 
trat, „...entgegenzitterte“, wiederholte Fräulein 
Blechpfennig an der Maschine mit gleichmütiger 
Stimme. Dann nahm sie die Brille von der zu 
großen Nase und ging hinaus, 

Vom Arbeitsraum des Dichters sieht man auf die 
Kanalstraße; gegenüber liegt die 63. Gemeinde- 
schule,, daneben ein Standesamt und dann eine 
kleine Leihbibliothek. 

„Dort werden sie groß, dort pflanzen sie sich 
fort, und dort lebt der Geist weiter (für 20 Pfennig 
Leihgebühr pro Woche)”, erklärte der Jubllar. 
„Sehen Sie, Dichter sein heißt; Beziehungen fin- 
den, wo eigentlich keine sind. ‘Und von zarten 
Beziehungen reden, die einmal waren oder nicht 
waren. So entsteht der Liebesroman... Dichter 
sein heißt: die Großen der Geschichte klein 
zeigen und deren kleine Geschichten groß. So 
entsteht der historische Roman.” 

Auf Befragen berichtete Kleinplepel über sich 
selbst: „Wir entstammen einem alten Patrizier- 
geschlecht, wahrscheinlich haben wir einmal 
Großpopel geheißen. Ich habe mich aus eigener 
Kraft hochgearbeitet, obwohl ich auf der Schule 
nur eine 3 in Geschichte hatte, Heute kommt es 
mir auf eine Unterhaltung zwischen Talleyrand, 
Tell und Nofretete nicht mehr an.” „Und woran”, 
forschte der Ausfragerich (Interviewer), „arbeiten 
Sie zur Zeit? — „Mein nächster Roman telt 
sich: ‚Eine Frau erlebt August den Starke: _ 
„Oh, wie neul” — „Ja, neu — Ich habe eine ge- 
funden, die noch nicht beschrieben ist. Wenn es 
gefällig Ist, treten Sie mit mir in däs barocke Lust- 
schloß am Elbufer ein. Gebaut von Longuelune, 
die Decken bemalt mit viel Mythologie und wenig 
Gewändern von L. de Silvestre. Uber der Tür 
laden die gereimten Alexandriner ein: 












Säh’ sle’s von innewend’g, 
selbst Venus würd‘ es loben, 
Man möchte sprechen: 
Mensch, die Pracht ist nicht zu glauben. 


Wir gelangen natürlich gleich In ein Schlafgomach. 
Auf dem Deckengemälde füllt Venus den Köcher 
von Cupido neu. Die Wände sind mit schwellen- 
der lachsrosa Seide bespannt, Boullemöbel — 
natürlich — bilden die Einrichtung. Selbst unterm 
Bett steht eine Jaspisschale, mit einem Henkel 
aus blutroten Rubinen. 

In diesem Bett, das mit Daunen hochgemästeter 
Gänse gostopft war und dessen Decke Seide war 
und Brokat, und alles mit Hohlsaum — nein, hier 
hat mich die Dame an der Schreibmaschine be- 
tichtigt — also einfach Brokat, genügt ja auch — 
ruhte Euphrosyne. Ihr linkes Bein, nur halb be- 
deckt, zeigte die zartrosa Tönungen Kändlerschen 
Porzellans. Das rechte war zweifellos ähnlich und 
so fort... Eigentlich wollte ich das Ganze In 
‚Alexandrinern schreiben. Also etwa: 


August der Starke naht, — 

sie möchte sich verkriechen, 
Es wogt die bange Brust 

in dito Atemzügen. 
‚Ach, renvoyieret mich, 

ich bin ein braves Mädchen.‘ 
‚Dianen gleichst du ganz, 

die wir zum Fest benötigen. 
Herkulisch wallt mein Blut 

in den barocken Adern. 
Ich setz’ mich auf dein Bett, 

dann könn’ wir 'n bißchen plaudern.‘ 


Damit setzte sich August der Starke auf die Bett- 
kante, und während er Ihr von dem Fest erzählte, 
wo er als Jupiter und-sie als Diana erscheinen 
würden, dazu Nymphen, Najaden, na ja und so, — 
griff er in die breitgeschnittene Tasche seines 
brokatenen, mit 1193 Saphieren übersäten Staats- 
rockes (ponceaurot mit veilchenfarbenen Aufschlä- 
gen) und ließ dann eine Handvoll Perlenketien in 
ihre abwehrend erhobenen Händchen gleiten. Es 
waren Rosöperlen von der Größe zwischen Tau- 
ben- und Hühnereiern, seine größten waren be- 
kanntlich wie Straußenei aber auch diese hat- 
ten schon Lustre genug, eine schönheitsdurstige 
Seele lüstern zu machen. 

Dann trat er heraus an das Geländer des Altans, 
riß nachlässig drei bronzene Gitterstäbe heraus 
und flocht sle mit seinen riesenstarken Fingern zu 
Zöpfchen. Das Ist die Seelenstärke, die nicht nur 
bei dem schwachen Geschlecht den Sieg gewinnt. 
Und nun kam er ihr näher, schritt-weis im-mer 
nä-her — und sagte gemütlich: ‚Heute nachmittag 
machen wir nach Pillnitz eine olympisch-dämo- 
nisch-bucolische Wasserfahrt, Au revolr, schöne 
Diana.’ 

So also sieht eine Illegitime Verlobung aus, dachte 
sich Euphrosyne...” 

„Nicht wahr“, unterbrach sich der Dichter, „Ich 
habe den König doch sehr menschlich gezeich- 
net, Vielleicht hat August der Starke in manchem 
anders empfunden als Kleinpiepel. Hören Sie 
weiter: 

Nachmittags auf der Elbe. — Loschwitz, Johann- 
stadt, Waldschlößchen zogen langsam an dem 
Dampfboot vorüber, das, schwer vergoldet, mit 
‚schwarzen Diamanten’ geheizt, den König trug 
und selne neue Gunstdame, Sie saß und schüt- 
telte, wie es damals so üblich war, Diamanten 
durch ein goldenes Sieb, dessen Maschen nur 
Steine über acht Karat hielten — die anderen 
fielen in die Elbe, 

‚Warum schneidet man nicht die großen Steine 
durch, damit die kleinen Leute auch welche krie- 
gen?‘ fragte Euphrosyne gutherzig. 

‚Weil sie dann beim Schütteln auch durch die 
Maschen fallen würden‘, erwiderte August der 
Starke, Er saß derweile und rollte spielerisch 
Teller auf, goldene und silberne abwechselnd, 
und warf die Röhren in die Ecke. 

‚Wieviel Pferdekräfte haben Sie eigentlich, August 
der Starke?‘, fragte Euphrosyne. Der schüttelte 
geschmeichelt die Allongeperücke, im Hoch- 
barock ließ man sich willig bewundern. 

Dann erzählte er ihr von dem Fest, das er nächste 
Woche zu Ehren des Jungen Friedrich des Großen 
(zur Zeit sei er freilich noch Kronprinz) geben 
wolle. Im Zwinger, den Poeppelmann auf drei 
Seiten fertig gebaut hatte, die vierte war eine 
hölzerne Tribüne, gedachte er Lebewesen ver- 
schiedenster Art, Löwen, Eber, Pferde, Hunde und 
sogar leibhaftige Allen aufeinander zu hetzen; 
die sollten brüllen und bellen und einander fres- 
sen, wie im schönsten Parlamentarismus. Aber sie 
fraßen sich In Wirklichkeit meistens nicht. Und 
die Bevölkerung von Dresden, darunter äußerst 
zahlreiche Pensionäre, würden zusehen und wis- 
sen, daß Zusehen beinah so viel Ist wie Haben. 
Das gilt besonders beim Feuerwerk. Dann sprach 
August der Starke im Anschluß an seine Briefe 
und Tagebücher noch treffliche Worte über Sin- 
nenlust und große Politik... 

Nächstes Kapitel. . 

Am folgenden Abend lag Euphrosyne wieder in 
dem Großraumbett und — um die Wahrheit zu 
sagen — wartete. August der Starke war noch 
durch die vorige Affäre aufgehalten. 

Da hörte sie ein Geräusch und eine Stimme aus 
dem Dunkeln. Die konnte nur von dem kleinen 
Mohren Mirkhän yed Rämäl kommen, den ihr der 
König gestern geschenkt hatte (wer sprach hier 
sonst solchen Dialekt?). Mirkhän war schwarz wie 
Schokolade bei Nacht und, soweit sich das 














204 


nach einem Tag beurteilen ließ, sehr anhänglich. 
‚Scha—äde‘, sagte er, ‚auch für Sie wird es nicht 
lange dauern. Aurora von Königsmarck Ist mit 
ihrem Temperament wie Champagner verschäumt. 
Kaum ein Jahr, nachdem sie den Marechal de 
Saxe geboren, fühlte sie sich Abtissin und ging 
nach Quedlinburg. Die Gräfin Cosel wollte In den 
acht Jahren ihrer Regierung allzu sichtlich den 
Herrscher beherrschen, und — es war die Zeit der 
Alchemisten — mit der Säure der Eifersucht das 
Gold seiner Treue herausdestillieren. Aber Eifer- 
sucht — ich weiß das von meinem Couleurbruder 
Othello — ist eine Krankheit der Liebe; Illegitime 
Eifersucht ist Ihre tödliche Krankheit. Und nun 
wird die arme Gräfin Cosel bis zu ihrem 85. Jahr 
In Schloß Stolpen sitzen bleiben. Die meisten an- 
deren sind durch ihre Liebe nicht einmal historisch 
geworden. Später werden dann die Leute nach 
Dresden reisen und bewundern, was August der 
Starke geschaffen, und mißbilligen, was er nicht 
unterlassen hat. Der reisende Ehemann wird den 
Kopf schütteln: Nein, nein, wie konnte er das nur. 
Und seine Frau wird fragen: Wieviele, meinst du 
wohl, daß es im ganzen genau gewesen sind, 
Gustav? 

‚Als Hofmohr’, fuhr Mirkhän fort, ‚war ich zur In- 
diskretion verdammt: Ich habe soviel als Schwarz- 
hörer gesehen, daß ich Jetzt zu den Schwarz- 
sehern gehöre. 

Und dann erzählte er ihr zur Abschreckung alle 
die Liebesgeschichten, eine nach der anderen. 
Mit der Darstellungsglut von Tausendundeiner 
Nacht. Es war ein ganzes Tagebuch von Nächten, 
Und als er fertig war, seufzte Euphrosyne; 

‚Ich wollt‘, er käme endlich!‘ 

Da schlug die Spieluhr auf dem massivgoldenen 
Kamin neun — Dinglinger selbst hatte ihrGehäuse 
mit 937 Edelsteinen geschmückt, und sie klang wie 
sein Name. Der kleine Mohr sprang vom Kamin 
herunter — er hatte da zwischen dem Rauchver- 
zehrer und dem Radio gesessen —, knipste das 
Licht an, zog dann die Stores zurück, — draußen 
lag Dresden von der Elbe bis zum Bahnhof im 
Glanz der massivgoldenen Sonne — und während 
er sich an dem saphirmen Steckkontakt der Tee- 
maschine und des Toaströsters zu schaffen machte, 
seufzt ‚Sie tun mir leid bis In meine schwarze 
Seele hinein.‘ f 

‚Ich mir auch, Mirkhän’, sagte sie. ‚Aber da ist 
nichts zu machen, Als ich ihn sah, fühlte ich mich 
geröntgt von seinem Blick, meine Pulse gingen 
auf Touren und der bewußte elektrische Funke 
sprang Über. Männer mit Erfolg sind noch gefähr- 
licher als Frauen ohne Grundsätze, Und woher 
sollte ich bei meiner Jugend Grundsätze nehmen? 
— Mein Unterbewußtsein sagt mir..,'” 
„Pardon“, unterbrach der Besucher die Vorlesung, 
„das Ist eln Anachronismus. Unterbewußtsein gab 
es damals noch nicht, das hat erst die moderne 
Psychologie erfunden.” 

„Alle Geschichisschreibung ist anachronistisch”, 
erwiderte der Dichter, „im Grunde sind allein die 
Autobiographien historisch wahr — und die sind 
immer gelogen. 

Man muß sich nur in die Zeit dichterlsch hinein- 
denken. Ich fühle mich ganz August der Starke, 
Ich rolle Teller, wenn auch nur Pappteller. Trage 
zu meinen Ringen auch noch die von meiner Frau. 
Und habe zu diesem Roman schon die dritte Se- 
kretärin (zweien war er zu aufregend). Innerlich 
nenne Ich Fräulein Blechpfennig aufgewertet 
Königsmarck. Außerlich denke ich sie mir, wenn 
ich die Augen schließe, verlockend jung und be- 
rauschend schön, in schwellenden Gewändern und 
mit Diademen, Colliers und Agraffen — Agraffen, 
sag ich Ihnen... Ich sammle imaginäre Edelsteine, 
Das Grüne Gewölbe ist dagegen ein Ausverkauf, 
Sehen Sie, so innerlich reich sind wir Dichter. 
Dann schloß mit vielem Händegeschüttel Klein- 
piepels Interview. 

















Zustände (0. Gulbransson) 





„Stell dir vor, Genosse Iwan, in Deutschland gibt es keine Maniküre mehr!“ 
„Schrecklich, schrecklich! Übrigens wie schmeckt eigentlich das Zeug?“ 


Che situazione: 'Pensa un po’, compagno Iwan, in Germania non c' & piö la manicurel,, 
“Cosa orribile, orribile! ... Del resto che sapore ha In realtä questa roba},, 


205 


DAS VER FIERSTIESSIEHIVVIERTT 


Um die Jahrhundertwende war der Dienst in der 
k. u. k. österreichischen Armee von mehr oder 
minder schweren Gefechten auf dem Gebiete der 
Dienstvorschriften ausgefüllt. Besonders Junge Of- 
liziere standen stets auf dem Kriegsfuße mit dem 
Reglement, während die höheren Dienstgrade 
sich in der Handhabung und Auslegung der heill- 
‚gen Dienstbücher nicht genug zugute haben konn- 
ten. Ein solcher Kampf fand in einer kleinen, ge- 
ruhsamen Provinzgarmison an dem außergewöhn- 
lich heißen Sommernachmittag des 15. August des 
Jahres 1911 in der Zeit von 14 Uhr 35 bis 15 Uhr 17 
statt, 

Leutnant Wendlon knüpfte rasch seine Bluse zu, 
setzte die Kappe auf, um — husch, husch — zu 
seinem Jahrgangskameraden Fritz zu eilen und ihn 
in einer jenen nichtigen Wichtigkeit um Rat zu 
fragen, wie sie ein Leutnantsherz bewegten. 
Pferdeangelegenheiten, Liebessorgen oder gar 
der Kummer kleiner Schulden. War es die Schwere 
des Problemes oder nur der hitzig sengende Tag: 
Wendlon hatte den Säbel vergessen. Dies aber 
wurde ihm erst bewußt, als er In Sicht der Villa 
des „Alten, des Oberst, war. Aber leichtsinnig, 
wie Leutnants schon einmal sind, er machte nicht 
etwa kehrt, um sich mit dem Zeichen der Wehr- 
haftigkeit zu umgürten, Da das Haus rechter Hand 
blieb und er außerdem Im stillen annahm, daß der 
Gewaltige sein wohlverdientes Mittagsschläfchen 
halte, hoffte er, unbehelligt vorbeizukommen. 
Doch der Gefürchtete schlief keineswegs, son- 
dern war sich seiner hohen Aufgabe wohl be- 
wußt. An Hand der Karten der Umgebung ent- 


(H. V. Viorthaler t) $ 





» 
WIERTWALES 


re 


„Sieh doch, mein Lieber, wie alles schon grünt 
und blüht!“ — „Seh’ ich, seh’ ich, aber darüber 
läßt sich später immer noch reden!" ? 


"Ma guarda un po", mio caro, come tutlo giä verdeggia 
e fioriseel,, — "Eh veggo, veggo, sl; ma di questo si 
poträ sempre discorrere- piö tardi!,, 


VON L HULEK 


wickelte er gerade das nächste Kriegssplel. Das 
Thema sollte diesmal knifflig werden, erforderte 
also besondere Geistesanstrengung. Was tut ein 
k. u. k. Oberst, wenn er Intensiv nachdenkt? Er 
geht auf und ab, dreht sich eine Zigarette und 
sieht zwischendurch zum Fenster hinaus. Und 
schon »zappelte Wendion auf der Netzhaut des 
scharfen Adlerauges. 

„Herr Leutnant Wendlon, ich bitte Sie einen 
Augenblick zu mir‘ Wendlon, der waffen- und 
wehrlose, hörte die scharfe Stimme des Herrm 
und seine Halsschlagader gegen den Leutnants- 
stern klopfen. Er sah sich schon — verdammt bei 
den schönen Tagen — im Stubenarrest vom 
Höchstausmaß, die Adjustierungsvorschriiten hand- 
schriftlich ins Reine schreiben. Es wurde ihm 
rasch abwechselnd kalt und heiß, sonderlich in 
der kühlen dämmrigen Diele, wo ihm etwas Blit- 
zendes entgegenleuchtete. Das Kriegsschwert des 
Furchtbaren. Nein, Wendlon war nur leichtsinnig, 
aber kein Verbrecher am fremden Eigentum, Es 
waren nicht Wendlons Hände, sondern die seines 
guten Schutzengels, die nun folgendes taten: Die 
blanke Waffe an sich zu reißen und sie sich um- 
zuhängen. 

Wohl gerüstet führte ihn dann sein guter Geist in 
das Arbeitszimmer, beziehungsweise die Wandel- 
halle des Obristen, nicht ohne Ihm vorher die 
Kummerfalten in ein strahlendes Antlitz zu ver- 
wandeln und hieß ihn sich besonders zackig zu 
melden. Ein stummer Oberst ist vor einem Leut- 
nant eine komische Figur, ein gelstesgegenwär- 
tiger jedoch hat Immer noch Anspruch, in der 
Kriegsgeschichte lobend erwähnt zu werden. Dar- 
um sagte der Alte nach ganz kurzer Wortpause: 
„Ich möchte Sie für den nächsten Mittwoch um 
8 Uhr zu einem bescheidenen Abendbrot und 
einer anschließenden Bridgepartie bitten.” 

Der Schutzengel nahm Wendlon In der Diele die 
gefährliche Stahlklinge wieder ab und versetzte 
ihm einen Stoß, daß der Schützling wie aus einer 
Pistole geschossen aus dem Haustor flog. Der 
strenge, aber gerechte Chef hingegen wollte dem 
forschen Marsjünger noch einen wohlwollenden 
Blick nachsenden, konnte ihn aber nicht erblicken, 
denn er bemerkte zu seiner Überraschung vor 
seinem Haustor einen friedfertigen, wehrlosen, 
hopsenden Derwisch in Dragoneruniform! Trotz- 
dem scheint er Ihn mit einem Leutnant verwech- 
selt zu haben, da er abermals vom Fenster hinab- 
rief: „Noch auf ein Wort, bitte, Herr Leutnant.” 
Nun aber war es an Wendlon, stumm zu einer 
Bildsäule zu erstarren, als er unter denselben Um- 
ständen wie knapp vorher wieder die Studier- 
stube betrat. Denn dort stand er statt seinem 
Oberst einer zitternden Jammergestalt gegen- 
über, die sich mit einer Hand mühsam an einen 
Stuhl stützte, mit der anderen aber In Qualen über 
Augen und die schwitzende Stirn strich. Ein dün- 
nes, zittriges Stimmchen aber sagte, wie aus 
welter Weltferne: „Ich vergaß. Der Herr Gerichts- 
präsident Ist auf einer Dienstreise. Er hat für Mitt- 
woch weder fest zu- noch abgesagt. Bringen 
Sie jedenfalls Ihren Jahrgangskameraden mit. 
Schlimmstenfalls spielen wir eben zu fünft." Als 
Wendlon die schweißkalte Rechte in seiner Hand 
fühlte, war er nahe daran, zu Boden zu sinken, die 
Knie des Alten zu umfassen, um ihm mit einem pater 
peccavi alles zu beichten. Aus diesem weich- 
herzigen Anfall wurde er wieder erweckt durch 
ein leises Klingen, als der Alte wie von ungefähr 
mit seinem Siegelring den Korb des Pallasch 
streifte. Aber schließlich nützt es Ja dem im Zwei- 
kampf gefallenen Gegner nichts, wenn sich der 
Sieger über seiner Leiche selbst entleibt. 
Wendlon verließ ruhig und gehobenen Hauptes 
die‘ Kampfstätte mit dem festen Vorhaben, nun 
ein tüchtiger Soldat zu werden. Dieser Vorsatz 


war beileibe kein Höllenweg-Meilenstein, sondern 
das Bewußtsein, daß für einen Soldaten, der derart 
vom Glück verfolgt wird, der Marschallstab schon 
in der Drehbank eingespannt ist. Der Herr Oberst 
aber stürzte schnell ein Glas Wasser hinab, wischte 
sich den kalten Schweiß von der gramdurch- 
furchten Stirne und begab sich In die Gemächer 
der Frau Obrist, um ihr Mittellung von den er- 
gangenen Einladungen zu machen, Doch diese 
meinte nicht ohne leisen Vorwurf: „Gerade diesen 
Windbeutel Wendlon. Ich wollte dich nur vorhin 
nicht stören. Aber vor einigen Minuten sah Ich 
ihn um die Ecke schleichen, wieder einmal ohne 
Säbel.” Doch ihr Gemahl erwiderte resigniert: 
„Liebste, wir werden alt. Unsere Augen wollen 
auch nicht mehr recht mit. Ich dachte genau das- 
selbe zu sehen. Aber ich habe mich aus nächster 
Nähe optisch, akustisch und durch den Tastsinn 
einwandfrei überzeugt. Er hat einen.” 

Epilog: An einem verregneten Augustnachmittag, 
am 15. um 15 Uhr 18, eine Minute nach Ablauf der 
gesetzlichen Verjährungsfrist für Verbrechen vom 
Elternmord aufwärts, hat Wendlon diese wahre 
Begebenheit sich von der Seele gesprochen. Ihr 
Berichter hat sicherheitshalber mit ihrer Nieder- 
schrift noch einige Jahre zugewartet. Die Dienst- 
bücher der ehemaligen k. u. k. Armee sind außer 
Kraft und werden nicht mehr nachgedruckt, Es ist 
also auch nicht mehr mit einer Berichtigung der- 
selben zu rechnen, dahingehend, daß in Hinkunft 
auch der Dienstgrad auf dem Portepee kenntlich 
zu machen Ist, um ein Mehren ähnlicher Fälle 
hintanzuhalten, 


DIE BESTE ENTE 


In Helsinki lacht man sehr über folgende Ge- 
schichte, die sich dort in einem Ärzteheim am Sil- 
vesterabend zugetragen haben soll, Vier Ärzte 
saßen beim Kaffee und der Gastgeber brachte 
den kleinen Rest In seiner Kognakflasche, den er 
für diesen Abend aufbewahrt hatte, Schließlich 
war nur ein Glas übrig, und die Mediziner einig- 
ten sich, daß derjenige es haben sollte, der 
die beste Geschichte aus seiner Praxis erzählen 
könnte, Dr. B, siegte mit folgendem Bericht: 

„Ihr kennt alle meinen alten Gärtner Lahti, der 
ja auch meinen Wagen versorgt, Eines Tages er- 
zählte er mir, daß er an Schlaflosigkeit leide und 
bat mich um ein Schlafmittel. Ich verschrieb ihm 
ein Gläschen Medizinal. Aber schon nach einem 
Monat kam Lahti wieder zu mir: seine Frau leide 
auch an Schlaflosigkeit, ob er nicht auch für sie 
solche Schlaftabletten bekommen könne. Ich sagte 
zu ihm: ‚Lahti, an der Geschichte stimmt was nicht, 
heraus mit der Wahrhelt, sonst bekommen Sie kein 
neues Rezept!’ 

Er druckste etwas, aber schließlich kam er mit der 
Wahrheit heraus. Als er einmal am Ufer unseres 
kleinen Sees gestanden und die dort schwimmen- 
den Wildenten beobachtet hätte, sei er auf die 
Idee gekommen, ob er nicht einen willkommenen 
Welhnachtsbraten erhalten könne, wenn er eine 
Ente einschläferte. Am nächsten Tag knetete Lahti 
eine Schlaftablette in ein Stückchen seines Früh- 
stücksbrotes, das eine große Ente gierig ver- 
schlang. Nach einer Viertelstunde wurde die Ente 
schläfrig, kurze Zeit später schlief sie fest, da griff 
er sie und hatte so am Weihnachtsabend seinen 
Entenbraten...'“ 

Als Dr. B. soweit gekommen war, unterbrach ihn 
der Gastgeber mit etwas melancholischem Lä- 
cheln: „Deine — Ente ist so schön, daß wir ande- 
ren damit leider nicht konkurrieren können, Gib 
dein Glas her, du sollst die letzten Tropfen meines 
letzten Kognak haben...” 


m I ertrtrssrsersetresssrererrennter et nn 


Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgeseflschaft, München, Sendling: 


Verantworti, Schriftielter: Walter Foltzick, München. Verantwortl. Anzeigenlelter: Gustav Scheerer, München. — Der Simpliciss‘ 
‚alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Pcstanstalten entgegen. Bezugsp 





Ise: Einzeln 





Pf.; Abonnement im Mor 


Straße 80 (Fernruf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brioffach, 


ich einmal. Bestellungen nehmen 
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gültig ab 15. Okt. 1941. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 520, Erfüllungsort München. 


IR. Kılesch) 


Vorzug 


BERNER IULET Bm 





„Weißt du, das Parfüm war teuer, aber Rudi riecht mich nun 


auch aus allen seinen Freundinnen mit Sicherheit heraus!‘ 


“|| profumo era caro, sai. Ma cosl Rudi avrä con sicurezza seniore di me anche fra tutte le sve amiche!,, 


Preferenza: 


207 


BERGFRÜHLING 


{R. Siock) 





So still ist es hier oben Die liebe Himmelsbläue In alter guter Weise 

und, oh, so wunder-wohlig warm! durchgleitet sacht ein Wolkenkahn. haucht Gottes Odem durch den Raum. 
Kein Rattern und kein Toben Bescheiden hebt aufs neue Der Schnee versickert leise, 
erschreckt das Herz und kein Alarm. der kahle Hang zu blühen an. man hört es nicht und sieht es kaum. 


Dr. OWLGLASS 
208 


München," 7. April 1943 r 
48. Jahrgang/Nummer 14 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Sowjetkultur 


(Erich Schilling) 











BEE nn N ' 
HE er Er 


„Er ist schon ganz kultiviert: er trägt zum Essen unser Dinnerjackett und nimmt dazu englische Soße!" 


Cultura sovietica: “Egli & giä perfettamente civilizzato. A pranzo porta il nostro "Dinnerjackett, e vi agglunge la salsa inglese!,, 


Appetitanregung - L’eccitante 


(Hch. Kloy) 





„Weißt du, Mausi, Regenwürmer schmecken ja scheußlich, aber was man hinten herum bekommt, frißt man halt hinein!" 


“Sal, topolino, | lombrichi hanno giä un gusto orribile; ma ci che si riceve di soppiatto, lo s' Ingola senz’ altro!,. 


DER HOCHSTAPLER 


VON WALTER FOITZICK 


Drüben am Tisch sitzt ein Herr, ein ganz gewöhn- 
licher Herr, wie er in besseren Modejournalen für 
die reifere Herrenwelt auch vorkommt. Er hat 
ein sehr markant geschnittenes Gesicht, ist braun- 
gebraunt, sehr groß, sehr schlank, sehr elegant. 
Haare und Hosen sind sorgfältig gescheitelt. Wenn 
einer so aussieht, wie dieser gepflegte Herr, so 
wissen die geübten Leser der Familienzeitschrif- 
ten sofort, daß es sich hier entweder um einen 


ILLUSIONEN 


Tannenzapfen gab's voriges Jahr 
unendlich viele, ganz wunderbar! 

Noch hängen fie üppig an allen Aften 

und halten uns arme Toren zum beften, 
weil, wenn fie die Abendfonne befcheint, 
man lauter Knackwürfte zu fehen vermeint. 


Möcht’ uns der Himmel gefälligft verfchonen 
mit derlei vagen Illufionen! ... 


Und doch... und doch... mir brauchen fie, 
Was taugte die ganze Philofophie, 

machte fie uns nicht mas Hübfches vor 

für Herz und Sinne, für Aug’ und Ohr, 

als welches uns aus der Höhle der Sorgen 
hinüberlotft in ein lichteres Morgen? 


Nicht minder als unfer tägliches Brot 
tut ung die tägliche Selbfttäufchung not. 


Ratatöokr 


ausländischen Diplomaten oder um einen noch 
ausländischeren Hochstapler handelt. Der Herr ist 
von unbestimmbarem Alter, das besonders schrift- 
stellernde Damen lieben. Also, er ist fast grau 
meliert, aber das merkt man 'erst später, nämlich 
dann, wenn sich eine Hand auf seine Schulter 
legt und eine energische Stimme so laut flüstert, 
daß,man es bis in den höchsten Rang hinauf hört: 
„Folgen Sie mir unauffällig, mein Herr!“ Aschfahl 
wird er dann auch im Gesicht. 

In Romanen und Theaterstücken leben diese Her- 
ten Im Frühjahr an der Riviera, im Winter in 
St. Moritz und im Sommer am Lido ünd in San 
Sebastian. Noch nie aber hat man erfahren, wo 
sie etwa im November sind. 

Von dieser Sorte scheint der Herr -drüben am 
Tisch zu sein. Aber bei solchen Leuten kennt man 
sich schwer aus, denn ein Hochstapler darf eigent- 
lich nicht aussehen wie ein Mann, der wie ein 
Hochstapler aussieht. Darin liegen ja seine gan- 
zen Aussichten. Man darf keine Minute, keine Se- 
kunde daran zweifeln, daß er ein wirklicher Graf 
ist. Erst viel später, wenn es sich herausstellt, daß 
er ein Maschinenschlosser von weit hinter Buka- 
test, oder ein Zahntechniker aus einer Vorstadt 
von Lemberg ist, muß es einem wie Schuppen von 
den Augen fallen, indem man dazu ausruft: „Wer 
hätte das gedacht, dieser feine Mensch, dieser 
scharmante Plauderer, dieser formvollendete Ka- 
valier‘‘ Man müßte geradezu eine Tochter zur 
Hand haben, die man ihm unbesehen gibt, inklu- 
sive Mitgift in der Höhe einer Summe, wie sie nur 
bei Bilanzen im Handelstell der Zeitung vorkommt. 
Der Herr benimmt sich vollkommen programm- 
gemäß. Er läßt sich die Zeitung geben, er liest 
die Familiennachrichten, das gehört zu seiner 
Branche, er sieht nervös auf die Uhr, steckt sich 
dauernd Zigaretten an, die er nicht zu Ende raucht, 
Ein Bote bringt einen Brief. „Schon gut”, sagt er 
mit merklich fremdländischem Akzent und be- 
währt eiserne Ruhe. Der Kerl spielt den Hoch- 
stapler vom Blatt. 

Jetzt sollte ich aufstehen, meine Hand auf seine 


210 


zusammenzuckende Schulter legen und ihm sagen: 
„Mein: Herr, folgen sie mir unauffällig”. Haut er 
mir dann eine rein, ist er ein echter Diplomat, 
wird er aschfahl, ist meine Vermutung richtig, 
Aber wer kann sich zu so etwas gleich entschlie- 
ßen. Da zahlt der Herr mit vornehmer Lässigkeit 
und geht. 

„Könnten Sie den merkwürdigen Herm da drü- 
ben?”, frage ich die Kellnerin bedeutungsvoll. 
„Aber natürlich, der kommt seit vielenJahren, derist 
doch Zahntechniker, der stammt aus Lemberg.” 


VERHINDERTER ROMAN 


Es ging fo zu: Herr Ewald Hahn 

traf Fräulein Leonore Glahn 

und beide faßen wie entrückt, 

beglückt, verzücht, entbratenftückt — 

wenn man, weil Iprachlich recht vermeffen, 
fo fagen darf - beim Mittageffen. 


Sie, fchließlich bei fich angekommen, 
hat nun ein Stückchen Fleifch genommen, 
und er fchob ihr den Senf hinüber, 
darauf sing man zu Pudding über. 


Sonft wurde welter nichts getan. 
Und dennoch waren Glahn und Hahn 
beftimmt, einander zu gehören 

und fich den Treueeid zu fchwören. 


Was ift die Quelle des Verzichte? 

Sie merkten leider beide nichto 

und auch ihr Schickfal wollte zwar, daß fie fich 
trafen, = 

dann aber hat es leider plötlich Luft gehabt, zu 


fchlafen. 
Peter Scher 


Ein Fetzen Papier 















































„Der Pole hat seine Schuldigkeit getan, der Pole kann gehen! 


Un pezzo di carta: “|| Polacco ha fatto il suo dovere ... il Polacco puö andarsenel,, 


211 


ZU MEZ OO! 


Regierungsrat Julius saß eines schönen Nachmittags 
zu Hause und bereitete sich aus Meyers Opernbuch 
auf den abendlichen „Fidelio” vor, Frau Dorette 
braucht das nicht, sie kennt sogar die Orchester- 
stimmen. Da ließ sich Ferdinand melden, ein gut- 
aussehender junger Diplom-Ingenieur, etwa drel- 
Big Jahre alt, der gestern im Klub gefehlt hatte. 
Er trug eine ziemlich frische Beule an der Stirn, 
gestern wahrscheinlich rot, heute offensichtlich 
blau, morgen voraussichtlich grün, dann vermut- 
lich gelb, zuletzt ein vergessenes Farbenspiel. 
„Betriebsunfall?”, fragte Jullus. 

„Nein — Häschen.” 

Und dann erzählte er seine Geschichte, die — im 
Stil eines Opernführers unter Weglassung der 
Notenbeispiele — etwa so gelautet hätte: 
Ferdinand (Tenor) — seine Freundin Johanna 
nennt ihn „Ferdchen” — Ist zu einem Gastmahl 
geladen. Johanna (dramatischer Sopran), genannt 
„Häschen”‘, ein Junges Mädchen von 29'/s Jahren, 
fragt ihn wie stets, ob sie nicht in den Klub mit- 
gehen könne. Oder ob sie ihn nicht wenigstens 
erwarten dürle im Kaffee Schwengel oder hier in 
seiner Wohnung? (Pauke leitet ein, das Pizzicato 
der Geigen wird von klagender Oboe abgelöst.) 
Sie könne ja auch auf der Straße warten, an der 
kalten, trostlosen Ecke, wo halbabgerissene Pla- 
kate im Nachtwind flattern und eine trübe La- 
terne im Winde schwankt —, ähnlich wie sie Jo- 
landa Spaghetti unlängst im Film gesehen. 

Arie: „Du versteckst mich vor den Leuten, ich 
verblüh’ in Einsamkeit. 

Seit vier Jahren rühme er sie als schön (beachte 
das kokette, aber etwas abgebrauchte Häschen- 
Motiv, Beispiel 1), aber er halte sie verborgen, 
wie ein Haremswächter, wie eine Sklavin. 


MAL: OPER „HÄSCHEN“ 


VON SCHLEHDORN 


Duett (Tenor): „Nein, du bist frei, denn...” 
(Sopran): „Ha, du verstößt mich...” 


(Das Undankbarkeitsmotiv g-9—h—h-fis klingt 
auf, Beispiel2.) Sie werde also gehen. Undkomme 
nie wieder. Auch übermorgen nicht. „Ich bin dir 
ja längst schon entglitten —, mit einem ganz rei- 
zenden Mann” (Eifersuchtsmotiv, Beispiel 3, Hör- 
ner im Hintergrund). „AlleHerren umwerben mich. 
Dein Freund Peter sagt, ich gäb’ eine glänzende 
Hausfrau ab. Dein Freund Paul hat sogar die Fifi 
aus der Afrika-Bar geheiratet” (Von jetzt an wird 
das Heiratsmotiv, Beispiel 4, führend). 

Cavatine: „Wollt‘ dir ein trautes Heim bereiten, 
Bockwurst mit Linsen kocht’ ich dir” (das Traute- 
Heim-Motiv, Beispiel 5, schlicht und etwas banal, 
mit Harfe und Holzbläsern). Ob sie nicht endlich 
zu ihm ziehen sollte. Damit er in gute Pflege 
käme. „Meine Pantoffel sind schon hier und der 
mondäne Morgenrock, Ferdchen!” 

Ferdinand in erregtem Rezitativ: „Immer derselbe 
Morgenrock, mit immer derselben Bewegung.” 
Er lehnt ab. (Ein paar Takte die Erste Geige.) 

In gewohnter Verzweiflung eilt Johanna zu dem 
gewohnten Fenster links, um sich hinauszustürzen 
(„Ferdchen, du tötest dein Häschen!”), sieht sich 
aber durch die vorgezogene Tüllgardine gehin- 
dert. (Die ganze Szene wird beherrscht von dem 
hochdramatischen Erpressungsmotiv, Beispiel 6, 
in Gift-Moll, viel Blech, Schlagzeug und Pauke). 
Zuletzt ergreift sie einen Pantoffel und wirft ihn 
mit dem Aufschrei: „Mensch, momentan hasse ich 
dich!” Ferdinand (Tenor) an den Kopf. Derselbe 
hinterläßt dort eine Beule in B-Dur und zerschlägt 
eine im Hintergrund stehende Tasse (Zwiebel- 
muster). ” 


GEDICHTE DES JAPANISCHEN MALERS FOUJITA 


Von Anton Schnack 


DIE ABREISE 


Meine Koffer find gefchloffen. 

Ich erwarte den Wagen, der fie zum Hafen bringt. 
Der Teich im Garten filbern blinkt, 

Ein Fifch bewegt die zarten Schleierfloffen. 

Ob er mir winkt? 


Meine Mutter ift heute etwas blaffer 
Und flüftert: »Trinke nur wenig Waffer 
In einem fremden LandI« 


Mein Bruder mahnt mich: »Gib’ acht auf dein 
Geldl« 


Mein Vater, von feinen Runzeln entftellt, 
Lächelt nur und reicht mir die Hand. 


EINDRÜCKE VON DER REISE 


Schon das Verweilen an Bord 

Des Schiffes entrückt mich 

Und fchenkt mir die Vifion von der Ferne. 
Alles entzücht mich: 

Der Dampf, die Taue, das fremde Matrofenwort. 
Meine Heimat verfinkt, eine Fata Morgana, 
Verblaffendes Spiegelbild einer tiefen Zifterne. 


Ein Sandrvichverkäufer, finnloo betrunken, 

It fchnarchend über den Bartifch gefunken, 

Er verfoff wie ftets feinen Tagesverdienft. 

Seine Tochter ift fchön wie ein Seidengelpinft. 

Sie tanzt, 

Beglotit von manchem verfreffenen Wanft. 

Sie kann es nicht wehren; 

Sie muß das Sperlingsvolk ihrer kleinen 
Schweftern ernähren. 


* 


Ich liege in der Nacht und kann nicht fchlafen. 
Mich fröftelt - Reif fchimmert aufBaum und Heche. 
Ich lege meinen Mantel, den warmen, braven 
Auf das Bett ala wärmende Decke. 

Nur die Blume des Bildes, am Tage gemalt, 

It leuchtend geöffnet und ftrahlt. 


* 


Als ich mich im Spiegel befchaue, 

Entdecke ich in meinem Haare 

Und auch im Bogen der Braue 

Weiße und graue. 5 

Ich fehe meinem Vater in Japan immer ähnlicher - 
(Nichts wünfche ich fehnlicher.) 


212 


Die Zimmervermieterin, Frau Grünfisch (Alt), tritt 

auf: 

Terzett: 

Wirtin (Alt); „Was ist hier für ein Rumoren, meine 
Tasse ging in Stück‘,'” 

Johanna (Sopran): aben uns nur unterhalten, 
plauderten vom Eheglückl" 

Ferdinand (Tenor): „Bin wie vor den Kopf ge- 
schlagen, eine Beule blieb zurück.” 

Nach Abgang der Wirtin findet die einaktige 

Oper mit der oftgespielten Versöhnungsszene 

(Motiv a— e; beachte die Zweite Geige!) 

und der ergreifenden Arie Johannas: „Bin ein 

rührend bescheidenes Mädchen, das für dich und 

von dir allein lebt”, (Häschen-, Trautes-Heim- und 

Erpressungsmotiv sind in feinstem kontrapunk- 

tischem Zusammenklang orchestral verwoben) 

Ihren Abschluß. 








* 


„Und die Oper mit Häschen‘, gestand Ferdinand 
verzweifelt, „höre ich nun fast alle Abend. Und 
dazwischen noch manchmal Im Büro telephonisch 
als Sendespiel, Gestern war es, glaube ich, das 
200. Mal. Und da wollte ich Sie etwas fragen, 
ganz im Vertrauen.” 

„Bitte sehr”, sagte Regierungsrat Julius teilnahms- 
voll. 

„Wir haben doch viele, verschiedenartige Be- 
hörden.” 

„Haben wir”, sagte Julius. 

„Wir haben doch Ehescheldungskammern.” 

„Ja. 

„Sagen Sie, gibt es denn gar keine Verhältnis- 
trennungskammern?,... Auch nicht für feste Ver- 
hältnisse?” 

„Nein“, stellte Julius fest. „Ein festes Verhältnis 
ist eine Verbindung, die nicht fest genug Ist, um 
überhaupt gelöst werden zu können.” 

„Auch mit Ehescheldungsgründen nicht? Diese 
Beule zum Beispiel würde doch genügen?“ (Das 
Nachspiel der Oper ging langsam in das Motiv 
b—g—b über.) 

„Zur Ehescheldung vielleicht.” 

„Also muß ich wirklich erst Häschen heiraten, um 
mich von ihr trennen zu können?! Tausende von 
Junggesellen — deren Freiheit nur eine heimliche 
Sklaverei ist und die nicht einmal den Märtyrer 
spielen können, wie solch Ehemann —, würden 
Ihnen dankbar sein, wenn Sie die Verhältnistren- 
nungskammern ins Leben riefen. Sehen Sie doch 
mal, was sich für diese Reform tun läßt.” 
Betrübt erhob er sich: „Nun sitzt sie wieder bei 
mir zu Hause und das Theater geht wieder an: 
mit derselben Besetzung, denselben Motiven, 
demselben Text, wenn auch vielleicht ohne den 
Regieeinfall mit dem Pantoffel und der Beule.” 
In diesem Augenblick trat Frau Dorette ein, be- 
grüßte ihn in ihrer bezaubernden Art und fragte: 
„Haben Sie heute abend auch Oper?" 

„Ja“, stotterte Ferdinand, „das heißt — nein.” 
„Sind Sie nicht mehr abonniert?” 

„Nein, das heißt — ja.” 

Dies war. das erstemal, daß Frau Dorette die 
Seele eines Mannes nicht gleich durchschaute. 
Als Ferdinand das Haus. verließ, spielten Kinder 
draußen In der Abendsonne. Auf der Bank ließ 
eins sein Brüderchen auf den Knien refen: „Hopp, 
hopp, hopp, Ferdchen lauf Galopp...” Und auf 
dem Rasen hatten sich einige bei den Händchen 
gefaßt und sangen: „Häschen in der Grube saß 
und schlief”; und zum Schluß mit überschnappen- 
den kleinen Stimmen: „Häschen hüpf, Häschen 
hüpf, Häschen hüpfl" 

Ach, dachte Ferdinand im Vorübergehen, wäre 
das ein Finale. für meine Oper! 


Erinnerung an das Schlaraffenland 


Wer leugnet das Schlaraffenland? 

Ich nicht! Und war ich mur ein Wicht, 
Als mir sein Duft fuhr ins Gesicht, 
Und wenn Ich’s auch nicht wiederfand. 


Spanferkel in der Kausperhaut, 

So gut im Biß! Das ıesche Brot, 
Vergiß auch nicht die Knackwurst rot: 
AI das und mehr hab ich geschaut. 


Der Gugelhupf, die Kücheln rund, 

Die Striezeln mürb, die Strauben braun, 
Der feuergoldene Kapaun, 

Bekannte waren sie dem Mund. 


Der Waller mit dem Hängebart, 

Für den war fast zu klein der Tisch, 
So riesenhaft war dieser Fisch, 

© Schmaus, von seinem Fleische zart! 


Der Steinpikz mit dem feuchten Hut 
Blieb starr, wenn ihn das Messer schnitt, 
Doch wenn er überm Feuer litt, 

Wie wallte dann sein grünes Blut 


Bratwürste waren’s ungezählt, 
So fingerklein, so gaumenfein. 
Wie schrie ihr Fett im Feuerschein, 
Wenn sie der Gabelspieß gestrählt. 


213 


(9. Nuckel) 





Ja, Langeweile gab's da nicht. 

Ein Fingerpfiff des Nachts, ein Schrei, 
Viel Mädchen waren wohl dabei. 

Man hielt damals nichts vom Verzicht, 


Man kannte keinen Überdruß. 

Wer trank das Bier und schlürfte Wein 
Vom Faß und schlief nicht selig ein, 
Noch lächeind in dem Nachgenuß? 


Der Tod sing wie ein Wirt entlang 
Und bot die Zeit. Sperrangelweit 
Sprang auf die Tür zur Ewigkeit 
Und fernher hörte man Gesang. 


Ach Gott, was Ich als Kind verstand! 
Die Vaterstadt hab ich verlor'n 

Und dennoch ward ich einst gebor'n 
Tief drinnen im Schlaraffenlandt 


Hermann Seyboth 


| VERSPÄTUNG: 


VON GIGI 


ich steige langsam die Treppen hinan und flüstre, 
fast unbewußt, vor mich hin; nicht Worte, die ich 
dir wiederholen werde. aut dem Bahnhof, kaum 
daß du aus dem Zug steigst, sondern die du mir 
sagen wirst, leise, zwischen zwei flüchtigen, bei- 
nahe gleichgultigen Küssen, zwei offiziellen Küs 
sen Wir haben zwar vereinbart, ich soll dich zu 
Hlause erwarten, aber Ich glaube, Ich werde der 
Lust, zu kommen, nicht widerstehen können, ich 
werde dich gleich bei der Ankunft überraschen 
um dich zu sehen, wie du dich dem Ausgang zu- ” 
wendes! und mit gesenkter Stirn dahingehst, als 
müßtest du die Menge’ zerteilen, die sich zwi 
schen de ne Eile und meine Erwartung drängt. 
„Kleines, liebes Kleines, wie geht's dir?” 

£s sind zu viele Leute. als daß du mehr sagtest, 
aber du hası den eıgen!ümlichen Ton, der die 
Erregung verbirgt und den ich kenne; es wäre 


Das Nadelöhr - La cruna dell’ ago 


eg 








I AMT) 





VIVIANI 


mir fast lieber, du sprächst nicht mehr, bis wir zu 
Hause sind. Auch stelle ıch mir vor, wie du wäh- 
rend der Fahrt, In einer Ecke des Abteils lehnend 
mit deinen großen, ruhigen Augen in Gedanken 
an mich die Frauen betrachtest, die mit dir rei- 
sen, und wie du, lächelnd bel solchen Gedanken 
sie anlächelst Du wirst, ohne es zu wollen, man 
<her schönen Frau den Hof gemacht haben. Alles 
das, das werde ich dlı nie sagen; Ich denke nut 
daran, indem du von Minute zu Minute mir ent- 
gegenkommst, die dich mit ihrer Liebe erwartet 
Zurückkehren ist eine Lust, Warten eine Qual. 
Drei- oder viermal habe ich schon die Zeit deiner 
Ankunft nachgeprüft, auf zwei verschiedenen 
Fahrplänen, um sicher zu gehen und jeden Ihr: 
tum auszuschließen. 

Ich habe mich vor die Uhr gestellt, die hastiger 
tickt, well ich mir einbilde, sie geht rascher als 


tF. Blayer 


TEN 





„Nee, durch so'n Ding kann wirklich kein Kame! gehn!“ 


"Ah che! Per questo cosino qua non pud dawvero passare un cammellol,, 


214 


die andern, und bringe die letzte halbe Stunde 
damit zu, mir die Nägel zu polieren und die Per- 
len meiner Kette aufzureihen, die Ich gestern 
abend aus Zerstreutheit zerriß Dabei versuche 
ich, mir deine Immer ein wenig zweiflerischen, 
immer ein wenig quälerischen Gedanken zu den- 
ken. Ich möchte in dein Gehirn eindringen kön- 
nen und deine Überzeugungen und Befürchtungen 
ein wenig durcheinanderwirbeln und nichts als 
jene unerschütterliche Liebe darin lassen, die mir 
so fest in der Seele wurzelt. 

letzt muß ich fort, sonst kommst du, und ich kann 
dich nicht mehr m't dem Abholen überraschen. 
Nun, da Ich fürchte zu spdt zu kommen, Überstürzt 
sich die Uhr, die hastiger tickt, geradezu; ich 
glaube, sie richtet sich nach meinem Herzschlag. 


* 


Verspätung. Zwanzig unerträgliche Minuten. Ich 
gehe unterdessen auf dem Bahnstelg auf und ab 
und begegne einem Herrn im Pelz, der schon 
zweimal die Gepäckträger gefragt hat, ob der Zug 
von Rom bestimmt auf dem rechten Gleis an- 
kommt. Die Auskünfte, die er einholt, kommen 
auch mir zugute, denn ich erwarte denselben 
Zug, und ich gehe weiter auf und ab, langsamer, 
ein wenig unsicher, wie jemand, dem es nicht 
gelingt, ein inneres Zittern zu Überwinden, ganz 
ähnlich gem, das einem in die Knie fährt, wenn 
man öffentlich etwas sehr Wichtiges sagen muß 
Es ist kalt. Auf den Bahnhöfen Ist ale Kälte durch- 
dringender als in der Stadt. Sie riecht nach Rauch, 
Eisen, Kohle und Ol und fällt uns, dem Herrn und 
mir, jedesmal wenn wir an den beiden Enden 
des Bahnsteiges kehrt machen, In die Flanke. Bel 
den ersten drei oder vier Begegnungen beachtet 
mich der Herr im Pelz kaum, dann, wie nach und 
nach die Zelt vergeht und wir uns aneinander ge- 
wöhnen, betrachtet er mich aufmerksamer, bleibt 
stehen, um mich vorbeigehen zu sehen, und sagt 
schließlich mit gelassonem Lächeln: 
„Verspätungl” Wobei er leicht hinsus auf die 
Strecke weist. 3 
„Zwanzig Minuten, ist mir gesagt worden.” 

Die Gepäckträger, die um den’ Ausgang gruppiert 
sind, bemerken, daß der Herr mit mir einige 
Worte gewechselt hat, und als Ich an ihnen vor- 
übergehe, sag! einer ziemlich laut: 

„Bei Zugverspätungen gibt es Immer jemanden, 
der davon profitiert.” 

Es kränkt mich dermaßen, daß Ich fast Lust hätte, 
zu weinen, und als ich wieder dem Herrn be- 
gegne, blicke’Ich Ihn bitterböse an. Er lächelt, 
bleibt stehen und sagt In beschwichtigendem 
Tone: 

„Beruhigen Sie sich, es handelt sich nun nur noch 
um Minuten.” 

Ich bleibe stehen und fixiere ihn mit Augen, die 
ich nicht sehen möchte. 

„Mich stört nicht die Verspätung, sondern das 
Gerede der Träger. 
„Hören Sie nicht zu. Sie reden, um sich die 
Zeit zu vertreiben, und schwatzen belangloses 
Zeug” 

„Verletzendes dummes Zeug” . 
Der Herr begreift den Grund meiner geheime! 
Erregung nicht, die meine Ungeduld noch stei- 
gert Plötzlich läßt ein Siränenton mich 'zusammen- 
schrecken. 

„Da Ist erl” 

Aber nicht eln Gepäckträger hat sich gerührt. Ein 
Zug taucht auf aus der Nacht, zwei frösteinde 
Scheinwer:er vor sich herstoßend, schaukelt auf 
den Gleisen hin und her, gleichsam als könnte er 
sich über die Richtung richt schlüssig werden, 
und verschwindet schließlich hinter dem Stations- 
gebäude, etwa zehn erleuchtete Wagen hinter 
sich herzienend, mit chinesischen Schattenspielen 
an den varschwitzten Fensterscheiben. 

„Es ist nicht unsrer. Icı fürchte, die Verspätung 
wird Inmer größer. Sie warten auch auf den Zug 
von Rom, nicht wahr?” 

„Ja. — Aber plötzlich habe ich Angst, der eben 
eingelaufene Zug könnte der sein, den ich er- 
warte, er wurde irmümlich auf ein falsches Gleis 
geleitet. 





Sie sind noch ungeduldiger als Ich, Wen erwar- 
ten Sie eigentlich?” 

Ich starre Ihn verblüfft an. Soll ich ihm denn 
sagen, daß Ich ausgerechnet meinen Verlobten 
erwarte? 

„Jemand Verwandtes.” 

Der Herr lächelt. 

„Ich auch Eine Verwandte, Ich wette, daß Sie 
einen Verwandten erwarten.” Als Ich Ihm nickend 
zustimme, lächelt eı wieder. „Es ist seltsam, daß 
unsre Verwandten mit Zügen reisen, die so spät 
in der Nacht ankommen. Wir werden kaum vor 
eins zu Hause sein.‘ 

„Mir macht es nichts aus.” 

„Sie weiß nicht, daß ich sie abhole, 
damit überraschen.” 

„Auch Sie? Ich auch.” 

„Und jetzt, wo ich hier bin, bereue ich es schon, 
daß ich gekommen bin. Man soll eine Frau nie 


Ich will sie 


überraschen, man läuft dabei Gefahr, selber der 
Überraschie zu sein.” 

Der Herr läcnelt nicht mehr 

„Es ist eine Verwandte, die mir mehr bedeutet, 
als alle, als alles. Sie kehrt von einem Besuch bei 
ihrer erkrankten Mutter zurück ..“ einen Augen. 
blick zögert er — „und ich bin hierher gekom- 
men, um ihr Gesicht zu sehen, das wahre, nicht 
jenes, das jeder annimmt auf dem Wege vom 
Zug zum Ausgang, um die Freunde zu begrüßen 
und um sicn wieder einzubürgern. — Aber Ich er- 
zähle Ihnen Dinge, die Sie sicher gar nicht inter- 
essieren.” 

Ich fürchte, er könnte wirklich aufhören zu reden, 
und ich sage schnell: 

„Nein, nein, im Gegenteil... Auch ich erwarte 
einen Verwandten wie Sie, auch Ich habe an 
alles das gedacht, woran Sie denken, und auch 
mir wird jetzt etwas bange.” 


„Wenn er Sie nun mit mir sprechen sähe?” 
„Sobald der Zug einläuft, tun wir, als hätten wir 
uns gar nicht gesehen. Wir haben ja Zeit genug, 
um ein wenig auseinanderzugehen. Und was ist 
schließlich weiter dabei?” 

Der Herr wiederholt lächelnd: 

„Es ist wahr, was Ist weiter dabeil,Aber trotz- 
dem, wenn sie uns so sähen, könnten sie etwas 
Schlimmes denken ” 

Ich friere, friere plötzlich so, daß mir die Zähne 
klappern Der Herr bemerkt es. Er will mich in 
den geheizten Wartesaal führen und mir etwas 
Heißes zu trinken anbieten; er bittet, aber Ich 
lehne es ab. Mir ist, als müsse der Zug ganz leise 
kommen, wie auf Zehenspitzen, damit wir ihn 
nicht hören und damit die Ankommenden aus- 
steigen können, ohne daß wir sie bemerken. Ich 
lehne ab. 

Wie ich vorausgesehen hatte, ist der Zug ganz 





























Krieg 
denk 


SELELLELETELLTTLILLETEE N 


soll man dio Zähne bürsten, 
um dio Spelsorosto gründ- 
lich zu ontfornon. Hierbei 
genügt eine kloine Monge 
Kolıkkma- Zahnpasta. Lotz- 
toro Ist knapp und mußsohr 
sparsam verbraucht worden 


2 


Wer kann co Maier 


süsicht; mir eiwas 





WIIIIIIIIDIMDIIDDIDDHN, 
Hracicttitdt TREE E 





NN 


F 


Eine Geschichte das Kostüms allar 
Zeiten und Völker vom Altertum 
bis zur Neuzeit einschlioßlich der 
Volkstrachten Europas und dar » 
außarauraodlschen Länder auf 
200 Tafeln, von denen 124 Im 


04. md. 
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zu liefern! Darum paßt auf und 


sie mit Schrecken an die Ibr verbiei« 
bende Puizarden denkt Aber wenn 
wich die Küche noch 10 schlimm 


ATA werden ale 
Topfe, Pfannen, Beneche und Gerite | 


momie die Küche selbst schnell wieder 


‚cht mit Tintsu. Feder Mekrdssa, ‚sond. m 


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Wenn nur jeder fünfundachtzigste stromversorgte Haushalt während der 
sechs Heizmonate täglich eine Stunde lang einen elektrischen Strahl- 
ofen von 1000 Watt ohne dringendste Notwendigkeit benützt, so ergibt 
das einen Gesamt-Stromverbrauch von rund 50 Millionen Kilowatt- 
stunden. Da kann „Kohlenklau” sich mästen — denn elek! 
Strom wird meistmit Kohle erzeugt. 
Die verlorene Kohlenmenge würde 
ausreichen, um der deutschen 


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sam. Also: Töpfe turmartig über“ 
einander stellen. Auf der Flamme 
kocht das Eintopfessen, gebunden 
mit Mile G. Darauf setzt man den 
Wassertopf, Beiden wird bei „.. 
und man spart Gas. Eine bittere 
Pille für Mister Koblenklau, 


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Der Untermann - L’uomo sgabello 
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„Mensch, da droben, nu aber mal wat von 
Händel — Liszt jeht mir zu stark uff’s Jenick!" 


“Eh, quassd, mariuolo ... ebene, anche un po’ di 
Händel ..,! Liszt mi preme troppo sulla nucalı, 


geräuschlos eingelaufen, auf den Schienen dahin- 
gleitend wie auf Samt, in Rot und Schwarz, die 
Dächer mit Schnee bedeckt. 

„Sehen Sie, wie recht Ich hatte?‘ Dann setzte ich 
eilends hinzu: „Guten Abendi” 

Er grüßt und geht zwei Schritte zur Seite, Die 
Gepäckträger laufen Im Sturm auf die ersten 
Klassen zu. Ich lasse die dritter und einige zwel- 
ter an meinem Blick passleren. Die erste ist ganz 
hinten, hinter dem Speisewagen. Aus einem der 
letzten Wagen endlich steigt er, behend, zu- 
frieden. mit dem strahlenden Gesicht, das er im- 
mer hat, wenn er sich über etwas freut oder wenn 
ihm etwas in Erfüllung geht; noch weiß er nicht, 
daß ich da bin Die Aussteigenden drängen mich 
zurück; Ich befinde mich wieder neben dem un- 
bekannten Herrn, der bemüht Ist, mir Durchgang 
zu verschaffen. Aber mit einem Ruck bleibt er 
stehen, ich ebenfalls; ich verstecke mich hinter 
seiner hohen Gestalt, die mich ganz verdeckt, 
während er sich unter eine Gruppe schwer- 
bepackter Fremder zu mischen sucht. 

Mein „Verwandter ist nicht allein, und ich habe 
sofort begriffen, wer die Frau ist, der er die Hand 
entgegenstreckt una beim Aussteigen behliflich 
ist und mit der er einen Augenblick stehenbleibt 
(ein Gepäckträger nimmt die Koffer beider) und 
einige Worte wechselt, die bis zu uns dringen, 
zwar ein wenig mit anderen Stimmen vermengt, 
‚aber allzu deutlich noch für unsre Herzen. 

„Sie waren sehr freundlich, ich werde daran 
denken.” 

„Werden Sie mich anrufen?” 

„Bestimmt. Morgen vormittag, sobald ich frei bin. 
Wir können den Tee gemeinsam bei mir zu Hause 
nehmen, denn Ich kann mich nicht öffentlich mit 
Ihnen sehen lassen.” 

„Auch ich nicht.” 

Er nelgt’sich zum Kuß über ihre Hand, da bemer- 
ken sie, daß der Träger beide Koffer genommen 
hat und lachen über den Irrtum. 

„Ich bringe Sie zu einam Taxi. Sind Sie sicher, 
daß Sie niemand an der Sperre erwartet?” 
„Ganz sicher.” 





Ich krampfe mich an den Herrn im Pelz, der sich 
fast bis in die finstere Türnische eines Büros zu- 
rückgezogen hat. Er dreht sich unvermittelt um 
und sieht mich dastehen, totenblaß, mit so stark 
zitternden Lippen, daß ich nicht zu sprechen ver- 
mag. Auch er ist blaß, aber er ist ein Mann, er 
hat ein stärkeres Herz und vermutlich eine weni- 
ger große und tiefe Liebe als Ich. Sicherlich hat 
er die Frau erobert, nachdem er sie umworben, 
begehrt, geliebt hat; ich hingegen habe mich 
meinem Geliebten geschenkt, das ist etwas ganz 
andres. Ich fühle mich dermaßen vernichtet, der- 
maßen am Ende, daß ich zusammenzubrechen 
fürchte. 

„Stützen Sie sich, gnädige Frau...” Er lächelte 
kaum merklich „Ärgern Sie sich nicht. Es Ist Ja 
nichts Schlimmes. In einer Weile gehen wir nach 
Hause und tun, als wären wir nicht auf dem 
Bahnhof gewesen.” 

„Unmöglich.” he 
„Inzwischen nehmen Sie etwas Heißes und Kräf- 
tiges, kommen Sie, Sie dürfen nicht mit dem ver- 
störten Gesichtchen nach Hause kommen. Ihr Ver- 
wandter würde wer weiß was denken.” 

„Sie haben recht.” 

Wir treten an das Bahnhofsbüfett; die plötzliche 
Wärme benimmt mir den Atem. Wir setzen uns 
abseits an einen Ecktisch und er bestellt etwas 
für mich. Dann stürze Ich das heiße, starke Ge- 
tränk hinab und fühle mich alsbald besser. 
„Hören Sie’, sagt der Herr mitleidsvoll, vielleicht 
mehr um sich selber zu trösten, als um mich ab- 
zulenken, „wir machen es so: ich bringe Sie im 
Auto bis ziemlich an Ihr Haus, denn ich kann Sie 
in diesem Zustand nicht allein lassen. Während 
der Fahrt schöpfen Sie neuen Mut und können 
dann mit einer gewissen Ruhe vor Ihn hintreten 
und wohl mit unverminderter Liebe. Und morgen 
rufen Sie mich an.” 

Ich zucke zusammen. 

„Ich habe Sie ja nicht gebeten, mich zum Tee 
einzuladen Sie sollen mich nur anrufen, um mir 
mitzuteilen, ob Sie sich erholt haben. Wir leiden 
beide an derselben Krankhelt.” 

a . 

Ich lasse mich zu einem Auto schleppen. Doch als 
ich eingestiegen bin, will ich nicht, daß der Herr 
zusteigt, 3 

„Nein, danke. Ich fahre allein. Es geht mir Jetzt 
besser, es ist vorüber. Ich bin Ihnen sehr dank- 
bar...” 


Ich wiederhole beinahe die Dankesworte, die die 
andre sprach, und ich spüre einen stechenden 
Schmerz im Herzen. 

„Sehen Sie, daß es noch nicht vorbei Ist? Ich be- 
gleite Sie. Sie können kurz vor Ihrem Hause aus- 
steigen, aber ich lasse Sie nicht allein.” 

Ich sage kein Wort, drücke mich in die Wagen- 
ecke, schließe die Augen und öffne sie erst, als 
der Herr, dessen Namen Ich nicht einmal weiß, 
ganz sanft sagt: 

„Wir sind da — gute Nacht, gnädige Frau.” Da- 
bel reicht er mir seine Visitenkarte. „Es Ist besser, 
Sie rufen mich an, ich bin morgen den ganzen 
Tag Im Büro.” 

Jar 

Kaum, daß ich ausgestiegen bin, gewahre Ich, 
während der Herr die Autotür schließt, daß sein 
Gesicht jetzt plötzlich ganz blaß Ist. — Ich hebe 
den Kopf; die Fenster meines kleinen Salons sind 
erleuchtet. Um mit Mut zu machen, versuche ich 
zu lächeln und lege noch auf der Treppe viel 
Rot auf die Lippen und viel Puder auf die Wan- 
gen; Ich maskiere damit meinen Schmerz und 
meine Enttäuschung. 


* 


Andemtags telephoniere ich nicht, Ich gehe per- 
sönlich zu Herm Prandi, der mich mit melancho- 
lischer Besorgnis empfängt. Als die Türen zu sel- 
nem Arbeitszimmer geschlossen sind, bletet er 
mir einen Klubsessel an, In den ich mich ar- 
schöpft fallen lasse. 

„Nun?“ 

„Nun... Ich liebe ihn nicht mehr.” 

„Haben Sie es ihm erzählt?" 

„Nein. Ich kann es ihm nicht erzählen, noch nicht. 
Und Sie?” 

„Ich auch nicht. Sie hat gelogen.” 

„Er auch.“ 

Pause. Wir denken beide daran, daß im selben 
Augenblick vielleicht der Mann, den Ich liebte, 
und die Frau, die der andre vielleicht nicht mehr 
liebt, dabei sind, den Tee zu nehmen, In einem 
kleinen, wohldurchwärmten Salon, allein, ohne 
zu wissen, wie allein... 

„Wollen wir zusammen eine Tasse Tee trinken?“ 
Mit einem Ruck stehe ich auf, dann, um die 
brüske, rebellische Gebärde abzuschwächen, sage 
ich mit der Sanftmut der Verzweiflung: 

„Nein... Einen Augenblick... Noch nicht!” 
(Einzig berechtigte Übersetzung von Thea Weide) 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


10. Nückel) 





Ich muß schon sagen, Kitty hat viele Tugenden, 
aber ihre Untugenden gehen nicht in zwei Wasch- 
körbe. Neuerdings suchte sie alle meine ledigen 
Freunde zu verehelichen. Eine richtige kleine 
Agentur hat sie sich zurechtgelegt. Neulich fand 
ich zufällig einen Brief an ihre Freundin Marietta. 
„Liebste Marletta”, stand darin, „ich habe jetzt 
den richtigen Mann für Dich — reich. gutmütig, 
unabhängig — anbei sein Bild — wie gefällt er 
Dir, Liebste?” 

Mich stach der Hafer.- 

Ich nahm das Bild heraus. 

Ich legte das Pressepnoto von Bubu, dem Wunder- 
affen, bei 

Verschloß den Brief und gab Ihn heimlich zur Post. 
Nach fünf Tagen kam dıe Antwort. ° 


„Einzige Kitiyl”, schrieb Marletta, „der Mann ist 


216 


zwar kein Adonis — aber dieser kluge Blick, die- 
ses durchgeistigte Gesicht, dieser aparte rote 
Bart — Ich nehme Ihn! Marietta.” I. HR. 


* 


Sie war eine anmutige Junge Frau, aber sie hatte 
neben dem hübschen Mund schon jene zwei fel- 
nen Falten der Enttäuschung. Ashtung,/Ehemänner, 
darIn macht euer Verhalten das Antlitz eurer Frau 
gleichsam zum Bildnis eures Dorlan Gray 

Ihr Mann hatte nämlich Jetzt abends Immer sehr 
lange zu tun. Die Sekre'ärin nieß Editha Drechsler. 
Die Junge Frau war denn auch schließlich allein 
ins Konzert gegangen und hatte da denn auch den 
fleißig plaudernden Herrn Becker kennengelernt. 
Aber es war Ihr unbehaglich, daß Herr Becker in 
letzter Zeit immer häufiger und Immer näher kam. 
Ihr Mann dagegen träumte von einer sachlichen 
Schreibmaschine mit einer reizlosen Stenotyplstin 
dahin‘er und von einem Gewissen ohne doppelte 
Buchführung. 

Mit solchen Gedanken saßen die beiden am 
Frühstückstisch, sahen offiziell aneinander vor- 
über, sahen sich heimlich an und genossen traurig 
das verlorene Glück. 

Der vierjährige Peter-Dieter trank seine Milch. Er 
hielt den Becher mit zwei Händen, sah mit zwei 
runden Augen über den Rand (trinkende Kinder 
sehen fast w'e Ertrinkende aus) und wollte Vatl 
und Mutti unterhalten. Also setzte er den Becher 
ab und erhob seine unbeschwerte S'Imme: 
„Muttl, warum heiratet der Onkel Becker nicht 
einfach das Fräulein Drechsler?” 


Letzte Reserve 


„Schau, Fritzl, es kann doch auch eine bloße Kameradschaft zwischen 
uns bestehen!" — „Gewiß — gewiß — im äußersten Fall!“ 


Ultima riserva: “Vedi, Fritzl, fra noi due puö esistere anche Il solo cameratismo!,, 
"Certo ... certo ... in caso estremo!,, 


217 


{R. Krlesch) 





Registratur 


(K. Helligenstaodt) 





„Endlich muß einmal Ordnung in meine Briefschaften kommen. Ich lege ein- 
fach Edi ab unter ‚Erledigt‘, Fredi unter ‚Laufend‘ und Rudi unter ‚Dringend'!" 


Registrazione: “Finalmente devo pure far ordine nelle mie corrispondenze. Metto 
senz'altro da parte Edi sotto ‘Liquidato,, Fredi sotto ‘Corrente, e Rudi solto "Urgente, !,, 


218 


DER. MALARIA-LENZ 


„Is des a Schwindl, oder Is des koa Schwindl?" — 
Eben sind sie mit der Kompanie vom Strand ge- 
kommen, wo ein Zauberkünstler seine Vorstellung 
hielt, Nun wird beim Abendessen eifrig disputiert 
über die fabelhaften Leistungen des Artisten, der 
Deutscher war, sich aber „Minorelli" nannte. Der 
Huber Lenz konnte sich am wenigsten über das 
Gesehene beruhigen. 

„Is des a Schwindl, frag i, oder is des koanaßl“ 
Wild stieß er den Löffel ins Tiroler Gröstl. 

Das mit dem üblichen Zaubern und Verschwinden- 
lassen hat Lenz ja weniger bewegt. Nur einmal 
hat er da mittenhinein laut „Bravol” gerufen. Das 
war, wie Minorelli ein Trinkglas mit Meersänd 
füllte und diesen, ohne daß einer zum Mitschauen 
gekommen wäre, in helles, hochschäumendes Bier 
verwandelte. Aber wie gesagt, man hat schließ- 
lich im Krieg hier schon allerhand gesehen an 
Theatern und Variet&s, in Köln, in Antwerpen und 
in Athen drüben. Und was das Verschwinden- 
lassen anbelangt, so kann das der Oberschütze 
Huber Lenz auch. Ohne daß ein Mensch was da- 
von merkt. Sei das ein junges Gockerl, welches 
sich unglücklicherweise zur Nahrungssuche in 
Lenz‘ Quartiernähe verirrte, oder sonst was. — 
Nein, was den Huber Lenz zur Begeisterung hin- 
riß, war der Schlußakt, das Hypnotisieren! 

Er wandte sich an den Jäger Schnöll, der sehr be- 
lesen war und über alles Bescheid wußte. 
„Verstehst Du, wia des mit'n Hypnotisier'n zua- 
geht?” 

Schnöll war auch Jetzt, während der Mahlzeit, in 
ein Buch vertieft, schickte sich aber bereitwillig 
zum Vortrag an: „Das Wort Hypnose’ ist abgeleitet 
von Hypnos, dem griechischen Gott des Schlafes. 
Der Hypnotisör sucht sich ein suggestibles; seelisch 
leicht zu beeinflussendes Medium und versetzt 
dieses in Hypnose. Er bewirkt damit einen schlaf- 
ähnlichen Bewußtseinszustand — — —" 

„Ahal” unterbrach Lenz. „So is des!" „Rindviechi” 
dachte er sich wütend noch nebenbei. 

Da meldete sich der Haslinger Schorschi. „Des 
ischt ganz oanfach mit der Suggeschtionasch!” 
berichtete er. „Des ko i al" 

Lenz schaute böse auf den „Zillachtaler”. Seit 
damals, wie ihm dieser hinterkünftige Mensch 
statt dem Kopfwehpulver ein Hunde-Abführ- 
mittel überreichte, hatte er einen ständigen Hock 
auf ihn. 

„Ausgerechnet Du mit Dein Wasserkopfl 
„Magscht wett'n, daß i Di hypnatisier?" 

Lenz schenkte dem Zillertaler keinerlei Beachtung 
mehr. Das Kapitel Hypnose ließ er unabgeschlos- 
sen und widmete sich dafür eingehend dem kalt- 
gewordenen Gröstlrest. 

Das warein Fehler, denn so konnte er nicht sehen, 
daß der Obergefreite Haslinger seinem Neben- 
mann leise kichernd etwas Ins Ohr erzählte. — — 
Es vergingen einige Tage. Die hat Schorschi ge- 
braucht zur Vorbereitung seines Hypnotisierplanes. 
Nun konnte die Sache losgehen. 

Huber Lenz stand am Morgen auf, gesund und 
frisch wie immer. Sein Schlafgenosse Langmoser 
Ferdi blickte wie unvermittelt in Lenzeis Gesicht. 
„Hast net guat g’schlaf'n heut Nacht?“ 

„|? Warum?” 

„Weilst so schlecht ausschaustl” 

„Mir fehlt nix!" 

Ferdi betrachtete ihn interessierter. „Du schaugst 
aber ganz furchtbar schlecht aus, jetzt siehg I's 
erst! Und Deine Aug'n lieg'n ganz tiaf drin!” 
Besorgt hielt er einen Spiegel hin. 

Lenz zog die Stirne in Falten. „Woaßt, so ganz 
und gar wohl fühl’ i mi eigentlich net, des muaß 
i scho zuageb’n, aber spür'n tua i weiters nix.” 
„Gib nur obacht, daß d’ koa Malaria kriagst. Näm- 





Verlag und Druck: Kn 


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gung ab 15, Okt. 1941. — Unverlangie Einsendungen werden anche wenn Porto beille; 


Kommanditgesellschaft, München, Sondlin; 
n. Vetantwort!, Anzeigenleltor: Gustay Scho 


VON WASTL FANDERL 


lich a so geht's o, daß ma rapid schlecht aus- 
schaugt!” 

Eine Stunde später gingen beide auf den Appell- 
platz. Der Hauptfeldwebel stand da, 

„Huber, ham’s g’soffen gestern?!’ 

„Nein, Herr Haupfee'I” 

„Sind’s krank?" - 

„Nein, Herr Haupfee’‘i Das heißt, der Kaffee hat 
mir heut gar net g’schmeckt!” 

„Selbstverständlich sind S’ krankl Ihr grün's 
G’sicht leucht ja kilometerweit. Gehen S’ jetzt 
zur Kammer auf Arbeitsdienst und wann's schlech- 
ter wird, so melden S’ Ihnen zum Arzt! Am End 
kriegen S’ Malarial Verstand’n? AbI” 

Der Spieß drehte sich um und grinste Ins Schreib- 
büchl. Für ein lustiges Stückl war er Immer zu 
haben. 

Bedrückt machte Lenz kehrt, schüttelte den Kopf 
und ging wie befohlen. 

Von der Feldküche her erscholl die Stimme des 


Traum einer Jugend 


Vor seiner Hütte 

Im Wald tief drinnen, 
Gehüllt in grobes, 

Besticktes Linnen — 

So seh’ ic ihn mandımal, 
Gebeugt und uralt, 

Den letzten der Mohikaner, 
Erloscıen das Auge und kalt. 


Das tote Auge, 

Einst schoß es Blitze, 

Kühn und verwegen, 

Vom Pferdesitze... 

Da brannte die Flamme 

Im Herzen so rot — 

Nun blühen viel kleine Blumen 
Nadı bitterem Sterben und Tod. 


Die kleinen Blumen — 

Trug nidıt beim Tanze 

Die lieblidie Todıter 

Sie leucıtend-im Kranze —? 

Die süßeste Stimme, 

Erloschen auch sie — 

Nädhllich nur summen die Winde 
das heimliche Lied der Prärie, 


Er nur, der letzte 

Von Unkas’ Söhnen, 

Hört ewig die Lieder 

Mannitous tönen — 

Dann straflt sich des Häuptlings 
Gebeugte Gestalt: 

Auf herrlidien Pferden reiten 

Die Krieger durdı maijungen Wald. 


An seiner Hütte 

Vorbei, vorüber — 

Aus dunklen Gräbern® 

Ins Lidıt hinüber. 

Und mitten im Zuge, 

Im endlosen Ritt, 

Da reitet auf seinem Schimmel 
Der letzte der Häuptlinge mit. 


Herbert Lestiboudois 








teise:: Einzeinur 





Straße 80 (Ferniut 1296). Br 
7, München. — Der Simplicissimus 
50 Pf.; Abonnement im Monat RM, 
Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 


Kochs. „Hel Huber! Bist Du an Tod z' Oding sei 
G'schäftsreisender, oder bist selber der Tod?” 
Lenz blieb stehen, verhielt aber jedes Lächeln. 
„Bist schlecht beinand, weilst so weiß bist im 
G'sicht?" 

Lenz nickte. „Ziemlich.“ 

„Wo fehlt's denn?“ 

„Ja mel, fast überalll In der Früah hab i no net 
viel g’spannt, bloß der Kaffee hat mir schon nimma 
recht g’schmeckt. Und latz werd’s allweil schlech- 
ter.” 

„Bist recht müad?” fragte der Koch mit gewich- 
tiger Neugier. 

„Und des wial” 

„Auweh, da hamas schol as so geht's ol” 

„Was geht 0?" 

„D’ Malariall" 

Lenz zuckte wie von einem Hieb getroffen zu- 
sammen. Für ihn stand es nun fest, er mußte un- 
bedingt zum Arzt und das unverzüglich. Also 
schwenkte er um in Richtung Geschäftszimmer, 
Schreiber Leonhard, der in die Intrige des Ziller- 
taler Schorschi nicht eingeweiht war, rauchte am 
Hauseingang eben seine Morgenzigarette. Drin- 
nen am Schreibtisch war das verboten. 
„Leonhard, sel so guat und meld an Spiaß, daß i 
zum Arzt geh”, bat Lenz, 

„Was fehlt Dir denn, Huber?" 

„Was fehlt dir denn!” äffte Lenz nach. „Schaug mi 
nur genau o, nacha kimmst scho drauf, was mir 
fehlt!” 

„Du schaust ganz g’sund aus“, wunderte sich der 
Schreiber. 

„D‘ Malaria hab i im höchst’n Gradi” erklärte Lenz 
verzweifelt. 

Schreiber Leonhard zerdrückte den Stummel in 
einer Mauerritze, kehrte in die Kanzlei zurück und 
berichtete dem Hauptfeldwebel. „Stimmt schon”, 
grinste dieser, „der Huber hat Malaria.” 

Auf dem Weg zur Sanitätsstube, der im steilen 
Gefälle in den unteren Ortsteil führte, stieß der 
Haslinger Schorschi auf den mit gesenktem Kopfe 
wandelnden Huber Lenz. Völlig zufällig natürlich! 
Ohne Einleitung schob er seinen Arm stützend 
über die Hüfte des Kranken und geleitete ihn mit- 
leidsvoll bis zum Ziel. Lenz ließ dies in Anbe- 
tracht seines Zustandes dankbar geschehen, an 
die Hunde-Abführmittel-Affäre erinnerte er sich im 
Moment absolut nicht. Er dankte dem Kameraden 
Haslinger sogar innerlich bewegt für die liebe- 
volle Hilfeleistung, als ihn dieser im Vorzimmer 
des Krankenreviers einlieferte. 


Am Mittag stand die Schar der Essenholer mit 
klappernden Feldkesseln an der Ausgabestelle in 
lauter, ausgelassener Diskussion versammelt, Unter 
ihnen, mit sieghaftem Lächeln im Antlitz, als Held 
des Tages, der Haslinger Schorschi. 

„Sehng hätt | des mög'n, verstehst, und hör’n, wia 
daß er g’jammerscht hat beim Oberarzt und wla 
dumm daß er g’schaugt hat, wia er wieder zum 
Dienscht gehn hat müass’n, weil d’ Untersuchung 
einwandfreie Gesundheit ergeb’n hatl!” 
Schallendes Gelächter hallte über den Platz, ver- 
siummie aber jäh, als der Huber Lenz um die 
Ecke bog. Dessen Gesicht war nun in Wirklich- 
keit kreideweiß, nur sein müder, schleppender 
Gang von vorhin hätte sich geändert. In raschen 
Schritten, den Blick geradeaus gerichtet, versuchte 
er dem Blickfeld der Spötter zu enifliehen. 

Das, was ‘ihm der Zillertaler mit getrichterten 
Händen nachschrie, mußte er aber doch anhören. 
Es war ein einziges Wort nur, jedoch !raf es sein 
Herz, gleich einer spitzen Lanze: „Suggeschtio- 
naschlll" 





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gemacht, ehe er seinen Vortrag über den Bolschewismus hielt!‘* 


Cronaca di Washington: “... e qui, a questo tavolino, si acconclava Il Ministro degli 
Esteri Eden, prima di tenere la sua conferenza sul bolscevismo!,, 


220 


München, 14. April 1943 a Pfenni 
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Nel Salone di Bellezza anglo-americano: “E che tl pare del ricciolino sulla fronte di Stalin?,, — „Assal grazioso! E intanto io gli fard la cura delle manil,, 


Alpdrücken - L’incubo 


= 


RN 
IN T 
TUN, 


DAS HANDTUCH 


Auf meiner Ehre liegt ein Handtuch, ein düsteres 
Handtuch. Goethe pflegte, wenn etwas auf seiner 
Seele lastend lag, es sich von dieser seiner Seele 
herunterzuschreiben, und schuf dadurch die un- 
sterblichen Werke für kommende Geschlechter 
und für die Oberklässen der höheren Schulen. 

Ich werde mir dieses Handtuch jetzt auch herunter- 
schreiben, allerdings mit dem Bewußtsein, nichts 
für kommende Geschlechter und Oberklassen ge- 
tan zu haben. Dann kann Ich wieder als ehrlicher 
Mensch vor irgend etwas hintreten. 

Also es ist ein gewöhnliches Handtuch, nicht sehr 


ALP 


Kennft du den Traum? 

... Auf einmal fteht er da, 
der Schwelnehund, den du fchon lange fuchteft, 
fteht hart vor Dir, wie aus dem Nichts gewachfen, 
und grinft dich an... 

Ein jäher Zorn fchießt hoch. 
Du hebft die Hand, den Arm, legt aus und hauft - 
ach nein, du möchteft wohl, doch wie gelähmt 
find deine Muskeln, jeder Schwungkraft bar, 
müh’n durch die Luft fich mie durch Hefeteig, 
und, ftatt zu zünden, landet deine Watfche 
fanft wie ein Zephir oder Blumenblatt 
auf des verfluchten Gegners praller Badhe, 
der höhnifch feirend dir die Zunge zeigt. 
Ein Herenbann preßt dir die Kehle zu, 
bis endlich, endlich fich ein wilder Schrei 
frei macht und du ermwachlt .... 

Kennft du den Traum? 

Dr. Omiglaß 


(Fr. Bllok) 








groß, aber aus festem Stoff. So ohne weiteres 
sieht man ihm seine Sonderart gar nicht an, wenn 
man aber näher hinschaut, merkt man, daß es 
signiert ist, wie Filmschauspieler und Filmschau- 
spielerinnen ihr Foto signieren, mitten auf die Fas- 
sade, auf daß kein Zweifel möglich sei. Auch bei 
meinem Handtuch ist kein Zweifel möglich. In 
Flammenschrift ist das Wort eingewoben „Mitropa”. 
So, jetzt ist's heraus. Ich nahm es einst aus einem 
Schlafwagen versehentlich mit, dieses Handıuch, 
Eigentum der Mitteleuropäischen Schlafwagen- 
und Speisewagengesellschaft, Ich schwöre, es ge- 
schah nicht mit Absicht. Eines Tages lag es wie- 
der gewaschen und gebügelt zwischen meiner 
Wäsche. Der Büglerin wird ein angenehmes Gru- 
seln über den Rücken gelaufen sein und sie wird 
mich für einen internationalen Hotel- und Eisen- 
bahndieb gehalten haben oder eine ähnliche 
mannhafte Figur ihrer Träume, 

Dies war bisher das letzte Mal, daß mein Hand- 
tuch, Verzeihung, das Mitropahandtuch, an die 
Öffentlichkeit kam. Seit jenem Tage lag es in der 
untersten lade meines Wäöscheschrankes. Ich 
mußte es vor dem Zugriff von Zugeherinnen, Zim- 
mervermieterinnen und Leuten, die mich pfänden 
wollten, verbergen. Oft hätte ich gerade dies 
kleine Handtuch gebrauchen können, aber unsicht- 
bare Hände hielten mich davon zurück. Ich hätte 
es natürlich zurückschicken müssen. In Stunden 
ernster Gefahr des Entdecktwerdens beschloß ich 
dies immer wieder, aber später vergaß ich es 
doch. Ich wollte es- auf Reisen mitnehmen, um es 
im Schlafwagen liegen zu lassen, und einmal war 
es wirklich so weit, daß ich es eingepackt hatte, 
aber da vergaß ich es liegen zu lassen. Die Angst 
können Sie sich vorstellen, als ich an eine Grenz- 
station kam und der Zöllner meinen Koffer unter- 
suchte. Besonders unten, wo die Zigaretten zu 
liegen pflegen und die anderen Gegenstände des 


222 


77 
DIHEH 
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Grenzübertritts. Ich brachte das Tuch als Wäsche- 
ausstattung mit in die Ehe und machte meine Frau 
zur Mitschuldigen. Mit ehernem Handtuch sind wir. 
seither aneinander gekettet und bei seinem An- 
blick fallen uns alle Sprichwörter über unrecht 
Gut ein. 
Dieser Tage fiel es mir wieder in die Hände, als 
es hieß, man solle ein Tuch In den Luftschutzkeller 
mitbringen, um es sich notfalls vors Gesicht zu 
binden. Da sagte meine Frau, ich solle das lassen, 
denn es liege kein Segen auf dem Linnen, 
Das Handtuch hat oben in der Wohnung das Bom- 
bardement überstanden, aber ich habe doch be- 
schlossen, wenigstens ein Bekenntnis abzulegen. 
Foltzick 


Hab’ guten Schlaf, Kamerad! 


Wir haben dich mit Erde zugedecht, 

Mit guter Erde, die einft lauter Blumen weckt, 

Und kehrt ins Land der Sommer wieder ein, 

Dann wird dein Grab ein bunter Hügel fein. 

Wir aber - ach! wer weiß, wo wir dann find? 

Vielleicht erzählt es dir der kühle Steppemwind, 

Vielleicht die Wolke hoch im Abendrot - - 

Und wenn wir nicht auf diefer Welt mehr find, 

Dann fehen wir uns wieder nach dem Tod. 

Hab guten Schlaf, Kamerad! 

Wir müffen weiter, Immer weiter - - 

Schmal it im hohen Steppengras der Pfad, 

Und lang, fo lang der Weg der grauen 
Steppenreiter =! 

Hab guten Schlaft 

Die Nacht will kommen und die kalten Sterne - - 

Und unfer ift auf Erden und im Himmel 

Allein die Ferne! 


Herbert Leftiboudois 


Churchill und die Emigranten 


(E. Thöny) 





„Erstaunlich, wie wichtig die Herren ihre Rolle nehmen! Dabei kostet 
es mich nur einen Wink und sie verschwinden in der Versenkung!“ 


Churchill e gli emigranti: “"C'& da stupire nel vedere con che sussiego questi Signori fanno 
la loro parte! E dire che basta un mio cenno perch& scompariscano nel trabocchetto!,, 


223 


ZWISCHEN SCHAUKELPFERD UND TIGER 


Das war einst, als die Liebe begann und das 
ganze Jahr aus Frühling bestand. Da hing über 
meinem Mahagonischreibtisch der Reklameabreiß- 
kalender einer Seifenfabrik. 

Darauf war in Lebensgröße der Kopf eines Mäd- 
chens abgebildet, dessen Schönheit nur durch 
ein Iyrisches Gedicht nachgefühlt werden könnte. 
Durch ihr Haar floß chinesische Tusche in woh- 
ligen Strömen. Aus ihren Schaukelpferdaugen 
tropfte. die Güte, Ihre Lippen aber erinnerten an 
Vierfruchtmarmelade oder an das Sammetweiche 
von Plüschsesseln in Wartezimmern. Ja, so sanft 
und ohne Arg war dieser Mund, daß ich mir an 
seine Ufer ein Wochenendhaus mit Sonnenblumen 
dachte, Und sie lächelte so oft ich hinsah oder 
ein Blatt vom Kalenderblock abriß. Dieses milde 
Lächeln hatte sie auch am 17. Juni — als es 
draußen hagelte, — am 21. August — als der Blitz 
in die Starkstromleitung einschlug — und am 
11. Dezember — als ein Schneesturm das Dach 
eindrückte. 

Bald war ich in dieses Bild verliebt, küßte es 
jeden Tag und benützte aus tiefster Zuneigung 
die darunter angepriesene Vollmilchseife „Aurora”. 
$o wurde mir allmählich dieser Kopf — im Vier- 
farbendruck — zum ersehnten Typ. Alles in mir 
verlangte nach dem lebenden Vorbild. „So eine 
Frau — oder keinel” 

Im Bummel durch die Straßen, in Kaffeehäusern, 
auf Hotelterrassen und an den Verkaufsständen 
der Seefischhalle sah ich nach meinem Typ aus. 
Täglich trug Ich ein Stück Auroraseife in der 
Tasche, um meine Eroberung sogleich damit zu 
beschenken und meine Sehnsucht beweisen zu 
können. . 

Auf der Plattform der Straßenbahnlinie Nr. 9 ent- 
deckte ich plötzlich diesen Kopf, als wäre er von 
meinem Abreißkalender mit der Schere ausge- 
schnitten. Liebliche Haarströme ... Schaukelpferd- 
augen...plüschgepolsterte Lippen — alles stimmte 
wie die Normaluhr. Meine Pulse hämmerten gleich 
einem elektrischen Klavier- und meine Zunge 
dörrte vor Aufregung. Sie mußte dieses Klavier- 
spiel und meine Trockenheit bemerkt haben — 
und schlug die Augen als Jalousien nieder. 
i..die Güte selbst...‘ dachte ich, trat einen 
Schritt auf sie zu und stotterte etwas von un- 
glaublicher Ähnlichkeit... Ideal... Typ... Au- 
rora... Verzeihung... Vollmilch... Zufall — Und 
dazwischen hinein drückte ich ihr das Stück Seife 
in die Hand. Nach zwei Haltestellen hatten wir 
uns bereits so weit gefunden, daß wir uns für 
Sonntag wlederfanden. 

Wir fuhren auf einem Ausflugsdampfer. Sie fütterte 
die Möven. Wenn ich ein „Ja” erwartete, nickte 
sie mild mit dem Kopf. In die gewünschten „Nein” 
schüttelte sie gleichgesinnt ihre Locken. Dann 
sprach sie von Säulen, Tempeln und Weinlaub im 
Häar. Ich streichelte sie und gab ihr den wohlig- 
weichen Namen „Amalie”. 

Uber dem Dampfersteg hätte ich sie gerne auf 
den Händen getragen. Aber aus Furcht, sie 
könnte mir aus Zartheit zerbrechen und vor Milde 
schmelzen, schwebte ich mit ihr nur Arm in Arm 
ins Seerestaurant. Dazu gurrte sie wie Tauben... 
Und Ich dachte, daß mein Typ nur von der Tasse 
nippt und den Kuchen in Krümchen aufpickt. 
Aber bis zum Abend hatte sie zwei Portionen 
Kaffee, vier Stück Torten und drei Wurstbrote ver- 
zehrt. Zur Nacht besuchten wir zwei Speiselokale. 
Amalie ließ sich ‚jedesmal nachservieren’ und 
trank dazu drei Schoppen Mosel und vier Kirsch. 
Ich bekam für das Wohlergehen meines Typs 
Angst und zählte heimlich in der Tasche mein 


VON ERNST HOFERICHTER 


Bargeld nach. Es reichte zum Glück aus, weil sie 
nur mehr zwel Eisbecher und Salzburger Nockerl 
nachbestellte. 

„Wenn es dir nur nicht schadet, Amalie...?" 
„Du, warum bist du so häßlich zu mir... das finde 
ich nicht nett...” erwiderte sie gedemütigt. 

Um sie meinen Formfehler vergessen zu lassen, 
sprach Ich von Schwänen, die durch die Fluten 
ziehen, von wehenden Rosengärten, Zypressen- 
wäldern und Palmenhainen... 

Da war sie wieder in ihrer Heimat des Edlen hei- 
misch geworden — und um zehn Uhr sagte sie 
w..bestell mir, bitte, einen Wagen...!” 
„Aber Amalie... wir können doch auch mit dem 
Autobus zurückfahren...."" 

w.. jetzt wirst du aber geschmacklos.... Ich wün- 
sche nicht, daß —” 

w.. aber, meine Taube, wir haben uns doch auch 
auf der Platiform...?' 
ur», Willst du - mich 
oder —?” 

„Ober, ein Taxi...l" — 

Am Haustor hatte sie wieder das Lächeln aus 
Schneewittchen und Puppenfae. Ihr Gesicht zer- 
floß beim Abschied zu Märchen und Ich drückte 
dem Chauffeur als Pfand meine goldene Sprung- 
deckeluhr in die Hand — — — 

Wir trafen uns jetzt jeden Tag. 

Amalie bekam immer mehr Appetit. Eine Freude- 
an neuen Abendkleidern erwachte in ihr. Ich 
wuchs in neue Gesellschaftsformen und Manieren 





im Wagen zurückfahren 


DIE BEIDEN MÄDCHEN 


Das Mädchen aus der Stadt 
ging heut im Dorf fpazieren 
und pflückte fich ein Blatt, 
um drauf zu mufizieren. 


Die Weife, die co blics, 
mar eine feltene Weile, 
ich ging und fühlte dies: 
Sie geht bald auf die Reife, 


Mir fchien, von Trauer fiel 
ein Ton aus Ihrem Munde, 
doch wie zu Tanz und Spiel 
ging bei ihr die Gefunde. 


Und lachte überhell, 

die Freundin zu beleben. 

Ich überlegte fchnell: 

Was könnt”ich ihr wohl geben? 


Es müßt’ ein edler Stein, 

ftrahlend wie ein Gedanke, 

oder ein Brief von ihrem Liebften fein - 
nichts fand ich für Die Kranke, 


So traurig wie fie war, 

nahm fie das Blatt vom Munde 
und nun erft ward mir klar: 
Wie fchön ift die Gefundel 


Peter Scher 
224 


hinein, weil sie mich täglich taktloser und unmög- 
licher fand. 

Ich mietete, ihr eine Achtzimmerwohnung. Um alle 
Stunden ihr zu opfetn, gab ich meinen Beruf auf, 
„Amalie, jetzt hast du wohl Raum und Zelt genug 
durch mich...?" 

im,. mir das auch noch vorzuwerfen, finde ich 
mehr als kitschig...“ antwortete mein Typ. 

Drei Tage darauf überraschte Ich sie nach Mitter- 
nacht in der Neptun-Bar. Mit Taubenlächeln zog 
sie einem Autohändler die grauen Haare aus den 
Schläfen — — — : 

Das Bild meines Ideals explodierte. 

Mit dem Seifenkalender „Aurora” heizte ich mir 
den Ofen zur ‚Nacht meiner Enttäuschung’ an. Aus 
war es mit Sammetlippen, Billardaugen und wie- 
genden locken... 

Jäh schlug mein Typ ins Gegenteil um. Wer zuviel 
Schlagsahne verspeist hat, sehnt sich nach sauren 
Gurken. Und beim Spaziergang durch die Raub- 
tierschau des Zoo sah Ich den Gegenpol alles 
Sanften und Zarten, 

Sie — neckte mit Ihrem Sonnenschirm einen ben- 
galischen Tiger, entnahm ihrer Krokodilledertasche 
etwas Fleisch und warf es zwischen die Gitter- 
stäbe. Tiger stand gegen Tiger. Und Raubtier 
gegen Raubtier tauschten Gefühle aus. 
ır..Ooooh, wie gemein... !” hörte ich im Geiste 
meine entflogene Taube zischen. Aber diese Er- 
innerung verstärkte meine Zuneigung für die 
Tigerdame, die bis in die Mundwinkel hinein der 
schreiende Gegensatz zu Amalie war. 

In diesem Mödchenantlitz war alles Sanfte ab- 
gemäht und alle Milde wegrasiert. Ihre Haare 
brannten rot wie ein Großfeuer. Die graugrünen 
Augen waren nur durch den Spalt eines Schlitz- 
verschlusses sichtbar. Die Lippen waren ein Paar 
Korallennattern, die mit offenen Augen scheinbar 
schliefen, Und ihrer Figur glich nichts so sehr 
als ein Staubsauger, der sich über das Geländer 
schlängelte. 

Ich kaufte vom Wärter Fleisch — und beinahe 
hätte ich die Bestien verwechselt und das erste 
Stück der Dame zwischen die Zähne geworfen. 
Ich machte für mich das Heulen einer Hyäne nach. 
Sie nahm es mit Wohlgefallen auf und durch 
diese Tierlaute kamen wir uns menschlich näher. 
Sie liebte Zirkus mit Todesschleifen, verspeiste 
nur Beefsteak älatartare und sammelte Speere und 
Dolche. Und konnte wie Natron aufbrausen... 
Nach einer Stunde warf sie mir eine Portion 
Italienischen Salat an den Kopf und drohte mir 
mit der dreizackigen Gabel, als ich für sie be- 
zahlen wollte. „...Messalina...! schrie Ich. 
Darauf fiel sie mir um den Hals, wo sie noch lang 
lag. Sie gab Pfötchen und aß aus der Hand, Die 
Lektüre von Brehms Tierleben ließ mich tiefer in 
ihren Charakter eindringen. Und sie wurde zu 
einem Wunder der Dressur. 

Und wie alle Tiere war sie im Grunde ihres 
Wesens ein Engel. Und Onkel Nietzsche sah um 
die Ecke, wenn er entdeckte, daß jedes schlimme 
Ding zwei gute Seiten hat. 

Aber mein Typ verstand das nicht, weil sie es 
selbst war. Blinzelnd saß sie mit leicht gekrümm- 
tem Rücken neben mir. Und Angst bekam ich 
nur, wenn sie von den Nebentischen her mit 
durchbohrenden Blicken gereizt wurde. 

Da konnte es sein, daß in ihr die Bestie siegte 
und In einem Sprung über drei Service hin- 
schnellte. 

Aber durch ein Tartarbrot habe ich sie immer be- 
sänftigen können, Das war einst, als die Liebe be- 
gann und das ganze Jahr aus Frühling bestand... 








(R. Kriesch) 


Verklungene Tage 


„Früher hat eben so 'n Jraf Millionen für 'n paar Mä’chenbeene hinjeschmissen, 
aber heute sieht 'se jeder Stiesel for nischt uff der Straße!" 


Giorni svaniti: “Una volta un qualche contino sprecava dei milioni per un palo di gambe 
di ragazza ed oggi un bardassa qualunque se le puö guardare per niente sulla stradal,, 


225 


DIE ROSE VOM KAPRUNER TAL 


Eigentlich wollte ich Schauspieler werden. Dem 
Amplezer-Hansgirgl von Antelsbach allein ver- 
dankt es das Theaterpublikum, daß es sich heute 
nicht über meine Lakalen, Herolde, Mönche und 
teitenden Boten zu ärgern braucht. 

Meine kurze Bühnenlaufbahn trat ich als Jugend- 
licher Liebhaber belm „Dramatischen Verein 
Thalla” in G. an, wo die Heinzellner-Resi die 
Jugendliche Salondame spielte. Die Resl war ein 
hübsches Mädchen mit kecken Augen und Wan- 
gen wie reife Pflısiche auf Rahm. Sie war sauber 
um und um und ließ sich von keinem was vor- 
machen. „Wer garantiert denn no für a Manns- 
buld?” sagte sie und zeigte Ihre blitzenden 
Zähne. Gleichwohl hatte ich das Gefühl, als ob 
die Resl mich nicht ungern sähe: Da man aber In 
jungen Jahren nur das bemerkt, was einem ge- 
rade interessiert, übersah ich dabel völlig, daß 
die Dorfburschen, denen jedes Blinken in den 
braunen Augen der Resl verdächtig schien, sich 
alsbald arg über mich gifteten. Voran der Am- 
plezer-Hansglrgl, der seit Jahr und Tag auf die 
Resi spannte und Ihretwegen sogar zahlendes 


Der Ausweg - L’espediente 





VON ALFRED UHLMANN 


Mitglied beim „Dramatischen Vereln Thalla’ war, 
nachdem man Ihn a's aktiven Spieler abgelehnt 
hatte, well er als nicht ganz hell auf der Platten galt. 
Zu damaliger Zeit probten wir an dem Volksstück 
„Edelweiß und Almenrausch” oder: „Die Rose 
vom Kapruner Tal“. Der Hansgirgl hockte derweil 
breit und finster am Ofentisch vom „Roten Och- 
sen“, paffte verdrossen aus seiner Pfelfe und 
glotzte In einem fort auf die Heinzellner-Resi. Aber 
in der Pause raunte er ihr zu: „Resl, du waarst 
die recht’ für mil DI tat I glei heirat'n!” Die Resi 
Jedoch verzog den hübschen Mund und warf ihm 
schnippisch hin: „Mei Ruah Ioß ma, ohdrahta Lackll” 
Auf diese dramatische Szene am Tisch folgte eine 
heitere auf der Bühne, in der jedes Wort wie 
Gift in die zerrissene Seele des Hansgirgl tröp- 
felte. Da fing nämlich der Held des Stückes, der 
schneidige Jägerbursch Loisl, an, mit der Heldin 
zu spenzeln. Die Rose vom Kapruner Tal aber war 
ausgerechnet die Resl und derJager-Loisl war ich. 
Wenn mir ein Blick in die Zukunft vergönnt ge- 
wesen wäre, hätte ich nich jetzt aus dem Staube 
gemächt; so aber trat ich auf der Bühne sonnig 


(0 Hemenn) 


„Was tut eigentlich Egon, wenn er auf einen anderen Mann eifersüchtig Ist?" 
„Er sagt zu ihm ‚Herzliches Beileid‘! r 


"Che fa in realtä Egon quando & geloso d’ un altro uomo?,, — "Egli gli dice: 'Le mie cordiali condoglianze, I, 


226 


lächelnd in die Gaststube des Wirtshauses „Zum 
Wasserfall”, wo die Wirtstochter Resi in aller 
Herrgottsfrühe blaue Bauernstrümpfe stopfte. Wie 
es die Rolle verlangte, spenzelte ich forsch mit 
der Resi und drängte in sie: „Hätt’st heut’ auf d’ 
Nacht net a bißl Zeit für mich?” Die Rose vom 
Kapruner Tal, die ihren wildernden Vater vor 
meiner tödlichen Büchse erretten wollte, hauchte 
errötend: „Leicht gang’s”, was also heißt: leicht 
ging es. Jotzt muß ich die Resl umarmen und 
sagen: „Gib mir a Bussel, G’schmacherl, liabs!” 
Die Resi blinzte keck lachend auf den Girg| am 
Ofentisch und überraschte mich mit einem so 
herzhaften Kuß, daß Ich wie betäubt dastand, Der 
Girgl aber hieb mit der Faust auf den Tisch, rum- 
pelte hoch und brüllte, daß die Luft zitterte: 
„Saustier, bremsiga, loßt’s nit stehn, d’ Resell 
Himmikruzifix, di stich ich pfeigrod o wlar a Saul” 
Mir wars In der nächster Probe nicht gerade 
sehr wohl, jedoch verhielt sich der Girgl still, bis 
sein Spezi, der Gerstmaler-Simmerl, erschien. 
Ihm machte es wohl Spaß, den Girgl zu kitzeln. 
„Schaugn o, den Jagr”, raunte er, breit grinsend, 
„der woaß's, wla ma si’s Leb'n schön macht! Der 
teilt si’s richtl ei: bel d’Nacht schloft ’r Im Wald, 
aba kaam, daß d’ $Sunn kimmt, fangt ’r mit da 
Resl 's Speanzeln ol Mel Liaba, dös Is a ganz 
Hellal” Der Girgl gab nur einen dumpfen Stöhn- 
laut von sich und sagte verbissen: „Wart no, dem 
Bazi rolb'n ma’s scho noch ei 
Auf das hin geschah Jedoch rein gar nichts. Erst 
am Abend der Premiere von „Edelweiß und Al- 
menrausch” raunte ein Bursche uns zu: „Paßt’s 
auf, heunt drlebt's ös was und nix Guatsl" Indes 
war der Glrgl bei meinem heiklen Auftritt im 
„Wasserfall“ ganz brav, nachher aber verschwand 
er mit dem Simmer! aus dem Saal, 

Der nächste Akt spielte wieder In der Gaststube, 
wo ich mit dem Steinbeißer-Viktorl, einem Wil- 
derer, eine Reiberel hatte. Ich saß mit drei 
Bauern auf der Bank, der Wirt stand am Schank- 
tisch, das Stichwort für den auftretenden Viktor! 
tlel..., da hörte man aus einem mächtigen Ge- 
rumpel hinter der Szene seine eıboste Stimme: 
„Himmikreizseit'n, loßt's mi einil“ „Halt dei 
Maul, Sauhammi, damischal Do gehst einil” 
raunzte auf das hin die Stimme des Simmerls. 
Eine Tür krachte ins Schloß, dann hörten wir 
Schritte... und aus den Kullssen trat — der 
Amplezer-Hansgirgl... | M 

Es glbt Augenblicke Im Leben, in denen sich der 
Mensch über alle menschlichen Möglichkeiten 
erhebt und solche übernatürlichen Taten voll- 
bringt, daß er sie später mit seinem Verstand 
nicht mehr begreifen kann. So war es auch hier 
mit dem Girgl! „Grüaß Good, beinand!” rlef er 
mit pfiffigem Grinsen In den gestopft vollen Saal. 
Der vor Staunen starre „Wasserfall-Wirt fiel, als 
er sein Stichwort vernahm, wie hypnotislert In 
seine Rolle und plärrte: „S’ Good! A schöns Wetta 
hamm ma heit! 's G’witta hot si v’rzohgn, dös 
werd di g’freunl” Der Girgl schlelte ihn schief 
an und polterte völlig rollenwidrig: „Halt’s Mäu, 
du Trohpfl Dös geht di an Schmarm o, ob’s 
G’witta mi g’freut! Schaug no, daß ’s net amal 
bei dir eischlagt, du damischa Rittal” 

Die Zuschauer Im Saal brachen in vergnügtes 
Wiehern aus; der Girgl aber faßte mich scharf 
ins Auge, kam langsam näher, und was nun folgte, 
spielte sich viel rascher ab, als man es erzählen 
kann. Girgl packte mich am Kragen, ich selbst 
wußte, daß Altrulsmus jetzt fehl am Platze war 
und daß ich mein Bestes geben mußte, im glei- 
chen Augenblick trat der „Wasserfall”-Wirt einen 
wackligen Stuhl zusammen und bückte sich hastig 
mit unseren anderen Kollegen nach den herum- 
rollenden Beinen, denn schon drängten Girgis 
Freunde rablat zur Bühne Die lampe krachte 
herunter, der schnaubende Viktorl stürmte mit 
dem Simmerl von hinten her; ein hiiziges 








Schreien und Schlagen hub an, Tische kippten 
pumpernd um, Bier peltschte auf den Boden, Glä- 
ser klirrten scheppernd — ich flog, von Girgl 
dahin geschleudert, mit unwlderstehlicher Macht 
an eine Kulisse, die ıhrerseits umfiel und mit der 
oberen Latte Girgı am Kopf trat. „Aual’ brüllte 
er wütend, „Sauglump, verreckt's — wenn no 
glei dö ganz’ Welt untergang...“ 

Es war eine herrliche Szene, eine vor denen, die 
In der ganzen Welt Lacherfolg haben. Das Publi- 
kum lachte denn auch; ja, es Jauchzte und schrie 
vor Vergnügen. hieb mit den Fäusten auf die 
Tische, daß dıe Radis hochsprangen und die Maß- 
krüge umfielen, und spendete rasenden Beifall. 
Leider klaffı von hier eine breite Lücke in mel- 
nem Gedächtnis, so daß Ich nichts mehr zu be- 
richten weiß. Vermutlich ist dies dem Umstand 
zuzuschreiben, daß deı Girgl eines jener Stuhl- 
beine erraffen konnte und damit bei mir eine 
nachhaltige Sirnestrübung bewirkte. Ich weiß nur 
noch, daß ich, ehe es ganz und gar finster ward, 
mir gelobte, nie wieder Theater zu spielen... 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


© Nücken) 





Das war im tletsten Frieden, da kam mein Nach- 
bar vom Reißbrett nebenan statt um 8 Uhr erst 
um %9 Uhr ins Büro, ging vorsichtig In Deckung 
und begann mit primitiven Mitteln, Handspiegel 
und Taschenkämmchen, eine dringend nötige ober- 
flächliche Toilette. „Also gestern, da hab’ ich ein 


Freilein kennen g’lernt”, begann er zu schwärmen, 
„so was Zurückhaltendes, so was Vornehmes, so 
was Gebüldetes, ich möcht schon fast sagen, 
Keisches, hab’ ich überhaupt noch net erlebt! 
Meinen S’, die hätt" mir ihren Vornamen g'sagt? 
Net um allesl Übrigens, war der Scheff schon da 
heut? Net? Ich komm’ nämlich grad von der 
Damel” ©.M. 
* 


Man probierte unter Sascha GuitrysLeitung. Eines 
Schauspielers Auftritt ließ zu wünschen übrig, 
Gultry mahnte: Nein, so gehe es nicht, er solle 
aufs neue beginnen, der monsieurl Die Bühne mit 
einer gewissen — man möchte sagen majestä- 
tischen Überlegenheit betreten! 
Der Schauspieler verließ eilends die Bretter, dann 
erschien er wieder, stelf, die Nase in die Luft 
gereckt, breitarmig und breitbeinig, daß Gultry 
Ihn anfuhr: 
„Aber, mein Lieber, was machen Sie? Ich habe 
Ihnen nicht gesagt, Sie sollten zu Pferd kommen!” 
PS. 











BRSEONO, einlont I 
mac, 


un 





Föntzehn Millionen elektrische Bügeleisen gibt es in deutschen Familien. 
Wird jedes davon nur eine Viertelstunde im Monat unnötig unter 
Strom gehalten (etwa durch häufiges, jedesmal neues Anheizen 
erforderndes Bügeln kleiner Teilmengen), so hat „Kohlenklau” 
eine leichte Beute! Denn solche 
Unachtsamkeit ergibt eine jähr- 
liche Verschwendung von rund 
22 Millionen Kilowatistunden — 
undelektrischerStromwirdmeist 
mit Kohle erzeugt. Mehr.als eine 
halbe Million Sack Zement für 
Bunker, Rollfelder, Brücken usw. 
lassen sich mit dem vergeudeten 
Strom herstellen! Darum paßt 
auf und denkt daran: 


Faßt den „Kohleuktau”, wo ühe ihm findet! 





















Kampf un Sieg 


unserer herrlichen Wehrmach schildern 
diese Erinnerungsbücher vom OKW.: 


Sieg in Polen ...... 375 
Der Große Befehl . . . : 3.60 
Trotz allen Gewalten.. . 1.50 
Seriet:RM.d.85 auch einzeln, d.Nachn. 


Buchhandlung TFÄIRSCH oüsseltort-k 12 










— DO H— 
KRWhf An Korlbsuhe 


UKAILADID IE IR DIA IKAD SIILIETTILIKK 


KAHN» 










F — 








Zutatenvarlust 

bei Kleingebäck 
Zucker, Milch, Mehl und Milel G... 
schade darum, denn das Kleingo- 
back verbranate. Kohlenklan int 
schuld, schluchzt die untröstliche 
Hausfrau, Moral: Auf Kohlenklau 





Durchlöcherte Kochtöpte 
—) E 
heilt 


Ga 
Alles-Kitt 








Alles-Kütt mit Alabronze oder Gipa oder Kreide za 
einer honigdicken Masse vermengt gibt zum Behelf ein 
worzägl. Dichtungsmittel für defekte Kochtäöpfe un. 





achten. Kleingebäck in kalten Ofen 

einschieben... anleizen und vor- 

sichtig durchbacken. Rechtzeitig 
herausnehmen! 


Milei 


der zuverlässige Ei- Austauschstofl 


- 
Heunen Sie? 
schon Raumblidwerke - den neuen Buch- 
typ, der In Publikumakreisen großen Bel- 


tall'geiunden hat. Jedes Werk, im Format 
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Ein Flügel macht noch keinen Pianisten — so macht auch 
ein Rezeptzettel noch keinen Gesunden, Der Kranke muß 


die Arztlichen Vorschriflen einhalten. 
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SELEEES 
LAREERI 
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Was ist Vergeudung? 


Wenn man miı zu seuchler Zahn- 





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Gefilterler Rauch 
Reiner Genuß 





227 


bürste über das „Rosodoni“-Stück 
«reicht, Dadurch Toni sich zu viel 
von dem kostbaren Stoff, der nutz- 
Ioı über den Dosenrand ıräufel. 

'osodonr“ ist Im Verbrauch Infolge 


er fesıen Form sehr sparsam! 


A-N-N-BERGMANNWALDHEIMCSA.) 


Rosodent 


Bergmann festetAHNPASTA 








Die Dompteuse = La domatrice 








DIE UNERWARTETE REDE 


VON CAMI 


Erstes Bild: Die Liebenden Schauplatz: Ein Jung- 
gesellenheim. 

Herr Edmondo (allein): „Seit zwanzig Jahren bin 
Ich der Geliebte der Frau melnes besten Freun- 
des. Obwohl ich selbst verheiratet bin, habe Ich 
dieses Junggesellenhelm gemietet, wo mich die 
schuldige Gattin an bestimmten Tagen aufsucht, 
Da kommt sie schon!” 

Die schuldige Gattin (tritt ein): „Es ist etwas pas- 
siert: Mein Mann Ist tot.” 

Herr Edmondo:; „Der arme Kerl! Er hat uns nie ge- 
stört. Grenzenlos war sein Vertrauen in uns. Er hat 
nie etwas geahnt.’‘ 

Die schuldige Gattin: „Niel Schüchtern und willen- 
los wie er war, hätte mein Mann mich nie zu ver- 
dächtigen gewagt In deiner Eigenschaft als alter 
Freund wirst du, lieber Geliebter, am Tage seiner 
Beerdigung ein paar gerührte Worte reden 
müssen.” 

Zweites Bild: Die Rache eines Schüchternen 
Schauplatz: Ein Friedhof. 

Herr Edmondo (beendet vor dem Grabe seine 
Rede); „Lebwohl, guter Freund! Ruhe !n Frieden! 
Der unerbittliche Tod raffte dich hinweg im Alter 
von neunundfünfzig Jahren Lebwohll” 

Der Chor der Leidiragenden: „Herr Edmondo hat 
schön gesprochen. Doch was soll das: man stellt 


vor dem Grab eine Filmleinwand auf... ?" 

Der Notar des Verblichenen: „Ich vollstrecka den 
letzten Willen des Toten. Alles soll dableiben. 
Der Tote wird eine Ansprache halten.” 

Chor der Leidtragenden: „Eine Ansprache?” 

Der Notar des Verblichenen: „Jawohl, Kurze Zeit 
vor seinem Tode kam meinem Klienten der Ge- 
danke, in einem Tonfilm die Rede zu halten, die 
Sie sogleich hören werden. Er beauftragte mich 
sodann, am Tage sciner Beerdigung diesen spre- 
chenden Film vorführen zu lassen.” (Er gibt dem 
Vorführer ein Zeichen. Auf der Leinwand erscheint 
das Bild des Toten. Er trägt einen schwarzen Geh- 
rock, waschlederne Handschuhe und in der Hand 
den Zylinder.) 

Der gefilmte Verblichene: „Meine Damen und 
Herren! Sie staunen zweifellos darüber, daß ein 
Toter am Tage seines Begräbnisses das Wort er- 
greift. Ich weiß, das Ist nicht Brauch. Allein, ich 
mache mir den Fortschritt unserer Zeit zunutze, um 
auf meinem Grabe eine kleine Rede zu halten und 
Ihnen das Geheimnis meines Lebens zu enthüllen. 
Während meines ganzen Lebens war ich außer- 
ordentlich schüchtern. Ich habe nie gewagt, mei- 
ner Frau gegenüber die Stimme zu erheben. Mir 
graute vor Szenen. Die Elende nutzte dies aus und 
betrog mich mit meinem besten Freunde Edmondo, 


228 


(A Kubin! 





der hier anwesend ist Zu Lebzeiten hatte Ich nie 
die Stimme zu erheben gewagt: das soll Jetzt 
anders werden! Heute, da ich tot bin, habe ich 
keinen Grund mehr, schüchtern zu sein, nichts 
kann mich hindern zu rufen: ‚Edmondo, Sie haben 
an mir gehandelt wie ein Schweinekerll"" 
Herr Edmondo (vers.ufti): „Abor... Abar...“ 
Der gefilmte Verblichena: „Wie, Sie haben sich 
nicht geschämt, Edmondo, auf meinem Grabe eine 
Rede zu halten. Sie, der mir zwanzig Jahre lang 
Hörner aufgesetzt hat! Oh, mein Lieber, Sie haben 
sich eingebildet, ich wüßte nichts von Ihrem fei- 
gen Verrat? Oho, ich besinne mich auf seine 
kleinsten Einzelheiten: Meine Frau verliebte sich 
in Sie am ersten Tage, da ich Sie zum Essen mit 
heimbrachte. Nach dem Essen, besinnen Sie sich, 
haben Sie ein pikantes Liedchen gesungen, des- 
sen Kehrreim Sie hören sollen,..” (Man hört das 
Lied.) 
Herr Edmondo: „Das Ist ein Skandall Aufhören| 
Wenn sich der Tote nicht achtet, soll er wenig- 
stens den Ort achten, wo wir sindl” 
Der gefilmte Verblichene: „Und nun will ich Sie, 
Edmondo, für immer verlassen. Aber ehe ich 
gehe, möchte ich Ihnen, lieber Don Juan, das fol- 
gende sagen Seit Jahren betrügt Sie Ihre eigene 
Frau mit einem Bankbeamten; Ihre ältere Tochter 
vergnügt sich mit einem Jäger der Schutztruppe, 
und die jüngere mit einem alten Herrn im vierten 
Stock. Ihre Hausgehilfin endlich...” 
(Herr Edmondo stürzt sich auf die Filmleinwand, 
zerschlägt sie und sinkt ohnmächtig hin.) 

(Aus dam Italienischen von HBW.) 


Der Garten Edens 


(Erich Schilling) 


Europa als Sowjetparadies 
Il giardino di Eden: L' Europa ... Paradiso dei Sovieti 


229 





Der Blickfang 


(X, Helligenstaodt) 





„Viel von mir kann er ja durch das Schlüsselloch gar nicht sehen, 
aber es soll dann doch wenigstens etwas. Besseres sein!" 


230 


DAS WUNDER DER BLÜTE 


Japanische Frühlingsgedichte - Nachdichtung von Gerhart ‘Haug 


BLÜTEN IM SCHNEE 


Nun schneit's! 
Die Pflaumenblüten 
Wollt’ ich dem Liebsten zeigen. 
Seh’ ich nun Blüten oder Schnee 
Sich mir vom Baume neigen? 
Akahito (8. Jahrh.) 


BITTE 


Die Pflaumenblüte sprach zu mir im Traum: 


„Sieh meine Schönheit hier im Morgenduft 
erglimmen. 


Laß mich umsonst nicht flattern in den Raum, 


Auf deinem Weine laß mich schwimmen!“ 


FRAGE 


In den Tagen des Frühlings, 
Wo der Himmel im Glanz 
Sanft die Erde bezaubert 

Und das Herz birst vor Liebe, 
Warum fallen die Blüten da? 


Tomonori (9. Jahrh.) 


ANTWORT 


Kirschblüten! 
Wenn ihr auf breiten Bergesrücken 
Viel Tage lang so lieblich weiterblühtet, 
Würde man so euch lieben? 

Akahito (8. Jahrh.) 


Okura (etwa 660-733) 


IN DER VERBANNUNG 


Einsamer Bergkirschenbaum! 
Aller Freunde bin ich nun bar, 
Einsam wie du. — 
Nur deine Blüten 
Die blühen mir noch! 

Gyoson (1054-1135) 


REGEN IM FRÜHLING 


Rauh fällt der Regen in den Kitschenflor! 
Ö stell’ dir dieses Bild der Wehmut vor: 
Tropfen und Tränen rinnen still — 
So ist das Herz — so ist's April! 

Kuronushi (9. Jahrh.) 


ALLES. GUTE. KOMMT: VON OBEN 


„Das Sonntagsblatt hat angerufen”, sagte meine 
Frau so nebenbei, „es braucht bis morgen früh 
eine kleine Humoreske, ich habe zugesagt.” 
„Ah, staunte Ich, „du willst eine Humoreske 
schreiben?" 

„Es ist Jetzt vier Uhr nachmittags”, stellte Ursula 
sachlich fest, „bis morgen hast du noch zwanzig 
Stunden Zeit, da wirst du wohl so eine Ge- 
schichte aus dem Ärmel schütteln können?” 
„Natürlich“, renommierte ich, „ich glaube sogar, 
ich habe schon etwas, vorderhand steckt es aber 
noch im Unterbewußtsein.” 

„Na, dann hol’ es so rasch als möglich herauf. 
Hier hast du einen Musenkuß, setz’ dich hin und 
gebäre. Ich werde inzwischen ein wenig Klavier 
spielen.’ Und sie setzte sich an den Flügel, aber 
sie spielte nicht nur, sie sang auch, wie Werner 
Kroll, wenn er Zarah Leander imitiert. 

Nach einer halben Stunde warf sie den Klavier- 
deckel zu, daß mir die Augendeckel klapperten. 
„Nun, wie weit ist die Geschichte schon ge- 
diehen?‘ drehte sie sich herum. 

„Wieso?“ fragte ich, „ich habe dir doch zugehört, 
wie du in den tiefsten Tönen musiziertest.' 
„Heiliger Strohsack“, rief sie ungehalten, ‚ich 
spiele, damit ich den Mann nicht störe und er 
spielt, stait zu arbeiten, Auditorium. Nun aber fix 
an die Maschine!” Drauf nahm sie am Teetisch 
Platz und verhielt sich mäuschenstill. Nur ihre Fin- 
ger trommelten nervös auf der Glasplatte. Sobald 
sie damit inne hielt, wartete ich, ob sie wieder 
begänne, und trommelte sie, wartete ich, wann sie 
damit wieder aufhörte? Nachdem sie sich eine 
Zeitlang so betätigt hatte, ohne daß ich heraus- 
bekommen hätte, ob es sich bei dem Spiel um 
den Hohenfriedberger Marsch oder um Preußens 
Glorie handelte, war mir noch immer nichts ein- 
gefallen. „Zum Teufel‘, knurrte ich, „warum hast 
du zugesagt? Der Genius läßt sich nicht an Ter- 
mine binden.” 

„Quatsch“, sagte meine Frau, „das ist nur an- 
geborene Faulheit”, legte sich auf die Couch und 
zeigte mir den schönen Rücken. Nun bemühte sich 
mein Oberbewußtsein bei meinem Unterbewußt- 
sein anzurufen, ob sich dort nicht ein brauch- 


VON HEINZ SCHARPF 


barer Stoff für eine Humoreske vorfände, aber es 
war keine Verbindung zu bekommen. Nicht der 
Silberstreif einer Idee wollte auftsuchen, Dafür 
kam anderes zutage. Zuerst eine junge Tänzerin, 
welche, na, das ist Privatsache. Dann meldete sich 
die fällige Steuererklärung, schließlich Jedoch 
riß es mich so tief in das Unterbewußtsein hinab, 
daß ich laut aufschnärchte, Doch schon fuhr mir 
die gepflegte Hand meiner Gattin in den Haar- 
schopf. „Mensch, mir scheint, du pennst?” posaunte 
sie mir in die Ohren. 

„Ich träumte”, wies ich diese vulgäre Redensart 
zurück, „auf der Suche nach einem Motiv. Du 
kannst nicht verlangen, daß ich gleich in die 
Setzmaschine träume. Ich bin kein Roboter.” 
„Ich dachte, du wärest ein Schriftsteller‘, feixte 
Ursula, „Aber du hättest besser Baumeister wer- 
den sollen, denen fällt leichter etwas ein.” 

„So 'n Bart”, strich ich vom Kinn bis zur Nabel- 
gegend, dann befahl ich kurz: „Koche mir einen 
Kaffee und du wirst sehen, wie ich mit Vollgas 
drauf lostippe.‘ 

„Richtig“, nickte Ursula, „man muß einfach drauf 
losschreiben, der Leser wird den Einfall dann 
schon finden. Aber es Ist der letzte Kaffee, den 
wir im Hause haben“, warnte sie, „sollen wir ihn 
nicht lieber für ein Drama aufsparen?” 

Nach einerStunde war die Kaffeekanne leer,soleer 
wie das eingespannte PapierinderSchreibmaschine. 
„Einen Kognak”, stöhnte ich. 

„Wie, für eine kleine Geschichte auch noch einen 
Kognak?” entsetzte sich Ursula, „die Herstellungs- 
kosten deiner Werke fressen uns noch auf.” 
„Einen Kognak”, strampelte ich mit den Füßen. 
Nach einer weiteren Stunde war auch die Kognak- 
flasche geleert. Die Uhr schlug acht. Ich begann 
den Staub von der Schreibmaschine zu blasen. 
„Nun denn“, sagte Ursula, „wenn es so weit ist, 
will ich lieber meine Freundin aufsuchen und dich 
allein lassen. Aus Trennungs- und Herzeleid sind 
schon große Literaturwerke entstanden. Leb wohl.” 
Als meine Frau gegangen war, schlug es neun. 
Die beste Zeit zum Arbeiten. Aber wer konnte 
bei einem solchen Kater arbeiten? Ich versuchte 
ein Kreuzworträtsel zu lösen, doch der erste 


Mensch mit vier Buchstaben wollte mir nicht ein- 
fallen. Ich sann und sann. $o saß ich dann noch, 
als Ursula wieder zurückkam. 

„Hast du schon etwas“, stürmte sie zur Tür hei 
„dann zerreiß es, denn ich habe viel was Bes: 
res, Ich habe nämlich etwas Köstliches erlebt. 
Und sie lachte aus vollem Halse. „Also auf dem 
Heimweg, haha, da ist mir was Ulkiges passiert. 
Da ging ein kleiner dicker Herr hinter mir her 
und wollte mich anquatschen, In diesem Augen- 
blick fiel ein Blumenstock auf den Gehsteig herab. 
Haha, den Mann hättest du sehen sollen, mit wel- 
chem Sprung der zur Seite sprang. Haha, weißt 
du, es war zu komisch. Stell’ dir das vor, so ein 
kleiner Dickwanst, haha, und macht so einen Satz 
wie ein türmendes Känguruh. Das -mußt du be- 
schreiben, da kannst du deine Fantasie schweifen 
lassen.“ 

„Und was soll daran die Pointe sein?” fragte ich 
eiskalt bis ans Herz hinan. 

„Die was?” 

„Nun das Zündhütchen, der Knalleffekt, der Witz 
des Ganzen?” 

„Ja, ist das nicht schlagkräftig genug? Dann laß 
dem Mann den Blumentopf auf den Kopf fallen, 
dann springt er noch einmal so hoch, haha. Das 
Zwerchfell möchte ich sehen, das davon nicht er- 
schüttert wird, den Bauch werden sie sich halten 
in der Schriftleitung. Hahal Na, bin ich deine 
Muse?” Dann ging sie zu Bett und noch im Traum 
lächte sie über den kleinen dicken Herrn, den meine 
Fantasie zu einem Rekordspringer machen sollte. 
Ich aber saß da,. wie mit einem Breit vor dem 
Kopf, mit brummendem Ober- und 'Unterbewußt- 
sein und schrieb mit meinem Herzblut diese Gro- 
teske nieder, wie sie die Muse mir diktiert hatte. 
Am andern Tag kam ich mit dem Honorar heim. 
Ursula legte es sofort mit Beschlag. Beschwingt 
begab sie sich auf den Weg zu ihren Kaffee- und 
Kognaklieferanten, aber die Lieferanten waren 
seit Jahren bis auf die letzte Bohne und den letz- 
ten Tropfen ausverkauft. Um doch was heimzu- 
bringen, an dem ich mich erfreuen konnte, kam sie 
mit einem neuen Hut nach Hause. 

Ja, wenn Frauen Geschäfte abschließen. 





in, 





mm DL 


Verlag und Druck: Knon 
Verantwortl, Schriltlelter: Walter Foitzick, 





gültig ab 15, Okt. 1 


th Kommanditgesellschalt, Münche: 
lüncı forantwortl, Anzeigenleiter: G; 

alle Buchhandlungen, Zeitungsgoschäfte und Postanstalten entgegen. Bezugspreise.: Einzelnumm. zo s 
3dt. — Unvortangte Einsendungen werden nur zurückgosandl, wenn Porto beillegl. — Nachdruck verboten. -- Posischackkonto München 920, Erfüllungsort München. 





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Sendlinger Straße 88 (Fornruf 129). 





@r, München. — Der Simplicissimus 
Abonnement Im Monat RM, 


rlofanschrift: München 2 BZ, Briel 
eneint EN anal 


ich. 
tollungen nehmen 
nach Preisliste Nr. 7 









(0. Gulbransson) 


Rückkehr aus Afrika 








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„Aber Paulchen, du sollst doch nicht immer die untenstehenden Leute bekleckern! 
Manieren hast du von den amerikanischen Soldaten angenommen!“ 


Ritorno dall’ Africa: ‘Ma, Paoluccio, non dovresti mica imbrattar sempre 
la gente che ti sta sotto! Che maniere hai mai preso dai soldati americani!,, 


232 


München, 21. April 1943 N 
48. Jahrgang/ Nummer 16 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Nach dem Urlaub 


{E. Thöny) 





„Woaßt, Maxi, vo' oan Madl Abschied nemma, kannst leicht schaff’n, aber glei’ vo’ fimfe — dees strengt fei’ an!“ 


Dopo la licenza: "Sal, & facile prender congedo da una ragazza sola, ma da cinque ad una volta ... la & una bella fatica!,, 


Verbitteru Ng - Esasperazione 





- „So übe ich grausame Rache an der Menschheit: das prima Lenzgedicht bekommt sie nicht!" 


“Cosi „.. mi vendico crudelmente coll’ umanitä: essa non avrä il fior fiore della poesia di primavera!,, 


VOLLER OMNIBUS 


Ganz voll Ist der Postomnibus, gestrichen voll, 
teils von Menschen, teils von schlechter Luft. Da hält 
er wieder einmal und einsteigen: die Dame, der 
Herr, die Kinderpflegerin und das Kind, Jetzt Ist 
‚der Omnibus noch etwas voller und die schlechte 
Luft etwas wohlriechender vermittels des Parfüms 
der Dame, Da ein freundlicher Herr ‘im Omnibus 
ist, bietet er der Pilegerin mit dem Kinde seinen 
Platz an, und, weil der eingestiegene Herr durch 
leichtes Lüften des Hutes sich bei dem freund- 
lichen Herrn bedankt, tut er damit kund, daß er 
für das Kind verantwortlich zeichnet. Dieses hin- 
wiederum veranlaßt alle Anwesenden, eingehende 
Betrachtungen und physlognomische Untersuchun- 
gen anzustellen, ob er nicht nur im el ‚chtlichen 
Sinn, sondern auch im naturwissenschaftlichen 
der Vater sal. Aller Blicke wandern also abwech- 
selnd zu dem Herrm, der Dame und dem Kinde, 
wobei in den Kreis der Untersuchungen gelegent- 
lich auch die sympathische. Pflegerin einbezogen 
wird. 

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, zeigt der 
Vater allerselts sich im Profil und en face, weisend 
die hereditären Merkmale. 

Das Publikum zeigt sich höchst befriedigt und 
nun hätte man sich allgemein den Betrachtungen 
über die Fülle und die schlechte Luft wieder zu- 
wenden können, wenn das Kind nicht aus seiner 
Lethargle erwacht wäre und ein Dada heraus- 
geschmettert hätte und dabei auf die sehr hüb- 
schen Belı ind Knie einer gegenübersitzenden 
Jungen Dame gezeigt hätte, 











Obwohl der Vater den Beobachtungen seines 
Sohnes längst zuvorgekommen war und diese nur 
hätte bestätigen können, tat er nichts dergleichen, 
sondern mißachtete die Freudenrufe seines Nach- 
kommen. 

Die Mutter lächelte, die Pilegerin lächelte mehr 
und die junge Dame errötete teilweise, tellwelse 
zog sie an ihrem Röckchen, Der Vater aber stupfte 
ganz sinnlos mit dem Zeigefinger seinen Sohn 
Irgendwohln, um ihn verspätet zu veranlassen, 
sich darüber zu freuen. 

Nein, das tat der nicht, er freute sich weiter über 
die Damenbeine und zeig! 
deutlich und laut. 

Es schien, als ob der Vater solche Beine für nichts 
erachtete, denn er wies seinen Sohn auf Kühe, an 
denen man vorüberfuhr, auf Telegraphenstangen, 
auf Blumen, und die Mutter unterstützte Ihn darin, 
Indem sie die Schönheiten der Landschaft unwahr- 
scheinlich pries. Aber der Sohn ließ sich durch 
keine bunte Kuh verlocken, Auch er sah die Schön- 
heit dieser Welt und fand sie außer in der jungen 
Dame in der Nase, in der ziemlich großen, ziem- 
lich knolligen, ziemlich geröteten Nase einer älte- 














und die ihm schöner dünkte als alle Kühe, Blu- 
men und Telegraphenstangen der Welt zusammen. 
Er strebte zu dieser Nase hin. Er hatte es ganz 
gewiß nicht verstanden, warum man seine Begei- 
sterung an Gottes Schöpfung dadurch zu stören 
versuchte, daß man ihm immer wieder sagte, er 
soll schön brav sein. Und als der Omnibus hielt 
und man ausstieg, winkte er mit der einen Hand 
den Knien, mit der anderen Hand der Nase einen 
Abschiedsgruß zu, Foitzick 


234 


DAS KÄUZCHEN 


Von Giovanni Pascoli 


Wo war nur der Mond? Scion ergraufen, 
verschwimmend wie Perlen, die Räume; 
aufreckten, daß besser sie schaufen, 

sich Apfel- und Mandelbäume. 

Ein metterndes Leuchten in Weiten 

kam dunkel mit Wolken herzu; 

ein Rufen kam aus Gebreiten: 

Sciuht ... 


Nur selten alitzerlen Sterne 

im nebelig mildıigen Rauche: 

ich hörte das Meer in der Ferne; 
ich hörte ein Knistern im Straudıe; 
und hörte, im Ilerzen erschallend, 
verlorenen Klang durdı die Ruh, 
Ein Adızen, im Leeren verhallend: 
Sciuhl ;.. 


In Höhen, schimmerbeladen, 
verzitlerten Seufzer der Winde; 
es rültelten kleine Zikaden 

an silbernen Glöcchen gelinde, 
(ein Klingeln, verborgen, an Türen, 






die schlossen wohl ewig sich zu ...). 
Und dann, an Sterben dies Rühren: 
Sciuhl «.. 
Deutscı von Maximilian Brantl 





Des Rätsels Lösung ee) 


a N 





Sep: 
IN N“ 


N SANS Docar GBesnR Ss Hang 


DIN 


„Was meinst, Katherl, wie der Osterhas zu den vielen Eiern kommt?“ 
„Ja no — der legt halt schwarz!" 





La spiegazione dell’ enigma: “In che modo credi tu, Caterinetta, che il coniglio 
pasquale abbia avuto tante vova?,, — “Eh, sal ... le depone clandestinamente!,, 


235 


DER AUSWEIS 


VON SCHLEHDORN 


Zu Herrn X. kam der neue Aushilfspostbote. Hier 
wäre ein Paket, er möchte sich als Empfänger 
ausweisen. 

„Was gehört dazu?“ 

„Eine Photographie,” — „Hier ist eine.” 

„Ja, das sind Sie, fehlt noch die eigenhändige 
Unterschrift.” 

X. zog seinen Füllfederhalter und haute seinen 
Namen unter die Photographie. 

„Das ist unleserlich, also offenbar echt, Geht in 





Amerikanische Szene: 


KARRIERE 


(6. Brinkmann) 














ALTE FAHRZEUGE 


Annaur varnaur 





SANTIOAUI TATEN 


samusı 
Levy 




















Scena americana: CARRIERA 


Ordnung. Hier haben Sie Ihr Paket,” 

Denn: wenn die Photographie mit der Unterschrift 
und die Unterschrift mit dem Empfänger überein- 
stimmt, muß doch der Photographierte der Emp- 
fänger sein, 

Oder was fehlt da noch? — Nachdenklich tappte 
der Postmann die Treppe hinunter. 


Ein Mensch ohne Schatten Ist Übel dran, Chamisso 
hat das am Peter Schlemihl dargestellt. Aber nicht 
so übel — man braucht Ja nicht in der Sonne zu 
‚gehen, und die Nachbar finden Immer etwas von 
Schatten an uns. 

Aber ein Mann ohne Ausweis ist eine Tragödie. — 
Der Vorsteher des Meldeamts war Großvater ge- 
worden. Wie er den Knaben so daliegen sah, 
krebsrot vom Schreien und nach Behauptung der 
Tanten allen Aszendenten wie aus dem Gesicht ge- 
schnitten, fiel ihm plötzlich auf die dienstlich ein- 
wandfreie Seele: Da liegt er nun, hilflos, und hat 
noch keinen Ausweis! — Und es ergriff ihn ein 
tiefes Mitleid mit der geschäftsunfähigen Kreatur, 
In.der folgenden Nacht träumte er wie folgt: 

Zur Person: er selbst war noch ganz klein und lag 
in der Wiege. 

Zur Sache: da traten Feen ein, die ihn begabten. 
Die eine mit voll befriedigender Erfüllung seiner 
Amtspflichten. Die zweite mit schneller Erreichung 
von Aufrückungsstellen. Die dritte legte ihm 
durchaus geordnete Familienverhältnisse in die 
vorerwähnte Wiege. Die vierte aber, offenbar eine 
asozlale Fee, rief, als gerade die vorangehenden 
Foen abgefertigt waren: 

„Du sollst niemals einen Ausweis haben.” 

Und tatsächlich (es war ja im Traum), er hatte kei- 
nen Geburtsschein. Er wurde mit Erfolg geimpft 
und erhielt keinen Impfschein. Kein Abiturlenten- 
zeugnis, keinen Wehipaß, nichts... 

Da faßte er sich ein Herz und besuchte sich selbst 
auf seinem Dienstzimmer — wenn auch nicht ohne 
Bedenken, da er immerhin in eigener Sache tätig 
werden mußte. 

Um so kühler empfing er sich von seinem Schreib- 
tisch aus: „Bitte sehr, was führt mich zu mir, bzw. 
was führt mich zu dir, bzw. Sie zu mir, mich zu 
Ihnen, egal — also, bitte?” 

„Ich wollte nur um eine Auskunft bitten.” 

„Halt — zunächst, haben Sie einen Ausweis?" 
„Ich komme ja gerade 
„Haben Sie keine behördlich ausgestellte, mit 
Lichtbild und Namensunterschrift versehene Kenn- 
karte?” 

Er fühlte sich von sich angesehen, wie sich ein 
ertäppter Verbrecher im Spiegel ansehen würde 
und sagte kleinlaut: 

„Nein, aber...” 

„Dann sind Sie am Ende gar nicht Ic 
„Du hast mich doch empfangen, weil man sich 
kennt..." 

„Wer kennt sich? Ohne Kennkarte glaube ich mir 
selbst kein Wort, Ein ehrlicher Daumenabdruck ist 
mir lieber als alle Selbsterkenntnis.“ 

„Aber wir sind doch eins.” 
„Mir scheint: Höchst uneins.' 
„Meine Existenz wird doch durch mein Erscheinen 
bewiesen.“ 

„Ihre Existenz interessiert vielleicht die Bevölke- 
rungsstatistik. Hier Interessiert lediglich Ihre Iden- 
airär.” 

„Mit wem?“ 

„Na, mit Ihnen, mit sich, 
allem mit dem Ausweis. 
„Ich wollte Ja gerade 
„Und weil Sie keinen Ausweis haben, sind Sie 
eben nicht identisch. Das ist doch klar.” 

„Können Sie mich, sich, dich, uns nicht, vielleicht 
identifizieren?” 

„Ich werde den Teufel tun — in eigener Sache.‘ 
„Können Sie mir nicht wenigstens bestätigen, daß 
ich nicht Identisch bin?" 

„Ja, schon, aber wer stellt den Antrag?” 

„Nun, ich.” 

„Dazu gehört ein Ausweisi” 

Er verlegte sich aufs Bitten: „Kannst du mir nicht 
vertrauen — nach vierzig einwandfreien Dienst- 
Jahren?” 

Aber da kam er an den Unrechten. „Ich vertraue 

















it dir, mit mir — vor 








236 


nur ordnungsmäßigen Ausweisen, Verstehen Sie?" 
Nun brach es aus ihm heraus, und er erschrak 
selbst im Traum Über seine Worte: „Bürokratie Ist 
das! Einfach Bürokratiel Im Kern aller Bürokratie 
sitzt das Mißtrauen. Das Mißtrauen zum eigenen 
Können: je weniger einer wirklicher Beamter ist, 
um so mehr Bürokrat ist er. Das Mißtrauen gegen 
die Mitmenschen, das immer ein Zeichen mangeln- 
den Selbstvertrauens ist. Das Mißtrauen gegen 
den Sachbearbeiter, der deshalb lange Akten- 
notizen machen muß...“ 

„Gegen den Sachbearbeiter? Das geht zu weit. 
Wissen Sie, Herr, Sie reden hier wie der Marquis 
Posa. Marquis Posa paßt nicht in ein Meldeamt. 
Der hatte auch sicher keinen Auswels — er Ist nur 
eine von Schiller erfundene Figur, Außerdienst- 
lich“, fuhr er milder fort, „außerdienstlich würden 
Sie mir In gewisser Weise leid tun. Aber ohne Aus- 
weis, — da weiß ich auch nicht ein und aus. Da 
ist meine Weisheit aus. Ohne Ausweis muß Ich Sie 
hinausweisen. — Das muß Ihnen doch ihr. Gefühl 
sagen“, schloß er das zwecklose Gespräch, „ein 
Ausweis ohne Mensch ist möglich, der kommt zu 
den Akten. Aber ein Mensch ohne Ausweis hat 
einfach keine Personalien, der ist so gut wie 
nicht da...” 

Ganz gebrochen verließ er sein Dienstzimmer, — 
Da er nicht da war, wich er auf der Straße keinem 
aus, „Ochsel, schimpfie ein Angerempolter, 
„Vielleicht“, erwiderte er schuldbewußt, „Ich kann 
Ihnen den Gegenbeweis jedenfalls nicht durch 
Dokumente führen.” 

Er setzte sich In ein Bierlokal. Kummer macht 
hungrig, Der Kellner kam und ignorlerte Ihn. Er 
rief: „Oberl” Der Kellner kam und strich alle Spei- 
sen von der Karte. Er bat um ein kleines Helles. 
Der Kellner nahm das Salzfaß und die Zahnstocher 
vom Tisch und kam nicht wieder. „Ist das nun so“, 
fragte sich der Unglückliche, „oder weiß der es 
auch schon?“ 

Nach Hause konnte er nicht. Ohne Heiratsurkunde 
war seine Ehe so gut wie nichtig. Die armdh Kin- 
der vaterlos, selne liebe Frau kompromiitlert. 

In das Dienstgebäude wagte er sich auch nicht 
zurück. Ohne Ermennungsurkunde — seine ganze 
Tätigkeit war Amtsanmaßung. 

Ja, selbst wenn er stürbe, — ohne Totenschein, — 
da hieß es spuken, todeslänglich. 

Was soll ich tun? Er verfiel auf einen tollen Plan: 
er ging auf den Bahnhof, setzte sich vorsätzlich 
In ein Nichtraucherabteil und steckte sich mit 
Überlegung handelnd seine letzte Zigarre an. 
Jetzt werden sie mich identifizieren müssen. 
Aber nein, der Schaffner kam, kassierte die nach 
der Eisenbahnverkehrsordnung fälligen zwei Mark 
Strafe ein und ging. 

Da fragte der Unglückliche einen Anwalt. „Tja, 
meinte der schließlich (es war ein erfahrener An- 
walt), „da bleibt nichts übrig, als daß Sie sich tot 
erklären lassen. Ihre Frau kann Ja den Antrag 
stellen. Dann kommen Sie wieder und können an- 
fechten. Ohne Ausweis, Allerdings müssen Sie da- 
zu zehn Jahre verschollen sein.” 

Er schickte sich an, zu verschellen. Aus dem Kino 
wußte er, daß man in solchen Fällen nur ein klei- 
nes Köfferchen hat und Funktionen übernehmen 
muß, die weit unter denen der bisherigen Gehalts- 
gruppe liegen. Ihm war zumute, wie etwa dem 
von Ithaka scheidenden Odysseus, dem listen- 
reichen (auch er war im Dienst ein an Listen so 
Reicher gewesen), vorausgesetzt, daß Odysseus 
die ganze Odyssee vorhergewußt hätte. 
Abschlednehmend umarmte er sein Weib... 

Da erwachten beide. „Nanu, Formularibert, so stür- 
misch?" fragte sie. 

Sein erster Griff war nach der Kennkarte. Er vor- 
glich Photographie und Spiegelbild: ungebürstet 
'war er, unräsiert und im Nachthemd, aber gottlob 
wieder identisch. 

Und frohgemut schritt er zum Dienste. 








* 


„Nur zum Paradiı meinte Frau Dorette, als ihr 
Regierungsrat Jullus diese tragische Geschichte 
erzählte, „nur zum Paradies ist wohl der einzige 
Ausweis: die Liebe.“ 

„Ja, entgegnete Julius, „aber ob man hinein- 
kommt, hängt jeweils von dem Engel ab.” 





Feiertag 


{R. Krlesch) 


„Komm doch, Paul, und sieh dir den prachtvollen Sternenhimmel an!" 
„Ja — ja — sofort — aber nicht vor dem Mittagessen !"* 


Giorno di festa: "Ma vieni, Paolo, e guarda che magnifico cielo stellato!,, — “Si... sl... subito ... ma non prima di pranzol,, 


237 





NICHTS ALS EINE STUNDE IM FRÜHLING 


Wie ein breites, moosiges Fischmaul kommt der 
Hügel zu den Gleisan der Straßenbahn herunter. 
Die Sonne hat ‚aus Ihnen vier weißglühende 
Schlangen gemacht. In der Ferne, In der Höhe, 
zwitschert os Im Blauen. Der Mann preßt die 
‚Augen zusammen, ob er nicht irgendwo den Punkt 
finde zu der Vogelmelodie. Doch Ist er schnell 
geblendet vor so Helle, Welch ein Frühling, 
denkt er, dreht sich ganz Ins Licht und beginnt 
die:Knöpfe seines Mantels aufzumachen. Hier ist 
die Stadt schon fast zu Ende und die Phalanx des 
Waldes steht in tells göttlicher, teils vom Forstamt 
für zweckmäßig erachteter Ordnung. In das Dun- 
kelgrüne haben die Gleise eine Schneise geschla- 
gen. Zwischen der Oberleitung durch wirbein in 
zitternder, ‘ungeheuer lebendiger Bewegung die 
Flugsamen der Tannenzapfen. Ich habe Zelt, über- 
legt sich der Mann, es eilt mir gar nicht — 
vielleicht fahre Ich erst mit der übernächsten. 
Er hat sich umgedreht und die Sonne gibt ihm 
einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. 
Nun hat er auch den Hut in der Hand und beginnt 
In einem Ausbruch plötzlichen Mutwillens auf dem 
rechten Fuß einige Hüpfer zu machen. Die Luft 
streicht wie Palmkötzchen über sein Gesicht. Dort, 
wo der Hügel sich nach Norden neigt, liegt noch 
ein dünner Streifen Schnee. Als das Kind mit 
dem Schlitten, das zu späten Rodelfahrten aus- 
gezogen ist, den hüpfenden Mann bemerkt, hält 
es, allerdings ohne sonderlich erstaunt zu sein, 
für ein paar Sekunden miiten in der Bewegung 
des Aufwärtssteigens Inne. Es hat eine lange 
Überfallhose an und kümmert sich nicht um 
den Frühling, der doch schon mit blauen Anemo- 
'nenaugen am Waldrand liegt, Das Kind zieht mit 
seinem Schlitten Im Schatten herum, gleitet den 
Hang herunter, um dann dort, wo die mütterlichen 
grünen und braunen Farben der Erde beginnen, 
tuckartig zu enden Da kann es dann sein, daß os 
auf dem Schlitten sitzen bleibt, mit der Schnur 
horumtändelt und „Hü’ ruft oder auch nur so vor 
sich hinschaut, in die Erde hinein, den Kopf ge- 
senkt. Es ist ein meikwürdiges Kind. Die kleinen 
Hände sind von einem Sturz her schwarz und 
voller Erde. 

Von irgendwo her macht es zweimal Bimbim. Der 
Mann, der inzwischen den Fuß gewechselt hat 
und auf dem Linken welterhüpft, Ist In einen ge- 
wissen sportlichen Ehrgeiz geraten. Immer länger 
sind die Hupfor geworden, es flattern die Mantel- 
schösse und die wenigen Haare haben sich von 
der Stirn gelöst. So stochert er, sonderlich genug 
anzusehen, halb Rabe und halb Marabu, auf dem 
Platz herum. Der Freudenausbruch Ist seltsam 
lautlos und erinnert In seinen flatternden Be- 





UNTERWEGS 


Wenn im Sturm die Wetterwolken jagen, 
grau ins Unermeßliche hinein, 

wollen wir verzagen und versagen? 
Nein. 


Aber, Freunde, keine großen Worte, 

ob er fällt, der Zeiger, ob er steigt! 
Wem es Ernst ist mit der engen Pforte 
schweigt. 


‚Wem es Ernst ist mit dem schmalen Pfade, 

der zum Leben führt, fragt nicht warum. 

Fragt nicht. 

Geht ihn « ist’s ein Muß? ist’s Gnade? - 

stumm. = 
Dr. Owlglaß 


VON ROLF FLUGEL 


wegungsformen an tanzende Vögel. Jetzt, als er 
einen mächtigen Sprung Über die Schienen 
machen will, entdeckt er plötzlich das Kind. 
Schnell, verstört fast, sammelt er die Trümmer 
und fügt sie wieder zur nahtlosen Welt der Er- 
wachsenen. Die Krawalte ist locker geworden, 
das Schuhband ringelt Im Staub, Wie ist doch 
alles, was um den Leib sich klemmend schnürt und 
windet, auf gravitätischen Ernst, auf eine ‚gewisse 
bürgerliche Würde und temperierte Wohlabge- 
wogenheit eingerichtet. Sein Atem geht noch tlef, 
er schämt sich vor dem Kind, tupft sich die glän- 
zende Stirn und ist froh, daß ein lauter tönendes 
Bimbim eine Wendung einzuleiten scheint. Aha, 
die Straßenbahn, überlegt er beinahe er- 
leichtert. Aber es ist die Zither. Ihre mücken- 
feinen Klänge kommen aus dem offenen Fen- 
ster eines Hauses. Eine Zither, sinniert der 
Mann vor sich hin, die werden immer weniger. 
Zithern nehmen ab wie Alpenrosen. Schon begin- 
nen seine Gedanken jenen von Latschen um- 
söumten, mit kantigen Kalkstelnen bedeckten 
Pfad zu erklattern, an dessen einem höheren 
Ende sie unweigerlich liegen muß, schindel- 
gedeckt, In Jodler gehüllt, von Zitherklängen um- 
webt, von einer sumpfigen Wiese und sanft 
läutenden Tieren umgeben — die Alm. Wie ein 
Füllen hüpfen des Mannes Einfälle heute auf der 
Koppel dieses Frühlingstages. Nun aber ruft er 
sich ernsthaft zur Ordnung, setzt den Hut tlef in 
die Stlın, so als sollte dieses schützende Dach 
mehr als ein Sonnenschirm, ein Symbol sein. „So- 
so, Übt‘s Töchterll” ruft eine Stimme zum Fenster 
hinauf, aus dem die Saiten zirpen. Dort Ist ein 
zottellger Frauenkopf erschlenen, Wieder macht 
es zweimal, als sollte es eine Bekräftigung sein, 
Bimbim. Ein Staublumpen wird von einem Arm 
geschwenkt. Dann ertönt die Antwort: „Der Groß- 
vater hat Geburtstag — er hat sich die Appen- 
zeller Glöcker! gewünscht” Der Mann an der 
Straßenbahnhaltestelle findet. daß diese Appen- 
zeller Glöcklein ebenso gut an der zartgrünen 
Birke hängen und Iäuten könnten, bewegt von 
den Bienen diesen geschäftigen Geistein, die den 
allerersten Blüten noch um ein paaı Nasenlängen 
voraus sind. Er geht Jetzt näher an das Fenster 
hin, aus dem die Musik dringt. Es wird ein lang- 
aufgeschossenes Kind sein, überlegt er sich, ein 
Kind, das sich bei den schwierigen Passagen mit 
der Zunge die Oberlippe leckt, das über leichte 
Stellen mit Hoppla, Hoppla hinwegspringt, vor 
schweren Griffen aber ruckartig stockt, um dann 
mit besagter Zungenspitze die Hürde zu nehmen. 
Das Bimbim beherrscht es bereits mit der Routine 
des graubärtigen Wirtsgartenspielers von der 
Schönau. In diesem Doppelton liegt eir Triumph, 
ein Stück Sieg, ein Bröserl vom Glück, wie sie der 
Im Weltall dilettierende Mensch bei der Erzeu- 
gung von Harmonie empfindet. 

Uber den Gleisen Ist ein Wartehöuschen. Auf der 
Bank sitzt ein Mädchen, das die Beine weit über- 
einandergeschlagen hat. Als des Mannes Blick 
sich dorthin verirrt, spürt er einen kleinen Schlag 
gegen das Harz. Er ist fast böse darüber, so aus 
dem Milden, leichten, Flimmernden gerissen zu 
werden. Dann wendet er sich plötzlich um, liest 
heftig eln Plakat und fährt sich mit dem Finger in 
den Kragen, gerade als wäre er ihm zu eng ge- 
worden. Das Ist doch zu dumm. denkt er vor sich 
hin, dreht sich wieder und hat des Mädchens 
Beine im Blick. Es ist, als ob sich seine Augen 
festsaugen wollten, so gebannt starren sie auf Jas 
aus Strumpf und Fleisch gebildete Dunkle und 
Helle. Dann reißt er sich neuerdings los und 
pfeift mißtönend in das Appenzeller Glöcklein 
hineln. Es Ist der Ärger, der sich Luft macht. Wie 
oft hast du so etwas schon gesehen! Schon er- 
tappt' er sich neuerdings bei einem Blick, Er 
dauert nur kuız und endet mit dem wütenden 
Schwur, daß es der leizte war. So stapfı er in 


238 




















die entgegengesetzte Richtung, schaut auf die 
Uhr und dann auf die Mulde der Wiese. Das 
todelnde Kind ist jetzt mitten unter den Hügeln 
des Maulwurfs gelandet, pflückt in einer neuen 
Überlegung, andächtig fast, Gänseblümchen und 
zieht dann den Schlitten über den schon staubig 
gewordenen Weg seiner Wohnung zu, Der Mann 
fühlt darüber ein glucksendes Lächeln in seiner 
Brust aufsteigen. 

Dann zieht er eine Zeitung aus der Tasche und liest 
etwas Über Moleküle. Es fesselt ihn nur teilweise, 
um so mehr, als bald darauf eine Biene mit einem 
tolpatschigen Schlag, so als wäre sie noch nicht 
richtig ausgeschlafen, auf seinen Mantelaufschlag 
platscht. Jetzt Ist er wieder mitten Im Frühlings- 
woben und auf die besorgte Ansprache einer mit 
Ihm wartenden älteren Frau: „Sie haben ein Vlech 
bel Ihnen”, hat er ein Lächeln auf den Lippen, das 
vom großen Pan entliehen sein könnte. Er sieht so 
aus, als wollte er erhaben: Gute Fraul sagen, 
doch ist er, als ein trambahnähnliches Geräusch 
vom Wald heı sich aufmacht, eher um den rich- 
tigen Kostplatz für das Tier besorgt. Ob ein Lat- 
tenzaun dasRichtige Ist? Blüten müßte man haben, 
ein paar Pfirsichblüten, denkt er schnell, oder 
Sonnenblumen, riesige Scheiben, die dahlingen 
wie Eisenbahnsignale Mit einem taschen Blick 
stellt er fest, daß der Sündenfall von vorhin an 
der Seite eines Soldaten schäkernd dem Wald zu- 
schreitet. Es ist Jetzt ein Mädchen wie halt Mäd- 
chen sind. Mir wäre sie um die Hüften zu dick, 
stellt der Mann außerordentlich erleichtert fest 
und wendet sich erneut der Biene zu. Er mag sie 
nicht einfach wegknipsen. Dann hält er Umschau, 
ob er keinen Imker fände. Imker sind schwer zu 
erkennen Es muß etwas geschehen, seufzt er auf- 
geregt der näherkommenden Straßenbahn ent- 
gegen Es hält ihn nicht mehr am Platze. Alles Ist 
da, sieht er, ein Papierkorb, ein Fahrscheinauto- 
mat, ein Aufruf, Kohle zu sparen — nur für die 
Biene Ist nichts vorbereitet Schon fällt dor Schat- 
ten der haltenden Straßenbahn auf Ihn, Die Frau 
von vorhin blickt streng auf seinen Mantelauf- 
schlag, macht einen Bogen um Ihn und sagt beim 
Einsteigen zum Schaffner: „Passen $' auf den aufl” 
Da erbarmt sich die Blene des Menschen, Als 
hätte sie einen göttlichen Befehl bekommen, fliegt 
sie davon. Nun steigt der Mann — und es Ist Ihm 
so gut zumute — ein; sein Gesicht ist das eines 
Menschen, der mit der Welt zufrieden Ist. Die 
Straßenbahn macht Bimblm und führt an. Einmal 
noch hört er die Appenzeller Glöckchen läuten. 
Es ist schon ganz von der Ferno gewosen und es 
war so, als hätten zwei feine Grashalme einander 
gestreift. 





DIE WITZIGE DAME 


Eine Dame, 

die sich jung empfindet 
und sich rosa Pänder 

in die Haare windet, 
spricht: 

„Ich bemale mein Gesicht 
wie man Leinewand bemalt; 
kritisiert es oder nicht = 
einen weiß ich, 
der dies Fild bezahlt 
und wenn auch nicht aufhängt, 
so doch will!“ 

Die hat Witz - schweigt still. 


Peter Scher 


Der „Sieger‘‘ von Antwerpen 


(Erich Schilling) 





Il “vincitore,, di Anversa 


239 


Indische Statistik 


(Erik) 





„Amery sagte, wir mußten in 374 Fällen auf die Inder das Feuer eröffnen — well. 
Lhatischläge lassen sich natürlich statistisch nicht erfassen.“ 


Statistica indiana: “Amery diceva: Noi dovevamo aprire Il fuoco sugli Indiani 
in 374 casi ... Well! Naturalmente non si pud far la statistica dei colpi di ‘Ihati,!,, 


‚240 


AUS DER JUGEND ALTER HERREN 


Sie saßen beisammen, acht alte Herren, und blick- 
ten von der Terrässe der Osteria weit über Neapel 
und das Meer hin. Sie waren Professoren, Dichter, 
Bildhauer, Musiker, auch ein Domherr war dar- 
unter, Monsignore Grazzi. Immer wieder, wenn sie 
bei ihren kameradschaftlichen Zusammenkünften 
ein- oder zweimal im Jahre von der gemeinsamen 
Schulzeit plauderten, wurden sie plötzlich stille 
und taten nichts als hie und da einen tiefen Zug 
des roten Weines zu nehmen und dann wieder 
versonnen auf das schöne Bild der Stadt, des 
Meeres und des Himmels zu blicken, Schließlich 
hatten sie schon ein paar dutzendmal immer wie- 
der die gleichen Episoden aus ihrer Jugend auf- 
gewärmt, so daß jeder wußte, wenn der Bild- 
hauer von dem Streich am Lateinlehrer erzählte, 
werde der Dichter die Episode mit der Schul- 
dienerstochter folgen lassen. Je öfter sie also im 
Laufe der rollenden Jahre zusammengekommen 
waren, um so weniger Worte fielen; dafür trank 
man ein Glas Rotwein mehr und freute sich eln- 
fach, daß man noch immer so vollzählig beisam- 
men war. 

So war wieder einmal das Gespräch verstummt, 
wieder blickten die Alten, das Glas Wein in der 
Hand, auf die Stadt hinunter, als plötzlich ein Jäm- 
merliches Kindergeschrei die Stille zerriß. Dazu 
rief eine zomige Mönnerstimme: „Du Mistbub, ich 
werde dir geben! Zuerst die Schule zu schwänzen 
wegen Bauchweh und dann die ganze Marmelade 
aufzufressen!” Und wie zur deutlicheren Betonung 
dieser Worte klatschten sausende Hiebe. Es waren 
keine Lufthiebe, sondern sie saßen gut auf dem 
Körperteil des Knaben, mit dem er sonst, wenn er 
ruhlg war, zu sitzen pflegte. 

Die alten Herren hörten eine Zeitlang zu, dann 
lächelten sie; alle blickten auf den Domherrn. 
„Grazzi”, meinte einer, „der Knabe dürfte von 
dir gelernt haben! Er schreit wie du einst ge- 
schrien hast, Nur scheint er nicht so wider- 
standsfähig zu sein, wie du es warst!” 

Der Domherr schmunzelte. „Ja, ich habe genug 
Hiebe als Bub bekommen!” „Genug?' unterbrach 
ihn der Dichter. „Es hat ja schon an Wunder ge- 
grenzt, was du, beziehungsweise, was dein, hm, 
du weißt schon, welchen Körperteil ich meine, 
ausgehalten hatl” 

„Mit deinem hartgesottenen Hintern”, meinte der 
Musiker, der die Dinge gerne bei ihrem Namen 
nannte, „hättest du eigentlich einen anderen Be- 
ruf wählen sollen. Es ist schade, daß du diesen 
widerstandsfähigen Körperteil nur zum Sitzen ver- 
wendest!” 

Nun war man wieder bei den Erinnerungen ange- 
langt; und da zeigte es sich, wie es oft zu ge- 
schehen pflegt: Einer leidet, andere haben daran 
Ihren Zeitvertreib. Während der Wirt seinen Sohn 
weiter verdrosch, plauderten die alten Herren von 
den Hieben, die sie in ihrer Jugend bekommen 
hatten, Da konnte der Domherr ohne aufzuschnei- 
den Berichte geben, die so lebendig waren, daß 
mancher sagte, alles stehe so deutlich vor ihm, 
daß er sich fast einbilde, der oder jener Körper- 
teil brenne jetzt noch von den erhaltenen Hleben, 
Nur der Domherr lächelte und sagte: 

„Ich spüre nichts! Ich habe auch damals nichts 
‚oder nur sehr wenig gespürt!” 

„Du warst eben am meisten von uns allen eintrai- 
niert! Wenn es damals schon so etwas wie Welt- 
rekorde in allen Lächerlichkeiten gegeben hätte, 
wie man sie heute veranstaltet, würdest du be- 
stimmt der Weltmeister des widerstandsfähigsten 
Hintern gewesen sein!” 

„Und dabei war mein Training ganz einfach!" 














VON JOSEF ROBERT HARRER 


sagte der Domherr. „Ich habe mir eben Immer, 
wenn Ich Hiebe ahnte — und das war fast täglich; 
denn ich hatte immer etwas auszufressen —, ich 
habe mir eine Hoseneinlage gemacht. Meist war 
es die umfangreiche Sonntagszeitung, die für mich 
die Hiebe erhieltl Obwohl ich so nicht viel von 
den Hieben spürte, schrie Ich dennoch recht laut, 
damit der Züchtiger nicht das Geräusch des Pa- 
plers hörtel” 

„Du Schwindler!” fuhren da die Freunde über den 
Domherrn her. „Und trotzdem hast du dir von uns 
etliche Centesimi geben lassen, wenn du unsere 
Streiche samt den folgenden Hieben auf dich 
nahmst! Das gehört heute nach so vielen Jahren 
noch bestraft!” 

„Wir werden den Hintern unseres lieben Domherrn 
vom Wirt verprügeln lassen!” schlug lachend der 
Musiker vor. Der Domherr wehrte mit dem Be- 
merken ab, daß er schon längst nicht mehr die 
Zeitung an der ominösen Stelle verberge, Da 
sagte der Dichter: 

„Vergessen wir nicht, daß uns der liebe Grassi, 
auch wenn er geschwindelt hat, dennoch so 
manche Prügelstrafen erspart hat. Aber er soll 
dem Knaben, der da eben von seinem Vater ge- 








Das Merkmal - La caratteristica 


ledert wird, sein Geheimnis verraten, das er so 
lange bel sicn behalten hatl” 

Man rief den Sohn des Wirtes; heulend kam er. 
Man tröstete ihn. Dann erzählte ihm der Domherr, 
wie er es als Bub gemacht hatte, wenn Prügel 
In Aussicht standen, Da leuchtete das tränennasse 
Gesicht des Knaben. Dankbar küßte er dem Dom- 
herrn die Hand... 

Die Zeit verging. Als sich die alten Herren wie- 
der in der Osteria trafen, fragten sie im Laufe des 
Abends den Buben, wie das Mittel des Domherrn 
gewirkt habe. Der Knabe schüttelte den Kopf und 
sagte düster: „Gar nichtl” 

„Komisch!” meinte der Domherr, „Bei mir hat es 
immer genützt!” 

Kleinlaut erwiderte der Knabe: 

„Mein Vater zieht mir nämlich seit neuester Zeit 
immer die Hose herunter, ehe er dreinhautl Es sei 
bei den heutigen ‚Zeiten schade um die Hosen, 
sagt ei 
Da schwiegen die alten Herren; sie griffen nach 
den Weinglösern und blickten versonnen auf das 
schöne Neapel und das blaue Meer. Nur der Dom- 
herr murmelte: „Arme Jugend von heutel Da hat- 
ten wir als Kinder doch eine schönere Zeit!" 





(€. Sturtzkopt) 





„Eine Dame raucht nicht, Else!“ 


„Quatsch nich! Wenn man Damenstrümpfe trägt, Ist man 'ne Dame!“ 


“Elsa, una signora non fumal,, — “Non dir sciocchezze! Una 
volta che s| portano calze da signora, si & anche una signora!,, 


241 


Es klopft 


(K. Helllgenstaodt) 


d 





„Halt — noch nicht 'reinkommen — ich hab’ noch keine Schuhe an!“ 


Bussano! "Alt! ... Non entrare ancora! ... Non ho ancora le scarpe!,, 


242 


DIE LANDPARTIE 


VON WERNER STELLY 


„Nein wirklich“, sagte meine Frau, „wir sollten 
nicht immer Sonntag nachmittags ins Kino 
gehen,“ 4 

Es war Sonnabend. Ich war aus dem Dienst ge- 
kommen. Wir saßen bei Tisch und aßen. 

Ich sah sie an. „Angelika“, sagte ich, sie heißt 
Angelika, ihre Eltern gaben ihr den Namen, ich 
bin daran unschuldig. Wir waren schon zu lange 
verheiratet, um uns noch mit Kosenamen anzu- 
reden und noch nicht lange genug, um uns gegen- 
seltig Vater und Mutter zu nennen, „Angelika”, 
meinte ich, „sagtest du nicht heute früh, ich solle 
nicht vergessen, die Karten für morgen zu be- 
sorgen?” 

„Nun ja. Aber ich finde wirklich, wir sollten ein- 
mal etwas anderes am Sonntag unternehmen. Im- 
mer ins Kino.” 

„Der Film soll aber sehr gut sein, Die Kritik war 
ausgezeichnet.” 

„Hast du denn die Karten besorgt?" fragte An- 
gelika. 

„Ja, natürlich”, sagte ich und holte die Geld- 
tasche hervor. Die Karten waren nicht darin. Auch 
in den Taschen meines Anzuges fand ich sie nicht. 
„Das verstehe ich nicht’, sagte ich. „Ich habe sie 
vorhin gekauft, Ich kann sie doch nicht verloren 
haben.” 

„Warum kannst du sie nicht verloren haben?“ 
fragte meine Frau Angelika. „Natürlich hast du 
sie vorbeigesteckt.” 

„Was sollen wir denn deiner Meinung nach mor- 
gen unternehmen?” 

„Du wirst sie vorbeigesteckt und dabei verloren 
haben”, sagte Angelika. „Wir sollten einmal eine 
Tour machen, eine Landpartie, einen kleinen Aus- 
flug In die Umgebung, Ich möchte wirklich einmal 
hinaus. Immer in der Stadt, im Lokal, im Kino, zu 
Hause, Daß dir das gar nicht Über wird, Ich weiß 
schon nicht mehr, wie ein Baum oder eine Kuh 
aussieht." 

„Nun, nun“, meinte Ich, „du übertreibst. Aber gut, 
meinetwegen, machen wir morgen einen Ausflug.‘ 
„Ich habe zu Frau Wolkenhauer gesagt, wir kämen 
morgen nachmittag bei ihnen vorbei.” Wolken- 
hauer ist unser Mlichmann. Manchmal kommt er, 
meistens aber kommt sie und bringt uns die Mlich. 
Sie wohnen außerhalb der Stadt und haben eine 
kleine Landwirtschaft. 

„Aha, sagte ich. 

Angelika sah mich an, Dann sagte sie leiser, als 
es sonst ihre Art war: „Ich hoffe, sie werden uns 
auch ein bißchen... Wo sie doch eine Landwirt- 
schaft haben. Du verstehst?‘ 

„Aha“, machte ich, Sagen: Sie selbst, hat es 
Zweck, in einer derartigen Lage seiner Frau zu 
widersprechen oder Vernunftgründe ins Feld zu 
führen? Ich war der Überzeugung, daß es keinen 
Zweck habe. Kinder und Frauen sind, wenn über- 
haupt, nur durch Erfahrungen belehrbar. 


Wir fuhren anderntags aufs Land. Das Wetter war » 


schön. Die Sonne schien warm, Schon im Zuge 
hielt ich Angelikas Idee mit dem Ausflug für gar 
nicht so schlecht. Das Getreide stand gut. Es war 
bald reif. Ja, Kornblumen wollte ich pflücken, 
‚einen schönen großen Strauß blauer Kornblumen. 
Ein paar rote Mohnblumen dazwischen würden gut 
aussehen, aber sie halten sich nicht, die roten 
Blätter der Blüte fallen zu bald ab. Das wußte ich 
noch von früher. Ich wußte überhaupt noch so 
manches. Es fiel mir wieder ein, als wir im Zuge 
saßen und durch die sonnenbeschienene Landschaft 
mit Feldern, Wiesen und Weiden fuhren. Pferde 
und Kühe stehen auf verschiedene Weise auf. 
Pferd& erheben sich zuerst mit den Vorderbeinen, 
Kühe dagegen zuerst mit den Hinterbeinen. So war 
es doch? Die Kuh hat nicht nur einen Magen, sie 
hat deren vier; sie heißen: Pansen, Labmagen, 
Netzmagen und... Wie hieß der vierte? Vier waren 
@s doch? Wie lange war es her, daß ich das 
lernte. Es war so lange her, daß ich es wieder 


Vorlag und. Druc 





Hirth Kommanditgosellschai 
Varantwortt, Schriftleiter: Walter Foltzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. Bestellungen nei 
nstallon entgegen. — Bezugspreise: Einzelnummer 30 PI.: Abonnement Im Monat RM. 1.20 

Nachdruck verboten. — Postschackkonto München 5920. Erfüllungsort 


vergessen haben dürfte. Ich würde im Keller in 
der Kiste nachsehen, ob die Schulbücher noch da 
wären. 

„Ob wir Kaffee bekommen?” fragte Angelika. 
„Was meinst du?” 

„Das kann schon sein”, erwiderte ich. 

„Das ist doch eigentlich das wenigste”, sagte An- 
gelika. „Sie müssen sich doch auf uns vorbereitet 
haben. Ich hoffe sogar, daß sie uns ein bißchen...” 
„Hm, machte ich. „Da bin ich nicht so ganz 
sicher. 
Wir bekamen Kaffee. Wolkenhauer führte uns in 
die gute Stube, Der rote Plüsch roch muffig. In 
den Sonnenstrahlen tanzten Stäubchen. Auf dem 
Vertikow stand eine Nippesfigur, ein Schuster- 
Junge, dessen einer Arm abgebrochen und durch 
ein Streichholz Im Innern am Körper festgehalten 
war. 

Frau Wolkenhauer kam mit der Kaffeekanne her- 
ein. Sie sprach recht laut. „Nun wollen wir erst 
einmal Kaffee trinken”, sagte sie, 

Als sie von einem nicht sehr großen Stück alten 
Topfkuchens abschnitt, sagte Angelika, wir hätten 
uns unser Brot mitgebracht, Sie sagte das sehr 
zögernd, 

„Dann legen Sie es man auf Ihre Teller, die ich 
Ihnen da hingestellt habe”, sagte Frau Wolken- 
hauer. 

Angelika kramte in ihrer Handtasche und brachte 
zwei eingewickelte Scheiben Brot zum Vorschein. 
Wolkenhauer begann von dem Kuchen zu essen, 
während seine Frau den Kaffee einschenkte. „Hast 
du keine Milch?“ fragte er. Sie verneinte. 

„Ein Milchmann und nicht einmal Milch zum 
Kaffee”, sagte er und lachte. 

Angelika legte mir und sich je eine Scheibe Brot 
auf die leeren Kuchenteller, Sie klappte ihr Brot 
auf, als wolle sie sehen, womit es belegt sei. Es 
war dünn mit Butter bestrichen. 





* „Du hättest aber doch ein ganz klein wenig Wurst 


aufstreichen können”, sagte Angelika zu mir. 

„Ich habe doch gar nicht...', sagte ich. 

„Ach richtig”, fiel sie mir ins Wort, „Du hast keine 
Wurst gefunden. Wir haben unsere Wochenratlon 
ja schon aufgegessen. Da konntest du natürlich 
keine aufstreichen.” 

„Ja“, sagte Frau Wolkenhauer laut, obwohl sie 
gerade ein Stück Kuchen abgebissen hatte, „man 
muß jetzt sparen.” 


„Was machen Ihre Furunkel, Herr Wolkenhauer?" 
fragte ich. „Sie hatten doch welche im Nacken, 
nicht wahr?“ 

„Mein Bruder hatte auch einmal darunter zu lei- 
den”, sagte Angelika. „Er legte Speck darauf. 
Das soll sehr gut sein. Das macht geschmeidig. 
Sie haben doch Speck?“ 

„Mit den Furunkeln geht es”, sagte Wolkenhauer. 
„Aber Rheumatismus habe ich. Kein Wunder, wenn 
man bei Wind und Wetter auf dem Wagen sitzen 
muß. Manchmal kann ich nachts keln Auge zu- 
machen vor Schmerzen.” 

„Mit Schmalz einreiben“, sagte Angelika. „Die 
Ärzte verordnen ja alles mögliche bei Rheumatis- 
mus. Das beste sind aber doch immer die alten 
Hausmittel. Mit Schmalz einreiben und dick mit 
Watte verbinden. Versuchen Sie das.einmal. Ich 
denke doch, daß Sie ein bißchen Schmalz im 
Hause haben.” 

Frau Wolkenhauer sammelte die Kuchenkrümel 
neben ihrer Tasse zusammen und steckte sie In 
den Mund. „Ich habe ihm ein Katzenfell gekauft”, 
sagte sie, „Das Schmalz essen wir lieber.” 

Ich bot Wolkenhauer eine von meinen beiden ZI- 
gärren an, die ich für den Sonntag gespart hatte. 
Er nahm sie an. Dann sprachen wir vom Wetter, 
das recht günstig für die Ernte sei. „Der erste 
Heuschnitt ist gut und trocken herein”, meinte 
Wolkenhauer, „da ist mir für das Vieh nicht bange. 
Die Kartoffeln stehen auch gut.” 

„Und da haben die Hühner natürlich auch gut ge- 
legt”, sagte Angelika. 

„Wir haben dieses Jahr besonders viel Hähne ge- 
habt”, sagte Wolkenhauer. 

„Wirklich?” fragte Angelika. „Mehr als sonst? Ja, 
da kann man es wohl aushalten. Wenn man doch 
auch ab und zu ein Hähnchen braten könnte.” 
„Ach ja’, sagte Frau Wolkenhauer, „wir halten es 
schon aus. Uppig Ist es ja auch nicht.” 

Und dann sah Angelika es ein. Sie erhob sich. 
„Wir wollen noch ein bißchen gehen”, sagte sie. 
„Haben Sie schönen Dank für den Kaffee.” 
„Mehr konnten wir Ihnen leider nicht anbleten”, 
sögte Frau Wolkenhauer. 

„Das haben wir auch nicht erwartet”, erwiderte 
Angelika, 

Ich pflückte noch einen schönen Strauß blauer 
Kornblumen. Als ich die Fahrkarten für die Rück- 
fahrı lösen wollte, fand ich in der rechten Westen- 
tasche die beiden Kinokarten. 

„Siehst du“, sagte ich, „daß ich sie nicht vorbei- 
gesteckt habe“, und zeigte Angelika die Karten. 
„Das sieht dir wieder so recht ähnlich“, sagte sie. 
„Wo ich so gern ins Kino gegangen wäre.” 








LIEBER SIMPLICISSIMUS 


A 
N 
\ 


(0. Nückel) 





Der Schuster Jens Nissen in dem Städtchen Bo- 
gensee auf Fünen (Dänemark) ist „Doppelver- 
diener”; er betreibt eine gutgehende Schuh- 
macherwerkstatt und Ist außerdem von der Stadt 
als Leichenträger angestellt, Seine Kunden sind 
mit diesem Nebenverdienst gar nicht einver- 
standen, denn er hat zur Folge, daß sie bei Jens 
Nissen ewig auf die Ausführung Ihrer Reparaturen 
warten müssen. 

Kürzlich war wieder eine Beerdigung und Schuster 
Nissen entdeckte zu seinem Schrecken im Trauer- 
zug den Kaufınann Olsen, dessen Schuhe er trotz 
heftiger Mahnungen schon vier Wochen zum Be- 
sohlen liegen hatte, Während der Pastor am offe- 
nen Grabe sprach, schlich er sich zu Olsen hin- 
über und flüsterte ihm ins Ohr: 





Straße 80 () 


mrut 1296). Br 


. — Unvetlangte Einsendungen werden .nur. zurück, 
lünct 


„Sie müssen schon entschuldigen, aber Sie sehen 
ja, wie beschäftlgt ich heute bin. Aber morgen, 
Olsen, das garantiere ich Ihnen, morgen kommen 
Sie dran...” 


* 


Zwischen Schweden und Finnland liegen Im Bott- 
nischen Meerbusen die „Schären“, Das ist eine 
Gruppe von zahlreichen Inselchen, die so klein 
sind, daß oft Jede Insel nur von einer Familie be- 
wohnt wird. Auf einer größeren Insel ist dann 
meistens ein Kaufmannsladen, wo die „Insulaner” 
allwöchentlich ihren Haushaltsbedarf decken. 

Es war im Beginn der barbarischen Kälte des 
vorigen Winters, als der Bottnische Meerbusen 
zum Tell bereits zugefroren war. Der alte Wester- 
man schickte deshalb seine Haushälterin mit 
einem Peik-Schlitten zur „Kaufmannsinsel” hin- 
über. Ein Peik-Schlitten ist ein kleiner Schlitten, 
der nur für eine Person berechnet ist, den man 
mit einem Stock (Peik) vorwärtsstößt, 
Durchgefroren kam die alte Haushälterin beim 
Kaufmann an und überreichte Ihm Westermans ge- 
mütvolle „Order“, die folgenden Wortlaut hatte: 
„Gib ihr ein Paket Knäckebrot, 2 Pfund Grütze 
und ein Kilo Mehl. Das Geld schicke ich mit der 
Post, da es mir über das Eis mit dem Schlitten 
noch zu riskant ist..." 







eitungsgeschäfte und Post- 
wenn Porto beillegl. — 








‚hen. 


Der Sturm 


(Wilhelm Schulz) 


game a. 





„Ich habe fast nichts mehr zu tun; diese U-Boote nehmen mir alle Arbeit ab!“ 


La bufera: “Non ho quasi piö nulla da fare; questi sommergibili mi liberano da ogni lavoro!,, 


244 


München, 28. April 1943 A 
48. Jahrgang/ Nummer 17 30 Pfennig 


SiMmPLIcissimuS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHA MÜNCHEN 


Versenkte Munition 


(Erich Schilling) 


„Frau Hai sind in Trauer?“ — „Jawohl, mein guter Mann hat auf eine amerikanische Granate gebissen !“* 





Munizioni affondate: "Signora pescecagna, siete in lutto?,, — “Precisamente; il mio buon marito ha dato di morso ad una granata americanal,, 


Strandgut - Relitti di mare 


(Ga. Gaggell) 




















ABSCHIED VON MEINEM PASS 


VON WALTER FOITZICK 


Ach, ich habe diesen Paß geliebt, er warder erste 
Paß meines Lebens. Vor Jahren hatte ich ihn er- 
obert, erkämpft mit der ganzen Energie eines In- 
dividuums, von dem nur bekannt war, daß es 
Deutscher ist, das aber nicht nachweisen konnte, 
ob selne Wiege unter dem sanften Zepter eines 
Fürsten von Reuß jüngere Linie gestanden habe, 
oder ob seine Ahnen den mächtigen Königen 
von Preußen gedient hatten, oder ob es gar die 
schönheitstrunkenen Augen zum ersten Male zu 
dem Symbol einer hanseatischen Stadtrepublik 
aufgeschlagen habe. Es war wirklich ein langer 
und harter Kampf gewesen, ehe ich meinen Paß 
erhalten hatte, in den, wie eine blutige Narbe 
der Vermerk eingekerbt wurde: „Preuße ohne 
Nachweis‘. Auch diesen Makel habe ich später 
ausmerzen gekonnt, und ein Nachweis Ist erbracht 
worden. Nein, das Ehrenschild meines behördlichen 
Nachweises ist rein. 

Ach, es war ein so schöner Paß. 

Vorne prangte die Fotografie eines blonden, 
haarumwallten Jünglingkopfes, der durch eine 
Brille kühn allen Paßbeamten Ins blendlaternen- 
helle Antlitz in manchen nächtlichen Schlafwagen 
geblickt hatte. Laut vieler Inschriften stellte die- 
ser Jüngling mich dar. Ein letztes Jugendbildnis, 
von der Kammerzofe Greichen auf der Terrasse 
einer ‚Tiergartenvilla in Berlin aufgenommen und 
von einem deutschen Diplomaten entwickelt und 
kopiert, ein historisches Bildnis, 

Wieviele schöne Marken waren in dieses Büchel- 


chen hineingeklebt worden, braune, blaue, grüne, 
gelbe, rote, geziert mit den Hoheitszeichen und 
Wappen Europas, wie die Ruhmeshalle einer sieg- 
teichen Armee, und manche dieser Wapperl hat- 
ten sogar die Existenz ihrer Staaten überdauert. 
Eine ganze Generation von Grenzbeamten dieses 
Erdteils hatte unverständliche Dinge hineinge- 
schrieben und hineingestempelt, und mit vielen 
Sichtvermerken war mein Name in sämtliche 
Staatsregistraturen der politischen Polizelen ein- 
gegangen und ruht jetzt in kleinen schwarzen 
Kartotheksärgen bis ans Ende der Tage. 

Oh, ich liebte meinen Paß, denn er hatte den 
Mächtigen meiner Zeit kund getan, daß ich Ich sei. 
Da ging ich nun eines Tages mit klopfendem 
Herzen und ängstlichem Gemüt, wie halt der 
Mensch vor seinen Polizisten tritt, in das zustän- 
dige Amt und wollte den Lieblingspaß 'verlängern 
lassen. Ich reichte ihn durch die schmale Schieß- 
scharte des Schalters und — und er war gewesen. 
Verlängerung ausgeschlossen, ein neuer muß aus- 
gestellt werden. Ich versuchte auf seine präch- 
tige Erhaltung hinzuweisen, auf die Tatsache, daß 
noch für Dutzende von Stempeln Platz auf leeren 
Seiten sei, Tummelplatz für Wapperl und Un- 
leserliches. 

Man war freundlich aber erbarmungslos: Abgelau- 
fen wie eine Sanduhrl Der Paß mußte eingezogen 
werden. 

Ich warf einen letzten Blick auf die Jugendliche 
Erscheinung der zweiten Seite. Ich grüßte noch 


246 


einmal die Hoheitszeichen aller Länder, an denen 
die Grenzschikanen Europas und meine gelunge- 
nen Grenzübertritte hingen. 

Geht mein Paß jetzt in die ewige Ruhe eines 
Archivs eln, oder verfällt er einer thermischen 
oder dynamischen Vernichtungsanstalt? 

Ich grüße ihn zum letzten Male. 


Einem älteren Lyriker 


Verfuch's, den Frühling mit dem nötigen 
Aplomb auch heuer zu beflötigen, 

mit Inbrunft teils und teile mit Schmiß. 
Ich fürchte, es gerät dir miß. 


Die met’rologifchen Tatbeftände 

und die botan’fchen find am Ende 

ja ungefähr wie jedes Jahr. 

Doch in der Suppe fchwimmt ein Haar. 


Und zwar ein fozufagen graues ... 
Ja, tritt nur näher und befchau' es: 
es fiel von deinem eig'nen Kopf 

in Gottes grünen Suppentopf. 


Du kannft es, leider, nicht beftreitigen 

und, nochmals leider, nicht befeitigen. 

Es ift halt da. Punkt... Sattle drum, 

wenn fchon nicht ab, Freund, fo doch um, 
Ratatöochr 





Der Lenz (R. Krlesch) 





„Sag’ mal, Evi, warum sind bloß die Männer im Frühling so frech?“ 
„Ach, weißt du, da sind sie gerade vom Winterschlaf erwacht!" 


La primavera: “Dimmi, Eva, perche mai gli vomini sono sl sfacclatl soltanto in primavera?,, 
Ah sal, si sono destatl proprio adesso dal sonno brumale!,, 


247 


PANTOFFELSALAT 


VON SCHLEHDORN 


Es war einmal ein Paar goldner Pantoffel. Klein; 
so klein, daß sie zu den lebendigen Füßen paß- 
ten. Sie paßten auch zu dem Spitzengeriesel 
eines lachsfarbenen Morgenkleides. Und es lebte 
sich angenehm unter ihnen. 

Als die beiden nach Padua fuhren, der Stadt des 
Giotto und des heiligen Antonius, waren die Pan- 
toffel noch da. Aber als die beiden am nächsten 
Tag nach Venedig kamen, der Stadt des Tizian 
und des heiligen Marcus, waren sie nicht mehr 
da. Und als die beiden endlich in Perugia lande- 
ten, der Stadt des Perugino, in der Nähe des hei- 
ligen Franz, hatte man bereits höflich aus Padua 
geantwortet, sie seien in Zimmer 37 nicht da- 
geblieben. 

„Oh, die goldenen Pantoffel”, bedauerte die rei- 
zende Frau, als sie frühmorgens einen kleinen 
suchenden Fuß aus dem Bett auf den Teppich 
streckte, 

„Oh, die goldenen Pantoffel”, hatte Antonia be- 
wundert, als sie in dem großen Hotel in Padua 
das Zimmer 37 für neue Gäste herrichtete. Dann 
setzte sie mit nicht ganz sauberen Fingern das 
weiße Häubchen ab, nahm einen schwarzen 
Schleier über, unter dem sie aussah wie eine 
kleine Madonna, und ging zu der Kirche Ihres 
Namensheiligen, die mit ihren Kuppeln von außen 
wie eine Gasanstalt aussieht, Nicht weit davon 
stehen im Kreis 7 Dutzend berühmte Paduaner In 
steinernen Büsten und denken darüber nach, ob 
ihr Nachbar wirklich berühmt genug ist, hier zu 
stehen. Und der Gattamelata reitet auf dem Fleck, 
seit fast 500 Jahren, im Vergleich zu seinem vene- 
zlanischen Kollegen Colleoni der Generalstäbler 
unter den Kondottieri. 

Die kleine Antonia knlete in der großen Kirche 
und seufzie ein wenig und fragte fromm: „Sieh 
her, heiliger Antonius, diese kleinen Pantoffel, 
queste piccoline, piccoline pantoffole. Ich habe 


sie gewiß nicht'genommen. Aber die Signora war 
so reizend und der Herr sprach ein so schauriges 
Italienisch, und als sie am Mittag noch unter dem 
Bett standen, habe ich gedacht: vielleicht ein An- 
denken für die kleine Antonia, weil die Signora 
so reizend war. Und richtig, als ich sie probierte, 
paßten sie wie angegossen. Da habe ich dem 
Portier nichts gesagt und habe sie mitgebracht, 
um sie dir zu zeigen. Erlaub, daß ich sie behalte, 
heillger Antonius, queste piccoline, piccoline, 
pantoffole.” 

Einer von den kleinen Bronzeengeln, der am Grab 
einen Leuchter hielt, hat ihr gesagt, der Heilige 
sel einverstanden, „das heißt, behalten darfst du 
sie nicht, Aber bis die Signora sie zurückverlangt, 
darfst du sie tragen, wenn du fromm bist.” 
Matteo, ihr Bräutigam, fand das auch, und das 
sind nun schon 8 Jahre her; sie sind schon 7 Jahre 
verheiratet. Und Antonina, die älteste, bewun- 
dert die langsam verblassenden goldenen Pan- 
toffel und hört mit großandächtigen Augen zu, 
wenn die Mammina die erbauliche Geschichte er- 
zählt, wie der heilige Antonius ihr damals die 
goldenen Pantoffel geschenkt hat — der gute 
Heilige. 


(Aus dem Pantoffelheldenepos des Berliner 
Dichterkreises um Liesegang.) 


m».und wat soll ick Ihn‘ sagen. Wie ick rin- 
komme, find’ ick mein’ Aujust mit 'n Fremdkörper 
uff die Chäselong und knutschen da. 

‚Raus‘, zu det Biest, und ‚hierjeblieben‘ zu ihn; 
det war een Wort, ‚Det Bändeljebinde und Kno- 
tenjeknibbel könn’ Se uff die Treppe veranstalten‘, 
Weg war se. Mein Aujust uff 'n Sofa wie 'n Pud- 
ding mit Hosenträjer und Schellfischoojen. 

Bloß ihrn eenen Pantoffel ha’ ick ihr noch nach- 
schmeißen müssn, — der war janz schiefjelatscht 
von lauta Seitensprünge.”“ 


Berliner Untergrundbahn - La Metropolitana di Berlino 





248 


„Ich muß Sie in Pantoffeln empfangen”, sagte 
Regierungsrat Gromcette, „aber ich habe als Er- 
innerung an den Weltkrieg das Zipperiein.” Er 
hätte mit seinen zusammengewachsenen Augen- 
brauen und dem melancholischen Zug der Men- 
schen, die eigentlich Abenteurer sind, auch Trou- 
badour, Torero, Conquistador oder Kondottiere 
sein können, und war Regierungsrat, — nirgend- 
wo als unter den Juristen findet man so viel Men- 
schen, in denen noch was anderes steckt. 

Als er mit etwas steifen Beinen zu demkunstreich 
eingelegten Sekretär ging, den er als Schnaps- 
schrank benutzte, sah man: es waren tatsächlich 
graugelb karierte, hinten heruntergetretene Kamel- 
haarpantoffel — ein Held auf Filzunterlage, 

Dann erzählte er, 

Von Reitstiefeln, die er sich früher auf der Wil- 
helmstraße anfertigen ließ, „wissen Sie, ich 
habe manchmal Musik gehört, Studentenlieder, 
Regimentsmärsche, Mädchenlachen und andere 
Kammermusik, — aber am schönsten klang 
doch das Singen der ersten Sporen über dem 
Trottoir.”” Von gefütterten, eingefetteten Jagd- 
stiefeln sprach er, unter denen der Schnee 
knirschte und die Äste knackten, wenn man sich 
lautlos heranpirschte, und besonders, wenn man 
später davon erzählte, „Ich gehörte damals zu 
den Klassikern des Jägerlateins.” Und von Frack- 
schuhen, die, wenn sie alt sind, mit Ihrem krake- 
lierten Lack und den hängenden Knöpfen ganz 
besonders verlebt aussehen. 

„Schuhwerk ist schließlich Kleidung, Pantoffel ist 
Philosophie. Unsere gute Frau Pudewil In der Por- 
tierloge: ‚Vata ist eben mal um die Ecke wejen 
'n kleines Helles‘, sagt sie und begroßmuttert 
das ganze Haus, und sitzt und philosophiert In 
ihren leisen, großen, einwärtsgekehrten Pantof- 
fen. Die ihren sind allerdings grün und Plüsch“, 
setzte er als Sachkenner hinzu. 

„Und Pantoffel ist Poesie. Was wäre ‚Tausend und 
eine Nacht‘ ohne den beim Erzählen leise wip- 
penden, rosenduftenden Pantoffel? Was wäre aus 
Aschenbrödel ohne die Pantoffelprobe gewor- 
den? ‚Und er war klein und zierlich und ganz gol- 





den‘, heißt es im Mär- 

chen.” 

„a“, ergänzte der Be- 
(K. Rössing) sucher, der das wußte, 


„eine glückliche Ehe Ist ein 
Märchen, wo Er die Pan- 
toffelprobe bestanden hat. 
Denn es gibt zweierlei Ar- 
ten von Ehen (sagt ein 
kluger Mann): solche, bei 


denen der Mann unterm 
Pantoffel steht, und — un- 
glückliche.” 

„Und es gibt zwei Aus- 
klänge männlichen Schick- 
sals: unter ihm oder auf 
ihm.” 


„Lassen Sie gut sein”, trö- 
stete Regierungsrat Jullus, 
„man kann auch in Pan- 
toffeln ein Herr sein.” 
„Gewiß, aber nur ein alter 
Herr.” 





Iv. 


Die entscheidende Ge- 
schichte zum Pantoffelsalat 
muß nun Jeder Ehemann aus 
Eigenem beitragen. 

Wenn er sie nur seinem 
besten Freund nach der 
zweiten Flasche anvertraut, 
ist es eine traurige Ge- 
schichte; zu viel Essig in 
dem Salat. Wenn er sie 
aber seiner Frau erzählen 
kann, sonntags zum Früh- 
stück, oder abends spät, 
dann langt sie für mehr als 
tausend und einen Tag. 


Schöne Aussichten ans 





„Sie wollen für heute Abend frei haben, John?“ 


„Ja, Mylord, ich möchte gerne zu dem Sowjetvortrag ‚Über den Genick- 
schuß und seine praktische Anwendung in besseren Häusern‘ gehen!“ 


Belle prospettive: “John, questa sera volete esser libero?,, — ‘Si, Mylord; avrei molta voglia di andare 
alla conferenza sovietica sopra la scarica nella nuca e il suo pratico uso per famiglie rispettabilil,, 


249 


DER RETTER DER STADT 


In der alten deutschen Festungsstadt Thorn lebte 
zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges ein Mann, 
der in gewissen ‚verführerischen Augenblicken 
seines Lebens in bedenkenloser Weise einem Ge- 
werbe nachging, das die Helligkeit des Tages 
scheute: er stahl. Er war sonst ein ausgezeich- 
neter Mann, der seine Familie auf ehrliche Weise 
durch das Handwerk eines Kesselschmiedes er- 
nährte, aber hin und wieder kam es über ihn, 
schön blinkende Gegenstände aus Silber oder 
Gold in seinen Besitz zu bringen, nicht etwa um 
sie gegen klingende Münze zu verkaufen sondern 
um sie In einem geheimen Raume seines Hauses 
anzusammeln und sich zuweilen, wenn ihn eine 
diabollsche Lust dazu drängte, an Ihrem lockenden 
Gefunkel zu erfreuen, Lange Zeit ging alles gut, 
niemand wußte sich zu erklären, wer der Urheber 
der Diebstähle sei zumal keine der gestohlenen 
Sachen je im Handel auftauchte und man also 
auch keine Spur verfolgen konnte, — da wurde 
der seltsame Mann eines Nachts bal frischer Tat 
ertappt uhd ins Gefängnis geworfen. Man durch- 
suchte seine Wohnung und stieß endlich auch auf 
jenen geheimen Raum, in dem man nun staunend 
all die blinkenden Dinge beisammen fand, die 
schon seit Jahren aus den verschiedenen Haus- 
halten Thorns entwendet worden waren. Es 
herrschte ein händeringendes Entsetzen über den 
Sünder in der braven Stadt und eitel Freude bei 
allen denen, die ihren so schmerzlich vermißten 
Besitz an schönen Gold- und Silbersachen nun 
plötzlich wiedererhielten. 

Dem Dieb wurde der Prozeß gemacht und da man 
damals einen Unteischled zwischen gemeinem 
Diebstahl und krankhafter Anlage nicht kannte, 
wurde der Mann zum Tode durch den Strang ver- 
urtellt. Er saß hinter festen Gittern, an denen er 
vergebens rüttelte, und sah seinem schmachvollen 
Ende mit einem Empfinden desGrauens entgegen. 
Gerade In jenen Tagen gelangte das Gerücht in 
die Stadt, ein schwedisches Heer unter Führung 
des Generals Wrangel befinde sich im Anmarsch 
und habe die Absicht, sich für 
einige Zeit In der Stadt Thorn 
einzunisten. Man wußte, was das 
zu bedeuten hatte wo sich ein 
schwedisches Heer einquartlerte, 
da zog es nicht eher wieder ab, 
als bis der letzte Sack Mehl und 
der letzte klingende Heller aus 
der Stadt herausgepreßt worden 
waren. Es wäre also sinnlos ge- 
wesen, einen solchen Besuch an- 
zunehmen, und es gab nur ein 
einziges wirkungsvolles Mittel, 
ihn zu verhüten: indem man mit 
gut gezielten Kanonenkugeln zur 
Abwehr schritt. 

Zunächst schickte man aber zwei 
Spione Ins Freie, die auskund- 
schaften sollten, ob das er- 
schreckende Gerücht überhaupt 
auf Wahrheit beruhte. Man nahm 
einen Schuster und einen Schnei- 
der dazu, zwei Leute, die In 
dem Ruf großer Geriebenheit 
standen; die aber sonst nicht 
viel taugten, so daß man sich 
sagte: wenn diese beiden wirk- 
lich bei. dem Abenteuer zugrunde 
gehen sollten, so hat die Stadt 
nicht allzuviel verloren. Die bei- 
den Auserwählten zogen mit 
energischen Spcherblicken hin- 


ERZÄHLUNG VON HANS BETHGE 


aus, und sie waren etwa eine Meile weit ge- 
kommen, da hielten sie es für richtig, sich zu- 
nächst einmal geruhsam in dem Graben neben 
der Landstraße auszustrecken und einen Teil 
der mitgenommenen Lebensmittel zu verzehren. 
Sie tranken auch einen guten Schluck dazu und 
schlummerten dann, solange ihnen das Schick. 
sal die suße Gabe des Schlafes vergönnte, 
Nach dem Erwachen erzählten sie sich lachend 
allerlei lustige Geschichten, äugten zuweilen vor. 
sichtig über den Grabenrand, stellten zu ihrer 
Genugtuung fest, daß bis an den fernen Horizont 
hin keln Feind zu erblicken war, und nachdem sie 
so volle vierundzwanzig Stunden faulenzend in 
dem Graben zugebracht hatten, rüsteten sie sich 
und kehrten guten Mutes in ihre Heimatstadt Thorn 
zurück. Sie erzählten doıt von mannigfachen aus- 
gestandenen Gefahren und berichteten, daß der 
General Wrangel nicht daran denke, Thorn einen 
Besuch abzustatten, daß er vielmehr sicheren 
Nachrichten zufolge bereits in eine andere Rich: 
tung abmarschlert seı. 

Die Stadt hörte diese Meldung mit Freuden, und 
der Schneider sowohl wie der Schuster, deren 
Verdienste Ja in Wirklichkeit nur darin bestanden, 
einen Tag lang faul In einem Graben gelegen zu 
haben, wurden für !hre ausgestandenen Mühen 
mit besonderen Auszeichnungen belohnt, die sie 
mit würdigem Ernst, doch ohne Sträuben, ent- 
gegennahmen. 

Der Magistrat hatte nun Zeit, sich wieder mit dem 
gefangenen Dieb zu beschäftigen, und um dem 
Volk die schon lange erwartete Sensation nicht 
länger vorzuenthalten wurde die Exekution gleich 
auf den nächsten Tag festgesetzt. Als am frühen 
Morgen das Armesünderglöcklein erscholl, setzte 
sich der Zug nach dem Richtplatz in Bewegung, 
der Bürgermeister, verschiedene Mitglieder des 
Magistrates, die Büttel, deren einer den gefessel- 
ten Dieb an einem Hanfstrick leitete, der Henker, 
der Pfarrer und eine endlose Schlange des Immer 
nenglerigen Volkes. DerRichiplatz lag in der Nähe 





250 


DER „SIMPLICISSIMUS" GRATULIERT 
SEINEM LIEBEN MITARBEITER 
HEINRICH KLEY 
ZUM 80. GEBURTSTAG 


der Stadtmauer, und der Galgen ragte hoch über 
den Mauerkranz hinweg. 

Nachdem dem Sünder noch einmal seine Ver- 
gehen vorgelesen waren und ein Stadtbeamter 
den Stab über Ihn gebrochen hatte, führte ihn der 
Henker zur Leiter, die der Unglückliche bebend 
und gesenkten Hauptes mit zögernden Schritten 
emporstieg. Der Henker, von menschlichen Ge- 
fühlen nicht beseelt, gab ihm einen Stoß in den 
Rücken und raunte Ihm zu: 

„Beeile dich. Mann, dir känn weder Gott noch 
der Teufel mehr helfen.” 

„Der Teufel nicht’, erwiderte der Dieb, „aber 
Gott würde es schon können, wenn er wolltel” 
Damit war er auf der Höhe der leiter angelangt, 
und der Henker, einige Sprossen unter ihm 
stehend, begann die Schlinge In seinen Händen 
zurechtzulegen. Der arme Sünder richtete noch 
einmal seine Augen in die ferne heimatliche Land- 
schaft, um einen letzten freundlichen Eindruck mit 
ins Jenseits hinüberzunehmen, da hob er plötzlich 
erregt seinen Arm, wies in die Ferne und rlel: 
„Die Schweden kommen! Das schwedische Hear 
rückt anl“ 

Der Henker stieg schnell die letzten Sprossen hin- 
an, äugte gleichfalls hinauf und rlef: 

„Er hat recht! Die Schweden kommen! Rettet die 
Stadt!” 

Nun entstand ein ungeheurer Tumult, alles flutete 
wild durcheinander, der Bürgermeister komman- 
dierte: „Alle Kanoniere an die Geschützel” und 
jede: tat in Windeseile das, was Ihm in diesem 
Augenblick das Notwendigste schien. Die Stadt- 
tore wurden geschlossen, die Frauen kochten in 
den Waschküchen mächtige Kessel Wasser, um es 
den Ankommenden von dem Mauerkranz herab 
siedend auf die Schädel zu gießen, und als sich 
die Schweden der Stadt auf einen Kanonenschuß 
genähert hatten, da krachten auch schon die 
Böller los und schlugen mörderisch in die ersten 
Reihen des anrückenden Heeres ein. Die Rotten 
machten halt, sie hatten eine sc energische Ab- 
wehr nicht erwartet, und da sich 
die Geschütze Thorns durchaus 
nicht mit einigen Schreckschüs- 
sen zufrieden gaben, sondern 
immer wilder zu brüllen began- 
nen, so kam schnell das Kom- 
mando „Kehrtl” und die scnwe- 
dischen Truppen wendeten sich 
eiligst rückwärts, um Ihren Marsch 
auf ruhigeren Straßen fortzu- 
setzen, die weit um die tapfere 
Stadt herumführten, 

Thorn war gerettet. Daß man 
dem verdienstvollen Bürger, des- 
sen wachsames Auge Im richtigen 
Moment den Anlaß zur Rettung ge- 
geben hatte, das Leben schenkte, 
braucht kaum erwähnt zu wer 
den, — aber die Dankbarkeit 
der Stadt ging weiter: da man 
die Freude des Retters an schön 
funkelnden Gegenständen wohl 
kannte, so machte ihm der Magl- 
strat kurz entschlossen ein Paar 
herrlicher silberner Leuchter zum 
Geschenk, die ihn für alle Zeit 
daran erinnerten, daß er mit Got- 
tes Hilfe seine Vaterstadt vor 
der schrecklichen Heimsuchung 
durch die schwedischen Heer- 
scharen, sich selber aber vor dem 
Tode bewahrt hatte. 


{fr Bllek) 





Die Lockspeise en 





x 
Par Bl 
/ | 


ME , u" i 
N 


„Nein, Georg, ganz ausgeschlossen, ich kann Ihnen nicht als Eva Modell stehen!" 
„Auch nicht, wenn Sie den Apfel behalten dürften?“ . 








L’esca: "No, Giorgio, & ascolutamente escluso ch’ io possa posare da modello di Eva!,, — „Nemmeno se poteste tenervi la mela?,, 


251 


Der Großvater - Il nonno 


(0. Hermann) 





„Sag', Vater, wat hat nur det Kleene, daß es so oft muB?“‘ — „Ach, Emma, det is eben det rasende Tempo der Zeit!" 


“Dimmi, papä, cosa ha il piccino che ha sl spesso bisogno?,, — Ah, Emma, ne & causa la pazza velocitä del tempo!,, 


ZWEI 


Hoch oben im Bergwald steht unsere Hütte. Noch 
einmal versucht es ein wackeres Häuflein zer- 
zauster Fichten, Sturm und Blitz Trotz zu bleten 
Dann beginnt der nackte Fels, Es Ist einsam hieı 
oben. Nur ein schmaler, von Wurzelwerk über- 
sponnener Jägersteig führt über Wildwasser und 
an brausenden Tobeln entlang zu unserer dürf- 
tigen Behausung. Besteigst du den verwitterten 
Felsblock, den In grauer Vorzeit die Faust eines 
Glganten aus den Schroffen gebrochen und her- 
abgeschleudeit hat, so Öffnet sich ein weite 
Blick über die begrünte Ebene des bayerischen 
Vorlandes Silberne Fäden durchziehen es, weiten 
sich zu Seen und entschwinden im Glast des 


VON A. WISBECK 


nördlichen Horizontes Hier und dort hat sich ein 
Dörflein, ein Marktflecken, in das saftige Weide- 
land gebettet. Dem Gebirge zu aber häufen sich 
um den Kern bescheidener Siedelung die kailk- 
weißen Quadern von Landhäusern, Fremdenheimen 
und Kurhotels Manchmal, in der schweigsamen 
Sommernacht, tragt der Wind die abgerissenen 
Klänge: schmeichelnder Musik aus den Bezirken 
des Lebens zu unserer Einsamkeit empor. Wir sit- 
zen auf dem Felsbrocken und rauchen unter dem 
flimmernden Sternenhimmel unser Pfeifchen.' 

„Kann mir schon denken, was sich 4a unten tutl* 
knurrt mit verbissenem Neid mein Arbeitskame- 
rad, der Maler Schnecker. „Gestatten gnädiges 


252 


MÄNNER UND STEFANIE 


Fräulein, daß ich Sie nach Hause begleite?’ ‚Aber 
nein, lieber Graf, ich wohne doch gleich neber- 
anl‘ ‚Tut nichts, mein Fräulein — ein kleiner Um- 
weg durch den Wald — die Nacht ist schön und 
heiß!" ‚Nur, wenn Sie ganz brav sindl’ ‚Ehren- 
wort, gnädiges Fräulein!” — — ‚Hildegard, wie 
kommı es, daß dein Abendkleid zerrissen ist?’ 
‚Zerrissen? — — Ach Ja, Mutter, es fällt mir ein: 
an einem Gartenzaun verfing es sich.'” „Narrl” 
sage Ich zu Schnecker, „was geht das uns an? 
Hast du Schnaps? Nein? Nun, dann laß uns 
schlafen gehen!” Es Ist heiß in der kleinen Hütte, 
Sterne fınkeln durch das enge Fensterchen unse- 
rer Kammer. „Mich kann die ganze Welt — —I 


Tanz mit dem Dollar 


(©. Gulbransson) 




















„Drück' mich nicht so, lieber Dollar!“ 
„Sei still, sonst lasse ich dich fallen, mein liebes Pfund! * 


Danza col dollaro: “Non stringermi sl forte, caro dollaro!,, — "Sta zitta, mia cara sterlina, se no ti faccio cadere!,, 


253 


Die Philologin 


(K. Helllgenstaedt) 








„In der Sprache Homers könnte ich eine elegante Bestellung auf 
Trockengemüse aufgeben, Aber wie drücke ich es kaufmännisch aus?‘ 


La cultrice di filologia: “Nella lingua d'Omero potrei dare un’ elegante 
ordinazione di legumi secchi, ma ... come esprimermi commercialmente?,, 


254 


höre ich noch im Halbschlaf meinen Kameraden 
murmeln. 

Ach ja, das war nun eine verteufelt harte und un- 
gewohnte Arbeit, zu der wir uns verdingt halten. 
Denn es galt, mit Säge und Axt eine Trace durch 
den Hochwald zu brechen. Der Kurverein hatte 
es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, auf einer 
leicht zugänglichen Felskanzel einen Aussichts- 
pavillon mit einem Rundblickfernrohr und Auto- 
maten zur Abgabe von Pfefferminz, Toilettepapier 
und Kölnischem Wasser zu errichten. Für Stöckel- 
schuhe und Florstrümpfe wäre nun aber freilich 
der ehrwürdige Gamsjägersteig wenig geeignet 
gewesen. Und so sollte Im Verlauf der Trace ein 
gangbarer Weg mit Ruhebänken und Erfrischungs- 
stationen entstehen. 

Habt ihr schon einmal einen Baum gefällt? Einen 
richtigen, meine ich, nicht ein Birnböumlein eueres 
Gartens. Unmerklich beißt sich das Sägeblatt in 
das sparrige Holz und durch eisenharte Verknor- 
pelungen zur Dicke des Stammes durch. Aussichts- 
los erscheint dir dein Tun. Blasen bedecken ur- 
plötzlich die Innenflächen deiner Hände und plat- 
zen auf, Blut und Wasser tropft dir von den Fin- 
gem. Doch du beißt die Zähne zusammen, im 
Gleichmaß des Atems schiebt und zieht das 
Hebelwerk deiner Arme. Nun ist es endlich so 
weit! Die Axt her und einen Keil in die klaffende 
Wunde getrieben! Und da neigt sich auch schon 
der Wipfel zur Seite. Klirrend und krachend split- 
tern Äste, wirbeln Rinde und Nadeln durch die 
Luft. Dann streckt sich der tote Riese mit diımp- 
fem Gepolter in das Moos. Mit dem Stolz des 
Siegers, doch stille Wehmut im Herzen, stehst du 
vor dem Werk der Vernichtung. Gott möge mir 
verzeihen! Und nun der nächste Baum — und der 
nächste —I 

Man sagt, jade Arbeit müsse gewohnt sein. Aber, 
wie lange braucht man, um sich an eine Arbeit 
zu gewöhnen? Wir taten es jedenfalls nicht, son- 
dern wurden von Tag zu Tag schlaffer, Hätten wir 
wenigstens hin und wieder mit einem Schluck 
Schnaps unsere Lebensgeister aufschrecken kön- 
nen! „Habe ich nicht ein Krüglein Enzian bei dir 
gesehen?” frage ich Schnecker. „Nein“, erwidert 
der, und sieht zur Seite. „Es war Heißgetränk, 
und ich habe damit meinen zerbrochenen Pfeifen- 
kopf zusammengeklebt.' 

Daß wir unter diesen Umständen keine Muße fan- 
den, auf die Erhaltung unseres Äußeren zu achten, 
versteht sich. Kinn und Wange starrten von Bart- 
stoppeln, Harz, mit Fichtennadeln vermengt, hatte 
sich im Haupthaar eingenistet, In Hemd und Hose 
klafften breite Löcher. Doch, was tat es? Die 
Hirschkuh, die uns mitunter über den Weg lief, 
nahm keinen Anstoß, sondern äugte uns mit Ihren 
sanften Augen liebevoll an und trollte sich lang- 
sam in das Holz. 

Es dämmert bereits, als wir von unserer Arbeit 
auf die Lichtung treten. Da stockt unser Fuß. Was 
steht vor unserer Hütte? Ein Menschengebilde, 
wie es scheint, denn es trägt einen himbeerfarbe- 
nen Pullover, ein kariertes Röckchen und eine 
Mütze, von der eine Quaste wedelt. „Ein Weib!" 
schnaubt mein Kamerad, „Ja, eine Dame“ berich- 
tige ich, denn Schnecker ist manchmal unfein, 
Vorsichtig, um die Erscheinung nicht zu verscheu- 
chen, pirschen wir uns an sie heran. Es war Ste- 
fanle, wie Ich schon an dieser Stelle bemerken 
will, Damals hielt ich sie für das schönste Mäd- 
chen des Erdenrundes, aber es mag sein, daß es 
noch schönere gibt. Doch war ich eben der Ver- 
gleiche entwöhnt, Jedenfalls, und darauf bestehe 
ich, hatte sie die Augen einer Gazelle. Ihr Eng: 
gelocke schimmerte bläulichschwarz unter dem 
Mützchen hervor. Die herben Formen der Brust 
prägten sich deutlich ab, und ich mußte mich über 
Schnecker ärgern, der in seiner unfeinen Weise 
darauf hinstarrte, während ich nur das zierliche 
Spiel der Kniescheiben einer verstohlenen Be- 
trachtung unterzog. „Was wünschen das gnädige 
Fräulein?” frage ich und versuche vergeblich, 
einen Harzknollen, der mir über die Stirne fällt, 





aus meinem Haar zu zerren. „Ich wünsche ein 
Nachtquartier”, antwortete ohne jede Verängsti- 
gung das Mädchen, „denn ich habe mich ver- 
laufen. Wollte auf die Blauwasser-Hütte, und nun 
kommt die Nacht. Gehört euch diese Baracke?” 
„Ja, übertreibe ich, „wir sind die Inhaber, und 
es wird uns eine Ehre sein, Sie zu beherbergen.“ 
Wir treten in die Hütte, ich mache Licht in der 
Laterne und deute auf unsere Strohsäcke. „Wählen 
Siel” sage ich. „Und wer von uns beiden soll auf 
dem anderen schlafen?” stottert Schnecker. Denn 
er war wirklich kein feiner Mann. „Wir werden in 
einem anderen Raum nächtigen!” verweise ich 
ihn scharf, Ach ja, da war noch ein kleiner Zie- 
genstall, und seine Streu bewies noch unverkenn- 
bar seinen Zweck. Aber, was lag daran? Der Ge- 
danke, daß nebenan eine Frau atmete, mußte ent- 
schödigen. Wir plaudern noch ein wenig mit der 
Dame, dann kriechen wir In den Stall und werfen 
uns auf die Streu. „Wir wäre es, wenn du morgen 
die Bäume ankerben würdest?” frage ich meinen 
Kameraden. „Ich habe mir nämlich den Knöchel 
verstaucht und werde nicht zur Arbeit gehen kön- 
nen.‘ „Ich auch nicht“, kommt es aus der Ecke 
heraus, „Ich habe mir den Daumen angesägt.” 
Das war eine Lüge, wie ich am nächsten Tag fest- 
stellen konnte, Doch ich wär zu takıvoll, darüber 
zu sprechen. 

In der Morgendämmerung schon krieche ich aus 
dem Stall, gehe zur Quelle hinunter, rasiere mich, 
so gut es eben geht, und wasche mir den Kopf, 
Als ich wieder oben bei der Hütte ankomme, 
sitzt Schnecker frisch rasiert davor und flickt sich 
das Hemd. Wir tun so, als hätten wir die Ver- 
änderung unseres Äußeren gar nicht bemerkt. 
„Hast du Nähzeug?“ fragte ich Schnecker. „Nur 
diese eine Nadel“, schmunzelte dieser gemeine 
Kerl und stichelt frisch darauf los. Hätte ich ihm 
nun vielleicht sagen sollen, daß ein dunkler Harz- 
knollen in seiner Ohrmuschel saß, sollte Bosheit 
durch Anstand belohnt werden? Wir saßen schwel- 
gend nebeneinander, dann tritt Stefanie aus der 
Hütte. Noch schöner als gestern, dünkt mich, 
Wenn sie lächelt, blitzen ihre Zähne durch den 
korallenroten Spalt geschwungener Lippen, über 
der schmalen, edel gewölbten Stirne gleißt blau- 
schwarz das wellige Haar. Wir gehen plaudernd 
in die Hütte, und ich bereite unser gewohntes 
Frühstück, einen Schmarrn. „Du hast zu wenig 
Schmalz in die Pfanne gegeben”, sagt mein 
Kamerad und wirft einen gewichtigen Klumpen 
auf das Blech. „Nur ein Versehen!” antworte ich 
und haue noch ein faustgroßes Trumm oben dar- 
auf, Stefanie sieht lächelnd zu und ist uns behilf- 
lich, wo sie kann. „Nun muß ich aber bald auf- 
brechen‘, sagt sie nach dem Frühstück, „ein Be- 
kannter erwartet mich auf der Blauwasser-Hütte.”“ 
Es gefällt uns nicht, daß sie dies sagt. Wir schwei- 
gen und sehen vor uns hin, „Kann mich einer von 
euch so welt begleiten, daß ich den Weg finde?“ 
fragt Stefanie. „Mein Freund wird in Sorge um 
mich sein.” Es gefällt uns noch weniger, wie sie 
das sagt. „Ich habe mir den Knöchel verstaucht”, 
entschuldige ich mich, „aber mein Kamerad wird 
Sie begleiten. Er hat sich nur den Daumen ange- 
söägt.“ Schnecker sieht mich gehässig an. 

Die beiden wollen gerade aufbrechen, da hört 
man Schreie aus der Richtung der Blauwasser- 
Hütte, Stefanie horcht auf. „Das ist er, das ist 
er!” ruft sie aufgeregt! und versucht, die Schreie 
zu erwidern. Aber Ihre Stimme ist zu schwach. 
„Kann einer von euch jodeln?“, fragt sie uns. 
„Nein“ sagen wir gleichzeitig, „wir haben es nie 
gelernt.” Nun kommen die Rufe nöher und schließ- 
lich tritt ein junger, nach allen Regeln der alpi- 
nen Mode gekleideter Mann auf die Lichtung. 
Schon läuft ihm Stefanie entgegen, und wir sehen, 
wie sich die beiden küssen. Jawohl, das tun sie. 
„Er war In furchtbarer Sorge und hat mich ge- 
suchtl” sagt Stefanie, während die beiden in die 
Hütte treten. „Könnte ich vielleicht bei euch ein 
kleines Frühstück bekommen?” fragt der junge 
Herr so nebenbei, denn er blickt unverwandt in 
Stefanies Gazellenaugen. „Gerne“, grinst Schnek- 














ker, „wir haben noch eine Handvoll Mehl, und 
Wasser können wir an der Quelle holen.” Der 
Junge Mann versucht es, einen Löffel des zähen 
Fladens hinunterzuwürgen, dann verabschieden 
sich die beiden. — 

Und da sitzen wir nun wieder auf dem Felsblock 
unter dem flimmernden Sternenhimmel und rau- 
chen unser Pfeifchen, Aus dem Tal schweben die 
abgerissenen Klänge schmeichelnder Musik zu 
unserer Einsamkeit empor. „Mich kann die ganze 
Welt — —” murmelt Schnecker vor sich hin. „Mich 
auch”, sage ich, „aber eine Flasche Schnaps wäre 
mir noch lieber.” Mein Kamerad sinn! ein wenig 
vor sich hin, dann kommt es verlegen von seinen 
stotternden Lippen; „Überdies fällt mir ein: im 
Zlegenstall, unter der Streu könnte sich noch ein 
Krug Enzian finden.” Wir fanden den Krug und 
tranken Ihn leer. 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


10. Nückol) 





Der Geiz des Großhändlers Niels Sörensen — er 
lebte vor dem ersten Weltkrieg — war in Kopen- 
hagen sprichwörtlich, und als er gestorben war, 
erzählte man über seine „Himmelfahrt folgendes: 
Sörensen kam zur Himmelstür zu Petrus. Dieser 
fragte ihn nun: „Sörensen, was für gute Taten 
haben Sie auf Erden vollbracht?” — Sörensen 
dachte nach und dachte nach. Schließlich sagte 
er: „Ja, ich habe einmal vor 20 Jahren unserer 
Portierstochter eine Krone als Beihlife zum Kon- 
firmationskleid geschenkt.” — „War das alles?” 
— „Richtig, ichhabe auch einmal 40 Ore bei einer 
Sammlung für arme Kinder gegeben!” — „Das 
ist ja nicht viel", sagte Petrus, „aber Ich werde 
mal den lieben Gott fragen 
Nach einer Weile kam Petrus zurück: „Also Sören- 
sen, ich soll schön vom lieben Gott grüßen. Hier 
haben Sie die kr, 1.40 zurück — und nun sollen 
Sie sich zur Hölle scheren.” 


* 


Der Sonderzug für Fronturlauber Wien—Vlissin- 
gen hatte eben die Mainbrücke bel Kitzingen über- 
quert und keuchte empor nach Rottendorf, da 
wachte mein Gegenüber mit der Armbinde „Feld- 
gendarmen-Korps” auf. „Wat is dat for 'ne 
Jegend?’ Er kam an die richtige Schmiede: „Wir 
fahren zwischen Nümberg und Würzburg und 
schneiden eben die südliche Spitze des Main- 
dreiecks ab. In einer halben Stunde sind wir in 
Würzburg.” „Aha’‘, sagte der Mann, ganz im Bilde, 
„und ick dachte zuerst, dat wär allens noch 
Bayanl” G.M. 











* 


Get Bobby halte eine neue Hausschneiderin. 
Die Schneiderin schnelderte den dritten Tag: 
Graf Rudl betrachtete sie verwundert, 

„Eine gräßliche Person, lieber Bobby!” 

Die Schneiderin geht Ins andere Zimmer. 

„Und beim Gehen setzt sie die Füße einwärtsl” 
„Das macht sie nicht immer!" 

„Nein?” 

Graf Bobby schüttelte den Kopf: 

„Sicher nicht, Im Inserat hatte sie damals geschrie- 
ben: gehe auch auswärts!” I.H.R. 





Verlag und Druck: Ki 


Vorantworti, Schrittleiter: Walter Folt 
Anstalten onigegen. — Bezugspreis 











: Einzelnumma 


& Hirth Kommanditgesellschaft, München, 
‚ München, — Der Simplicissimus erscheint wöchent 
30 Pi,; Abonnement im Monat RM. 1. 
Nachdruck verboten. — Poslscheckkonio München 3920. Erlüllungsort München. 









in, 








mal. Bostel 
‚nverlangto Einsenduni 


anschrift: München 2 BZ, Brieffach. 


'e Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- 
Ion nur zurückgesändt, wenn Porto beillegl, — 





Die Kriegsgewinnler von Südamerika 


(Wilhelm Schulz) 








„Großartig, dieser Tonnagemangel! Man kann sich so richtig an Weizen vollfressen !" 


I pescicani dell’ America del sud: “Che bellezza questa mancanza di tonnellaggio! Cosi si possono dare delle grasse scorpacciate di frumento!,, 


256 








München, 5. Mai 1943 : 
48. Jahrgang/ Nummer 18 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 














UA ÄHNENSCHLOSS DER LoRDs 





ötät Gücakanison #3 








„Darf ich Mylady zum Umgehen einladen?” — „Nein, danke, Mylord! Seitdem mich gestern dieser einquartierte amerikanische Lümmel 
in den Popo gezwickt und eine ulkige Rübe genannt hat, ist mir die Lust dazu vergangen!” 

Nel castello avito dei Lord: “Posso, Mylady, invitarVi a fare un giro di apparizione?,, — “No, grazie, Mylord! Poiche ieri il 

villanzone di americano, qui acquartierato, m’ ha pizzicato il deretano, dandomi della ridicolo' rapa, me ne & passata la voglial,, 

















Atelierbesuch VIII - Visita di studio VIII 


(0. Nückel) 





P. P. Rubens in seiner Werkstatt, Halle VIl, Abtlg. 4B 


DER ZEIGEFINGER 


VON WALTER FOITZICK 


Vor mir geht eine Dame und ein kleiner Junge, 
Die Dame macht das, was Damen mit kleinen Jun- 
‚gen, wenn sie mit ihnen spazieren gehen, meistens 
tun, sie erziehen ihn. Die Dame verbietet dem 
kleinen Jungen dasjenige, was er besonders 
gerne tun möchte. Sie weist ihn auf das Un- 
gehörige seines Benehmens hin, wenn er mit bei- 
den Füßen in eine Pfütze treten will, damit es 
ordentlich spritzt. Da er solches nicht tun darf, 
sinnt er auf. neue Lustbarkeit und da fällt ihm ein, 
daß er gestern gerade das Ausspucken entdeckt 
hat, Zum Glück fällt es ihm ein, denn das kann 
er gut betreiben, während er an der Hand der 
Mama weitergeht. Aber auch daran hat die Mut- 
ter merkwürdigerweise keine rechte Freude und 
sagt ihm, daß es sich gar nicht schickt. Das Kind 
seufzt und denkt vielleicht: „Alles Schöne ist 
verboten” oder auch „Das Leben Ist hart", Da 
fällt sein Blick auf einen Apfelsinenkarren, und er 
deutet begehrlich auf die schönen Orangen. Die 
Mutter aber weiß, was sie dem späteren Fort- 
kommen ihres Sohnes in der menschlichen Ge- 
sellschaft schuldig Ist und sagt: „Man zeigt nicht 
mit dem Finger auf Dinge, die man haben will.” 
So sagt die Mutter und verbreitet dabei feine 
Sitte und gutes Benehmen. Gerade gehen wir 
an dem Denkmal des Kurfürsten Max Emanuel 
vorbei und mein Blick fällt auf den bronzenen 
Landesvater, und da sehe ich, wie er seine Hand 
ausgestreckt hat und mit dem Zeigefinder zeigt. 


Er weist auf Stadt und Festung Belgrad, die er 
haben wollte, nehmen wollte mit stürmender 
Hand, wie man damals sagte. Dem hat vielleicht 
seine Mama nicht gesagt: „Emanuel, man zeigt 
nicht mit dem Finger auf Festungen, die man 
haben will.“ 

Aber der kleine Bub vor mir hat es Gott sei Dank 
nicht gesehen, sonst hätte er seiner Mama schön 
antworten können, wo doch Männer, die in 
Bronze Irgendwo stehen, sozusagen Vorbilder fürs 
ganze Volk sind. Und auch auf den Blücher hätte 
er hinweisen können, der mit dem Finger auf 
einen Punkt der Landkarte tippt und dabei sagte: 
„Wo llegt Paris? Paris ist hier. Den Finger drauf, 
das nehmen wir.” 

Ja, Prominente benehmen sich häufig etwas un- 
gewöhnlich und man kann sie nicht restlos zu 
Erziehungszwecken verwenden, 

Ich wäre fast zu der Dame hingegangen und 
hätte gesagt: „Hochverehrte gnädige Frau, das 
mit dem Zeigefinger ist so eine Sache. Auf den 
Marktplätzen der ganzen Welt und in vielen 
großen Hafenstädten stehen Herren in Stein und 
Bronze und weisen mit gestrecktem Zeigefinger 
hinaus in die Welt, auf Dinge, die sie haben 
wollten. Sie dürfen es also ihrem Herrn Sohn 
nicht allzusehr ‚verargen, wenn auch er seinen 
Willen zur Macht auf historische Art äußert. Viel- 
leicht ist er ein kommender Mann und braucht 
dann den Zeigefinger, um vorbildlich in die 
Welt zu weisen.” 

Übrigens, warum hat man den Finger, mit dem 
man nicht zeigen darf, eigentlich Zeigefinger ge- 
nannt? 


258 


P. P. Rubens nella sua bottega d’arte, rimessa VII, sezione 4B 


ÜBER NACHT 


Gestern noch lag die Heide brach. 
Über Nacht ist ein Regen eingefallen, 
Hat die lange Nacht 

Auf der kalten Heid’ 


Hinterm Birkenwald verbracht, 
Wie im Rausche 

Hörte ich den Regen lallen. 
Heute ist die Heide wach! 


Einer Lumpenmaid 
Hing der Regen an der Brust. 
Schau ihr'grünes Kleid, 
Bürgen stummer Lust! 


Blumen rot und Blumen blau 
Tragen süße Not zur Schau. 
Ob der Heid’ der Himmel rund 
Giert nach ihrem seligen Mund. 


FRITZ KNOLLER 


Maiski und Sikorski Emo) 








„Aber Brüderchen, wegen lumpiger zwölftausend Offiziere werden Sie uns doch nicht belästigen!" 


Maiski e Sikorski: ‘Ma, fratellino caro, non ci molesterete mica per diecimila straccioni di ufficiali!,, 


259 


Der Nörgler - 


Il criticone 


0. Hegenbarth) 





„Karussell gefahren ist man zu meiner Zeit auch schon, aber mit größerem Ernst!" 


“Anche al miel templ sl andava in carosello, ma con piö serieläl,, 


ABENTEUER 


VON KARL LEMKE 


Wenn man dies Haus betritt, bleibt die Zeit 
draußen, empfand Rene. Die schwere Tür schloß 
sich schnell hinter ihm mit leisem Schnappen. 
Dicke Teppichläufer machten den Schritt unhör- 
bar. In Watte gepackt, lag reglose Stille im Raum. 
Rene sah sich im Dämmerdunkel um. Starre Pal- 
men in Kübeln, eine Ecke mit Klubsesseln um 
einen niedrigen Tisch, auf altersdunklen Bildern 
Gesichter versunkener Zeiten. 
Wohin führten diese Doppeltüren? War dies über- 
haupt ein Gasthaus? Der schwere Prunk des 
Raumes machte einen so privaten Eindruck. Bri- 
glite wollte ihn hier erwarten. Wie sie nur auf 
dies seltsame Haus am See gekommen sein 
mochte? 
Rene stand eine Weile unschlüssig. Niemand kam; 
nichts hier erinnerte an einen Restaurationsbetrieb. 
Nach langem Zögern öffnete Rene eine der Türen 
auf gut Glück, Er sah in einen Barocksalon, kaum 
mehr erhellt als der Vorraum. Große Schirm- 
lampen standen neben kleinen runden Tischen. 
Jede zeichnete mit ihrem Schein nur einen mäßig 
großen Kreis. Eine beschien die anmutige Gestalt 
Brigittes, Ihr kupfernes Haar glänzte dunkel. Wie 
ist sie schön! dachte Rene, indes er auf das 
Mädchen zuschritt. Eine heiße Welle ging ihm 
“ durch Herz und Stirn. 
Brigitte sah ihm mit weitgeöffneten Augen, in 
denen Furcht lag, entgegen. „Wir hätten doch 
nicht hierhergehen sollen”, flüsterte sie, als Rene 
sich über ihre Hand beugte. „Dies Haus —’ 
„Wieso? Was hast du?” fragte Ren& besorgt. 
„Angst, hauchte sie. 
Nichts regte sich. Kein anderer Gast war da, 
außer einem sehr alten Herrn, der am Nebentisch 
in ein Buch vertieft schien, 
„Du hast bereits für uns bestellt?” sagte Ren& 
mit Blick auf die Karaffe roten Weines, die auf 
dem Tisch stand. 
„Wir hätten doch nicht hierhergehen sollen”, 


wiederholte Brigitte. Ren6, mit unbestimmter Kopf- 
bewegung: „Du schlugst dies Haus vor. Du kann- 
test es.” 

„Ich kannte es? Ich war zweimal hier. Und beide 


‚Male ereignete sich Seltsames. Ich weiß nicht, 


was mich veranlaßte, unsere Zusammenkunft hier 
vorzuschlagen...” BR 

„Was ereignete sich?” 

„Der Kellner trat ein; er brachte eine Tasse Kaffee 
mit Kuchen zu jenem Tisch da neben der Tür. 
Niemand saß dort. Nach einer Weile aber holte 
er das Gedeck wieder fort... Daß er an zwei 
lange auseinanderliegenden Tagen genau das 
Gleiche tat, ließ es mir auffallen.” 

Ren& lachte, eine Nuance zu laut. Der Klang, den 
Teppiche, Portieren, Polster sogleich aufschluck- 
ten, erschreckte ihn. 

Ein Zufall, wollte er sagen. Brigiites Hand, die 
plötzlich seinen Arm umklammerte, verhinderte 
es. Ihre Augen waren schreckhaft weit geöffnet 
auf die Tür gerichtet. Ren& folgte der Richtung 
ihres Blickes. Die Tür hatte sich lautlos aufgetan; 
ein Diener in schwarzer Livree — war es der 
Kellner? — trug auf einem Tablett eine Kaffee- 
tasse und ein Stück Kuchen auf einem Teller. Er 
stellte beides auf das kleine Tischchen neben 
der Tür, das vom Schein der danebenstehenden 
Lampe matt bestrahlt wurde, und an dem nie- 
mand saß. Fast sah es aus, als mache er dabei 
eine kleine Verbeugung. Dann entfernte er sich 
lautlos. 

Eine Stimme ließ Brigitte und Ren& aufschrecken. 
Der alte Herr am Nebentisch — hatte er schon 
vorher ihnen so nahe gesessen? — sagte ge- 
dämpft: „Seit zehn Jahren bringt er seiner Herrin 
jeden Tag zu dieser Stunde Kaffee und Kuchen —"“ 
„Aber sie ist nie da —", hauchte Brigitte. 

„Oh, sie ist schon da”, lachte der Alte leise, 
„man kann sie nur nicht sehen...’ 

Des Mädchens feingliederige Hand umkrampfte 





260 


noch immer Renös Arm. „Wer Ist sie?” flüsterte 
sie und starrte gebannt auf den kleinen Tisch 
und den leeren Sessel davor. 

„Sie Ist nicht, sie war", entgegnete der Alte 
ebenso leise. „Moorberg, der Beslizer dieses 
Hauses, hat sie an jenem Tisch kennengelernt. 
Sie kam oft, immer allein, täglich kam sie zu 
einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen. Sie 
war Jung und schön. Moorberg verliebte sich in 
sie. Und die Frau liebte bald auch ihn. Sie be- 
zog ein Fremdenzimmer im Hause. Das war eine 
Zeit —! Kein glücklicheres Liebespaar hat man je 
gesehen. Ein Jahr Glück... Aber sie war krank, 
schwer, unheilbar. Die Lunge. Ein Jahr wohnte 
sie hier; dann starb sie. Sie hatten sich gellebt 
bis zuletzt, Ach — und auch der Tod sollte sie 
nicht trennen, schworen sie sich. Sie versprach 
ihm, auch später immer um ihn zu sein... Seit- 
dem bringt der Kellner ihr jeden Tag Kaffee und 
Kuchen, an ihren alten Platz...” 

„Und holt ihn später wieder fort”, sagte Renö 
abschließend, Es sollte belustigt klingen; aber 
der Ton mißlang. Der Alte schüttelte den Kopf. 
„Nur das Geschirr“, flüsterte er. „Der Kuchen ist 
jedesmal fort, die Tasse leer... Sehen Sie .nur 
genau hin.” 

Brigitte unterdrückte einen Schrei. Ihre Augen 
wären voll Entsetzen auf den kleinen Tisch ge- 
richtet. Ihre Hand, die Renös Arm hielt, zitterte. 
„Sieh nur, sieh —I” hauchte sie. Auch Renös 
Augen hingen an der Tischplatte. War das Stück 
Kuchen nicht schon kleiner geworden? Ein Stück- 
chen bröckelte ab und fiel zu Boden. 

„Heute hat sie wenig Appetit”, kam die Stimme 
des Alten nebenan. Sein Umriß, im Halbdunkel 
des Zimmers nur schattenhaft sichtbar, verlor sich 
in der schwarzen Draperie an der Wand. 

Brigitte atmete heftig. „Fort“, flüsterte sie, „ich 
will fort! Schnell” 

Ren& legte Geld auf den Tisch, viel mehr, als 
die Zeche ausmachte. Sie erhoben sich schon, 
Brigitte an Ren&s Arm geklammert, „Wir müssen 
an dem Tisch vorbel...”, sagte Ren& tonlos. Des 
Mädchens „Ja“ klang wie die Stimme eines Kin- 
des im Schlaf. 

Sie hasteten vorwärts, der Tür*zu. Ihre Blicke 
aber konnten nicht los von dem Tisch, an dem 
Unfaßbares vorging. Noch drei, vier Schritte, In- 
des Renö schon die Tür aufstieß, sahen sie, wie 
der Kuchen auf dem Teller sich spaltete... Aus 
der Tasse verschwand der Rest Kaffee mit leisem 
Schlapfen. 

Vorbei. Den Vorraum durchmaßen sie laufend. 
Draußen. Die schwere Tür fiel hinter ihnen ins 
Schloß mit bösem, schnappendem Laut, wie hinter 
entgangener Beute. „Um Gottes willen nicht um- 
sehen!” keuchte Brigitte heiser. Sie eilten, Arm 
in Arm. Sterne glänzten. Links lag fahl und un- 
absehbar der See. 

„Wohin? fragte Renös ratlose Stimme. 

„Ich weiß nicht...”, entgegnete das Mädchen. 
„Kommst du zu mir?‘ fragte er und wußte nicht, 
woher ihm die Kühnheit kam. 

„Ja“, sagte Brigitte und drückte sich eng an Ihn. 
Da war mit einemmal das Dunkel verändert, 
freundlich. Eine gewaltige Freude überrauschte 
das grausige Abenteuer und spülte es fort ins 
Vergessen. 





MEIN FREUND JOHANNES 


Johannes wollte verreisen. Ich brachte ihn an die 
Bahn. Als wir zum Schalter kamen, seine Fahrkarte 
zu lösen, fanden wir dort eine endlose Schlange 
vor. 
„Zu unvernünftig sind die Leute doch!" grollte 
Johannes. „Daß sie immer alle erst im letzien 
Moment kommen müssen!” 
„Darüber solltest du ja eigentlich wohl nicht 
schimpfen, Johannes. Schließlich hast du es ja 
auch nicht besser gemacht”, wies ich ihn zurecht. 
„Ich bin ja auch nur eine Person, Das macht Ja 
nichts aus”, sagte Johannes. „Aber die vielen!" 
J. Bieger 


Mars und Mord 


(Erich Schliling) 





Mars: „‚Pfui Teufel! Immer wieder diese Luftangriffe auf Frauen und Kinder, damit will ich nichts zu tun haben!" 


Marte e |’ Assassinio: Marie: "Maledizione! Sempre nuovi attacchl contro donne e fanciulli! Io non voglio plü averne a che farel,, 


Graf Bobbys große Stunde 


Grat Bobby las die Geschichte von der seligen 
Königin Viktoria, die elnes Tages ihre Seekadet- 
ten besichtigte 

Gerade als sie die-Front abschritt, passierte ihr 
etwas Menschliches. Da abeı Königinnen, beson- 
ders wenn sie elne Parade abnehmen, gemeinhin 
sich für höhere Wesen halten, so war ihr die un- 
freiwillige Äußerung ihres Inneren Zustandes 
sichtlich peinlich. 

Ein Seekadett, der als zukünftiger Offizier sich 


jederzeit für seine Landesfürstin zu opfern hat, 
trat daher einen Schrit vor die Front und sagte: 
„Verzeihung, Majestät, das wa: Ich.“ 

„Das macht nichts, Herr Leutnant‘, sagte geistes- 
gegenwärtig die Queen. 

„Verzeihung, Majestät, ich bin nur Fähnrich”, stot- 
tere der Seekadelt. 

„Nein“, sah ihn die Königin voll Gefallen an, „Sie 
sind Leutnant. Denn wer sich bei einem kleinen 
Wind schon so gelstesgegenwärtig benimmt, der 
wird auch ein Scnifl Im Sturm führen können." 
Diese kleine Anekdote las also Graf Bobby, las 


261 


sie noch einmal und dann sprach er bei sich 
„Aha, das muß ich mir merken.” 

Als er dann nach Wien zu einer Waffenübung ein 
gerückt war, wurde sein Regiment von dem alten 
Erzherzog Leopold inspiziert. Wie nun Seine Kal- 
serliche Hoheit die Front abschrltt, war die große 
Stunde für den Grafen gekommen. Nun, Sie wer- 
den schon erraten, was dem alten Herrn In die- 
sem Moment passierte 

Aufgeregi trat Bobby einen Schritt vor die Front, 
salutierte und rlef: „Verzelhung, Kalserliche Hohelt, 
das warn Siel” H. Sch 


AUF DEN HUND GEKOMMEN 


Ach, was Ist das Leben lächerlich einfach, wenn 
die Sonne scheint, die Vögel toll tun und einem 
die Halme in den Mund wachsen! Herrgott, diese 
Sommerzeit mit ihrer Lustigkeit und Füllel Du 
legst dich In’die hohen Ähren und gähnst und 
schläfst, und abends melkst du anderer Leute 
Kühe, und die Mägde lassen sich in die Schenkel 
kneifen, und du bist immer satt und hast nichts 
als dumme Gedanken. Du ziehst die Fische aus 
fremden Teichen, und wenn du brav tun und ein 
neues Leben beginnen willst, pflückst du dir wilde 
Beeren und stiehlst des Nachts nicht bei einem 
viel, sondern bei jedem eine Kleinigkeit, 

Nicola lebt mitten In so einem Sommer; ein 
königlicher Bettler. Und Nicola ist nicht Immer 
nur satt oder sinnlich; er denkt nach über die 
Dinge, Er denkt daran, daß er nicht gern Millionär 
in einem Sommer sein möchte; ein Millionär kann 
nicht tun und lassen was er will und muß wohl 
den ganzen Tag Kopfschmerzen über die Grübe- 
lel haben, wie es um seine Millionen steht; so 
ein armer Hund. Ein Millionär kann nicht einmal 
fremde Kühe auf den Weiden melken, erstens ver- 
steht er es nicht, und zweitens kann er es nicht 
tiskieren, deswegen ein paar Tage eingesperrt 
zu werden. Wahrscheinlich muß dieser arme Hund 
von Millionär immer vor irgendjemand auf der 
Hut sein. Sicher, er kann sich viele Kokotten hal- 
ten. Aber solche Kokotten bringen ihm auf die 
Dauer nichts als Ärger, sie drohen mit Anzeigen, 
machen Szenen und wollen Pelzmäntel und Ringe 
geschenkt haben. Derlel denkt Nicola sich aus, 
und bei dem Denken kommen ihm Immer neue 
Einfälle, so noch der: Der Millionär sitzt mit seiner 
Oberkokotte in einem großen Automobil, und 
sie fahren durch die Sonnenblumenfelder und sind 
mächtiger als alle anderen Menschen zusammen; 
wenigstens glauben sie das, Da wird dem MII- 
lionär plötzlich so zu Mute, und er nimmt eine 
Hand vom Steuer und legt sie auf den Schenkel 
der Oberkokotte, und ein Auge spaziert der 
Hand nach, Somit hat er also schon seinen hal- 
ben Verstand verloren. Nun kommt eine Mücke 
angeschwlırt und fliegt dem Millionär direkt in 
das gesunde Auge; er nimmt auch die gesunde 
Hand vom Steuer — der Wagen überschlägt sich, 
die Oberkokotte und der Millionär brechen den 
Hals; aus, wle lustig! 

So freut sich Nicola, daß er kein Millionär und 
nur ein Bettler ist und Im Sommer lebt, ganz füı 
sich, ein Bettler und ein Denker 

Nicola ist aber doch nicht ganz allein, weil er 
auf seine Art mächtig Ist; unter den Blinden Ist 
der Einäugige König. Nachmittags setzt er sich 
auf eine Bank und blinzelt über die Felder und 
legt sich dann hin; er sonnt sich und läßt die 
Hand von der Bank herabhängen. Und dann 
kommt ein anderer Bettler, der schön vor ihm 
tut, Nicola spürt, halb schon im Schlaf, eine kalte 
Schnauze und einen warmen Atem an seiner 
Hand und brummt. vor sich hin „Weg, du alter 
Schnorrerl” Schließlich aber richtet er sich schimp- 


Die Nachtschwalbe 


DieNacht war hellund warm.dieSeelescimwang 
Im Lidıt, als wollte sie sich Sterne pflücken. 
Idı lauschte tief, da kam vom Sandsteinrücken 
Des Ziegenmelkers surrender Gesang. 


Ich stieg hinan. Da stand die munderliche 
Nadıtschwalbe vor mir auf am Heidehang 
Zuckenden Flügelschlags, Es mar, als stridıe 
Des Todes Vogel ab zum Seelenfang. 

Heinz Friedrich Kamecke 


VON KURT GROOS 


fend auf, nimmt ein Stück Brot oder einen alten 
Knochen aus der Tasche und spuckt große Bogen 
und macht gewaltige Worte zu dem hergelaufe- 
nen Hund, der selt Wochen schon um diese Zeit 
zu Ihm kommt und den er „Millionär getauft hat. 
So futtert Nicola den Gast durch aus purer Gut- 
mütigkeit, Wie gut so ein Sommer macht! 
Millionär und Nicola freunden sich immer mehr 
an, so mancherlei haben sie doch gemeinsam 
mag der eine auch ein Hund und der andere ein 
Denker seln. Auch an Millionär kann man jetzt 
sehen, was so ein lustiger Sommer auf sich hat. 
Als er im Vorfrühling zum erstenmal halbverhun- 
gert ankam, da standen ihm die Rippen aus dem 
struppigen Fell heraus, und die Rute hing traurig 
zu Boden. Nun aber haben Nicola und der Som- 
mer etwas aus diesem Schatten von Hund und 
seiner Rute gemacht. „Er Ist so felt geworden, 
daß er kaum noch laufen kann”, sagt Nicola zu 
dem Bettler, der gegen Ende des Sommers aus 
dem Norden zurückkommt, weil es dort schon 
mit den Frösten anfängt. „Ja, fett wie eine Made”, 
sagt der Bettler aus dem Norden. Dabei strel- 
chelt er den mageren Rücken des Hundes. 
Nicola freut sich, daß ein Dritter gekommen Ist, 
denn es beginnt auch hier schon kalt zu werden, 
und es friert sich leichter, wenn ein anderer mit- 
friert, Die Erntezelt ist Ja noch eine lustige Zelt, 
dann aber wird es bitter. Nicola und der Mann 
aus dem Norden, die den ganzen Sommer vor 
Rüben ausgespuckt haben, beginnen diese Frucht 
plötzlich zu loben, „Es geht nichts über Rüben”, 
sagt Nicola, „es ist eine gesunde Kur gegen das 
viele Fleisch vom Sommer; das Fleisch hat unsere 
Körper vergiftet.” 

Auch der Hund kommt täglich zu der Bank, Ihm 
scheint es noch am wohlsten zu gehen, obgleich 
er Immer magerer und struppiger wird. Er kaut 
an den Rüben herum und spuckt sie schließlich 
aus. „Ich habe Ihn überfüttert während des Som- 
mers”, prahlt Nicola 

Nun kommt die ganz bittere Zeit, Es friert, es 
schneit, es stürmt, und die freundlichen Men- 
schen sind ausgestorben. Nicola und der Bettler 
machen lange Märsche, um warm zu bleiben, sie 
schwärmen dabei von den Zeiten, als es noch 
Rüben im Überfluß gab. Nicola beginnt, den MIl- 
llonär zu beneiden, der in Wirklichkeit gar keinen 
Autounfall gehabt hat und jetzt mit seiner Kokotte 
auf Eisbärfellen vor einem riesigen Kamin sitzt 
und heißen Weln trinkt und dazu geröstete Brote 
mit. Schnepfendreck kaut. 

Eines Tages sind Nicola und sein Freund am Ende, 
obgleich sie schon oft so am Ende waren und 
Gott immer weitergeholfen hat; das hat er. Sie 
setzen sich auf die Bank, auf der sie Im lustigen 
Sommer und in der Rübenzeit Immer saßen, und 
der Mann aus dem Norden, der auch sehr klug 
und ein Denker ist, sagt, daß etwas geschehen 
müsse, damit sie nicht verhungern. „Du Schwätzer”, 
erbost sich Nicola, „mache Rüben aus Schnee, 
du kannst es ja wohll” „Laß mich nur nach- 
denken“, meint der Freund; er denkt nach. Plötz- 
lich hat er seinen großen Einfall, „Willst du Braten 
essen”, fragt er Nicola, „einen riesigen Braten?” 
Nicola beißt sich die Eiskrusten aus dem Bart, er 
ist wütend über diesen halbverhungerten Schwät- 
zer mit seinem Braten. 

Aber die Sache hat Ihre Richtigkeit, der Mann 
aus dem Norden ist ein geschliffener Kopf. 
„Nicola“, spricht er bedächtig, „Wohltun bringt 
Zinsen; auch du glaubst an einen Gott, der die 
Seinen nicht verläßt. Den ganzen lustigen Som- 
mer hindurch hast du Millionär gefüttert und ge- 
möstet, er sah schon gar nicht mehr wie ein 
richtiger Hund aus, alle hielten ihn für ein kleines 
Schwein. Millionär wird gleich kommen, er kommt 
ja Immer um diese Zelt. Wir werden wach seln 
und Ihn packen. in unseren Sack stecken und 
braten. Danach muß der Mächtige uns noch zu 


262 


einem Schnaps verhelfen, damtit das fette Essen 
bekommt.” 

Ach, auch im Winter ist das Leben lustig, wenn 
einem so die Braten auf vier Beinen zulaufen! 
„Breite den Sack schon aus”, ruft Nicola, „es lebe 
das liebe Närrchen, das jetzt hineinspringtl” 
Nun warten sie, und das Wasser fließt Ihnen Im 
Munde zusammen. Sie sind wohlgemut und speien 
in das Schneetreiben wie die Herren. Sie starren 
über die weiten frostigen, schneeverwehten und 
kahlen Felder auf den Waldrand hin, und sie 
tichten sich plötzlich auf, als ein schmales Etwas 
austritt, sichernd wie ein Wolf, scheu, mager. Dann 
sieht Millionär die Freunde auf der Bank, immer 
schneller kommt er, immer größer wird er, ein 
über den Schnee hinfliegender Mordsbraten. Nico- 
las Hände zittern, er legt den Sack auf die. Knie, 
er lockt und schnalzt mit der Zunge. 

In immer größeren Sätzen fegt der ausgehungerte 
Millionär heran, doch ein paar hundert Meter 
vor selnen Freunden verlangsamt er den Lauf, 
wittert unsicher, macht einen Halbkreis, bleibt 
scheu stehen — es sieht wahrhaftig aus, als ob 
er angestrengt überlege. 

Dann lockt Nicola wieder, lockt wie eine Nachti- 
gall, greift in die leere Tasche, und Millionär 
kommt einige schüchterne Schritte näher, immer 
ein paar Schritte näher. Aber er hat nachdenk- 
liche Falten über der Nase, er macht einen un- 
heimlichen Eindruck, Er sieht aus wie ein Ver- 
schwörer, der ein warnendes Telegramm bekom- 
men hat. Doch der Hunger scheint zu siegen, wie 
in den lustigen Sommern die Liebe slegt; alles 
kommt sich aus Hunger und Liebe näher. Ganz 
vorsichtig, ganz geduckt schleicht Millionär an 
seine beiden Freunde heran; jetzt, Jetzt berührt 
er fast Nicolas zerrissene Hose. Nicola läuft das 
Wasser im Munde zusammen, er lüftet den Sack 
mit der einen Hand und mit der anderen will er 
den Gefährten der lustigen Tage am zottigen 
Kragen packen und in den Sack stecken — eine 
Sekunde, nur eine kleine Sekunde zu frühl Mil- 
lionär springt zurück, duckt sich Im Sprung, win- 
selt weh auf, schlägt einen irren Kreis und rennt 
zurück, Immer wilder, immer unbeherrschter; klei- 
ner und kleiner wird er, und hinter den Feldern, 
ganz, ganz welt weg, verschluckt ihn der dunkle, 
dichte Wald. 

In Nicolas Augen stehen Tränen, seine Zunge 
wird trocken, die gleiche Zunge, die eben noch 
das Wasser Im Munde zusammenlaufen fühlte, 
„Diese widerliche Kanaillel” sagt der Mann aus 
dem Norden. Er ist wütend, hungrig und ent- 
täuscht. „Das hast du von deinen Wohltaten, du 
Narr, Jetzt läßt er uns Im Stich!" 

Nicola schimpft nicht. Er sitzt zusammengesunken 
und fröstelt und grübelt, Er Ist der bessere Den- 
ker, Er legt den Arm um den Freund. Auch in ihm 
sitzt der Ekel vor so viel Treulosigkeit von einem 
Hund, nur tiefer innen. „Wundere dich nicht”, sagt 
er endlich und seufzt tief, „ich kenne es schon 
lange; Undank ist der Welt Lohni” 


Kastanienallee, bevor es grünt 


Zaun vorn Himmel das schwarze Geäste, 
da stehst du einsam und ratlos davor, 
dahinter des Baumes stillfunkelnde Gäste, 
die Sterne. O falte die Hände, du Tor, 


und lob mir den Winter! Bald mwird es grünen, 
bald wiegen die Blüten im Winde sich scimer. 
dann summen im Baume die goldenen Bienen, — 
aber die Sterne, die hat er nicht mehr. 
Helmut Lenhardt 


Gruß in die Ferne 


IK. Helligenstaedt) 


= 


| 


„Ob es wohl gut klingt, wenn ich ihm schreibe: ‚Oh, daß doch meine Lippen hundertachtzig Kilometer lang wären I?“ 


Saluto lontano: “Che risuoni bene se gli scrivo: ‘Magari fossero le mie labbra lunghe centottanta chilometril,?,, 








Die Macht des Frühlings 











. Ein Nilpferd, weiblich und gesund, 
Voll friedlichem Gedankenschwund, 
Hält nichts vom Frühlingsüberschwang, 


Noch weniger vom Vogelsang. 


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N )l 
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ua 


Das Gähnen macht das Nilpferd faul 
Und müde macht es zu das Maul. 


Ob es den Vogel wohl verdaut, 


Wenn es ihn nicht einmal zerkaut? 


MEIN FREUND JOHANNES 


Wir gaben uns wirklich viel Mühe Aber ganz 
ohne Lärm kann man nun einmal eine schwere 
Kiste die Treppe nicht hinunterbekommen. Vor- 
sichtig Ileßen wir sie von Stufe zu Stufe hinab- 
glelten. Natürlich gab es jedesmal einen dump- 
fen Bums. Aber Ist das nun wirklich so schlimm? 
Der Herr vom Eidgeschoß fand es schlimm. Er 
kam Ins Treppenhaus und fragte: „Geht es nicht 
vielleicht doch noch etwas lauter?” 





(Ft Sllok) 





Die Langeweile quillt empor, 
Es reißt das Maul auf wie ein Tor. 
Der Vogel, frech und ungeniert, 


Ist ahnungslos hineinspaziert. 


h 
I] 





Da singt er aus dem Nasenloch, 
Voll Staunen sieht’s das Nilpferd noch, 


Denn selbst im engen Nasenschacht 


„Nicht nur etwas’, sagte Johannes, „viell” Und 
er ließ die Kiste los, so daß sie mit einem wahren 
Donnergepolter die Treppe hinabrutschte, gerade 
auf den Herrn vom Erdgeschoß zu. 
Der griff sich an den Kopf, lachte hysterisch auf 
und floh in seine Wohnung. 
„Sonderbar“, sagte Johannes nachdenklich. „Ich 
hätte weiten mögen, er hätte es ironisch gemeint 
Aber es hat Ihm anscheinend wirklich Spaß ge- 
macht.” Ö 

* 


264 


Zeigt sich des Frühlings grode Macht: 


% 


Johannes hatte eine Sekretärin. 

Oft kam es vor, daß er gewisse Dinge hand 
schriftlich zu Papier brachte, die sie dann ab 
tippen mußte. 

Johannes hatte eine furchtbare Schrift. Aber die 
Sekretärin entzifferte doch alles, was ar Ihr gab. 
Sie war ein Genie, in dieser Bezienung. 

Einmal aber ging es doch schiet. Da las und 
schrieb sie ein Wort falsch. Johannes merkte es 
„Na, da hab ich Sie also doch endlich mal rein- 
gelegtl” sagte er, offenbar sehr befrladigt, 


9. Bloger 


BESUCH IM SCHLOSS 


„Ich gebe ja zu, daß es fürchterlich ist”, sagte 
Herr von Maly zu seiner Frau, „aber es nützt 
nichts, wir müssen ihn einladen. Denn wenn er 
will, kann er uns enteignen und die Bahn gerade 
mitten durch unser Schloß führen.” 

„Seit zehn Jahren war kein hoher Besuch bei 
uns. Es war so schön ruhig. Aber erinnere dich 
nur, was damals bei dem Domherrn alles passiert 
Ist“, seufzte Frau von Maly. 

„Es wird nicht so schlimm werden. Der Mini- 
sterialrat kommt nach dem Essen und fährt noch 
vor dem Nachtmahl weg. Da haben wir keine 
große Schererei und es kann nicht viel passieren. 
Wir werden uns heute noch bei Martinek er- 
kundigen, wie der Ministerialrat ist und wie man 
alles am besten macht. Du wirst sehen, es wird 
ganz gut gehen.” 

So tröstete Herr von Maly seine bestürzte Frau. 
Dann spannte der Kutscher Hajek ein und sie 
fuhren zu dem Gutsnachbarn Martinek. Die Sor- 
gen, die sich Frau Adele machte, waren nicht 
ganz unbegründet. Es lag eine merkwürdige Luft 
über dem kleinen Gutsbesitz des Herrn von Maly 
und seiner Nachbarn, Weitab von der Bahn, mit 
schönen Wäldern und ausgedehnten Kartoffel- 
feldern gesegnet, lag das nahrhafte Land, ab- 
geschlossen von der hastigen Welt der Maschinen 
und Motoren, wie ein milder Käse unter einer 
riesigen Glasglocke, Das Leben ging hier seinen 
älthergebrachten Gang. Die slowakischen Bauern 
waren arm und spannten Ihre mageren Kühe vor 
ihre Pflüge und Wagen. Aber auch die Guts- 
besitzer waren nicht reich, Die eigentümliche 
Trägheit, die wie ein Fluidum aus der dunklen 
Ackererde und dem weichen moosigen Wald- 
boden zu strömen schien, hüllte alle diese Guts- 
höfe und winzigen Schlößchen in einen Dorm- 
röschenschlaf. Die Herren nahmen, was die gütige 
Erde gab, nach Abzug der zwei Drittel, welche 
das Personal und die Bevölkerung seit urdenk- 
lichen Zeiten gewohnheltsmäßig stahl. So lebten 
sie anspruchslos und behaglich durch den Wech- 
sel der Jahreszeiten. 

Es fehlte natürlich an allen Ecken und Enden. Im 
Haushalt des Herm von Maly hatten durchaus 
nicht alle Stühle ihre vier Beine und es gab viel- 
leicht kein einziges Stück Geschirr, an dem nicht 
etwas abgeschlagen war. Die wenigen Gäste, die 
hie und da kamen, waren schon damit vertraut 
und’hatten es wohl daheim ebenso. Aber freilich, 
für einen Ministerialrat war Herrm von Malys 
Schloß durchaus nicht eingerichtet, 

Bei Martineks war der Ministerialrat vor einigen 
Tagen gewesen. Er war ein sehr umgänglicher 
Mensch, gar nicht herrisch, sondern eher sanft 
und still, Zur Jause hatte er Kaffee mit Gugelhupf 
verzehrt, den er auch bei Werners und Filipeks 
bekommen hatte, Martinek hatte sich erkundigt. 
Der Ministerialrat war ein Musik- und Naturfreund. 
Hingegen schien er eine leise Abneigung gegen 
alte Weiber zu haben. Mit dem Magen war er 
offenbar nicht ganz in Ordnung. Nicht daß er 
etwa gerülpst hätte, Goit bewahre, aber er hatte 
sehr höflich um Speisesoda gebeten, 

Das Ehepaar Maly nahm diese wertvollen Aus- 
künfte mit Befriedigung entgegen und fuhr nach 
dem Kaffee gleich ab. 

„Wir fahren noch über Kralowetz und nehmen 
gleich ein Kilo Speisesoda mit”, meinte Herr 


von Maly. 
Seine Gattin seufzte: „Stanislaus, glaubst du 
nicht, daß dem Ministerlalrat schon schlecht 


sein muß von dem vielen Kaffee mit Gugelhupf? 
Mit Germ ist das ein schweres Essen. Wäre es 


VON BRUNO WOLFGANG 


nicht besser, ihm Tee mit Sandwiches zu geben? 
Das ist auch feiner.” 

„Du hast recht. Wir kaufen in Kralowetz noch 
Tee, Rum, Sardinen, Rollmöpse...”“ 

„Ja, und endlich können wir die Lachskonserve 
verwenden, die uns Paul mitgebracht hat.” 
„Ausgezeichnet. Etwas Wurst, kleine Gurken und 
das kalte Schweinerne von gestern. Der Mini- 
sterialrat wird Augen machen! Adele, jetzt kön- 
nen wir ganz beruhigt sein.” 

Mit Päckchen reich beladen fuhren sie in der 
Dämmerung von Kralowetz ab und schliefen im 
schwankenden Wagen alsbald ein. Daheim frag- 
ten sie noch die alte Mathilde, ob das fünf- 
jährige Töchterchen Ada schon schlafe und nichts 
Besonderes angestellt habe, dann versanken sie 
in den mit guten mährischen Gänsefedern ge- 
stopften Betten und bald schlummerte das ganze 
Schloß dem großen Tage entgegen. Im Stall 
schnauften die Kühe und ein Käuzchen schrie 
melancholisch in den Zweigen der alten Linden. 
Am nächsten Vormittäge gab es viel zu tun. Zu- 
nächst mußte das Problem der Tante Sophie ge- 
löst werden. Bei der bekannten Einstellung des 
Gastes älteren Damen gegenüber war es wohl 
besser, die Tante nicht zu zeigen. Sie war sehr 
alt, aber immer noch sehr lebhaft, überaus ge- 


(Hanna Nagel) 





„Diese verdammten Gummisohlen! Jetzt 
hat er nicht mal gehört, daß ich wütend 
mit dem Fuß gestampft habe!" 


""Maledette queste suole di gomma! Adesso egli non ha 
nemmen sentito con che rabbia io ho pestato I piedi!,, 


265 


sprächig und ungemein eitel. Zufällig hatte sie 
auch gerade an diesem Tage ihren Geburtstag, 
der stets mit einiger Feierlichkeit begangen 
wurde. Denn sie hatte irgendwelche verbrieften 
Rechte und lastete gewissermaßen wie eine Hypo- 
!hek auf dem Gut. Der übliche Gugelhupf war 
bereits gebacken. Es handelte sich nur darum, 
die eigentliche Geburtstagsfeier auf das Mittag- 
essen vorzuverlegen und durch ein Schnäpschen, 
das Tante Sophie gern zu sich nahm, Ihr Mittags- 
schläfchen um ein paar Stunden zu verlängern. 
Dann war alles in Ordnung. 

Der Vormittag war mit der Mobilisierung des 
Tafelgeschirs und der Sandwichesfabrikation 
voll ausgenützt, In entlegenen Zimmern und Rum- 
pelkammern fanden sich allerlei Schüsseln, die 
noch zum Dienst einberufen werden konnten. Was 
an vierbeinigen Sesseln vorhanden war, wurde 
in das Speisezimmer geschafft. Die beiden wack- 
ligen Stühle, die nur links belastet werden durf- 
ten, wurden In irgend einer Kammer aufgehoben. 
Die gute alte Mathilde, Köchin, Stubenmädchen 
und Kinderfrau in einer Person, die einzige, die 
bei dem täglichen stundenlangen Suchen ver- 
kramter Gebrauchsgegenstände schließlich doch 
alles fand, wurde wegen ihres Alters für diesen 
Nachmittag, zu ihren Verwandten nach Kameny 
geschickt. Ein wenig gekränkt machte sie sich 
auf den Weg. An ihrer Statt wurde die hübsche 
Junge Maruschka vom Gemüsegarten einberufen. 
Sie war frisch und knusprig wie das Gemüse, 
das ihr Vater baute, schön und bunt wie ein 
Blumenbeet, auf dem das Auge, auch eines Mini- 
sterialrates, wohlgefällig ruhen konnte. Die kleine 
Ada war ein wenig ungehalten, weil ihr der Hals 
gründlicher als sonst gewaschen wurde und weil 
sie ein weißes Kleidchen anziehen mußte, das 
besondere Achtsamkeit verlangte. Auch Tante 
Sophle war beleidigt, weil die altgewohnte Ein- 
teilung geändert worden war. Sie blieb schmol- 
lend auch zu Mittag in ihrem Zimmer. 

Frau von Maly erzeugte die Sandwiches eigen- 
händig, wobei ihr Gemahl sie mit Rat und Tat 
unterstützte, Er war selbst ein großer Freund be- 
legter Brötchen und konnte sich nicht enthalten, 
immer wieder zu kosten. Frau Maly mußte dann 
das Fehlende ersetzen, bis sie ihn endlich ärger- 
lich ersuchte, die Küche zu verlassen. Es gab ja 
auch für ihn noch genug zu tun. Er mußte sich 
rasieren und die feinen Stiefel anziehen. Bald 
hörte man ihn rufen: „Verdammt, ich krieg die 
Ludern nicht an! Maruschka, das Federweißl” 
Maruschka patschte über die Stiege hinauf und 
hatte überhaupt alle Hände voll zu tun, Be- 
sonders in der Küche. 

Es war schon fast vier Uhr, als der Ministerialrat 
mit seinem Sekretär ziemlich gerädert ankam. 
Zunächst zog er sich mit Herrn von Maly ins 
Schreibzimmer zurück und ließ sich an der Hand 
von Karten und Dokumenten über die Boden- und 
Besitzverhältnisse informieren. Dann machten die 
Herren einen kleinen Rundgang durch das Gut 
und kehrten nach getaner Arbeit in das Schloß 
zurück. Frau von Maly lud sie zu einer Tasse Tee 
ein und sie nahmen im Speisezimmer Platz. Herr” 
von Maly bemerkte sofort, daß seine Frau ge- 
rötete Augen hatte. Sie zog ihn rasch beiseite 
und flüsterte ihm mit bebender Stimme zu: „Wir 
haben fast gar keine Sandwiches mehr, Ich glaube, 
das ganze Dorf ist zusammengelaufen, um in der 
Küche zu stehlen.“ 

In der Tat, die Sandwichesplatten sahen aus wie 
ein Schlachtfeld. Allen war es unmöglich ge- 
wesen, von diesen nie gesehenen Kostbarkeiten 


In der Mittagspause (R. Kılsch) 











„Schön, daß es den Frühling noch in dieser Qualität gibt!“ 
„Na ja, das werden halt noch Restbestände sein!" 


Nella pausa meridiana: ‘Che bellezza che ci sia ancora della prImavera di tal genere!,, — “Eh giä.. saranno ancora avanzi di riserval,, 


266 


nicht gefesselt zu sein. Und alle hatten sich be- 
dient; Maruschka, der Gärtner, der Kutscher 
Hajek, der Heger und seine Lebensgefährtin, die 
kleine Ada und sogar der Hund Tasso. Mit größ- 
ter Mühe wurde noch eine Platte zusammen- 
gestellt. Maruschka trug sie mit unendlicher Vor- 
sicht die Treppe hinauf. Aber der Geist des Un- 
heils war nun einmal Im Schwunge. Maruschka, 
die nur an den höchsten Feiertagen Schuhe zu 
tragen gewöhnt war, glitt aus, ließ die Platte 
fallen und rollte mit ihren kräftigen Hüften durch 
die Überlebenden Sandwiches, die nun an ihrem 
faltigen Rock hafteten wie ein Schuppenpanzer. 
Die Hühner kamen eilig herbeigerannt und pick- 
ten die Reste auf. Maruschka heulte und mußte 
ebenso wie die Sandwiches außer Dienst gestellt 
werden. Herr von Maly trieb mit bebender Stimme 
den Kutscher Hajek an, einzuspannen, die alte 
Mathilde zu suchen und sofort herbeizuschaffen. 
Es war aufregend wie der Film „Bring sie lebend 
heim!” Im Spelsezimmer hatte Frau von Maly bereits 
den Tee eingeschenkt. Beilmersten Schluck verzogen 
die Gäste fürchterlich das Gesicht. Frau von Maly 
stand beinahe das Herz still, als sie kostete, Der 
Tee war bitter wie Galle. Der Unglückskaufmann 
In Kralowetz hatte ihr Tausendguldenkraut-Tee 
gegeben. Das war auch mit tausend Entschuldi- 
gungen nicht gut zu machen. Der Ministerialrat 
lächelte zwar höflich. Aber in seinem Innern war 
gewiß ein bitterer Geschmack zurückgeblieben. 
Es blieb nichts übrig, als eiligst einen Kaffee zu 
kochen und Tante Sophie um Ihren Gugelhupf zu 
bitten. Das war peinlich und die spitzen Worte 
der beleidigten Tante stächen bis ins Herz. 
Endlich konnte serviert werden. Mathilde war 
eingetroffen und brachte den Kaffee mit dem 
Gugelhupf. „Sie ist schon vierzig Jahre im Hause”, 
bemerkte Herr von Maly entschuldigend. In die- 
sem Augenblicke öffnete sich die Tür und herein 
rauschte eine Gestalt, die so aussah, als wäre 
sie schon vierhundert Jahre im Hause. Es war 
Tante Sophie, die durchaus nicht einsah, warum 
Ihr Licht unter den Scheffel gestellt werden 
sollte, da sie doch seinerzeit In Ihrem Salon 
Minister und Abgeordnete dutzendweise emp- 
fangen hatte. Sie war durch die beiden Schnäps- 
chen, die ihr Herr von Maly eingegeben hatte, 
höchst aufgeräumt, hatte fingerdick Rot auf- 
gelegt und stürzte sich auf den Ministerlalrat 
wie eine Spinne, die schon jahrelang keine 
Brummfliege gehabt hat. 

Drunten fuhr ein Wagen vor. Es war der etwas 
entferntere Gutsbesitzer Rochus Starck, der sich 
ein wenig zu früh erkundigen kam, wie der Mini- 
sterlalrat sel und womit man ihn am besten be- 
wirte, Er hatte seine Frau und seine Schwägerin 
mitgebracht. Alle drei zählten zusammen zwel- 
hundert Jahre, waren aber noch überaus rüstig. 
Auf Besuch war nicht gerechnet. Maruschka, die 
sich wieder erholt hatte, schleppte hastig Stühle 
herbel. Doch kaum hatten sich die Gäste nieder- 


gesetzt, gab es einen furchtbaren Krach. Das 
Ehepaar Starck sank rücklings zu Boden und die 
zuckenden Beine hoben das Tischtuch auf, so daß 
Kaffee, Kannen, Tassen und Gläser durcheinander 
kollerten. Die kleine Ada schrie vor Lachen und 
klatschte in die Hände, Herr Starck und seine 
Gattin hatten im Eifer des Gesprächs die Stühle 
rechis anstatt links belastet und waren umgekippt. 
Glücklicherweise war nichts geschehen, Herr und 
Frau Maly standen starr vor Schreck, Der Mini- 
sterialrat sagte verbindlich lächelnd: „Ich glaube, 
die Tafel ist im wahrsten Sinne des Wortes auf- 
gehoben.” 

Man ging nun ins Nebenzimmer, um zu rauchen 
und zu musizieren. Verzweifelt drehte Herr von 
Maly an dem Knopf des Radioapparates, der 
sonst den Lieblingszeitvertrelb der kleinen Ada 
bildete, aber es kam immer nur eine Art Ma- 
schinengewehrfeuer heraus. Es wäre Ja auch ein 
Wunder gewesen, wenn das Radio hier wirklich 
funktioniert hätte. 

Der Ministerialrat erklärte nun, daß es Zeit sel 
aufzubrechen, Zuvor bat er noch um ein wenig 
Speisesoda. Dafür war Herr von Maly gerüstet 
und konnte den höchsten Ansprüchen genügen. 
Auf seinen Wink enteilte Maruschka und zog 
gleich hinter der Tür die Schuhe aus, um schnel- 
ler vorwärts zu kommen. Aber der Geist des 
Unheils gönnte Herm von Maly auch diesen 
Triumph nicht. Der Ministerialrat begann fürchter- 
lich zu pusten und zu schlucken. Man hatte ihm 
statt Soda Federweiß gereicht. 

Der Wagen fuhr vor. Der Ministerialrat stieg ein. 
Der Sekretär erschien aber nicht. Plötzlich hörte 
man irgendwo im ersten Stockwerk klopfen und 
Hallo rufen. Maruschka kam hastig gelaufen und 
flüsterte Herrn von Maly etwas ins Ohr. Dieser 
stürzte sofort zu der kleinen Ada hin, die ver- 
gnügt kicherte. Sie hatte den Her in einem 
kleinen unentbehrlichen Kämmerchen eingesperit 
und den Schlüssel Tasso ans Halsband gebunden. 
Es dauerte eine Welle, bis der Hund gefangen 
und der Sekretär befreit war. Dann schwankte 
der Wagen endlich aus dem Hof. 

„Du wirst sehn, er wird nun die Bahn absichtlich 
mitten durch unser Gut führen“, klagte Frau Maly. 
Aber sie hatte Unrecht. Während draußen auf der 
Landstraße der Kutscher Hajek das linke Hinter- 
rad, das sich losgelöst hatte, wieder befestigte, 
sagte der Ministerialrat zu seinem Sekretär: 
„Durch diese Gegend wird die Bahn nicht ge- 
führt, das steht fest, Sonst haben wir täglich 
ein Eisenbahnunglück. Das einzige, worauf man 
sich hier verlassen kann, Ist, daß man Kaffee 
mit Gugelhupf bekommt. Nie wieder rühre ich 
einen an.” . 
Ein Wagen überholte die Kutsche des Ministerial- 
rates, Er hörte nicht, wie Herr Rochus Starck zu 
seiner Frau sprach: „Und übermorgen, wenn er 
zu uns kommt, machst du Kaffee mit Gugelhupf. 
Das hat er gern.” 





Das abenteuerliche Huhn 
Von Peter Scher 


Ein Huhn verfäumte feine Pflicht 

und legte feine Eier nicht 

dorthin, wo man wohl münfchen kann, 
vielmehr bracht’ eo le nebenan. 


Der Nachbar, prall von Biederfinn, 
trug fie fogleich zur Nachbarin 

und bat noch obendrein, dem Huhn 
nichts Ehrenrühriges anzutun. 


Da Iprach das Huhn: Wie it der Mann 
doch gar lo ehrbar, feht Ihn an; 

nun leg ich, weil es mir fo paßt, 

dort, 00, wer will, den Schat erfaßt. 





ag und Druck: Knoı 


Verantwortl. Schriftleitr: Walter Foltzick, Müncher 
Anstalten entgegen — Bezugspreise 






— Der Simpilcissimus erschi 
Einzelnummer %0 Pf.; Abonnement Iı 1. 1.20. in 
Nachdruck verboten — Posischockkonto München 5920 


Ganz ungeniert am Straßenrand 
eröffnete es einen »Stand«, 

als ob gerade Jahrmarkt fel, 
und fchon kam ein Soldat vorbei. 


Der bückte fich und fchien vergnüst, 
als würd’ ihm Gutes zugefügt, 
dann blickt’ er ie ein Heiliger, 
doch ging er etivas eiliger. 


Das Huhn tat künftig, wie es follt', 
es hatt’ nur eben mal gewollt, 

daß ein Erlebnis fo wie dies 

ihm feelifch feine Freiheit ließ, 








ıngte Einsondui 
Erfüllungsort 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückei) 


Fa) 


5 





Johannes nahm sich ein Paar Strümpfe aus dem 
Schrank. Seufzend hielt er sie zum Licht. 

„O Kitiyl © Kitiyl" 

„Wo fehlt es, Johannes?” 

„Kannst du mir raten, durch welches der vier 
Löcher ich hineinschlupfen muß?” IHR. 
* 

Und dies geschah in einem hochvornehmen Wein- 
restaurant, Die dezente Musik spielte Lehär. Der 
Kellner servierte den hinteren Teil eines Wild- 
schweines. Der Gast deutete auf die Platte: 

„Was ist das, Ober?" 
Der Kellner, verträumt, bei der Melodie: 

„Das schönste Stück von der ‚lustigen Witwe‘, 
mein Herri" 2. HR. 
* 

Im Burgtheater gab man die Braut von Messina. 

Der Herr aus Oschatz schüttelte den Kopf, 

„Jetzt kommt das Stück hier erst heraus?", brummte 
er. „Das hat man In Leipzig schon vor zwei Jahren 
gegeben!” I.H.R. 


Ursache und Wirkung 


In Dänemark „werden die privaten Banken ohne 
vorherige Anmeldung stichprobenmäßig von Staats 
wegen kontrolliert. So ein staatlicher Revisor kam 
im letzten Sommer in ein Landstädtchen in Jütland 
von rund 2000 Einwohnern zur Kontrolle einer dor- 
tigen Genossenschaftsbank, deren Kundenkreis 
ausschließlich aus den Landwirten des Agrar- 
Hinterlandes bestand. Das Städichen schlief sei- 
nen Mittagsschlaf in der sengenden Augusthitze, 
während es im Banklokal schön kühl und — wie 
der gestrenge Beamte mit Stirnrunzeln feststellte, 
völlig menschenleer war. 

Der Revisor wartele geduldig vor der Schranke 
für Publikumabfertigung, aber als zehn Minuten 
vergangen wären, ohne daß jemand kam, ging er 
hinter die Barriere, setzte sich an den Tisch des 
Kasslerers, prüfte den Kassenbestand und die Ge- 
schäftsbücher, ohne daß ihn eine Seele bei seiner 
Arbeit störte. Als er mit der Buchprüfung fertig 
war, ging er in das anstoßende Büro des Direk- 
tors, und hier fand er die Erklärung für den Dorm- 
röschen-Schlaf der Bank: durch ein Schalterfenster 
konnte er In ein Hinterzimmer sehen, wo der 
Direktor, der Kassierer und die zwei Angestellten 
der Bank in ein offenbar mächtig spannendes 
Bridge vertieft waren. 

Das war dem Revisor nun doch zu bunt, und er 
gedachte, den Herren eine drastische Lehre zu 
erteilen. Er ging an den offenstehenden Geld- 
schrank und setzte durch einen Handgriff die 
Alarmvorrichtung in Betrieb, deren Lärm einen 
Toten wecken konnte. Dann versteckte er sich 
hinter einer Gardine, um die weltere Entwicklung 
abzuwarten. 

Zunächst geschah gar nichts, die vier Herren 
spielten ungestört weiter. Aber nach wenigen 
Minuten öffnete sich die Tür und schlürfende 
Schritte näherten sich dem Versteck des Revisors, 
Vorsichtig steckte er den Kopf heraus und sah — 
den Kellner des benachbarten Gasthauses, vor- 
sichtig ein Tablett mit vier Glas schäumenden 
Bieres balancierend, offenbar laut Vereinbarung 
die Wirkung der Inbetriebsetzung der Alarmvor- 








. richtung... 


Müns 
Buchhandlungen, 
ın nur zurückgesändt, 









ichäfte und Pos 


g 
ir wenn Porto beilieg! 





ıgon wi 
München, 


Kronos und der Mord von Katyn 


(Wilhelm Schulz) 





„So oft wie in letzter Zeit hat sich meine Feder noch nie gesträubt!"‘ 


Kronos e la carneficina di Katyn: "Mai la mia penna s'& tanto arricciata come negli ultimi tempil,, 


268 


30 Pfennig 


München, 12. Mai 1943 
48. Jahrgang / Nummer 19 


SimPLIcissimuSs 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT. MÜNCHEN 


(Wilhelm Schulz) 


Almosen für Australien 


ng 


| 
F 


„Es bleiben alle Fenster zu, wenn betteln kommt das Känguruhl* 


Elemosine per I’ Australia: ‘Le finestre ognun bada di serrare, quando Il canguro viene a mendicarel,, 





Seelenwanderung - Metempsicosi 


0. Haganbarih) 





„Die Eingeborenen glauben, die Menschenseele fahre in ein Schwein!" 


„So — 50 — umgekehrt habe Ich es mir schon manchmal gedacht!" 


"Gl" indigeni &redono che |" anima dell’ uomo passi In un porcol,, — "Ah, cos?! ... lo invece talvolta pensavo che avvenisse Il contrarlo!,, 


DIE BEIDEN PRINZEN 


VON HEINZ SCHARPF 


Es war einmal ein alter König, der nahm eine 
Junge Frau. 

Alte Könige nehmen gern junge Prinzessinnen zur 
Frau, dafür schenken alte Prinzessinnen wieder 
lieber jungen Landessöhnen ihre Gunst, 

Seine Majestät sahen, ohne daß man sich einer 
Majestätsbeleidigung schuldig gemacht hätte, aus 
wie ein geknickter Nußknacker. Eine sehenswerte 
Kartoffelnase stand ihm leuchtend im Gesicht, das 
auch ansonsten durch nichts verschönt wurde, Zu 
viel zu kurzen Beinen trug er viel zu lange Zieh- 
harmonikahosen und wenn er lachte, meckerte er 
wie ein alter Ziegenbock. Das Volk nannte ihn 
nur den guten König Meckerbart, denn es liebte 
ihn, weil es unter seiner Herrschaft ebenfalls nach 
Herzenslust meckern durfte. 

Die Staatsgeschäfte führte sein treuer Seneschall, 
der nach dem Motto: „Leben und leben lassen!” 
in erster Linie selbst nicht schlecht lebte. Seine 
Familienangehörigen hatte er alle in hohen Staats- 
stellen untergebracht, sein Sohn war Kommandant 
der Palastwache. 

Als die junge Prinzessin ins Schloß einzog, wurde 
sie von allen Seiten lebhaft bedauert, denn sie 
war anzusehen wie ein Junger Maientag, an dem 
die amtliche Wetterprognose schlechtes Wetter 
prophezeit hatte, so schön. Auch dem Komman- 
danten der königlichen Leibwache samt seiner 
Mannschaft tat sie herzlich leid, 

An der Schwelle des Schlosses erwarteten sie 
nach altem Brauch die Wunschfeen. Die böse Fee 


Pfullinde trat vor und verwünschte ihren Eingang 
mit den Worten; „Nicht einen Erben sollst du 
dem Lande schenken.” Drauf lächelte sie hämisch 
und verschwand, nicht gerade einen himmlischen 
Duft zurücklassend. 

Das kränkte die gute Fee Karamella, die eben- 
falls zu Ehren der Prinzessin erschienen war. Da 


IM VORORTZUG 


Vielhundertmal durchfuhr ich Diele Strecher 
ich kenne jeden Baum und jede Hecke. 

Und doch ift fie mir immer wieder neu. 
Wer Augen hat, weiß nichts vom Einerlet. 


Betreffs der meiften Menfchen in dem Wagen 
läßt fich, Gott Lob und Dank, das gleiche fagen. 
Ich fchau’ fie an, bald offen, bald verftecht, 
und habe ftets noch irgendwas entdeckt, 


mas neu und wert ift, daß man es bedenke. 
Nur manchmal fpinnt das Schichfal feine Ränke 
und fest mir Lebewefen vis-ä-vis, 

die NRörend find für meine Theorie, 


indem fie mir den ält’ften Senf erzählen 

und mich’ mit hochbetagten Witen quälen. 
«+. Was für das Auge gilt (confer zuvor!), 
gilt keineswegs zugleich auch für das Ohr. 


Ratatöchr 


270 


sie aber nach den bestehenden Feengesetzen 
den Wunsch Pfuilindens nicht zunichte machen 
konnte, wünschte sie der Prinzessin statt des 
einen mißgönntenErben einfach deren zwei. Drauf 
lächelte sie gütig und verschwand in einer Wolke 
von Patschull. 

Und richtig, noch war kein Jahr vergangen, er- 
dröhnten vom Schloß 202 Kanonenschüsse, die die 
Geburt von königlichen Zwillingen männlichen 
Geschlechts, zu sechs Pfund das Stück, anzeigten. 
Das Volk jubelte, der König meckerte, der Sene- 
schall rieb sich die Hände und die Hofschranzen 
kamen aus dem Erstaunen nicht heraus. 

Wieder erschienen die Wunschfeen, ungerufen 
wie immer, voran die böse Fee Pfullinde. Giftig 
sah sie nach dem König, der stolzgeschwellt mit 
leuchtender Kartoffelnase und in seinen Zieh- 
harmonikahosen nußknackerischer denn je dem 
freudigen Ereignis gegenüberstand. Sie überlegte 
nicht lange, sondern legte den beiden Knaben 
den hämischen Wunsch in die Wiege: „Ihr sollt 
ganz so werden wie euer Vaterl” Dabei sah das 
Biest feixend nach der guten Fee Karamella, als 
wollte sie sagen: „So, jetzt hast du den Salat!” 
Aber Karamella lächelte nur gütig und schloß sich 
ebenfalls dem Wunsch der bösen Fee an, worauf 
diese höchst erbost wieder entschwebte, dies- 
mal einen noch weniger palastfähigen Geruch zu- 
rücklassend. 

Und der Wunsch der Feen erfüllte sich. 

Die beiden Knaben wuchsen heran und sahen 
ganz ihrem Vater ähnlich. Sie waren gleich klug 
und schön und, wie die Palastdamen tuschelten, 
dem eingangs erwähnten Kommandanten der Pa- 
lastwache wie aus dem Gesicht geschnitten. 


John Bulls Rollenwechsel EN 


or Gvaonandsen $3 


INES 


IS 





DEI 




















„Wenn man bedenkt, daß ich vor dreieinhalb Jahren noch den Herrn spielte — und jetzt nur noch den Diener!'* 


Mutamento di parte di John Bull: “Se si pensa che tre anni e mezzo fa 
lo facevo la parte di padrone e adesso ... non facclo che quella di servitore!,, 


271 


DIEFRBEINNESSEEIFE 


Am 28. September erhielt Luka Frkovitsch fol- 
gende Aufforderung: 

„Sie werden ersucht, sich am soundsovielten um 
die und die Zeit in dem und dem Amtsgebäude, 
Zimmer Nummer soundso einzufinden. Falls Sie 
dieser Aufforderung nicht Folge leisten, werden 
Sie zwangsweise vorgeführt,” 

Der Mann las sich das durch und sagte zu seiner 
Frau: 

„Da, ich bin für Freitag vorgeladen.” 

„Warum? 

„Das steht nicht da." 

„Besser wäre es, du gehst gleich morgen hin, 
denn am Freitag hast du sowieso keine Zeit.” 
Und Luka machte sich am nächsten Morgen auf 
den Weg in das betreffende Amtsgebäude. Aber 
er kam zu früh. Die Parteien wurden erst ab 
zehn Uhr empfangen und jetzt war es kaum neun. 
Also spazierte er eine gute Stunde lang auf und 


Der morsche Baum - L’albero fradicio 


VON M. MATSCHKOVITSCH-KERN 


ab und ging dann um zehn Uhr wieder ins Amt. 
Der Beamte nahm die Aufforderung entgegen, 
holte das entsprechende Aktenstück hervor und 
war schon dabei, es aufzuschlagen, als er plötz- 
lich bemerkte, daß der Mann erst für Freitag be- 
ordert war. Er schaute Luka verdrießlich an und 
sagte vorwurfsvoll: 

„Ist heute Freitag? 
„Nein, Mittwoch!” 
„Was wollen Sie also? Können Sie nicht lesen? 
Da steht doch, daß Sie sich am Freitag melden 
sollen.” 

„Ja, aber ich habe am Freitag keine Zeit.” 

„Das tut mir sehr leid, aber was geht mich das 
an? Wenn man Sie hierher ruft, müssen Sie eben 
Zeit haben!” 

„Sagen Sie mir wenigstens, worum es sich han- 
delt.” 


Aber der Beamte wollte nicht: sollte der da nur 





(A. Paul Weber) 





272 


fühlen, daß er da nicht so irgendein Schreiber- 
ling war, sondern daß er eine Macht hatte. 
Als Luka am Freitag wiederkam, erklärte ihm der 
Beamte wichtig, daß er sein Gesuch vom 3. April 
zu wenig taxiert hätte, und daß er noch weitere 
Stempelmarken aufkleben müsse, 
‚Und das konnten Sie mir vorgestern nicht sagen?” 
meinte Luka vorwurfsvoll. 
„Oho, das soll wohl eine Kritik sein?” regte sich 
der Beamte auf. 
„Wenn auch nicht gerade eine Kritik, aber ich 
meine doch, daß Ihr Herren Beamten nicht dazu 
da seid, das Volk zu quälen, sondern um ihm zu 
helfen.” 
Entweder wirkten nun Lukas Worte so stark, aber 
vielleicht war auch das Lebenslicht des Beamten 
In diesem Augenblick abgebrannt, jedenfalls griff 
er sich plötzlich aufstöhnend an die Brust, sackte 
zusammen und fiel leblos zu Boden... und seine 
kleine Seele flog schnurstracks hinauf in den Him- 
mel vor das ewige Gericht... 

* 
„Wessen Seele bist du?” fragte der Amtsdiener 
des himmlischen Gerichtes, 
„Ich bin die Seele des Kajetan Pischmoll, eines 
Beamten”, flüsterte der Schatten. 
„Du bist zu früh gekommen. Es ist erst elf Uhr und 
wir hier fangen genau zur Mittagsstunde an. Setz’ 
dich da hin und warte.” 
Pischmoll setzte sich und der Amtsdiener zün- 
dete sich eine Zigarette an. 
Beide schwiegen. Kajetans Augen wanderten in 
dem großen Saale umher und blieben an einer 


"großen Waage haften. 


„Was ist denn das?” 

„Eine Waage.“ 

„Und was wiegt Ihr da?” 

„Die Sünden. Du kommst auch auf die Waage.” 
„Oh, ich habe keine Angst! Ich -bin sündenfrei. 
Mein Gewissen ist rein wie das eines kleinen 
Kindes. Wenn es irgend jemand wirklich verdient 
hat, in den Himmel zu kommen, dann bin ich das, 
ich, Kajetan Pischmoll.” 

„Bescheidener, du Grünling, bescheidener!” 
„Warum bescheidener? Was konnte ich schon sün- 
digen? Nehmen wir z. B. die Fastentage. Ich habe 
sie alle eingehalten.” 

„Lächerlich, als ob das dein Verdienst wärel Wenn 
dein Gehalt nur weiter gereicht hättel! Nun, und 
wie warst du in deinem Dienst?” 

„Im Dienst? Oho, fragt nur meine Vorgesetzen!” 
„Und was hast du gemacht?” 

„Ich habe die Parteien aufgerufen und ihnen die 
Entscheidungen ausgehändigt.” 

„Ach, du bist dieses Vögelchen? Du Unglücks- 
rabe, gerade vorgestern war von dir die Rede. 
Du warst also dieser kleine Inquisitorl Na, du 
wirst schon dein Teil bekommen!” 

Der Amtsdiener warf seinen Zigarettenstummel 
weg und schwieg. . 
Bald darauf öffnete sich die Tür und der himm- 
lische Senat schritt in den Saal, 

„Wieder ist alles voller Staub! Nimm einen Feizen 
und putze das da ab!” befahl einer der hohen 
Herren dem Diener. Der schaute sich um und 
konnte keinen Staubfetzen finden, 

„Na, dann nimm doch das dal” meinte der Rich- 
ter und wies auf die Seele des Kajetan Pisch- 
moll, — 

Sie war so klein und unscheinbar, daß es sich 
gar nicht lohnte, über sie ein Urteil zu sprechen. 
Aber als Staubfetzen konnte sie noch ganz gute 
Dienste leisten. 

(A. d. Kroatischen von Dorothea Müller-Neudorf.) 


Der Glücksbringer aus USA. 


{Erich Schilling) 





„Ihr habt Glück gehabt! Wenn nicht auf der ganzen Welt Krieg wäre, hätten wir Euch nicht entdeckt 
und Ihr hättet nie erfahren, daß es eine automatische Maschinenpistole gibt und wozu sie dient!“ 


Il portafortuna dagli USA.: “Avete avuto fortuna! Se non ci fosse la guerra In tutto il mondo, noli non avremmo 
scoperto Voi e Voi non avreste mai sapulo che c'& una pistola automatica e a che uso essa serval,, 


MEIN FREUND JOHANNES 


Frau Jonanna liebte es, von Zeit zu Zeit die 
Möbel In allen Zimmern umzugruppieren. Johan- 
nes aber liebte das gar nicht. 

„Warum tust du das nur Immeı?” fragte er. 

„Ich mag nicht Tag für Tag die gleiche Umgebung 
um mich haben. Das isı so ermüdend und eln- 
tönig. Das neue Gesicht des Raumes aber reg! 
an”. erklärte Frau Johanna. 

Gewiß" sagte Johannes und verließ das Zimmer 
E was spöter mußte Frau Johanna den Klempneı 


holen, weil.Johannes bei dem Versuch, der Toi- 
lette ein neues Gesicht zu geben, einiges zer- 
brochen hatte * 


Es kann jedem mal geschehen, daß er vergißt, 
ein Taschentuch einzustecken. Mir geschah es, 
als ich Johannes einst besuchte Und ich merkte 
es erst, als ich schon bei ihm war. 

„Kannst du mir ein Taschentuch leihen, Johannes?" 
fragte ich. 

„Weil du es bist!” sagte Johannes „Aber gib es 
mir bald wieder.” 


273 


Als ich es entgegennahm, stellte Ich fest, daß es 
eins war, das ich ihm irgendwann mal geliehen 
hatte. Lächelnd machte Ich Ihn darauf aufmerksam 
„Dann gib es mir bitte sofort zurück”, sagte 
Johannes schnell. 

„Das Ist aber ein recht sonderbares Verlangen. 
Wie willst du das begründen?“ fragte Ich er- 
staunt, 

„Na, sonst findet deine Frau es erst bei dir, und 
dann sehe ich es ja nie wieder”, erklärte Johannes 


2. Blege: 


GERICHTSBARKEIT IN PRINCETOWN 


Schon damals, als er noch zur Schule ging, ent- 
puppte Erik Söderkum sich als juristische Be- 
gabung von Format, wir prophezeiten ihm eine 
großartige Karriere. So bestand er denn auch 
sein Juristisches Abschlußexamen mit Auszeich- 
nung und erhielt In einer kleinen dänischen Stadt 
bei einem Advokaten Anstellung als Bevollmäch- 
tigter. 

Und seine Tätigkeit wurde zu einem Wendepunkt 
in der Gerichtsbarkeit des Städichens, 

Es fing damit an, daß er es als Verteidiger eines 
Mannes, der einen kleinen Diebstahl begangen 
hatte, in glänzender Verteidigungsrede durch- 
setzte, daß der Angeklagte freigesprochen und 
Anklage gegen den Bestohlenen erhoben wurde, 
Eine beispiellose Glanzleistung, die seinen Namen 
berühmt machte. Und die ihm zahlreiche Klienten 
zuführte, deren Interessen er dann ebenso mit 
bestem Eıfolg vertrat. 

Bis eines Tages auf Beschluß der Stadtväter sei- 
ner Wirksamkelt ein Ende gesetzt wurde, Indem 
der Bürgermeister seinem Chef nahelegte, den 
hoffnungsvollen jungen Mann zu entlassen. Wel- 
ches bald geschah. 

Doch Eriks Schwester, die in Amerika verhei:atet 





(Fr. Bllak) 


VON WILHELM GROSS 


war, schrieb Ihm, eı möge sofort kommen, denn 
das Land der goldenen F;eiheit warte auf sein 
großes Können. 

Seitdem verschwand Erik aus unserem Gesichis- 
kreis, 

Doch nach einiger Zeit traf ich ihr. zufällig auf 
der Straße wieder. 

„Nanu, schon wieder da?!” rief ich erstaunt. „Ich 
glaubte, dir gehe es dort drüben so glänzend!‘ 
Er aber wehrte heftig ab. „Das verstehst du nicht, 
mein Lieber. Daran sind die amerikanischen Ver- 
hältnisse schuld. Die sind nun mal ganz anders 
als bei uns. Kcmm’, ich will es dir erzählen,” 
Und in einem kleinen Restaurant bei einem Glas 
Bier erzählte Erik denn. 

m.. Ich reiste also zu meiner Schwester, Der Ort 
lag unmittelbar an der amerikanisch-mexikanischen 
Grenze und zwar lag die eine Hälfte auf amerika- 
nischem Boden und hieß Princetown — die andere 
dagegen, San Bartholom&, auf mexikanischem 
Territorium. Da Ich nun aber keine amerikanische 
Einreiseerlaubnis erhielt, ließ ich mich in San 
Bartholom& nieder Später siedelte ich dann heim- 
lich nach Princetown über. Was ich ohne Be- 
denken tat, da mein Schwager dort Sheriff ist. 


„Sag’, alter Graukopf, wer bist du denn?" 
„Mein Name ist Bacchus — wir kennen uns vom humanistischen Gymnasium her! 


{R 


Es dauerte denn auch gar nicht lange, so hatte 
ich mir eine gute Praxis geschaffen. Mein Schwa- 
ger verhaftete die Leute, und Ich sprach sie her- 
nach frei. Ein lohnendes Geschäft übrigens, bei 
dem auch der Gerechtigkeit hier und da Genüge 
getan wurde 

Da erschien mein Schwager eines Tages In moi- 
nem Büro. 

‚Du', sagte er, ‚Ich habe gestern den ‚Roten Tom’ 
wegen Mordes verhaftet.“ 

Das verwunderte mich. Denn der ‚Rote Tom’ war 
meines Schwagers rechte Hand auf seiner Farm 
Sehr erstaunt sah ich drein. 

‚Ich war leider dazu gezwungen‘, fuhr er erklärend 
fort. ‚Denn Ich bin Sheriff in einem Lande, In dem 
die Gerechtigkeit der oberste Grundsatz der Ver- 
fassung seiner freien Bürger ist. Doch du mußt 
nun alles daranseizen, daß Tom so bald als mög- 
lich vom Gericht freigesprochen wird. 

Und er schilderte mir die Einzelheiten des Falles 
‚Es war gestern abend In McKellys Schenke. Tom 
stand an der Theke und schlürfte nichtsahnend 
einen Whisky, als plötzlich ‚Maulesel-Jose' das 
Lokal betrat 


Du mußt wissen, Jos6 ist Mexikaner und ein 


Fröhlicher Olymp 


Il giocondo Olimpo 


“Dimmi, testa grigia, chi sel tu mai?,, — "Il mio nome & Bacco. Noi ci conosciamo dal tempo dei ginnasio umanistico!,, 


274 


hitziger Bursche, der rasch den Revolver zur 
Hand hat. 

Der also näherte sich Tom. ‚Hallo Tom! Wie geht's 
dir denn, du Stinktler?" 

‚Danke. Und was tust du hier, du mexikanisches 
Schwein? 

So standen sie und pöbelten sich eine ganze 
Weile zum Gaudium der anderen gegenseitig an, 
Der Wirt begann schon die Flaschen und Gläser 
fürsorglich In den Hof hinauszuschaffen — denn 
wer würde ihm den Schaden bezahlen, wenn die 
Schießerei einsetzte? 

Aber es geschah vorläufig nichts. Bis dann Jos6 
grob zu werden begann, ‚Blldest dir wohl ein, 
hundertprozentiger Amerikaner zu sein!’ höhnte er. 
Eine Beleidigung, die Tom natürlich nicht auf sich 
sitzen lassen konnte. — Im nächsten Augenblick 
lag Jos& am Boden ausgestreckt mit einem win- 
zigen Loch in der Stirn. 

‚Ich hätte ja nun als Amerikaner ob dem Tom zu- 
gefügten Schimpt beide Augen zugetan’, schloß 
mein Schwager seinen Bericht, ‚aber ich bin Sheriff 
und neben mir standen ein Dutzend Männer als 
Augenzeugen. Doch nun, wie gesagt, sieh zu, daß 
du Ihn schnellstens wieder freibekommst. Denn in 
der nächsten Woche beginne ich mit der Schur 
der Schafe und da brauche ich Ihn dringend. Ich 
werde darum bereits für übermorgen die Ge- 
tichtsverhandlung ansetzen. 

‚Es wird schwierig sein, ihn freizubekommen’, be- 
morkte ich. 

Mein Schwager wurde ärgerlich. ‚Wenn es ein- 
fach wäre, brauchte ich keinen Rechisanwaltl 
Doch das eine sage Ich dir: alles, was In die- 
sor Sache getan wird, muß sich streng an die 
Regeln der amerikanischen Gesetze halten. Ich 
bin Sheriff und halte darauf, daß strikte Gerech- 
tigkeit waltet” 

‚Hm — ja’, meinte ich daraufhin, ‚Da bliebe nichts 
weiter übrig, als auf Totschlag anstatt Mord zu 
plädieren. Auf Mord steht Erhängen, auf Totschlag 
Zuchthaus. Wenn man jedoch den Paragraphen 
über geistige und seelische Minderwertigkeit in 
Anwendung bringen könnte, käme er vielleicht 
mit einem Jahr Gefängnis davon — — 
Mein Schwager griff diesen Gedanken mit Be 
geisterung auf. ‚Ich bin Toms Arbeitgeber, ich 
kenne Ihn wie kein zweiter. Ich werde ihm das 
Zeugnis ausstellen, daß er der größte Schwach- 
kopf auf Gottes Erdboden ist, ein unmündiges 
Kind, das nicht mit einem Schleßeisen umzugehen 
versteht, Und daß er es nur einem gütigen Ge- 
schick zu verdanken hat, daß er sich nicht selbst 
totschoß! Aus purem Mitleid nur nahm ich Ihn in 
mein Haus auf! — — 

Ich besuchte Tom In seinem Arrest und setzte 
ihm den Plan meiner Verteidigung auseinander, 
‚Nun gut‘, erklärte er, ‚für den Fall, daß Sie mich 
vor dem Gehängtwerden bewahren, zahle ich 
Ihnen fünfhundert Dollars. Im anderen Falle aber 
Jage ich Ihnen eine Kugel durchs Hirt’ — — 
Darauf suchte ich den Vorsitzenden der Gerichts- 
geschworenen auf — einen alten weißbärtigen 
Pelztierjäger. 

‚Ich zahle Ihnen hundert Dollar, wenn es Ihnen 
gelingt, die Geschworenen dahin zu beeinflussen, 
daß sie auf Totschlag und nicht auf Mord er- 
kennen’, beschloß Ich meine Rede. 

‚Wenn es sich so verhält‘, meinte der Alte nach- 
denklich. ‚Sie müssen es ja besser wissen, denn 
Sie sind ja Rechtsanwalt — — 

Und der Tag der Gerichtsverhandlung kam. 
Zugegeben, ich war ein bißchen aufgeregt. Doch 
Ich vertraute auf meine bewährte Eigenschaft als 
Verteidiger. 

Der Vertreter der öffentlichen Anklage ergriff als 
erster das Wort. Er schilderte den Ermordeten als 
ein Wesen, reiner und unschuldiger als die Engel, 
und seinen Tod als unersetzlichen Verlust für die 
mexikanische Natlon, 

Dann nahm er sich Tom vor. Und er zählte alle 
großen Verbrechen auf, die in Amerika in den 
letzten fünfzig Jahren begangen waren. Wenn 
auch andere für diese Untaten abgeurteilt seien, 
Tom wäre der eigentliche Täter! Kurzum, er müsse 
gehängt werden! Zum Segen für die Menschheit, 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) IT 





Aut dem Programm eines Wilhelm-Busch-Abends 
fand ich folgende reizende Zusammenstellung 
Das Programm schließt mit „Abenteuer eines 
Junggesellen”, worauf der Satz folgt: Regreß- 
ansprüche bei Fliegeralarm bestehen nach Be- 
ginn der Vorstellung nicht. F.K.H. 


und als ein unvergängliches Ruhmesblatt der Ge- 
richtsbarkeit in Princetown. 
Nun war die Reihe an mir. Ich sagte meinem Vor- 
redner ein paar unverbindliche Schmeich: 
und erklärte, mich seinen Ausführungen vollauf 
anzuschließen. 
‚Aber, meine Herren Mexikaner und Amerikaner‘, 
fuhr ich alsdann fort, ‚der Anklagevertreter hat 
leider einen dabei übersehen — Tom Buck. So 
wie er dort auf der Anklagebank sitzt, scheint eı 
ein Mensch wie alle anderen zu sein. Aber das 
ist. nur Schein — — 
Und ich las die Erklärung vor, die mein Schwager 
über Toms Geisteszustand abgegeben hatte. Sie 
blieb nicht ohne Eindruck auf die Zuhörer. 
‚Meine Herren Mexikanerl’ fuhr ich dann fort, 
‚Wenn solch ein Mann zu Ihnen käme und Sie 
Schwein, Stinktier, Kinderräuber, Ketzor- oder 
Neger schimpfte. so würden Sie Ihn doch nur aus- 
lachen und einen Narren heißen. Denn Sie wissen 
es selbst, daß Sie herrliche und freie mexika- 
nische Bürger sind.’ 
An die Amerikaner gerichtet aber sprach ich 
weiter: ‚Was aber, meine Herren, würden Sie tun, 
wenn solch eln Narr käme und Ihre Nationalität 
und damit Ihr stolzes Vaterland beschimpfen 
würde?" 
Ein dumpfes Gemurmel entstand unter den Zu- 
hörern. 
‚Ich glaube nicht, daß Jos& Miguella sich Böses 
dabei gedacht hat, Es war gewiß nur ein Spaß, 
ein unglückseliger Spaß. Denn daß es ein solcher 
nicht gewesen wäre, dazu schätzen Mexikaner 
und Amerikaner einander viel zu sehr — — 
Doch leider erkannte Tom — man muß Ihm seine 
Beschränktheit zugute halten — den Spaß zu spät. 
Das Geschehene ist daher als tragischer Unfall 
anzusehen und als nichts anderes. Ich stelle 
darum Antrag, auf Totschlag zu erkennen und Tom 
zu der im Gesetz vorgesehenen Mindeststräfe von 
einem Jahr Gefängnis zu verurteller 
Ich machte den Richtern eine Verbeugung und 
trat ab 
Dabei besah ich mir die Zuhörer. Viele hatten 
Tränen in den Augen, andere lächelten Tom eı 
mutigend zu. Die Geschworenen aber machten, 
als sie sich zur Beratung zurückzogen, unerforsch- 
liche Gesichter. 
Der Gerichtsdiener nahm neben Tom Aufstellung. 
Das beunruhigte mich. Denn Tom brauchte nun 
ja nur die Hand auszustrecken, um dem Beamten 
den Revolver aus der Tasche zu ziehen — — 
Es dauerte eine Viertelstunde — eine halbe — 
eine ganze. Die Geschworenen kehrten nicht zu- 











275 


Der Schorsch steht vor Gericht wegen Beleidi- 

gung. 

Sagt der Richter: „Sie haben zum Martin Klein- 

lein gesagt: ‚Du kannst mich kreuzweis...’” 

„Na“, sagt der Schorsch, „des is net woar, ‚kreiz- 

weis’ hob i net g'sagt.“ A. F. 
* 


Die Geschichte beginnt, wie alle Anekdoten Über 
diesen Gegenstand, damit, daß ein berühmter Ge- 
lehrter In einem Vortrag über Weltallfragen vom 
kosmischen Schicksal unserer Sonne sprach und 
ihr nur noch eine begrenzte Lebensdauer von — 
sagen wir: zehn Millionen Jahren zumaß; dann 
würde sie ausgebrannt sein, und damit wäre dann 
natürlich alles aus. Auch diesmal meldete sich 
aus der Hörerschaft die uns allen bekannte Dame, 
die sichtlich verstört wissen wollte, ob sie wirk- 
lich recht gehört hatte: Zehn Millionen Jahre? 

Der Gelehrte bestätigte es. Aber diesmal spielt 
die Geschichte In Wien, und er hatte das schuld- 
bewußte Gefühl, die Dame vielleicht unnötig er- 


"schreckt zu haben. Infolgedessen rückte er mit 


einer weltmännisch beschwichtigenden Hand- 
bewegung die Frage ins Reich der tröstlichen 
Ungewißhelt und fügte hinzu: 

„Approximativ.” KL 


rück, Erst nach drei Stunden kamen sie. 
‚Die Geschworenen haben auf Totschlag erkannt!‘ 
verkündigte Ihr Vorsitzender, der alte weißbärtige 
Pelztierjäg: 
Tom wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. 
Allseltiger Jubel brach aus und man beglück- 
wünschte mich. Auch mein Schwager trat an mich 
heran, Er steckte mir die fünfhundert Dollar zu, 
die er einstweilen für Tom ausgelegt hatte. 
‚Am nächsten Tage suchte mich der alte Pelztier- 
Jäger in meinem Büro auf. 
Sogleich zahlte ich ihm die hundert Dollar aus. 
Ruhig steckte er sie ein und sagte: ‚Ich war bei 
Tom. Er ist sehr böse auf Siel* 
‚Böse auf mich?’ Ich war erstaunt. 
‚Jawohl. Wenn er aus dem Gefängnis kommt, will 
er Sie über den Haufen knallen! Ich erzählte Ihm 
nämlich, was für Mühe ich mit den anderen Ge- 
schwofenen gehabt habe. Ich schlug Bill Jones 
zwei Zähne aus, Jonny Kefferson stieß ich zum 
Fenster hinaus und den Mexikanern drohte Ich, 
sie niederzuknallen, Aber schließlich setzte ich 
es doch durch, daß sie geschlossen für Totschlag 
stimmten.” 
‚Die andern wollten Tom also gehängt sehen?‘ 
‚Gehöngtl? | bewahrel Freigesprochen wollten Sie 
ihn haben! Well Sie doch so gut gesprochen hat- 
ten. Davon wollte ich aber natürlich nick:s "issen, 
Denn was verstehen diese Kerle schon von der 
Justiz! Schließlich gibt es Ja auch noch Gesetz 
und Gerechtigkeit in den Staaten, und wozu sind 
denn die RechtsanwBlte dal’ — — 
‚Ja siehst du“, schloß Söderkum hier seinen Be- 
ticht. „Das also Ist der Grund, weshalb Ich 
‚Amerika wieder verließ. Ich reiste ab — eine 
Woche bevor Tom aus dem Gefängnis kam. Ich 
bin beilelbe kein Feigling — doch sicher Ist 
sicher. 
Mein Schwager meinte dann auch, daß es die 
beste Lösung sei, die fatale Angelegenheit aus 
der Welt zu schaffen. ‚Denn‘, sagte er beim Ab- 
schied, ‚das würde ja zu ärgerlich sein, sowohl 
für mich wie für deine Schwester, wenn dir hier 
ein Leid geschähel Auch wäre es peinlich, wenn 
dann dein Mörder freigesprochen werden würde. 
Doch gar nicht auszudenken wäre es, wenn man 
Tom verurteilen und ich ihn schließlich ganz und 
gar verlieren würde, wo Ich Ihn doch schon ein 
Jahr entbehrte. 
Na, und so fuhr ich eben zurück. Und das war — 
scheint auch mir — wirklich die beste Lösung.” 
Ich nickte nachdenklich. Ja, das schien auch mir 
die bestel 

(Aus dem Dänischen von Werner Rietig.) 

















GEHROCKS BÖSER GROSSVATER 


s Kind hatte ich einen Freund von der Sorte, 

o Eltern nicht besonders gern als Spielkame- 
aden Ihrer Kinder und vor allem nicht ihrer wohl- 
erzogenen kleinen Mädchen sehen. Aber Ich war 
ihm treu ergeben und bewunderte Ihn sehr, denn 
er unterschled sich In allem interessant von mei- 
nem sonstigen Bekanntenkreis. Schon rein äußer- 
lich: er besaß weder einen Sonntags- noch einen 
Schulanzug und was der lästigen Dinge mehr 
sind, sondern seine Bekleidung war gleichförmig 
wie das Fell der Tiere und bestand aus einem 
Trainingsanzug, und was für einem! Es war ein 
Erbstück irgendeiner mildtätigen Seele, die sich 
Jedenfalls mächtig In der Größe von meinem 
Freund unterschieden haben mußte, denn er 
konnte die Hose bis unter die Arme ziehen, und 


die Jacke reichte bis zu den Kniekehlen. Wir Kin- 


der hatten diese Gewandung ohne jede Boshelt 
den „Gehrock” getauft, well sie so feierlich aus- 
sah, und allmählich übertrug sich dieser Name 
vom Kleidungsstück auf den Besitzer. Der Geh- 
rock also hatte noch andere bemerkenswerte 
Eigenschaften, beisplelswelse brauchte er sich 
nie den Hals zu waschen, wollte Cowboy werden, 
und hatte eine Unmenge von Flüchen auf Lager, 
aber dafür keinen Vater, noch nicht einmal einen 
toten, 

Aber er hatte einen Großvater, der mehr aus- 
machte als zwanzig gewöhnliche Väter zusammen- 
genommen: der war ein sehr schlechter Mensch, 
so schlecht. daß man ihn uns In der Schule als 
Beispiel für das vorhielt, was aus uns würde, 
wenn wir unsere Aufgaben nicht machten. Er 
schimpfte den ganzen Tag, mal laut, mal leise. 


Die Fischdiebe 
I ladri di pesce 


VON HEILWIG VON DER MEHDEN 


Laut Über die Regierung, die schlechte Qualität 
des Schnapses, die Pastoren und Autofahrer, und 
leise auf das armselige Leben, das so ein alter 
Mann führen mußte. Zwischendurch verprügelte 
er seine Tochter, seinen Enkel und jeden Hund, 
der ihm über den Weg lief. Wenn er nicht gerade 
betrunken war, paßte er abends füı ein paaı 
Groschen auf, daß wir Kinder nicht in den Neu- 
bauten spielten, und entdeckte er uns dabel, ver- 
trieb er uns mit Ziegelsteinwürfen. So böse war 
er! Und eines Tages war er tot. 

Meine übrigen Freunde und ich erfuhren es durch 
den Gehrock, der ernst und feierlich im Sonn- 
tagsanzug eines wchlhabenderen Vetters auf 
uns zugewandelt kam. Wären wir etwas älter und 
den Forderungen feinen Benehmens mehr ge- 
wachsen gewesen, hätten wir ihn gewiß unseres 
Beileids versichert, So sprach aber nach einem 
Moment nachdenklichen Schweigens meine Schwe- 
ster das aus, was wir alle dachten: 

„Ob er wohl schon In der Hölle ist?“ 

„Kannste dich drauf verlassen!” antwortete der 
Leidtragende stolz, denn schließlich hat Ja nicht 
jeder so enge Beziehungen zur Hölle. 

„Wie sieht er denn aus?“ fragten wir weiter. Die 
Entgegnung war ein unbestimmtes „Och“, das 
vieles und auch wieder gar nichts aussagte. Un- 
sere Neugler war aufs höchste gespannt, und ich 
hätte alle meine Spielsachen oder wenigstens 
beinahe alle darum gegeben, die leblose Hülle 
einer Seele, die schon In der Hölle schmorte, zu 
betrachten. Der Gehrock, dem ich das sagte, 


putzte sich die Nase nachdenklich am Ärmel des 
vetterlichen Anzugs ab, ehe er uns verkündete, 






(A Kubin) 


wer ihm zwanzig Pfennig zahle, dürfe seinen 
Großvater mal begucken. 

Nach ungefähr einer Stunde stand Ich mit melner 
Schwester vor Gehrocks Haus, In der Hand eine 
zusammengepreßte geschmackvolle Kombination 
von Heckenrosen, Stiefmütterchen und Vergiß- 
meinnicht, die ein hochrotes Haarband wunder- 
hübsch, nur ein bißchen fest, zusammenhlelt, Die 
Großmutter öffnete uns, murmelte etwas von 
„guten, braven Kinderchens” und führte uns dann 
zum lieben Verstorbenen, 

Da lag er nun ausgestreckt auf seinem Bett, und 
es war totenstill im Zimmer, nur draußen auf der 
Dachrinne zankten ein paar Spatzen, Und diese 
Stille war neben der Tatsache, daß er einen 
Schlips umhatte und ein langes weißes Hemd 
trug, das Überraschendste für mich; denn niemals 
war mir der Gedanke gekommen, daß es auch 
einmal eine Zeit geben könnte, wo des Gehrocks 
ewig schimpfender Großvater ganz verstummen 
würde. Und nun schwieg er nicht nur, sondern 
sah ganz friedlich aus, kein bißchen wild und 
verkommen. Sein langes weißes Haar, das sonst 
wie ein zottiges Fell um seinen Kopf stand, war 
glattgekömmt, und seine Hände hatte er gefaltet, 
als ob er betete. Ich fand das geradezu un- 
gehörig, wo er doch In der Hölle war. 

Und dann tat er mir plötzlich leid. Ich stellte mir 
vor, wie er im weißen Hemd mit dem blauen, 
lustig rotgetupften Schlips und den sauber- 
gekämmten silbernen Haaren vor der Himmels- 
tür stand, wo man Ihn nicht einließ, sondern zur 
schwarzen Hölle hinabjagte, obwohl er jetzt so 
milde und brav aussah, Vor lauter Mitleid verzieh 
ich Ihm alle Ziegelsteine, mit denen er nach mir 
geworfen und mich manchmal auch beinahe ge- 
troffen hatte. Jedoch dabel fielen mir alle seine 
schwarzen Taten ein, was mich vollkommen ver- 
wirrte, denn nun fand ich es wieder recht und 
billig, daß er In der Hölle weilte, trotz seines 
weißen Hemdes und der gefalteten Hände. 

Als ich an diesem Punkt meiner Überlegungen 
angekommen war, puffte mich meine Schwester, 
die ein Jahr älter und infolgedessen vlel, viel 
weltgewandter war, in die Rippen: „Ich glaube, 
wir müssen mal beten, das tut man so”, tuschelte 
sie, und ich faltete gehorsam meine Hände, senkte 
den Kopf und begann: „Ich bin klein...”, und 
stockte Mein Gott, aus dem Fußboden wuchsen 
ja grünliche Pilze, und tiefe schwarze Löcher 
waren darin! Ich sah mich welter um: die Zimmer- 
decke hatte riesige Sprünge, Spinnweben hingen 
herab, und im Fenster fehlte eine Scheibe. Armer 
Großvater, vielleicht war er deshalb ein so böser 
alter Mann geworden! Das konnte Ich gut ver- 
stehen, denn ich selbst hatte einmal einen gan- 
zen Tag gebockt, weil wir ins Kinderzimmer keine 
Tapete mit blutroten Rosen, sondern nur eine 
mit Punkten bekamen — und was war das gegen 
grüne Pilze? 

Der Großvater lag jetzt ganz still und bockte 
nicht mehr, aber es half ihm nichts, denn nun 
war er in der Hölle, wo er ja wegen seiner 
Schlechtigkeit auch hingehörte. Bloß leid konnte 
es einem Ja doch tun, Nun hatte er es wieder so 
schlecht getroffen! 

Meine Schwester, die wohl alle Abend- und Tisch- 
gebete durchhatte, zog mich hinaus. 

„Wie sah er denn aus?” fragten meine Freunde, 
die die zwanzig Pfennige nicht hatten aufbringen 
können. Wieder war die Antwort ein unbestimm- 
tes „Och Dann raffte ich meinen ganzen Mut 
zusammen: 

„Vleichts is er doch noch in den Himmel ge- 
kommen!” 

„Quatsch, in der Hölle is er, und bra'en muß erl' 
wies mich der Gehtock zu’echt, denn er wollte 
seinen Großvater in der Hölle nicht kampflos auf- 
geben und hatte auch wohl die meisten Prügel 
von ihm bezogen 

„In der Hölle is er! — Wollen wir das mal 
spielen?” — „O ja...” 

Vergessen alles Mitleid und alle Grübelei über 
Strafe und Vergebung; denn ich durfte der Teufel 
sein, der ihn am Höllentor gebührend empfing. 





Gerügter Verstoß 


„Freil'n Paula, imuaß auf meinen Paragraph drei aufmerksam machen: ‚Mehr 
als ein Bräutigam pro Quartal kann der Mieterin nicht gestattet werden'!'‘ 


Trasgressione ammonita: ‘Signorina Paola, io devo richiamare |" attenzione sul mio 
paragrafo 3: ‘Ad una pigionale non pud esser permesso piü d'un fidanzato per trimestre, !,, 


277 


{R. Krlesch) 





Bescheidenheit (K. Holligenstaadt) 





„Sag’ mal, Lizzi, du hast wohl schon viele Männer verrückt gemacht?" 
„Aber nein — bis jetzt sitzt erst ein einziger im Dauerbad!“ 


Modestia: “Di un po', Lizzi, tu hal certo fatto Impazzire molti vomini?!,, 
“Ma no; finora non ce n'& che uno.che glace in bagno permanente!,, 


278 


UM MITTERNACHT GING DIE TÜR AUF 


„Laut Statistik verschwinden in Paris allein Jähr- 
lich zwanzigtausend Menschen“, sagte ein Herr 
aus unserem Kreis. Er sagte es, weil wir gerade 
davon sprachen, wieviel Leute schon in den Ber- 
gen verschollen sind. Wir saßen nämlich hoch 
oben In einer Schutzhütte, trockneten unsere 
nassen Kleider und unterhielten uns, wie sich 
eben Touristen unterhalten, die zufällig zusammen- 
treffen. Der Regen trommelte dazu an die Fenster- 
läden und durch die Bergnacht heulte der Sturm 
wie ein Regiment jaulender Katzen, 

„Ja, ja”, meinte eine noch Junge Lehrerin, „die 
Welt birgt schreckliche Geheimnisse. Es war in 
einer Nacht wie dieser, da erlebte ich etwas — 
mir läuft ‘es noch heute kalt über den Rücken.“ 
Natürlich wollten wir die Geschichte kennen- 
lernen und rückten näher zusammen, Bereitwillig 
begann die Dame zu erzählen: 

„Vor vier Jahren verbrachte ich meine Ferien auf 
einer Tour in den Tiroler Bergen, Ich wanderte 
eigentlich ’ziellos und hatte daheim nur einige 
Orte angegeben, die ich unbedingt aufsuchen 
würde und wohin man mir die Post senden sollte. 
Eines Tages traf ich in Matrei am Brenner ein und 
begab mich gleich in das Postamt. Unter den 
Briefen für mich befand sich auch ein Schreiben 
von Tante Paula. ‚Mein liebes Kind’, hieß es 
darin, ‚wenn du hier eintriffst, dann suche nur 
gleich meine Jugendfreundin Hermine auf, sie 
muß ganz in der Nähe von Matrei wohnen. D: 
Landsitz heißt ‚Einsiedelei‘, Grüße sie von mir, 
sie wird sich sicher riesig freuen, zumal wir schon 
seit Jahren nichts mehr voneinander hörten. Seit 
jener schrecklichen Geschichte — 

Diese Geschichte kannte ich gut, denn Tante 
Paula hatte sie mir an die zweihundertmal erzählt. 
Sie lernte jene Hermine als Mädchen im Pen- 
slonat kennen. Zu den Lehrkräften dieser höheren 
Töchterschule zählte auch ein junger Mann mit 
flatternder Mähne und abgeschabtem Samtkragen: 
der Klavlerlehrer. Eines Tages quälten der Mei- 
ster und die Schülerin Hermine vierhändig das 
Klavier, Eine—zweije—dreije—vier— Das ‚je' er- 
starb plötzlich. Kopfschüttelnd wartete die Vor- 
steherin, die sich zufällig im Nebenzimmer be- 
fand, eine Weile auf das ‚je‘, da es aber hart- 
näckig ausblieb, schlich sie sich zur Tür und 
öffnete rasch. Buml Lehrer und Schülerin küßten 
sich, Krach! Lehrer und Schülerin flogen hinaus, 
ein jegliches auf seine Art. 

Die wahre Liebe überklettert jedes Hindernis und 
harret aus, Innerhalb von sieben Jahren starben 
die Eltern des Mädchens und erst nach Ihrem 
Tod konnten die beiden daran denken, sich zu 
vereinigen. Hermine erbte das Vermögen und 
den Landsitz, so daß sie dem armen Musikus ein 
Heim bieten konnte, Sie heirateten, nachdem es 
dem Mann gelungen war, In Innsbruck eine Stel- 
lung zu finden, Ihr Glück dauerte nicht lange und 
fand einen erschütternden Abschluß. 

Eines Morgens fuhr der Musiker wie gewöhnlich 
nach Innsbruck, aber er kam nicht wieder. Ver- 
gebens forschte man nach ihm. Der Schaffner 
des letzten Zuges, der von Innsbruck nach dem 
Brenner fährt, wollte den Mann noch in einem 
Abteil gesehen haben, aber dann verlor sich 
jede Spur. Erst im späten Frühjahr, als der letzte 
Schnee wegschmolz, fand man unterhalb des 
Bahnkörpers am Ufer des Sill die unkenntliche 
Leiche eines Mannes. Aus den Gegenständen, die 
der Tote auf sich trug, konnte man seine Identität 
mit dem Musiker feststellen. Man nahm an, daß 
er damals aus dem fahrenden Zug gestürzt sei 
und sein Körper in dem in jener Nacht herrschen- 
den Schneesturm verweht worden war. Alle fan- 
den sich mit dieser Tatsache ab, nur Hermine 
nicht. Die schrecklichen Monate, die sie zwischen 
Hoffen und Bangen verbrachte, mußten Ihren Gel- 
steszustand verwirrt haben. Sie litt unter der fixen 
Idee, ihr Mann würde wiederkommen. In jeder 
Nacht machte sie das Abendessen für ihn zurecht, 
richtete das Bett und stellte sogar die Haus- 
schuhe bereit, wenn der letzte Zug fällig wurde. 





Verlag und Druck: 


Vorantworti, Schriftleiter: Walter Foltzick, München, — 
Anstalten entgegen. — Bezugspreise: "inzoinunm 
cn 








VON RALPH URBAN 


Nun sollte Ich die unglückliche Frau auf Wunsch 
von Tante Paulo beruchen und deren Wünsche gal- 
ten als Befehl. Sie war nämlich als Erbtante anzu- 
sehen. In ihrem Schreiben hatte sie mir noch auf- 
getragen, recht delikat zu sein und nur ja keinen 
wunden Punkt zu berühren, 

Ich wollte die unangenehme Aufgabe so rasch 
wie möglich erledigen, fragte die Postmeisterin 
nach dem Weg und machte mich gleich auf, um 
noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein. 
Ich erreichte bald die ‚Einsiedelel‘, Ein massiger, 
trübsinnig aussehender Bau nach Art alter Berg- 
klöster. Durch den halbverfallenen Torbogen trat 
ich in den Hof, Da öffnete sich im Obergeschoß 
ein Fenster und im Rahmen erschien das hübsche 
Gesicht einer bejahrten Dame. Sie fragte mich, 
was ich wünsche. 

‚Meine Tante, Fräulein Paula Meier aus Wien, läßt 
Sie herzlich grüßen‘, sagte ich und stellte mich vor, 
‚Paula Meier aus Wien?‘ wiederholte die Dame 
nachdenklich, ‚ach richtig! Mit ihr bin Ich ja ein- 
mal in die Schule gegangen. Wenn man alt wird, 
läßt das Gedächtnis nach, Kommen Sie doch 
gleich herauf, liebes Kind.‘ 

Ich wurde herzlichst empfangen, unterhielt mich an- 
gereg!, vermied es aber geflissentlich, von der 
Vergangenheit zu reden. Deshalb sprach Ich auch 
wenig von Tante Pauls. Als ich gehen wollte, 
hielt mich die Dame zurück. Den ganzen Tag über 
war ein bedrohliches Gewitter hin und her gezo- 
gen, das Jetzt mit voller Wucht losbrach, Nun wollte 
mich die Gastgeberin überhaupt nicht fortlassen 
und so nahm ich ihre Einladung, die Nacht über in 
ihrem Hause zu bleiben, gerne an, zumal sie gei- 
stig ganz normal schien. Dies sollte aber bald 
anders werden. 
Es war so gegen acht Uhr abends, als es anfin: 
Wir saßen In einem altertümlichen Saal, der viel 
zu groß war, um gemütlich zu sein, und mir krachte 
der Magen, denn ich hatte seit Mittag nichts ge- 
gessen. Da fragte mich die Hausfrau, ob ich schon 
jetzt zu Abend essen wolle oder ob ich mich bis 
Mitternacht gedulden könne. Ich bejahte an- 
standshalber und log, daß es mir am liebsten sei, 
zu Mitternacht zu essen. Da brachte mir die Dame 
für einstweilen Kaffee und Kuchen. ‚Ich erwarte 
nämlich meinen Mann‘, sagte ‚Er kommt mit 
dem letzten Zug aus Innsbruck und speist dann 
gerne in meiner Gesellschaft. Er wird sich auch 
riösig freuen, in dieser Einsiedelei einen lieben 
Gast begrüßen zu dürfen. 

Ich verspürte eine leichte Gänsehaut. 




















HOHE DINGE 


Dinge gibt es, die man nicht berührt, 

hohe Dinge, unbeftechliche, 

nie zu deutende, zerbrechliche, 

dem gebührt, 

der dennoch fle-betaftet, 

daß fein Herz zur Strafe faftet 

oder aber daß er Steine 

in die Hand bekommt 

ftatt Brotes. 

Liebe Seele, hüte deine 

Heimlichkeit wie ihr eo frommt, 

denn fonft haftet etwas Toteo 

deinem Welen an und beugt cs 

nieder 

und dein Mund 

entbehrt der Lieder 

troftvoll heitere Melodien - 

dank dem Schöpfer, der fie dir verlich'n 

und hebe 

lächelnd dein Geficht empor; 

lebe 

freudig dankbar, wie es fich gebührt, 

wenn man hohe Dinge nicht berührt. 
Peter Scher 


Es & Hirth Kommaaditgosellschaft, München, Sandlinger Straße 0 (Femiut 1296). Briefanschrift 





‚Abonnement Im Monat 





‚Ich bin schon etwas beunruhigt‘, fuhr die Haus- 
frau fort, ‚denn ich habe meinen Mann schon ge- 
stern zurückerhofft, Er wird wohl in dringenden 
Geschäften aufgehalten worden sein, aber heute 
kommt er bestimmt, Er muß heute kommen —' Die 
Frau stärrte geistesabwesend vor sich hin. 
Beklommen wanderte meln Blick entlang der 
Wände und blieb an einem Ölgemälde haften, das 
das Bildnis eines Mannes mit Löwenmähne dar- 
stellte. Also das war der Musikus. 

‚Das ist mein Mann‘, überraschte mich die Dame 
In meiner Betrachtung, ‚nicht wahr, ein interessan- 
ter Künstlerkopf? Er wird Ihnen in natura noch 
viel besser gefallen.‘ 

Meine Gänsehaut verstärkte sich, Es wurde immer 
ungemütlicher, draußen blitzte und donnerte es 
unaufhörlich, die Hausfrau zeigte sich von Minute 
zu Minute nervöser. Endlich stand sie auf und 
legte drei Gedecke auf den Tisch. Dann machte 
sie sich in der Küche zu schaffen, rumorte Im 
Schlafzimmer und trug ein Paar Männerhausschuhe 
durch das Zimmer. Ein peinliches Gefühl beschlich 
mich, ich bereute, nicht in das Dorf zurückgegan- 
gen zu sein. 

Als die Zeiger der Standuhr auf Mitternacht wie- 
sen, gesellte sich die Dame wieder zu mir. ‚Jetzt 
kommt der Zug In Matrei an’, meinte sie, ‚in einer 
Viertelstunde wird mein lieber Mann hier sein!’ 
Ich wußte nicht recht, wie Ich mich verhalten 
sollte, so sagte ich: ‚Vielleicht Ist Ihm das Wetter 
zu schlecht und er kommt erst morgen.” 

‚Um Gottes willen!’ kreischte die Frau, ‚Er muß 
heute kommen, Ich fühle es genau, daß er kommt, 
er ist schon unterwegsl' 

Mir wurde banger und bänger. Die Dame lief un- 
ruhig im Roum umher, richtete dieses und jenes 
zurecht. Plötzlich stand sie ganz still und lauschte 
gespannt, Jetzt‘, flüsterte sie, ‚jetzt! Seine Schrittel 
Wir wollen Ihn überraschen, ich verstecke mich 
im Schlafzimmer, Er wird Augen machen, wenn er 
Sie hier sitzen sieht. Hi, hi, hi —' Damit huschte 
sie In das Schlafzimmer, Ich saß steil wie ein 
Stock, verzweifelt mit einem schrecklichen Angst- 
gefühl kömpfend. Und da — 

Von der Diele herauf klang ein harter Laut, wie 
wenn Jemand einen großen Schlüssel im Schloß 
‚herum t. Dann hörte ich Schritte, zögernde, 
schlürfende Schritte. Die Treppe war mit Teppi- 
chen belegt, aber ich hörte an dem Knacken des 
Holzes wie jemand heraufstieg, langsam aber un- 
aufhaltsam. Ich hielt es nicht mehr aus, wollte 
schreien, doch die Angst schnürte mir die Kehle 
zu. Und Jetzt — Gott, ach Gott! Ich sah, wie sich 
die Klinke bewegte, und ich fühlte ganz deut- 
lich, wie sich meine Haare kerzengerade auf- 
stellten, Langsam, ganz langsam ging die Tür auf, 
Ich wollte die Augen schließen, um das Schreck- 
liche nicht sehen zu müssen, aber ich war voll- 
kommen erstarrt, Es blieb mir nichts erspart, ich 
mußte sehen, was da hereinkam. Es war das 
Original zu dem Olgemälde an der Wand: der 
tote Musikus blickte mich aus trüben Augen welt- 
verloren an, Steif wie ein Klotz flel Ich vom Stuhl,” 
Die Lehrerin schwleg Jetzt und starrte In die Glut 
des Ofens. 

„Brer —" machte nach einer Weile ein Herr. 
„Schreckliche Geschichte; aber sie kann doch 
noch nicht zu Ende sein.” 

„Nein“, meinte die Lehrerin, „aber Sie dürfen 
mich nicht auslachen. Als Ich zu mir kam, bemühte 
sich ein Arzt um mich. Dann klärte sich die Ge- 
schichte auf, Jene unglückliche Hermine war aus 
‚Gram schon vor einigen Jahren gestorben und In 
der ‚Einsiedelei‘ lebte seither ein anderes Ehe- 
paar. Der Mann hatte mit dem Musikus nur die 
Löwenmähne gemein und das Bild an der Wand 
stellte auch gar nicht den Toten dar, sondern den 
lebenden Gatten meiner Gastgeberin. Diese hieß 
gar nicht Hermine, aber das hatte ich natürlich 
nicht wissen können. Wie sich die Hausfrau spä- 
ter erinnerte, nannte sich ihre Schulfreundin aus 
Wien auch gar nicht Paula Meier sondern Paula 
Schmidt. Aber bei alten Leuten läßt manchmal das 
Gedächtnis nach.“ 














München 2 BZ. Bı 





ch. 


Simplichsimun arscheint wöchentlich einmal, Bentollungen nahmen alle Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post: 
1.20. — Unverlangte Einsendungor 
baten. = Portscheckkonta" München 5920. eiullungsont Hünchen 





‚erden nur zurückgesändt, wenn Porto beillegl. — 


Geschmacksache 


(E. Thöny) 





„Billy hat sich freiwillig für einen Geleitzug zur Verfügung gestellt, um begnadigt zu werden!" 
„Na, ich weiß nicht, ob mir ertrinken lieber wäre als der elektrische Stuhl?!" 


Questione di gusti: “Per esser graziato Billy s’ & fatto volontario in un convoglio!,, 
Ebbe’, io non so se a me gradisse di piü morire annegato che non sulla sedia elettrica?!,, 


280 


München, 19. Mai 1943 . 
48. Jahrgang, Nummer 20, 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Die Konkurrenz 


(Erich Schilling) 


„Wirklich ganz beachtlich, aber wir haben doch noch viel wirksamere Methoden!" 


La concorrenza: "Davvero un modo apprezzabilissimo; ma pure nol abblamo dei metodi ancor molto piü efficaci!,, 





Mythologische Jagdgesellschaft - Compagnia mitologica di cacca 


(A. W. Paul) 





„Wenn Sie mit Menschenmännern nichts zu tun haben wollen, Fräulein Diana, 
verstehen wir das; aber wir sind doch schließlich schnittiger von Figur!“ 


"Comprendiomo bene, signorina Diana, Vol non volete soperne della razza uman; ma nol alla fin fine abblamo pure un plö bel taglio di figurat,, 


DAS SCHÖNE BILD 


VON WALTER FOITZICK 


Das Bild stand auf der Straße und war ohne Ein- 
trittsgeld zu sehen. Es stand auf einer Ottomane 
und hatte ungefähr deren Länge, hoch war es 
einen halben Meter. Links von dem Gemälde stand 
ein Nachtkastl. und auf diesem ein Iaeres Aqua- 
rlum, rechts eine sehr reichlich gedrehte Säule, 
die ein alter Bergstiofel krönte. Diese Umgebung 
kam dem Bilde sehr zugute, denn ihre Erd- 
gebundenheit hob seinen idealen Inhalt. Man 
sollte solches auch in Kunstausstellungen be- 
‚achten. 
Das Bild vor dem Trödelladen erregte allgemeines 
Interesse. Immer standen fünf bis sechs Leute da- 
vor und betrachteten es eingehend. Es'war aber 
‚auch ein sehr Inhaltsreiches Bild. Das meiste war 
“ darauf abgemalt, was schön und gut und traurig 
ist. Ich will versuchen, es zu beschreiben. 
Also, os stellte eine Gegend dar, eine schöne 
Gegend, und, wie schimmernde Säulentempel be- 
zeugen, eine südliche Gegend mit Zypressen. 
‚Tempel waren lauschig vertellt und eingebettet 
in viel Blaugrün, In dem gewiß Nachtigallen niste- 
ten und, wenn es dunkel wurde, ihr klagendes 
Liebeslied ertönen ließen. 
Soweit der Hintergrund, namentlich rechts, in Rich- 
‚tung auf den Bergstiefel hin. 
Mitten im Bilde aber sitzt sie, die das alles emp- 
findet und fühlt, die Tempel und die Zypressen, 





das weite Tal und das Blaugrün. Sie sitzt natürlich 
auf einer kühlen Stelnbank an einer verfallenen 
Mai Reichlich ist sie In Schleier gehüllt, denen 
es aber nicht gelingt, den jugendlichen Körper 
ganz zu verbergen. Sie hat den Hut abgelegt und 
blickt hinaus, das Land der Griechen mit. der Saele 
suchend, Daß sie ein Leid hat, darüber besteht bei 
uns Zuschauern kein Zweifel. Sie hat sich fortgestoh- 
len aus dem lärmenden Kreis der Freunde, darauf 
kann man wetten. 

Aha, da sind ja diese verständnislosen Gesellen 
und Gesellinnen! Sie sitzen links in einer Rosen- 
laube In der Nähe des leeren Aquariums und 
tafeln. In strohumflochtenen Flaschen funkelt der 
Wein nur so. Die fröhliche Gesellschaft ißt von 
‚dem Stilleben auf dem Tische, Schinken In Bur- 
gunder, Fasan, Austern, Käse, Obst und Südfrüchte, 
Der Kellner scheint vergessen zu haben, die ein- 
zelnen Gänge abzuse: en. Vie 
empfindsame Dame diese Schlamp: 
Einige glühende Goldorangen sind sogar vom 
Tische gefallen und rollten in die Landschaft hin- 
ein In die vielen bunten Blumen, die ganz im 
Vordergrund direkt am Rahmen angebracht sind. 
Das Bild gefällt uns allen ausnehmend. 

Bald wird es Abend werden. Die weißen Lämmer- 
wölkchen werden sich rosa färben, die Zecherei 
am Tisch wird ausarten — das verspreche ich 
Ihnen — und die einsame Dame wird die Schleler 
noch fester um den immer noch jugendlichen Kör- 
per ziehen. Und dann wird der Trödler Bild, Aqua- 
tium und den Bergstiefel in das Innere des Ladens 
stellen. 















282 


Der fromme Liebhaber 


Hätt ein Glück sein können mit uns, 
Über die Maßen! 

Nun blasen 

Die höllischen Teufel darein! 


Wär ein Paradies geworden, 
Schon auf dieser Erden: 

Ich dein und du mein! 
Verschlossen die Pforten! 

Wir werden 

Im Jenseits erst glücklich sein! 


Ob es das gibt? 
Sagt mancher doch: Nein! 
‚Aber der liebt, 


Meint wohl es müsse so sein! 


Liebe macht fromm. 
Warte, und blasen 
Drüben die Engel Willkomm! 


GEORG BRITTING 


Nicht reizen 


(Wilhelm Schulz) 








„Verschwinden Sie, Sikorski. Sie sollen das liebe Tierchen nicht reizen, sonst kommt es herauf und frißt uns beide!" 


Non si stuzzichi: "Via via, Sikorski! Non stuzzicate la cara bestivolina, altrimenti essa vien su e ci divora tutti e duel,, 


283 


ANGELSPORT 


VON KONRAD SEIFFERT 


Angeln? Nein, vom Angeln hielt Ramon nichts, gar 
nichts. Und die Angler waren seiner Meinung nach 
ein Überflüssiges und albernes Volk. 

Ich dagegen dachte und denke anders Über das 
Angeln. Ich weiß, daß dies ein guter Sport ist. Sind 
Sie Angler, lieber Herr? Wenn ja, dann stehen Sie 
‚auf meiner Seite, 

Ich will Ihnen hier etwas vom Angeln erzählen. 
Und da werden Sie sehen, daß es zuweilen doch 
unter den Anglern Leute geben kann, die eigent- 
lich niemals auf Fische losgelassen werden sollten. 
Ja, solchen Leuten begegneten wir, und sie be- 
stärkten Ramons Abneigung gegen den Angel- 
sport, 

Wir waren gerade In die Hauptstadt zurückgekehrt, 
hatten wenig Geld und sahen uns nach irgendeiner 
Sache um, die fähig war, uns eine Zeltlang etwas 
über Wasser zu halten. Da lief uns Arturo Salinas 
in die Arme, Nein, es Ist wenig Über Ihn zu be- 
richten. Er fragte uns, ob wir Lust hätten, mit fünf 
Verrückten aus Gottes eignem Land eine Angel- 
fahrt nach dem Norden zu machen, auf einer net- 
ten, seetlchtigen Jacht. 

Vom Norden waren wir eben gekommen. Eine See- 
fahrt hatten wir hinter uns. Und Verrückte? Und 
noch dazu Angler? Ramon hatte keine große Lust, 
ließ sich dann aber doch mitschleppen. Arturo 
brachte uns mit den Leuten zusammen. Hundert 
Pesos sollten wir, der Ramon und ich, verdienen, 
jeder, selbstverständlich. Und die Verpflegung 
sollte gut sein. Wir bekamen einen Scheck über 
zweihundert Pesos, holten uns das Geld am Nach- 
mittag von der Bank, und am Abend besaßen wir 
nur noch etwa vier Pasos. Es war weg, das Geld. 
Ach, lieber Herr, wenn man leicht verdient, dann 
gibt man auch leicht aus, Das ist eine alte Sache. 
Und In der Hauptstadt, die gleichzeitig der Haupt- 
hafen des Landes Ist, kann man sehr leicht Geld 
ausgeben. Sie können es glauben. 
Vertragsbrüchig wollten wir nicht werden. 

Und so gingen wir am andern Tag zu unsern Leu- 
ten. Sie lachten, als Ich ihnen die Sache mit den 
zweihundert Pesos erzählte, und am andern Mor- 
gen fuhren wir ab nach Norden. Die Jacht war 
ein hübscher Kahn. Einen Motor? Selbstverständ- 
lich hatte sie einen Motor, einen sehr starken 
sogar, , 

Wir kamen schnell nach dem Norden hinauf. Die 
See war glatt, das Wetter gut und unser Kahn mit 
das Tüchtigste, was Sie sich auf diesem Gebiet 
vorstellen können. Es war alles an Bord: von der 
Eismaschine angefangen bis zu einer reichen Aus- 
wahl trinkbarer Flüssigkeiten, 

Und die fünf Verrückten? Nein, ich will sie Ihnen 
nicht einzeln vorstellen, das führt zu weit. Ich will 
Ihnen nur sagen, daß es Burschen waren mit fabel- 
haft rasierten Gesichtern, Angler natürlich, Sport- 





leute, die mit Ihrem Kahn hergekommen waren, um 


Haie zu angeln, Ja, Haifische, rein zu 
ihrem Vergnügen, als Sport, wahr 
haftig. * 
DasJagdgebiet hatten sie schonfest- 
gelegt. Es sollte da Rie: 
von Halen geben. Und das stimmte 
dann auch. Wir blieben in Küsten- 
nähe, liefen eine der kleinen Inseln 
‚an, die flach und unbedeutend waren, 
und richteten dort unser Standquar- 
tier ein. 

Nein, Hale liebe ich nicht. Den Mann 
möchte Ich sehen, der für diese 
Bestien etwas übrig hatl Was aber 
unsere fünf Leute taten, das war 
denn doch eine üble Viecherei, 

Sie hatten tadellose Haken mitge- 
bracht, klotzige Sachen, feinster Stahl. 
Jeder war an einer Kette befestigt 
und diese dann erst am Angeltau, 
damit die Haie, wenn sie zuschnapp- 
ten, den Faden nicht durchbeißen 





und mit dem Haken abgehen konnten. Gut durch- 
dacht, die ganze Maschinerie, 
Unsere Leute hatten Glück bei ihrem Sport. Es ist 
wahr: ich habe nirgends solche kolossalen Hai- 
fische gesehen wie dort oben. Sie gingen glatt an 
den Haken ohne sich zu besinnen, schnappten wie 
verrückt nach dem stinkenden Köder, zogen die 
Jacht hinter sich her, Meile um Meile. 
Und das war es, was uns, den Ramon und mich, so 
wild machte. Wenn man Jäger ist — und das waren 
doch unsere Leute —, dann sleht man zu, daß das 
Wild möglichst schnell vom Leben zum Tode be- 
fördert wird, Habe ich recht? 
Aber das taten sie nicht. Ganz Im Gegenteil. Ihr 
Sport war es, den Kahn hinter dem ziehenden Hal 
herfahren zu lassen. Man soll mit so einem Biest 
kein Mitleid haben, Bestimmt nicht, Ich hatte kein 
Mitleid, Nein, Mitleid war das nicht. Aber diese 
Methode behagte mir nicht. Dem Ramon auch 
nicht. 
Immer wieder meinte ich, sie sollten den Hal am 
Haken erschießen und heranziehen. Oder umge- 
kehrt. Neln, das taten sie nicht. Und sie ließen die 
Jacht Im Schlepp des Fisches, bis der nicht mehr 
konnte. Manchmal dauerte das lange, zuweilen 
war es Überröschend schnell vorbei. 
In unserem Standquartler auf der Insel häuften sich 
die Kiefer und Rückgrate der erbeuteten Haie. 
Denn was ein richtiger Sportler ist, der braucht 
Trophäen. Natürlich. Beim Haifischangler sind das 
eben Kiefer und Rückgrat des Fisches. Das Zeug 
stank mächtig. Und die Sonne brannte, 
Na schön! Wir waren wieder mal abgefahren, an 
einem Morgen. Kaum hatten wir einen beköderten 
Haken fallen lassen, da biß ein Hai an. Und was 
für ein Hail Er zog uns weit in die See hinaus und 
schien nicht zu ermüden. Manchmal kam er an die 
Wasseroberfläche, und wir konnten sehen, was für 
ein Riese das war. Die Angler freuten sich und 
schlossen ge itig Wetten ab Über die Länge 
des Fisches. Außerdem sprachen sie von einem Re- 
kord, den sie da aufstellten. Sie meinten, bisher 
habe noch kein Mensch so etwas an einem Haken 
‚gehabt. Das nennt man Rekord, jawohl. 
"Also: der Hai zog die Jacht, Die Fahrt ging nach 
Südosten, dann nach Osten, Es war schon Mittag 
‚geworden, da bog das Vieh nach Norden ab. Das 
Tau brummte wie eine Geigensalte, so straff war 
es gespannt, Ein Riesenkerl war das da vorn! 
sammelten sich nun rechts und links von uns 
Scharen von Haien an, die immer dichter, immer 
größer wurden. Sie begleiteten uns. Ramon sah 
mit Unbehagen hin, Schön Ist es nicht, in solch 
einem kleinen Eimer zwischen Halen dahinzu- 
‚schwimmen. Sie können es glauben! Daß die Haie 
von allen Selten zu uns kamen, war erklärlich. Sie 
tochen den Braten. Sie sind ja immer da, wo es 
was zu holen gibt. Blut lockt sie mächtig an. Und 
hier roch es nach Blut. 
Was soll ich Ihnen sagen: es wurde Abend, Der 
Hal zog. Es wurde Nacht. Hai zog noch imm« 
- Ramon und ich, wir schimpften und fluchten. Aber 
unsere Angler waren begeistert. So etwas, sagten 























„Ich war aber doch bei Ihnen schon Immer Kunde!" 


"Ma io ful glä sempre un vostro clienlel,, 


284 


sie, habe noch kein Mensch mitgemacht, sie seien 
die ersten. $ie hätten einen Rekord aufgestellt. 
Ach, das war uns gleichgültig. 

Ich will Sie nicht langweilen. Sie fraßen Ihn bei 
lebendigem Leibe auf: die Haie fraßen den Hai. 
Als der Rekordfisch müde genug war, fielen sie 
über ihn her und verspeisten ihn. Das haben diese 
Bestien zuweilen so an sich. 

Als unsere Leute merkten, was da los war — es 
war eine sehr helle Nacht —, fingen sie wie wahn- 
sinnig an, das Tau einzuholen. Sie beeilten sich 
sehr dabel, ich muß das anerkennen, und wir halfen 
ihnen. Aber wir waren doch nicht schnell genug. 
Denn was wir dann aus dem Wasser holten, das 
war ein blanker Haken mit einom Stückchen Kiefer, 
weiter nichts. Und an diesem Knochenstück konnte 
keln Mensch mehr erkennen, daß es einmal zu 
einem Rekordfisch gehört hatte. Es gab ein lautes 
Jammern. 

In der Nacht noch drehten wir nach Süden ab. 
Ach, es war eine recht unangenehme Fahrt mit 
unsern vergrämten Anglern. Am nächsten Tag er- 
reichten wir unser Standquartier. 

Ich sagte wohl schon, daß die Insel klein und flach 
war, es war gar keine richtige Insel, Wir hatten da 
zwei Zelte aufgebaut, bei denen hatten wir den 
Mulatten Bob zurückgelassen als Wache. Vor den 
Zelten, unten, am Wasser, lagen die Trophäen un- 
serer Angler und stanken. An dieser Stelle ging 
auch die Jacht vor Anker. 

Ja, wir kamen an, versorgten das Boot, schleppten 
an den Strand, was wir mitgebracht hatten, und da 
begann der Sturm. Es war ein eigenartiger Sturm: 
der Himmel war klar und wolkenlos, die Sonne 
schien wie immer, Aber die See war fürchterlich. 
Sie setzte zeitweilig das ganze Inselchen, die 
Zelte und uns unter Wasser, warf die Jacht hin und 
her und spülte fast alles ins Meer, was nicht fest- 
gemacht war. Und dann war alles wie vorher. Nein, 
viel geschehen war uns nicht. Wir waren naß ge- 
worden. Wir trockneten schnell, 

Unsere Jacht war seetüchtig geblieben. Allerdings 
mußten wir erst den Motor wieder in Ordnung 
bringen, Aber das war nicht schlimm, 

Schlimm für die Angler dagegen war, daß alle ihre 
Trophäen weg waren. Die See hatto sie wieder zu- 
rückgeholt. Sie stammten aus ihr. Sie behielt die 
Kiefer und Rückgrate der Haifische. Diese Tat- 
sache und das Geheul unserer Angler Über das 
Unglück rührte uns nicht. Ramon bekam es sogar 
fertig, ihnen zu zeigen, daß er sich darüber freute, 
Ich hielt das für nicht ganz richtig. 

Wir kamen zurück ans Festland. Sie gaben uns noch 
einmal einen Scheck, zweihundert Pesos, und Ra- 
mon sagte zu Ihnen, das sel nicht zuviel, und er 
wolle mit Anglern nie wieder etwas zu tun haben, 
'wenn man einen Hai um die Ecke bringen wolle, 
dann könne man das einfacher und auch billiger 
haben. Darauf sagten sie nichts, sie lachten bloß. 
Und sie wußten jetzt ganz genau, daß Ramon kein 
Angler war, daß er nicht einmal ahnte, was rich- 
tiger Sport ist. 

In der Hauptstadt lief uns Arturo Sallnas in die 
Finger. Ramon fuhr ihn mächtig an 
und sagte ihm, er solle es nicht noch 
einmal wagen, uns mit Anglern In 
Verbindung zu bringen. 

Arturo war zuerst wie vor den Kopf 
geschlagen. Aber dann erzählte er, 
daß er schon etwas anderes für uns 
habe, eine feine Sache, nein, nichts 
auf dem Wasser, sondern auf dem 
Rücken der Pferde. Auf dem Rücken 
der Pferdel O Glück der Erdel Es war 
selbstverständlich, daß wir bei sol- 
chen Aussichten unsere zweiten zwei- 
hundertPesos amgleichen Tage noch 
‚ausgaben. Mit Arturo Salinas. Zwel- 
hundert Pesos sind eine Menge Geld. 
Aber der Sprung von den Haien zu 
den Pferden war groß, Ja, ich muß 
zugeben, daß ich froh war, den Angel- 
haken mit dem Sattel vertauschen zu 
dürfen, obwohl ichgern einmalangle, 
wahrhaftig, Sie können es glauben! 


(6. Brinkmann) 


(R. Kriosch) 





Eu 


„Sag’ mal, Olga, wie ist das nun eigentlich in einer jungen Ehe?" 
„Ganz anders, als du es dir denkst — man ist zeitweise bei ganz klarem Verstand!" 


Schiarimento: “Ma dimmi, Olga, in realtä come ci si sente da sposi novelli?,, 
“Tutt’ altro da quello che pensi ... di tempo in tempo si ha il cervello completamente a postol,, 


285 






Bereit, sieh einen Mann zu fangen, 
Lüßt Marie ihre Reize prangen. 

Ihr Hut, entsprechend ihrem Alter, 
Ist zierlich wie ein Frühlingsfalter. 


Alt, 


‚ 
—— ee 
ch REFERATE TEN n 


EN 


Der Hut füngt an, sich zu entfalten, 
Marie ist äußerst ungehalten. 

Er trinkt und als er ganz besoffen, 
Steht ihm der blaue Himmel offen. 


Das Hutwunder 














(Fr. Bllok) 





Da, plötzlich, füngt er an zu leben, 
Der Hut, lüßt seine Flügel beben, 
Entrollt den Rüssel um zu saugen, 
Marie traut nicht mehr ihren Augen! 










286. 


Drei Punkte von der Kleiderkarte 
War wert der Hut, der schöne, zarte. 


Marie kann es nur schwer verwinden, 
Daß durch ein Wunder sie verschwinden, 5, 


EIN MANNESWORT 


VON HANS FRANCK 


Man schrieb den 22, August 1813, Der Waffenstill- 
stand zwischen den Preußen und den Franzosen, 
der am 4. Juli-geschlossen wurde, war seit elf 
Tagen abgelaufen. Zwar hatte sich während der 
Wochen völliger Waffenruhe die europäische 
Koalltion gegen den Kalser endgültig zusammen- 
gefunden, aber auch Napoleon war in den ver- 
wichenen beiden Monaten nicht müßig gewesen. 
Schlagbereit wie nur je stürmten seine Heere 
neuen Kämpfen entgegen. indessen er selber 
sich, von Dresden aus, wider die schlesische, 
durch Blücher befehligte mittlere Armee seiner 
Gegner wandte, grifi General Oudinot die aus 
Schweden, Russen und Preußen gebildete Nord- 
armee heftig an, welche unter dem Oberbefehl 
des Kronprinzen von Schweden stand, der als 
gebürtiger Franzose nicht nur den französischen 
Namen Bermadotte trug, sondern auch als Ge- 
mahl der Schwägerin Josef Bonapartes mit dem 
Kalser von Frankreich durch Familienbande ver- 
knüpft war, 

Das Ziel der Angriffe Oudinots lag offen zutage: 
Er sollte in kürzester Frist Berlin erobern und da- 
durch den Verbündeten einen Schlag zufügen, der 
für Ihre gemeinsame Sache allerdings nicht tödlich 
war, jedoch dem einfachen Volk und den ober- 
flächlich unterrichteten Ausländern 
als kriegsentscheidend gelten mußte. 
Alle Zeichen sprachen dafür, daß 
Oudinot den Auftrag seines Kalser- 
lichen Herrn in sehr naher Zeit aus- 
geführt haben werde. Es gelang ihm, 
die Nordarmee der Koalitionsmächte 
zwischen Thyrow und Wittstock zu 
durchbrechen. Der Paß von Wittstock 
ging verloren. Thyrow mußte aufge- 
geben werden, Der Paß von Suhns- 
dorf war nicht zu halten. Der Rückzug 
auf Blankenfelde ließ sichdurchkeine 
Gegenmaßnahmen verhindern. Nur 
noch knapp drei Meilen waren die 
ungestüm vorwärtsdrängenden Fran- 
zosen von Berlin entfernt. 

In diesen Stunden höchster Not, am 
Nachmittag des 22, August 1813, rief 
der Oberbefehlshaber der schwer- 
bedrohten Nordarmee, Kronprinz 
Bernadotte, seine Generale zu einem 
Kriegsrat in das Hauptquartier, wel- 
ches sich zu Philippstal befand. Wäh- 
rend man die schwierige Lage be- 
sprach, erklärte der Kronprinz Immer 
wieder, daß er dem Feind eine große 
Schlacht liefern wolle. Aber alle Maß- 
nahmen, die er vorschlug, alle Pläne, 
die eı entwickelte, ließen den un 
schütterlichen Willen zum Halten Ber- 
Iins schmerzlich vermissen. Denn 
Bernadotte machte, wenn er kaum 
seine Absicht, anzugreifen, bekundet 
hatte, selber dagegen Einwendungen 
über Einwendungen. Er bezweifelte, 
daß die Truppen durchhalten würden. 
Er befürchtete, daß Schweden, Preu- 
Ben und Russen noch nicht zu einer 
einheitlichen Armee verschmolzen 
wären,“ Besondere Sorge bereitete 
Ihm die Lendwehr, welche zum ersten 
Male Ins Feuer geführt werden sollte, 
so daß nicht abzusehen war, wie, ja 
nicht einmal, ob sie die Schlacht- 
probe bestand. Der Schrecken aller 
Schrecken aber war für den Ober- 
befehlshaber die Möglichkeit, daß 
Napoleon selber zu Oudinot ge- 
stoßen sein könne und dann die 
Nordarmes nicht einem besieg- 
baren französischen General, sondern 
dem unbesiegbaren Kaiser der Fran- 
zosen gegznüberstehe. Er habe, ver- 








Behelf - Espediente 


sicherte Bernadotte, glaubwürdige Nachrichten, 
daß Bonaparte nicht mehr nach Schlesien mar- 
‚schiere, sondern, damit die entscheidende Schlacht 
vor den Toren Berlins geschlagen werde, plötzlich 
umgekehrt sei. 

Die Rückwanderung Napoleons entsprach durch- 
aus den Tatsachen. Allerdings war sie nicht um 
der Nordarmee willen erfolgt, vielmehr damit die 
von Böhmen vordringende Hauptarmee des Fürsten 
Schwarzenberg nicht In seinen Rücken geriete. 
Da Bernadotte den wahren Grund der Schwen- 
kung des Kaisers nicht wissen konnte, da er 
sehr wohl annehmen durfte, daß dieser sich 
gegen ihn wenden werde, da er alsdann sich 
einer alles gefährdenden Übermacht hätte stellen 
müssen, so lief — trotz der mehrfach bekundeten 
Absicht, den Feind anzugreifen — sein Vorschlag 
schließlich doch darauf hinaus: Es sei das beste, 
wenn man den notgedrungen begonnenen Rückzug 
der Nordarmee weiterführe und statt eine un- 
sichere, Schlimmstes aufs Spiel setzende Schlacht 
herauszufordern, im Norden Berlins eine sichere, 
verschanzte Stellung beziehe, Glücklicherweise sei 
die Brücke zu Charlottenburg noch unversehrt; 
auch habe er, um alle gebotene Vorsicht zu üben, 
bereits eine zweite Brücke bei Moabit, so gut es 














„So Ist es mit Robert: für ihn bin ich nur ein 
Stammgericht am Ende der Markenperiode!" 


“Con Roberto la & casl; per Iui non sono che una 
pletanza fissa alla fine del perlodo delle march 





287 


(Hanna Nagel) 


in der Eile gegangen wäre, für den Rückmarsch 
herrichten lassen. 

Keiner von sämtlichen Armeeführern hörte diese 
Vorschläge des Oberbefehlshabers mit gleich 
starkem Unmut, mit so heftiger, kaum zu bändigen- 
der Empörung wie der General Friedrich Wilhelm 
Graf von Bülow. 

Da ihm das Wort schon gemeinhin schneller auf 
die Zunge sprang, als den übrigen Generalen 
und außerdem sein Herz vor Entschlossenheit 
glühte, an seinem Tell mitzuhelfen, daß die 
Schmach von Jena und Auerstädt nicht wieder- 
kehrte, was nur durch die Parole „Angreifen! 
Angreifen um jeden Preis, Angreifen immer und 
überalll“ verhindert werden konnte, so erklärte 
er rundweg: Berlin dürfe in keinem Fall aul- 
gegeben werden, Bestimmt nicht freiwillig. Also 
müsse man die Schlacht vor seinen Toren, koste 
es was es wolle, wagen. Auch wenn ihnen, was 
er nicht glaube, morgen Napoleon gegenüber- 
stehe. 

Weil Bülows Entschlossenheit sich leicht einmal 
überschlug und dann als Heftigkeit wieder auf- 
sprang, weil seine Bestimmtheit selbst durch Nahe- 
stehende von Schroffheit oftmals nur schwer unter- 
schieden werden konnte, war diese Erklärung mit 
solcher Schärfe herausgekommen, wie sie einem 
General seinem Oberbefehlshaber gegenüber 
nicht wohlansteht, 

Bernadotte, bel dem — wie konnte es anders sein? 
— des gallische Blutserbteil infolge der inneren 
Aufgewühltheit sich gleichfalls — wie bei Bülow 
die Deutschheit — stärker geltend 
machte als im Gleichmaß der Tage, 
Bermadotte glaubte die peinliche 
Stille, welche nach den Sätzen des 
polternden Preußen unter den An- 
wesenden entstanden war, amschnel 
sten durch ein Scherzwort zu üb: 
winden und sagte daher leichthii 
„Was ist- denn schon Berlin? Eine 
Stadt.” 

Jawohl, eine Stadt! rlef, noch mehr In 
Harnisch geratend, Bülow, der bei 
vaterländischen Dingen keinen Spaß 
verstand, Aber nicht elne Stadt wie 
andere Städte. Sondern die Haupt- 
stadt Preußens. Das Herz des Wid 
standes gegen Napoleon! Wenn di 
ses Herz nicht mehr schlage, selPrei 
Ben, sei Deutschland, sei Österreich, 
sei Europa verloren. Das treffe nicht 
zu, widersprach — nunmehr auch mit 
vollem Ernst, freilich In durchaus be- 
herrschter Form — der Kronprinz von 
Schweden. 1806 hätte man nicht 
nur Berlin aufgegeben. Sondern das 
ganze von ihm aus regierte Land Bis 
zu der Grenze des Russischen Rel- 
ches wäre man, dem Zwang des Krl 
ges folgend, zurückgewichen. Und 
trotzdem sei Preußen nicht unter- 
gegangen. Es habe sich sogar In 
einer viel schnelleren Zeit, als Irgend- 
wer für möglich gehalten hätt 
holt und gegen den allmächtigen Kal- 
ser Napoleon erhoben! 

Gerade darin, daß die Rückwärt 
lauferei von 1808 sich nicht wie: 
hole, bestehe ihre gemeinsame Auf- 
gabe als Heerführer! betonte zom- 
toten Kopfes Bülow mit äußerstem 
Nachdruck. Diese Aufgabe könne 
aber nur dann erfüllt werden, wenn 
man die Schlachten — statt Ihnen, wie 
in ihrem Fall vorgesehen, auszuwel- 
chen — unter allen Umständen an- 
nehme. Er und seine Truppen jeden- 
falls, darüber wolle er keinen Zweifel 
aufkommen lassen, würden die Rück- 
zugsbrücken nicht benutzen. Weder 
die Charlottenburger, noch die heim- 
lich geschlagene bei Moabit. Wenn 
es nach seinem Willen gegangen 
wäre, so hätte man nicht elne neue 
Brücke gebaut, sondern die alte 




























Verlockung - Allettamento 





W. M. Busch 


„Wundervoll ist dieser Band Lyrik, unersetzlich heute — übrigens 
könnte Ich ihn gegen eine noch gut erhaltene Unterhose tauschen! 


E magnifico questo volume di lirica . 





oggl non sostitulbile! Del resto lo potrei 


baratlare con un palo di mutande ben conservatel,, 


Brücke abgebrochen. Um jeden Rückzug unmöglich 
zu machen! 

„Dann“, rief, nun gleichfalls enttlammt, Bernadotte, 
„Wäre unser aller Los, zu fallen!” 

Da war es Bülow zur Gewißhelt geworden, daß 
dem Kronprinzen von Schweden nicht nur die 
letzte Entschlossenhelt zum Kampf fehle, sondern 
er vermutete — zu Unrecht, wie sich späterhin ein- 
wandfrei erwiesen hat —, daß diesem der ernst- 
hafte Wille mangele, Napoleon, durch dessen 
Gnade er vom Rechtsanwaltssohn zum Thron- 
anwärter emporgestiegen war, zu besiegen. Und, 
vergessend, daß er seinem Vorgesetzten gegen- 
überstand, sprang der Hitzige hoch, schlug mit der 
Faust auf den Tisch und schrie: „Wenn mir bestimmt 
Ist zu fallen, dann sollen meine Knochen vor, nicht 
hinter Berlin im mörkischen Sande bleichen.” 
Alles erwartete, daß Bernadotte, dem der Ober- 
befehl über die Nordarmee zustand, den auf- 
begehrenden Untergebenen aus dem Zimmer 
schickte und ihm die gebührende Strafe seines 
Königs in Aussicht stellte; zum mindesten aber, 
‚daß er Ihm unverzüglich das Ungebührliche seines 
Tuns und Redens verwies. 

Indossen das Wort zu rachter Zelt, jener Generals- 
ruf, der nach außen hin das Zorneswort eines 
Augenblicks zu sein schien, jedoch in seinem In- 
nern ein welt über die Zeit hinausreichendes Man- 
neswort war, es brachte urplötzlich die Befreiung 
aller aus Dumpfheit und Ungewißheit; so wie der 
von Donnergepolter begleitete erste Blitz mit 
einem Schlage die Schwüle und Schwere eines 
überheißen Sommertages verscheucht, 

Bernadotte — wohl ein Zauderer, aber keineswegs 
ein Schwächling — gab, über die Formverletzung 
seines Generals hinwegsehend, den Gedanken des 
Rückzuges der Nordarmee bedingungslos auf. 
Zwar erteilte er nicht, wie der ungestüme Bülow 
wollte, den Befehl zum allgemeinen Angriff. Doch 
erhielten die versammelten Generale eindeutige 
‚Anweisung, in ihren Stellungen zu verharten. Wenn 
sie angegriffen wüıden, sollten sie sich, damit 
Berlin nicht preisgegeben zu werden brauchte, 
nach besten Kräften wehren. Selber den Kampf 
aufzunehmen, wurde ihnen — weil die Lage voll- 
kommen undurchsichtig sei und man noch nicht 
wissen könne, was Napoleon mit seinem Rück- 
marsch bezwecke — streng untersagt. 

So kam der 25, August 1813 heran. Es regnete In 
Strömen. Trotzdem griff, während der Kaiser sich 


gegen die Hauptarmee der Verbündeten wandte, 
Oudinot die Nordarmea an. Und zwar jenen Tell 
von ihr, den Graf Tauentzien befehligte. Aus- 
schließlich diesen! Er wollte offenbar Tauentzien 
von Bülow trennen und auf diese Weise günstige 
Gelegenheit für einen erneuten Durchbruch schaf- 
fen, mit dem das Schicksal Berlins besiegelt war. 
Bülow mußte, da er nicht angegriffen wurde, dem 
empfangenen, unmißdeutbaren Befehl seines Vor- 
gesetzten gemäß, urtätig bleiben, mußte jenes 
nationale Unglück, gegen das er sich bei dem 
Kriegsrat am Vortage mit aller Kraft gewehrt hatte, 
zähneknirschend geschehen lassen. Alles in Ihm 
empörte sich gegen diesen unsinnigen Zwang. Die 
Entfernung zur Armee Tauentziens betrug nur eine 
Melle! Diese Lücke galt es zu schließen! Folglich 
geschah es. Denn solcher Vorsichtsmaßnahme 
widersprach die Anweisung des Oberbefehls- 
habers nicht, Aber damit war das Notwendige bel 
weitem nicht getan! Also Tauentzien kämpfend zu 
Hilfe ellen? Verboten! Jedoch auch dann, wenn es 
nicht verboten gewesen wäre, reichte dieses Tun 
zur Erringung des Sieges nicht aus. Nur der An- 
griff, und zwar der Angriff auf einem anderen, 
zweifellos geschwächten Frontabschnitt der Fran- 
zosen, konnte außer der Entlastung Tauentziens 
einen entscheidenden Erfolg bringen. 

Bülow, den der strömende Regen in keiner Welse 
bekümmerte, ritt selber nach vorn, um die Stellung 
des Feindes zu erkunden, Es stimmte, was er 
vermutet hatte: sie war schwach besetzt, war an- 
zugreifen, wor einzunehmen. Oudinot hatte, um 
Tauentzien In jedem Falle zu werfen, einen Teil der 
Truppen aus ihr herausgezogen. 

Als Bülow pudelnaß von dem Erkundungsritt zu 
seinen Soldaten zurückkehrte, war der schicksals- 
mäßige Entschluß gefaßt, Er zwängte ihn in drei, 
weit über das Schlachtleld hinhallende, von der 
Truppe mit Jubelgeheul aufgenommene Worte. 
Diese lauteten: „Wir greifen an“ 

Weil aber dieser Befeh! gegen den ausdrücklichen 
Befehl des obersten Heerführers der Nordarmee 
erteilt worden war, schickte Bülow den Major von 
Reiche zu Bernadotte, daß der dem Kronprinzen 
von Schweden die veränderte Kampflage schildere 
und die Erlaubnis zum Angriff erbitte. Das war 
eine Sache der Form, Denn der Befehl Bülows ließ 
sich selbst durch elnen Gegenbefehl seines Vor- 
gesetzten nicht mehr rückgängig machen. Berna- 
dotte verhehlte denn auch seinen Unwillen über 





288 


den eigenmächtigen Entschluß des Ihm unterstell- 
ten Generals nicht, gab Jedoch nachträglich die 
erbetene Erlaubnis zum Angriff. Das war eine Sache 
zum Belächeln Denn schon donnerten Bülows Ka- 
nonen In das Hauptquartier des Oberbefehlshabers 
der Nordarmee herüber. Als Reiche daraufhin Ber- 
nadotte bat, seinem General, der eine schwere 
Sache begonnen habe, zu Hilfe zu kommen, lehnte 
der mit den Worten seiner Muttersprache: „J'ai 
l'ennemi devant moi. Chacun döfend son front!” 
tundweg ab. Obwohl es recht nahe lag, zu er- 
widern, daß es nicht darauf ankäme, seinen 
Frontteil zu behaupten, wohl aber darauf, das 
Ganze im Auge zu behalten, schwieg der Major. 
Denn er wußte: Bülow, der in dem gleichen Falle 
freilich nicht geschwiegen hätte, würde es schon 
schaffen. 

Und Bülow schaffte es. 

Es war inzwischen des Nachmittags fünf Uhr ge- 
worden, Der Regen hatte, obwohl dies am Vor- 
mittag unmöglich zu sein schien, noch zugenom- 
men, So glaubten die Franzosen sich in Ihrer Stel- 
lung sicher. Aber plötzlich waren die Preußen da. 
Allüberall sprangen sie durch den Wasservorhang. 
Die Gewehre der Angreifer freilich versagten. 
Doch die bis zur Haut durchnäßten Landwehrmän- 
ner wußten sich zu helfen. Sie drehten Ihre Knarren 
um und hieben mit den Kolben drein. 

„Was macht Ihr denn?" fragıe Bülow, der allent- 
halben, wo es noltat, anfeuernd zur Stelle war, 
„So fluscht es besserl“ rlaf man ihm lachend zu. 
„In Ordnung”, tief Bülow lachend von selnem trle- 
fonden Gaul herunter, „Die Hauptsache, daß wir 
siegen. Wie, ist gleichgültig.” 

„Natürlich siegen wirl“ versicherten welterstür- 
mend die Soldaten. 

Um acht Uhr, als es bereits zu dunkeln begann, 
hatte Bülow die Schlacht bei Groß-Beeren gewon- 
nen. Berlin war gerettet. Dieser erste preußische 
Sieg wurde das flammende Signal zu einer Reihe 
weiterer Siege, deren funkelnde Krönung der 
Ubergang Blüchers über die Katzbach und die 
Völkerschlacht dar vereinigten Heere bei Leipzig 
war, 

Was aber hatte, als die Waage bedenklich 
schwankte, den Ausschlag nach der Slegesselto 
hin gegeben? Ein Manneswort zur rechten Zeit, das 
Wort des Generals Friedrich Wilhelm Graf von 
Bülow, don man später den Dannewitzer nannte: 
Es ist für einen Soldaten, wenn ihm vom Schicksal 
bestimmt wird, zu fallen, besser, daß er vor der 
zu haltenden Linie als hinter ihr den Tod erleidet. 














MEIN FREUND JOHANNES 


Wir drei waren auf einer Flußwanderung, Diesen 
Tag hatten wir ein tüchtiges Stück geschafft. Nun 
bauten wir an elnem schönen Platz das Zelt auf, 
kochten ab und gingen endlich zur Ruhe. 

Ein Wellchen noch schauten wir schweigend durch 
den geöffneten Zelteingang hinaus in die Däm- 
merung. Wellen und Wind rauschten leise. In dor 
Ferne spielte ein Blinkfeuer, Ein Dampfer tutote. 
Wirklich, es war sehr stimmungsvoll, 

Plötzlich schnitt Martins Stimme In den Frieden. 
„Ich muß euch noch eine lustige Geschichte er- 
zählen, die ich neulich gehört habe”, meinte er. 
„Laß man, Martin“, sagte Johannes freundlich, 
„Ich glaube, wir sind von diesem Tag müde ge- 
nug und werden auch so einschlafen.” - 


* 


Martin hatte manchmal ein wenig schwärmerische 
Momente. 

Wir saßen bei Johannes und ließen das Grammo- 
phon spielen, Es spielte die Unvollendete. 

„So, beim Anhören dieser Musik, möchte Ich ein- 
schlafen. Für Immerl” flusterre Martin versonnen. 
Da stellte Johannes die Platte ab 

„Du scheinst vergessen zu haben, daß du mir mor- 
gen früh Im Garten helfen wolltest”. sagte or. 
„Abends können wir es dann Ja melnetwogen noch 
einmal spielen.” ). Bieger 


Unglaubliche Zustände in England 











(E, Thöny) 


TE, 





„Stell dir vor, Sally, gerade hat mich einer einen Schwindler genannt, weil ich ihm 
Gips für Mehl verkauft habe. Unglaublich, wie der Antisemitismus bei uns zunimmt! 


Incredibili situazioni in Inghilterra: “Pensa un po’, Sally, proprio adesso un tale mi ha dato del truffatore, 


perch@ gli ho venduto gesso per farina. E incredibile, come |’ antisemitismo vada crescendo da noil,, 


Wunder über Wunder 


Die Legende der hl. Elisabeth, einer Landgräfin 
von Thüringen, dürfte bekannt sein, doch sei sie 
in Kürze wiederholt: Als Elisabeth eines Tages mit 
einem Körblein durch den Wald ging, das Lebens- 
mittel für einen Bedürftigen enthielt, wurde sie 
von ihrem Gemahl, dem hartherzigen und geizi- 
gen Landgrafen Ludwig angehalten. „Was ist in 


dem Korb?“ herrschte er seine Frau an, Elisabeth 
schwieg betroffen. Da riß der Landgraf das Körb- 
lein an sich und öffnete es. Es enthielt Rosen, 
nur Rosen, sonst nichts. Ein Wunder war ge- 
schehen! 

Als Herr Müller von einer mehrtägigen Rundfahrt, 
die er über das flache Land unternommen hatte, 
in die Stadt zurückkehrte und einen Handkoffer 


289 


durch die Sperre des Bahnsteiges zu tragen be- 
absichtigte, wurde er von einem Herr angehal- 
ten, der sich hiefür als berechtigt auswies, „Was 
ist In dem Kofferl?‘ frug der Mann mißtrauisch 
Herrn Müller. Dieser schwieg betroffen. „Öffnen 
Sie das Kofferl!" befahl der Herr, Mit etwas zit- 
terigen Händen schloß Herr Müller den Hand- 
koffer auf, Er enthielt einen Anzug, Leibwäsche 
und drei Krawatten, sonst nichts. A. Wisbeck 


Das Beweisstück (K. Heiligenstaadt) 





„Natürlich hast du meine Flanellhose auf dem Markt angehabit, Elli. Als ich im 
Amt niesen mußte, habe ich die Zwiebel mit dem Taschentuch rausgerissen!"* 


Corpus delicti: *"Naturalmente, Elly, avevi indosso. al mercato i miei calzoni di flanella! 
Quand' io in ufficio dovetti starnutare, ho tirato fuori la cipolla insieme al fazzoletto da naso!,, 


290 


DER MAGISCHE BALKON 


VON PETER SCHER 


Das geschah vor einer Ewigkeit, als Ich noch eine 
Sömtjacke trug und mit Ungestüm immer drauf und 
dran war, Irgendeinen Himmel zu erstürmen. Ich 
hatte in einem grünumlaubten Berliner Vorort eine 
Wohnung, zu der ein Balkon gehörte, der nach 
Süden lag — ein Wunder von einem Balkon, denn 
er lief an drei Zimmern lang, und man konnte, wenn 
man wollte, aus jedem Fenster auf ihn hinaus- 
steigen. 

Mit diesem Stolz des Hauses hatte es eine ganz 
merkwürdige Bewandtnis. Sein Anblick wirkte so 
bezaubernd, daß manche Besucher sich nur mit 
Aufbletung aller Kräfte von ihm losreißen konnten. 
Einige wurden sögar derart überwältigt, daß sie 
bleiben mußten, ob sie wollten oder nicht. Ja, es 
war ihnen sogar einerlel, ob ich wollte oder nicht 
— so hinreißend wirkte der Zauber dieses Balkons. 
Ich entsinne mich des Italleners Angelo, eines tem- 
peramentvollen Herrn, den ich in Venedig am Lido 
kennengelernt hatte, wo er mir an einem afrika- 
nisch glühenden Tag, da wir wie todmatte Karpfen 
auf dem Sand schmachteten, melodisch röchelnd 
seine Lebensgeschichte anvertrauto, Er war übri- 
gens Musikant und blies von Berufs wegen inirgend 
so ein gelbes Instrument. 


Rhabarberliedchen 


Vor einem Gärtnerladen 
Sah ich den dicken Gnom. 
Wollt man Gelehrte fragen, 
Sie würden einem sagen: 
Das ist ja von’ Rhabarber 
Jawohl ja, von Rhabarber, 
Von Rheum ein Rhizom! 


Idı packt" den Gnom beim krausen Haar, 
Gab von sich keinen Ton. 

„Was kost' denn der Rhabarbermurz?“ 
Fragt icı die Frau im blauen Scurz — 
„Adh, zahlt ihr mir fünf Groschen 
Jawohl ja, nur fünf Groschen, 

So geb ich ihn euch schon!“ 


Ihr Gnome liebt nicıt sehr die Luft, 
Im Erdreich haust ihr tief! 

Idı grub ihn mit dem Spaten ein, 
Warf audı nodı etwas Mist hinein, 
Jetzt kannst du Süfte saugen, 
Jumohl ja, Säfte saugen 

Mit deinem Mäulchen schief! 


Der Gnom dankt mir mein weises Tun, 
Saugt sich voll Erdenkraft — 

Uralt Alaunerinnern 

Kommt ihm in seinem Innern, 

Sein Drang geht nun zur Sonne, 
‚Jamohl ja, nun zur Sonne, 

Bis er es hat geschafft! 


Schau Kind, das runzlich Blältdıen 

Als wie dein Händchen klein, 

Das mwudıs aus seinem Gnomenkopf, 

Das trieb aus seinem krausen Schopf. 

Bald ist es suppenschüsselgroß, 

Jamohl ja, suppenschüsselgroß. — 

Dann setz’ idı didı hinein! 
HKAMMERER 


Verlag und Druck: Knorr & Hin 
Vorantwortt, Schriftloiti 








önstalten entgegen. — Bezugsproise: Einzelnummer 30 


Himmel, wie war, doch dieser südliche Mensch be- 
nommen, als ich ihm von meinem Balkon erzählte. 
„Fünfzehn Meter lang — o mamma mial” rief er. 
„Und dies In solcher Nöhe der Hauptstadil Ich 
werde kommen, ich werde sehen, ich bitte um 
Adresse!” 

Nun gut, Ich schrieb ihm Straße und Nummer auf, 
dabei denkend: Nie werde ich dich wiedersehen, 
mein guter Angelo! 

Hoho — wie lächerlich hatte ich da die geheimnis- 
volle Anziehungskraft meines Balkons unterschätzt! 
Zwei Jahre später klingelt es eines Tages, und wer 
steht vor mir? Angelo, der Venetianer, Er hat nur 
ein winziges Köfferchen In der Hand, und unterm 
Arm trägt er In einem schwarzen Tuchfutteral die 
unvermeidliche Trompete. 

„Amico mio”, jauchzt er, mich umarmend, „da bin 
ich, gekommen zu sehen un grande balcone, wo, 
bitte, wo ist?“ 

Ich führte ihn hinaus. 

„Madre di dio!” jauchzte er und fuhr geblendet zu- 
rück — „dies sein eine immlische Balkon! Che beilo. 
— bellissimo — ick nicht sprechen — meine Herz 
kaputt von bellezzal”“ 

Das Wunder wirkte so überwältigend auf sein ent- 
zündliches Gemüt, daß er um Gastfreundschaft bit- 
ten mußte — zunächst für vierzehn Tage. 

Als diese Zeit um war, erklärte er unter Tränen, daß 
der Gedanke, von dom Balkon scheiden zu sollen, 
ihm das Herz zerreiße, = 

Ich bat ihn, länger zu bleiben; ich wollte denn doch 
die Schuld an seinem frühen Untergang nicht auf 
mich nehmen. 

Er dankte gerührt und richtete sich wohnlich ein. 
Nun begann ein romantisches Treiben in der Woh- 
nung mit dem zauberhaften Balkon. Der Himmel 
mag wissen, wie Angelo auf den Gedanken verfal- 
len war, beim Nahen bestimmter Gewalten in seine 
Trompete zu stoßen. Er tat es einmal hell und 
schmetternd, wenn der Geldbriefträger erschien 
und zweimal düster klagend, sobald sich der Ge- 
richisvollzieher zeigte. 

Die düsteren Klönge waren aber leider in der 
Überzahl. 

So lebten wir dahin, bis sich nach vier Wochen 
eine zweite romantische Persönlichkelt einstellte, 
ein philosophierender Bäckergeselle namens 
Schlagintweit, aus Bayern gebürtig. Diesem Jüng- 
ling war nicht verborgen geblieben, daß mein 
Name dann und wann in den Zeitungen stand; aber 
vor allem waren ihm Wunderdinge von meinem 
Balkon erzählt worden. Da hatte er sich denn auf- 
gemacht, um mich zur Durchsicht eines Manuskrip- 
tes zu bewegen, das den vielversprechenden Titel 
trug: Über die vierfache Wurzel des Mythos vom 
Sterben. 

‚Aber in der Hauptsache wollte er doch den Balkon 
sehen dürfen. 

Na denn mit Gott, ich führte ihn hinaus, wobei ich 
bemerkte, daß ich seine Abhandlung gelegentlich 
überfliegen würde, Aber er schien mich kaum zu 
hören — er sah nur den Balkon, den magischen 
Balkon, der zwei geißblattumwucherte Lauben auf- 
wies, an jedem Ende eine. 

Da wußte ich, es hatte auch ihn gepackt, und wir 
einigten uns, daß er bleiben solle, bis Ich mit der 
Durchsicht seiner Abhandlung fertig wäre. 

Der junge Mensch aus Bayern richtete sich also in 
der einen Laube ein, der Venetianer In der andern, 
und beide erzähiten sich ihre Lebensgeschichte, 
wobel sie froh und unbekümmert meine Zigaretten 
rauchten. 

Ich kochte mittlerweile für uns alle. Es war ein un- 
gemein romantisches Treiben. 

Über Schlagintweit ist noch zu bemerken, daß er 
wegen seines verworrenen Philosophierens von 
einem Bäckermeister In der Provinz davongejagt 
worden war. In der Einfalt seines Herzens hatte er 
sich sogleich nach der Reichshauptstadt aufge- 





Kommanditgosellschaft, München, Sondiinger Straße & (Foinruf 1296). Briofanschrift: München 2 BZ, 


Pl.; Abonnement im Monat 


tüllungsort 


macht, um hier mit Philosophieren sein Brot zu er- 
werben. 

Zwei volle Monate dauerte dieses romantische 
leben, dann versiegte es, wie alles Schöne, 
plötzlich. 

Der tönereiche Angelo hatte durch seine vielen 
schwermütigen Trompetenstöße vom Balkon die 
Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gelenkt. Er 
wurde vorgeladen und bekam wegen Ruhestörung 
einen Verweis und den Rat, den Ort zu verlassen, 
Ich sehe ihn noch, wie er zum letztenmal auf dem 
Balkon stand und seinem gelben Instrument ein 
wehmütiges Adaglo entlockte. 

Bald darauf nahm es auch mit Schlagintweit ein 
Jähes’Ende. Ich kam gerade noch zur rechten Zeit, 
um die Aufwärterin vor ihm in Schutz zu nehmen. 
Der Unselige hatte, durch mein ablehnendes Ver- 
halten gegen seine Philosophie zum äußersten ge- 
trieben, der unbescholtenen Frau bereits denersten 
Absatz aus der „Vierfachen Wurzel des Mythos 
vom Sterben“ vorgelesen, 

Da gebot Ich ihm Einhalt, worüber er — zu meinem 
Leidwesen muß Ich es sagen — auch noch grob 
wurde und mich des Unverstöndnisses zieh, 

„Wenn nicht der Balkon wäre...” sagte er, und ich 
entnahm dem Beben seiner Stimme, wie schwer 
es ihm fiel, zu scheiden. Da ließ ich auch ihn in 
Frieden ziehen. 

Mein Gott, wie lange ist das her und doch wie un- 
vergessen ist es. Was war das für ein magischer 
Balkon! 








LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0, Nückel) 





Mein Sohn kommt von einer Kaperfahrı durch das 
Bergdorf, das Ihm nun schon Heimat geworden ist, 
aufgeregt und begeistert zurück. 

„Wo hast du so lange gesteckt?" frage ich streng. 
„Bei Hans”, sagt er. „Der hat Theater gemacht, Au, 
das.war fein!” 

„Theater —?“ Ich wittere unangenehme berufliche 
Anspielungen. Wie sich ergibt, mit Recht, „Und wie 
hat er das gemacht?” 
„Er klaut sich 'n Ei, un 








nn legt ers, un denn 


gackert er ganz furchtbar.” KL 
* 
Zur Ab-und Notwehr gegen die Fliegen, die sich 





einem während des Nachmittagsschlafs auf die 
Nase setzen, hatte ich über meinem Schreibtisch 
einen jener bekannten, abschoulichen, aber zweck- 
mäßigen Klebestreifen aufgehängt. Mein Sohn, 
fünfjährig, beobachtete die mörderischen Erträg- 
nisse des Fliegenleims mit der uns allen eigenen 
Mischung aus Gruseln, Jagdeifer, Schadenfreude, 
Da kam eine Wespe, trunken vom nach mensch- 
licher Auffassung unrechtmäßig geschleckerten 
Honig, zum offenen Fenster hereingeschwirrt und 
stürzte sich, neuen Genüssen nachjagend, auf 
den Fliegenfänger. Sie merkte sogleich, wie es 
damit bestellt war, riß sich mit einem wütenden 
Ruck los und wollte eilends wieder zum Fenster 
hinaus. Aber der verderbliche Leim hatte ihrem 
Flug die Sicherheit genommen; sie streilte die 
Scheibe, blieb hängen und zog, hilflos krabbeind 
und mit vergeblichem Flügelgesumm, eine kleb- 
rige Spur über das Glas. 

Mein Sohn, beobachtete grüblerisch den lehr- 
teichen Vorgang. Aus seinem erwächenden Hirn 
rang sich eine allgemein gültige Erkenntnis los 
und fand eine überraschend aphoristische Prägung: 
„Wir Menschen können sowas abwischen.” 





lach, 





Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nehmen allo Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfto und Post- 
RM. 1.20. — Unvorlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, 
Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. 





. wenn Porto beillegt. — 
lünchen. 


Kidnapper und GPU. in USA. 


(0. Gulbransson) 





„Aha, der Herr Kollege ist auch geschäftlich unterwegs! Und wen wollen Sie verschwinden lassen?" 


Kidnapper e GPU. negli USA.: “Ah ... anche il signor collega in giro per affari! E chi volete far scomparire2,, 


292 


München, 26. Mai 1943 . 
48. Jahrgang / Nummer 21 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





(Wilhelm Schulz) 


Britannias Sorge 





„Mein Hausarzt Maiski rät mir dringend zu einer Badereise nach dem Kontinent! Ich fürchte aber, ich bin für die Fahrt zu schwach!“ 


Apprensione di Britannia: “Il mio medico di casa Maiski mi consiglia urgentemente di 
andare al bagni nel continente; io perö temo d'esser troppo debole per tal viagglol,, 


Galavorstellung - Roppresentazione di gala 


Gespräche der Maler 
Von Walter Foitzick 


Auf dem Gymnasium habe ich in der Literatur- 
geschichte den Titel eines Buches gelernt, der 
lautete: „Gespräche der Malern‘, 

Wenn ich mich recht entsinne, hat das einer In 
der Barockzeit geschrieben und es muß ein wich- 
tiges Buch gewesen sein, sonst hätten wir nicht 
den Titel gelernt. Ich hätte ihn auch schon längst 
vergessen, wenn die Maler nicht jenes aufregende 
„N“ am Schluße gehabt hätten. Nach meinen Er- 
fahrungen möchte ich aber doch zweifeln, ob alles 
in dem Buche drin gestanden ist, was Maler so 
miteinander reden. 

Ich habe da meine Erfahrungen. Ich komme oft 
mit Malern zusammen. Sie sitzen am Künstlertisch, 
und die andern Stammgäste ringsherum wissen, 
daß hier die Maler sitzen, und sie ahnen, daß in 
diesen Leuten ein inneres Feuer glüht und daß 
ihre schönheitstrunkenen Augen, wenn sie nicht 
zufällig auf einem Kalbsgulasch ruhen, in unbe- 
kannte Fernen tauchen, ins Ultramarinblaue, wo 
das schaumgeborene Aktmodell sich dem Zink- 
weiß der Wellenköpfe entwindet. Weltferne 
Schwärmer, diese Maler, denken die Herren am 
Nebentisch, Immer den Drang nach dem schönen 
Schein im Herzen. Stimmt! Ich weiß sogar, daß 
derschöne Schein häufig ein Tausendmarkscheinist. 
Wollt Ihr sie deswegen schelten? Ein tolles Volk, 
dieses Malervölkchen, stets zu mutwilligen Bil- 


An 


A 





derpreisen aufgelegt. Sie schwärmen von Anstel- 
lung und Staatsaufträgen und auf Goldgrund träu- 
men sie sich einen Mäzen, einen rest pastosen. 
Ich habe in den Briefen Michelangelos gelesen —, 
was steht drin? Da steht geschrieben, daß er stets 
knapp mit Kleingeld war, und daß der Papst 
Julius Il. so knickrig gewesen ist. Und in Albrecht 
Dürers Briefen habe ich gelesen, und viel schreibt 
er da von Bilderpreisen, und daß die Leute für 
Kunst kein Geld ausgeben wollen. 

Bestimmt aber weiß ich, daß, wenn Michelangelo 
abends an seinen Stammtisch im Borgo, hinter 
dem Vatikan, kam, er über Julius massive Worte 
gesprochen hat, wie sie sicher nicht in den „Ge- 
sprächen der Malern“ stehen. Von Dürer aber ver- 
mute ich, daß des öfteren seine Eheliebste, die 
etwas unaromatisch war, zu Ihm gesagt haben 
wird: „Albrecht, du bist jetzt auch in dem Alter, 
wo man eine Staatsanstellung bekommen könnte, 
sprich doch mal mit Pirkheimern, er soll den Rats- 
herrn, der das Ressort für Olmalerei innehat, auf 
dich aufmerksam machen. Schließlich ist es doch 
nicht notwendig, daß immer nur die Kitschiers die 
schönen Stellungen bekommen.” Dürer. aber-wird 
seinen gepflegten Bart gestrichen und gesagt ha- 
ben: „Liebe Agnes, du hast wohl gesprochen, aber 
leider sitze ich nicht mit dem zuständigen Refe- 
renten am gleichen Stammtisch, obwohl ich in- 
wendig voller Form bin. Übrigens werde ich doch 
einmal mit Pirkheimern reden.” 

Aber sowas schreiben die Kunsthistoriker aller 
Zeiten nicht auf, 


294 


0. Hogenbarth) 


Der Forellenfischer 


Der Donner hat geknallt, 

Rot schrieb der Blitz sein Zeichen. 
Die Buchen und die Eichen 

Stehn regenfeucht erfrischt. 


Es ist, als hätt der Wald 

Sich Sommerstaub und Müdigkeit 
Aus dem Gesicht gewischt. 

Und wiederum der Kuckuck schreit. 


Wer jetzt Forellen fischt, 

Kommt leicht zu seinem Ziele: 
Denn der sich an den Köder drängt, 
Dann blitzend an der Angel hängt, 
Der nasse Fisch, 

Liegt bald gebraten auf dem Tisch. 


So brich das Brot und trink den Wein 
Und lob den Tag im Abendschein — 
Es folgen ihm noch viele. 


GEORG BRITTING 


Träumerei DC Heltigenitasctt 





„Wie nett Albert das wieder gesagt hat: ein hübsches Bein und ein 
reines Herz, dann kann ich auf jeden Büstenhalter verzichten!‘ 


Vaneggiamento: "Che belle parole ha detto di nuovo Alberto! ... ‘Con una 
graziosa gamba e un cuore puro posso ben rinunciare ad ogni reggipelto!,,, 


295 


DER BRAND 


VON KURT GROOS 


Wenn ich manchmal des Abends durch den Schloß- 
park schlendere, und wenn ich dann die Kinder- 
mädchen mit den kleinen weißen, frischgestärkten 
Schürzen sehe, dann muß ich an Edith denken, ob- 
gleich sie meinem Gesichtskreis schon seit dreißig 
Jahren entschwunden ist. 

Ja, damals waren die Zeiten wohl zu ruhig, und 
die Leute erfanden sich etwas, damit sie hin und 
wieder mal ins Gruseln kamen. Und Edith glaubte, 
was die Leute erfanden. 

Dieser aufregenden acht Tage vor dreißig Jahren 
entsinne ich mich noch ziemlich genau, Irgend- 
einer hatte prophezeit, daß die Welt an dem und 
dem Tag abends um acht Uhr untergehen würde. 
Es war eine große Spannung und Angst und Auf- 
regung In der Welt, besonders unter den Kinder- 
mädchen und ihresgleichen, die fest an den Welt- 
untergang glaubten, 

Am achten Tag der Prophezeiung ging Edith mit 
uns Kindern im Schloßpark spazieren. Sie ängstigte 
sich und uns in einem fort und redete von nichts 
anderem als von dem Weltuntergang. Trotzdem 
war das mit dem Weltuntergang vielleicht gar 
nicht das Schlimmste, das Schlimmste für Edith 
war wohl, daß es einige Stunden vor dem Unter- 
gang in Sagehorns Holzmühle zu brennen begann; 
ein Großfeyer, von dem mänche Leute noch Jahre- 
lang sprachen, Dieses Feuer hat unsere Stadt 
gewissermaßen berühmt im weiten Umkreis ge- 
macht. 

Edith war zur Zeit des Weltunterganges sieb- 
zehn Jahre, und ich sah einmal, wie sie eine 
Photographie küßte. Es war ein Photo des Brief- 
trägers Stolbrink, der später Karriere machte und 
Briefmarken hinter einem Schalter verkaufte. Mit 
diesem Briefträger warEdith heimlich verlobt, man 
sprach schon von der nah bevorstehenden öffent- 
lichen Verlobung. Man war voll des Stolzes über 
Herrn Stolbrink, und mit Recht, denn später machte 
er ja die Schalterkarriere, Aus den Gesprächen 
meiner Eltern hörte Ich, daß Stolbrink das große 
Los für Edith war, und mehr äls einmal wurde sie 
ermahnt, sich seiner würdig zu zeigen. Kinder 
sind besonders kritisch und grausam; aber Ich 
muß sagen, daß Ich an Stolbrink nie einen Makel 
entdecken konnte. Alle seine Handlungen waren 
auf Korrektheit und darauf ausgerichtet, seinen 
über ihm stehenden Mitmenschen zu gefallen und 
den unter ihm Wandelnden ein Vorbild zu geben. 
Einmal beobachtete mich Herr Stolbrink, wie ich 
einen Groschen fand, für den ich mir 
Süßigkeiten kaufen wollte. Er redete so 
lange eindringlich und quälend aufmich 
ein, bis er mich dazu gebracht hatte, 
den Groschen meinenEltern abzuliefern. 
Das war Herr Stolbrink. Damals merkte 
ich schon sehr genau, daß Ediths Ge- 
dänken um den Weltuntergang nicht In 
erster Linie der Sorge um das eigene 
Fleisch entsprangen; es waren die Ge- 
danken an den möglichen Verlust des 
Briefträgers Stolbrink, die ihr die Tage 
vor der Katastrophe verdüsterten. 
Aber dann war auf einmal vor lauter 
Aufregung der Weltuntergang verges- 
sen; hinter den hohen Baumkronen des 
Schloßparkes flammte es rotknisternd 
auf — Sagehorns Holzmühle lohte wie 
eine ungeheuere Fackel zum Himmel 
empor. 

Die Menschen rannten mit seltsam ge- 
spannten, mir damals grausam vorkom- 
menden Gesichtern zum Brandherd. 
Auch Edith, meine Geschwister und ich‘ 
standen bald zwischen der schweigen- 
den, unheimlich starrenden Menschen- 
menge. Ich fürchtete mich und war 
gleichzeitig unter einem bisher unbe- 
kannten, lockenden Bann. Meine kleine 
Schwester weinte, aber nicht, weil sie 


sich ängstigte; sie wollte von Edith auf den Arm 
genommen werden, um alles besser sehen zu kön- 
nen. Zweimal knallte es kurz hintereinander, und 
manche duckten sich feige zusammen, und ein 
Mann neben uns sagte, es seien Benzinfässer 
explodiert. Ein anderer erzählte gleich darauf, 
daß in der Holzmühle viel Sprengstoff lagere, und 
wir wohl alle in die Luft fliegen würden. Bei 
diesen Worten duckten sich die Umstehenden 
wieder, ihre Gesichter erschienen mir noch ängst- 
licher und grausamer, .aber keiner wich von der 
Stelle. Es war ein schaurig-schöner Brand, und 
als wir uns alle etwas daran gewöhnt hatten, 
schaute Ich mich um und sah, daß Ediths Gesicht 
leuchtete und glühte; sie ließ den Mund ein wenig 
offen stehen, obgleich sie uns Kindern das jedes- 
mal verbot. 

Als der Brand seinen Höhepunkt erreicht hatte, 
kamen zwel Feuerwehren. Ich hätte damals alles 
gewettet, daß keiner von diesen beherzten, diesen 
tollkühnen Männern wieder aus den Flammen zu- 
rückkehren würde. Doch schon einige Stunden 
später spielten sie alle Mann Skat im „Prinzen 
Heinrich“ und tranken große Bierkrüge aus und 
ließen sich feiern. 

Die seltsame Wende In unseren Kreis aber brachto 
August Ramsloh, sonst ein einfacher Eismann, heute 
aber ein Titan. Er war, gerade als der Brand be- 
gann, mit seinem Elsfuhrwerk vorbeigekommen 
und hatte unter den Gaffern als erster angepackt. 
Er verließ seinen Posten zwischen den Flammen 
erst, als die Feuerwehr ankam und die beste 
Arbeit fortnahm. 

Noch Jahre nachher habe Ich mir alle Helden wie 
August Ramsloh vorgestellt: jung, stark, erhitzt, 
die Haare zerzaust und angesengt, den Leder- 
schurz voll Ruß und Mörtel, auf dem linken Hand- 
rücken eine blutende Rißwunde. So kam August 
zu uns. Die Menge machte eine Gasse, eine Gasse 
dem Großen, dem Verwegenen. August ging 
schnurstracks auf Edith zu; diese Auszeichnungl 
Er begrüßte Edith, und sie, die ihn sonst nicht 
ansah, weil Herr Stolbrink das nicht litt, grüßte 
wieder und bekam ein unruhiges Gesicht, 

„Was zu machen ist, ist gemacht”, sagte August 
Ramsloh großartig, „lassen wir den Rest der alten 
Bude jetzt ruhig zu Ende brennen!” Er schlenderte 
bei diesen Worten ein wenig vom Brandherd 
weg, und Edith und wir Kinder folgten ihm. Wir 
gingen immer am Rande des Schloßparkes her, 
der im Süden übergeht in die Koppeln; dort ist 
es ganz einsam. August Ramsloh redete In seiner 
sicheren, starken Art ein auf Edith, und Ich sah, 
daß Edith energisch den Kopf schüttelte, aber 
nur im Anfang. Nachher nickte sie ein paarmal 


DENN DU BIST ICH 


Von Herbert Lestiboudois 


Du wirst aus meinem Wesen niemals weichen, 
Du grauer, stummer, namenloser Schalten, du, 
Denn du bist idı — und ich muß dir nun immer gleidıen 
In allem, was ic denke, tradıte, tu. 


Zwei Jahre ist dein Schritt mit mir gegangen, 
Und als der Tod didı schlug, da gingst du in midı ein, 
Und deine Dunkelheiten, die zum Lidıte rangen, 
Das werden meine Dunkelheiten sein. 


Idı seh’ didı.nodcı in einer Nadıt des Grauens — 
Du fragtest: „Was ist Got?“ — und rings dieErde barst — — 
Seitdem ward unser Aug' des Ineinanderschauens 
Nie müde mehr, solange du lebendig warst. 


So haben wir uns tief in uns hineingesehen, 

Und ich bin du gervorden, da du nicht mehr bist, 
Und deine dunklen Fragen, die durdı meine Seele gehen, 
Sie ruhen nicht, ch dafß es Tag geworden ist. 


296 


und seufzte, und August Ramsloh umfaßte sie mit 
seinen starken Armen, so daß die weiße Schürze 
beschmutzt wurde, was Edith sonst nie geduldet 
haben würde; schon gar nicht von August Rams- 
loh, der mal verächtliche Bemerkungen über den 
Briefträger Stolbrink gemacht hatte. 

Es roch Überall nach Brand, nach Brand und Früh- 
ling. Als die Koppeln mit den dichtbewachsenen 
Knicks vor uns lagen, tat August Ramsloh etwas, 
das Ihn In meiner Achtung noch höher steigen 
ließ. Er schenkte mir eine Mark und sagte, dafür 
möge ich mir und den Geschwistern einiges beim 
Zuckerbäcker holen. Nachher sollten wir alle 
drei wiederkommen und hier auf der letzten Bank 
am Südflügel des Parkes uns hinsetzen und war- 
ten, bis er und das Fräulein Edith zurückkämen; 
sie wollten beide noch einmal zu Sagehorns 
Mühle, 

Ich beschloß, August Ramsloh zum Dank für die 
Mark die Hand zu reichen und eine Verbeugung 
zu machen, was ich sonst nur sehr ungern tat. 
Aber dazu kam es nicht, August packte mich wie 
ein Karnickel am Rockkragen und schwenkte mich 
hoch über seinen Kopf, daß mir die Luft ausging. 
Dann setzte er mich ganz vorsichtig nieder und 
lachte, 

Das war August Ramslohl 

Das Letzte, was ich von August hörte, war die zu 
Edith gemachte Bemerkung: „Die Welt geht Ja 
heute sowieso unter, da Ist es schon gleich!” 
„Meinst du wirklich?” fragte Edith, und dann bogen 
sie in den Weg zu den Koppeln ein, und wir liefen 
zum Zuckerbäcker und holten für eine Mark Nasch- 
zeug, mehr als wir sonst im ganzen Monat zu 
sehen bekamen. 

Als wir wieder zur Bank zurückkamen — August 
hatte uns gesagt, daß Eile beileibe nicht not 
tue —, schlug es achtmal von der Georgikirche. 
Mir fiel ein, daß jetzt eigentlich die Welt unter- 
gehen müsse. Ich war enttäuscht, daß nichts ge- 
schah; vielleicht haben sich die Astrologen um 
einen Tag verrechnet, dachte ich. 

Endlich kam Edith zurück, Allein. Meine kleine 
Schwester war an meiner Seite eingeschlafen, 
und mein jüngerer Bruder spickte Tannenzapfen 
in den Sand hinter der Bank. 

Edith hatte ein ganz anderes Gesicht bekommen, 
viel größere und fremde Augen, auch der Mund 
war anders; ich war erstaunt und erschreckt dar- 
über. Wie im Traum setzte sie sich neben mich 
und sagte anfangs gar nichts. Wahrscheinlich 
hatte sie sogar vergessen, daß meine Eltern 
schimpfen würden, weil wir nicht um acht Uhr 
zum Abendbrot nach Hause kamen, 

Dann schlug die Turmuhr der Georgikirche wieder; 
dieses Mal neun Schläge. Edith proßte 
das Gesicht in Ihre Hände und legte 
sich ganz vornüber auf die Schenkel 
und sagte in einem: „Mein Gott, mein 
Gott, was nun?” 

Mir wurde unbehaglich zumute, ich 
schmiegte mich an sie, die solchen 
Kummer hatte, und ich fragte, um über- 
haupt etwas zu sagen, ob die Welt 
denn nicht untergehe. 

„Mein Gott, mein Gott", schrie Edith 
und preßte mich fest an sich, „komm, 
laß uns beten, daß sie nun wirklich un- 
tergeht — gütiger Gott, laß sie unter- 
gehen, laß sie untergehen!” — 

Die Welt ist nicht untergegangen, ich 
weiß nicht einmal, ob Edith unterge- 
gangen ist. Ich muß nur hin und wieder 
an sie und August Ramsloh denken, 
wenn ich des Abends die Kindermäd- 
chen mit ihren kleinen weißen, frisch- 
gestärktenSchürzen im Schloßpark sehe. 
Ich zürne in meinen Gedanken dann 
auch manchmal diesem August Rams- 
loh, weil Edith seinetwegen ihre Stelle 
bei uns verlassen mußte. Aber ich 
denke wieder freundlicher von Ihm, 
wenn ich an Stolbrinks Schalter die 
druckfrischen Briefmarken kaufe, die so 
makellos sind wie er selbst, 





Olaf Gulbransson, dem Siebziger 














Wie wird mir? Meine Pulse stocken ... 
Du thronst, umwogt von Silberlocken, 
die Krone sitzt ein bißchen scheps. 
Und huldigend zu deiner fete 
verneigen sich Geheimeräte 

und jubelt rückhaltlos der Plebs: 





Skribenten, düstersernst wie Pinien, 
orakeln über deine Linien 

und sezernieren Wisch um Wisch. 
Du aber sitzest stumm und fächelst, 
indem du wie ein Augur lächelst, 
den Bockmist lässig untern Tisch. 


297 


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„Heil, Fürst der Karikaturisten, 

in dessen Hirn die $päße nisten 

nach einem unerforschten Plan!“ 

— Gehüllt in deinen Krönungsmantel, 
als Szepter eine Zentnerhantel, 

hörst du den Sums gelassen an. 


Auf einmal wirfst du voller Tücke 

hoch in die Lüfte die Perücke 

und Kron und Mantel hinterdrein, 
reckst nackt die Glieder (Bilek, mal’ se!) 
und lachst und lachst aus vollem Halse, 


— Und so was will nun siebzig sein! 
Dr. Owiglaß 


Amerikanische Szene: Gerettet! - Scena americana: Salvate! 





(6. Brinkmann) 




























SCHNELL, 
EIN MESSER! 









ES WARE 
SCHADE UM DEN, 
GUMMI. 









PISTOLENDUELL 


Nur wenige Leute aßen um die Mittagszeit Im 
Grandhotel. 

Wer zahlı auch gern für ein schlichtes Schnitzei 
sieben Silberlinge? Tat er es dennoch, so mußte 
seine Brieftasche wohl gespickt sein und seine 
Uhr aus purem Golde. 

So waren auch heute nur sechs Tische besetzt 
und zu einem dieser von einem einzelnen Herrm 
besetzten Tische trat plötzlich durch die Tür ein 
Herr, verneigte sich kurz und bat. 

„Dart ich Ihre Liebenswürdigkeit eine Minute In 
Anspruch nenmen?” 

„Bitte? Worum nandeli es sich?” 

„len definde mich In eine: entsetzlichen Ver- 
legennelt” 

„Geldlicher Art?“ bemerkte der andere Ironisch 
Der Fremde winkte ab 

„Nein — nein — wonn es nur das wärel Dann 
würde ich mich nicht an einen mir völlig tremden 
Herrn wonden. Es handelt sich um ein Duell,” 
„Ein Duell?” 

„)d. Ich habe heute nachmittag ein Pistolen. 
duell” erklärte der Fremde „Ich bin erst gestern 
in dieser Stadt angekommen und kenne keinen 
Menschen, der mir die Ehre eines Sekundanten 
erweist” 

„Abeı Sie brauchen doch zwei Sekundanten?” 
De: Mann in der Notlage nickte: 

‚Eben. Sie wären der eine und der zweite könnte 


VON JO HANNS ROSLER 


ein Freund von Ihnen sein. Sie haben doch Ehren- 
männer unter Ihren Freunden?” 

„Erlauben Siel" 

„Ich wußte es“, sagte der Fremde und stellte 
sich vor, 

Auch der Her am Tisch hatte sich erhoben 
„Tibor Tilden“ nannte er seinen Namen 


Als die beiden Freunde und det Duellant in dem 
kleinen Gehölz ankamen, das als Kampfstötte ver- 
einbart war. warteten dort bereits drei Herten. 
Die Duellanten traten abseits währeng sich die 
vie: Zeugen miteinander bekannt machten Sie 
schienen wohl alle noch an keinem Duell teil- 
genommen zu haben. denn jeder achtete sorglich 
darauf, was der andere tat, um es ihm genau 
nachzutun. Alle vier waren durch offensichtliches 
Wonlleben ein wenig beleibt und unbeholfen und 
es stellte sich bald heraus. daß auch die Sekun- 
danten des Gegners In ähnlicher Weise erst in 
letzter Minute geworben worden waren Einer vor. 
ihnen übernahm das Ami des Unparteiischen. 
„Der Beleidigte hat die Wahl der Waffen!“ 

Die Duellanten wählten sich ihre Pistolen. 

„An die Plätze, meine Herren!“ 

Die beiden Gegner gingen auf ihre Plätze, 
„Einsi" 

Sie kehrten sich den Rücken 

„Zweil” 


298 


Die Pistolen hoben sich 

„Dreil” 

Kein Schuß ertönte. 

Die beiden Duellanten schritten mit erhobener 
Pistole aufeinander zu. In der Mitte trafen sie 
sich, machten eine scharfe Rechtswendung und 
gingen direkt mit entsicherter Pistole auf die vier 
Sekundanten zu. 

„Dürfen wir um die goldenen Uhren bitten!”, 
sagte der Herr, der zu Tibor heute mittag an den 
Tisch getreten war, „ebenso zeigen wir Interesse 
für goldene Ringe, Tabatieren und Ihre Brief. 
taschen, meine Herren! Auch auf Krawattenncdain 
verzichten wir nicht” 


Die vier Geprellten gehorchten zitternd, 

Gegen entsicherte Pistolen läßt sich nicht mit 
Fäusten fechten. 

Tibor Tilden warf ihnen seine Brieftasche wütend 
vor die Füße. 

„Verlogenes Gesindell”, zischte er. 

Der Andere hob die Brieftasche auf und schüt- 
telte den Kopt. 

„Wit haben nicht gelogen, mein Herr", sagte eı 
sanft, „zwischen diesem Herrn und mit besteht 
tatsächlich eine Duellforderung Schon seit Jah- 
ren Aber stets. wenn wir unser Duell austragen 
wollen. ergibt sich immer wieder eine so gute 
Gelegenheit wie heute — —" 


Ausgleich (R.Krloseh) 


„Ach, Paul, Männer können eben nicht so stark lieben wie Frauen!" — „Nee — nee — aber öfter!“ 


Compensazione: Ah, Paolo, giä gli vomini non sono capaci di amare sl forte come le donne!,, — “No ... no... pil spesso peröl,, 


299 





BIERZTZIEGENBOERTSIEBLEAR 


Den Juli 1939 verbrachte ich im Gebirge, hoch 
droben, fern in der Einschicht, dort, wo es noch 
echte Butter und echte Bauern gibt. Die Bauern 
kannte ich alle seit Jahren schon. An Regen- 
tagen — die hier zwar gemäß Verkehrsvereins- 
propaganda selten wie in der Sahara waren — 
besuchte ich meine Freunde in den weitum ver- 
streuten Höfen und half ihnen bisweilen bei allor- 
hand schriftlichen Arbeiten, da es sich mit der 
Zeit herumgesprochen hatte, daß ich zur Gilde 
der sogenannten „Tintenschreiber” gehörte. Als 
geübtem Fragebogenschützen fiel mir denn auch 
die gewisse Formulartistik nicht allzu schwer. Be- 
sonders gern besuchte ich damals den Hof des 
Kendibachers und bearbeitete seine Fragebögen 
mit einer ausführlichen Gewissenhaftigkeit, ja mit 
der Akribie des Wissenschaftlers, die jedes ge- 
wiegte Amtsorgan entzücken mußte. 

Dort beim Kendlbacher hatte sich 1939 ein reizen- 
des Wesen eingemietet. Fräulein Ella. Daß sie 
mir nicht gleichgültig war, ließ sich sehr rasch 
und zweifelsfrei feststellen. Daß ich ihr nicht, 
durfte ich aus gewissen Anzeichen hoffen. 

„Ach, Sie sind so geschickt”, bat Ella eines Tages 
mit einem Augenaufschlag, für den Ich ihr sogar 
den Großen Ariernachweis auszuarbeiten ver- 
sprochen hätte, „könnten Sie mir nicht diese paar 
Formulare ausfüllen?“ 

Ich war glücklich. 

Es galt nun nur, ein schickliches Mittelmaß zu 
finden, das ermöglichte, Ellas liebe Nähe lange 
zu genießen, anderseits aber auch durch fixes 
Tempo meine geistige Wendigkeit in entsprechend 
vorteilhaftes Licht zu rücken. 

Leider fand ich das nicht. Die Gegenwart der 
ontzückenden Kleinen verwirrte mich im Vereine 
mit dem Wust ihrer und des Kendlbachers Formu- 
lare, Ich trug in Ellas Fragebogen unter die 
Rubrik „Fremdsprachliche Kenntnisse’: „Bei Grün- 
futter täglich 8,5 Liter‘ ein und In die Stammrolle 
der Kuh „Enzian“ unter „Durchschnittlicher Milch- 
ertrag”: „Französisch; 4 Jahre Lyzeum‘’ Da waren 
die unersetzlichen Bögen verpaizt. Sie heulte 
und nannte mich einen Idioten. Ich schied ver- 
zweifelt und wäre nicht dort die Höhenluft so 
anerkannt gesund, vielleicht hätte mir der Kum- 
mer das Herz gebrochen. 

So schwer machen wir Menschen uns das Leben. 
Wie glücklich hötten wir zwei sein können, Sie 
wollte was von mir und ich was von ihr. Es war 
nur nicht dasselbe. Dichter nennen das Tragik. 
Und dabei hätte mein Anliegen keines einzigen 
Fragebogens bedurft... 

‚Am nächsten Tag, Sonnabend, tauchte ein gewis 
ser Herr Egon auf. Egon trug zu engerlingfarbenen 
Knien einen blaubedruckten Leinenjanker. Vom 
spitzen Strohhut wippte eine kacke Feder und am 
Hosenträger stand gestickt „Seppl hoaß I", was 
wegen offenkundiger Falschmeldung polizeilich 
bestraft gehörte. 

„Gonnerll” jubelte Ella und fiel Ihm um den Hals, 
wozu Egons Nacken in ausgedehnter Welse Ge- 
legenheit bot. 

Mich quälte Eifersucht schlimmer noch als rote 
Ameisen In der Lederhose. Ich irrte planlos um- 
her, haderte mit Gott und der Gegend und plötz- 
lich klärte sich mein Blick, ich sah wieder die 
Grate und Spitzen, das freundliche Tal mir zu 
Füßen und im Norden die blau verdämmernde 
Ebene. Da ward mir Ella so grenzenlos wurscht, 
daß ich ihr von Herzen den blauleinenen Gonneri 
gönnte, 

Um mich zu belohnen für meine neldlose Ent. 
sagung, bediente sich der liebe Gott eines Ziegen- 
bockes. 

Ich trat — wieder ganz mit mir im reinen — aus 
dem Wald auf den Almboden. Den stillen Frieden 
der Wildaueralm störte ein greller Fleck. Der 
Flock war blau. Und ich sah nicht mehr rot. Ella 


VON OTTO HOFMANN-WELLENHOF 


und Egon standen innig aneinander geschmiegt 
dort. Hinter Ihnen nahm ein wackerer Ziegen- 
bock — vermutlich in seinem Sinn für Harmonie 
durch die allzu schreienden Farben gekränkt — 
kurzen Anlauf. Er sehkte das würdige Gehör 
und preschte prächtig nach vorn. Egon riß Ella 
mit, Sie fielen ins Gras, sanft und weich — zu 
weich vielleicht, denn auf einer Alm weiden Kühe. 
Ich hob In stillem Dank meine Arme nach oben 
Im Tal rauschte der Bach und die weißen Som- 
merwolken trieb ein lustiger Wind übers „Birg“. 
Nun soll man aber nicht nur den ferne waltenden 
überirdischen Mächten Dank zollen, auch die 
Werkzeuge, deren sie sich bedienen, seien mit 
eingeschlossen. 

Den Ziegenbock kannte Ich. Es war Sedlak und 
er gehörte dem Wildauer. Ich hatte das kluge 
Tier bereits einmal fragebogenmäßig bearbeiten 
müssen, wobei sich gleich bei Punkt 1 „Name?” 
Schwierigkeiten ergaben. 

„Tauft ham ma Ihn net!” erklärte der Wildauer 
lakonisch, welche Auskunft In mir begrelfliche 
Bedenken und die Furcht vor unabsehbaren Kom- 
plikationen hervorrief. 

Ich betrachtete grüblerisch den ungetauften Bock 
Er wies mir seln Profil. Und wie ich so den lang- 
gestreckten Schädel, den dünnen Kinnbart und die 
etwas vorstehende Unterlippe sah. durchzuckte 
eine Jähe Assozlatlon meine Gedanken: aus den 
Tiefen der Vergangenheit tauchte das Haupt 
meines Physiklehrers Sediak auf, jenes Mannes, 
dem ich verdanke, in die Geheimnisse der At- 
woodschen Fallmaschine und des Papinschen 
Topfes eingeweiht worden zu . Und ich 
schrieb mit festen Leitern hinter 1: „Sedlak”, 
Hatte ich also damals bereits dem Trefflichen viel- 
leicht durch diese spontane Namensgebung einen 
Dienst erwiesen, so schien mir jene Tat für seine 
heutige Aktion doch nicht hinreichend zu sein. 
Was kann nun ein „Tintenschreiber“ für einen 











MORGENFAHRT 


Wild wälzt sich, aufgeschrekt vom Traum, 


ein Dorf auf seiner Lagerstatt. 

Ein Sdıloß treibt hin am Waldessaum 
Es kugelt mächtig aus dem Raum 

ein Berg, der keinen Halt mehr hat 


Die Straßen flattern lang und leer. 
Ein Teich wird aus dem Land gezerrt. 
Die Felder sdıleißen kreuz und quer. 
Die Zäune schwanken hin und her. 
Die Koppeln werden aufgesperrt 


Ein Schornstein wird hinwegbemwegt 

Ein Kirchturm treibt das Gleis entlang 
Ein Mädchen wird vom Feld gefegt 

Ein Baum am Badı wird umgesägt. 

Ein Strom zerbridıt mit schrillem Klang. 


Dodı dann grüßt alles, was enfscdımand, 
nodı einmal her als weite Sicht, 

als sammelte das wirre Land, 

dem Mensdıenherzen nah verwandt, 
sich voller Trost im Morgenlidht. 


K. M. Sdüller 
300 


Ziegenbock tun? Eine Eingabe machen, daß man 
ihn zum Ziegenoberbock ‚oder zum Oberziegen- 
bock ernenne?+Ist das statthaft? 

In schweren Gedanken wanderte ich heim, 

Ich suchte Ablenkung beim „Moarwirt“, trank ein, 
zwei Viertel Weißwein für das Gemüt und einen 
„G'spritzten” gegen den Durst und blätterte zer- 
streut In den Illustrierten, die offenbar bereits 
sehr eifrig von den Stubenfliegen gelesen worden 
waren. 

Das Bild eines majestätischen Ziegenbockes in 
Großaufnahme hielt mein Auge fest. Nach den 
heutigen Erlebnissen fühlte ich mich zur Lektüre 
der nebenstehenden Abhandlung verpflichtet. Ich 
erwartete, lediglich ein Loblied auf den Käse zu 
finden und eine Statistik über die hundertjährigen 
Bulgaren. Ach — das tat der, Verfasser in fünf 
Zeilen ab. Was aber dann folgte, ließ mir den 
Atem In banger Vorahnung stocken. 

Armer Sedlakl 

Da stand nun, daß es der Forschung gelungen sel 
aus den Ziegen weiß der Himmel was alles zu 
machen. Ich glaube, sie kommen gleich nach der 
Braunkohle. 

Aus den Klauen Zahnbürsten und aus den Hörnern 
Kämme, aus der Zunge Ochsenmaulsalat und aus 
den Zähnen Taschenuhren, aus dem Fell, aus der 
Haut, aus den Haaren, aus dem Blut, aus den Ein- 
gewelden — Parfüm konnte man aus ihnen ge- 
winnen, Benzin und Kognak mit 3 Sternen. Was 
sind wir Menschen doch dagegen mit unserem 
bißchen Leib und Seele für eine unrentable Kon- 
struktion! 

Bedrückt wanderte ich meinem Quartier entgegen. 
Armer Sedlakl Wer so viel Nutzen In sich birgt, 
des Leben und Freihelt ist von kurzer Dauer und 
ich beschloß, ihn zu retten. 

Schon tags darauf suchte ich mir beim Wildauor 
die Zweitschrift der Akte Sedlak heraus, setzte 
mich hin und beantragte, unverzüglich „Im Nach- 
hange zur Einreichung vom 17. ds.” eine Ergänzung 
in Spalte 15 „Bemerkungen” aufnehmen zu wollen, 
derzufolge „o. a. Ziegenbock Sedlak” unter Natur- 
schutz zu stellen sel. 

Dann kam der Krieg. Der Akt geriet in Verstoß 
und ich in. die Kaserne. Viele Monate später — 
wo waren Wildau, Kendibach und Sedlak? — 
sollte mir noch einmal das Geschehen dieser fer- 
nen Sommertage Jäh vor Augen treten. 

Ich wurde zum Gefreiten befördert und wir 
felerten die Beförderung weit außer unserer Stel- 
lung irgendwo Im Grünen. Zum Schluß packte 
mich unser fürsorglicher Spieß In sein Beiwagen- 
krad. 

Die Nacht war spät, die Nacrt war kühl, Das 
Krad ließ sich nicht anstarten. Der Spieß schimpfte 
gewaltig: „Heut’ bockt aber das Luderl” In die 
Nebelschwaden meines Feierzustandes leuchtete 
plötzlich das Wort „bockt” wie ein Blitz. 

„Das ist der Sedlak, Herr Hauptwachtmeister!” 
sagte Ich und machte aus Pietät Anstalt, den Bel- 
wagen zu verlassen. „Ich hab's ja gewußt, daß 
man einmal Benzin aus ihm machen wird. Sie 
haben Sedlak im Tank und darum bockt die Ma- 
schinel”” 

„Sedlak?“ fragte argwöhnisch der Hauptwacht- 
meister. „Was ist denn das für ein chemisches 
Zeug?“ 

„Das Ist kein chemisches Zeug”, belehrte ich ihn 
mit wehmütiger Stimme „das Ist ein Ziegenbock 
und aus dem haben sie jetzt Benzin gemacht.” 
Ein rechter Spieß führt den Ehrennamen „Mutter 
der Kompanie“, und so legte auch dieser liebe- 
voll seinen Arm um meine Schultern und sprach 
milde: „Schau, warum sollt’ das eigertlich nicht 
möglich sein, daß sie heutzutage aus einem Zie- 
genbock Benzin machen können, wenn es schor 
möglich. Ist, aus einem Rindviech einen Gefreiten 
zu machen!” — 


(Erich Schilling) 


Anregend 





„Mensch, Karle, hast du 'ne Arbeitswut!"‘ — „Klar! — Wo ick doch immer 
denke, ich treff mit jedem Schlag so 'n jottverdammten Plutokraten!' 


Ineitante: “Ehi, Carlo ... che furia di lavoro hai In corpo!,, — Si capisce! Penso sempre ad ogni colpo di battere su un maledetto plutocrate!,, 


301 


Du wähnst, hier oben auf den Höh’n 
sei’s klar und schön, ? 
und fliehst empört die Nebelschwaden, 
worinnen sich die Täler baden. 





Du wetterst auf den blauen Dunst. 
— Nun, mit Vergunst: 

hast du, als du heraufgeklommen, 
dich denn nicht selber mitgenommen? 


302 


(R. Siock) 


— 


sc 


Dein schwarz verräuchertes Gehirn, 

die Faltenstirn? .. . 

Erst gilt's, die eigne Stube fegen. 

Dann magst dich in die Sonne legen. 
Dr. OWLGLASS 


Der Pinguin - Il pinguino 


(Heh. Kloy) 








Nutzloses Vieh, man kann ja nicht einmal die Eier von dir essen!" 


„Gott sei Dank — ich lege eben Immer noch aus Idealistischen Beweggründen!" 


""Animale inutile! Nemmeno le tue uova sl possone mangiarel,, 
"Grazie a Dio! lo le depongo ancor sempre per soll motivi Ideali!,, 


ABEL MJÖLBYS BRIEFE 


VON ALEXANDER KELLER 


Frau Erika Varberg, die Gattin des Kapitäns Sten 
Varberg, der sich auf einer Auslandfahrt befand, 
gewährte Herrn’ Stenstorp einen Kuß. Zur Erinn. 
tung und zum Andenken. Sie küßten sich in der 
Abenddämmerung in den Trjelle-Anlagen am 
Sund, 

Als Frau Varberg, allein, die Trjell Anlagen ver 
ließ, folgte ihr Abel Mjölby, ein entlassener Ma- 
trose, der die Kußszene mitangesehen hatte. Er 
kannte Frau Varberg vom Sehen, ebenso auch 
den Kapitän Sten Varberg. Mjölby beschloß, aus 
seiner Kenntnis materiellen Vorteil zu ziehen. Frau 
Varberg fuhr in die Stadı und ging in eine Kondl- 
torei, in der der Reeder ihres Mannes, Herr 
Bolmsö, sich aufzuhalten pflegte, Herr Bolmsö war 
zufällig abwesend, und Frau Varberg wollte sich 
soeben entfernen, als sie in der Tür mit Frau Anita 
Malmböck zusammenstieß. 

„Was tust du denn hier?” fragte Frau Malmböck 
erstaunt, 

„Ich wollte Bolmsö fragen, ob er weiß, wann das 
Schiff meines Mannes ankommt”, entgegnete Frau 
Varberg. 

„Übermorgen früh”, sagte Frau Malmböck. „Ich 
erfuhr es heute. Setze dich doch zu mir, wir kön- 
nen dann zusammen nach Hause gehen. Was 
trinkst du? Tee? Kaffee?“ Sie bestellte zwei Tas- 
sen Tee. „Du siehst gut aus, Erika. Mir geht es 
elend schlecht, Ich habe die Empfindung, mein 
Mann betrügt mich.“ 

„Wirt ihn doch hinaus!“ entgegnete Frau Varberg. 
„Diesmal werde ich es auch tun”, sagte Frau 
Malmböck bitter. „Was tut er denn den ganzen 
Tag? Nichts! Er lebt von meinem Geld. Wenn ich 
ihm diesmal auf eine Untreue komme, lasse Ich 
mich sofort scheiden!" 

Mjölby hatte sich, in Verfolg seines Planes, so 
gesetzt, daß er jedes Wort, das die beiden frauen 
sprachen, hören konnte. Zwei Tische welter, an 
der Wand, saßen ein Herr und eine Dame, Der 
Herr versuchte, sein Gesicht hinter einer Zeitung 
zu verstecken. Er erregte den Argwohn Abel Mjöl- 
bys, der näherrückte, Er hörte Telle eines Gesprö- 
ches: „Warum versteckst du dich denn ununter- 
brochen?” 


vo 





9 und Druck: Knorr 


Anstalten entgegen, — Bezugsprelse: 





„Dort sitzt meine Frau... mit Frau Varberg... 
Wenn sie mich sieht, wirft sie mich hinaus ..., eine 
Katastrophel,..” Die Dame lachte geringschätzig. 
Mjölby rief eines der Hausmödchen und fragte 
es, wer die Dame wäre, die mit Frau Varberg saß. 
Er bekam die Antwort, daß es Frau Malmböck 





Mjölby entfernte sich zufrieden. Wenn alles nach 
Wunsch ging, mußten ihm beide Teile Schweige- 
geld zahlen. Von einem Fernsprechautomaten rief 
er Frau Varberg an. Er erkannte ihre Stimme, „Wer 
spricht?" 

„Das werden Sie noch rechtzeitig erfahren, Ich 
habe Sie heute in den Trjelle-Anlagen gesehen 
Sie haben einen Herm geküßt. Was zahlen Sie, 
wenn es der Kapitän nicht erfährt?” 

Frau Varberg eilte erschrocken aus der Zelle, ver- 
abschledete sich von Frau Malmböck und lief 
nach Hause. Von Angst geschüttelt lag sie die 
ganze Nacht wach, 

Mjölby betrank sich, schlief gut und schrieb am 
nächsten Tag zwei Briefe, Einen an Frau Malm- 


böck, den zweiten an Herrn Varberg. Er schrieb 
keine Adressen und warf die Briefe am nächsten 
Morgen eigenhändig in die Hausbriefkästen. 
Kapitän Sten Varberg, der gut angekommen war, 
fand den Brief, Während Frau Erika zitternd und 
auf das Schlimmste gefaßt, in ihr Schlafzimmer 
ellte, las der Kapitän den Brief, „Sie betrügen 
Ihre Frau. Ich habe Beweise. Wie wollen Sie es 
verhindern, daß ich mit Ihrer Frau spreche? Abel 
Mjölby.” Sten Varberg schob den Brief rasch In 
seine Tasche. „Wenn ich nur wüßte, welcher von 
meinen Passagieren dieser Mjölby ist", dachte er 
erschrocken. „Ein anderer konnte nicht wissen, 
daß ich mich während der Fahrt mit der Amerika- 
nerin amüsiert habe ...” Er folgte seiner Frau und 
küßte sie. „Ein Geschäftsbrief”, log er. „Wenn die 
leute einen doch in Ruhe lassen wollten. — 
Willst du mit mir ausgehen? Ich möchte dir eine 
Freude bereiten und dir ein Armband kaufen 
Mjölby, der auf einer Bank gegenüber dem Hause 
saß und wartete, sah erstaunt, wie Herr und Frau 
Varberg, zärtlich aneinandergeschmiegt, aus dem 
Tor traten, Er wollte Ihnen folgen, als ihn Herr 
Malmböck aufhlelt. „Sind Sie Abel Mjölby?" 
„Ja", entgegnete Mjölby erschrocken. „Was wol- 
len Sie?" 

„Haben Sie diesen Brief an meine Frau geschrie- 
ben?" fragte Herr Malmböck und hielt Mjölby 
einen Brief hin: Mjölby las: „Ich möchte mit Ihnen 
eine kleine heikle Angelegenheit ordnen, Un- 
treue muß bestraft werden. Kommen Sie um zehn 
Uhr zur Bank vor dem Hause Olaf Gade 10, Abel 
Mjölby.” 

„Das Ist ein Irrtum”, keuchte Mjölby. Herr Malm- 
böck faßte ihn und verprügelte Ihn. 

Frau Varberg sah die Szene. „Sieh doch diesen 
tohen Menschen an“, sagte sie erregt zu ihrem 
Gatten. „Er bringt ihn noch um. Du mußt dem 
ärmen Mann helfen.” 

„Wie du wünschest”, entgegnete der Kapitän und 
ging auf die andere Seite der Straße. „Was tun 
Sie hier?“ herrschte er Malmböck an. 

„Ich verprügele eben diesen Herrn Mjölby", 
gegnete Malmböck, ohne innezuhalten. 
„Abel Mjölby?“ fragte der Kapitän erstaunt. — 
‚Ja... Ist Ihnen etwas nicht recht?” 

„Iteten Sie zur Seite", flüsterte Sten Varberg, 
„damit ich dem Kerl auch einen Fußtritt geben 
kann." Er ließ die Tat den Worten folgen, nickte 
Malmböck zu und ging zu seiner Frau zurück, 
„Du bist ein roher Seemann‘, sagte Frau Erika und 
schluckte eine Träne. „Warum hast du dem Mann 
nicht geholfen? Aber ich verzeihe dir, weil ich 
dich liebe... Komm, laß uns gehen...” 

Abel Mjölby rlß sich los und lief davon. Während 
des Laufens wurde ihm klar, daß er die beiden 
Briefe vertauscht hatte, Er weinte aus Zorn über 
seine Gedankenlosigkeit. Herr Malmböck begab 
sich zu einem Arzt, um seine verstauchte Hand 
heilen zu lassen, Er litt große Schmerzen. Das 
war richtig, denn er war der einzige wahre Schul- 
dige, und auf diese Weise bekamen die Gescheh: 
nisse nahezu einen moralischen Anstrich. 





ent- 














LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Ich hörte einen Pfälzer Bauern beim Umwenden 
auf dem Acker zu seinem französischen Beute- 
pferd sagen: „Ach, du liwwer Gott! Verstehsch 
mich denn gar net, du Lumpenvieh? Des isch keen 
Wunner, daß ihr den Krieg verlorn habt.” 


Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße #0 (Fernruf 1298) 

Vorantwortl. Schriftleiter: Walter Foltzick, "München. — Der Simpilcissimus 

Einzeinumme, 30 Pl; 
ac 





‚Abonner 







Das ist aber nett, daß ich dich treffel“ sagt 
Ottllie zu Ihrer Freundin Berta. „Du kannst mich 
gleich in die Apotheke begleiten.” 
Berta geht mit, Ottllie flüstert dem Apotheker, der 
verständnisvoll nickt, etwas zu, und als die Freun- 
dinnen wieder auf der Straße stehen, fragt Berta 
neugierig: „Was hast du denn gekauft, Ottilie?" 
„Bloß 'n paar Abführpillen.” 
„Ach nein!“ sagı Berta. „Also, ob du mir's glaubst 
oder nicht, ich war In den letzten Tagen in minde- 
stens zehn Apotheken, weil ich mir dasselbe be- 
sorgen wollte, und bin immer wieder unverrichte- 
ter Dinge abgezogen. Gewisse Sachen kann ich 
von einem Apotheker nicht verlangen, Es Ist mir 
zu peinlichi” 
„Peinlich?“ sagt Ottliie. „Ich wüßte nicht. Ich habe 
dem Apotheker gesagt, daß es für dich gehört” 
H.K.B. 








schritt: München 2 ch, 


‚alte Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 
werden nut zurückgesandi, wenn Porto balllegt, — 








Der heimliche Gerüchtefabrikant 


(0. Gulbransson) 


N 


f Nu 





„so, jetzt will ich Sie mal abhorchen!“‘ — „Aber bitte, Herr Doktor, nicht weitererzählen!“ 


Il fabbricante segreto di chiacchiere: "Cosi ... adesso voglio fare | ascoltazione!,, — "Ma Vi prego, Doltore, non ne parlate ad altri!,, 


304 


München,’ 2. Juni 1943 
48, Jahrgang / Nummer 22 firs 5.00 


= = = ww 
VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Brief an Henry Kaiser, Schiffswerft USA. 


(Erich Schilling) 


„+... und danken wir Ihnen für die schönen neuen Schiffsserien. Sie haben damit meiner Firma einen großen Dienst erwiesen.“ 





Lettera al signor Kaiser, cantiere USA.: '...e Vi rigraziamo per le nuove belle serie di navi. Con cid avete reso un gran servigio alla mia Ditta., 


Die entfliehende Seele - L’anima evanescente 


(A. Paul Weber) 





Eine nervöse Dame fährt durch die Maiennacht 


Der letzte Postomnibus steht am Bahnhof. Die 
kleinen Lämpchen Im Wagen brennen trübe, es 
regnet, Der Postwagen Ist gut besetzt, Da wird 
es am Eingang noch einmal lebendig, eine Familie 
steigt ein. Die Familie hat natürlich Koffer, es sind 
nicht eben große Koffer, Es ist auch noch Platz 
im Wagen. Man hätte die Koffer ruhig auf den 
Boden, auf einen freien Platz stellen können, aber 
die Mutter der Familie, eine ältere Dame, ist eine 
sorgsame Hausfrau, sie will das Gepäck nicht ein- 
fach herumstellen, sie will sich nicht von ihren 
Koffern trennen. Vielleicht ist die Dame eine ner- 
vöse Dame, sie ist sogar bestimmt eine nervöse 
Dame. Sie klemmt also eine der Handtaschen 
Ihrer Nachbarin auf die Knie, den andern Koffer 


Sonntag 


Leer find die Straßen im Sonntagemind: 
Die Menfchen hat es ins Freie getrieben. 
Nur die weißen Wolken find 

Über der Stadt geblieben. 


Die Häufer ftehen wie unbemwohnt. 

Alles fucht draußen das Glück: 

Einen Atemzug Wald,.einen Weg durch das Korn, 
Eine Stunde im Dorf, einen Ritterfporn, 

In der fehwwarzen Schlucht einen filbernen. Born, 
Von der Welt ein glänzendes Stüch. 


Und kommen die Schatfucher abends zurück, 
Verftaubt und vom Sehen fatt, 

Hängt zwifchen den Wolken der goldene Mond 
Unbeachtet über der Stadt, 


Georg Britting 


nimmt sie selbst auf den Schoß und den dritten, 
Ja wohin mit dem dritten? Den balanciert sie auf 
der flachen Hand. Für einen Varietökünstler wäre 
das schon schwierig gewesen, für eine Nervöse 
ists geradezu ein unhaltbarer Zustand. Der eine 
Koffer pendelt, der andere rutscht und der dritte 
bohrt sich noch tiefer in die Weichtelle der Nach- 
barin. Beim Anfahren des Wagens geraten Dame 
und Koffer ins Wanken. Mittlerweile haben wir 
die Gefahr für uns erkannt, klauben die Dame aus 
dem Gepäck und jen die Koffer sorgsam auf 
den Boden. 

So könnte die Fahrt gut weitergehen, aber nun 
begehrt In der Dame die ordnende Hausfrau auf. 
Sie stellt einen ‚Koffer auf die hohe Kante und 
legt einen andern quer darüber. Die Gesetze des 
Gleichgewichts sind nicht ihre starke Seite. Wir 
warten darauf, daß es kippt. Es tut's. Jetzt legt 
die nervöse Dame ein Bein über beide Koffer 
und das andere stemmt sie gegen den dritten. 
Bei der nächsten Kurve wird die Komposition Ins 
Rutschen geraten. Unsere Befürchtungen gehen 
in Erfüllung. Es entsteht ein ziemlich unentwirr- 
bares Gemenge. 

Der Familienvater scheint Hartes gewöhnt zu sein, 
er nimmt vieles mit Gleichmut hin, macht nur ge- 
legentlich kleine Vorschläge, um nicht seine Un- 
interessierthelt zu zeigen. 

Die Dame aber steckt voller Einfälle, wie man die 
Koffer unpraktisch anordnen könnte. Sie Ist darin 
sehr erfindungsreich. Sie versucht, einen viel zu 
großen Koffer in ein Netz zu klemmen, legt den 
andern auf einen Hut, schiebt sich den dritten 
unter. Wir haben es vorher nicht gewußt, was man 
mit drei Koffern alles anstellen kann. Das Gepäck 
saust im Wagen umher, und die kurvenreiche 
Straße des Gebirgstales kommt. den Plänen der 
Dame sehr entgegen. " 








306 


Wir Mitreisenden haben alle Hoffnung aufgege- 
ben, ihr zu helfen. Wir sind nur in Schutzstellung 
gegangen, oder heben rhyihmisch die Beine, 
wenn wieder ein Geschoß heransaust. Die Dame 
arbeitet wie ein Lastträger, alle vier Gliedmaßen 
sind gleichzeitig in Bewegung. Sie versteht es, 
den Objekten alle Tücken zu entlocken. Sie 
leistet darin wirklich Außerordentliches. 

Leider müssen wir in der nächsten Station aus- 
steigen. Als der Omnibus weiterfährt, können wir 
gerade noch sehen, wie die ordnende Hausfrau 
jetzt Ihre ganze Kraft zu einem grandiosen End- 
spurt zusammennimmt. Durch unsere freigewor- 
denen Plätze wären ganz neue und ungeahnte 
Möglichkeiten entstanden. Foitzick 


Nenn es dann, wie du mwillft 


Wir trafen uns wieder nach langer Frift, 


Mein Freund, geborener Optimift, 
rief: »Donnermwetter, altes Haus, 
du fiehft Ja völlig vergeiftigt ausl« 


»Was du nicht fagftl« begann ich zu lallen. 
»Mir ift bis dato nicht aufgefallen 

ein nennenswerter Zumachs deo Geift'o. 

Ich fehe nur - und die Waage beweit'o - 

das äfthetifch fchätsensmwerte Entfchmeben 

der Fettlubftanz aus den Leibesgeweben. 

Wie? Oder meinft du, daß dort ein Plus 

aus dem Minus hier fich ergeben muß? 

Das glaub’ ich nicht, und wenn fie mich fteinigen. 
Jedenfalls nicht bei mir und dem meinigen. 


«..Wir wollen uns auf ‚entkörpert‘ einigenl« 
Ratatöshr 


Modetee bei Maiski 






































„Na, was sagen Sie, Mylady, zu unseren neuesten Schöpfungen, sind die 
Modelle ‚Unschuldsengel‘ und ‚Frommes Lämmchen‘ nicht entzückend?“ 


Te di moda presso Maiski/; “Ebbe’ che dite, Mylady, delle nostre nuovissime creazioni? 
„,. Non sono incantevoli questi modelli di “Angelo d’ innocenza, e di 'Pio agnello,?,, 


307 


0. Hegenbarth), 





DIE RATTE 


VON F. L.NEHER 


Die Ratte kam im. Herbst — ich glaube, es war 
Im Oktober. Wir sagten: „Die Ratte ist da.“ Ganz 
einfach „die Ratte”. Sonst haben wir Immer für 
jedes Tier einen Kosenamen. Meine Frau, ich 
nenne sie übrigens „Pinscherl“, gab unserem 
Dackel den Namen „Fünferl”, ich nenne ihn 
„Waff”,;und die Kinder je nach ihrem Alter rufen 
ihn mit „Buzi" und „Wau-wau". Sein amtlicher 
Name aber Ist „Fünferl“; Bären nennt man gern 
„Teddy“ und Kanarlenvögel „Hansi”, ich nenne 
den unsrigen „Piepmatz’‘. Der Kater hatte sogleich 
bei seinem Einzug den Namen „Hinz — er ist 
übrigens seit einigen Wochen verschollen. Ich 
glaube, daß die Neigung, Tiere mit liebenswürdi- 
gen Namen zu belegen, unserem Bedürfnis sie 
zu humanisieren entspringt. Wir wollen, vielleicht 
unbewußt, durch diese Namengebungen etwas 
überbrücken, das sich nicht überbrücken läßt, die 
Kluft zwischen unserer und ihrer Seele. Als wir 
noch in Brasilien lebten, entdeckten wir unter der 
Veranda eine buntgestreifte, armdicke, meter- 
lange Schlange. Sie war harmlos, Sie lebte gute 
zwei Jahre auf unserem Boden. Wir nannten sie 
„Leopold“, Ich könnte nicht sagen, wie uns der 
Name für dieses Reptil einfiel, zumal wir in der 
ganzen weiten Familie keinen Leopold haben und 
auch niemals Untertanen irgendeines Leopold 
waren und voraussichtlich sein werden. Aber 
„Leopold“, der sich auf warmen Steinen schmoren 
ließ, schien uns gesellschaftlich näher zu stehen 
öls „die Ratte”. Wir sahen ihn oft mit einer sich 
lebhaft wehrenden großen Grille zwischen seinen 
kalten dreieckigen Kiefern im Gras verschwinden. 
Ich bin nun ganz von der Ratte abgekommen. 
Also, die Ratte hatte keinen Namen, well... — 
nun ganz einfach, sie hatte etwas an sich, das 
keinen Namen zuließ. Ich erinnere mich noch gut 
der ersten Begegnung zwischen der Ratte und 
mir. Ich ging In den Keller, um einige Äpfel und 
einen Korb voll Kartoffeln zu holen. Unser Haus 
ist achtzig Jahre alt, und der Keller gleicht eher 
einer Höhle als einem kunstgerecht gemauerten 
Keller. Ich nehme immer eine starke Stablaterne 
mit hinunter und leuchte gewohnheitsmäßig In die 
Ecken des kleinen Raumes. Man kann da aller- 
hand unerwartete und ungebetene Gäste ent- 
decken, Molche, Salamander, Glasschlangen und 
ähnliches Getier. An jenem besonderen Oktober- 
abend, da ich um Äpfel und Kartoffeln in den 








Keller ging, traf das scharfe Licht der Steblampe 
auf die Ratte. Sie kauerte in einer Ecke nahe 
der Wasserleitung und benagte eine Apfelhälfte, 
Sie flüchtete nicht, sie hielt nur mit Nagen Inne. 
Sie rührte sich nicht. Sie blieb bewegungslos 
über dem Apfelrest gekauert, reckte die Schnauze 
etwas vor und starrte in das Licht. Wir götter- 
gleichen Zweifüßler aber sind es gewohnt, daß 
Geschöpfe der Rattenklasse bei unserem Nahen 
flüchten oder sich vor Angst klein machen. Wir 
sind erstaunt und alarmiert, wenn diese uralte 
Überlieferung verletzt wird, Ich näherte meine 
lampe der Ratte auf Armeslänge und stampfte 
mit dem Fuß kräftig auf. Sie flüchtete nicht. Statt 
dessen schien sie flacher zu werden und sich zum 
Kampf zu stellen. Sie ‘zog ihre graue, schnurr- 
börtige Oberlippe hoch und ließ ein bösartiges 
leises Pfeifen hören. 

Ich gebe zu, daß ich zurückwich und den Keller 
mit meinen Äpfeln und Kartoffeln rasch verließ. 
Ich fühlte mich zutiefst verletzt und mein Manns- 
gehirn suchte sofort nach Waffen und Rache. 
Waffen sind unsere Stärke und unser Trumpf: wir 
haben keine Krallen, wir haben scharfe Stahlklin- 
gen; wir haben keine Giftzähne, wir können Gift- 
schlangen nur mit künstlichen Waffen töten, Ich 
kaufte eine Rattenfalle. 

Diese Rattenfalle war ein tödliches Ding, eine 
schwere Maschine, das stärkste Modell, das zu 
haben war. Die Falle war tücklsch. Man konnte 
sich damit mit größter Leichtigkeit, während man 
sie stellte, einen Finger amputieren. Die leichteste 
Erschütterung, die geringste Berührung des Kö- 
ders, und sie schnappte zu, Sie schnappte eigent- 
lich nicht zu, sie hieb zu, und das mit einem 
stählernen Klang, ein für allemal. Ich brachte die 
mit einem Stückchen Käse versehene Falle in den 
Keller. Das Licht meiner Laterne spielte in alle 
Ecken, Winkel und Spinnweben. Die Ratte hatte 
den Apfel gefressen oder verschleppt und war 
verschwunden. Ich stellte dis Falle mit größter 
Vorsicht nieder, da stand sie dann im tiefsten 
Dunkel, ein unerbittliches, heimtückisches, unbe- 
seeltes und bereites Instrument des Todes. 
Noch in der Nacht sprang die Falle. Der Klang 
dos zuschlagenden Eisens weckte uns. Ich wollte 
sogleich in den Keller gehen und nachsehen, doch 
gab ich das Vorhaben auf. Wozu denn? Die 
Ratte war ja nun tot und nicht mehr wert, daß 
ich mich im Schlafanzug der Oktoberkälte aus- 
setzte, Aber gleich am Morgen, noch vor dem 
Frühstück, ging ich hinunter. Der Käse war weg. 
Die Falle war leer, 

Das war im Oktober gewesän. Während der fol- 
genden drei Monate habe ich die Falle etwa 
zwanzigmal geködert und gespannt und im Keller 
abgestellt. Ebensooft ging ich in den Keller, um 
jedesmal die Falle leer, ohne Ratte und ohne 
Köder, zu finden. 

Inzwischen aber machte sich die Ratte als Mit- 
bewohnerin des Hauses deutlich bemerkbar. Sie 
sorgte dafür, daß wir nicht zur Ruhe kamen und 
erlaubte weder meiner Frau noch — was das 
übelste war — den Kindern, Ihe Gegenwart oder 
die Tatsache ihrer Existenz, ihrer Freiheit, ihrer 
Unerschrockenheit und Unbezähmbarkelt zu ver- 
gessen. Während bitterkalter Winternächte hör- 
ten wir sie nagen, nagen, nagen, nagen... Wir 
sahen von unserer Lektüre auf und sagten: „Dje 
Rattel“ Wir erwachten In unseren Betten und 
flüsterten: „Die Ratte. Wir kannten sie, die 
Ratte, Wir wußten, uns: Ratte war kein angst- 
gejagter flüchtender kleiner Plünderer, der etwa 
nach verlorenen Krumen suchte, Wir halten sie 
nun schon.monatelang im Gemäuer und unter 
Böden nagen und nagen gehört. Schließlich aber 
hörten wir ihre Schritte wie rollende Erbsen auch 
über uns, über der Schlafzimmerdecke zuerst und 
dann Überall in den leeren Dachräumen über uns. 
Sie wurde herausfordernd, sie war entschlossen 
und ich nicht minder. Der Kampf war entbrannt. 
Das war es, es ging ums Ganze, und zwar mit 
allen Listen der Taktik und mit allen Lehren der 
Strategie und mit aller Leidenschaft, deren ein 
Rattengehirm, eingeschlossen in einen kleinen, 
schmalen grauen Schädel, fähig war. Die Ratte 
war kein verstohlen eingeschlichener Eindringling 
mehr, sie war ein erklärter Feind, ein Feind mit 
dem Mut des Hasses und unerbittlicher Absichten. 
Die Kampfansage Mann gegen Ratte war klar, es 
mußte eine noch bessere Rüstung gefunden 
werden. . 

Im Februar kaufte ich eine neue Falle, ein Muster, 








308 


das ausdrücklich Iltisse töten sollte, köderte sie 
und stellte sie für die Ratte im Keller ab. Ich 
mußte sie töten, ich mußte ihr das Rückgrat bre- 
chen. Noch zweimal im Laufe des Winters traten 
wir — ich und die Ratte — uns von Angesicht 
zu Angesicht gegenüber, und beidemale benahm 
sie sich genau so wie bei der ersten Begegnung. 
Sie blieb regungslos niedergekauert. Ihre Augen 
glommen rötlich in das blendende Licht der Stab- 
laterne, sie entblößte ihre langen, gelben Vorder- 
zähne... 

Als ich am Morgen, nachdem ich die neue Falle 
aufgestellt hatte, wieder in den Keller ging, 
dachte ich zuerst, die Falle sei wieder leer und 
ohne Nutzen zugeschlagen. Dann, als Ich näher 
sah, bekam ich plötzlich ein übles Gefühl in der 
Magengrube. Der Käse war weg und die Ratte 
war weg, aber in der Falle, just innerhalb der 
scharfen Stahlbügel, lagen säuberlich nebenein- 
ander die beiden Vorderläufe der Ratte. (Ich 
hätte beinahe „Arme‘ gesagt.) Die beiden Läufe 
erinnerten grausig an winzige Hände. Es war 
kaum eine Spur von Blut zu entdecken. 

In. der folgenden Nacht hörten wir von der 
Ratte nichts. Auch nicht in der nächsten und 
übernächsten Nacht, Eine ganze Woche verging, 
zwei Wochen... Wir wären sicher, die Ratte 
war nun tot, Sie wird sich in irgendeinem tiefen 
Winkel unter den Steinen des Fundamentes ver- 
blutet haben. 

Einundzwanzig Nächte vergingen, In der zweiund- 
zwanzigsten Nacht — wir lagen Im Bett und lasen 
— hörten. wir ein Geräusch. 
Tappiti-tapp ... tappltl-tapp.. .. 
tappiti-tapp . . . 

Wir wußten sofort, was das war, Die Ratte lebte. 
Sie kroch oben Im Staub zwischen Dachrinne, 
Dachsparren und Dachboden auf ihren Vorder- 
stummeln herum. Sie hatte sich also einundzwan- 
zig Nächte lang versteckt und mit ihrer schmalen 
Zunge die Wunden ihrer Stümpfe geleckt. Nun 
war sie wieder da, und bald würden wir sie wie- 
der hören, nagen, nagen, nagen... Sie lebte, 
Sie hatte die Stärke des Hasses. 

Es läßt sich nicht mehr viel über die Ratte 
sagen. Eine Woche lang hörten wir Ihr tappiti- 
tapp, es wurde Immer lebhafter, wir konnten ihre 
Wege in den Wänden und unter den Dielen ver- 
folgen, sie lebte unverschömter als je zuvor. 
Noch dreimal spannte ich die Falle, und dreimal 
fand ich sie leer, die Ratte hatte den Käse ge- 
nommen und war nicht getötet worden, Sie 
war nicht fallenscheu geworden. Unsere Ratte 
kannte den Terror der Falle, der jedes andere 
Tier ergriffen hätte, nicht. Wir hörten In der Stille 
der Nacht die Falle mit dumpfem, stählernem 
Klang zuschlagen, wir hielten den Atem an, um 
besser zu lauschen, da plötzlich. .. tapplil-tapp... 
tappiti-tapp ... 

Die Ratte kam jedesmal, auf welchen Wegen 
konnte ich nicht erforschen, hörbar in den Raum 
über unserem Schlafzimmer. Ich nehme an, daß 
sie dort den Käse verzehrte. Da hörten wir dann 
zuweilen merkwürdige Geräusche, ein Rascheln 
und Schleifen, ein weiches, gedämpftes Fallen 
und Kratzen — ob sie spielte? Unheimlich zu 
denken, daß sie spielte, allein und auf den Stum- 
pen ihrer Läufe. Ich weiß, daß es Tiere gibt, die 
zuweilen „spielen“, Ein Spiel, ein grausigos Spiel, 
eine‘Art blutdürstiger Carmagnole voller Lust am 
Spiel mit dem Tode. Ich habe keinen Zweilel, 
die Ratte tanzte und spielte einen unheim- 
lichen triumphierenden Rigmarole voller Entzücken 
über das vergebliche Zuschlagen des Todes. 
Dreimal, wie ich schon sagte, entwischte sie. 
Beim vierten Male hatte ich sie. Ich hatte sie. 
Die Fallenbügel hatten ihr das Rückgrat gebro- 
chen, sie war tot. Ich stand im Keller, ließ das 
Licht der elektrischen Lampe über den gebroche- 
nen Körper strahlen und blickte mit verknitfenen 
Augen auf das Bild. „Fünferl”, der Dackel, stand 
dicht daneben, der ganze Hund angespannt wie 
eine Sehne, und hielt eine Vorderpfote besinn- 
lich hoch, er zitterte dabei, 

Js, ich glaube, daß die Ratte, selbst nachdem 
die Falle zugeschlagen war, noch eine oder zwei 
Minuten lebte. Und in jener letzten Minute, da 
der Stahl ihre Knochen biß, brachte sie es fertig, , 
den Kopf "bis zum Köder vorzurecken, um das 
letzte Krümelchen meines Käses zu fassen. Die 
Rattenschnauze war so sonderbar verzogen, daß 
sie einem phantasiebegabten Mann erschien wie 
das höhnische Grinsen letzten Triumphes. 


töpplil-töpp .. . 








{R. Krlesch) 





„Sieh! mal, Otto, nun ist er da, der Sommer!“ 


„Ja, ja — der wenigstens scheint seinen Lieferungstermin einzuhalten!" 


Buon esempio: „Vedi un po’, Oltone, che I" estate & glä quil,, — "Giä...giä! Almeno essa pare mantenga il suo termine.di forniture!,, 


309 


AUS DEM FELDE GESCHLAGEN 


An jenem Abend hatten Carlo und ich ein kleines 
Essen vor, wir hatten Fräulein Duda dazu einge- 
laden, die uns beiden ausnehmend gut gefiel, 
und ich stand erwartungsvoll am Fenster und 
blickte in den Garten hinaus, wo Carlo mit un- 
serem Gast ‚auftauchen mußte. Es war schon 
etwas später, als wir ausgemacht hatten, aber 
ich dachte, Fräulein Duda würde sich verspätet 
haben, Carlo hatte sie abholen wollen, um mit 
ihr zu mir zu kommen. Ich trank ein Glas Wer- 
mut und dann noch eins und zweifelte nicht 
daran, daß Carlo nun bald mit Fräulein Duda an- 
kommen werde, und freute mich darauf und auf 
den ganzen Abend, Fräulein Duda gefiel mir wirk- 
lich ausnehmend gut, wir hatten sie gemeinsam 
bei Bekannten kennengelernt und wußten weiter 
nichts von ihr, als daß sie auf irgendeiner Schule 
für Photographie war. Ich fand sie reizend. Ich 
dachte, während ich wartend am Fenster stand, 
daran, wie reizend sie war, mit dunkelblondem, 
lebendigem Haar und lachendem, vollem Mund, 
und dann sah ich plötzlich Carlo mit Doktor Ve- 
aus und nicht mit Fräulein Duda unter den Ka- 
»stanien auftauchen. 

Ich verstand nicht, wieso Venus hierherkam und 
noch dazu an der Seite von Carlo. Ich ahnte, daß 
irgend etwas nicht geklappt hatte, und wartete 
darauf, daß sich die beiden vor der Gartentür 
voneinanddr verabschiedeten, Aber sie gingen 
schlendernd daran vorbei und verschwanden, und 
nach einer Weile, während der ich dastand und 
mich zu ärgern anfing, kamen sie beide von der 
anderen Seite her wieder zum Vorschein. Ich 
dachte, jetzt würden sie sich bestimmt vonein- 
ander verabschieden, und hatte den Eindruck, 
daß Carlo gebückter ging als vorher, und dann 
standen sie eine Zeitlang wie unschlüssig vor 
der Gartentür, und ich hörte das sonora La- 
chen von Venus. Schließlich sah Ich, wie Carlo 
langsam die Gartentür aufmachte, und sie kamen 
beide herein und gingen aufs Haus zu. Carlo 
starrte vor sich hin, und Venus lächelte einladend. 
Wir kannten Venus seit langer Zeit, aber wir 
machten uns nicht viel aus ihm, und keinem von 
uns wäre es je eingefallen, ihn einzuladen. Wir 
trafen ihn manchmal da und dort, und es konnte 
sein, daß andere Leute sich etwas aus ihm mach- 
ten, aber zu diesen leuten gehörten wir nicht. 
Er war irgend etwas bei Zeitungen, Korrespon- 
dent oder etwas Ähnliches, und trug immer Zei- 
tungen bei sich und war überhaupt sehr gebildet 
und belesen. Er hatte otwas Künstlerisches In sel- 
ner Erscheinung, das vielleicht den Frauen ge 
Uns gefiel es nicht. Er hatte schönes kastanlen- 
braunes Haar, das anfing grau zu werden und in 
Locken fiel, und trug sich gern in Beige, Irgend- 
wie war immer ein Schlmmer von Beige oder Bleu 
über Ihn gebreitet, wodurch er etwas Gedämpf- 
tes und Gepflegtes bekam. Er hatte eine hohe 
und schlanke Gestalt und Immer sehr erlesene 
Bewegungen; uns war er zu mager. 

Als Carlo mit Ihm hereinkam, wußte Ich nicht, 
was ich tun sollte. Das Essen, es war'ein hübsches 





kaltes Essen, stand angerichtet auf dem Tisch in, 


der Glasveranda, und ich hatte den Tisch hübsch 
gedeckt und den Serviertisch daneben geschoben, 
auf dem eine kalte gebratene Ente stand, und 
Gläser standen da und der Wein in einem Küh- 
ler, well wir eine Bowle hatten machen wollen 
und auf einem kleinen Abstelltisch auf der Glas- 
veranda stand eine Torte, von der wir angenom- 
men hatten, daß sie Fräulein Duda besonders zu- 
sagen würde, 

Ich hatte nicht die leiseste Absicht, an Ihrer Stelle 
Venus beim Essen dabeizuhaben, und es war 
nicht anzunehmen, daß Car!o diese Absicht hatte, 
außer eı war verrückt geworden. Da keine Zeit 
mehr war, den Tisch abzuräumen, machte Ich 
rasch die Flügeltür zu der Glasveranda zu; leider 
war es eine Tür mit Glasfenstern und nur dünnen 
Vorhängen, durch die man hindurchsehen konnte. 
Venus sagte, Carlo habe ihm keine Ruhe gelas- 
sen, und so sel er auf einen Sprung mit herein- 
gekommen. Er lächelte. als er es sagte, und 





schüttelte mir kordial die Hand. „Sie wohnen » 


hier reizend“, sagte er und fing sofort an, sich 
umzusehen, „es Ist fast In der Stadt und doch 
beinah wie auf dem Land.“ 


+ 


VON RUDOLF SCHNEIDER-SCHELDE 


„Ja“, sagte ich und versuchte mich so aufzu-. 
stellen, daß er keine Aussicht auf die Glas- 
veranda bekam. 

„Allerllebst”, sagte er, „und so Intim. Ich sehe 
mit Vergnügen, daß Sie zu leben verstehen, Ich 
habe es mir immer gedacht; Ihre Erscheinung ist 
so, daß man den Eindruck hat, Sie verstehen zu 
leben.“ 

„Wir sind alte Lebemänner“, sagte Carlo. 

„So meine ich es nicht‘, sagte Venus. „Sie wis- 
sen, wie ich's melne.” Er richtete seinen Blick auf 
ein Bild an der Wand und trat hinzu, 

„Wo hast du den aufgegabelt?” flüsterte ich 
Carlo zu. 

„Er mich”, flüsterte Carlo ebenso leise, 

„Und die Duda?” fragte ich. 

„Kann nicht“, flüsterte Carlo zurück. 

„Ah, das Ist echtes Dixhultidme”, sagte Venus, 
der vor dem Bild stand und es durch sein Mo- 
nokel betrachtete, „Es ist die reine Blasphemie; 
sehr pikant.” 

„Es ist sechzehntes Jahrhundert”, sagte Carlo. 
Carlo hatte Kunstgeschichte studiert. „Es ist von 
Parmigianino, dem Erfinder der interessanten Ma- 
lerei. Er malte alle seine Madonaen so.” 

„Sehr Interessant”, sagte Venus und ging welter 
an der Wand entlang. Es war leicht vorauszu- 
sehen, daß er nach und nach an die Glastür kom- 
men würde, wo er dann den Blick auf die Ente 
haben mußte, wenn ihn nicht irgend etwas ab- 
hielt. Ich überlegte, was ihn abhalten konnte. 
„Rauchen Sie?” fragte ich. 

„Danke, jetzt nicht“, sagte Venus und ging lang- 
sam weiter an der Wand entlang. „Sie haben 
lauter Interessante Sachen hier“, sagte er, „man 
merkt, daß Sie alles mit großer Liebe und Kennt- 
nis zusammengetragen haben.” 

„Ich habe die Wohnung möbliert 
sagte ich. 

„Oh”, sagte Venus, Er war an der Glastür an- 
gelangt und mußte die Ente gesehen haben, aber 
es war nicht sicher, ob sein Ausruf ihr galt. Er 
blieb eine ganze Welle an der Tür stehen und 
blickte angelegentlich hinaus. Man konnte von 
dort, wo er stand, auch über eine Wiese hin- 
sehen, auf der allerlei Büsche und Sträucher 
wuchsen, aber es war nicht wahrscheinlich, daß 
jemand den gedeckten Tisch mit der Ente im 
Vordergrund dabei übersah. „Ein entzückender 
Blick“, sagte Venus nach einer Weile und setzte 
sich in einen Sessel. 





gemietet” 





Der Star - Il divo (H. Rommelt) 





Ich wartete darauf, daß er wieder gehen würde, 
und hoffte es, aber ich glaubte nicht daran, Für 
den Fall, daß er die Ente gesehen hatte, wäre es 
besser gewesen, ihm zu sagen, wie die Sache 
stand, und ihn zum Essen einzuladen. Es konnte 
sein, daß er schon gegessen hatte. Es konnte 
auch sein, daß er die Einladung ausschlug. Wenn 
er aber die Ente nicht gesehen hatte, dann war 
es töricht, ihn zum Essen einzuladen; sowohl we- 
gen der Ente, als auch darum, well wir ihn den 
ganzen Abend auf dem Hals haben würden. Wäh- 
tend Venus mit Carlo von Bildern sprach, Über- 
legte ich, was richtig zu tun sein würde, und 
wart. Blicke zu Carlo. Im stillen hoffte ich, 
daß Carlo etwas Entscheidendes unternehmen 
werde, um Venus wieder an die Luft zu set- 
zen, und versuchte ihm Zeichen zu geben, aber 
Carlo sah mich trauernd an und zuckte mit den 
Schultern. Er redete enisetzliches Blech über 
Malerei, augenscheinlich in der Hoffnung, Venus 
zu reizen, aber Venus lächelte und stimmte ihm 
zu und schien sich äußerst wohl bei uns zu füh- 
len. Schließlich sagte er, daß er den Abend am 
liebsten im intimen Kreis bei einer improvisier- 
ten Unterhaltung verbringe. „Drei Männer so wie 
wir”, sagte or, „ergeben die beste Gesellschaft.” 
„Vorausgesetzt, daß sie gegessen haben“, sagte 
Carlo. 

„Was mich betrifft”, sagte Venus und schlug die 
Beine übereinander, „Ich bin infolge der Empfind- 
lichkelt meines Magens ziemlich unabhängig von 
jeder Nahrungsaufnahme.” 

„Wir nicht“, sagte Carlo; „oder, Paul”, fragte er 
mich, „sind wir unabhängig ‚von der Nahrungs- 
aufnahme?” 

„Nicht so ganz“, sagte ich. 

„Ich vermute, daß Sie schon gegessen haben”, 
sagte Venus. 

Es war zuzugeben, daß dies kein schlechter 
Schachzug von ihm war, Angesichts der Ente 
konnten wir nicht wagen, mit ja zu antworten, 
wenn wir aber nein sagten, dann mußten wir Ihn 
jetzt wohl oder übel einladen. 

Carlo antwortete mit einer Gegenfrage: „Und 
Sie?" fragte er, 

„Oh“, sagte Venus, „bel mir spielt es wirklich 
keine Rolle. Ich esse abends fast niemals und 
mache mir auch nichts daraus. Aber es würde 
mir leld tun, wenn ich Sie vom Essen abgehalten 
hätte.” 

„Wir erwarten einen Gast”, sagte Ich und dachte, 
daß er Jetzt aufstehen und sich verabschieden 
abeı er blieb sitzen und sagte: 

„Dann erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Gesell- 
schaft leiste, bis er kommt.” 

„Er kommt nicht”, sagte Carlo und verdarb mir 
das Spiel, 

„Er kommt nicht?“ fragte Ich mit möglichst viel 
Überraschung in der Stimme. 

„Ochsel” sagte Carlo zu mir und zerstörte die Si- 
tuation vollends, „ich habe es dir doch schon 
vorhin gesagt.” 

„Schön’‘, sagte ich entschlossen, „dann wollen 
wir jetzt essen.” Ich stand auf, und auch Venus 
stand auf Ich wartete noch einmal darauf, daß 
er sich verabschieden werde, aber er bewegte 
sich mit kleinen, 'gefälligen Schritten auf die Ve- 
randa zu, Es wurde klar, daß nichts mehr zu 
machen war Ich tauschte ein paar fürchterliche 
Blicke mit Carlo, und dann fragte Ich Venus, ob 
er mithalten wolie. Er sagte, er wolle kein Spiel- 
verderber seln und uns zu Gefallen ein paar 
Bissen nehmen. 

Wir gingen auf die Veranda hinaus und setzten 
uns, Venus setzte sich vor das Gedeck, das Ich 
für Fräulein: Duda aufgelegt hatte. Er lächelte 
tlebenswürdig und sah Carlo zu, der die Bowle 
zusammenschüttete. Ich fragte ihn, ob er Vor- 
spelse haben wolie, und er antwortete, Vor- 
speisen vertrage er noch am ehesten, und nahm 
sich ein tüchtiges Stück Aal auf seinen Teller. 
Er aß hintereinander ein Drittel des Aals, ein gu- 
tes Drittel der Ente, und vom Käse und der Torte 
aß er die Hälfte, 

Ich habe noch nie einen Mann so essen sehen. 





‚Er hatte einen wunderbaren Appetit und einen 


ebensolchen Durst, und für Jemand mit empfind- 
lichem Magen leistete er Hervorragendes. Dabei 


Der gefeierte Pianist 


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II pianista festeggiato 


311 


unterhielt er sich noch während des Essens mit 
uns und redete darüber, daß.solzhe gelegentliche 
Happen das einzige seien, was ihm keine Be- 
schwerden verursache. Als die Käseplatte leer 
war, sah er umher, als erwarte er noch Einiges, 
Wir hatten alle Mühe gehabt, mitzukommen, ob- 
wohl Carlo und auch ich ganz anständige Esser 
sind Aber er schlug uns spielend, und daneben 
bestritt er die Unterhaltung fast allein; denn 
außer einem gelegentlichen Nicken oder einem 
hastigen „ja” brachten weder Carlo noch Ich 
etwas heraus. Es war wie eine gemischte Olym- 
piade, bei der wir den kürzeren zogen, und wir 
hatten uns das Essen anders vorgestellt. In ge- 
wisser Weise nötigte Venus uns Bewunderung ab. 
Aber es war eine kalte Bewunderung, bei der 
das Herz ohne Beteiligung blieb. Ein paarmal ver- 
suchte Carlo zu lachen und sich zu antiker Ironie 
zu erheben, aber die Sache war verteufelt ernst, 
und bei jedem derartigen Versuch verlor er so- 
viel Zeit, daß Venus ihm vier oder fünf Gabeln 
vorkam, die nicht mehr einzuholen waren. 

Die Ente war delikat; es war eine junge, saftige, 
knusprig gebratene Ente, aber Ich kam nur un- 
genügend in den vollen Genuß derselben, da 
ich, um nicht aus dem Rennen zu fallen, genötigt 
war, große Stücke fast ungekaut hinunterzu- 
schlucken Carlo erging es ebenso; als wir bei 
der Torte waren, sah Ich, daß er mit dem Löffel 
auf sie einhieb, offenbar nur, um einigermaßen zu 
seinem Recht zu kommen. Aber es nützte uns 
nichts, Venus siegte. auf der ganzen Linie. Als 
alle Platten bis auf den Brotkorb leer waren, saß 
er munte, und vollkommen (rocken da, während 
Carlo der Schweiß herunterlief und ich mich 
fühlte wie nach einem Tausendmeterlauf. 

Etwas später, als Carlo den Kaffee machte und 
Venus für einen Augenblick hinausgegangen war, 
hatte Ich zum erstenmal Gelegenheit, mit Carlo 
zu reden Aber ehe ich den Mund öffnen konnte, 
winkte er mir ab und sagte: „Schweig! Behalte 
deine geistreichen Bemerkungen für dich. Ich 
kann gar nichts dafür. So wenig du dafür kannst, 
daß du ihn zum Essen eingeladen hast, so wenig 
kenn Ich dafür, daß ich ihn mitgebracht habe.” 
„Schön”, sagte ich, „obwohl ich ihn niemals zum 
Essen hätte einladen müssen, wenn du ihn nicht 
mitgebracht hättest, Es war die Folge.” 

„Es Isı der Kausalnexus”, sagte Carlo, „kein 
Mensch entrinnt ihm.“ 

„Schön”, sagte ich wieder, „du hast dich be- 
nommen wie ein Trottel. Warum ist die Duda 
nicht gekommen?” 

„Offenbar konnte sie nicht. Es ist jemand bei 
ihnen krank geworden, Ich giaube, die Schwester 
Sie kam nicht, und als ich anrief, sagten sie es 
mir.” 

„Wer sagte es dir?” 

„Ich glaube, die andere Schwester. Sie konnte 
nicht selbst ans Telephon kommen, weil der Arzt 
gerade da wa” \ 

„Und als Ersatz hast du mir diesen Venus mit- 
gebracht?" 

„Ich habe ihn dir nicht als Ersatz mitgebracht”, 
sagte Carlo, „sondern er gabelte mich am Tele- 
phon auf, als ich an die Dudas telephonlerte. Er 
war vor mir in dem Kasten drin und wartete 
dann nachhe: eintach auf mich. Sei nıcht bissig, 
Liebling, oder Ich werde auch bissig und sage 
dir, daß ich Fräulein Duda Überhaupt nicht für 
dich, sondern für mich mitgebracht hätte,” 

„Um mit ihr bei mir zu essen?” 

„Genau das.“ 

„Das hättest du mir früher sagen sollen”, sagte 
ich, „ehe wir den Plan zu dem Abend machten. 
Ich wäre dann ausgegangen und hätte euch 
nicht gestört,” 

„Ich erwartete von deinem Zartgefühl sowieso, 
daß du uns nicht gestört hättest“, sagte Carlo, 
„Pardon“, sagte ich, „Ich wußte nicht, daß Erna 
Duda deine Braut ist Sie hat sich mir gegen- 
über bisher nicht so verhalten.” 

„Sondern?'‘ Carlo lachte und sStreckte mir die 
Hand hin: „Ist es dir recht, wenn wir um sie 
würfeln? Wenn wir diesen Kerl losgeworden sind, 
wollen wir das Orakel fragen, wem sie gehören 
soll, anstatt zu streiten. Wir werden den Sekt 
trinken —” 

„Welchen Sekt?” 

‚ den ich gerettet habe‘, fuhr Carlo fort. „Ich 
habe nur Selters in die Bowle gegossen. Ich 
habe ihm den Sekt nicht gegönnt. Hast du es 
nicht bemerkt?” . 
Ich hatte tatsächlich nicht bemerkt, daß nur 
Wasser In der Bowle war; sie war mir dünn vor- 


gekommen, aber ich hatte es auf die Anwesen- 
heit von Venus zurückgeführt. Ich sagte es. 

„Ich werde uns rehabilitieren“, sagte Carlo, „Ich 
werde die Ente rächen. Du sollst mit mir zufrieden 
sein. Wo steckt er eigentlich?” 

Wir sahen uns nach Venus um und hörten aus 
dem Badezimmeı das starke Rauschen der 
Wasserleitung. Wir warteten eine Weile, das 
Rauschen ließ nicht nach, „Anscheinend badet er 
jetzt”, sagte Carlo, „es würde mich nicht wun- 
dern, wenn er die Gewohnheit hätte, nach dem 
Essen warm zu baden.” 

Aber Venus hatte sich nur erfrischt. Als der Kaffee 
fertig war, kam er erftischt zurück und sah neu 
onduliert und wie gebügelt aus. „Ein Blick auf 
die Uhr“, sagte er, „hat mich belehrt, daß wir 
uns verschwatzt haben. Ich muß nun leider 
gehen.” 5 
„Aber Sie werden bestimmt noch eine Tasse 
Kaffee trinken”, sagte Carlo, „oder zwei.” 
„Kaffee ist tatsächlich meine einzige Schwäche”, 
sagte Venus. 

„Schenk ihm ein, Paul”, sagte Carlo, „wie wärs 
mit einer Zigarre für den Heimweg?” 

Ich goß den Kaffee ein, und Venus griff in die 
Zigarrendose, die ihm Carlo hinhielt, und fischte 
sich eine Zigarre heraus. 

„Die kleinen sind besser”, sagte Carlo, 

„Oh”, antwortete Venus, „ich bin nicht so ein 
Kenneı.“ 

Er trank den Kaffee, und Carlo sagte: „Schade, 
daß Sie weg müssen. Wir haben noch französi- 
schen Champagner da, es ist das beste für emp- 
findliche Magen. Geht es nicht, daß Sie bleiben?” 
„Nein, leider‘, sagte Venus, „ich habe noch eine 
Verabredung.” 

„Ist es was Galantes?“ fragte Carlo. „Ich nehme 
an, daß Sie ein starker Herzenbrecher sind. 
Leute mit verderbenem Magen sind meist starke 
Herzenbrecher. Es ist der Kausalnexus.” 

Venus lächelte. „Galantes?'” sagte er und be- 
trachtete seine Zigarre. „Vielleicht haben Sie 
recht mit dem Kausalnexus, — Die Enthaltsam- 
keit in materiellen Dingen macht den Menschen 
für die Liebe empfänglicher, Und anzlehender” 
fügte er hinzu. 

„Ich hab noch nie gehört, daß ein Mensch, der 
aus dem Mund rlecht, für die Liebe besonders 
anziehend ist“, sagte Carlo. Er kam allmählich 
in Fahrt. 

„Darf ich noch um ein Täßchen bitten?” sagte 
Venus zu mir und hielt mir seine Kaffeetasse hin. 
„Aber dann muß ich wirklich gehen. Ich goß 
ihm ein, und er sagte lächelnd zu Carlo: 
„Ein empfindlicher Magen Ist nicht identisch 
mit einem kranken Magen. Sie haben mißver- 
standen.” 

„Ich mag aber Leute nicht, die aus dem Mund 


IM LAZARETT 


Hier liege idı im Lazarett, 

und meine Knodıen tun mir weh, 
rechts neben mir in seinem Bett 
träumt Peter Gruhl, still wie ein See. 


Idı les’ ihm mandımal vor zur Nadıt, 
denn sprechen kann und darf er nicht, 
doch alles, was er durdıgemadht, 
steht hart in seinem Angesidıt 


Sein Vater fiel bei Scapa Flow. 
Er hat ein Haus am Semmering 
und eine kindhaft sdımale Frau, 
ein holdes, zwanzigjühr'ges Ding 


Sie kam aus ihrem fernen Land 

im Zriespalt zwiscıen Angst und Lust, 
sie nahm des Mannes sdiwere Hand 
und legte sie auf ihre Brust. — 


Als ich die Augen aufgemacht, 

da war sie plötzlidı nidıt mehr da, 
und nur die Scdwwester Barbara 
ersciien und rwünschte „Gute Nacıt" 


Willibald Omansen 


312 


tlechen”, sagte Carlo. „Paul”, sagte er zu mir, 
„magst du Leute, die schlecht riechen?” 

Es war vorauszusehen, daß Carlo jetzt nicht mehr 
zu halten sein würde. Ich versuchte abzulenken 
und bot Venus einen Schnaps an, den er dankend 
annahm. 

Aber ich hatte kein rechtes Glück mit meinem 
Ablenkungsversuch. Carlo sagte: „Schnaps ist 
gut für Mundgeruch; wer darunter leidet, sollte 
vor jedem Rendezvous mit Schnaps gurgeln.” 
„Ich habe taısächlich noch ein Rendezvous”, 
sagte Venus lächelnd zu mir und stand auf. Ich 
stand auch auf, Carlo blieb sitzen, „Es ist ein 
Schützling von mir“, sagte Venus, „ein reizen- 
des Mädchen, ich habe ihr für heute Abend eine 
Theaterkarte verschafft und hole sie nun ab, Es 
ist eine Improvisation, Ich liebe Improvisationen. 
Es ist ein ganz reizendes Mädchen”, wiederholte 
er schwärmerisch, „eine Photographin.” 

„Eine Photographin?” fragte ich. 

Carlo sagte nichts, aber er blickte auf. 

„Genauer eine Photographlestudentin”, sagte Ve- 
nus. „Ein Fräulein Duda, Erna Duda.“ 

Carlo sagte wieder nichts. Ich sagte auch nichts. 
„Darum müssen Sie mich Jetzt wirklich entschul- 
digen“, fuhr Venus gewinnend fort, „es war nett 
bei Ihnen, sehr nett, es war eine nette Improvi- 
sation. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.” 
„Hoffentlich!” sagte Carlo und kaute, um mehr 
zu sagen, aber er brachte nichts heraus 

Wir drückten einander die Hände, das heißt, 
Venus drückte die unseren, und ich begleitete 
ihn hinaus. Ich stand neben ihm an dem Spiegel 
im Vorplatz und sah ihm zu, wie er seinen Hut, 
seinen Stock und seine Handschuhe nahm, es 
wären mattgelbe schweinslederne Handschuhe 
und ein grauer Hut mit schwarzem Band und 
einem weißen Seidenfutter Innen und ein Stock 
aus Bambusrohr, alles sehr fein und wie neu, Ich 
überlegte, was ich tun konnte, um mir etwas 
weniger dumm vorzukommen, als Ich mir vor- 
kam, aber es fiel mir nichts ein. Dann verbeugte 
sich Venus noch einmal löchelnd zu mir hin und 
ging. 

Als Ich wieder Ins Zimmer kam, saß Carlo da und 
glotzte mich nicht sehr geistreich an, „Was sagst 
du?” fragte er. 

„Die Rehabilitierung war wunderbar”, sagte ich. 
„Wir hätten ihm einfach eins in die Fresse hauen 
sollen”, sagte Carlo und fing an, sich aufzuregen, 
„Ist das nicht ein Schweinehund? Die ganze 
Sache war abgekartet und ausgedacht.” 

„Gar nicht so übel ausgedacht!” 

„So eine polierte Saul Was meinst du, was wir 
mit ihm machen werden?” 

„Er ist uns über.” 

„Findest du?” Carlo sprang auf und lief im Zim- 
mer umher. „Findest du wirklich, daß er uns über 
ist? — Und ob er uns über ist! Da kann man was 
zulernen, Freundchen! Ich habe dir Jemand ins 
Haus gebracht, von dem du was zulernen kannst. 
Sag dankel” 

„Danke”, sagte Ich. 

‚Wollen wir jetzt den Sakt trinken?” fragte Carlo 
„nd begann plötzlich zu lachen. „Sag, was du dir 
denkst?" 

Ich überlegte und schwieg und sah ihn an. Ich 
sah, daß er wütend war. 

„Fein gemacht“, sagte er. „Gestehen wir uns ohne 
Umschweife, daß es sehr fein gemacht war. Da 
können wir nicht mit” 

„Nicht so leicht”, sagte ich. 

„Aus dem Felde geschlagen!" deklamierte Carlo 
und lief auf die Veranda hinaus und holte die 
Flasche Sekt aus dem Kühler, den er unter dem 
Tisch versteckt hatte, Er kam mit der Flasche und 
zwei Gläsern zu mir her, öffnete die Flasche, goß 
die Gläser behutsam voll und reichte mir eins. 
„Prostl“ sagte er und sah mich mit seinen dunk- 
len Augen lachend und doch voll Zorn an, 
„worauf wollen wir trinken? Harr, wir danken dir 
alle. Tage, daß wir nicht sind wie andere Leutel 
Trinkl” Sein Auge besänftigte sich, und wir tran- 
ken. Er goß die Gläser wieder voll, stellte die 
Flasche zurück in den Kühler und sagte: „Aber 
den Sekt habe Ich dir doch gerettet, Gib zu, daß 
es schlau von mir war.” 

„Außerordentlich schlau.” 

„Es war tüchtig Ich bin nicht untüchtig. Ich kann's 
vielleicht noch zu etwas bringen. Wenn die Welt 
lang genug steht, bringe ich’s vielleicht noch zu 
etwas.” Er lachte wieder und fragte: „Liebtest du 
sie sehr?” 

„Mächtig!" 

„Lüge nichti Du liebtest sie sehr, und ich liebte 


Urlaub aus dem Westen - Licenza dall' occldente 





{F.Blayor) = 


gr 


Nu 


„Woaßt was, Alisi, i fürcht’ tuschuhr,.daß s’ mi dahoam nimma vaschtenga, 


indem daß ich mir bereits einen franzesischen Aksa zuazog'n hab!“ 


"Sal, Luigi, temo *toujours, che a casa non mi capiscano piü, perch& mi sono diggiä approprlato un 'accent, francese!,, 


sie auch sehr. Wir haben alle drei noch einmal 
Schwein gehabt. Wir sind Glückspilze.” 

„Na?" sagte ich. , 
„Schwacher Magen rettet drei edle Herzen”, sagte 
Carlo, „denn stell’ dir vor, was passiert wäre, wenn 
wir uns wirklich in sie verliebt hätten.” 

„Schön. Aber sie war auch noch da; 
hätte sie einem den Vorzug gegebe: 
„Sie hat sogar einem den Vorzug gegeben, 
mein Engell Offenbar haben wir ihr weniger gut 
gefallen.” 

„Na also”, sagte ich. „Beruhige dich schon!” 
„Beruhigen?" fragte Carlo. „Ich denke gar nicht 
dran, Kannst du verstehen, daß dieser Fatzke ihr 
besser gefallen hat als unsere beiden ehrlichen 
Gesichter? Ich kann's verstehen. Es ist der Kausal- 
nexus, Der Kausalnexus ist eine große Theorie.” 
„Meinetwegen. Aber ich sehe nicht recht ein, 
was uns das hilft?“ 

„Dann verstehst du’s nicht. Ich werde es dir er- 
klären. Ist Fräulein Duda ein famoses Mädchen 
‚oder ist sie’s nicht?" 

„Sie sah so aus.“ 

„O du Schlaumeierl Sah sie so aus oder ist sie's? 
Siehst du die Hintertür, durch die du entwischen 
willst, damit du dich nicht an eine Unwürdige 
vergeudet hast? Wie sah sie denn aus?" 








„Naja“, sagte ich. 

„Soll ich sie dir entwerfen? Soll ich ein Bild von 
ihr malen, wert, von Tizian zu sein, oder ist dir 
Corregio lieber?“ Er trank und begann in die 
Luft zeichnend sie zu beschreiben, Es wurde ein 
warmes Bild, es schien mir eher von Burne-Jones 
zu sein. Ich sagte es ihm. 

„Auch nicht übel”, sagte er. „Burne-Jones war 
auch ein großer Maler. Hauptsache, daß es stimmt. 
Stimmt es?” 

„Und diese edle Seele verfiel dem Venus”, 
sagte ich. 

„O du Enttäuschter, tut sie dir leid? Wenn sie dir 
in die Hände gefallen wäre, täte sie dir weniger 
leid? Und wenn sie mir in die Hände gefallen 
wäre, wie leid täte sie dir dann?” Er sah mich 
lachend an. „Was für ein Riesenidiot du sein 
kannst! Mußte sie denn nicht notwendigerweise, 
wenn sie alle die Qualitäten hat, die wir ihr zu- 
schreiben, auf eine Fassade hineinfallen? Glänzen 
‚denn nicht gerade die Augen des unverdorbenen 
Menschen am hellsten beim Anblick eines Pa- 
lasts? — He, wie klingt das?” 

„Prost”, sagte ich, „ein feiner Palast" 

„Könnte es nicht von dir sein? Paß auf, ich werde 
uns doch rehabilitieren!” Er ging und holte die 
Flasche und goß uns ein. Er war ein bißchen be- 





313 


trunken, „Es gibt Überhaupt keine Paläste, Lieb- 
ling, es gibt bloß Verputz. Hast du vergessen, was 
du lehrst? Ahnst du den Kausalnexus, ahnst du, 
was Verführung ist?“ Er hob sein’ Glas und roch 
an dem Wein und blickte aufmerksam auf die Per- 
len, die es eilig hatten, nach oben zu steigen. 
„Trinken wir auf die große, blinde und hilflose 
Natur‘, sagte er im Predigerton, „die so Schönes 
erschafft wie Fräulein Duda, und so Häßliches wie 
schlechte Mägen, und das Schöne an das Häß- 
liche ausliefert, sobald nur das Häßliche, das sie 
lehrt sich zu verputzen, sich 'wirklich verputzt! 
War das’ein guter Satz?’ 

„Geht.” 

„Er ist,von dir. Trinken wir auf den Teufel und 
den ohnmächtigen Gott, der zusehen muß, wie 
wir zusehen, um dann zu philosophieren, wie wir 
philosophieren, während der Teufel handelt! War 
das besser?“ 

Ich lachte. 

Freund!” rief er und kam auf mich zu und um- 
armte mich, während er mir den Wein über den 
Anzug schüttete, „was kann ich denn noch für 
dich tun? Wollen wir jetzt um Fräulein Duda 
würfeln, falls sie uns wiedergegeben werden 
sollte, gesetzt den Fall, daß es Gott wider alles 
Erwarten gelingen sollte, sie zu erretten?" 





Der Ideal ist (K. Holllgenstaadt) 





„‚schlüpfer‘ klingt mir zu sachlich, sagt Rudi immer, im ‚Hösle‘ liegt die wahre Seele der Frau!“ 


L’idealista; “Rudi dice sempre che la parola ‘calzoncini, ha un suono troppo materiale, mentre la vera anima della donna sta nelle ‘mutandine, },, 


314 


DEM VERDIENSTE SEINE KRONE 


Gern und stolz wurden früher Krawattennadeln 
und Armbänder mit den Initialen hoher Herr- 
schaften getragen. 

Man bekam sie für persönliche Verdienste ver- 
liehen. Huldvollst. War man dichterisch begabt, 
veröffentlichte man im Residenzboten schwung- 
volle Namens- und Geburtstagsverse zu Ehren 
irgendeiner erlauchten Person, war man mit musi- 
kalischen Talenten ausgestattet, komponierte man 
zur Silberhochzeit eines fürstlichen Paares, das 
25 Jahre lang miteinander im Krieg gelegen, einen 
schmetternden Jubiläumsmarsch, es genügte aber 
auch, auf profane Weise die Aufmerksamkeit 
ällerhöchster Kreise auf sich zu lenken, wie zum 
Beispiel der Konditor Muntigl, der Erzeuger der 
Erzherzogin-Valerie-Törtchen. 

Nach einiger Zeit traf dann ein nach Form und 
Inhalt stets sich gleichbleibendes Dankschreiben 
von den Kanzleivorstehungen der aufs Korn ge- 
nommenen Persönlichkeiten ein, dem für Herren 
eine in die Augen springende Krawattennadel, 
für Damen ein goldenes Armband mit dem ein- 
gravierten Namen des Spenders beilag. 


Wiederfehen mit meinem Bett 


Von Karl Lerbs 


Als’ ich wieder einlief in den heimifchen Hafen, 
hielt mir mein Bett eine Gardinenpredigt: 


»Ja, fiehft du«, Iprach es, »jetst bift du hin und erledigt. 


Spürft du gar keine Reue? 

Du haft in lauter fremden Betten gefchlafen. 
Ich hielt dir die Treue. 

Du ließeft dich von fremden Kiffen verführen; 
mir war unf’re Verbindung fahrofankt. 

Mich durfte kein anderer Körper berühren. 
Und wie haft du mir’s gedankt? 


Und - was hatteft du Davon?« fo fragte es hart. 


»Angenehmere Ruhe? Befferen Schlaf 
Überall haben die Sprungfedern geknarrt. 


Mal war die Deche zu fchiver, mal war fie zu leicht. 


Aber nirgendwo hat fie richtig gereicht. 
Du Schaft 


Überall gaben fie dir zu wenig Kiffen, 

und du haft dir dabei den Hals verbogen., 
Einmal war der ganze Bezug zerriffen. 

Deinen Pyjama behandelten fie liederlich. 
Nebenan wurde Immerzu die Spülung gezogen. 


Und die Stiefel wurden batfch vor die Türen gefchmiffen. 


Es ift widerlich! 5 
Na, jedenfalle bit du gründlichtt gefchlagen 


und haft bei der Sache nur Schaden genommen. 
Schließlich und endlich bift du ja wiedergekommen. 


Haft du Kopfmweh? Schmerzt dich der Magen? 
Komm her, wir wollen ung wieder vertragen. 


Nicht wahr, hier ift alles lieb und vertraut? 
Hier wirft du vergeffen, was dir gefchah. 

Die Kiffen find grade richtig gebaut, 

Und die Kuhle in der Matratze ift auch noch da. 
Hier gibt's kein Geknarre und kein Gebuller, 
und auch das Laken ift ohne Fehl. 


Du fehläfft wie ein Säugling mit feinem Schnuller, 


Du Kamelt 


Na komm fchon in die germohnte Arche, 
Den Frieden findft du ja doch nur bei mir, 
Dich wird kein böfer Nachbar mehr wecken 
mit feinem Gehufte und feinem Gefchnarche. 


Du brauchft dich nicht mehr nach der Decke zu ftrecken: 


Hier ftrecht fich die Decke nach dir.« 


Verlag und Druck: Knorr & Hirth 


Vorantwortl, Schriftleiter: Walter Foitzick, Münche: 
anstallon entgegen. — Bezugspreise 






. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal 
Einzolnummer 30 Pl.; 


VON HEINZ SCHARPF 


Nach diesen sichtbaren Auszeichnungen, deren 
Wert zuweilen im umgekehrten Verhältnis zu ihrer 
Kostbarkeit stand, war auch der verlangende Sinn 
der Ehegatten Haberlander, der Wirtsleute „Zur 
Teufelswand”, gerichtet. In diesem Wirtshaus, 
am Fuße des Dachstein gelegen, kehrten wieder- 
holt illustre Jagdgäste ein, darunter auch der 
leutselige Herzog Willibald. An dessen Adjutanten 
nun pirschte sich der Teufelswirt wegen der Er- 
füllung seines Herzenswunsches weidgerecht 
heran. 

Der freundliche Herr gab ihm gern einen Finger- 
zeig. 

Herzog Willibald war nicht nur ein eifriger Groß- 
wildjäger und ein ebensolcher auf kleine Mäd- 
chen, er war auch als ein leidenschaftlicher In- 
sektensammler bekannt. Seine Flohsammlung war 
berühmt, Und hier winkte dem Teufelswirt eine 
Chance. Wenn er auf diesem Gebiet Seine Hoheit 
mit etwas überraschen konnte — 5 
„Ja, Flöh ham mir grad gnua”, brüstete sich der 
Teufelswirt, 

„Natürlich keine gewöhnlichen Exemplare”, meinte 
der Adjutant. 
„Ganz große”, 
lander. 
„Weder Menschen- noch Hundeflöhe, lie- 
ber Wirt, aber Gletscherflöhe; Gleischer- 
flöhe sucht Seine Hoheit.” 

„Aha, Schneehupfer”, grinste der Teufels- 
wirt. Und damit war ihm der Weg zu dem 
ersehnten Krawattenschmuck gewiesen. 
Von da an stieg er fleißig auf den Dach- 
steingletscher hinauf, setzte sich in die 
Sonne und paßte den Flöhen auf. Hatte er 
einen dieser munteren Springer erwischt, 
stöpselte er sein kleines, mit Schnaps ge- 
fülltes Fläschchen auf und ersäufte ihn 
liebevoll darin. Zu Hause schüttete er 
dann seine Jagdbeute zur sichereren Auüf- 
bewahrung in eine größere Flasche um. 
Als er den Boden derselben schon finger- 
dick mit solch ediem Wild bedeckt hatte, 
stürzte eines Tages sein Weib, die rund- 
liche Frau Elise, aufgeregt mit der Nach- 
richt daher, Seine Hoheit, der Herzog Willi- 
bald sei soeben in der Teufelswand ein- 
gekehrt — mehr brachte sie vorderhand 
nicht ‚heraus, ächzend fiel sie auf zwei 
Stühle, 

Der Teufelswirt knöpfte sich rasch einen 
Sonntagskragen um seinen stattlichen 
Kropf und begab sich in die Wirtsstube. 
Da saß der gute Herzog mit noch einem 
Herm und sagte: „Grüß’ Gott, Haber- 
lander, habt’s an guten Speck und an 
scharfen Schnaps zum Wärmen? Wir müs- 
sen gleich weiter.” 

Der Wirt machte seinem Hausnamen Ehre 
und schoß wie der Teufel in die Küche ab. 
Während Frau Elise in der Eile beinahe 
die Kellerstiege hinunterkugelte, um den 
ältesten Wacholder und den saftigsten 
Speck heraufzubringen, holte er seine 
Flohflasche herbei, um sie bei schicklicher 
Gelegenheit zu überreichen. Frau Elise 
stellte dann ihre mit dem Wacholder da- 
neben, schnitt den kemigen Speck in 
appetitliche Scheiben, verwechselte in 
der Hast die Flaschen und schenkte dann 
Seiner Hoheit fleißig aus der Fiohflasche 
ein. Den Herzog Willibald wärmte der 
Schnaps prächtig. Er und sein Begleiter 
sprachen ihm so tüchtig zu, daß bald nur 
mehr der Bodenbelag zurückblieb. 

„Was ist denn das für ein merkwürdiger 
Bodensatz?" fragte der fürstliche Gast, 
wobei er Frau Elise gönnerhaft um die 
Taille faßte. 


versicherte ihm Haber- 


ruf 129 








Abonnement im Monat RM. 1 


lellungen nehmen alle Buchhandlungen, 
‚20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandi, wenn Porto beiliegt. — 
Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München 


Die Teufelswirtin hielt die Flasche gegen das 
Licht und fühlte ihr Herz stille stehen. Aber rasch 
gefaßt sprach sie: 

„Das sind Wacholderkörner, Hoheit, die wecken 
die Lebensgeister und machen das Blut wieder 
jung.“ 

Der hohe Herr zerbiß lachend einige der wunder- 
tätigen Beeren, glaubte an sich schon eine fühl- 
bare Wirkung konstatieren zu können und faßte 
Frau Elise tiefer um die Mitte. Und als er dort 
genügend lang verweilt hatte, brach er auf. Nach- 
dem er in seinem Jagdwagen Platz genommen 
hatte, überreichte ihm der Teufelswirt untertänigst 
die Flasche, die Frau Elise für den hohen Besuch 
aus dem Keller heraufgeholt hatte. 

„A prima Dachsteinfechsung, Hoheit‘, betonte er 
blinzelnd, worauf der Herzog kreuzvergnügt da- 
vonfuhr. 

Nach drei Wochen kam an Herrn Georg Haber- 
lander eine goldene Krawattennadel und an des- 
sen Frau Elise ein ebensolches Armband. Diesen 
Geschenken lag ein Schreiben der herzoglichen 
Kanzleivorstehung bei, worin der Dank Seiner 
Hoheit für die prima Dachsteinfechsung ausge- 
sprochen und ein weiterer baldiger Besuch des 
hohen Herrn in der Teufelswand in Aussicht ge- 
stellt wurde, wobei — wie wortwörtlich stand — 
Seine Hoheit hoffe, dann auch wieder einen so 
köstlichen, blutauffrischenden Wacholder vorge- 
setzt zu bekommen. 

Der Teufelswirt ließ hierauf Ochs, Esel, Welb und 
Kuh im Stich und ward nicht mehr vom Dachstein 
herabzubringen. 

Er suchte dort oben nach seiner inneren Ruhe 
und nach neuen Wacholderkörnern, wie sie auf 
dem sonnigen Gletscher herumhüpften. 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Meine Kinder wollten einen Pudel. 

Also gut — bekamen meine Kinder einen Pudel. 
„Dressiert ihn recht schön, Kinder!” 

„Wird gemacht, Vater!” 

Am Abend kam ich nach Hause, 

Mümmchen lief mir aufgeregt entgegen, 

„Er kann schon ein Kunststück!” 

„Was denn?” 

„Er steht auf drei Pfoten und hält sich mit der 
vierten am Schrank fest!“ I.H.R. 


* 


Mein Freund Johannes ging zum Zahnarzt. Leicht 
fiel es Ihm nicht. 

„Wo tut es denn weh?” fragte der Zahnarzt. 
„Im letzten Backenzahn rechts unten“, berichtete 
Johannes. 

„Das will ich gerne glauben. Da ist ja auch ein 
tiesengroßes Loch drin“, stellte der Zahnarzt fest. 
„Ein riesengroßes Loch?” wiederholte Johannes 
schaudernd. „Ach, dann behandeln Sie doch 
lieber erst mal einen anderen Zahn.” 1.B. 


tiefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. 


Zeitungsgeschäfte und Post- 


Die artige Britannia 


(Wilhelm Schulz) 





„Nein, nein, ich mag nicht mehr mit euch spielen, mein russischer Vormund sieht es nicht gernel'' 


La garbata Britannia: ‘No no, non ho piö voglia di giocare con Vol; il mio tutore russo non lo vede volentieril,, 


316 


München, 9. Juni 1943 R 
48. Jahrgang / Nummer 23 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Vor der Höhle des Bären 


„Wenn wir nur wüßten, womit wir ihn herauslocken könnten!" 


Davanti al covo dell’ orso: ‘Se mal sapessimo con che mezzo poterlo adescar fuorl!,, 





Neid - Invidia 


(0. Hogenbarth) 





„Wissen Sie, meine volle Figur sagt noch nicht, daß ich viel esse!" — „Nee, aber sie ist 'ne Rücksichtslosigkeit gegen andere!" 


“Sapete, Ia mia figura plena non dice affatto ch” io mangi molto!,, — "No, ma essa & una mancanza di rispetto verso gli altri!,, 


ÜBER LEDERHOSEN 


VON WALTER FOITZICK 


Lederhosen, das Ist ein weltes Feld. Ich habe über 
sie viele befragt, natürlich Leute aus Oberbayern, 
die über Lederhosen Bescheid wissen müssen. Es 
Ist nicht ungefährlich, über Lederhosen Fragen zu 
stellen. Waren mehrere Befragte beieinander, ge- 
rleten sie oft In Streit Über Ihre Qualitäten und 
Verwendungsmöglichkeiten. Manche sagten, man 
könne sie auch in die Oper anziehen. Die Ansich- 
ten über Lederhosen gehen weit auseinander. Ich 
habe nur Weniges einwandfrei feststellen können, 
zum Beispiel das: die Lederhose muß aus leder 
bestehen. Das Ist nicht so ohne weiteres klar, 
denn viele solcher Hosen bestehen eben nicht 
aus Leder. Voller Verachtung sahen meine Ge- 
währsmänner auf solche herab. Sie sagten, eine 
gute Lederhose müsse drel Generationen halten. 
Das waren Feinschmecker auf dem Gebiet der 
Lederhosen. Die Patina ist das Schönste. Manche 
Hosen bestehen nur aus Patina. Sie sind farblos 
oder eigentlich von der Farbe der Umgebung, 
ungefähr wie die Fahrzeuge der Wehrmacht, die 
dem Gelände angepaßt sind. Infolgedessen sind 
Leute In Lederhosen für feindliche Flieger fast 
unsichtbar. Aber deswegen werden sie nicht ge- 
tragen. 

Die eigentlichen Lederhosen sind ursprünglich 
schwarz mit grüner Stickerei, Die wirklichen, ech- 
ten Lederhosen sieht man bei den oberbayeri- 
schen Bauern. Die feinen, die man am Sonntag 
trägt, werden von den Kennern nicht geschätzt, 
dagegen diejenigen, die bei den Gewehren In 
der Ecke stehen. Sie haben das Aussehen alter 
Bronzeschwerter und sind ebenso hart. 
Lederhosen für Kinder sind eine Erfindung der 
Städter, denn seine Lederhosen soll der Mann 
zwar nicht von der Wiege, so doch bis zum Grabe 
tragen. Das Anlegen der ersten Ledernen kommt 
‚der Mannbarkeltserklärung mancher Völkerstämme 
in der Südsee gleich. 

An der Außenseite des rechten Hosenbeins be- 
findet sich eine Tasche für den Hirtling, das fest- 
stehende, manchmal leicht sitzende Messer. Da- 
her kommt es, daß es In gewissen Fällen als cor- 
pus delicti auf dem Richtertisch liegt. Dieses Mes- 
ser dient In friedlichen Zeiten zur Nahrungsauf- 
nahme, zur Reparierung der Taschenuhr und zur 
Schönheitspflege, namentlich für diese ist es un- 
entbehrlich. 

Am meisten geschätzt sind die Gamsledernen, 
dann kommen die Hirschledernen, es gibt auch 


Rindlederne, Roßlederne und Hundslederne, und 
was dann kommt, ist die dunkle Welt der Surro- 
gate, 

Als vor Jahren einmal die Luxussteuer erfunden 
wurde, gerleten durch einen Reichstagsbeschluß 
auch die Lederhosen unter die Luxusartikel. Da 
aber zeigte sich, wozu ein bayerischer Gesandter 
In Berlin ist. Der schlug mit markii Faust auf 
einen grünen Tisch und befreite die Lederhose da- 
von, in der Gesellschaft der Brillantringe und duf- 
tenden Parfüms zu verbleiben. 

Es wäre noch manches über den Verschluß der 
Lederhose zu sagen, der die Form einer Zugbrücke 
hat und In den oberbayerischen Minneliedern, den 
‚Schnaderhüpfin, Rolle spielt. Aber hier wird 
das Feld immer weiter. 

















Im Spiel der Lüfte 


Des Nachmittags am Fenfter ftehend 

und mißgelaunt ins Welte fpähend 

- der Weftwwind faucht, die Pfeife glimmt -, 
bemerk’ ich mas, das mich entftimmt, 


und zwar in Richtung Wohlgefallen: 
ein Frauenzimmer feh’ Ich wallen, 
als welches mit des Windes Lift 

in Widerfpruch geraten Ift. 


An der mir wohlvertrauten Eche 
bemächtigt er fich ihrer Röcke, 

moraus fich ein Afpekt ergibt, 

den mancher, der ihn wahrnimmt, liebt. 


Nur gilt der Sat nicht voll und Immer. 
Zum Beifpiel diefes Frauenzimmer 

Aft, role mir fcheint, dem Welt, der paßt, 
figürlich nicht ganz angepaßt. 


Nun ja, man kann nicht alles kriegen. 

Die fchlimme Laune zu befiegen, 

genügt oft fchon als Gegengift 

ein Mißgefchich, das andre trifft. 
Ratatöshr 


318 


MEIN FREUND JOH/ANNES 


Wir wollten zusammen In die Sommerfrische fahren. 
Aber nun hatte Johannes plötzlich Bedenken. 
„Eigentlich kann Ich mir das gar nicht leisten”, er- 
klärte er, „Den Aufenthalt vielleicht. Aber die teure 
Reisel” 

Ich rechnete ein wenig. „Gut, Johannes”, sagte 
ich dann, „ich will dir die Reise bezahlen. Aber 
wir müssen dann Ill. Klasse fahren.” 

„Die ganze, lange Strecke?” fragte Johannes be- 
denklich. „Das halte Ich nicht aus. Du weißt Ja, 
wie schlecht Ich gepolstert bin.” 

„Na ja, wir müssen ja ohnehin ein paarmal um- 
steigen. Fahren wir also ein Stück zur Erholung 
Il. Klasse”, entschied Ich. 

„Schön. Ich werde dann also die Karten besorgen”, 
schloß Johannes. 

‚Am nächsten Morgen brachte er sie mit, Ham- 
burg—München, München—Innsbruck und so welter, 
alles Il. Klasse, 

„Aber Johannes, wir wollten doch ein Stück Ill. 
fahren!” rief ich ein wenig böse. 

„Für die S-Bahn habe Ich Ja auch II. besorgt”, 
sagte Johannes freundlich. 


* 


Martin sah kreuzunglücklich aus. Es war ihm deut- 
lich anzumerken, daß er sich nicht wohl in seiner 
Haut fühlte. Dieser Eindruck wurde noch durch 
die sonderbaren Bewegungen verstärkt, die er 
machte. Er drehte und wand sich, zuckte hin und 
wieder zusammen, kurz, or benahm sich, als wäre 
er einem Tobsuchtsanfall nahe, 
„Was Ist denn nur mit dir los, Martin?” fragte Jo- 
hannes schließlich, nachdem er ihn eine Weile mit 
steigendem Beiremden beobachtet hatte. 
„Ach, es ist zum wahnsinnigwerden. Es juckt mich 
wie toll auf dem Buckel. Gerade da, wo Ich nicht 
hinlangen kann“, erklärte Martin verzweifelt, 
„Siehst du, ich hab dir ja damals gleich gesagt, 
du solltest nicht Kaufmann werden!” sagte Johan- 
nes bedeutungsvoll. 
„Was hat denn das Jucken mit meinem Beruf zu 
tun?” wollte Martin höchst erstaunt wissen. 
„Das Jucken nichts”, erklärte Johannes. „Aber 
wenn du nun Schlangenmensch geworden wärest, 
‚dann könntest du dich Jetzt auch überall kratzen.” 
3. Bieger 








Praktische Zoologie (0. Gulbransson) 


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„a, ja, Xaver, mir gefällt er auch sehr gut, aber was meinst, wieviel Einmachgläser man für den braucht?“ 


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Zoologia pratica: "Si sl, Saverio, anch’ esso mi place assal; ma quanti barattoli da conserva credi tu occorrano per esso?,, 


319 


GROSSAUFNAHME 


VON WILHELM PLEYER 


An unsere Soldaten wird — aus der fernen Hei- 
mat — immer wieder die beteiligte Frage ge- 
richtet, was sie denn machen, wenn sie momentan 
oder auch längere Zeit einmal Ruhe haben. Zu 
gerne möchten die Mütter, die Gattinnen, die 
Bräute und die Schwestern, ja sogar die Töchter 
wissen, was man da so tut. Ja, was machen wohl 
unsere Soldaten dann, wenn sie zu Hause — ach, 
zu Hause! — gerade dies und das tun, ihre Zeit 
mit den — achlı — so wohlbekannten, altver- 
trauten, nicht immer restlos freundlichen, aber nun 
doch mit Wehmut betrachteten Gepflogenheiten 
hinbringen würden? Die psychologischen Gründe 
und die des Herzens für solch beteiligte Frage 
liegen wahrlich auf der Hand. 

Ich gedenke jedoch den Rahmen der nachfolgen- 
den kleinen Geschichte nicht mit einer langen 
und breiten Beantwortung dieser Frage zu spren- 
gen — den Rahmen einer kleinen Geschichte, die 
Ich um so eher prächtig nennen darf, als Ich sie 
nicht erfunden habe, sondern sie bloß getreu der 
Wirklichkeit nacherzähle. 

Ich stelle zunächst ihre beiden Hauptgestalten 
vor; ich selber bin nur am Rande dieser Ge- 
schichte beteiligt, insofern, als ich den Kontakt 
eines Photoapparates auslösen mußte. 

In der Natur der Sache liegt es, daß die Haupt- 
gestalt mit dem höheren Dienstgrad der Ältere, 
Reifere, Ruhigere, in jeder Hinsicht Solidere ist; 
überdies’ist er verheiratet und hat eine zivile 
Existenz, die man mit jedem Gewicht dieses Wor- 
tes bürgerlich nennen darf. Von seiner Frau scheint 
er vergöttert zu werden, das Verhältnis zur 
Schwiegermama muß auf wechselseitigem Ent- 
zücken basieren und das zu seinem Schwieger- 
vater In dem ständigen Austausch unbegrenzter 
Hochachtung seinen Ausdruck finden. Seine Kin- 
derchen aber sind die wohlerzogensten und net- 
testen von ganz Mitteleuropa, und wie könnte 
es auch anders sein, — nie würden sie an 
irgendeiner Lebensäußerung ihres Papas etwas 
wahrnehmen, was der Entfaltung der Lilienknospe 
zum schimmernden Kelche auch nur den gering- 
sten Abbruch tun könntel — 

Der Dienstjüngere meiner beiden Gestalten jedoch 
ist von alledem ungefähr das Gegenteil. Nicht 
nur, daß er im Zivilberuf Zeitung macht, er ist 
auch unverheiratet und kinderlos und hat also 
jederzeit seine Gedanken für mancherlei und 
allerhand frei und eine ungebrochene Lust zu 
knabenhaften Streichen; und eine dermaßen zur 
Schau getragene Solidheit wie die seines älteren 
Kameraden kann nur aufreizend und herausfordernd 
auf ihn wirken. Darum wird er nicht müde, dem 
anderen, den er nicht ohne einen Unterton von 
Verachtung stets mit dessen akademischem Titel 
„Doktor“ nennt, einen Possen zu spielen, dem 
möglichst wenig Akademisches eignet, 

Wenn seine Alte Dame ihm schreibt: „Lieber 
Erich, was tust du doch immer, wenn du momen- 
tan nicht Krieg führst?”, dann hat diese Frage viel 
Sinn; denn es ist ganz allgemein darauf zu ant- 
worten, daß der Erich dieser Alten Dame immer 
etwas tut, wenn man ihr auch nicht immer ver- 
raten könnte, was. Wenn aber Mama oder Mausi 
an seinen Kameraden Adalbert dieselbe Frage 
richtet, so kann sie nicht halb so interessant sein; 
denn es ist darauf nur zu antworten: So recht 
oder so schlecht es sich In diesem mittelrussi- 
schen Kaff unfern der Hauptkampflinie tun läßt, 
lebt euer Adalbert so gesetzt und solid und wohl- 
verhalten, wie er es zu Hause gewohnt war und 
wie ihr es nie anders an Ihm gekannt habt. Seiner 
guten Herkunft und den besten Verhältnissen, in 
die er hineingeheiratet hat, macht er weder beim 
Zähneputzen, noch beim Kartoffelschälen, noch bei 
dem zeitweilig unvermeidbaren Gebrauch des 
Donnerbalkens die geringste Schande; er ist und 
bleibt euer wohlgeratener Adalbert. 

— — Es war ein sonnenheißer Nachmittag. Erich 
gähnte. Mit elnem traumverlorenen Zug In seinem 
noch jungen Antlitz erzählte er von zu Hause, von 
Berlin. Mitten in seiner Erzählung brach er ab, sein 
Blick bekam etwas Glasiges, und er stärrte auf eine 
und dieselbe Stelle. Ich sah, daß sich dort auf einem 
hölzernen Bördchen Adalberts Leica befand. 

„Wo wollen Sie da das Eiweiß anbringen?” fragte 
ich Erich, weil er tags zuvor die Schalen von Adal- 
berts Zigarettentasche mit etwas Eiweiß bastri- 


chen und nachher wieder die Zigaretten hinein- 
getan hatte. 

Erich schüttelte den Kopf. „Ein Mann wie ich 
wiederholt sich nicht.” Er stand auf, griff nach der 
Leica und machte sie schußfertig, Nach einem 
Blick auf die Beleuchtungsverhältnisse wies er mir 
den Standort an, entledigte sich der Bluse und 
des Gürtels und entblößte jene monumentale 
Partie des menschlichen Körpers, von der Come- 
nius In seinem Orbis pictus wohlweislich abge- 
sehen hat. So schreckhaft diese hier ausgespro- 
chene Situation auf den Leser und insbesondere 
auf die Leserin wirken mag, so wenig Überräschen- 
des konnte sie für denjenigen haben, der Erich 
bereits seit einiger Zeit kannte. 

Zwischen dem hochgezogenen Hemd und der 
herabgelassenen Hose wölbte sich also jener 
Körpertell mir beziehungsweise dem Objektiv der 
Leica zu einer Großaufnahme entgegen. Ich hatte 
nur noch die Einstellung zu korrigieren, bevor ich 
belichtete. Dabei kam mir zum Bewußtsein, wie 
oberflächlich das Urteil ist, es sei doch einer wie 
der andere. Nein, die individuellen Züge sind auch 
hier nicht zu verkennen und vermögen gewiß 
schon einer einzelnen Aufnahme Reiz zu verleihen. 
Endlich war die Sache richtig und ich belichtete. 
Durch die eherne Ruhe des Objekts, die Schärfe 
des Objektivs und die Gunst der Beleuchtung war 
eine prözise Großaufnahme gewährleistet. 

Erich brachte seinen Anzug In Ordnung, ohne eine 
Miene zu verziehen, nahm mir die Kamera ab und 
brachte sie in den vorigen Zustand und auf den- 
selben Ort. Einstweilen war nichts weiter darüber 
zu sprechen. 

Am Abend saß man wieder gemütlich beisammen, 
auch Adalbert war nach seinem Dienst dabei. 
Man unterhlelt sich über dieses und jenes, man 
sprach auch davon, wie der Krieg, vor allem die 
jahrelange Entfernung von der Heimat und den 
früheren Lebensgewohnheiten manchen Menschen 
verändere, und wie wohl manche Alte Dame und 
manche Gattin durch diesen Wandel in einiges 
Erstaunen versetzt werden dürfte. Adalbert hörte 
mit verschlossener Miene zu und schüttelte den 
Kopf: „Bei einem Charakter schließen sich solche 
Überraschungen aus.” — 

Ich ‘habe nun nichts mehr darüber erfahren kön- 
nen, was mit diesem Film und unserer Großauf- 
nahme geworden ist, und muß es ablehnen, meli- 
nen Lesern eine Erfindung der Phantasie zu bieten, 
nachdem ich bisher die schlichte Wahrheit be- 
richtet habe. Doch werden sich meine Leser das 
Weitere nach dem Schluß dieses Berichtes selbst 
auszumalen vermögen: Als nämlich Erich gähnend 
und wie beiläufig an Adalbert die Frage richtete: 
„Doktor, was machen Sie eigentlich mit Ihren Fil- 
men, wer entwickelt die?“, da trumpfte der Mann, 
der wieder einmal zeigen konnte, wie sehr bei 
ihm alles in Butter war, auf: „Oh, das ist bei mir 
besonders einfach; meine Schwiegereltern haben 
nämlich selber ein Photogeschäft.” 


Ukrainischer Bauer os. Oberbarger) 


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320 


SALITER 


VON WILLY PENKNER 


In Bulgarien werden die Leute steinalt, weil sie 
statt Alkohol Joghurt trinken, sagt man, in Schle- 
sien sind die Leute aber ebenfalls von hartnäckl- 
ger Gesundheit und lang anhaltender Lebenskraft, 
und da kann es jedenfalls nicht eine durch ein 
spezielles Milchsäurebakterilum vergorene Milch 
sein, die das bewirkt, eher der Alkohol, der dor! 
sicherlich In großen Mengen, aber nicht in größe- 
ten als anderwärts konsumiert wird, Ich glaube 
aber, hier muß es der Menschenschlag als solcher 
tun, der das Lebenskonservierungsmittel in sich 
hat. Jedenfalls ist die körperliche Widerstands- 
kraft des ober- und unterschlesischen Menschen- 
stammes fast sprichwörtlich, und nachfolgende 
Geschichte hat nicht nur den Vorteil der Unter- 
haltung, sondern auch den der Wahrheit. 

Xaver Saliter, es ist der Held unserer Geschichte, 
wurde im Jahre 1836 in K. geboren, Seine Sippe 
bestand aus 102 männlichen und 36 weiblichen 
Menschen, von denen die männlichen, soweit sie 
das 15. Lebensjahr überschritten hatten, alle Berg- 
leute waren und sind. Er kam sozusagen In Knap- 
penunlform zur Welt, und es wäre bei seiner Ge- 
burt das Paradoxe zur Wahrheit geworden, daß 
er nämlich im tiefsten Dunkel des Schachtes das 
Licht der Welt erblickte, Doch diese zwar auch 
ergötzliche Geschichte gehört nicht hierher, und 
so will ich gleich in medias res gehen und die 
weiteren Schicksale des Helden erzählen. Klein 
Saliter lebte, soweit er sich erinnern kann, In 
techt ärmlichen Verhältnissen, denn anfangs im 
Familienverbande waren 19 Geschwister von 
Vater und Mutter zu ernähren, und später hatte 
er für fast ebensoviel Kinder zu sorgen; dabei 
wurde seine emsige Tätigkelt als Ehegatte nicht 
wie heute, prämilert, und der Staat half noch 
nicht, diesen armen Leuten diese Lebensfreude 
materiell zu untermauern. Diese Armut machte 
aber hart und fest, und weder Tod noch Teufel 
konnten die Sippe der Salitör davon abbringen, 
daß ein einziger unter 90 Jahren von dannen ging, 
und ich bin sicher, daß die jetzt Lebenden diesem 
guter Beispiel beharrlich folgen werden, 

Im Jahre 1852, mit 16 Jahren, fuhr Saliter mit sel- 
nem Vater unter Tag. Er lernte seinen selbstver- 
ständlichen Beruf von der Pike auf und mit klei- 
nen Unterbrechungen, die zur Ausheilung seiner 
auf dem Felde des Bergbaues zugezogenen Ver- 
wundungen notwendig waren, sollte ihn jeder Tag 
durch 56 Jahre hindurch und jeder Tag 10 bis 
12 Stunden die Erde mit ihrer unheimlichen Ruhe 
und Finsternis in ihren Bann schlagen. In einer der 
größten Zechen arbeitete er sich bis zum Ober- 
steiger empor, und während dieser Zeit griff ins- 
gesamt sieben Male der Tod nach Saliter, der ihm 
aber jedesmal eine entschiedene Abfuhr erteilte, 
ohne allerdings Denkzettel beachtlicher Art am 
Körper Saliters zu vergessen. 

Saliter war 21 Jahre alt, als der Tod in Form 
eines schlagenden Wetters nach dem Leben von 
35 Bergleuten griff. 34 Kameraden nahm der Sen- 
senmann mit, einen mußte er zurücklassen, aber 
wie sah der Zurückgelassene aus? Saliter wurde am 
Schädel trepaniert, verlor ein Auge, das durch ein 
gütlg blickendes gläsernes ersetzt wurde, und 
arbeitete nach & Wochen mit 4 gebrochenen Rip- 
pen wieder unter Tag als ob es das selbsiver- 
ständlichste der Welt wäre. 

Nicht für 21 Jahre, sondern für 40 Jahre mochte 
man diesen Mann halten, der struppig und wild 
aussah, wortkarg wurde und von nun ab gerne 
ein bißchen mehr ins Glas schaute, wozu Ihm die 
Bergwerksleitung in Form einer Aufbesserung von 
6 Kreuzer in der Woche geholfen haben mochte. 
Dabei soll nicht gesagt werden, daß Saliter aus- 
schließlich dem Alkohol fröhntel O nein, er hatte 
um diese Zeit bereits 3 Kinder und eine sehr 
nette Braut, die er alsdann nach dem vierten 
Knaben auch heiratete, Er war der beste Vater 
und der rührigste Ehemann. 

Saliter stand im 42, Lebensjahre, als er mit zwei 
Steigern in einem Förderkorb abstürzte und allein 
lebend blieb. Sechs Wochen waren alle vier Glie- 
der Saliters in Gips, nach 9 Wochen außer Gips 
und er selbst wieder als frisch gebackener Stei- 
ger im Stollen. Mit diesem Lebensabschnitt sollte 
sich Saliter auch innerlich verändern. Er wurde 
gleich seiner äußeren Form streng, ja überstreng 
mit seinen Untergebenen, wie man das ja oft bei 


Telegramm an Zeus 


(Erich Schilling) 





„Erbitte dringend Rezept, wie man sich in Stier verwandelt. — Roosevelt." 


Telegramma a Giove: ‘Prego urgenza ricefta: come ci si puö trasformare in toro. — Roosevell.,, 


jenen Leuten findet, die durch eine harte Schule 
gegangen, plötzlich Macht Über andere erhalten. 
Bosonders die jungen akademischen Volontäre 
hatten unter Saliters Strenge bitter zu leiden, weil 
er ihnen keinerlei Erleichterungen gewährte, ja 
viel genauer auf die Erfüllung Ihrer Pflichten drang 
wie bei den armen Bergleuten; doch auch die 
empfanden die Härte des vom Schicksal gezeich- 
neten Mannes sehr, ja die Jüngeren .ertrugen das 
Kommando Saliters mit Murren, und manch einer 
sarn Im Ubermut darauf, ihm eins auszuwischen 
Bevor es aber dazu kam, daß die Jungen zu ihrem 
Triumph ‚eine Schlappe Saliters knüpfen konnten, 


wurde dieser durch einen gerissenen Treibriemen, 
der ihm an den Kopf knallte, auf das Kranken- 
lager mit einer schweren Gehirnerschütterung ge- 
worfen, deren Ausheilung bewahre nicht Im Kran- 
kenhaus, sondern bel der Arbeit abgewartet 
wurde. Der Schnaps schmeckte Saliter von da ab 
um so besser, als er dabei sein jämmerliches 
Kopfweh leichter ertrug, das Ihm monatelang er- 
halten blieb, 

Sallters Pflichtbewußtsein stieg nun ins Un- 
gemessene, und er führte ein Akkordsystem unter 
Tag ein, was ihn nun zu einem der unbellebtesten 
Steiger machen sollte. Ihn Über Tag zu haben, 


321 





war Sinnen und Trachten gerade wieder der Jun- 
gen Belegschaft. 

Und so kam, was kommen mußte. Gerade an sel- 
nem 47. Geburtstag war es, als unser Held im 
Stollen einen jener dazu bereitgestellten Kübel 
aufsuchte, um seinen negativen Tribut an das 
Leben abzustatten, Als Saliter gerade vermerkte, 
daß welt und breit keine Menschenseele zu sehen 
war, erfolgte (eigentlich nichts, von Sallter aus 
gesehen, denn dieser erwachte erst nach 3 Tagen 
im Hospital) — für uns also erfolgte eine schreck- 
liche Detonatlon, die Sallter samt dem Gefäße an 
die Decke schleuderte, woselbst einiges verblieb, 


während das andere zurück auf den Stollenboden 
fiel, Verdächtig knickte und knackte es In den 
Verpölzungen und Verstrebungen des Stollens 
Dann stand Ruhe, Totenstille im Raume. Den Tätern 
war das Lachen sehr schnell vergangen, es würde 
ja auch zuerst In dem Tosen und nachher an der 
Totenstille erstorben sein. Jedenfalls wußten es 
mehr als sechs junge Leute, daß eine Spreng- 
kapsel an den Kübel gelegt war, aber wer war 
da zu einem Geständnis zu bringen, geschweige 
denn als Mitwisser auszuforschen? 

Im Reiche der Halbschatten aber weilte unser 
Steiger, der Im großen und ganzen erhalten war 
Im einzelnen aber fehlten sämtliche Oberkiefer- 
zähne, zwei Fingerglieder, drei Rippen und das 
Glasauge. Die südliche Gegend Saliters, also jene 
dem früher erwähnten Gefäß zugekehrte aber er- 
innerte von da ab an jene dunkelrote Färbung 
unserer Paviane. Aber die Farbe wäre ja gleich- 
gültig gewesen, es war vielmehr peinlich, daß 
Sallter nicht sitzen und rechtschaffen liegen 
konnte, er stand und lehnte und war groß In sel- 
nem Schmerze. Bis er wieder mit Hilfe einer Pro- 
these beißen konnte und wieder sozusagen einen 
Mann darstellte, sollten sechs Monate vergehen. 

In dieser langen Zeit aber tat sich sehr viel. Auf 





die Meldung des Unfalles kam die Staatsanwalt- ” 


schaft, um festzustellen, ob nur eine Spreng- 
Patrone oder aber ein Sprengkörper größerer Art 
dieses Malheur verursachte und um das festzu- 
stellen, wurde verfügt, daß ein ebensolcher Kübel 
mit ebensolchem Inhalt mit einer dazu gemachten 
Puppe mit einer Sprengkapsel In die Luft gejagt 
werden müßte, Die Herren vom Gericht und die 
Sachverständigen sollen nur mit Nasenschutzvor- 
tichtungen an ihr Werk gegangen sein, etwas 
Positives kam jedenfalls nicht ans Tageslicht und 
sömtliche Protokolle, Meldungen, Gutachten usw. 
warten zwecklos geblieben. Nur Saliter war vom 
Schicksal mehr gezeichnet, irank mehr und diffe- 
renzierte das zu Trinkende auch mehr, als hätte 
er sich das Recht erworben, es besser zu ge- 
nießen. Wir können darin mit ihm fühlen. 

Nach diesem Fehlgriff des Todes zeugte Saliter 
nach und nach 11 Kinder. Wo dies geschah, blieb 
allen ein Rätsel, da Saliters Wohnung aus einer 
großen Küche bestand, In welcher 4 Betten stan- 
den, 3 Wiegen schaukelten und Gerät aller Art so 
aufgestellt war, daß mehrere Personen unmöglich 
stehen, geschweige sich bewegen konnten. Bos- 
hafte Leute behaupteten, Saliter brächte öfter 
Haselnüsse nach Hause, die er seinen flüggen 
Jungen so unter Tisch und Betten streute, daß sich 
die junge Schar miteinander raufend unter die 
Möbel schob, damit jeder möglichst viel erhasche; 
diesen, vielmehr diese Momente soll Salltor aus- 
nützen, seiner Frau minniglich zugetan zu sein 
Wie dem aber In Wirklichkeit auch war, es steht 
fest, daß ‚die Familie tüchtig anschwoll und der 
Ernährer ein guter Vater und Ehemann blieb, Frei- 
lich hatten die Schicksalsprüfungen des Gatten 
die Frau Saliter frühzeitig obgehärmt und ver- 
grämt und sie sah nicht mehr mit frohem Mute 
und sehr lebensbejahend In die Welt. Dafür wuchs 





Saliter Über Jedes Unglück mehr und mehr über 
sich selbst hinaus und war nun förmlich stolz, daß 
er, der schon viermal Totvermutete, noch immer 
lebte und Leben zeugte. 

Saliter mußte mit 59 Jahren zwei Verkehrsunfälle 
absolvieren und mit 62 Jahren, In einem Alter, wo 
jeder anständige Mann an seine Sklerose denkt 
und Ordnung macht in seinem Lebensbuch, stürzte 
der brave Bergmann in der Dunkelheit einer 
Straße In ein Kellergewölbe, in welchem er hilflos 
und ohnmächtig bis zum Morgen liegen blieb. 
Einen Motorradunfall verschaffte ihm ein Junger 
Student, der ihn nach der Kreishauptstadt mitnahm 
und in einem Graben landen ließ, während der 
zweite Coup dem Bergwerksditektor gelang, wel- 
cher in seinem Rennwagen Saliter mitnahm, um 
durch einen ‚Reifendefekt gerade bei großer 
Schnelligkelt und Kurve sich selbst in den Tod zu 
fahren, Saliter erhielt einen zweiten Beinbruch, Na- 
senbeinbruch und ein drittes Glasauge zuerkannt. 
Damit aber war Saliter wirklich zu einem fast un- 
kenntlichen Menschenwrack geworden und er gab 
selbst zu, daß er nur mit allergrößter Mühe seinen 
Pflichten nachkommen könne, Trotzdem hielt er 
noch 10 Jahre als Obersteiger sein strenges Regi- 
ment Im Bergwerk aufrecht und wurde mit 72 Jah- 
ren zur Verwaltung eines Handmagazins und als 
Hauptportier des Werkes unter Belassung seiner 
Obersteigerbezüge bestellt. Da war Sallter so 
techt in selnem Element, hatte er doch die Fabrik- 
apotheke zu Überwachen, die in einem Kasten der 
Portiersloge untergebracht war und deren sonstl- 
ger medizinischer Bestand ergänzt wurde von ein 
paar Dutzend Flaschen Kognak, Wodka, Kümmel 
usw,, eine alkoholische Reserve, deren Daseins- 
berechtigung immer wieder von Saliter unter- 
strichen wurde, wenn die Bergleute mit größeren 
und kleineren körperlichen Gebrechen sich zur 
Labung einfanden Unter diesen zu Labenden wa- 
ten allerdings sehr viel der akademischen Beleg- 
schaft, die auffallenderweise sehr oft an Magen- 
beschwerden verschiedener Grade litten. Aber 
sehr bereitwillig war Sallter steis bei der Hand 
mit dem Labetrunk, von dem er, scheinbar um sich 
von der Qualität des Trunkes zu Überzeugen, 
selbst ein wenig zu sich nahm, bevor er dem 
Kranken 1—2 Gläschen übergab. 

Die Bergwerksdirektion hatte das Empfinden, daß 
auffallend viel Schnäpse in die Apotheke nach- 
geliefert würden und ließ einmal Bilanz machen. 
Man fand, daß ungefähr die dreifache Menge Al- 
kohol in jener Zeit nachgeschafft wurde, seit eine 
große Anzahl Studenten als Volontäre dem Werk 
zugeteilt waren. 
Und weil die: chnäpse sehr beliebt waren ob 
ihrer ausgesuchten Qualität (Sallter verstand schon 
etwas davon) und die Direktion die Meinung ver- 
trat, daß für viele Zwecke auch eine weniger erst- 
klassige Qualität genügen würde, so verfügte sie 
den Ankauf von solchen Spirituosen, die geeignet 
waren, nicht als besonderes Reizmittel für Magen- 
verstimmungen zu fungieren. Es ist Tatsache ge- 
wesen, daß Leute, die notorisch zwei- bis dreimal 
in der Woche zur Labung kamen, hinfort sehr 








(6. Brinkmann) 


„Was sind Sie von Beruf, Junger Mann!“ „Politischer Zeichner. Warum?" 





"Giovanofto, che professione fate?,, — “Il disegnatore politico. Perchäl,, 


322 


selten zu sehen waren, da sie angeblich nach 
Einnahme der Medizin keine Besserung ihrer Be- 
schwerden verspürten. 

Es war eine rapide Einsparung von Alkohol er- 
reicht und Saliter mußte nicht so oft die Schlüssel 
zücken zu dem allen im Bergwerk so bekannten 
Schrank. 

Böse Zungen behaupteten, daß Saliter diesen 
Rückgang des Konsums erheblich hätte vergrößern 
können, wenn er sich auch etwas mehr zurück- 
gehalten hätte beim Kosten. Jedenfalls hütete Sa- 
liter den Schrank samt Inhalt mit größter Ge- 
wissenhaftigkeit vor fremden Zugriffen. So ging 
Jahr für Jahr dahin, Saliter ging zwar schon etwas 
gebückt, doch ohne Stock, und er machte den Ein- 
druck eines alten Invaliden, wie sie hie und da 
zu jener Zeit als Wächter von städtischen oder 
staatlichen Sammlungen oder Gärten eingesetzt 
waren. 

Zu dieser Zelt — Sallter ging in das 91. Lebens- 
Jahr — hatte Ich dienstlich in der Grube zu tun 
und hörte gerne In der Portierloge die Lebens- 
geschichte unseres Helden aus seinem eigenen 
Munde. Freilich glaubte ich manchmal nicht alles 
als bare Münze nehmen zu müssen, was er da 
über seine an das Unerhörte grenzenden Unfälle 
erzählte, um so mehr, als ich mich wirklich wun- 
dern mußte, daß ein so geprüfter Mensch noch 
immer so viel Kraft und Willen bewahrten könnte, 
wie eben er; doch Immer wurde mir von diesem 
und jenem die Wahrheit von Saliters Erzählungen 
bestätigt und Ich selbst sollte nun zosusagen den 
dramatischen Höhepunkt der Schicksalsschläge, 
die an Saliter verübt wurden, miterleben. 

An einem Montag war es, als Sallter auf seinem 
gewohnten Wege zur Arbeit eine Schutthalde 
passierte, an deren Rand Kippwagen zum Ab- 
laden ihrer Last bereit standen, Just als Saliter 
eine Stelle umging, wo die Gleise nicht viel Platz 
zum Vorübergehen ließen, kamen die Massen des 
Gerölls zum Gleiten — zum Stürzen und begruben 
im Nu den armen Alten mit seiner Pfeife, die nun 
seine Rettung werden sollte. Durch das Getöse 
herbeigeführt, kamen viele Menschen und gruben, 
dem aufsteigenden Pfeifenrauch folgend, nach 
kurzer Zeit Saliter aus und brachten ihn ellends 
in seine Loge, wo ich zufällig anwesend war. 
Der Anblick war schrecklich, der herbeigerufene 
Arzt bemerkte, daß wohl jede Hille vergebens 
wäre, da Saliter gewiß tot sein müßte, Ich beugte 
mich über dos arme Antlitz mit den hundert Wun- 
den an Wangen und Hals — — und wie ich zu- 
tlefst erschüttert dieses Häufchen Unglück be- 
dauerte, hörte ich, ganz ohne Zweifel aus Sallters 
Munde kommend, ein leises Fauchen und — er- 
schrocken mein Ohr näher an den Mund brin- 
gend — ganz deutlich das Wort „Schnapsl” und 
noch einmal „Schnaps! Ich fuhr auf, rief den 
Arzt, der herantrat und das Wunder nicht fassen 
mochte. Doch auch er hörte nun eindeutig das 
Wort „Schnaps“, Ich eilte zum Schrank, riß ihn 
ohne Schlüssel auf, ergriff eine Flasche, goß ein 
Glas voll, eilte zu Saliter, um ihm das Feuerwasser 
einzuflößen, als dieser sagte: „Vom besseren”. 
Das verstand Ich aber nicht und beruhig'e Ihn, es 
wäre das Gewünschte! Saliter nippte, das heißt, 
ich ließ ein paar Tropfen auf seine Lippen fallen, 
als er allen vernehmbar lispelte: „Das ist ja nicht 
der gute, die Flaschen stehen rückwärts.” Diesen 
Wunsch erfüllte ich und der Alte sank zurück und 
rührte sich nicht mehr. E 

Als ich ein paar Tage nach diesem traurigen Ende 
Saliters im Direktionszimmer bei einer Besprechung 
saß, wurde vom Diener gemeldet, daß Frau Saliter 
den Direktor gerne sprechen möchte, was dieser 
sofort bewilligte, Direktor F. kam nach 10 Minuten 
zurück und erzählte nur so nebenbei, daß Saliter 
nur eine Sorge hätte, seinen Posten als Portier 
nicht zu verlieren. 

Auf meine ganz erstaunte Frage, wleso eigentlich 
ein Toter besorgt sein könnte, wurde mir die Er- 
öffnung, daß Saliter ganz gegen die Feststellung 
und Annahme der bei seinem Unglück Anwesen- 
den, inzwischen im Krankenhause ganz zu sich 
gekommen, einige Operationen durchgemacht und 
sicherlich am Wege der Genesung sei. Freilich 
würde diese ein paar Monate in Anspruch 
nehmen. 

In Wirklichkeit kam Saliter zwei Monate nach dem 
Unfall an seinen Dienstort zurück. Er machte noch 
zwel Jahre, wie ich hörte, als Portier seine Arbeit 
und zog mit 98 Jahren im Besitze einer Ehrenrente 
ganz nach Hause, wo er Im 105. Lebensjahre ohne 
Unfall eines Tages seine Seele den Göttern der 
Unterwelt übermachte. 





Sonntagsausflu (R.Krlasch) 


„Sagen Sie, Fräulein Erika, strengen Sie die achtzig Kilometer nicht an?“ 
„Ach woher doch — an meiner Nähmaschine mache ich jeden Tag hundertzwanzig! 


Gita domenicale: “Ditemi, signorina Erica, non Vi affaticano gli ottanta chilometri?,, 
*Macche! Colla mia macchina da cucire ne faccio ogni giorno centoventi!,, 


323 





PUNKT DREI 


VON HANS KARL BRESLAUER 


„Herhörenl" sagte der Gelreite Lembacher zu den 
Stubenkameraden. „Heut müssen wir unser Hirn- 
schmalz zusammentun, weil der Wunderer Alois 
auf Brautschau geht. Er ist der Jüngste von der 
Kompanie und hat In solchen Sachen noch keine 
Erfahrung net... Bist fertig, Alois?“ 


Feingefühl 





„Fix und fertigl” antwortete der sich blitzsauber 
präsentierende Alois. 

„Schaust net übel aus!“ sagte der Gefreite Lem- 
bacher zufrieden. „Aber jetzt kommt die Haupt- 
sach. Die Verhaltungsmaßregeln... Nur keine 
Dummheiten reden, Alois, verstehst mich? An- 
fangen tust mit Fömlliensachen, dann redst von 
der Liebe und hintennach, als Punkt drel, kommt, 
wie man so sagt, das Resumeel” 

„Was ist denn das?” fragte der Alois, 


(0 Hermann) 


a 
i 
4 


„Herr Hagelmaler, gegen vornehmen Damenbesuch habe Ich nichts, aber. 
bal a Schlampen solchane Latschen tragt, leidet der Ruf meines Hauses!" 


324 


„Das Ist der Abschluß. So g’wissermaßen die Zu- 
sammenfassung von dem, was du zuerst g’sagt 
hast, Wann du dich an die drei Punkte halten tust, 
nachher kanns net schief gehen. Hast mich ver- 
standen?” 

„Jawohll“ sagte der Alois. „Jetzt kann mir nix 
mehr g’schehn!” 

„Hat ihm noch einer was zu sagen?” wendete sich 
der Gefreite Lembacher an die aufmerksam zu- 
hörenden Kameraden. „Niemand?,.. Alsdann, 
Alois, nachher kannst abtreten — und schau halt 
dazu, daß du uns ka Schand net machst!" 

So saß der Alois etliche Zeit später neben der 
blldsauberen Emerentia auf dem Diwan, ließ sich 
den Kaffee und das, Wurstbrot schmecken, sah 
bald die Emerentia, bald deren Mutter an, die ihm 
ermunternd zunickte, dachte an die drei Punkte 
und sagte: 

„Haben S' leicht eine Schwester, Fräulin Eme- 
rentla?"” 

„Nein ...” flüsterte Emerentla. 

Alois nahm diese die Familienverhältnisse klä- 
rende Antwort zur Kenntnis, griff, einem Teller mit 
Zwetschgenkuchen kaum einen Blick schenkend, 
nach einem neuen Wurstbrot und ging auf den 
Punkt Liebe über: 

„Was lieben Sie mehr, Fräulein Emerentla; Zwetsch- 
genkuchen oder Spockwurst?" 
„Zwetschgenkuchen!” hauchte Emerentia, die Alols 
alle Speckwürste der Welt vergönnte. 

Damit war also die Familie und die Liebe glück- 
lich erledigt und Alois hatte nur noch den Punkt 
drei vor sich, das Resumee, wie sich der Gefrelte 
Lembacher ausgedrückt hatte, weshalb er nach 
längerem Nachdenken sagte: 

„Schau’n $‘, Fräulein Emerentla, wie schön wär 
das, wenn $' jetzt doch eine Schwester haben 
täten, die was auch keine Speckwurst nicht lie- 
ben tutl“ 





* 


FEUERÜBERFALL 


Wie es näher kommt! Es pfeift. 


Es dröhnt und grollt, 

Feuer, das über die Erde rollt, 
zuckend in den Boden greift, 
Dreckfontänen in die Höhe reißt. 


Alles schüttert, birst und bebt} 


Was da lebt, 
weiß erst jetzt, was Leben heißt, 
duckt sich, atmet kaum. 


Brüllend spricht nur der Tod, 
flammt und loht, 

schmettert Eisen in den Raum 
zwischen Nacht und jähem Rot. 


Dröhnend greift 
es in Graben, Schützenloch. 


Kommt das Letzte? Kommt es doch? 


Und es dröhnt. Und es pfeift, 
aber ferner. — — Und du atmest noch! 
FRITZ RAST 


Musterung in USA. 


(Erik) 





„und denken Sie daran, daß Sie ausersehen sind, amerikanische 
Kultur in die Wildnis unserer neuen europäischen Kolonien zu tragen!“ 


Rassegna negli USA.: ".. .e badate bene che Voi siete prescelto a portare la cultura americana nelle nostre nuove colonie selvagge dell’ Europa, 


325 


Das einsame Bad CK Heligenstaad) 





„Paß auf, Steffi, ein junger Mann beobachtet uns!" 
„Ach Gott, schließlich sind wir doch auch bloß ein Stückchen Natur!“ 


Il bagno solitario: “Bada, Stefania, un giovane ci sta spiando!,, 
#Eh, Dio mio, alla fine anche nol non siamo che un pezzetto di natura!,, 


326 


IKARUS 


Ein nackter Leib und zwei der Federn, 
die man dem Vogel Strauß geraubt. 
Der Jüngling führt auf hohen Rädern 
hin an den Strand, 

Und hinter ihm im Festgewand, 

die ihm geglaubt. 


Der Sand liegt gelb. Es wehn kaum Winde, 
In Fernen klirrt das grüne Meer. 

Er lächelt übers Angebinde 

und läßt sie los 

die blauen Tauben Helios 

und schaut umher. 


Die Alten nicken, Und er schreitet 
geölter Haut aufs Katapult: 

„Adı, daß ich midı zum Flug bereitet, 
mein junges Ilerz, 

mein junges, ungeslümes Herz 

ist daran schuld.“ 


Und dann geschah — — Icı kann's nicht sagen. 
Die Vase hat hier einen Riß. 

Wir schen einen halben Wagen 

und Münnermünder auf in Klagen: 

© Helios, 

dein Flammenstoß 

marf ihn in Meer und Finsternis. 


ALBERT HIEMER 


ARABELLA 


VON FELIX RIEMKASTEN 


Eines Tages, als Junge, war ich einmal im Zirkus 
gewesen. Dort halte mir am meisten das Pferd 
Arabella gefallen, Es wieherte mutig, es war 
breit und prächtig gebaut, es hatte einen starken 
Hals, einen feurigen Blick, und es war über die 
Maßen prächtig anzusehen, wie es aufgezäumt 
war, Es funkelte und klirrte von Gold und Rot und 
Pracht. Auf dem Haupt trug es einen wehenden 
weißen Federbusch, vor der Brust hatte es eine 
klirrende, schimmernde Messingplatte. An rot- 
ledernem Gehönge, mit Glöckchenl — Dieses 
Pferd Arabella hatte sich meinem Gemütsleben 
tief eingeprägt; es galt mir als Sinnbild für Reich- 
tum, Macht und Pracht. 

Dann, etliche Jahre später und schon etwas rei- 
fer, als ich ein Jüngling war und zur Tanzstunde 
ging und wahrscheinlich — wie ich das heute 
ansehe — weiter nichts darstellte als einen grü- 
nen Schnösel, einen.Laffen, da sah ich beim Tanz- 
stundenball ein Mädchen, das mir sofort in die 
Seele fiel und dort Eindrücke wachtief... Ich 
dachte angestrengt darüber nach, bis es mir ein- 
fiel; „Arabellal” Denn dies war der Eindruck, den 
sie auf mich machte: mächtig, prächtig, edel und 
dabei gewaltig! 

Gott bewahre mich davor, selbst heut noch, so 
kühn zu sein, auch nur Im Traum den Arm um 
Ihre Hüfte zu legen. Rein instinkthaft mied ich 
sie, ich vermied es sogar, auch nur an sie heran- 
zutreten. Sie war viel zu groß für mich, auch zu 
schwer, Sie war, um es kurz zu sagen, weit über 
melne Gewalt. 

Diesen Eindruck teilte ich meinem damaligen 
Freund Berkersdorf mit ohne zu ahnen, daß Ich 
damit die Flammen der Liebesglut in ihm auf- 
schürte. Unheil schuf ich damit, ohne es zu ahnen. 
Berkersdorf nämlich war ein Kamel. Er hatte Glotz- 
augen, er hatte einen Stiernack. er hatte an 
Feingefühl überhaupt nichts, er war eben — wie 
ich das vorhin schon gesagt hatte — ein Kamel. 
Er war ein Roß, er war ein Rindvieh. Nur so 
konnte er die Dreistigkeit haben und den Mut, 
sich in Arabella zu verlieben, in dieses Mädchen, 
diese Naturgewalt, Und drüben saß ihre Mutter! 
Ich war nicht etwa von Neid erfüllt, auch nicht 
von Eifersucht, ich stand nur, sah und gaffte. Wenn 
irgend etwas In meiner Seele war, so war es 
Grausen, vermischt mit Neugler. 

„An die geh’ ich ran“, schwur Berkersdorf in dem 
Stil, in dem man als Siebzenjähriger seine Schwüre 
schwört. „An die geh’ ich ranl" 

Er wußte nur nicht, wie er es machen sollte, Er 
tanzte mit ihr, aber er wußte kein Wort zu spre- 
chen, er schwitzte nur. 












„Mensch“, flüsterte er mir nach dem Tanze zu, 
„Mensch, die ist was, da geh’ ich ranl” 

Beim zweiten Tanz sprach er sogar mit ihr. 
„Mächtig heiß heut”, offenbarte er ihr. Und fragte: 
„Schwitzen Sie auch so?" 

„Und was hat sie geantwortet?” fragte ich. 
„Mensch“, sagte er stolz, „sie hat gesaı Ich 
auch! — Also du siehst”, eröffnete er mir, „das 
ist was, und nun komme mir gefälligst nicht da- 
zwischen. Die ist für mich!” 

Weiter aber flel Ihm nichts ein, denn ein Blick auf 
Arabellas Gliederpracht und Feurigkeit, das Jagte 
ihn in Angst und schuf ihm kalte Füße. Unbe- 
dingt aber mußte er sich mit Ihr unterhalten. Er 
ging also aufgeregt an die Theke, trank sich dort 
mit zwei Glas Bier etliche G: kraft an und 
grübelte über die Frage: Wie unterhalte ich mich 
mit Ihr? — Es fiel Ihm dann etwas ein. 
„Fräulein“, sagte er beim dritten Tanz, „wissen 
Sie, was mein Freund von Ihnen gesagt hat?” 

Das wußte sie nicht, aber sie hatte sofort Ver- 
dacht und legte einen pfundschweren Blick auf 
mich, als sie an mir vorübertanzte. 

„Nein“, sagte zu Berkersdorf. „Was hat denn 
Ihr Freund gesagt?” 

„Das sage Ich Ihnen“, sagte er, „wenn Sie mit 
mir in die Ecke gehen, wo die Palmen stehen. 
Dort sage ich es Ihnen.” 

Da ging mit.Ihm In die Ecke, und er, das Rind- 
vieh, sagte es Ihr. Er meinte, damit groß aufge- 
stiegen zu sein in Wichtigkeit. „Mein Freund sagt, 
Sie erinnern Ihn an ein Pferd, Fräulein.” 
„Wieso?” fragte sie. 

infach so, überhaupt sol” 

„So, so“, sagte sie'nur und warf sich sozusagen 
im stummen Wiehern Ins Geschlrr, in ihr Pracht- 
geschlrr. Mit den Hufen stampfie sie. Sie sagte os 
stracks ihrer Mutter, die drüben saß. Da stellte 
ihre Mutter mich zur Rede, unter den Palmen, und 
fragte mich, ob es wahr sel, daß ich ihre Toch- 
ter mit einem Pferd verglichen habe, Da dachte 
ich: Soll mich der Bei ‚dorf, dieses Rindvieh, 
vor allen Leuten blamieren? Ich wurde feuerrot 
und stritt es entrüstet ab und sagte zur Begrün- 
dung nur, daß Berkersdorf ein gemeiner Mensch 
sei, Das Lügen sei seine zweite Natur, sagte ich. 
Daraufhin bedankte sie sich bei mir und ging zum 
Tanzmeister. Sie verlangte, daß dieser Herr Ber- 
kersdorf auf der Stelle den Kursus verlassen 
müßte, andernfalls würde ihre Tochter den Kur- 
sus verlassen, denn es sollte ein Kursus für fei- 
nere Leute sein, ein Kursus für Bildung und Schliff, 
Und Berkersdorf wurde wütend vor Wut und da- 
mit unfein, und der Skandal war erheblich. Andern- 
























tags vertrimmte er mich auf dem Schulhof und 
nachher noch In der Tumstunde, und am fol- 
genden Tag ging er hin, in seinem besten Anzug, 
um der Mutter der Dame das zu erklären, und 
daß ich es doch gesagt habe, und daß er nicht 
ein Lügner sei, und er habe das Fräulein Tochter 
nie für ein Pferd angesehen, Ja, er sagte sogar, 
sie sei kein Pferd, das sei von mir nur so be- 
hauptet. 

So wurde ihm denn geglaubt und verziehen. Er 
wurde zum Kaffee dabehalten und sogar einge- 
laden, öfter wiederzukommen. Das hat er denn 
auch getan, dieses Rindvieh, Er war sogar noch 
stolz, daß er mit ihr spazieren gehen durfte, er 
zeigte es allen Leuten, er prunkte öffentlich als 
Brautbesitzer. 

Siebzehn Jahre war er erst alt. 


Seitdem, wenn Ich mitunter in meine Heimatstadt 
fahre, sehe ich stets mit Kopfschütteln ihn und 
seine Gattin, denn er hat sie geheiratet, es war 
ihm nie gestattet worden, anderswo seine Zeit 
zu verbringen. Vom siebzehnten Lebensjahre an 
bis zum fünfunddreißigsten hatte er kein Mäd- 
chen kennen gelernt als sie, und nachher, als er 
geheiratet hatte, war ihm das erst recht nicht er- 
laubt worden. Denn wie soll ein Mensch etwas 
wollen dürfen, was solchem Majestätsmädchen 
wie ihr nicht gefiel?! Ich glaube: so, wie er schon 
damals beim ersten Tanz mit ihr geschwitzt hatte, 
so hat sie ihn aus dem Schwitzekasten nie her- 
ausgelassen. Es sah nicht danach aus. 








LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Johannes kam strahlend. 

„Ich habe gestern ein Mädchen kennengelernt, 
das noch nie geküßt hatl” 

Zellbor fuhr auf: 

„Das Wunder muß Ich mir ansehen!” 

Johannes lachte: 


„Zu spätl Zu spätl" ].H.R. 


* 


Dies ereignete sich in Oberbayern, unweit des 
Tegernsaos. Der Lehrer einer Landschule erläuterte 
an Hand eines großen Wandbildes den Bau der 
ägyptischen Pyramiden. Der Pharao in seiner 
Pracht war auf dem Bild zu sehen, die Würden- 
träger des Landes, schon weniger prächtig — die 
Sklavenhändler in weißen Gewändern — alles 
‚erklärte er ihnen und wies dann auf die Sklaven. 
„Und was sind das nun für Leute, die mit ent- 
blößtem Oberkörper, meist nur mit einer Hose und 
Sandalen bekleidet, herumstehen?“ 
Der kleine Obergestenbrandersepp rief: 
„Das sind die Sommerfrischler, Herr Lehrer!“ 
I.H.R. 
* 


Kitty wollte sich von Johannes scheiden lassen. 
„Warum, Kitty?” 

„Johannes‘ Sekretärin trägt meine seidenen Nacht- 
hemden.” 

„Hast du es gesehen?“ 


„Nein. Aber Johannes.“ IHR. 


Vorlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgoseilschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fornıuf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brioffach. 
Vorantwortt, Schritt: Walter Foitzick, München. — Der Simplicistimus erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nohmen alle, Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und, post: 


anstalten ontgegen, — Bozugspreise: Einzeinummer 30 Pl.; Abonnement im Monat RI 
Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München, 


M. 1.20. 


— Unverlangte Einsendungen werden nur zurücl 


‚gesandt, wenn Porlo beillogt. — 


Kommunistentheater in London 


(E. Thöny) 





„Seid ihr alle umgeschminkt, Genossen? Gleich beginnt unser erster Auftritt. 
Daß mir aber keiner beim Singen der Königshymne zu grinsen anfängt!" 


Teatro comunista a Londra: “Vi siete tutti truccati per bene, compagni? Tosto comincla 
la nostra prima comparsa. Che nessuno perö si metta a ghignare al canto degli Inni Realil,, 


328 


München, 16. Juni 1943 : 
48. Jahrgang / Nummer 24 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 














ÜNKBLıSAMS 


/ \ Privosopuie 











OcıF Cucpranssan us 











„Auf die Zahl der Opfer kommt es nicht an, die Hauptsache ist, daß wir unsere Ideale hochhalten!*‘ 


La filosofia dello zio Sam: "Il numero delle vittime non conta; |" importante si & che noi teniamo alti i nostri ideali!,, | 








Frühling im Osten - Primavera nell'est 


(Toni Bicht Im Felde) 





DIE PAUSE 


VON WALTER FOITZICK 


Theaterstücke und Konzerte bestehen aus zwei 
Teilen, aus dem Teil, wo da vorne auf der Bühne 
einer oder mehrere etwas machen, und aus der 
Pause. Häufig ist die Pause der angenehmere Teil. 
In der Pause hat man die Verpflichtung, über das- 
jenige, was eben gesehen oder gehört wurde, 
Anerkennendes oder Abfälliges oder Gelstreiches 
zu sagen, Man sagt solches zu seinen Bekannten. 
In der Pause sind immer Bekannte. Da sie In Klum- 
pen beieinanderstehen und man Ihnen nicht aus- 
weichen kann, stellt man sich zu Ihneı 
Und da Bekannte Immer wieder Be- 
kannte haben, wird man immer wieder 
neuen Leuten vorgestellt, die einem 
gar nichts angehen. Da Ich weiß, daß 
Ich die Leute schwer wieder erkennen 
werde und ein höflicher Mensch sein 
möchte, lerne ich sie beim Zusammen- 
stehen auswendig; um sie vielleicht 
doch wiederzuerkennen. Biswellen ver- 
neige Ich mich In der Pause planlos in 
die Menge hinein, und meine Vernei- 
‚gung trifft regelmäßig auf Leute, die es 
ängeht und deren ich mich nicht ent- 
sinnen kann. Ich erkenne das an Ver- 
neigungen, die im Umkreis meines Blik- 
kes entstehen. Dann gehen wir wo- 
möglich aufeinander zu und fragen 
gleichzeitig: „Wie geht's?‘ und antwor- 
ten gleichzeitig, daß es ein sehr Inter- 
essanter Abend ist, weil wir nicht wis- 
sen, ‘ob einer von uns mit einem auf 
Bühne und Podium bekannt, verwandt, 
verkracht oder verschwägert Ist. Dann 
stehen wir noch eine Welle und wissen 
nichts welter zu sagen, oder stellen 
uns einfach weiteren Unbekannten vor. 








Ich kenne viele Leute die nur in Pausen zu exI- 
stieren scheinen, es gibt sie nur dort, dort aber 
regelmäßig. Sehr gut Ist es, wenn man weiß, daß 
die Leute Kinder haben. In diesem Falle kann man 
sich Interessiert nach dem Befinden und den Fort- 
schritten der Kleinen erkundigen, wobei es meist 
zweifelhaft bleibt, ob der Nachkomme männlichen 
oder weiblichen Geschlechts ist, da man sich mit 
der Unkenntnis davon keine Blöße geben möchte. 
Selt Jahren kennt mich ein Ehepaar, das sich in 


REGENMORGEN IM FRÜHLING 


Zwischen den Nebellaken, die eine schmufzige Nadıt 
auf fladıem Lager zurücließ, federn sic ungelenk 
zahllose graue Sperlinge, frühzeitig aufgewacht, 
sid bekeifend mit unartig lautem Gezänk, 


Meine Fenster sind narbig mit Feuchte besprengt. 
Breite Tropfen rinnen auf schleimiger Bahn 

nieder die Scıeiben, mie dicke Schnecken, gehängt 
an die tauzühen Blätter von Latticı und Löwenzahn. 


Gestern lief sonnig ins helle Jahr hin der Weg. 
Fröstelnd schlag idı den Frühling mir heut aus dem Sinn, 
Mit den Tropfen am Fensterglas, fahlgrau und träg, 

ließe icdı nadı und nadı in die Traurigkeit hin. 
K. M. Schiller 


330 


jeder Pause nach meiner Tochter erkundigt. Nun 
habe ich nicht die geringste Andeutung von einer 
Tochter, aber vor Jahren habe Ich es versäumt, 
das richtigzustellen, und wie soll ich mich jetzt 
diesen Leuten gegenüber meiner imaginären 
Tochter entledigen. Sie wächst In der Phantasie 
der Familie heran. Ich lasse sie von Schulklasse 
zu Schulklasse aufsteigen, Masern bekommen, 
Ausflüge machen, radfahren lernen und an Heu- 
schnupfen leiden. Es scheint ein kränkliches, aber 
intelligentes Kind zu sein. Neulich hatte Ich die 
Jahre unserer Unbekanntschaft unterschätzt und 
so bekam meine phantastische Tochter Zähnchen 
In einem Alter, In dem andere Mädchen bereits 
die Aufnahmeprüfung In die Kunstgewerbeschule 
machen, Es war sehr, sehr schwer, die 
Zähnchen wieder abzublegen. 

Vor jeder Pause bereite ich mich auf 
das Zusammentreffen mit jener Familie 
sorgfältig vor, und auf meine Tochter. 
Ich habe viel Freude an Ihr, aber na- 
türlich auch manche Sorge. So sagt 
man doch wohl in elterlichen Ge- 
sprächen? 


* 


Mein Freund Johannes 


Wir standen am Strande der Nordsee. 
Mir wurde es poetisch ums Herz, und 
schausplelernd deklamierte ich: 
„Brandet heran, ihr Wogen. Greifet mit 
strafender Hand 

Über den brechenden Deich tief in das 
sündige LandI“ 

Freundlich schaute Johannes mich an. 
„Vielleicht versuchst du es nachher 
noch einmal“, sagte er. tzt ebbt es 
nämlich gerade.” ).Bieger 





Der Lord und die Kommunisten emo 





„Es freut mich, meine Genossen, daß Stalin beschlossen hat, ihr seid von jetzt ab ungefährlich!" 


Il Lord ed i comunisti: „Godo, compagni miei, che Stalin abbia deciso che Voi d’ ora In poi non siate pericolosi!,, 


331 


LIEBE 


IN TIROL 


VON SPRINGENSCHMID 


Länger als anderswo braucht es, bis in Tirol die 
liebe über ein Mannsbild kommt, dafür nachher 
um so ärger. 

Wenn der Mensch im Paradies, wie es heißt, aus 
Lehm erschaffen ist, in Tirol aus Holz, aus lärche- 
nem! Ein Klotz ist der Kluiber Klaus, lärchen 
durch und durch. Über die dreißig ist er schon 
und etliches drüber, Und Ist noch allmal seiner 
Mutter bloß der Bua, und die Weiberleut im Dort, 
die ledigen, die viel eher als die Mannsbilder 
spüren, für was sie anders erschaffen sind, neh- 
men Ihn, den Klaus, auch noch nit als „mannern”, 
Aber einmal im Frühjahr, wie die schönen Tag 
sind, herunten Im Dorf alles in der Blüh und oben 
auf dem Berg das erste Grasl, da packt es den 
Klaus ganz arg, daß er erst gar nit weiß, was das 
Ist und was Ihn auf die Höh treibt eigentlich. 
Bloß dem Herrgott ein wenig in seine Werkstatt 
schauen, denkt er. „Und auf Gams nebenbei”, 


Stilwandel - Mutamento di stile 





meint der Bachler Lenz, der alte, und greift um 
den Stecken, 

Den Wald steigen sie auf, alle beide, die eine 
Stund und die andere. Zu reden haben sie wei- 
ters nix miteinand. 

Auf der Gauxalm steht das Jungvieh. Die Mariann, 
die Sendin, die junge, die saubere, ist bei den 
Kalben und lockt sie mit einem Jodler, wunder- 
schön. Meint aber wohl nit die Kalben dabei, 
meint die Mannsbilder, die zwei, die aus dem 
Wald dahersteigen, und eigentlich, wenn man es 
richtig nimmt, bloß den einen, den Klaus; denn 
der Bachler Lenz, der alte, weißhaarete, ist ja 
schon drüber, aber für den Klaus, den Jungen, wär 
Zeit, daß er „mannern“ wird, 

So schön liegt der Jodier über der Alm, daß der 
alte Bachler das erstemal an diesem Morgen zu 
reden anhebt; „Ischt es nit schlan da, Klaus?” 
fragt or. 


(004. Oberbarger) 










N 


ai I 
Bye 7 





„Ich tu mich schon hart, die Innere Stimme schreit nach pastosem 
Farbauftrag und die Zeit fordert Sparsamkeit mit dem Materlal I“ 


"E difficile per me; la voce Interna grida *larga pastosild di colore, ed Il tempo vuole parsimonia di materiale!, 


332 


Da faßt der Klaus bloß den Felsen an und steigt 
die Wand hochauf, und erst, wie sie oben auf der 
Talsenhöh sind, und die Alm liegt tief unten im 
Grund, tut er dem Bachler Antwort auf seine Frag: 
„Schlan woll", sagt er, „aber ohne Welberl" 
„Weiber?” staunt zahnlucket der Bachler Lenz, 
„hascht du schon eppes mit Weiber, Klaus?” 
„Nix mit Weiber” sagt der Klaus finster und 
nimmt, daß er nix mehr sagen braucht, den Gang- 
steig hinüber zum Grat. Und über die Stund hok- 
ken sie oben auf dem Rettenstein, dem vorderen. 
Da liegt sie Jetzt vor ihnen, die Schöpfung Gottes, 
Berg über Berg, eine ganze Welt voll, 

„Der Herrgott”, sagt der Klaus und hängt noch 
immer beim gleichen Gedanken, „der Herrgott 
ischt ja ah ledig blieben!” 

„Aber der Tuifel ischt verheirat”, spuckt der Bach- 
ler Lenz über die Wand, „und treibt die Ledigen 
zsamm! Was sollen's die Leut auf Erden besser 
haben als er selber, denkt er, der Tuifll” 

Und als hätte er mit diesem Worte ihn selber, den 
Leibhaftigen, beschworen, bleiben ihm auf einmal 
mitten Im Schauen die Augen stecken; denn drü- 
ben auf dem hintern Rettenstein...| 

Er muß das Fernglas nehmen, 

„Gams?" fragt der Klaus. 

Der Bachler schüttelt bloß den Kopf, stellt schär- 
fer noch das Fernglas ein. 

„Was ischt?” fragt der Klaus wieder. 
„Viell“ sagt derBachler und laßt kein Blick nit aus. 
„Was viel?” schreit der Klaus’ ungeduldig und 
greift um das Glas. 

Aber der Bachler laßt es nit los. „Klaus, dös Ischt 
nix für di sagt er ernst. 

Doch der Klaus hat jetzt das Glas und nimmt den 
hintern Rettenstein hinein und richtig! „Tuifil” stößt 
er hervor! Da stehn zwei Leut beinand, mannern 
und weibern, und haben einand gern. Als wären 
sie ganz allein auf der Welt, so lang dauert das 
Bußl. 

„Verfluechte Tuifl“, spuckt der Klaus, „sie hören 
nit auf, die zwoal” 

„Schaug halt nit hin!” meint der Bachler. 
„Aufhören!” schreit der Klaus, „Tuifl ösl" 

Der Bachler lacht bloß und hat so seine Gedan- 
ken dabei, was doch der Teufel, wann er in Tirol 
auf Liebe geht, alles anstellen muß, daß er so 
einen Klotz, einen lärchenen, wie den Klaus, in 
die rechte Art bringt. 

Oh, wie gern sich die zwei haben, allein, zwi- 
schen Himmel und Erden! Eine währe Höllenqual 
für den Klaus. Ganz ins Schwitzen ist er gekom- 
men, so lang dauert die Lieb auf dem hintern 
Rettensteln. — 

Uber die Stund, wie sie über die Felsen abstei- 
gen, findet der Klaus seine Sprache wieder, die 
er verloren hat vor lauter die heimliche Lieb an- 
schauen, 

„Und für so was steigen dö zwoa aufm Retten- 
stein, aufm hintern“, sagt er nachdenklich, „dös 
geaht do welter unten ahl” 

„Je höher oben die Liab, je schlaner”, blinzelt 
der ‘alte Bachler und schaut zum Klaus hinüber, 
merkt wohl, wie schnell er Jetzt ausgreift und 
über das Steigl springt, als könnt er die Gauxalm 
nit erwarten. Gar zu jodeln hebt er an Den het 
der Liebsteufl packt, das kennt er. 

Und richtig, grad in dem Augenblick, da von un- 
ten, von der Alm her, der andere Jodler, der 
welberne, in den seinen, den mannernen, drein- 
springt, schlagt er über die Baumwurzel hin auf 
den Weg und lacht: „Aus is, LenzI” 

„Was Ischt denn aus?” fragt der Bachler und 
stellt sich dumm, „i glaub eher, es fangt was anl" 
„Den Haxen hab | mir verstaucht”, deutet. der 
Klaus. 

„Marlann“, schreit der Bachler auf die Alm hin- 
unter, „Hilfe, Marlann! Hilfe! Der Klaus, der Bua, 
ischt hin, aber a Mannsbild ischt dafür da, a 
Jungesl 
Drei Tag braucht der Klaus auf der Gauxalm, bis 
er auf gleich ist, mit sein Fuß und 'so. Der Ma- 
rienne aber hat der Teufel längst verziehen, daß 
sie seinetwegen den alten, krumpen Schafhalter 
bußt hat auf dem hintern Rettenstein, als wär's 
ein junger Liebhaber, damit der Klaus auf dem 
vorderen einmal „mannern“ wird, Ja, der Teufl 
hat’s nit leicht mit der Liebe In Tiroll 




















Zweifel 


{Erich Schilling) 





„Woaßt no, Xaverl, wia i vor dreißig Jahr auf'm Fasching so süaß in dem Nymphengwandl ausg’schaugt 
hab? — Gib i's jetzt der Spinnstoffsammlung, oder moanst net, daß I ’s do no amal zum Oziag'n brauch?“ 


Dubbii 





“Ti ricordi ancora, Saverio, come trent' anni fa ero cosi carina In carnevale nel costume di 


ninfa? ... Che lo dia adesso alla ‘Raccolta Filatl,, oppure credi tu ch’ Io ne abbisogni un’ altra volta?,, 


MEIN FREUND JOHANNES 


Ich wollte meinen Geburtstag feiern. Aber es traf 
sich recht unglücklich: Alle Freunde, die ich ein- 
laden könnte, waren auf Reisen. 

$o beschloß ich also, den Tag still und ohne Feier 
vorübergehen zu lassen. Entsprechend traf Ich 
auch keinerlei Vorbereitungen. 

Wie Ich nun so einsam in meinem Zimmer saß, 
schellte plötzlich das Telefon. Frau Johanna war 
es, die mir gratulierte und mir ganz im Vertrauen 
mitteilte, daß Johannes seine Reise unterbrochen 
hätte und mich In etwa einer Stunde überraschend 
besuchen würde. 

Diese Treue rührte mich zutiefst, und sie sollte 


auch unbedingt belohnt werden, In aller Eile rannte 
ich von Laden zu Laden, besorgte Blumen, Kuchen 
und Wein, um meinen Freund würdig empfangen 
zu können. 

Und wirklich, als er kam, sah es nett und anhei- 
melnd bel mir aus. Er hielt auch mit seinem Lob 
keineswegs zurück. 

„Ja, Johannes, was würdest du erst sagen, wenn 
du wüßtest, daß noch vor einer Stunde alles trüb 
und leer bei mir war, Ich kann dir nämlich ver- 
raten, daß ich gar nicht feiern wollte, bis deine 
Frau mich vor einer Stunde von deinem netten 
Plan, mich zu überraschen, In Kenntnis setzte. Ich 
habe mich tüchtig beeilen müssen, um noch recht- 
zeitig alles vorzubereiten!” 


"vo. 


„Es Ist doch wirklich kein Verlaß auf die Frauen”, 
knurrte Johannes. „Ich hatte ihr ausdrücklich auf- _ 
getragen, schon zwei Stunden vorher anzurufen!” 


* 


Johannes hatte dem Rauchen abgeschworen, 

Ich weiß nicht, ob er den Schwur lange gehalten 
hat, aber nach drei Tagen, als ich Ihn besuchte, 
mußte ich jedenfalls feststellen, daß er ihn zum 
mindesten an diesem Tage nicht hielt. 

„Was soll Ich machen“, erklärte er auf meine ern- 
sten Vorhaltungen, „ich kann es nun mal nicht 
leiden, wenn unnütze Gegenstände im Zimmer 
herumstehen, Und denkst du, es machte sich hier 
jemand die Mühe, die Aschbecher wegzuräumen?” 


3. Bleger 


Der Unbefangene 






II disinvolto 


(C. Sturtzkopf) 


„Wenn Sie wüßten wer Ich bin, würden Sie mich nicht ‚Rindvieh‘ heißen!" 
„Na ja, dann ist's doch nur gut, daß ich ’s nicht weiß!“ 


"Se Voi sapeste chi sono lo, non mi chiamereste "Buaccio!, „ 
“Ewvia, allora va pur bene ch’ lo non lo sappial,, 


LONDON 


Von Paul Verlaine 


Ach, ist's nicht wirklich traurig! Und endet das nicht bös! 
Ja, nicht einmal bestürzt darf man darüber sein. 

’s ist wirklich wie der Tod des Tiers, das ganz allein, 
Vergeh’nden Blicks, sein Blut sieht rinnen ins Gefäß. 


Denn London dampft und kreischt. O welche Stadt der Bibel! 
Das Gaslicht zuckt und schwimmt. Die Schilder glühen rot. 
Die Häuser schrumpfen ein und stehen da wie tot, 

Wie kleine alte Weiblein, grauenhaft und übel. 


All das Vergang’ne springt, miaut und quietscht und kreischt 
Im Nebel rot und gelb und schmutzig von „Sohos“ 
Und von „Indeeds‘ und von „All rights‘ und von „‚Haös“. 


Nein, wirklich, ’s ist zu martervoll, zu hoffnungslos! 
Nein, wirklich, ’s ist zu übel, es endet wirklich trüb. 
Oh, fiel’ ein Feuerregen auf diese Stadt der Bibel! 


Deutsch von Gerhart Haug 


Telegraphenmast Nr. 1346 
VON JOSEF ROBERT HARRER 


Was hatte schon Gonzalez davon, daß sich in seiner kleinen Vaterstadt Pun- 
“ tarenas In Costa Rica einige Volksschulen befanden, wo man lesen, schrei- 
ben und andere unangenehme Dinge lernen konnte? Nichts hatte er davon, 
denn er zog lieber Im Freien herum, er lag am Ufer des Stillen Ozeans, er 
träumte in den blauen Himmel, er phantasierte den Wolken auf ihrer Reise 
nach und er streifte durch die üppigen Wälder und Fluren,. Weil er aber 
dabei doch gerne zugriff, wo es etwas zu tun gab, brachte er abends im- 
mer einige Centavos heim, so daß sein rumliebender Vater sagte: 
„Ach, lassen wir den Jungen, wie er ist! Wenn er nur Geld verdient! Der 
alte Onkel Cleto kann sogar mit roter Tinte schreiben und dennoch muß 
er sich den Schnaps von reicheren Mestizen zahlen lassen!” 
Und nun war Gonzalez dank seiner flinken Beine und seiner ausgezeich- 
neten Kletterkunst seit etlichen Jahren Staatsangestellter. Er, der Analpha- 
bet, trug die mit silbernen Borten verzierte Uniform eines Post- und Tele- 
graphenbeamten Costa Ricas. Ein. Zwanzigstel der dreitausend Kilometer 
langen Telegraphenleitung stand unter seiner Obsorge; und zwar gehörte 
Gonzalez zu der Kontrollabteilung, die nichts anderes zu tun hatte, als die 
Telegraphenmaste daran zu hindern, daß sie sich wieder in lebende Bäume 
verwandelten. Bei der üppigen, überquellenden Vegetation Mittelamerikas 
trieben besonders nach den tropischen Regengüssen die Maste, so dürr 
und ausgetrocknet man sie auch aufgestellt hatte, aus dem toten Holz 
Schößlinge, die in unglaublich kurzer Zeit weiterwucherten, die Drähte 
durcheinanderbrachten und Kurzschlüsse verursachten. 
Gonzalez brauchte zu seiner Arbeit weder das Lesen noch das Schreiben, 
gerade daß er die Nummern der Maste ablesen konnte. Er wanderte die 
Leitungen entlang und entfernte von den Masten die Triebe und Schößlinge. 
Da.er, wie gesagt, ein guter Kletterer war, machte ihm die Arbeit keine 
Mühe. Ja, er freute sich, wenn ein Mast am höchsten Ende einen Schöß- 
ling trug; denn dann konnte er weiter in das Land blicken, wenn er hin- 
aufgekletiert war, um mit dem scharfen Messer den Trieb abzuschneiden. 
Es war ein beneidenswertes Leben, das Gonzalez führte. Wenn er biswei- 
len mit seinen Jugendfreunden zusammentraf, die fleißig die Schule be- 
sucht hatten, sagte er: 
„Ihr seid dafür bestraft worden, weil ihr nicht die Schule geschwänzt habıl 
Ihr schreibt in dicke, staubige Bücher, Ihr sitzt in dunklen Stuben, während 
ich draußen arbeite, wo die Bäume wachsen und die Wolken wandern 
und wo ich manchmal zwischen zwei Telegraphenmasten einem hübschen 
Mädchen begegne, das mir einen Kuß schenkti Denkt doch, einen Kuß 
während des Dienstes, für Yen mich der Staat bezahlt!” 
Einmal brüstete er sich wieder mit seinem freien Leben. Da meinte einer, 
der gleichfalls Postangestellter war, aber ein schreibender Beamter, wie 
Gonzalez zu sagen pflegte: 
„Dein Beruf, lieber Gonzalez, wird leider bald ein Ende haben! Unsere 
Direktion in San Jos& hat ein modernes Mittel angekauft, eine scharfe 
chemische Flüssigkeit. Mit dieser werden alle Telegraphenmaste angestri- 
chen, dann werden sie für immer das Treiben lassen, dann werden sie für 
Immer totes Holz sein... Du mußt der Post den Rücken kehren oder — 
lesen und schreiben lernen, damit man dich als Briefträger einstellen kannl” 
Gonzalez erbleichte. Nach einer Pause fragte er leise: 
„Ist das kein Scherz von dir?” 
Nein, es war kein Scherz! Schon wenige Wochen später teilte ihm sein 
Vorstand mit, daß er sich zu entscheiden habe. Entweder „Post lebewohll" 
oder „Lerne lesen und schreiben!” ... 
Nun mußte sich Gonzalez doch für die Schule enischließen. Während im 
ganzen Lande die Telegraphenmaste bestrichen wurden, saß er In einer 
Schule und versuchte, das nachzuholen, was er vor etlichen Jahren ver- 
säumt hatte. Die Monate vergingen; Gonzalez war unglücklich, 
Seit einer Woche rauschte nun derTropenregen. Es war, als köme der warme 
Himmel hernieder. Das Land duftete von Blüten und von Lebenskraft. 
Und plötzlich hielt es Gonzalez nicht mehr aus. Er warf die Hefte weg und 
stürzte hinaus, er rannte in den Regen wie In ein lang entbehrtes Glück. 
Ohne zu überlegen, lief er die Wege, die er sonst gegangen war, von 
einem Telegraphenmast zum anderen. Da standen sie, kahl, grau, ganz ge- 
tötet von der verfluchten Flüssigkeit, mit der man sie angestrichen hatte. 
Und rings dampften die Wälder vom werdenden Leben. 
Gonzalez hatte die Schule vergessen. Ach, er würde schon etwas finden, 
wovon er leben konnte. 
Plötzlich stutzte er. Er stand Im rauschenden Regen, der duftete und sang. 
Vor ihm ragte ein Telegraphenmast, der nicht tot war. Schon trieben einige 
kleine Zweige aus Ihm 'heraus. Träumte er? Gonzalez griff zögernd nach 
dem Schößling. Und dann weinte er vor Glück. Rasch schnitt er den Schöß- 
ling ab und rannte in die Stadt zurück. Atemlos stürzte er zum Postvor- 
steher: „Dal rief er aus. „Da, dal Sehen Sie nur! Vom Telegraphenmast 
Nr. 13461” — „Ja, der Regen des Himmels ist stärker als wir Menschenl” 
sagte der Beamte. 
Drei Tage später trugen fast alle Telegraphenmaste Schößlinge. Und drei 
Tage später durfte Gonzalez wieder die silberverzierte Uniform anziehen 
und hinausgehen. Seine 150 Kilometer warteten auf ihn. 
Und wieder schnitt Gonzalez die Schößlinge von den Telegraphenmasten 
ab und wieder küßte er die Mädchen, die ihm begegneten. 


334 


{R. Krlesch) 





1 





„Ist ’s nicht scheußlich, Fritz? Überall liegen Menschen herum!" 
„Na ja, aber auf der Straßenbahn ist es noch voller!" 


Ristoro: “Che orrore, Fritz! Quanta gente giace qui tutt! in giro!, — "Eh si; ma nel tram c’ & ancora plü calcal,, 


335 


DIE SPARBÜCHSE 


VON BRUNO WOLFGANG 


Gegen sieben Uhr abends kam Herr Scholz zu 
Doktor Lindtner. 

„Zieh dich an. Du gehst mit mir zur Geburtstags- 
feler für Geheimrat Müsel, Es ist sein neunzigster 
Geburtstag, eine große Sache, Es kommen viele 
Persönlichkeiten hin und es gibt sogar Wein. Um 
dem alten Herrn eine besondere Freude zu ma- 
chen, wollen wir alle im Frack erscheinen. Also 
vorwärts!” 

„Du weißt doch, daß ich nichts anzuziehen habe”, 
erwiderte Doktor Lindtner verdrießlich. 

„Das mußt du erst beweisen, Offne den Schrank.“ 
Dr. Lindtner öffnete den Schrank, In dem nichts 
hing als der gewendete Überzieher, derTouristen- 
anzug, der leichte Sommerrock, ein unmoderner 
Frack und in der Ecke etwas langes, sorgfältig 
In Leinwand Eingeschlagenes, leise baumelnd wie 
ein Gehenkter. 

„Was Ist das?“ fragte Herr Scholz streng. „Ist das 
dein neuer Frack?” 

„Nein. Ich habe nur diesen alten. Und der war 
mir schon vor zehn Jahren viel zu eng.” 

„Aber was Ist unter dieser Leinwand?” 

„Also, wenn du es durchaus wissen willst: meine 
Sparbüchse." 

„Wie? 5 

„Ja, es Ist meine Sparbüchse. Aber um dir das 
zu erklären, müßte Ich dir eine ganze Geschichte 
erzählen.” 

„Bitte, erzähle. Wir haben noch eine gute Stunde 
Zeit. Dafür verpflichtest du dich, nachher unbe- 
dingt mit mir zu der Feler zu gehen.” 

„Wenn mir mein Frack paßt“, ergänzte Dr, Lindt- 
ner hinterlistig. 

„Einverstanden.” 

Während sich Scholz In seinem Stuhl erwartungs- 
voll zurechtsetzte, hob Lindtner vorsichtig den 
langen Leinwandsack vom Haken und öffnete ihn. 
Es erschien eln alter, unglaublich schäbiger Mantel, 
anscheinend militärischer Herkunft, Der Kragen 
ähnelte einer gekrümmten Speckschwarte, die 
Knopflöcher waren so ausgewetzt, als wären sie 
der Einfachheit halber mit kleinen Granaten durch 
das Tuch geschossen worden. Die Knöpfe hatten 
die verschiedensten Größen und Farben, soferne 
sie nicht überhaupt fehlten. In den beiden Seiten- 
taschen, deren ausgefranste Klappen wie haarige 
Ohren wegstanden, zog Irgend etwas Gewich- 
tiges wie eine Handvoll Kieselsteine den faden- 
scheinigen Stoff abwärts In gefährlicher Spannung. 
„Das ist der Mantel meines Kriegskameraden Will 
Kratoch, den Ich aber noch immer Kratochwill 
nenne, wie er früher hieß. Wir dienten im Welt- 
krieg beide bel der Artillerie und standen eine 
Zeitlang nebeneinander an der russischen Front 
in Polen. Dann verloren wir uns aus den Augen 
und trafen uns erst nach der mörderischen Brussi- 
low-Offensive, bei der größere Teile unseres 
Korps abgeschnitten wurden, in der Kriegsgefan- 
genschaft wieder, Im Lager von Tschita. Kratoch- 
will war alles eher als ein Soldat, Er war stats 
mehr einFreund des beschaulichen als des tätigen 
Lebens gewesen. Im Ziyil schien er es trotz sei- 
nen dreißig Jahren noch zu keinem rechten bür- 
gerlichen Beruf gebracht zu haben, In den Listen 
stand er immer als Privatgelehrter, und anschei- 
nend hatte er von den Zinsen des Vermögens ge- 
lebt, das ihm sein Vater, ein tüchtiger Versiche- 
tungsagent, hinterlassen hatte. Er behauptete, an 
einem großen nationalökonomischen Werk zu 
arbeiten, er besaß umfassende, wenn auch nicht 
sehr gründliche Kenntnisse, hatte viel gelesen, ver- 
stand oberflächlich mehrere Sprachen und kannte, 
wie es schien, alle irgendwie hervorragenden 
Persönlichkeiten der Politik und Finanzwelt. 

Da er im Lager kein Material für seine wissen- 
schaftlichen Arbeiten hatte, überließ er sich völlig 
dem Nichtstun. Nie habe ich einen Menschen mit 
solcher Innigkeit und geradezu künstlerischer 


Technik faulenzen gesehen. Sein Interesse an der 
Heimkehr war gering. Die Nationalökonomie ent- 
behrte er offenbar leicht. Hingegen wußte er in 
Verpflegungsangelegenheiten manches tiefgrün- 
dige Wort zu sprechen. Das Lagerleben, das die 
anderen verfluchten, schlug ihm vortrefflich an. Er 
gedieh prächtig und bald führte er den stattlich- 
sten Bauch des Lagers zwischen den Strohsäcken 
der riesigen Säle spazieren. 

Ich hielt dieses Leben trotz allen Beschäftigungs- 
und Zerstreuungsversuchen\nach drel Jahren nicht 
mehr aus. Bel einer günstigen Gelegenheit machte 
ich mich davon und es gelang mir, wie du weißt, 
im Jahre 1918 die Heimat wieder zu erreichen. 
Kratochwill war natürlich in Sibirien geblieben 
und ich hörte nichts mehr von ihm. 

ImJahre 1921 sah ich Ihn zum ersten Male wieder, 
als er eben aus einem besseren Stadtcafe auf 
die Straße trat. Ich trug natürlich schon längst 
wieder Zivil. Er aber trug noch Uniform, worum 
sich In dieser unerfreulichen Zeit niemand küm- 
merte. Der Mantel war damals noch sehr schön 
und wurde von der rundlichen Gestalt Kratoch- 
wills prall ausgefüllt. Wir bogrüßten uns herzlich. 
Er erzählte mir, daß er vor wenigen Monaten zu- 
rückgekehrt sei und nun auf die Flüssigmachung 


(W. Becker) 


Prometheus - Prometeo 


selner Kapitallen In den Nachfolgestaaten warte. 
„Bist du noch immer im Staatsdienst?” fragte er 
schließlich. „Unsinn. Ein Mensch wie du müßte 
sich doch etwas Besseres finden. Ich gebe dir 
den guten Rat, geh zu Direktor Markowsky bel 
der ‚Zilliag‘, bestelle ihm einen schönen Gruß von 
mir und sag ihm, er soll dich als Reklamechef an- 
stellen. Das wäre etwas für dich. Man hat mir den 
Posten angetragen. Aber meine Gehaltsansprüche 
waren ihnen etwas zu hoch.” 

Ich dankte ihm herzlich und wir reichten uns die 
Hände zum Abschied, Kratochwill hielt meine 
Hand noch etwas länger fest. „Sei nicht böse... 
dumme Geschichte... ich muß mir ein Auto neh- 
men, weil Ich bei einem Advokaten wegen meiner 
Auslandspapiere eine dringende Sitzung habe. 
Gerade jetzt, beim Zahlen, habe ich gesehen, daß 
ich nichts mehr bei mir habe, Die Banken sind 
schon gesperrt. Und ich kann doch den Wagen 
nicht gut mit einem Scheck bezahlen. Vielleicht 
könntest du so gut sein, mir 30000 Kronen zu 
leihen. Morgen früh schicke ich sie sofort,” 

30 000 Kronen waren damals nicht gerade viel. Ich 
gab sie ihm selbstverständlich. Er steckte das 
Geld einfach in die linke Manteltasche und ging. 
Daß er nichts schickte, brauche ich wohl nicht zu 
erwähnen. Dann traf ich ihn zufällig an einem Vor- 
mittag bei der Oper, mit großer Aufmerksamkeit 
den Theaterzettel der abendlichen Festvorstellung 
studierend, 

„Servus Lindtner“, „Servus Kratochwill.” 

„Ich heiße jetzt Will Kratoch”, bemerkte er mit 











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„Da schaugts her! D’ Geierwally!“' 


336 


wichtiger Miene. „Nicht etwa, weil ich Iyrischer 
Dichter geworden bin, sondern weil ich Aussicht 
auf einen leitenden Posten bei einer großen 
deutschen Exportfirma habe und slawische An- 
klönge vermeiden will. Schade, daß heute kein 
einziger Parkettsitz in der Oper mehr zu haben 
ist. Meine Angelegenheiten in den Nachfolge- 
staaten sind noch immer nicht erledigt, was sagst 
du. Hättest du vielleicht zufällig fünf Schilling 
bei dir? Ich habe ein Geburtstagsgeschenk ein- 
zukaufen. Übrigens rate ich dir, kaufe ‚Polonia 
Naphta‘, das ist jetzt das Beste. Aber schau, daß 
du gesperrte Syndikatsstücke bekommst.” 

Ich gab ihm fünf von meinen acht Schillingen, er 
steckte sie in die rechte Tasche und wir verab- 
schiedeten uns freundschaftlich. Er trug noch im- 
mer denselben Mantel und steckte mein Geld 
immer noch in die Manteltasche. Ansonsten aber 
trug er schon Zivil. Sein Filzhut war so verblaßt 
und verbogen, daß ihn auch der romantischste 
Musiker verschmäht hätte. Der Mantel hatte schon 
stark gelitten und hatte nichts mehr gemein mit 
Mänteln, die man sonst auf leitenden Posten an- 
trifft. Kratochwill selbst war auffallend mager 
geworden. 

So begegnete ich ihm nun alle Jahre zwei- bis 
dreimal. Jedesmal war er ein wenig in Verlegen- 
heit, gewöhnlich stand er vor einer Reise, um 
eine Stellung anzutreten. Da durfte ich wohl nicht 
nein sagen. Übrigens waren die Fahrten nie weit 
und ihre Preise in der jeweils geltenden Valuta 
meinen Verhältnissen durchaus angepaßt. Im 
Durchschnitt drei Schilling, Lustbarkeitssteuer und 
Warenumsatzsteuer inbegriffen. Von einer Begeg- 
nung zur anderen wurde Kratochwill magerer. Sein 
unrasiertes Gesicht sah runzlig aus wie ein ge- 
bratener Apfel. Der Mäntel sah schon ungefähr 
so aus, wie du ihn hier siehst. Er trug ihn auch 
bel der größten Hitze und immer zugeknöpft, ver- 
mutlich um einen noch ärmlicheren Anzug zu ver- 
decken. Wahrscheinlich diente ihm der Mantel 
auch als Nachthemd, Bettdecke oder Tischtuch. 
Aımer Kratochwill, Es ging ihm wirklich schlecht, 
Vielleicht hätte er sich sogar entschlossen zu 
arbeiten. Aber zum Äußersten wollte er sich doch 
erst entschließen, wenn seine Auslandsangelegen- 
heiten geklärt waren (obwohl der Betrag, um den 
es sich handelte, viel zu klein war, um ihm ein 
Rentnerdasein zu ermöglichen). Auch mußte man 
damals schon um Arbeit kämpfen, und er war 
kein Kämpfer, 

Zuletzt sah ich ihn vor drei Jahren. Einmal im 





SPANISCHE WINDMÜHLE 


Schwer war der Wein der „Venta”, — 
slolzer Trug! 

Nun träum' ich tief in meinen leeren Krug 

Und sehe Spaniens Himmel rasdı verbleidıen. 


Der Mühlenflügel schlägt des Kreuzes Zeichen: 
Vier Arme himmelan die Erde reichen 
Mit Händen, die bescdwmoören und die segnen. 


Gott sendet Sonne, läßt ein wenig regnen. 
Der dürre Acker scwillt, gebiert das Brot. 
Zermalmt von einem Mühlstein, stirbt die Not, 


So wirst du, sellsam Wesen, zum Symbol 
Des ewigen Geschehns. Von Pol zu Pol 
Spannst du den Kreis, den einst Cervantes sah, 


Den Kreis der Phantasie ums arme Leben, 
Das Kreuz der Illusion im steten Streben, 
Und minkst du Don Quichoten, — Idı bin da! 


Rainer Prevot 


Frühling, einmal im Herbst. Schüchtern wagte ich 
die Frage: „Nun, Kratochwill, wie geht's?” 

„Du wirst lachen”, erwiderte er, „ich heirate.” 
Ich war so verblüfft, daß ich zu lachen vergaß. 
Unwillkürlich streifte ich mit einem Blick seinen 
Mantel, den immer gleichen, den ewigen, den 
kaum noch menschlichen Mantel, der ihm bereits 
angewachsen schien. 

„Ja, da staunst du”, fuhr er fort. „Schön bin ich 
ja nicht und auch nicht gerade elegant. Aber du 
weißt ja, wie die Weiber sind. Die Meinige fliegt 
auf mich, du möchtest es nicht glauben. Ihr Vater 
hat eine große Selcherei. Ubrigens kann ich dir 
dann vielleicht eine Nebenbeschäftigung verschaf- 
fen, Steuerberechnungen oder irgend etwas der- 
gleichen. Unser Umsatz ist sehr groß. Im Sommer 
soll die Hochzeit sein, Dann bin ich endlich sa- 
niert. Wenn du aber jetzt zufällig zwei Schilling 
übrig hättest, wäre mir wirklich gedient. Ich habe 
jetzt viele Repräsentationsauslagen, Autofahrten, 
Blumen, du wirst schon sehen, wenn du einmal 
heiratest. Bis zur Hochzeit muß man alles selber 
zahlen. Eine ekelhafte Zeit...“ 

Es war der Letzte des Monats. Ich erschrak ein 
wenig und zog verlegen meine Geldbörse her- 
vor. Er half mir das Geld hervorschütteln. Zwei 
Schilling krochen ängstlich heraus, „Na also, siehst 
du’, sagte Kratochwill gütig und erspähte mit 
scharfem Blick noch einen Halbschilling in einer 
Falte. „Da ist ja noch eine Kleinigkeit auf Ziga- 
retten. Ich habe schon drei Tage nichts geraucht, 
Halt, und gib mir noch deine Adresse. Du wirst 
uns hoffentlich das Vergnügen machen, wenn wir 
dich einladen.” Dann ging er fort in seinem Man- 
tel, und ich sah ihn noch von ferne bereits rau- 
chend In die Straßenbahn einsteigen. Ich war blank 
und ging ohne zu rauchen zu Fuß nach Hause. 
Das letztemal war dann im Herbst. Er kam in 
meine Wohnung, erstaunlich verändert, gewaschen, 
rasiert und in einem neuen Mantel mittlerer Qua- 
lität. In der Hand trug er ein ungeschickt ver- 
schnürtes Paket, 

„Servus Lindiner”, sagte er ermst, „du wirst jetzt 
staunen, Ich fahre nach Sumatra.” 

Verstört kalkullerte ich rasch, ob meine ganze 
Wohnungseinrichtung für eine Fahrkarte nach Su- 
matra ausreiche. Kratochwill erriet meine Ge- 
danken. „Sei außer Sorge, ich habe schon meinen 
Schiffsplatz, Von meiner Frau bin ich geschieden. 
Es war gräßlich. Ich rate dir, heirate nie. Ich 
werde mich drüben im Tabakgroßhandel betäti- 
gen. Wenn gute Aussichten sind, werde ich dir 
schreiben. Vielleicht kannst du auch drüben dein 
Glück machen.” 

Gewohnheitsmäßig glitt meine Hand in die Ge- 
gend der geldbewährenden Hosentasche. „Nein", 
wehrte Kratochwill mit seltsamer Milde ab. „Ich 
brauche nichts. Das zahlt die Gesellschaft. Ich bin 
dir eine Kleinigkeit schuldig. Das werde ich von 
dort aus durch die Bank von England regeln las- 
sen. Ob wir uns noch einmal im leben sehen 
werden, weiß ich nicht. Ich möchte dir nur ein 
kleines Andenken zurücklassen, keinen Wertgegen- 
stand, nur eine einfache Erinnerung. Er übergab 
mir das Paket und entfernte sich bald. Ich habe 
seither nichts mehr von ihm gehört. 

Das Paket enthielt den wohlbekannten alten Man- 
tel. Was Kratochwill zu diesem sonderbaren Ge- 
schenk bewogen haben mochte, ist mir nicht ganz 
klar. Vielleicht wollte er weniger mir als dem 
alten Mantel etwas Gutes erweisen und dem 
treuen Diener bei einer verläßlichen Persönlich- 
keit, die ich ja zweifellos war, eine Art Alters- 
versorgung bieten. Ich ließ den Mantel ein Jahr 
lang an der Luft hängen, dann wies ich ihm einen 
freien Platz im Schrank an, Aber damit war die 
Sache noch nicht zu Ende. Ich behaupte Immer, 
daß die Dinge ebenso wie die Tiere bei iangem 
Umgange mit Menschen etwas von der Seele 
ihrer Herren annehmen. Es war bestimmt keine 
Sinnestäuschung, als ich einmal beim Öffnen des 
Schrankes den Mantel rasch flüstern hörte: „Ver- 
zeih, ich bin in Verlegenheit... wenn du eine 
Kleinigkeit hättest... drei Schilling fünfzig 
Und hinter diesen Worten stand hypnotisch Kra- 


337 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


10. Nückel) 





Mit Walter machten wir schon etwas mit. Nie 
hatte er Geld bei sich. Immer, wenn es ans Zah- 
len ging, hatte er dieselbe Ausrede: „Verlegt es 
für mich, meine Freunde! Ich habe meine Brief- 
tasche daheim in meinem Schreibtisch liegen 
lassen!” 

Vier Wochen fielen wir ihm darauf hinein. 

Als wir aber jüngst im Caf& Herrenhof saßen — 
Wir saßen sehr lange. 

Die Polizeistunde nahte. 

Der Kellner kam: 

„Die Rechnung, meine Herren!” 

Walter sogleich: 

„Verlegt es für mich, meine Freundel Ich habe 
meine Brieftasche daheim in meinem Schreibtisch 
liegen lassen!” 

In dieser Minute erschienen auf unseren Wink vier 
Möbelpacker in der Tür und schleppten Walters 
schweren Schreibtisch bis zu seinem Platz und 
stellten ihn vor ihm nieder. Wir hatten Ihn heim- 
lich herbringen lassen. J.H.R. 


* 


Meine Mutter war die beste Mutter der Welt. 
Eines Tages führte Ich sie in Wien ins Burgtheater. 
Man gab Shakespeares Sommernachtstraum, Beim 
Heimweg sagte meine gute Mutter kopfschüttelnd: 
„Und das schöne Stück, was du geschrieben hast, 
haben sie zurückgewiesen!” J.H.R. 


* 


Ich hatte eine neue Sekretärin. 

Als ich den ersten Brief las — 

„Fräulein!“ tobte ich, „Sie schreiben Philister mit 
For“ 

Die Sekretärin sagte: „Verzeihung! Aber das V 
auf der Maschine ist kaputt.” J.H.R. 


tochwills mahnender Geist. Halb unbewußt nahm 
ich das Geld aus meiner Börse und steckte es 
in die wohlbekannte Manteltasche. 

Das wiederholte sich nun öfters und so ist der 
Mantel in der Tat meine Sparbüchse geworden. 
Ich weiß nicht, wieviel er enthält, ich zähle nicht 
nach. Ich denke: Vielleicht führt das unbegreif- 
liche Leben Freund Kratochwill einst wieder über 
die Ringstraße. Und wenn er dann zwecks An- 
trittes eines leitenden Postens eine Fahrkarte, 
wenn er Blumen für eine schöne Frau, die Ihn an- 
betet, oder einen Sitz in der Oper braucht, um 
die Neuinszenierung des Tristan nicht zu ver- 
säumen, dann soll ihm der alte Mantel dienen 
wie einst. Bisher ist Kratochwill nicht wiederge- 
kommen. Ich spare weiter.“ 

„Aber jetzt gehen wir“, sagte Scholz und erhob 
sich. „Schade, daß wir nicht auf einen Masken- 
ball gehen. Da hättest du in dem Mantel als Fi- 
nanzminister eines kleinen Staates Eindruck ma- 
chen können. Doch jetzt zieh den Frack an.” 
Doktor Lindtner lächelte. Denn nun hoffte er zu 
triumphieren. Aber er holte sich eine völlige Nie- 
derlage. Denn er war in den letzten Jahren so 
möger geworden, daß ihm der Frack wieder 
tadellos paßte. Zwanzig Minuten später war 
Lindtner fertig. Er steckte dem Mantel noch sieb- 
zig Pfennig zu, die er durch das heutige Essen 
ersparte. Dann gingen sie zum Fest, 


Das Geheimnis (K. Hetigenstaedh) 





- a - _ 


„Siehst du, Fifi, nur ein einziger Mann weiß, daß ich dieses Hemdchen trage!‘ 
„Vielleicht wird 's sich doch bald weiter herumsprechen!“ 


Il segreto: “Vedi, Fifi, soltanto un unico uomo sa che Io porto questa camiciuola!,, — “Forse presto ne correrä la voce in giro!,, 


338 


DER HOLZPIATZ 


(0, Nückel) 





Wo kann das sein? 
Vielleicht an der Ilz, 
Die sich der Donau spendet. 


Ein Lagerplatz von Holz gesäumt, 
Grellweiß, mondüberschäumt, 
Träumt. 


Die Säge schweigt, die am Tage schrie. 
Im Stalle brummelt das Vieh, 

Stiere, Kühe und Kälbchen. 

In Nestern schlummern dieSchwälbchen. 
Das Haus, darum die Nachtluft streicht, 
Von Wassernebel und Staub gebleicht, 
Duftet nach Rinde und Spänen. 


Und gelben Baumharztränen. 


Eine zerzauste Fichte im Vordergrund 
Im Hintergrund [schauert. 
Rollen Hügel kugelrund 

Und haben die Landschaft zugemauert, 


Und mittendrin ein Mann mit Hund. 


Alois — Gestalt aus Volksbuchbildern, 

Als junger Bursche tat er wildern 

Aut Weiber, Fasanen und Hirsche — 
Kehrt raunzend heim vom Wirtshaustische. 
Es knirscht der angeschwemmte Kies 

Hohl unter dem Schuh des Alois. 


Dort duften die Wälder nach moosigem Filz, 
Die Postwirtshäuser nach Bier und Milz. 
Eine Stimmung: zeitabgewendet. 


Ein Lagerplatz, mit Holz belegt, 
Unwirklich weiß, windkalt umfegt, 
Raunend sich regt: 


Uralte bayrische Bauerngötter, 
Rauschbeutel, Perchten,Viecher, Spötter, 
Mit Hörnern, Fratzen, Haarwulstzehen 
Heimtückisch hinter dem Mann hergehen. 


Anton Schnack 


Verlag und Druck: Knorr & Hirh Kommanditgenell 


anstalten entgegen. — Bezugspreise 


Einzolnummer 30 Pl.; 





München, Sondlinger $ 





‚Abonnement Im Monat RM. 1.20. 


0 (Fornruf 1296). Brlofanschrift 
Vorantwortl. Schriftlolter: Walter Foltzick, München, — Der Simplicisimus erscheint wöchentlich einmal. Bestellungen nohmen alle Buchhandlung 
— Unverlangte Einsendungen werden nur Zurückgesi 


Mtnchen 2 BZ, Brioffach 


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dt, wenn Porto beiliegl. — 








Nachdruck verbolen. — Poslschockkonio München 5920, Erfüllungsort München, 


(Wilhelm Schulz) 


Der Rekonvaleszent spricht 


Die du so voll grüner Winkel bist, Mitten inne lockt ein Stuhl zum Ruh’n: Vegetiere fromm in Gottes Hut! 
Mütterchen Natur, geh, schenk’ mir einen, „Mache dir's behaglich, raste, säume! Keine Damen gibt's hier, keine Herren, 
wo die Sonne stets bereit, zu scheinen, See und Berge glänzen durch die Bäume. keine Apparate, die da plärren ...“ 
und der Himmel ohne Bomben ist. Wag’ es einmal kecklich, nichts zu tun! — Mütterchen Natur, geh, sei so gut! 
Dr. OWLGLASS 


340 





München, 23. Juni 1943 
48. Jahrgang / Nummer 25 ffrs 5.00 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Der hungrige Tschunkingdrache 


(Erich Schilling) 


„Tut mir leid, meine Herren, mit leerem Magen kann man nicht Feuer speien!' 


Il drago affamato di Tschunking: "Mi dispiace, signori; a stomaco vuoto non si pud sputar fuori fuocol,, 





Atelierbesuch IX - 


Visita di studio IX 


(0. Nückel) 





Modellpause bei Fr. Bilek 


IN FREMDEN BETTEN 


Das könnte der Titel einer Novellensammlung sein, 
die die Erlebnisse eines Jungen Mannes darstellt. 
Es ist aber eine ganz gewöhnliche Überschrift, die 
auf Sonderbarkeiten von Betten aufmerksam 
machen soll, in denen wir für gewöhnlich nicht zu 
schlafen pflegen. 

Da ist das „Bauernbett”. Es hat ein festgestopftes 


Glück und Glas 


Kein Glück kann ewig dauern 

und lebt’ es hinter Mauern 

im tiefft verborgenen Gelaß. 

Erig? Ach »eiwig«, was Ift denn das? 


+. Glück und Glas! 


Es muß doch einmal fterben 

und wie ein Kelch zerfcherben. 
Morgen vielleicht fchon ift es gar 
oder, wenn’s hoch kommt, übers Jahr. 


«.. Hart, aber wahr! 


© Lebensring, du-bunter! 

Wir tauchen auf und unter 

und beißen all ins grüne Gras. 

Ift kein Beftand, ift kein Verlaß. 
... Glück und Glas! 


Dr. Omiglaß 


Federbett als Zudecke. Da der menschliche Körper, 
roh und ungalant gesprochen, im allgemeinen die 
Form eines Zylinders hat, berührt er sich mit der 
Wurstform des festgestopften Federbettes im gün- 
stigsten Falle nur in einer mathematischen Linie, 
in gewissen Fällen schrumpft diese Linie sogar zu 
einem Punkt zusammen, auf dem das Federbett 
gleich einer. Magnetnadel drehbar angebracht ist. 
Es gehört die ganze erdgebundene Kultur des 
Bauernvolkes dazu, unter solchem Bett gut zu 
schlafen. Bei Ungeübten gerät diese Bedeckung 
in kreisende Bewegungen, und sollten Sie zufällig 
doch einschlafen, so werden Sie Ihr Federbett am 
nächsten Morgen unschwer in einer entfernten 
Zimmerecke wiederfinden. 1 
Interessanter finde ich eine gewisse Art von Hotel- 
betten, sie bieten eine immerwährende Unter- 
haltung. Hier vertritt die uns vor den Unbilden des 
Klimas schützende Bedeckung eine Wolldecke, die 
mit einem schönen, sauberen Laken mangelhaft 
verbunden ist. Das sieht durchaus ordentlich und 
hygienisch aus. 

Wenn Slie-abends Ihr Hotelzimmer betreten, ist 
eine Ecke einladend aufgeklappt: bitte bedienen 
Sie sich meiner! 


“ Sie bedienen sich und fahren unter Decke und 


Laken. Da fühlen Sie, daß beide am Fußende fest 
verklemmt sind. Sie. sind diesen Aufenthalt im 
Steckkissen nicht gewohnt, ünd mit einem wuch- 
tigen Emporschleudern der Beine lösen Sie die 
Verklemmung. Unglücklicher, was haben Sie ge- 
tan? Jetzt kommt das Chaos. Nie wieder werden 
Sie den Kosmos aus Plumeau, Wolldecke und Laken 
herstellen können. Ich habe ermste Männer in 
dieser Situation weinen sehen. Im Bett wälzte sich 


342 


Pausa di modello presso Fr. Bilek 


ein schauerliches Gemenge aus Laken, ernstem 
Mann, Kissen und Wolldecken umher, Immer wieder 
gerät man in die falsche Schicht, und doch war die 
Anordnung wie eine Prinzregententorte geplant. 
Solche Kämpfe machen müde. 

Am Morgen wachen Sie auf einem Schlachtfelde 
auf, völlig unbedeckt. Nur um den Hals tragen Sie 
ein tauartiges Gebilde, das war am Abend das 
schöne weiße Laken, Foitzick 


EIN PEDANT 


Der Island-Maler Assmundur Jonasson hat kürzlich 
in Reykjavik die alte St.-Olavs-Kirche gemalt. Zu 
diesem Zweck hatte er seine Staffelei in einer 
der alten Gäßchen aufgebaut. Selbstverständlich 
fanden sich auch Zuschauer ein, die Interessiert 
den Fortschritt des Bildes betrachteten. 
Assmundur Jonasson hatte nun schon beinah drei 
Wochen an dem Bild gearbeitet und war beinah 
fertig. Jeden Tag hatte unter seinen eifrigen Zu- 
schauern ein alter Fischer gestanden, der stumm „ 
das Bild betrachtete und ab und zu einen ver- 
gleichenden Blick auf die Kitche warf. Er hatte 
bis jetzt noch nie ein Wort geäußert, deshalb 
war der Maler sehr erstaunt, als der Fischer ihn 
plötzlich auf die Schulter klopfte. 

Als Jonasson sich fragend umwandte, zog der 
Fischer .eine riesige altmodische Taschenuhr her- 
aus, dann deutete er auf die Kirchturmuhr und 
sagte: 

„Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, 
daß die Kirchenuhr drei Minuten nachgeht...” 
Er konnte es in seinem Lokalpatriotismus nicht 
über das Herz bringen, zuzusehen, wie eine 
falschgehende Kirchenuhr auf einem Bilde ver- 
ewigt wurde... 


Der Händedruck in Algier zwischen Giraud und de Gaulle 


(0. Gulbransson) 





Von vorne ... Davanti.... . 





... und von hinten! ä _ + edi dietro! 
La stretta di mano in Algeri fra Giraud e de Gaulle 


343 


RISSIEBEINEEEINF HINMEMTET 


Uber einen berühmten dänischen Artisten — wir 
wollen ihn hier Knick nennen —, der für seinen 
außerordentlichen Geiz bekannt ist, werden viele 
lustige Geschichten erzählt, unter anderen die 
folgende, die den Vorteil hat, daß sie durchaus 
wahr ist. 

Ein Kollege des Artisten Knick — ein Kunstrad- 
fahrer, den wir Knack nennen wollen — war 
gestorben und Im Himmel angekommen. Auf einer 
kleinen rosa Wolke stand er nun mit seinem 
Fahrrad vor dem goldenen Tor und wollte gerne 
hinein. An dasTor waren mit großen Buchstaben die 
lockenden Worte: „Im siebenten Himmel” ge- 
malt, Knack stellt sich auf die Zehen, klopfte und 
wartete einen Augenblick. Niemand kam. In der 
Ferne hörte er das wütende Bellen von einem 
Himmelhund. Dann klingelte er mit seiner Fahr- 
radglocke, doch auch dies war ohne Resultat. 
Vielleicht sind sie In den Wald gefahren, dachte 
er, und wollte nochmals klingeln. Gerade in die- 
sem Augenblick schwebte ein Engel vorbei und 
lächelte ihm freundlich zu. Zu seinem Erstaunen 
entdeckte der Kunstradfahrer jetzt, daß der Engel 
seine leibhaftige alte Tante Hansigne war, die 
Ihn einmal um 500 Kronen betrogen hatte. Hier- 
über geriet er in größte Wut, denn faktisch war 
es Ja er, der die vergoldeten Flügel und die Glo- 
rie derTanteHansigne bezahlt hatte. Schnurstracks 
sprang er auf sein Fahrrad, um die betrügerische, 
herumfliegende Engeltante zu verfolgen. Sie ver- 
schwand aber, schneller als eine Katze mit den 
Augen blinzeln kann, die Milchstraße entlang. Da 
das Radfahren auf dieser Straße strengsiens ver- 
boten Ist, dort dürfen nur Fußgänger, Sternguk- 
ker, kleine Engel und Himmelstürmer spazieren 
gehen, fuhr Knack wieder zum Himmelstor zurück, 
Trotzdem er ein sehr tüchtiger Kunstradfahrer 
war, punktierte sein Fahrrad unglücklicherweise 
auf einem Stern, und ärgerlich schmiß er es auf 
die rosa Wolke hin. Dadurch entstand ein Loch in 
der Wolke, und ein furchtbares Regenwetter 
brach über die Erde los. 

Jetzt entdeckte Knack neben dem Tor ein kleines 
Fenster mit schönen Gardinen und himmelblauen 
Topfpflanzen ausgeschmückt, Er klopfte 
leise an die Fensterscheibe, die aus 
feinstem Sternenschein gemacht war. 
Die Gardine wurde nun beiseite ge- 
schoben, und der alte Sankt Peter, 
der Pförtner des Himmelreiches, öff- 
nete das Fenster. Aus seinem langen, 
weißen Bart guckte ein kleiner Para- 
diesvogel heraus und piepste munter 
seinen Morgengesang. Knack nahm den 
Hut ab, während er seinen Geldbeutel 
aus der Tasche nahm, denn er glaubte, 
daß man, ebenso wie im Zirkus, eine 
Eintrittskarte zum Himmelreich kaufen 
mußte. 

„Eine Karte für 
sagte er, 

Sankt Peter guckte ihn an: 

„Wieso?“ brummte er, „Parkett A?” 
„Ach, es ist vielleicht ausverkauft? 
Dann geben Sie mir Parkett B.“ 


Parkett A, bitte”, 


VON ERIK STOCKMARR 


Sankt Peter gab ihm jetzt eine kleine Nagelfeile. 
„Als erste Aufgabe”, sagte er, „mußt du zur 
Erde hinunterfahren und den Gipfel vom Mont 
Everest mit dieser kleinen Nagelfeile absägen. 
Wenn das erledigt ist, kommst du wieder zu mir.” 
„Jawohl“, antwortete Knack. „Und wann geht der 
Zug?” 

„Der Zug? Hier geht kein Zug. Ich stelle dir aber 
eine Sternschnuppe zur Verfügung. Wenn du das 
Ziel erreicht hast, springst du ganz einfach ab. 
Verstanden?” 

„Jawohll,” 

Der alte Pförtner des siebenten Himmels beugte 
sich nach vorne, blinzelte mit dem einen Auge 
und flüsterte Knack ins Ohr: 

„Und wenn du die Venus passierst, dann grüße 
sie bitte von mir und sage, ich komme morgen 
abend zu ihr.” 

Knack lächelte und nickte, während der kleine 
Paradiesvogel in Sankt Peters Bart ein paar Stro- 
phen aus dem Lied von Lili Marleen piepste: 


„So woll'n wir uns da wiedersehn, 
bei der Laterne woll'n wir stehn, 
wie einst Lili Marleen....” 


Sankt Peter nahm jetzt das Telefon und drehte 
die Scheibe: 

„Ich möchte mit Frau Oberengel Möller in der 
Buchhalterei sprechen”, sagte or. 

„Sie hat heute Schnupfen“, antwortete eine 
Stimme, „liegt im Himmelbett mit der Nase hoch.” 
„Kruziadaxel: Dann geben Sie mir den Stern- 
schnuppensekretär, Herrn Kleinpeter.” 

„Apparat 525, Jawohl.” 

Herr Kleinpeter kam zum Telefon. 


„Eine Sternschnuppe, bitte”, sagte Sankt Peter, ” 


„aber schnell.” 

„Soll geschehen.” 

Eine halbe Stunde später saß Knack auf dem Gip- 
fel des Mont Everest und fing mit der Nagelfeile 
seine mühsame Arbeit an. 

Tausend Jahre vergingen, dann hatte er endlich 
den Gipfel des Berges abgefeilt und stand wie- 
der vor dem goldenen Tor des Himmelreiches. Er 


" DER’ STELLUNGSHUND 


Die treueste wohl aller Hundeseelen 

Hat uns der alle Dorfschmied jüngst vermadht. 
Der Hund darf in der Stellung nidıt mehr fehlen, 
Da er voll Eifer mit uns Landsern wacht. 


l’en wem er stammt, das ist und bleibt verscuvommen, 
Er kläfft den Mond an, keiner weiß warum. 
Wir lassen aber gar nichts auf ihn kommen: 
Das grelle Lidıt des Werfers macht ihn stumm. 


Er mittert früh die feindlidien Masdıinen, 
Und sein Gehör geht wie ein Hordıgerät. 


„Hör einmal‘, knurrte der alte Wächter 
böse und klapste nach ein paar klei- 
nen, unartigen Engeln, die wie freche 
Mücken an seiner Nase vorbeiflogen, 
„hier gibt es keine Eintrittskarten zu 
kaufen. Nur der, der die drei Auf- 
gaben, die ich ihm stelle, löst, kommt 
in den Himmel hinein. Willst du den 
Versuch machen?” Knack nickte, 


Er mödıte gern den Werfer selbst bedienen — — 
Brüllt die Kanonenbatterie, er steht! 


Uns fehlte viel, wenn wir ihn nicıt mehr hätten. 
Ein Kamerad ist uns das treue Tier. 

Und jeder denkt, wenn wir ihn an uns ketten, 
Bleibt audı das Glück beim kleinsten Kanonier. 


Heinz Friedrich Kamecke 


344 


überreichte Sankı Peter die Nagelfeile, die in- 
zwischen noch kleiner geworden war. 

„Erledigt“, sagte er. 

„Gut“, brummte der alte Mann. „Und jetzt kommt 
die zweite Aufgabe.” 

Er gab Knack einen Teelöffel. „Nun mußt du wie- 
der auf die Erde fahren und mit diesem kleinen 
Löffel das Wasser des Mittelmeeres in die Ost- 
see übergießen.” 

Knack nahm den Teelöffel. x 

„Leider habe Ich heute keine Sternschnuppen für 
deine Niederfahrt”, fuhr Sankt Peter fort, „die 
sind ja augenblicklich rationiert worden. Der 
große Bär hat eben heute Freisonntag, und die 
Kometen sind Ins Bette gegangen, aber du kannst 
auf einem Regentropfen hinunterfahren, das geht 
ja auch schnell.” 

Er nahm das Telefon und fragte nach dem Regen- 
wetterdirektor Naß. 

„Geben Sie mir bitte ein recht schönes Regen- 
wetter, Herr Naß, und dazu noch eine handvoll 


"Wind und einen Regenschirm.” 


„Jawohl, Petermann.” 

Knack sprang auf den Regentropfen und winkte 

dem alten Pförtner freudig zu. 

„Bring mir ein paar Zigarren mit“, rief Sankt 

Peter, indem er das Fenster schloß. 

„Jawohl.” 

Zweitausend Jahre vergingen, dann kam Knack 

wieder zurück. Ein bißchen müde war er, denn es 

ist Ja ziemlich anstrengend in ständiger Fahrt zwi- 
schen den beiden Meeren zu sein, und all das 

Wasser vom Mittelmeer mit einem Teelöffel in 

die Ostsee zu gießen. Doch, das war nun alles 

erledigt. 

„Gut", sagte Sankt Peter und nahm den Teelöffel, 

„Und nun ist nur noch die letzte Aufgabe übrig, 

dann kannst du in den Himmel kommen, mein 

Freund. Deine Flügel habe ich schon bestellt.” 

„Und worin besteht denn meine letzte Aufgabe?” 

fragte Knack. 

„Jetzt sollst du deinen Kollegen Knick In 

Kopenhagen besuchen und von ihm — eine 

Krone borgen!” 

Kaum hatte Sankt Peter diese Worte 
geäußert, als Knack einen Schrei aus- 
stieß, wie eine Gazelle auf sein Fahr- 
rad sprang, und dann fuhr er direkt 
in die Hölle hinunter, denn er wußte, 
daß es eine ‘vollständig unmögliche 
Aufgabe war, eine Krone von dem 
geizigen Knick zu entleihen. 

Man kann ja schließlich auch zuviel 
von einem Menschen verlangen. Dann 
lieber sofort in die Hölle fahren. 

. In der Hölle wurde er vom Oberteufel 
selbst empfangen, Es war Schneewet- 
ter und furchtbar kalt, so daß er sein 
Hinterteil über dem großen Kessel 
wärmen mußte. Die kleinen Teufel- 

* kinder kniffen ihn in den Hintern und 
kicherten entzückt. Knack bekam so- 
fort eine Durchlaßkarte für das Höllen- 
teich, ein paar Badehosen, zwei Hör- 
ner an die Stirn und einen langen 
schönen Schwanz. Der Höllenhund 
bellte, und Tante Hansigne lachte im 
siebenten Himmel. \ 

Wie gesagt, diese Geschichte ist 
wirklich wahr, denn Knack hat sie mir 
selbst erzählt, und er lügt nie. Er haßt 
das Lügen. 
Ebenso wie 
Lügereil 


ich. Diese verdammte 


Nelson Rockefellers klingende Botschaft rem 





„Ich.werde Ihnen eine Botschaft an unsere südamerikanischen Freunde diktieren!“* 
„soll ich ein Telegramm oder gleich ein Scheckformular verwenden?“ 


Messaggio a moneta sonante di Nelson Rockefeller: “Vi detterö un messagglo al nostri amicl 
dell'America del sud!,, — “Devo adoperare un modulo di telegramma o sen’ altro uno di cheque?,, 


345 


ACHTUNG VOR HUMORISTEN 


Herr Milchner saß in seinem zentral gelegenen," 


hübsch ausgestatteten Zimmer, zum Mietpreis 
von 40 RM,, alles mit inbegriffen, Bad, Telefon und 
eine nette Wirtin, und las in der Zeitung. Dabei 
fiel sein Auge auf eine Humoreske mit dem Titel: 
„Wie bekommt man leicht ein möbliertes Zim- 
mer?" Er las diese Groteske mit um so größerem 
Vergnügen, als er kurz vorher die Klage seines 
Schulfeindes Rogner mit anhören mußte, der nir- 
gends ein Zimmer für sich auftreiben konnte, 
Aber das war bei diesem ekelhaften Kerl nicht 
weiter verwunderlich, bei seinem Anblick wurde 
den Wirtinnen ja die Milch sauer, der Lulatsch 


Sommerreise - Viaggio d' estate 


VON HEINZ SCHARPF 


war von einer Trockenheit, die nur noch von sei- 
ner Dürre übertroffen wurde. Im Büro pflegte man 
ihn nur den Blinddarm zu nennen, so überflüssig 
und gereizt war er, 

Haha, lachte Herr Milchner, als er die Geschichte 
zu Ende gelesen hatte, dem Manne kann gehol- 
fen werden! Und er schrieb sofort die Humoreske 
mit ganz kleinen, den örtlichen Verhältnissen an- 
gepaßten Änderungen ab, um sie ihm zuzuschik- 
ken, unbekümmert darum, daß er sich damit mit 
fremden Federn schmückte. Aber das tun ja die 
Kurzgeschichtenschreiber häufig. DerBriefanHerrn 
Rogner und die Humoreske des Autors lauteten: 


(Magon) 





„Also, Onkelchen, wenn du uns deinen Besuch vier Wochen vorher ansagst, 
kann ich dir durch Beziehungen noch ein Kinderbettchen verschaffen !" 


"Dunque, zietto, se tu ci preawvisi la tua visita quattro settimane prima, 
posso ancora procurarti mediante relazioni un lettuccio da bambini!,, 


346 


„Anbei will ich Ihnen einen Rat geben, wie Sie 
mit Leichtigkeit zu einem möblierten Zimmer 
kommen können. 

Sie spionieren den Inhaber eines gemütlichen 
Zimmers, der jung verheiratet und eifersüchtig 
auf seine Frau ist, aus. Ich denke da z. B, an ein 
Ehepaar wie Müllers, wo wir beide einmal in Un- 
kenntnis unserer jahrelangen hühnchenrupfenden 
Beziehungen zusammen eingeladen waren, ein- 
mal und nie wieder. 

Dann setzen Sie sich an Ihren Schreibtisch und 
schreiben dem Mann sowie seiner kleinen, tem- 
peramentvollen Frau zwei verschiedene Briefe. 
Der Brief an die Frau lautet: 


‚Gnädige Frau! 
Ihr Gatte betrügt Sie! Wenn Sie sich davon über- 
zeugen wollen, so gehen Sie morgen um acht 
Uhr abends In die Wagnerstraße 15, zweiten 
Stock, und.läuten dort an. Ihr Mann, der ja nichts 
ahnt, wird Ihnen die Tür öffnen. Sie stürzen Ins 
Zimmer und erwischen ihn in flagranti mit Ihrer 
Nebenbuhlerin. Auf jeden Fall nehmen Sie einen 
Revolver mit. Ein Freund. 
Dem Gatten schreiben Sie folgenden Brief: 
‚Hören Sie, Sie gehörnter Siegfried, Ihre Junge 
Frau betrügt Sie. Wenn Sie sich davon über- 
zeugen wollen, so gehen Sie morgen um acht 
Uhr abends in die Wagnerstraße 15, zweitenStock, 
und läuten dort an. Dann wird Ihnen derjenige 
öffnen, der Ihre Familienehre beschmutzt hat. Sie 
erwischen ihn mit Ihrer Gattin in flagranti. Auf 
jeden Fall nehmen Sie einen Revolver mit. 
Eine Freundin.‘ 


Dem Herrn in der Wagnerstraße schreiben Sie 
dann den dritten Brief: 

‚Gewissensbisse zwingen mich, Ihnen ein Ge- 
ständnis zu machen. Ich gehöre gezwungener- 
maßen einer Einbrecherbande an, die morgen 
abends bei Ihnen einbrechen will. Wenn man in 
Ihr Heim einzudringen versucht, so überlegen Sie 
nicht lange und schießen gleich drauf los, 

Ein aufrichtiger Warner.“ 


Wenn Sie diese drei Briefe abgesandt haben, so 
warten Sie ruhig das Resultat ab, 

Etwas wird passieren. Entwoder wird der Mann 
die Frau erschießen oder die Frau erschießt den 
Mann — oder der Mann wird von dem Herrn in 
der Wagnerstraße niedergeknallt oder umgekehrt, 
der Herr, der die Einbrecher erwartet, tötet den 
Mann. Mit einem Wort, es wird sich ein blutiges 
Drama abspielen — aber für Sie wird es nur von 
Nutzen sein. In dem einen oder in dem anderen 
Falle wird irgend jemand ins Gefängnis oder auf 
den Friedhof kommen, und dann wird für Sie ein 
Zimmer frei. Mieten Sie es sofort und Sie haben 
endlich eine Bleibe und stehen unter Mieter- 
schutz. Sie dürfen nicht erschreckt sein, wenn 
Ihnen nachts die Geister der ermordeten Frau 
oder Ihres Mannes, oder des Herrn aus der Wag- 
nerstraße erscheinen. Ein Zimmer mit Geistern ist 
noch Immer besser als gar kein Zimmer ohne 
Geister oder eines mit Wanzen. Herr Rogner. Ver- 
fahren Sie nach diesem Rezept und der Erfolg 
wird nicht ausbleiben. Ihr Milchner.” 


Nachdem er diesen Brief geschrieben hatte, 
brachte er ihn zur Post, Haha, lachte er dabel, 
von diesen Humoristen kann sich jeder eine 
Scheibe abschneiden, das wäre gelacht. 

Nach fünf Tagen hatte Herr Rogner ein Zimmer. 
Ein zentral gelegenes, hübsch ausgestattetes Zim- 
mer, zum Mietpreis von 40 RM., alles mitinbegrif- 
fen, Bad, Telefon und eine nette Wirtin. Das Zim- 
mer des Herrn Milchner. Vom Wohnungsamt zu- 
gewiesen. 

Herr Milchner erhielt von einem anderen Amt für 
längere Zeit einen anderen Aufenthalt zugeteilt. 


Pünktlichkeit (R-Krlesch) 








„Wie unangenehm, schon vor einer halben Stunde solite ich bei Robert sein!“ 
„Tut nichts — erst nach zwei Stunden sucht sich der Kavalier einen Ersatz! 


Puntualitä: “Come mi spiace! Dovevo trovarmi da Roberto glä mezz' ora fa!,, 
“Non importa nulla! Solo dopo due ore il Cavaliere si cerca una supplente!,, 


347 


Der Nutznießer - II profittatore 


0. Hogenbarth) 





„Merkwürdig — früher war ich Vorstand von einem Raucherklub, 
und heute suche ich meine Freunde nur noch unter Nichtrauchern!“ 


"Strano dawvero! Prima ero presidente d'un club di "Fumatori, ed oggl cerco amicl solo tra | ‘Non-fumatori,!,, 


PUNKTE 


VON SCHLEHDORN 


Eine Fliege setzte sich auf den Sockel des Dank- 
mals jenes seinerzeit unsterblichen Mannes, setzte 
Just da, wo „dankbare Vaterstadt” stand, einen 
Punkt, der nicht eben ein Gesichtspunkt war, und 
erklärte: „Ich bin die historische Kritik.” 

„Sie sind sehr selbstbewußt”,meinte Regierungsrat 
Jullus, der auf einer Bank gesessen und gewartet 
hatte, ob das Denkmal endlich das korkzleher- 
behoste Standbein mit dem dito Spielbein wech- 
seln, und wielange es noch mit dickem entschlos- 
sonom Finger auf die Feuerwehr gegenüber deu- 
ten würde. 

Aber die Fliege wies darauf hin: „Was Punkte 
wert sind, besonders heute, das können Berufene 
bei Jedem sportlichen Wettkampf feststellen.” 
Dann erzählte sie: 

„Ich ‚war jüngst beim Familientag der Familie 
Punkt. — Eine Fliege ist schließlich in Jedem 
Sitzungssaal; so bleiben wir auf dem laufenden. 
Sie waren fast alle erschienen. Auch die dunklen 
Punkte, die gar’ nicht geladen waren, und der 
i-Punkt, obwohl er nur zu einer Nebenlinie ge- 
hört, Der Scheltelpunkt und der Schnittpunkt 
kamen sichtlich gerade vom Friseur. Der Null- 
punkt saß mit seinem gofrorenen Lächeln etwas 
dummlich an der Tür, 

Den Berührungspunkten sah man an, daß sie 
schon mancherlel hinter sich hatten, und der An- 
ziehungspunkt zeigte die süffisante Miene des 
Unwiderstehlichen. 

Ich suchte gerade den Höhepunkt, der für jedes 
Leben anders aussieht, da trat der ehrenwerte 
Hauptpunkt ein, der Einberufer dieses Familien- 
tags, und ergriff sogleich das Wort: 

„Liebe Vettern! Ich habe Sie bei unserm Vetter, 
dem Treffpunkt — er führt dieses große Hatel, 


und der Aussichtspunkt wohnt gleich nebenan —, 
versammelt, und Sie sind, nach unserer Familien- 
tradition pünktlich erschienen.” 

Er könne, fuhr Redner fort, nicht alle Punkt für 
Punkt begrüßen, Er erwähne nur Seine Exzellenz 
— den Ehrenpunkt —, dieser war, auf den Stütz- 
punkt gelehnt, eingetreten, und zierte, wegen sol- 
nes Alters nicht mehr so empfindlich wie.früher, 
hochverdient den Kreis. Ferner Seine Eminonz — 
den Kardinalpunkt —, der saß als rotleuchtender 
Fleck im Raum, wird aber selten noch genannt. 
Man spricht mehr vom Angelpunkt, dieser tat in 
der Tür mit der Geduld, die Angeln auszeichnet, 
frischgedlt seine Pflicht. Auch der Hauptverkehrs- 
punkt hatte sich frelgemacht, war aber etwas ner- 


Violinsolo - A solo di violino 


vös, Entschuldigt wegen Dienst fehlte der trigo- 
nometrische Punkt; er stand hoch auf dem Berg 
auf drei Beinen und ließ sich anpellen. Die Frage 
der Unterbringung der Familie sollte der Kosten- 
punkt regeln..\, 

„Lebe Vettern!“, führte der Senior aus, „nichts ist 
so notwendig auf der Welt wie wir. Ohne uns 
gäbe es nicht einmal Nebenpunkte, die sich wich- 
tig machen können. Ohne uns entstünde keine 
Linie; theoretisch gehören dazu nur zwei Punkte, 
meist stellen aber welt mehr freiwillig zur Ver- 
fügung. Also, ohne uns kein Aquator, keine Bau- 
fluchtlinie, keine Richtlinien. 

Was wäre die Welt ohne unseren verehrten Vet- 
ter Schwerpunkt.” (Der saß breit imSesselundhatte 
einen Bauch.) „Alles fiele um oder flöge davon. 
Oder ohne die Standpunkte.” Die standen steif 
in Ihrem Smoking und verbeugten sich feierlich. 
„Schon der große Archimedes verlangte nur dos 
moi pou sto (gib mir einen Standpunkt), und Ich 
werde die Erde bewegen, und Professor Schulze- 
Rhombus meint, er habe das pou (pou Ist Im 
Griechischen beinah soviel wie Punkt) gefunden: 
sein Schreibtisch sel der Mittelpunkt der Welt, 
von dem aus er die Erde, ja viel mehr, die ganze 
Weltanschauung bewegen werde— vorausgesetzt, 
daß er für sein neues Werk einen Verleger finde. 
Gleichzeitig gibt z. B. der Kunsthistoriker Dr. Fritz 
Faltenwurf, seine Arbeit „Entscheldende Punkte 
des Pointilismus” heraus. Ein Jurist liebt nichts so 
sehr wie Punktensachen, Und Goethe meint (oder 
läßt meinen): es sei „ihr ganzes Weh und Ach, so 
tausendfach, aus einem Punkte zu kurleren.” 
Damit komme ich zum einzigen Punkt unserer 
Tagesordnung: 

Einer unserer Vottern, der Dollpunkt natürlich, hat 
sich bedauerlicherweise mit einem Komma 
eingelassen. Also eine Mesalliance. 

Wir haben Fälle, wo Punkte graziöse, kapriziöse 
Kringel heimführten, Künstlerinnen, Ausländerin- 
nen und so; dann entstanden Fragezeichen — 
aber Fragen können reizend sein, und wenn alle 
beantwortet sind, wird das Glück langweilig. An- 
dere erhoben ihre Blicke zu hochgestellten Strl- 
chen und Imponlerten dann als Ausrufungszolchen 
in höheren Kommandostellen, 

Aber ein Semikolon — der Name schon klingt be- 
denklich nach Rassenmischung — hat keine an- 
gemessene Stellung In der Interpunktion, Er bleibt 
eine halbe Sache. Nachher werden womöglich 
noch die Gönsefüßchen („Anführungsstriche”, wie 
sie sich überheblich nennen), als Kusinen ange- 
laufen kommen...” 

Der springende Punkt, der schon lange unruhlg 
auf dem Stuhl gezappelt, fuhr auf: „Das Ist der 
Gipfelpunkt! der Tiefpunkt ist das!” 

Der Streitpunkt, der Siedepunkt und der Knoten- 
punkt (der jetzt die Anstellung bei der Elsen- 


Mech. Kay) 





Imbaulamento 


Kofferpacken 


(Fr. Bilek) 











bahn hat) wollten Krach machen — sonst wäre 
es ja kein richtiger Familientag. Auch der Brenn- 
punkt eilte schon herbei, Der Ruhepunkt besänf- 
tigte alle, 

Und der Kontrapunkt, der eine Brille trägt und 
lange Haare, meinte: „Nun, es muß doch auch 
Dissonanzen geben, wo bliebe sonst die Har- 
monie?" 

„Zur Sache“, rief der Wendepunkt. 











Schließlich schlug der Kernpunkt vor; „Das Semi- 
kolon wird mitten in den Satz gesetzt; hat nur 
Halbsätze abzuteilen; dann kann es keine Dumm- 
heiten machen; und ein ehrlicher Punkt schließt 
das Ganze ab.“ 

So wurde beschlossen. Einstimmig) bei Stimm- 
enthaltung der Zweifelspunkte. Und der Haupt- 
punkt schloß mit dem Appell: 

„Liebe Vetterni Wenn Sie heiraten, nehmen Sie 


349 





eine Frau aus unsern Kreisen. Dann entsteht 
ein Doppelpunkt, und hinter dem fängt oft die 
reizendste Unterhaltung an. Und wenn sie sehr 
reizend wird, macht der taktvolle Schriftsteller 
einen Gedankenstrich (eine Barriere von Punkten: 
Eintritt verboten!) oder es kommen drei Pünkt- 
chen und mehr. Das Ist dann eine ersprießliche 
Ehe... 

Ich schließe. den. geschäftlichen Tell.” Punkt, 


Im Sonnenbad A) 








„Der guckt so rüber. Ich glaube, du hast schlecht verdunkelt!" 


Nel bagno.di sole: “Quegli guarda da questa parte; credo che tu abbia oscurato male!,, 


350 


DER MÜDE SEPP 


VON HERBERT A. LOHLEIN 


Sepp Kranewitter, der Senn von der Schluifl-Alm, 
ist ein uriges Mannsbild von gewaltigen Füßen, 
mit Händen, die einen Stierschädel zu Knie- 
beugen zwingt und einem dichten Fell über Seele 
und Brust, Aber er hat so seine Mucken. So haßt 
er die Fremden, das Fußwaschen, das Bartschaben 
und das Nasenputzen, 

Deswegen hatte ihn seine einzige Braut, die Monl 
aus Maria Taferl, die er einmal vor Jahrzehnten 
kurzfristig besaß, verlassen. Sie brachte ihm da 
einmal ein Rasiermesser, vier Sacktücher und 
lehrte ihm das Füßewaschen, Unklugerweise ver- 
bot sie ihm auch noch das Pfeifensuzeln. Die Bes- 
serung hielt denn auch nur zwei Tage an. Dann ging 
die Moni wieder und der Sepp schneuzte wie ehe- 
dem auf den Almboden, schlenkerte den Staub 
von den Zehen und suzelte wieder am Pfeifen- 
stiel, daß das Wasser im Kloben kochte. Dies 
zur notwendigen Einleitung, wie sehr die Dinge 
auf dieser Welt ins Drehen kommen können. 

Der Sepp hätte denn auch weiterhin seine 
irdischen Tage zwischen Kühen und Geißen stum- 
pensuzelnderweise dahingelebt, wenn nicht die- 
ser wunderliche Almsommer über die völlig un- 
bekannte Schluifl-Alm hergefallen wäre! Der Schluifl- 
steig glich ausgetretenen Filzlatschen und die 
Almgeißen bohnerten verachtungsvoll hinter den 
Talwanzen her. Die Kühe stolperten bis hinauf 
zum Huifunzener Törlgrat, um sich das saudumme 
Juchhugeschrei aus den Ohrwascheln zu wedeln. 
In hellen Scharen waren sie heraufgestöckelt: 
Blond, gelb, kupferrot und pechschwarz. „Mäd- 
chen", wie sie der Sepp In seinem ganzen leben 
noch nicht gesehen hatte, geschweige denn aus 
nächster Entfernung hätte betrachten dürfen. 
Mißtrauisch und scheu wie ein einsam geworde- 
ner Plätzboden-Hirsch war der Kranewitter Sepp 
anfangs von den seltenen und niegesehenen 
Madeln in den Stall geflüchtet. Aber die putzigen 
Dinger mit den knallroten Schnäbeln, dauergewellt 
und lüstern nach Heuboden und Vollmilch, mit 
Sonnenbrillen wie Käslaibe. und weißen, reißver- 
schlossenen Leinenhöschen trabten dem Sepp bis 
in die letzten Fugen seiner Milchbude nach. Kram- 
ten aus Taschen und Koffern Zigaretten, Stumpen, 
Rauchtebakpakete, zwinkerten vielsagend und 
nannten ihn ihren „zünftigen Seppel“. Das Mäd- 
chen Margot aus Berlin-Schmargendorf, puppig 
und erotisch verspielt, hielt den Sepp für düm- 
mer, als er aussah, setzte sich neben das Butter- 
faß und trällerte die neuartige Melodie: „Schenkt 
man sich Stumpen in Tirol, weiß man, was das 
bedeuten soll,.." Zog ferner ein herzförmiges 
Feuerzeug aus dem Busenausschnitt und bot dem 
Sepp die Flamme. 

„Kruzitürken ...!” sagte der, zündete den Stum- 
pen an und fraß ihn von hinten an vor Aufregung. 
Bald hockten sie einträchtig nebeneinander auf 
dem Melkeimer, und der Sepp sog an dem exo- 
tischen Gedüftel, das ihn umfächelte, und wei- 
dete in der seltsam bemalten Gesichtslandschaft 
herum wie seine Kühe auf der Schluiflalm, Wieder 
hatte er kein Sacktuch in der Nähe. Aber o Wun- 
der! Die Mädchen waren zutraulich, spielten mit dem 
Sepp, fragten kichernd nach dem Heuboden und 


ALLERHAND 


Ein Taufendfüßler, nicht mehr jung an Jahren, 
war in einer Kneipe gehörig verfackt. 
So kam er mitten auf der Straße aus dem Takt 
und wurde überfahren. 
Er hat fich etliche Beine gebrochen, 
zıı an der Zahl. 
Jetzt liegt er im Spital B 
und die Schwelter fortiert fchon feit Wochen 
Knochen, 

Wolfgang Borchert 





ag und Druck. Knı 


Verantworti. Schriftleiter: Walter Foitzic 
anstalten entgegen. — 











& Hirth Kommandlige: 


München. — Der Simplicissimus 
zugspreise: Einzelnummer 30 Pf.; Aboı 


frivol nach den Butterballen. Da kehrte auch der 
Sepp wieder zu sich selbst zurück, schneuzte auf 
den Almboden, rülpste, wann es ihm paßte und 
spielte mit allem, was man ihm anbot, 

Der sündige Ruf des Schluifl Sepp drang bis nach 
Maria Taferl hinunter und erreichte auch das un- 
gläubige Ohr der Moni und ihres jetzigen Gat- 
ten, des Korbinian, der mittlerweile Senn bei der 
Huifunzener Urschi, einem schelchhaxerten Dra- 
chen geworden war, wie der Korbi seine Brot- 
geberin nannte. 

Als der Sepp an einem ruhigen, stillen Herbsttag 
auf dem Viehgatter hockte und seine gewaltigen 
Füße gedankenverloren hin und her schaukelte, 
kam der Korbi vom Hulfunzener -Törlgrat herunter 
auf die Schluiflalm zu. Seine Begrüßung ließ er- 
kennen, daß er im Bilde war: „Grüaß di, du alter 
Saubärl“ Geschmeichelt grinste der Sepp auf den 
armen Teufel, der bei der Moni in fester Hand war: 
„Bischt mir ja bloß neidi auf meine zwaravierzg 
Moidin, die wo bei mir zur Diät warn!” 

Der Korbi horchte auf. „Was ischt dös für a Sau- 
stall mit der Diät?” 

„Diät? sagte der Sepp überlegen und spuckte 
über die Achsel. „Ma siecht scho, daß du vo Hui- 
funzn bischt! Diät — das ischt, wenn a empfind- 
licher Magen kane Kartoffl und ka Kraut vertragn 
kann und vom Dokter a Vollmülli und an Butter 
verschriebn kriagt und a Zigarrn- oder Schnaps- 
gschäft drin in der Stadt hat, hascht mi, du dal- 
kerter Tuifl?” 

Es war eine Weile still auf der Schluiflalm. Dann 
sagte der Korbi nichts als: „Aha...“ Kam aber 
doch nicht zu Rande damit: 

„Und die Moidin, die zwaravierzge? 

„Die gehn drein...” ergänzte der Sepp auf- 
klärend. 

„Kruzitürken!” sagte jetzt auch der Korbi und 
blickte auf den Sepp wie auf einen preisgekrön- 
ten Stierbändiger. 

„Magscht was z’ rauchen?” fragte schließlich der 
Sepp leutselig. „Geh’ eini in d’ Kuch! und lang in 
den zwatn Schuber vom Kaschtn. Da kannscht dir 
was aussi holn.“ 

Der Korbi ließ sich das nicht zweimal sagen, ging 
hinein und zählte in dem Schubladen 17 Pakete 
Rauchtabak, 32 Schachteln Zigaretten aller Sorten, 
fünf Kisten Zigarren und vier Patentfeuerzeuge, 
darunter zwei rote In Herzform. 

„Hölltuifl!” entfuhr es dem Korbi, „Wia hascht dös 
bloß firti bracht?1” 

Der Sepp schnickelte hochmütig mit den Fingern: 
„Wann ma ka Depp is und wann aner was gleich- 
siecht, dann bringscht di Moidin gar nimmer anl 
Hab ane ghabt— Margot hat si sich ghaßn, sie war 
aus Berlin-Schmargendorf und solchn rotn Haar- 
schüppel hat’s ghabt, daß di glei beim Anschaun 
brinnt hat — diesölbige war ma nimma oichi- 
gangen ins Hotöl. Ihr hat mei Heubodn so guet 
gfalln und | dazue, daß i ihr vazöllt hab, wia d’ 
Goaßn jetz im Summer vo die Flöh plagt san, Da 
is erscht auf und davo, dös Gschmacherl. Hat mi 
hintennachi greut! Dann hab i ane ghabt — Helde- 
marie aus Köln, sie war anazwanzge alt und 
blondi Sakramenter...“ Der Sepp hielt eine Welle 
an und schleckte nachträglich noch vor Vergnü- 
gen über die Bartstoppeln — „dös Moidi hat d’ 
Mülli gsuffn wia meine Kaibl und allweil hat sie 
sich, bals in Heubodn auffigschloffn is, zerscht 
auszogn..." 

„Saubär, alter!“ röchelte der Korbl wieder. „Er- 
zähl weiter...“ „Laß dir Zeit — sie hat si‘ nachert 
a wieder azogn, aber net vül. Bloß so a schwarz- 
seidernes Zuigs.” 

„Was ischt dös nachher gwesn und für was ghört 
si dös?" fragte der Korbi lauernd. 

„I waß a net recht. Sie hat allweil ‚Pütschamma’ 
dazue gsagt. Des Komische war, daß sie nachher 
dös ‚Pütschamma’ doch a wieder auszogn hat...” 
„Dös ischt aber doch a Blödsinn?“ 





Ischai 





scheint wöchentlich einmal. 
'nnement Im 
Nachdruck verbote 





„Freili — mir war s’ ja a liaber ohne dös Glump. 
| man halt, es ghört si dazue, daß d’ Mannsbülder 
recht wild wern solln.” 

„Bischt nacha du wüld worn drauf?” fragie der 
Korbi bohrend wie ein lüsterner Schraubenzieher. 
„Auf d' Letzt nimma sol” gestand der Sepp ehr- 
lich. „Aber was i dir noch sagn wollt: Alles, was 
deiner Moni an mir amal net paßt hat, dös war 
dene Moidin wurscht. Dös kannscht alles deiner 
Moni saukalt verzölln, Dös hätt si alles a habn 
könna.” 

„Sie werd halt ka Diät braucht habn!” erwiderte 
der Korbi ohne Wimperzucken. „Und überhaupts 
hat d’ Moni recht guet verdient, Sie war Zimmer- 
madl drunt im ‚Alpenhof‘ z' Maria Taferl. ’s ischt 
& schöns Gschäftl gwesn, den Summer, Habn 
manche zehn Markl springn lassn für a Zimmer. 
Und habn manche an Gusto ghabt aufn Terlaner, 
wos doch kan gibt, hascht mi? Sie habn dann 
halt an Terlaner im Maßkrueg kriagt aufs Zimmer 
auffl. Und dei ‚Diät' ham mir a ghabt, in da Kuchi 
draußn, versteht si. Es hat scho a Köpfl herghört, 
daß ma net alles durchinanda bracht hat, aber d’ 
Moni war bald eing'arbat in dene Schlich. Und 
wanns du manst, d’ Huifunzener Urschi is aufn 
Kopf gfalln, dann bist aufn Holzweg. Da is man- 
cher Bursch auffikumma und hat ‚liabe Urschi’ zu 
ihr gsagt. No ja, der hat dann halt a ka Wasser 
gsuffn. Ischt ja net z'neldn gwesn, so a Loder. A 
hundertvierzg Markl hat s’ zambracht, d’ Urschi, 
mitsamt dem, daß schelchhaxert is. 

Aber was tuescht jetz, wo d’ Salson rum Isch2?" 
fragte der Korbi lauernd. 

„etz denk | manchmal nach über d’ Wölt und d' 
Weiber...” bekannte derSepp mit müder Stimme. 
„Geschtern no hab i den letztn rotn Haarschüp- 
pel außikehrt zum Flöz und a paar Schaufeln 
Zigaretinstumpn dazue, 's Heu is zamgflackt und 
an schwarzseidern Pütschamma hab I drin in 
der Schubladn. Den hat s’ ma da lassn zum An- 
denken und i sollt ihr ab und zu anButter schickn, 
hat s’ gwuislt,“ 

„Tuascht nacha dös?" fragte der Korbi neugierig. 
„An Dreck...” sagte der Sepp saukalt, „Sie werd 
an neu'n Pütschamma habn, denk |, und an neu’n 
Loder. Soll ihr der an Butter und Oar verschaffen. 
Was rum Ischt, ischt rum.” 

„Warum bischt jetz du froh, daß rum Ischt?” fragte 
staunend der Korbi, der einmal scheu über die 
schwarze, knisternde Seide des Pütschamma hin- 
schnupperte, 

„Ja mei...”, bekannte der Sepp reumütig. „Waßt 
— es ischt ja alles ganz schian gwesn — aber 
jetz hätt is bald nimma derpackn kinnal Da ischt 
des Kuahmelkn a Dreck dagegen!" — — 








LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 








Peter Silie ließ sich photographieren. 

Peter Silie betrachtete wütend sein Porträt. 
„Miserabell Miserabell Die Photographie läßt mir 
überhaupt keine Gerechtigkeit widerfahren!'', 
knurrte er. 

Der Photograph rief: 

„Herr! Was Sie brauchen ist keine Gerechtigkeit 
— Sie brauchen Gnadel” 3.H.R. 
* 

Zu Zelibor, dem Komponisten, kam eine mollerte 
Wiener-lieder-Sängerin. Ungeniert setzte sie sich 

auf die. Tasten des Klaviers. 

Zelibor lächelte höflich: 

„Das kann ich auch, schöne Frau — nur ist mein 
Anschlag nicht so weich — —" IHR. 


ruf 1296). Briefanschrifi: München 2 BZ, Brieftach. 
Bestellungen nehmen 
Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegi. — 
Postscheckkonto München 5920, Erfüllungsort München. 





Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- 


Wunder der USA.-Technik 


(Wilhelm Schuiz) 








„+. und hier sehen Sie meinen neuesten Offensive-Wahrsageautomat. Er fabriziert 
in der Stunde bis zu sechstausend verschiedene Vorhersagen von Achsenoffensiven!" 


Miracolo di tecnica statunitense: “... e qui vedete il mio ultimo autömato delle profezie di 
offensive. Esso costruisce in un’ ora financo seimila diverse predizioni di offensive dell’ Assel,, 


352 


München, 30. Juni 1943 Pfenni 
enni 
48. Jahrgang / Nummer 26 30 g 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Politisches Exerzieren in England 











ans ey ne ee Te nn 














„Die Herren vom rechten Flügel haben das Linksum noch immer nicht begriffen. Das muß ruckartig gehen!" 


Esercitazioni politiche in Inghilterra: “I signori dell’ ala destra non hanno ancora compreso il ‘Fianco a sinistra!,. La conversione dev’ essere subitaneal,, 


Schachspieler - Givocatori di scacchi 


NN 


van 


Rechte Seite, linke Seite 


Er und sie gehen ins Konzert, Sie haben noch zwei 
Karten bekommen, eine ganz vorne, wo die sehr 
feinen Leute sitzen, und eine ganz hinten, wo auch 
feine Leute sitzen. 

Emil ist Kavalier, er läßt Emille den Platz der ganz 
feinen Leute und begnügt sich mit dem andern. 
Nach der ersten Pause kommt Emilie und sagt: 
„Lieber, tu mir den Gefallen und setz’ dich nach 
vorne auf meinen Platz; du sollst es auch gut 
haben.“ Er kann ihr nichts abschlagen und so 
geht er nach vorne, wo die ganz feinen Leute 
sitzen. Als er sich gerade setzen will, kommt ein 
Herr und will,sich auf denselben Platz setzen. Die 
Männer funkeln sich an, und Emil setzt sich, Jetzt 
beginnt der übliche Krach von Menschen, deren 
Rechtsgefühl beleidigt ist. „Ich habe doch 
schon ...“, zischt der fremde Herr. Klim, Plim, 
Plim beginnt der Klaviervirtuose und die Leute 
machen „Pstl“ 

Emil sitzt auf seinem Platz und hört nichts von 
dem schönen Musikstück und der Virtuosität vor 
lauter Empörung. Der fremde Herr steht neben ihm 
und hört auch nichts, auch vor Empörung. Applaus. 
„Werden Sie jetzt meinen Platz räumen?” — „Ich 
habe den Platz bezahlt!" — Klim, Plim, Plim — 
„Pstl” Beide hören wieder nichts. Applaus, Der 
fremde Herr hat jetzt Gelegenheit überzukochen. 
„Zeigen Sie mir Ihre Eintrittskartel” Darauf hat 
Emil nur gewartet. Wie der Gesandte eines mäch- 
tigen Herrn die Kriegserklärung, so zieht er selne 





Eintrittskarte aus der Tasche und überreicht sie 
dem Todfeind. Jetzt hätte dieser zerschmettert 
zusammensinken müssen, aber er sinkt nicht. Mit 
höhnischer Verachtung sagt er nur: „Dieses Kino- 
billett hat hier keine Gültigkeit.” Emil starrt auf 
das Kinobillett. Emil stammelt, Emil benimmt sich 
wie ein Hampelmann, indem er gleichzeitig mit 
beiden Armen in die rechte und linke Tasche 
fährt und sucht. „Unverschämtheitl” sagt der 
fremde Herr nur und setzt sich auf seinen Platz. 
Emil möchte jetzt ein Staubkorn sein und vom 
Winde weggeblasen werden oder wie Morgen- 
nebel zergehen. Um Ihn herum sind nur höhnische 
Gesichter. Aber er wird nicht fortgeblasen, er 
zergeht nicht, er muß auf seinen zwei Beinen lang- 
sam abgehen. 

Nun findet er die richtige Eintrittskarte, er sieht 
nach. Natürlich links statt rechts. Verdammt! Jetzt 
wird er sich durch die Tat rechtfertigen, jetzt wird 
er diesem verdammiten Pack zeigen, daß er recht- 
mäßiger Inhaber eines so feinen Platzes ist. Er 
geht auf den ihm gebührenden Platz zu, doch 
jetzt Ist gerade große Pause. Alles strömt aus 
dem Saal, nur Emil blelbt auf seinem Platz alleine 
sitzen, unbeachtet vom Volke. 

Die Pause ist beendet. Die Leute strömen herbei, 
auch Emilie. „Möchtest du mich vielleicht jetzt 
wieder nach vorne lassen, Lieber?“ Emil ist noch 
immer Kavalier, Emil geht in die hintere Linie. Als 
er sich gerade auf seinen Platz in der hintersten 
Reihe setzen will, kommt der feine fremde Herr 
vorüber. 


Emil hat sich nie rechtfertigen können. Foitzick 


354 


(Fr. Bilek) 


FE 


IH 


TG 





GT 
CF 
EZ 
SOEEEE 
SIE 


SOLLE 





Alter Satiriker 


Mit den Zähnen hat cs angefangen. 

In die Binfen find fie ihm gegangen. 
Erft zum Kauen die und die zum Beißen. 
Adh, es war ein ftändiges Verfchleißen! 


Immerhin: mit Hilfe des Dentiften 
war's ihm möglich, neu fich aufzurüften. 
Liebreich trocknet feines Kummers Träne 
ein patentes Adoptivgezähne. 


Aber dann, als Sommers letste Rofe, 
pflücht den Giftzahn die Paradentofe. 
Diefer ift ihm, nach den andern allen, 
Eines Tages gleichfalls ausgefallen. 


Und was nun?,, .. Er ift ganz fanft geworden, 
außerftand, noch geiftig wen zu morden. 
Weisheitsfprüche Iprudelnd faft wie Goethe, 
Ichlurft er durch die eig’ne Abendröte, 


Ratatöshkr 


nferenz in Hotspring (Anal Sehe 


„Die Ernährungskonferenz war wirklich ein großer Erfolg. Jetzt stehen hier schon zwei Kehrichttonnen!" 


La conferenza dell’ alimentazione a Hotspring: “La conferenza dell’ alimentazione ebbe 
davvero un gran successo. Giä adesso ci stanno qui due recipienti di latta colmi d’ immondezze!,, 


355 





GEESOMINFSPIELTESCHIERSÄL 


„Wer sind die?“ fragte Gelsomin, die vier Knöpfe 
seines Hemdes zuknöpfend, das er über der Brust 
offen trug. 

„Offiziere des Königs. Heute Ist Jagd.” 

„Kommt er hier vorbei, der König?" 

„Ich glaube,” ’ 

„Werd’ ich Ihn sehen können?” 

„Mir klettern auf die Eiche hinterm Haus: von dort 
oben können wir ihn sehen, ohne daß man uns 
bemerkt. Es ist besser so...” x 

„Hast du den König schon mal gesehen?” 

„oft. 

„Wie ist eff" 

Pillac zuckte mit den Achseln und wußte für den 
ersten Augenblick nicht, was er antworten sollte. 
Der König! Als ob es möglich wäre, daß ein Bauer, 
wie er, den König, den König von Frankreich be- 
schreiben könntel Dann sagte er mit erschüttern- 
der Einfachheit: 

„Er ist... Er ist eben Ludwig XV.I” 

Der andere sagte leise und überzeugt: 

„Ahl“ 

Und er begann zu zittern, denn von weitem ver- 
nahm man Pferdegetrappel und die Waldhörner, 
die zum ‚Sammeln bliesen. Pillac und Gelsomin 
raten an die hohe Eiche, kletterten am Stamme 
empor und machten sich’s in den Ästen bequem. 
Unfern, auf einer kleinen Lichtung mit frischem 
Grün und kühlem dunklen Schatten, hatten Diener 
ein Frühstück Im Freien hergerichtet. 

Welch kostbares Tischtuch und Siiberzeug! Er- 
lesenste Leckerbissen und üppige Kissen, um be- 
quem sich zu setzen oder gar auszustrecken wäh- 
rend der Mittagstuhe,... 

Aus dem Walde brach eine Reitergruppe hervor 
und erschien am Rande der Lichtung. 

„Ist das der König?“ fragte Gelsomin, indem er 
auf Ludwig XV. wies, der Madame de Chäteau- 
roux die Hand reichte, um ihr aus dem Sattel zu 
helfen. 

Ja.” 

„Und das andre ist.., die Königin?" 

„Nein. Das ist die Geliebte des Königs." 
Gelsomin ließ abermals ein „Ah’ hören und riß 
vor Staunen weit die Augen auf, Dann flüsterte er: 
„Sie kommt mir nicht sonderlich froh vor. Wie kann 
man nur an der Seite des Königs traurig sein!” 
Pillac antwortete nicht. Alle beide schauten sie 
aufmerksam Ludwig XV. zu, der auf einem präch- 
tigen Kissen saß, neben sich die Herzogin von 
Chäteauroux, mit der er leise sprach; ab und zu 
gähnte er, ohne Rücksicht auf seine Dame. Die 
schöne Frau trank hastig zwei Glas Champagner, 
dann lächelte sie schon ein wenig lebhafter und 
beteiligte sich an der Unterhaltung. Der König von 
Frankreich schüttelte seine Müdigkeit ab; er hörte 
zu gähnen auf, und das Frühstück verlief äußerst 
heiter. Die schöne Herzogin aber, die Immer mehr 
erblaßte, vermochte kaum dem graziösen Ge- 
schwätz der erlesenen Runde zu folgen: sie 
fühlte, daß das Herz des Königs nicht mehr ihr ge- 
hörte, sie fühlte, daß ihre Schönheit nicht mehr 
Macht hatte über des Königs Wünsche, und sie 
litt entsetzlich unter so offenbarer Machtlosigkeilt, 
denn sie liebte ihren erlauchten Geliebten den- 
noch. 

„Da kommt jemand“, rief Gelsomin und zeigte 
nach der Straße und auf ein blaues Kabriolett, das 
mit einem weiß- und rosafarbenen Sonnendach 
überspannt war, und das von einem feurigen 
Pferde gezogen wurde. 

„Oh, eine schöne Damel” rief arglos Gelsomin 
und beschattete die Augen mit der Hand. „Eine 
schöne Dame!” 

„Sie hat einen kleinen Mohren, der das Sonnen- 
dach hält, sieh mall“ 

Pillac wies mit dem Zeigefinger. 

„Einen richtigen kleinen Mohren. Das ist die 
schönste Dame, die ich kenne. Sie ist noch viel 


VON GIGI VIVIANI 


schöner als die Herzogin von Chäteauroux...” 
„Wer ist das?” 

„Madame d'’Etioles.“ 

Und er sagte wiederum „Ah”; well der Name ihm 
neu war, weil die Dame, ganz in einer weiß- und 
rosafarbenen Wolke von Spitzen und Seide, sich 
mit ihrem Kabriolett immer mehr der Lichtung 
näherte, wo der König und die Edlen von Frank- 
reich im Begriff waren, ihr Frühstück zu beenden. 
„Ob’ der König sie sieht?” flüsterte Gelsomin 
zitternd. 

Pillac zog die Schultern hoch. Er antwortete nicht. 
Das Kabriolett der Madame d’Etioles verlangsamte 
"das Tempo, und das feurige Roß wechselte aus 
dem kurzen Trab in Schritt. Unter dem Sonnen- 
schirm, den der kleine schwarze Diener hielt, saß 
Madame d'Etloles und lächelte scharmant vor sich 
hin oder der Sonne dieses wunderbaren Tages zu, 
dem blauen Himmel und dem lichtgrünen Wald 
oder vielleicht auch gewissen geheimen Gedan- 
ken von künftiger Macht und künftigem Ruhm. Die 
schöne Dame lenkte ihr blaues Kabriolett nicht 
zufällig in das Jagdrevier Sr. Majestät König Lud- 
wigs XV. 

Als sie an die Lichtung kam, zügelte sie ihr jun- 
ges, nervöses Pferd ein wenig, wendete sich 
leicht gegen die Gruppe der Kavaliere und Da- 
men und lächelte. Dann, als sie in der Gruppe 
sehr rasch Ludwig XV. erkannt hatte, lächelte sie 
noch bezaubernder; sie heftete ihre großen, be- 
tedten und ausdrucksvollen Augen auf den König 
von: Frankreich. Dann flog das blaue Kabriolett, 
von dem temperamentvollen, ausgeruhten jungen 
Tiere gezogen, davon wie der Wind, nichts als 
eine Wolke von Duft, Jugend, Lebendigkelt, Liebe 
hinter sich lassend. 

Gelsomin hatte den Atem angehalten und seine 
großen, unschuldigen Augen aufgesperrt, um Ja 
alles zu sehen: die Dame im blauen Kabriolett, 
die Im Grase sitzenden Kavaliere, die eifrig ihrem 
Dienst nachkommenden Lakeien. Weder war ihm 
das Zittern entgangen, das Madame de Chäteau- 
roux befallen hatte, so daß sie genötigt war, das 
Sektglas niederzusetzen (sie hätte es sonst ihrem 
königlichen Geliebten über die Knie gegossen), 
noch die Blässe dieser schönen, in ihren Gebieter 
verliebten Dame, jene seltsame Blässe, In der sich 
die Eifersucht verriet. Und ebensowenig hatte er 
den aufmerksamen, wohlgefälligen und freund- 
lichen Blick des Monarchen versäumt, der die un- 
verhoffte Erscheinung bewundert hatte und, als 
sie vorüber war, wie in dankbarer Erinnerung 
lächelte, so munter und frisch und mit so unver- 
hohlener Freude, daß es ihm einen zornigen Blick 
der Herzogin eintrug. 

Ludwig XV. fragte seine Kavaliere: 

„Wer ist die schöne Dame?” 

„Madame d'Etioles, Sire.” 

Und die Herzogin sprach von der Jagd. Nachdem 





DER PIANIST 


Schöne Liebe überm Glänzen, 

Dunkles Haar zurückgelegt, 

Leise wendet er das Blatt um mit den Tünzen. 
Seine Hände sind erregt. 


Immer nur die Tasten, 

und es will nidıt enden. 

Eine Sarabande liegt bereit. 

Ein paar Frauen sitzen an den Wänden 

und verträumen und verlädheln ihre Zeit. 
” Albert Hiemer 


356 


sie sich mit ihrem königlichen Gellebten erhoben 
hatte, ergingen sie sich ein wenig im kühlen 
Waldesschatten und stiegen dann wieder in den 
Sattel, Das Wild war zusammengetrieben, und die 
Meute verfolgte die Fährte. Ludwig XV. liebte die 
Jagd über alles... 

Ganz erregt noch kletterte Gelsomin aus dem 
hohen Eichbaum. 

„Ich gehe nach Hause”, sagte er zu, seinem 
Freunde Pillac. „Ich bin glücklich, daß ich den 
König gesehen habe, aber noch glücklicher, daß 
ich Madame d'Etioles sah. Nie habe Ich eine schö- 
nere Dame erblickt.” 

Und Gelsomin schlug den Waldweg ein, um in 
das Dorf zurückzukehren, In dem ihn die Eltern 
erwarteten. Er ging gesenkten Kopfes, die Hände 
in den Taschen und mit einem schmalen Lächeln 
auf den Lippen: derart lebte die schöne Dame in 
seinem Geiste und seinem Herzen, daß er Ihr im 
Gehen unbewußt zulächelte, Plötzlich jedoch er- 
schreckte ihn der gelle Schrei einer Frau, Er eilte 
quer durch den Wald der Straße zu und kam eben 
zurecht, dem kleinen Mohren zu helfen, dieschöne 
Dame vom Boden aufzuheben und sie über das 
Gras bis zu einem Baume zu schleppen, der dem 
schönen, ohnmächtigen Geschöpf als Rückenlehne 
dienen sollte, 

Das.Kabriolett war umgestürzt, und das Pferd, das 
wütend mit den Hinterbeinen schlug, hatte sich 
in der Aufregung In die Deichseln und die Zügel 
verstrickt, hilflos lag es auf der Flanke und schlug, 
um seine Wut auszutoben, mit den Beinen. 

„Was machen wir? Was machen wir?” fragte Gel- 
somin verloren und ganz verwirrt von der Nähe 
dieses Geschöpfes, das er für ein Traumbild ge- 
halten. 

Der kleine Mohr riet besorgt: 

„Ein wenig Wasser...” 

Wo aber schnell Wasser finden? O Gott! Gelso- 
min fiel nichts ein, und in seiner Verwirrung 
dachte er nicht einmal an das plätschernde Bäch- 
lein, das zwei Schritte entfernt vorüberfloß..Dann, 
als er sich plötzlich daran erinnerte, lief er davon, 
um fast im selben Augenblick zurückzukehren, mit 
einem großen, rot und blau karlerten, baumwol- 
lenen Sacktuch, das von frischem Wasser troff, 
und weil er nicht wußte, was er beginnen sollte, 
fuhr er damit sanft, oh, so sanft, über der Ohn- 
mächtigen blasse Stirn. 

Inzwischen hatte der kleine Mohr das Riech- 
fläschchen im Handbeutel seiner Herrin entdeckt 
und ließ sie daran riechen. 

Madame d’Etioles öffnete die Augen ein wenig 
und schloß sie sogleich wieder; sie versuchte 
schwach zu lächeln und hauchte mit dünner 
Stimme: 

„Wo bin ich?" 

„Im Wald", antwortete der kleine Mohr. 

Und die beiden warteten nun, daß die schöne 
Frau wieder zu Bewußtsein köme, um wieder Be- 
fehle geben zu können. Gelsomin kniete bei ihr 
mit dem Taschentuch in der Hand und betrachtete 
verwundert die Leibhaftigkeit dieses schönen, 
flüchtigen Traumes, und er zitterte ein wenig 
furchtsam, wenn seine Blicke über das herrliche 
rosafarbene Kleid glitten, das ganz von Wasser- 
tropfen übersät war. Solch schönes Kleid! Und 
vielleicht für Immer verdorben! — Aber die Dame 
sagte wieder etwas: 

„Meinen Spiegel, schnell!” 

Und der kleine Mohr reichte den Spiegel, den zu 
halten-sie noch nicht die Kraft hatte. Da, indes 
der Mohr Puder, Stift und Pflästerchen suchte, hielt 
Gelsomin, noch immer imKnien, den kleinen, zise- 
lierten Spiegel, darin die schöne Dame aus sei- 
nem Traum unter kleinen Zornesausbrüchen den 
leider heillosen Zustand ihrer Toilette prüfte, 

„Ein ruiniertes Kleid, mein Kind!” 

„Madame waren ohnmächtig.” 


„Wer bist du?” 

„Ich heiße Gelsomin, Madame...” 

Die schöne d’Etioles warf mit einer mutwilligen 
Bewegung den Spiegel beiseite und heftete ihren 
großen, bezaubernden Blick auf den hübschen 
Burschen, der regungslos bel ihr kniete und glück- 
lich war, sie so nahe sehen und hören zu dürfen. 
„Wenn die Zeit gekommen ist, Knabe, werde ich 
an dich denken.” 

„Madame...“ 

„Du kommst an dem Tage nach Etioles, an dem 
Madame de Chäteauroux nicht mehr die Geliebte 
des Königs sein wird... Was hast du gelernt?” 
„Ich bin Gärtner, Madame...“ 

Da löste Madame d’Etioles einen Fliederzweig von 
ihrem Gürtel und legte ihn in die Hände des 
Burschen. 

„Zur Erinnerung“, sagte sie. „Und nun hilf mei- 
nem Mohren Pferd und Wagen aufrichten.” 
Gelsomin stand auf, um dem kleinen Mohren zu 
helfen. Er fühlte die Manneskraft in seinem Arm. 
Dann beugte er das Knie, damit die Dame besser 
in den Wagen steigen konnte, und blieb mitten 
auf der Straße stehen, um sie enteilen zu sehen, 
fern, in einer goldenen Wolke... Er betrachtete 
die Blüten, die sie ihm geschenkt hatte, und 
dachte verwirrt an den König und die Herzogin 
von Chäteauroux. 

„Ach wasl” brummte er. „Ich werde mit Pillac 
sprechen. Was weiß ich von der Herzogin von 
Chäteauroux, dem König und von Madame 
d’Etiolas!” 

Er nahm wieder den Weg durch den Wald. Von 
ferne begleitete ihn der Hörnerklang und das 
Echo der Flintenschüsse, Ein aufgescheuchter 
Hirsch setzte vorüber, die Meute der Hunde hin- 
terdrein. 

Flink wie ein Eichhörnchen kletterte Gelsomin, er- 
schreckt, auf den erstbesten Baum, wo er regungs- 
los blieb und Ausschau hielt, 

Der Hirsch verschwand und die Hunde ihm nach; 
dann kam ein Reiter mit verhängtem Zügel, dann 
ein andrer, dann eine ganze Gruppe. 

Gelsomin. wies ihnen mit der Hand die Richtung, 
und die Reiter stürzten sich auf die frische Spur. 
Es folgten einige Damen, dann erschien die Her- 
zogin, ganz errötet von dem tollen Ritt, ganz 
glühend. Hinter ihr kam König Ludwig; er blickte 
bald links, bald rechts und schien sich unschlüs- 
sig, welchen Weg er einschlagen solle. 

Unter dem Baume, auf welchem Gelsomin saß, 
hielt der König und sah neugierig zu dem Bur- 
schen auf. 

Ohne zu wissen, was er tat, ließ Gelsomin aus 
seiner Höhe den Fliederzweig hinabfallen auf den 
Sattel des Königs und stammelte leise: 
„Madame d’Etioles... hat Ihn mir gegeben, Sire.” 
Der König lächelte und führte die Blume der Frau, 
die einst die Beherrscherin von Frankreich werden 
sollte, an die Lippen. — 

Gelsomin wartete, bis alle Reiter vorüber waren, 
dann kletterte er aus dem Baume und ließ sich 
trübsinnig am Boden nieder, Er kam sich traurig 
und verlassen vor. Er hatte die Stirn einer über- 
Irdisch schönen Dame berührt und hatte die Blu- 
men dieser Frau dem König von Frankreich zuge- 
worfen. Er fühlte dunkel, eine bedeutsame Geste 
getan zu haben, eine Geste, die der Anlaß zu 
etwas seln konnte, was man Schicksal nennt. Und 
bedrückt von so dunkler und schwerer Ahnung, 
kehrte er zurück in sein einfaches Haus, in seinen 
kleinen, dufienden Garten, den blau- und rosa- 
farbenen Traum: d’Etioles... im Herzen, 

Bald. darauf, auf einem Maskenball, warf, Lud- 
wig XV,, König von Frankreich, einer Maske mit 
flammendem Blick das Taschentuch zu; sie hatte 
ihn während des ganzen Abends durch Ihre An- 
mut und ihren Geist gefesselt. 

Madame de Chätesuroux trat die Herrschaft an 
Madame d’Etioles ab, die, als Madame Pompa- 
dour, den Gärtner Gelsomin ebensowenig ver- 
gaß, wie Ludwig XV. den blassen Fliederzweig 
des fremden Bauernburschen, der auf einen Baum 
In seinem Jagdrevier geklettert war. 


(Übersetzung von Thea Weide.) 





Auf Zimmersuche - In cerca di stanza 





(©. Sturtzkopf) 


„Wenn Sie's genau wissen wollen: einem ‚Stier‘ vermiete ich det Vorderzimmer überhaupt nich, 
und denn hat Ihr Fräulein Braut ooch noch ‚Zwillinge im Quadranten' — — Jott behütel" 


“Se volete saperlo esaltamente: Di norma io non affıtto la stanza sulla strada ad un Toro, e 
per giunta la vostra fidanzata ha anche | 'Gemelll nel quadrante, „.. Che Dio me ne guardi!,, 


DIE MAHNUNG 


In Stockholm gibt es hunderte von kleinen Peı 
sionen, wo Studenten, kleine Angestellte, Vi 
käuferinnen usw, wohnen, die nicht das Geld 
haben, sich eine eigene Wohnung zu leisten. Sehr 
angenehm Ist es nicht, in so einer Pension zu 
wohnen, weil irgendwo immer ein Störenfried 
sitzt, der intrigiert oder Krach macht. Die Pension 
„Svealund“ wurde schon seit Jahren von dem 
alternden Fräulein Hansson in Furcht und Schrek- 
ken gehalten. Sie war Angestellte In einer Tele- 
fongesellschaft, zahlte ihre Miete und das Pen- 
sionsgeld pünktlich, es war also leider kein Grund 
vorhanden, die streltsüchtige, sauere Dame vor 
die Tür zu setzen, und die anderen Bewohner der 
Pension, meist junge Leute, mußten dieses „Haus- 
kreuz‘ über sich ergehen lassen, 

Aber seit ein paar Wochen war die Situation ein 
bißchen anders geworden. Ein Junger, hübscher 
Student aus Upsala hatte seinen Einzug In „Svea- 
und” gehalten, und alle atmeten auf. Denn der 
junge Mann nahm nicht die geringste Rücksicht 
auf die sauere Miene des alten Fräuleins, er 


357 





ignorlerte vollständig die bösen Blicke und die 
spitzen Bemerkungen, und schien sich augen- 
scheinlich glänzend zu amüsieren, 

Vor ein paar Tagen war der Junge Mann zu einem 
Fest eingeladen, und er kam erst nach Hause, als 
draußen. schon das erste Frührot Stockholms 
Dächer beleuchtete. Man kann nicht sagen, daß 
er gerade leise war, und selbstverständlich wurde 
Fräulein Hansson, die das Zimmer neben dem 
Jungen Manne bewohnte, wach. Wütend klopfte 
sie en die Wand — aber der junge Mann 
reagierte Überhaupt gar nicht, 

Beim Mittagessen am nächsten Tag sagte Fräulein 
Hansson spitz: „Haben Sie nicht gehört, deß 
ich heute nacht bei Ihnen an die Wand geklopft 
habe?" 

Atemlose Stille der übrigen Pensionsgäste. Aber 
der Junge Mann äntwortete fröhlich: 

„Sie müssen tausendmal entschuldigen, Fräulein 
Hansson, gehört habe ich Ihr Klopfen selbstver- 
ständlich, aber ich war so gräßlich müde, ich 
konnte nicht rüberkommen! Vielleicht ein ander- 
mal, wenn Sie wieder klopfen!" 

Fräulein Hansson kündigte zum nächsten Ersten. 


TAUSEND NACKTE BEINCHEN 


J&, davon sprach der Spieß bei der Parole, von 
den nackten Beinchen, für die jeder sich melden 
könnte, Alle meldeten sich! Können Sie sich ein 
Bild davon machen, was es heißt, wenn man 
einem Landser verspricht, nackte Beinchen zu 
sehen? Einem Landser überdies, der seit neun 
Monaten mindestens das Sowjetparadies genießt, 
der schon zum xten Male eingesehen hat, daß 
sein Urlaub aus taktischen Gründen weiterhin der 
Zukunft vorbehalten bleiben mußte, Nein, das 
können Sie nicht! Das muß man erlebt haben. Ich 
habe das erlebt, 

Ubrigens, Mädchenbeine meine ich natürlich. Das 
ist ja so — Sie werden das schon gemerkt 
haben —, wenn man von Beinchen spricht, meint 
man meistens Mädchenbeinchen. Die Männer- 
beinchen schneiden demgegenüber schlecht ab, 
man straft sie mit Mißachtung, man meint sie ganz 
einfach nicht. 

„Abmarsch zum Variete, morgen früh 9 Uhr, nach 


Wandel’der Zeit - Tempi mutati 


VON G. HEMPELL 


Jelisawetowka, Führung Uffz. Droste” und schmun- 
zelnd: „Tausend nackte Beinchen”, ja, so hatte 
der Spieß wörtlich gesagt. Jelisawetowka war für 
russische Verhältnisse und im Hinblick auf nackte 
Beinchen nicht weit, nur 15 km. Hin und zurück 
30 km. Was sind 30 km für einen Landser in Ruß- 
land, der nur noch dreistellige Kilometerzahlen zu 
achten weiß. Die Stimmung der Truppe war daher 
nicht nur gut, nein, sie war sogar ausgezeichnet. 
Erinnerungen an nackte Beinchen wurden ausge- 
tauscht, Die zarten, schlanken der kleinen Lilo, die 
stämmigen, festen der derben Resi und die brau- 
nen, sehnigen der herben Marlandl, sie alle fan- 
den enthusiastische Verehrer und Verteidiger und 
kämpften um den Schönheitspreis, Die Träume der 
Grenadiere gingen in dieser Nacht nicht um 
Bolschewisten und Kanonenkugeln, nein, sie gin- 
gen um 1000 nackte Beinchen. 

Und endlich am nächsten Morgen — keiner kam 
zu spät — ging es den Mädchenbeinen wirklich 


(0. Herrmann) 





„Sixt, Reserl, heut! weiß a Mann scho glei, wia a Madl unt’ ausschaugt, 
aber dein’ Vata selig hat ’s hi'ghaut, wia er meine Knia g’sehgn hat!" 


"Vedi, Teresina, oggigiorno un uomo sa subito come & falta soflo una ragazza; ma 
la buon’ anima di fuo padre rimase a bocca aperta al solo vedere i mlei ginocchi!,, 


358 


entgegen. Ich muß es noch einmal betonen, daß 
es in Rußland geschah, daher war die Straße 
nach . eine breiige Matschspur. So kämpften sich 
die Kommißstiefel durch den Brei den 1000 nack- 
ten Beinchen entgegen. Dabei sahen die Landser 
ein, daß man den Beinchen allerdings niemals 
hätte zumuten können, etwa durch diesen Brei 
nach vorn zu ihnen in die Frontlinie zu kommen. 
Nein, das konnte man wirklich nicht, man mußte 
ihnen schon etwas entgegenkommen. 
Frontvarietöl Große Bretterbude, Podium, ange- 
nehme Überfüllung. Der Vorhang öffnet sich, nein, 
es erscheinen keine nackten Beinchen, o nein — 
das wissen sie ja auch — die nackten Beinchen 
kommen nie gleich, sie lassen auf sich warten. 
Dafür erscheint zunächst der Zauberer Luzifer, So- 
viel steht fest, ein Zauberer von Format; er zau- 
bert die unmöglichsten Sachen aus den unmög- 
lichsten Ecken. Spielend beherrscht er eine Un- 
zahl phantastischer Tricks. Es ist gradezu unheim- 
lich. Er läßt allerhand verschwinden, der Zauberer 
Luzifer, nur er selbst verschwindet nicht. Der Bei- 
fall kann noch so groß sein, er beherrscht welter 
das Podium. Doch einmal kommt die Pause. Und 
wieder öffnet sieh der Vorhang. Was glauben Sie 
wohl, wer jetzt erscheint? Luzifer, der Zauberer, 
und nicht die nackten Beinchen. Es ist unglaub- 
lich, was dieser Mann noch alles zaubern kann: 
Fähnchen, Tücher, Eier, nur eins zaubert er nicht 
herbei, die nackten Beinchen. Auch eine Jung- 
frau zum Zersägen hat er leider nicht vorrätig. 
Schließlich ist das Variet6 aus. Zauberer Luzifer 
weg, Variet& aus! Ein Teufelskerl, dieser Luzifer, 
macht das ganze Variet6 allein ohne nackte Bein- 
chen. Man muß sich die nackten Beinchen ver- 
kneifen. Ja, das müssen die Grenadiere, os ist 
sehr traurig. 

Enttäuschte Kommißstiefel kämpften sich heim- 
wärts durch den Brei, Vielleicht kommen die nack- 
ten Beinchen später mal, man soll die Hoffnung 
nicht aufgeben, Da brennt ein Haus! Es Ist die 
Sauna. Sie müssen das wissen, daß in Rußland 
Häuser sehr plötzlich anfangen zu brennen. Es Ist 
das nichts Aufregendes welter. Viel geht nicht 
dabei verloren. Nitschewol Aber seinen Spaß, 
den hat man daran. Was soll Ich Ihnen sagen, vor 
der Tür des Hauses — es brennt lichterloh — er- 
scheinen nackte Beinchen. Braune, sehnige, be- 
haarte, frisch gewaschene Beinchen. Landserbein- 
chen! Schneller als die Beinchen war das Feuer 
gewesen. Die Beinchen hatten die dazu gehörigen 
Unterhosen nicht mehr erreicht. Schicksall Direkt 
aus der Badetonne mußten die Beinchen das 
Weite suchen. Da stehen die Beinchen nun, sie 
sind etwas unsicher, merklich von dem Ablauf der 
Geschehnisse nicht erbaut. 

Ja, lieber Leser, so kamen die Grenadiere doch 
noch zu dem Anblick nackter Beinchen. Nicht zu 
den richtigen, ersehnten Beinchen, Nein, gewiß 
nicht. Es mußte wohl so sein, daß die Mädchen- 
beinchen der Zukunft vorbehalten bleiben sollten 
Wie meinen Sie? Ja, ganz recht, wie der Urlaub. 
Schließlich sind Mädchenbeinchen ja auch etwas 
ganz Seltenes, 30 km sind da noch nicht immer 
ausreichend. Man fährt da besser gleich mit der 
Eisenbahn, das Ist sicherer. Dann nähert man sich 
jedenfalls ‘ganz bestimmten Beinchen, das. ist 
immer das Beste, Sie wissen das sicher auch. Es 
kann vorkommen, daß die Beinchen dann sogar 
etwas entgegenkommen, wenigstens bis zum 
Bahnhof. Aber wie ich Ihnen schon sagte, darauf 
müssen die Grenadiere noch etwas ‚warten und 
übrigens, ihren Spaß haben sie doch gehabt, die 
Grenadiere, oder meinen Sie nicht? 


Plänkelei 


{R. Kriesch) 





„Euere Jerippe sind ja for 'nen Mann bloß 'n fleischloser Tag!" 
„Na ja, und du bist dafür bloß Stammjericht!“ 


Scaramuccia: “] vostri scheletri per un vomo sono soltanto un giorno di magrol,, 
“Eh si; ma tu all’ incontro sei soltanto una pietanza usualel,, 


359 


Der Tiger - La tigre 








RAUM UND ZEIT 


VON SCHLEHDORN 


Rolfwolf und Christheide treffen sich unter der 
Normaluhr, Adam und Eva trafen sich nicht weit 
vom Baum der Erkenntnis. Der Hans und die Grete 
unter dem Denkmal von Goethe. Irgendwo wer- 
den sich die Betreffenden immer treffen. 

Uber die Normaluhr ist schon viel geschrieben 
worden. Regierungsrat Julius vergleicht sie einer 
gewissen Art von Beamten, die entweder im 
Dienst sind, korrekt ohne Erbarmen, oder entschul- 
digt durch ein Pappschild „Außer Betrieb”, also 
in Urlaub oder in Reparatur. Schon der Name 
„normal“ klingt anspruchsvoll und langwellig, 
aber keiner hat den Mut, es nicht sein zu wollen. 
Dabei sind nicht nur Trottel, sondern auch Genies 
nicht normal, also gäbe es immer eine Entschul- 
digung. 

Die Normaluhr Ist auch einer der Fälle, wo die 
Technik leicht taktlos wird. Für ihn zerlegt sie 
die Wartezeit in perlodische Lieferungen zu 5 Mi- 
nuten (die 5 wird auf dem Zifferblatt nicht etwa 
durch Zahlen dargestellt, sondern durch Blöcke. 
Sachlich — häßlich + unpraktisch.) Sie serviert 
ihm die Gefühlsskala: geschmeichelte Eitelkeit 
(sie kommt!) — Unruhe (kommt nicht!) — Erwar- 
tung (kommt!) — Ärger (kommt nicht!) — Sehn- 
sucht (kommt!) — verletzte Eitelkeii (kommt 
nicht!) — alle 5 Minuten neu. 

Für sie ist die Normaluhr ein ferngeleiteter Vor- 
wurf der Verspätung. Aber der Vorwurf wird der 
Normaluhr auffallenderwelse meist nicht übel- 
genommen. 

Es gibt auch pünktliche Frauen, — aber die sind 


hernach gestrenge Herrinnnen, und verzeihen we- 
der kleine Feuer für fremde Damen, noch Asche 
auf dem eigenen Anzug. 

Dann gibt es Frauen, die 5 Minuten zu früh kom- 
men, — vor denen hüte dich; denn in den 5 Minu- 
ten kann man nur kritisieren oder spionieren oder 
intrigieren. 

Frau Dorette kommt immer mit einer reizenden 
Verspätung, entweder mit ihrem Lächeln oder mit 
ihrem Wagen voll Grazie um die Ecke, — warum 
hat noch kein Maler Venus am Volant gemalt? 
Und es Ist so hübsch zu hören, was sie gerade in 
den Minuten der Verspätung alles erlebt hat. 
Die Normaluhr ist im Grunde ironisch. Sie weiß, 
daß ein Rosenstrauß rettungslos lächerlich wird, 
wenn man ihn zwanzigmal auf kleinem Raum hin 
und her tragen wird, Und ebenso traurig abge- 
blüht wirken die Versetzten (männliche Sorte) und 
die Sitzengebliebenen (weibliche), deren Tragik 
es ist, daß sie sich komisch finden, und die sich 
ebenso genieren, noch zu bleiben, wie schon zu 
gehen. 

Eine taktvolle Kommunalverwaltung sollte vor 
jeder Normaluhr zwei Elektrische halten lassen, — 
zwei, denn wenn eine kommt, warten alle mit läs- 
siger Miene gerade auf die andere. 

Und ein Findiger wird das Kennenlernen zwischen 
den versetzten Herren und den sitzengebliebenen 
Damen arrangieren. Sie kennen sich ja bereits 
vom Ansehen, Sie haben sich gegenseitig nichts 
vorzuwerfen. Und im Kunstdung der Resignation 
erblüht manch stilles Glück. Aber dann würden 


360 


(A. Paul Weber) 


Schwarzwartende kommen, die gar nicht verab- 
redet sind, sondern nur am Ausverkauf profitieren » 
wollen... 
Als Rolfwolf gerade im Begriff ist, zu gehen (man 
ist Immer gerade im Begriff, zu gehen), kommt 
Christheide, „Mensch, sagt sie In moderner Sach- 
lichkeit, „da bist du ja.” 
„Ich wäre jetzt woanders hingegangen“, brummt 
er. Damit bringt er Jedoch das Raumproblem in 
die Sachbetrachtung, die der geneigte Leser bis- 
her nur unter dem Gesichtspunkt des Zeitproblems 
vorgenommen haben dürfte, 

* 


Zugleich mit Rolfwolf und Christheide treffen sich 
nämlich der Raum und die Zeit unter der Normal- 
uhr. Denn wenn sie nicht zusammenträfen, ver- 
fehlten sich alle. An der flachen Normaluhr zur 
richtigen Zeit ist um nichts besser, als umgekehrt, 
und die Formel für Pünktlichkeit ist Wurzel R -+ Z 
— Pü oder ähnlich. 

Die Zeit Ist zierlich, geradezu ein Strich, etwas 
nervös, — deshalb so reizvoll in der Jugend und 
im Alter so lästig. Sie hat immer neue Namen, 
z. Z. heißt sie Inge, 

Er, der Raum, ist breit, man merkt ihm seine drei 
Dimensionen an, und wenn er einen Vornamen 
hätte, hieße er Max. 

„Ei, du liebe Zeit“, sagte er gemütlich, „wie 
geht's?” 

„Ach, der alte Raum, wie steht's?” 

„Danke, zeitgemäß“, sagte der Raum, „ich bin 
ganz voll Geopolitik. Und Sie?" 

„Ich komme schon gar nicht mehr zu mir selber. 
Ich werde immer weniger bei so vielen Verkehrs- 
einrichtungen, mit denen man hier zehn Minuten, 
dort zwei Minuten spart.” 

„Und was macht man mit den gesparten Minuten?” 


„In denen arbeitet man” fieberhaft neue Zeit- 
ersparnisse aus.” 
„Ja', sagte er überlegen, „und dabei leben Sie 
jeden Augenblick von der Hand in den Mund, aus 
der Zukunft in die Vergangenheit, Ich dagegen 
bin immer komplett gegenwärtig.” 
„Erlauben Sie mal”, erwiderte die Zeit, „Ich 
bin, nach Kant, die formale Bedingung a prlorl 
aller Erscheinungen überhaupt. Sie nur die for- 
male Bedingung aller äußeren Erscheinungen. 
Und wenn diese Erscheinungen nicht wären, lägen 
Sie leer da, wie eine Schaupackung im Laden- 
fenster.” 
„Und Sie wären überhaupt nicht dal Nach neue- 
ster Forschung sind Sie doch nur meine vierte 
Dimension.” Der Raum wollte so welterstreiten. 
Aber die Zeit hatte dazu keine Zeit. Denn es war 
eine bedeutsame Zelt und mußte repräsentieren. 
„Bis sich so was im Raum herumgesprochen hat!” 
dachte sie kopfschüttelnd, winkte Ihrer treuen 
Dienerin, der Normaluhr zu, ließ den Raum stehen 
und enteilte, ? 
* 

Auch Regierungsrat Julius ging unter der Normal- 
uhr auf und ab. Und dachte nach über Zeit und 
Raum. \ 
Man hat immer zu wenig Zeit, außer beim Warten, 
d. h, dann merkt man sie am meisten. Den Zahn 
der Zeit merkt man eben auch nur, wenn er 
hohl Ist. 
Und in dem unendlichen Raum der großen Stadt, 
Ja der ganzen Welt, interessiert einen nur das 
einzige erwartete Wesen, Mit dem Ist man durch 
eine gedachte Linie verbunden, aber diese ge- 
dachte Linie ist aus Gummiband, Und von allem 
was da kreucht und fleucht, Interessiert einen nur 
die einzige Autonummer 5726. 
Das Warten nennt Treitschke eine aristokratische 
Kunst, Militässund Damen erziehen uns dazu. War- 
ten will nicht als Tortur, sondern als Vorfreude 
angesehen werden, oder wenigstens als beides 
zugleich, mit den verklärten Augen des Märtyrers, 
In möglichst wenig Zeit möglichst viel Raum hin- 
ter sich bringen, — das Ist der Sinn der Verkehrs- 
unternehmungen. Der Sinn des Ruhestands ist 
genau das Umgekehrte. Zuletzt braucht man nur 
noch einen Sessel, 
Zum Urlaub gehört, daß man die Zeit laufen läßt 
und den Raum genießt; See oder hohe Berge 
oder Himmel. Der Horizont ist immer so welt, wie 
du gekommen bist. E 
Im Dienst Ist das Problem sauber gelöst: die 
Amtsräume sind numeriert (Regierungsrat Julius 
hat Nr. 217), und die Dienstzeit Ist durch Verord- 
nung geregelt, — 
Warten ist eine poetische Tätigkeit (es kommt 
nur darauf an, auf wen). Man denke an Penelope 
oder Gudrun oder Iphigenie. 
„Es stunt ein frouwe alleine und warte uber hei- 
den...”, singt Dietmar v. Eist. Das Bildchen Ist so 
hübsch, daß den Illustratoren verboten sein sollte, 
es zeichnen zu wollen, 

„Ich kam gegangen zuo der ouwe 

dö was min friedel komen &" 
singt Walther von der Vogelweide, d. h. unter den 
Linden an der Heide hatte sie ihn also warten 
lassen (um 1200). F 

„Kust er mich? wol tusendstunt, 

tandaradeil” 
(Heute würde man sagen: „Mensch, primal) 
Oder man hört bei Mozart den Grafen und Su- 
sanne: 





„Du kommst in Garten?” — „Ja.” — 
„Läßt mich nicht warten?“ — „Nein," 
„Läßt mich nicht warten?” — „Ja.“ — 
„Ja?l" — „Ihr findet mich bereit!" 


Worauf dann Susanne den Grafen versetzt, was In 
diesem Fall ganz in der Ordnung ist. — 

Es sollte einer die Geschichte des Wartens schrei- 
ben, vielleicht ein Beamter im Wartestand, der im 
Warthegau lebt... 

In diesem Augenblick kam Dorette angefahren, 
hielt mit lautlos überlegener Eleganz genau vor 
ihm, lud ihn ein, neben Ihrem Führersitz Platz zu 
nehmen, „Raum ist in dem kleinsten Wagen”, 
lächelte sie, „und bis zum Abendessen ist noch 
zwei Stunden Zeit...“ 

Die armen Seelen, die noch unter der Normaluhr 


Höchstleistung = La piö superba impresa 








{F. Bleyer) 





„Paß mal auf, Fritz, nun mache ich mich so schön, daß die 
Mächens um 'nen Kuß von mir stundenlang Schlange stehen!“ 


“Attenzione, Fritz! Adesso mi faccio sl bello che le ragazze/per un mio bacio faranno ore di cdot, 


im Fegefeuer des Wartens standen — es sind 
immer andere, aber Immer welche da —, sahen 
ihnen mit unerlösten Blicken nach. 

Tachometer und Manometer taten ihre Schuldig- 
keit. Sie sind von Raum und Zeit vorübergehend 
angestellt, während Meridiane und Normaluhren 


361 


als Berufsbeamte fungieren. Und den Nutznießern 
der technischen Epoche klang als lieblicher Ton 
der Radau, fandaradeil, des Straßenverkehrs Unter 
den Linden. 

Und wieder hatten. sich Raum und Zeit getroffen, 
— aber beide wurden vergessen ..,; 


Kritik 


(X. Helligenstaedt) 








„Na, und was sagt dein Mann zu deiner Malerei? 
„Er sagt: ‚Die Verknappung der Pinsel wird sich noch segensreich auswirken‘! 


Critica: “Ebbene, che dice tuo marito della tua pittura?,, — "Egli dice: 'La penuria dei pennelli apporterä I suoi buoni frutti,!,, 


362 


KLEINES ABENTEUER 


VON HANS FAHRWOHL 


Mein Leben, das Leben einer Frau, ist wunderbar 
ruhig verlaufen, ohne alle Abenteuer. Ich bin Ber- 
linerin und habe fast das ganze Leben in meiner 
Vaterstadt verbracht. Man sollte meinen, eine 
Weltstadt trüge ganz von selbst das eine oder 
andere Abenteuer an seine Bewohner heran — 
aber nein, ich habe nichts davon zu spüren be- 
kommen. Ich eigne mich wohl nicht für Abenteuer, 
deshalb haben sie auch meine Wege nicht ge- 
kreuzt, 

Nur einmal habe ich ein Erlebnis gehabt, das 
außerordentlich merkwürdig war, ein Erlebnis, das 
zwar mein Innerstes nicht berührte, das aber von 
einem so märchenhaften Schimmer umflossen ist, 
daß ich es heute erzählen möchte. 

Es war ein schöner, sonnenverklärter Nachmittag, 
Ich war Jung, saß in hellem Kleid auf einer Bank 
im Tiergarten und sah den vorübertreibenden 
Spazlergängern zu. Die Sonne spielte auf dem 
Weg und auf dem saftgrünen Rasen, zuweilen 
schrie eine Ente vom Teich herüber, und durch 
die Luft schwangen sich mit weichem Flügelschlag 
große Waldtauben von Baum zu Baum, 

Unter den Spaziergängern bemerkte ich einen 
schlanken, gut aussehenden Mann, der mich, er 
ging sehr langsam, mit seinen braunen sympathl- 





DIE WEINKUH 


Lieber Ringelnatz, ich sage 
es in einem Satz 
Daß du lebst, ist keine Frage! 


Dem Zauberer Kutteldaddeldu 

ließ Gott einmal das Kunftftück zu: 
Ein Rind fo zu bezaubern, daß 
ihm Wein entfloß wie einem Faß. 


Er melkte es drauf Tag und Nacht 
und es hat viel Ertrag gebracht; 
der befte Rüdesheimer floß 

aus feinem Euter Dich und groß. 


Und dürftete man überall, 

die Weinkuh fand in Kuttels Stall 
und war bereit als gutes Tier; 
ich trank bisweilen auch von Ihr. 


Wir Iiebten und wir lobten fie, 
wir zechten und erprobten fie; 
es war ein Jubel immerzu 

in Kuttels Stall um Daddels Kuh. 


Doch einmal endet jedes Glück, 
der liebe Gott zog fich zurück 
und fagte eines Tages: Halt - 
ihr ruiniert fie mit Gemalt! 


Ste foll nun wieder milchen. Punkt, 
Da war'n wir alle eingetunkt 

und meinten, weil fie milchen follt’ 
und haben Gott kein’ Dank gezollt. 


So geht es hin, fo geht es her, 

der Zauberer zaubert längft nicht mehr; 
er ift beim lieben Gott zu Gaft 

und macht nach all dem Zauber Raft. 


Peter Scher 


Vorlag und Druck: Knorr 


anstalten entgegen. — Bezugspreise 


Hirth Kommanditgesollschaft 


Varantwortl. Schriftleiter: Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus 
Einzelnummer 30 Pf.; Abonnemen! 


schen Augen aufmerksam betrachtete. Es dauerte 
nicht lange, da kam er von der anderen Seite her 
wieder an mir vorüber und richtete seine wie 
verwunderten Augen von neuem auf mich, so daß 
ich mir sagte: jetzt ist es Zeit, daß ich aufstehe 
und weiterwandere, 

Ich erhob mich also und schritt unter den von der 
Sonne des Nachmittags goldig durchwobenen 
Baumkronen gemächlich dahin. In der Nähe des 
Lützowplatzes trat ich in die Stadt ein, begab mich 
in eine mir vertraute Konditorei und ließ mich an 
einem derwelßgedeckten Tische nieder. Es dauerte 
nicht lange, da öffnete sich die Tür, und der 
schlanke Mann mit den sympathischen braunen 
Augen trat ein, Jetzt passiert eiwas, sagte ich mir. 
Er kam an meinen Tisch, verbeugte sich leicht und 
fragte in ruhiger, zurückhaltender Weise, ob ich 
erlaube, daß er an meinem Tisch Platz nehme. Es 
würde ihm eine besondere Freude sein. 

„Nein“, sagte ich lächelnd, „ich möchte, daß Sie 
sich nicht zu mir setzen.” 

„Das bedauere ich aufrichtig”, erwiderte er, „es 
wäre mir so wichtig, mich mit Ihnen zu unter- 
halten.“ 

„Nein“, sagte Ich In entschiedenem Tone, doch 
ohne unfreundlich zu sein, „bitte nicht.” 

„Darf ich Sie dann wenigstens bitten, mir Ihre 
Adresse zu geben?“ fragte er, „ich möchte Ihnen 
ein paar Worte schreiben — nicht jetzt, sondern 
erst nach Jahren. Wollen Sie?” 

„Gut”, entgegnete ich. Es schien mir zwar voll- 
kommen rätselhaft, warum er mir nach Jahren 
schreiben wollte, aber ich sagte mir, das ist kein 
Risiko für mich. So holte ich das Notizbuch aus 
der Handtasche, riß einBlatt heraus, schrieb meine 
Adresse darauf und gab es ihm. Er nahm das 
Blatt, verneigte sich, bedankte sich mit ein paar 
kurzen freundlichen Worten und verließ den 
Raum. Ich sehe noch, wie er mit seiner aufrechten 
und biegsamen Gestalt, ohne rückwärts zu blik- 
ken, die Konditorei verließ. 

Sonderbar, dachte ich, es ist völlig unbegreiflich, 
was das heißen soll. Ein sympathischer, vielleicht 
sogar ein reizender Mensch, doch von einem Ver- 
halten, das für mich ganz undurchsichtig ist. Dann 
machte ich mich an die Schokolade, die duftend 
vor mir stand. 

Mitunter dachte ich noch an die kleine Szene zu- 
rück, schließlich entschwand sie aus meinem Ge- 
dächtnis. Genau nach fünf Jahren erhielt Ich einen 
Brief, Auf dem Umschlag eine Handschrift, die ich 
nicht kannte, und der Name eines Absenders, der 
mir gleichfalls unbekannt war. Ich öffnete und las 
mit wachsendem Erstaunen das folgende: 

„Heute endlich schreibe ich Ihnen den Brief, den 
ich Ihnen versprochen habe. Fünf Jahre sind seit 
unserer Begegnung verflossen. Heute endlich 
möchte ich Ihnen eine Aufklärung geben für das, 
was damals geschehen Ist. 

Ich war verlobt, aber nach einiger Zeit traten 
Zwelfel in mir auf, ob meine Wahl die richtige sei. 
Unruhe erfüllte mich, Bedenken stürmten auf mich 
ein, Ich war unentschlossen, was ich tun sollte — 
da sah ich Sie an jenem heiteren Nachmittag auf 
der Bank im Tiergarten, und ein schnelles Gefühl 
nahm von mir Besitz: hier Ist ein Mensch, der ver- 
mutlich ganz anders zu dir paßt als deine Ver- 
lobte, mache den Versuch, ihn kennenzulernen, 
vielleicht wird dein Leben erst jetzt in die rich- 
tige Bahn geleitet, versuche das Schicksal mit 
aller Kühnheit zu dir herüberzuziehen. 

So sagte ich mir und folgte Ihnen. Wie ein ver- 
lockendes Versprechen schritten Sie in der Sonne 
vor mir her. Sie ahnen nicht, was damals alles in 
mir durcheinanderstürzte. Ich nahm mir vor: Wenn 
Sie sich mir geneigt zeigen sollten, so wollte ich 
alles daransetzen, Sie zu gewinnen. Würden Sie 
mich deutlich abweisen, so wollte ich mich mit 
meiner Verlobten verbinden, so wie es von An- 





scheint wöchentlich 








© (Formnruf 1296). Br 


mal, Bosiellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- 
im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandi, wenn Porto beiliegt, — 


fang an geplant war. Die Vorsehung sollte spre- 
chen: mit diesem Vorsatz betrat ich kurz nach 
Ihnen die Konditorei — und erfuhr eine so ener- 
gische und deutliche Abweisung, daß mein Weg 
klar vorgezeichnet war. 

Ich heiratete nach kurzer Zelt meine Braut, und 
heute, nach fünf Jahren, kann ich sagen: unsere 
Ehe hat sich zu ‚einem Glück entwickelt, wie ich 
es kaum zu hoffen gewagt hatte. Wir haben zwei 
reizende Kinder, die unser Stolz und unsere Freude 
sind und uns das Dasein verschönen, Es ist alles in 
Ordnung, und unser Leben geht einen ruhigen, 
klaren, beglückenden Gang. 

Dieses wollte ich Ihnen schreiben, damit Sie end- 
lich eine Aufklärung bekommen für mein Verhal- 
ten von damals, das Ihnen sicher äußerst wunder- 
lich erschien. 

Leben Sie wohl und haben Sie Dankl" 

Ich hielt die Zeilen nachdenklich in der Hand, und 
jener sonnige Nachmittag vor fünf Jahren stieg 
wieder vor mir auf. Ich sah ihn wieder mit seinen 
großen, verwunderten Augen Im Tiergarten lang- 
sam an mir vorüberschreiten — und dann die 
Szene in der Konditorei, wo er mich in so zurück- 
haltender Weise fragte, ob er bei mir Platz neh- 
men dürfte. Ich gestehe, es hätte mich damals 
schon interessiert, mich ein Weilchen mit ihm zu 
unterhalten, doch kam für mich nur eins in Be- 
tracht: Ihn unbarmherzig abzuweisen. Meine Wei- 
gerung war wohl begründet. Ich hatte nämlich 
jene Konditorei aufgesucht, weil ich mich mit — 
meinem Mann dorthin verabredet hatte. 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


10. Nückel) 





Wer schlecht reist, hat es sich selbst zuzuschrei- 
ben. Ich gebe euch hier das Rezept zum ange- 
nehmen Leben, ein kleines Erlebnis auf der Eisen- 
bahn: 

Ich saß im Zug von Wien nach Berlin. 

Das Abteil war übervoll, 

Ich zog eine Tüte aus der Tasche. 

Entnahm ihr einBonbon und schob es in den Mund. 
Das ganze Abteil schaute neiderfüllt. 

Eine Dame, dick und rund, fragte genäschig: 
„Hätten Sie auch eines für mich?” 

„Aber gern, gnädige Frau.” 

Ich hielt ihr die Tüte hin. 

„Sehr liebenswürdig!” 

„Wollen Sie nicht noch eines?” 

„Wenn ich darf?“ 

Sie durfte. 

Ich blickte mich in der Reihe um. 

„Wünscht noch jemand von den Herrschaften ein 
Zuckerl?” 

Alle wollten, 

Sie schleckten und schleckten. 

Darf ich verraten, daß ich von Prag an herrlich 
bequem im Abteil saß? Denn immer wieder ver- 
ließ dieser oder jener der Mitreisenden in höch- 
ster Geschwindigkeit das Abteil, um so bald nicht 
wieder aufzutauchen. Die Tüte enthielt bis auf mein 
erstes Bonbon Laxinkonfekt. IHR. 


* 
Rudi erzählt Bobby: „Du, denk dir nur, der Baron 
Schreckenstein, dessen Frau erst vor einem halben 
Jahr gestorben ist, hat sich schon wieder verlobtl" 
Meint Bobby: „Nur gut, daß die arme Baronin... 
das nicht mehr erlebt hatl" FH. 





fanschrift: München 2 BZ, Brieffach. 


Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München 


Im Kabarett der alliierten Komiker 


(Erich. Schilling) 











„Und nun meine Herrschaften werden Sie sich totlachen über den Grotesksong 
des kleinen Emigranten: ‚Ich glaube immer noch an die Atlantik-Carta'!' 


Nel tabarino dei comici alleati: "Ed ora, signori miei, scoppierete dalle risa al canto 
grottesco dei piccoli emigranti: *Dell' Atlantico alla Carta io credo ognor ... io credo ognor,!,, 


364 


| 





























In ä 
München, 7. Juli 1943 =; 
48. Jahrgang Nummer 27 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 








G Vm AÄLLIIERTEN 
G G SIE GESRAUSCHT 


ETIIITER 














„Halt, halt, noch keine Siegesmeldung ausgeben, das ist ja keine Insel, das kommt nur von einer Fliege!“ 


Alleati ebbri di vittorie: “Alt, alt! Non date fuori ancora nessuna nolizia di vittoria! Non & un’ isola, ma solo un... escremento di moscal,, 





/ 
Ukrainische Landschaft - Paesaggio ucraino 


os. Oberbergar) 





Der Achtzehnhundertsechsundsiebziger 


Gestern gab ihn mir die Kellnerin belm Wechseln 
heraus. Es war ein ganz gewöhnlicher Pfennig, ein 
kupferner. „Ach, Verzeihung, der gilt nicht mehr”, 
sagte sie und wollte ihn wieder zurücknehmen. 
Ich bat sie, ihn mir zu überlassen. Ich besah ihn 
genauer, er trug die Jahreszahl achtzehnhundert- 
sechsundsiebzig. Das war sein Geburtsjahr, sein 
Prägejahr. Siebenundsechzig Jahre ist er heute 
alt, ein Pfennig in den besten Jahren, ziemlich 
gut erhalten. An der Oberfläche etwas abge- 
griffen, aber was kann man schon von einem 
Siebenundsechzigjährigen anders erwarten. Na, 
und außer Kurs gesetzt ist er auch schon. Er ist 
halt im Ruhestand, „Deutsches Reich” ist deutlich 
auf Ihm zu lesen. Fünf Jahre war dieses deutsche 
Reich damals alt, als der Pfennig mit blankem 
Prägeglanz In die Welt: schaute. Der alte Kalser 
Wilhelm regierte, und Bismarck lebte und Moltke, 
und viele, von denen man heute spricht, lebten 
noch nicht. Man telefonierte noch nicht damals, 
Benzin diente nur zum Flecke reinigen, das Fliegen 
war eine Spezialität der Vögel und Insekten, und 
Rundfunk — ach du lieber Gott, wer wußte da- 
mals was vom Rundfunk, die Ätherwellen steckten 
in den Kinderschuhen; in der Luft und in der 
Stratosphäre herrschten geradezu paradiesische 
Zustände. 

So war es damals, als mein neuer Freund seine 
Wanderschaft begann. In Berlin kam er zur Welt, 
wie aus seinem Münzzeichen erkennbar ist, in 
einer ziemlich kleinen Stadt Berlin, die gerade 
groß werden wollte. Es waren die Gründerjahre, 
und mein Pfennig mag damals schon nicht viel ge- 
golten haben, damals, als die Maurer mit der 


Droschke zum Bau fuhren, so viele silberne Mark- 
stücke erhielten sie, hat man mir erzählt. 

Er mag viel erlebt haben, der Pfennig, aber es 
waren sicher die kleinen Erlebnisse kleiner Leute. 
Wie oft mag er letzter Pfennig gewesen sein? Er 
‚ging durch müde Bettlerhände und durch kleine 
Kinderhände, die für Ihn ein Zuckerl kauften. In 
große Spekulationen war er gewiß niemals ver- 
wickelt. Vielleicht machte er Reisen In den Taschen 
von Handwerksburschen, kreuz und quer auf 
Deutschlands Landstraßen, bis er bei mir in Mün- 
chen landete. 

Es ist ein treuer Pfennig, ein wertbeständiger, Er 
hat die Stürme dieser ganzen Zeit durchgehalten. 
Was ist aus seinen Brüdern aus Nickel geworden? 


Metallplätichen von geringem Wert. Aber der alte 
Pfennig war geblieben. Wer wird auch einem 
Pfennig etwas tunl Er hat durchgehalten durch die 
schlimme Zeit der Inflation, irgendwo in einer 
alten Geldbörse, in einem Täschchen, wo er neben 
Spielmarken lag, dieser lächerliche Pfennig, von 
dem man damals dreißigtausendmillionen Stück 
haben mußte, um eine einzige Semmel zu kaufen. 
Es war eine schlimme, unwürdige Zeit für meinen 
Pfennig, .bis er wieder geehrt wurde und seinen 
Jüngeren Brüdern gleichgeachtet. Und nun ist er 
wieder zum Kupferscheibchen geworden, und 
alles was draufsteht hat keine Bedeutung mehr. 
Ich habe diesen Achtzehnhundertsechsundsiebziger 
wieder In ein Kästchen getan zu den Spielmarken, 
dem falschen Frankenstück und den beiden Trach- 
tenknöpfen. Bin doch gespannt, was der noch or- 
lebt. Foitzick 





Kleines Malhör mit Moral 


Ein Gartenrötel, dumm und jung, 
- noch eben faß eo auf der Eibe - 
flog gegen meine Fenfterfcheibe. 
Ergebnis: Hirnerfchütterung. 


Da liegt's nun zwifchen den Violen. 
Stirbt’s? Oder wird es fich erholen? 


Das arme Kerlchen tut mir leid. 
Ich ftreichle facht fein Federkleid 
und fet' es auf die flache Hand. 
Sein Atem fliegt, die Füßchen krallen 
fich feft und leiten Widerftand, 
Doch fehließlich läßt es fich's gefallen. 


- Wie herzerquichlich zeigt fich hier 
der Einklang zwifchen Menfch und Tier! 


+... Auf einmal wird er unterbrochen. 

Die neuerwachten Pulfe pochen, 

und - fchmupp - das Vöglein trennt von mir fich 
pfeilfchnell und zwar in Richtung Pfirfich, 

mit Hinterlegung einer Gabe, 

für die ich nicht Verwendung habe, 


Darf ich dem Rötel feinen kargen 
Befitsftand an Fiduz verargen? 


Zwar bin ich felbft kein Böferoicht. 
Doch wer fich wahrhaft auskennt, fpricht: 
Trau’ keinem homo sapiens nicht! 
Ratatöchr 


Polnische Funkreportage aus dem Sowjetparadies 


(E. Thöny) 

















N Ah vr 


1»... und wir Polen sehen in der Sowjetunion einer gesicherten Zukunft entgegen! 


Radiocorrispondenza polacca dal Paradiso dei Sovieti: '*... e noi Polacchi nell'Unione Sovletica ci aspettiamo un sicuro avvenirel'" 


367 


PIEPENBRINKS RAPPEL 


Piepenbrink ist der guimütigste Mensch von der 
Welt. Aber da er zwei Zentner wiegt und ein 
wenig zu Schlagfluß neigt, drängt das überschüs- 
sige Blut manchmal unerwartet nach oben. Dann 
wird er von Jähzornsausbrüchen heimgesucht, die 
ihn nicht weniger überraschen als andere. 

Da sitzt er zum Beispiel am Nachmittag in seinem 
Polsterstuhl. Die altmodische Meerschaumpfeife, 
die schon der Stolz seines Vaters gewesen war, 
dampft gemütlich; ebenso der duftende starke 
Kaffee. Alles scheint einen Zustand wahren Be- 
hagens einleiten zu sollen. Plötzlich schießt 
Piepenbrink die Erinnerung an einen Bekannten 
durch den Kopf, der ewig seine Rechnung nicht 
In Ordnung bringt, sich obendrein Geld auslelht 
und endlose Zeit nicht zurückzahlt, 

Eine fahrige Bewegung mit der Hand, der die be- 
tühmte Pfeife anvertraut Ist, läßt sich nicht ver- 
hindern. Die tlefroten Backen gehen ins Bläuliche 
über; Ja man kann ruhig sagen, die Farbe nähert 
sich dem Violett. Die Füße wer- 
den angezogen, der Körper be- 
reitet sich mit einem Ruck zum 
Aufspringen vor. Noch scheint 
der Anfall abklingen zu wollen — 
da,gibt eine abermals hochstür- 
mende Blutwelle den entschelden- 
den Anstoß, 

Piepenbrink springt empor, wirft 
die Pfeife hin, stürzt aus dem 
Zimmer, blickt sich draußen gleich 
einem gerelzten Stier In der Arena 
um, erwischt einen Gegenstand, 
zertrümmert Ihn wortlos und kehrt 
aufatmend in sein Zimmer zurück, 
um nun in vollem Behagen seine 
Pfeife wieder zur Hand zu nehmen 
und seinen Mokka zu schlürfen. 
Auf diese Art hat er im Verlauf 
des letzten Jahres Spazierstöcke, 
Bilder, Kaffeemaschinen und son- 
stige Gegenstände zwar dem 
wirtschaftlichen Umlauf entzogen, 
aber durch Neuanschaffung dop- 
pelt wieder eingefügt. Einmal 
entging er mit knapper Not der 
Versuchung, die schon etwas 
morsche Haushälterin gleichfalls 
in Ihre Bestandteile zu zerlegen; 
zum Glück hatte sich im letzten. 
Augenblick die ihm angeborene 
Gutmütlgkeit aber doch noch zur 
Geltung bringen können. 

Na, schön und recht — solange 
er zum Ausgleich seiner An- 
wandlungen nur tote Dinge be- 
schädigte, ging es Ja an, denn 
es war seine Sache, wie er sich 
benachteiligte, um sich zu nützen. 
Aber eines Tages, bei einem be- 
sonders heftigen Rappel, geschah 
das Ungewöhnliche, daß der Zu- 
stand Formen annahm, die be- 
denkliche Folgen zeitigten. 
Piepenbrinks Nachbar, Gendarme- 
riekommandant Kühhagel, hatte 
ihm in der vorigen Woche beim 
Tarocksplel eine Schlappe bei- 
gebracht, die seinem Ansehen 
als Meisterspieler ernsthaft Ab- 
bruch tat. Das Ereignis, von dem 
die ganze Stadt sprach, hatte 
Piepenbrink stark geärgert. Im- 
merhin wurde es durch auf- 
regende berufliche Vorgänge ver- 
drängt und die Herren begegne- 
ten einander, als ob nichts ge- 
schehen wäre. Alles schien in 
bester Ordnung. 


Erfahrung 


VON PETER SCHER 


Da, als Plepenbrink eines Nachmittags bei Kaffee 
und Pfeife saß und eben in die Gefilde süßen 
Behagens eingehen wollte, meldete sich der ver- 
dammte Rappel besonders heftig. 

Die Vorstellung seines Unterliegens bei einem 
Spiel, dessen siegreiches Bestehen jedermann 
von ihm erwartet hatte, spiegelte sich auf einmal 
als eine Schmach von fürchterlichen Ausmaßen in 
seinem Hirn. Er sah den Kommandanten in der 
Haltung eines höhnisch überlegenen Gegners den 
besten Tarockern des Stammtisches Vortrag halten. 
Das Blut stieg ihm siedend hoch. Herr-remm! 
hustete er wütend, dann schmiß er die Pfeife hin, 
sprang hoch, daß der alte Lehnstuhl ächzte, stürmte 
hinaus und zwar mit solchem Ungestüm, daß er, 
wie von einem Katapult geschleudert, auf der 
Straße vor dem Haus landete, wo er einem im 
selben Augenblick vorüberkommenden Herrn eine 
saftige Ohrfeige verabreichte. Alles ging blitz- 
arig vor sich. Piepenbrink wußte beim besten 


Esperlenza 





„Brauchst keine Angst zu haben, Mädel, ich bin ein anständiger Mensch!" 
„Ja — Ja —, dös san zuerst die meisten!" 


"Nessuna paura, ragazza! lo sono un uomo onestol,, 
“Gid....glä... lo sono da principio i plü!,. 


368 


Willen nicht, wie er dazugekommen war — und 
der Fremde, der sich fluchend die Backe rieb, 
wußte es noch weniger. 
Das Vorkommnis hatte betrübliche Folgen, denn 
der, dem die Ohrfeige eigentlich gegolten hatte, 
nämlich der Kommandant Kühhagel, war Im Hause 
gegenüber gerade am Fenster gewesen und so- 
mit Zeuge einer Tathandlung geworden, die nach 
gerichtlichem Austrag verlangte. Derjenige hin- 
gegen, der unschuldigerweise die Ohrfeige emp- 
fangen hatte, war ein angesehener Geschäftsmann 
aus der Hauptstadt, der eigens In das entlegene 
Städtchen gereist war, um Piepenbrink in einer 
Darlehnsangelegenheit ein sehr erwünschtes An- 
gebot persönlich zu überbringen. 
So kann es kommen, wenn man sich hemmungs- 
los den Urgewalten überläßt, 
Daß er für seine menschenfreundliche Ansicht ge- 
ohrfeigt worden war, erschien dem Fremden als 
eine Missetat, die nach fürchterlicher Sühne schrie. 
Er schäumte vor Zorn und über- 
häufte Piepenbrink mit Beschimp- 
fungen, die wiederum als Unter- 
lage zu einer Gegenklage Ihrer 
Bedoutung nicht verlustig gingen. 
So war denn binnen einer Viertel- 
stunde aus dem friedlichsten Zu- 
stand der Welt ein Chaos ent- 
‚ standen und nur, weil Piepen- 
brink, der die Gutmütigkeit in 
Person ist, ausnahmsweise nicht 
an Dinge, sondern an ein Mit- 
geschöpf Hand anlegte. Verstimmt 
und erschüttert begab er sich zu- 
rück in sein Zimmer. Die kalte 
Pfeife in den Händen, nippte er 
am kalten Kaffee und eine dunkle 
Frage ging ihm durch den Sinn: 
Wie er künftig eine allenfalls 
notwendig werdende Ohrfeige 
so an den Mann bringen könne, 
daß beiden Beteiligten damit ge- 
dient sei. 
Allerdings kein leicht zu lösen- 
des Problem! 


0. Hegenbarth) 





* 


Mein Freund Johannes 


Es war ein Buch mit kleinen Ar- 
beiten meines Freundes Johannes 


erschienen. 
Natürlich wollten wir alle ein 
Exemplar mit handschriftlicher 


Widmung haben. Auch Frau Jo- 
hanna wünschte ein solches. 
„Aber liebe Frau”, sagte Johan- 
nes, „dir steht doch immer das 
Exemplar zur Verfügung, das ich 
für mich selber zurückbehalte.” 
„Ach, es könnte ja doch mal sein, 
daß wir nicht zusammen sind, und 
ich möchte es doch immer bei 
mirhaben”, hatte sie einzuwenden. 
„Na ja, dann gib mal eins her”, 
sagte Johannes, zog seinen Tinten- 
stift und schrieb: 
‚Seiner ehemaligen Frau Johanna. 
Johannes.“ 
Frau Johanna las es. 
„Aber was soll denn das bedeu- 
ten!” rief sie bestürzt. 
„Nur um sicher zu gehen”, erklärte 
Johannes. „Es könnte ja doch mal 
sein, daß wir uns scheiden lassen.” 
J.Bileger 


Rotspanier in Mexiko 


{Erich Schilling) 





„Unsere Vorräte gehen zur Neige, Genosse Negrin, wir müssen wieder auffüllen!“ 
„Du hast recht, Prieto, wir müssen Europa retten. Dort läßt sich bestimmt etwas für uns holen!“ 


Spagnuoli rossi nel Messico: “Le nostre provvigloni, compagno Negrin, vanno declinando; bisogna ricompletarle!,, 
“Hal ragione, Prieto; dobblamo salvare I" Europa e lä c'& sicuro da pigliare qualche cosa per noll,, 


369 


EIN WIEDERSEHEN 


VON KURT GROOS 


Nichts, gar nichts geschah, und doch war diese 
Nacht für mich eine der seltsamsten Nächte, durch 
die ich gehen mußte, Eigentlich hätte ich weit 
auszuholen und von ganz früher zu beginnen. Aber 
es Ist so viel Unaussprechliches damals gewesen. 
Schließlich ist es aber auch nichts anderes, als 
daß ich sie zehn Jahre nicht mehr sah und sie 
nicht vergessen konnte; das Ist alles. 

Ihr Bruder, der Bildhauer, hatte uns eingeladen. 
Es gab genügend Anlaß für Ihn, ein Fest zu feiern 
und glücklich zu sein. Seine Skulpturen waren in 
einer Sonderschau der Hauptstadt ausgestellt 
worden, eine Schau, die die Blicke der Welt auf 
den vom Jungen Ruhm Erhobenen zog. 

Der festliche Abend fiel mit dem Tag der Eröff- 
nung der Schau zusammen. Gegen Mittag, die 
Menschen hatten sich verlaufen, ging Ich noch 
einmal durch die Säle, die des Freundes Werke 
bargen. Auch ihr Antlitz sah ich dort, von des 
Bruders meisterlicher Hand geformt aus blaßrotem 
Stein. Da mußte ich wieder nur an sie denken, 
und es war doch schon so lange her, Der rötliche 
Stein war wie verzaubert durch Ihre Schönheit; 
aber mar. konnte nicht sehen daran, daß ihr Ge- 
sicht wie Licht schimmerte, 

Wie lange'man so etwas mit sich herumträgt. Und 
sie hatte mir nur zweimal geschrieben, ganz im 
Anfang, zweimal in zehn langen Jahren, Vielleicht 
entsann sie sich meiner nun gar nicht mehr; sie 
war so berühmt geworden. Die Menschen feierten 
sie allüberall, und wo sie hinkam, hinterließ sie 
eine leuchtende Spur, weil ihr Gesicht aus lauter 
Licht war. Von ihrer Stimme hatte einer gesagt, 
daß diese Stimme Steine zum Lächeln bringe. 
Abends, als man den jungen Bildhauer feierte, 
hielt irgendein bekannter Mann eine Rede, und 
der bekannte Mann erwähnte auch die Schwester 
des Künstlers, die gefeierte Schauspielerin, und 
fand schöne Vergleiche von ihr zu Ihrem Bruder. 
Der bekannte Mann sagte, daß die Götter sich in 
beiden spiegelten, und am Schluß der Rede er- 
hoben wir uns; wir tranken auf die Kunst und auf 
den Jungen Ruhm und die Zukunft, auf das Glück. 
„Ja, sie spielt jetzt in Stockholm‘’, hörte Ich Jeman- 
den sagen, „schade, daß sie nicht unter uns sein 
kann" h 

Nun muß ich erwähnen, daß mich, obgleich Ich in 
derlei sonst nicht gerade empfindlich bin, an 
diesem Abend ein Mensch In geradezu abstoßen- 
der Weise einzig und allein schon durch seine 
bloße Anwesenheit verletzte. Ich habe noch nach- 
her geprüft, ob diese heftige Abneigung, dieser 
Widerwillen, ja dieses Ekelgefühl bei mir viel- 
leicht doch nur hypochondrisch ausgelöst waren, 
Aber mitgeladene Freunde versicherten später, 
durch seine Anwesenheit gleich unangenehm be- 
rührt gewesen zu sein. Auch das Hotel, das ihn 
zu diesem Abend schickte, bedauerte, nur ihn frei 
gehabt zu haben; der zuerst zum Servieren vor- 
gesehene Kellner war plötzlich erkrankt. 

Ich kann mich nicht entsinnen, Je einem Menschen 
mit gleich nackten Augen und einem gemeineren 
Mund begegnet zu sein, Als er die Speisen auf- 
trug, verging mir schon der Appetit beim Anblick 
seiner grausam wirkenden, rötlich behaarten 
Hände. Verwunderlich schlen mir, daß er einen 
tadellosen, ganz hervorragend gearbeiteten Frack 
und einwandfreie Wäsche trug. Aus seinen Be- 
wegungen konnte man sehen, daß sein Körper 
muskulös war; das rohe Gesicht mit den nackten 
Augen war das Gesicht eines Sklaven, der plötz- 
lich frei und frech geworden ist, ein abschreckend 
häßliches, allerdings sehr hartes Gesicht. Die 
rechte Backe war irgendwann mal zerschnitten 
und schlecht vernäht worden; die breite graurote 
Narbe saß unter dem groben Backenknochen wie 
der Wulst eines Peitschenhiebes. 

Man mache mir und denen, die er in gleicher 
Weise abstieß, nicht den Vorwurf, daß wir uns 


von Äußerlichkeiten fangen ließen — dieser 
Mensch, von dem ich nach vielen Jahren noch 
einmal hörte, fand sein Ende bei einem Flucht- 
versuch aus dem Zuchthaus. Weshalb er dort hin- 
gekommen Ist, weiß Ich nicht; Ich habe auch nie 
danach gefragt. 

Als die Gläser gefüllt wurden, kam das Tele- 
gramm. Ihr Bruder war außer sich vor Freude; 
eine halbe Stunde später holte er sie selbst vom 
Flughafen ab. 

Sie begrüßte mich zuerst. Aber das lag an nichts 
anderem, als daß ihr Bruder sie zuerst zu mir 
hinführte. Ihr Gesicht war noch immer wie aus 
lauter Licht, und als sie mir die Hand reichte, 
lächelte sie ein wenig verlegen. Es lag auch 
allein an ihrem Bruder, daß sie sich neben mich 
setzte. 

„Sieben Jahre, es sind doch sicher sieben Jahre, 
seltdem wir uns nicht mehr gesehen haben”, sagte 
sie. „Es sind zehn Jahre‘, sagte Ich, „zehn Jahre.” 
Als der Kellner mit den nackten Augen und den 
grausamen Händen unsere Kelche füllte, sah Ich 
Angelikas Augen erschreckt auf ihn gerichtet; ihre 
Hand zitterte ein wenig, als er den Wein in ihr 
Glas gab. Was mich aber am meisten verstörte, 
war das empörende Verhalten dieses Menschen, 
der während des Eingießens unverwandt und frech 
In dös Gesicht meiner Nachbarin starrte. Bei die- 
sem frechen Anstarren achtete er nicht auf das 
Glas; er. schüttete den Weln über den Kelchrand, 
über das Tischtuch und ihre schmale Hand, die 
zusammenzuckte, Nun aber brachte dieser Mensch 
das Maß meiner Verwirrung zum Überlaufen, denn 
statt eine Entschuldigung auszusprechen, stieß er 
einen gemeinen Fluch über sein Mißgeschick leise 
vor sich hin. Im gleichen Augenblick ließ ich mich 
zu der mir noch heute unverständlichen Hem- 
mungslosigkeit hinreißen, ihn vor das Schien- 
bein zu treten. Gottlob bemerkte niemand diese 
peinliche Entgleisung; nur Angelika sagte leise zu 


‚mir hin: „Ach, es Ist ja nichts!” In dem Wider- 


wörtigen mit der Narbe zeigte sich plötzlich der 
Sklave. „Verzeihung, wie unachtsam ich warl“ 
flüsterte er mit ganz weicher Stimme, die gar nicht 
zu Ihm paßte. Und dann beugte er sich tief zu 
Angelika und sagte sehr leise etwas zu ihr alleln 
hin, das ich nicht verstand. Er entschuldigte sIch 
wohl noch einmal. Ich sah Angelika erröten und 
ihn mit seltsamen, fast erstarrten Augen an- 
schauen; es schien sich mit ihrem Widerwillen 
gegen diesen Menschen wohl auch Angst zu ver- 
binden. Ich glaubte in ihrem Gesicht zu lesen, 
wie sich das Vollendete und Schöne gegen das 
Hößliche und Niedrige zur Wehr setzten. 

Als einer der letzten Gäste varließ ich die Feier. 
Ich verließ sie als ein Glücklicher, denn für den 
nächsten Nachmittag hatte ich eine Verabredung 
mit Angelika treffen können. Ja, sie hatte zuge- 
sagt, sie erinnerte sich gern unserer gemeinsam 
verbrachten Jugendstunden. Aber ich sollte sie 
schon in der gleichen Nacht noch einmal sehen 
und dann nie mehr wieder, 

Nach der Feier konnte ich nicht nach Hause finden. 
Die Nacht war lau und lockend und voller Duft; 
eine Nacht der Liebenden. Der nahegelegene 
alte Park zog mich an, und Ich verlor mich in ihm 
wie ein Verzauberter in einem Irrgarten. Ich sah 
die Liebenden, Ich sah sie engumschlungen in den 
strauchumwucherten Seitenwegen; sie störten 
meine Einsamkeit nicht, denn wen sehen die Lie- 
benden in solchen Nächten? 

Es war wundervoll, so zwischen den sich Ver- 
fallenen einherzugehen; manchmal erhellte eine 
Bogenlampe das dunkle Gewirr der Sträucher und 
Bäume 2u funkelndem Grünspan, und dann blieb 
ich stehen und beobachtete die Scharen der 
Nachtfalter, die sich in das gleißende Licht stürz- 
ten, immer und Immer wieder in taumelnder Gier 
In das Verderben stürzten — warum wohl? 





370 


Auf einmal war es mir, als ob ein riesiger grauer 
Stein in meine Träume fiel. Mein Herz stockte, 
und ich blieb stehen. Und auch die schlanke 
mädchenhafte Gestalt vor mir und der neben ihr 
blieben stehen, und er zog sie zu sich und preßte 
sie in seine Arme, und sle gab nicht nach, sie 
schmiegte sich eng zu ihm hin, sie beugte das 
Gesicht aus lauter Licht zurück und ließ sich sel- 
nem Mund. 

Der mit der Narbe sah mich nicht, auch Angelika 
sah mich nicht. Auch jetzt nicht, als sie die großen 
Augen aufschlug. Diese versunkenen Augen sahen 
nichts, Inihnen waren nur Hingabe und Geheimnis. 


BETTLEKTURE 


VON KARL LERBS 


Nun haft du wieder zwei Stunden gelefen, 

und eo follte doch höchftens eine halbe dauern. 
Noch immer weißt du nicht: Wer ift es gemwefen? 
Wer tät in der Bibliothek den Finanzmann belauern, 
um ihn mit der Sokratesbüfte zu erfchlagen? 

Ach, es ift ein furchtbares Knäuel von Fragen, 

Da verfagt die abgefeimtefte Pfychologie. 

Acht ftehen zur Ausmahl. Verdächtig ift jeder. 

Im Leugnen find fie zäh wie Sohlenleder, 

aber keiner hat ein richtiges Alibl. 


Wars der Neffe, der Herren» und Wechfelreiter? 


(Wenn ja: Was enthielt das verfchwundene Teftament?) 


Wars der heimliche Belucher auf der Feuerleiter, 
den keiner kennt? 


Wars die kränkliche Hausdame mit dem falfchen Blich? 


‚Schlug die Schaufpielerin mit dem tiefen Organ, 
die mehrere Zeugen um zehn ins Haus gehen fahn, 
den Direktor mit der Büfte ins Genich? 

(Gemeint ift natürlich die Sokratesbüfte.) 

Ja, wer das wüßte! 

Wir wollen auch den Chauffeur nicht vergeffen: 
Man fand bei Ihm einen falfchen Paß. 

Er hatte auf den Toten einen giftigen Haß, 


und er hat fchon mal wegen Urkundenfälfchung gefeffen. 


Na, und dann Ift da des Direktors Kollege. 
Die beiden haben fich immerzu angebrüllt. 


Sie kamen einander bei der Schaufpielerin Ins Gehege. 


Und wo jener abends war, ift in Dunkel gehüllt. 
Jedenfalls in der Zeit gegen zehn. 

Und er hat fich dabei die Hofe zerriffen. 
Womsösglich ift der Mann Ichizophren. 

Kann man tiffen? 

Wars die ftille Tante im Ichlohmeißen Haar? 
‚Auch fie lag um zehn noch nicht in den Kiffen. 
Na - und ob der Kriminalkommiffar 
überhaupt einer war? 


Am Schluffe des Buches - Das weißt du - fteht: 
Es hat das Ding ein Neunter gedreht, 

der immer ganz unverdächtig war. 

Nun piekt dich die Neugier: Schlag auf und lies. 
Allein ein Sportsmann kann fich bemeiftern. 

Er läßt die ganze Verdächtigenfchar 

mitfamt ihren faulen Allbis 

durch feine nächtlichen Träume geiftern. 


Sei gewarnt: Du wirft dir die Hirnhaut verkleiftern. 
Ich kenne einen - frag nicht, wie er hieß -, 

der ift auf folche Weife verdorben. 

Er wurde immer magrer und gelber. 

Leider it er daran nicht geftorben. 

Er fchreibt jett felber. 


Die Folgen 


(R. Kriesch) 





„Ob wohl wieder einmal ein ordentlicher Badeanzug in Mode kommt?‘ 
„Kann schon sein, aber es wäre der Ruin des Familienbades!" 


Le conseguenze: “Che venga mai di moda un costume da bagno come s’ addice?,, 
“Puö essere; ma ne verrebbe la rovina del bagno di famiglial,, 


371 


POMPEJANISCHES PARFÜ 


VON JOSEF ROBERT HARRER 


Toronay war ein Blumennarr; deshalb hatte er 
auch den Beruf eines Parfümerzeugers gewählt. 
Von Budapest aus flogen die duftenden, beglük- 
kenden Kleinigkeiten seiner Produktion nach allen 
Himmelsrichtungen; so hatten auch Toronay-Par- 
füms in aller Welt einen guten Ruf. Mitten im 
Winter hatte Toronay plötzlich Sehnsucht nach 
dem Süden. Er sagte: 

„Ich muß wirkliche, lebende, leuchtende Blumen 
um mich haben!” 

So machte er ein paar Tage später auf seiner 
Reise nach dem Süden in Neapel erste Station. 
So sehr sich auch seine schöne Tochter Ilonka 
freute, sonnige Tage in Italien verleben zu kön- 
nen, fühlte sie sich doch einsam, weil Michael 
Mentös, der erste Chemiker des Betriebes, nicht 
mitgereist war, Auch ein junger Kunstgelehrter, 
ein feuriger Neapolitäner, der ihr stürmisch den 
Hof machte, ließ sie den geliebten Michael nicht 
vergessen. Eines Tages sagte der Kunstgelehrte: 
„Schönste Frau aus Ungarn, ich will Ihnen zeigen, 
wie Ich Sie schätze! Bel den letzten Ausgrabungen 


Unterschied = Differenza 


in Pompejl habe ich diese antike Puderdose ge- 
funden. Ich schenke sie Ihnen!” 

Ilonka freute sich über dieses Geschenk. Als sie 
die Dose öffnete, fand sie noch ein wenig Puder. 
Sie eilte mit der Dose zu ihrem Vater. Dieser war 
begeistert, 

„Ilonka, wenn ich denke, daß eine meiner Puder- 
dosen, eine Toronay-Puderdose, nach zweitausend 
Jahren gefunden wird! Vielleicht wird man dann 
staunen, was für wunderbare Parfüms wir —" 
„Nein, Vater“, unterbrach ihn seine Tochter, „von 
deinem Parfüm wird man nichts mehr spüren!” 
Da wurde Toronay traurig. 

„Du hast recht, Ilonkal Wenn man nur hinter das 
Geheimnis kommen könntel Wie dieser bald zwei- 
tausend Jahre älte Puder duftetl Was haben nur 
die Duftkünstler im Altertum ihren Parfüms bei- 
gemengt, daß sich der Duft über die vielen Jahr- 
hunderte hin erhalten hat! Unsere besten Parfüms, 
auch die meiner genialen Konkurrenten in Frank- 
telch, haben nur vergänglichen Duftl... Und da 
In dieser uralten Puderdosel Was für ein wunder- 


(0. Hermann) 





„Mein Mann ist ganz Materialist. Das Höchste Ist ihm ein Rindsbraten!* 
„Der meine Ist ganz Idealist. Dus Höchste wäre Ihm Burgunderschinken!" 


"Mio marito & un vero materialista; per lul nulla di plö sublime d’ un rosbiff 





“Il mio & un vero Idealista; per ul il colmo sarebbe un prosclutto di Borgogna!,. 


372 


barer Rosenduftl Wenn man nur hinter dieses 
Geheimnis kommen könntel Man würde der be- 
rühmteste Parfümeur der Welt sein!” 

„Vielleicht kann Mentös Michael —!” meinte Ilonka. 
„Hör mir mit Mentös auf! Du bist eben in ihn ver- 
liebt!“ 

„Er liebt mich auch, Vater!” 

„Ich wünsche mir Mentös nicht als Schwiegersohn! 
Als Chemiker schätze Ich Ihn sehr, aber —" 
„So laß einfach den Chemiker Mentös kommen!” 
Schließlich siegte Toronays Begeisterung für Par- 
füms, Er telegraphierte Mentös; ein paar Tage 
später traf dieser in Neapel ein. Er brachte seinen 
Koffer mit Instrumenten, mit chemischen Flüssig- 
keiten und mit allem, was zur Untersuchung des 
wunderbar duftenden pompejanischen Puders 
notwendig war. Tagelang schloß er sich in sein 
Hotelzimmer ein. Er war verzweifelt; denn er 
konnte nicht hinter das Geheimnis kommen. Der 
alte Toronay spöltelte über Ihn. 

„Bisher fand ich nichts anderes, als was wir Par- 
fümerzeuger auch verwenden!” sagte Michael 
bitter. „Schließlich muß ich mich damit trösten, 
daß sich schon seit Jahren die besten Chemiker 
über dem Geheimnis der Parfüms des Altertums 
den Kopf zerbrechen!” 

„Michael wird das Geheimnis finden, davon bin 
ich überzeugtl’ sagte Ilonka. Michael nickte dem 
Mädchen dankbar zu. Als dann der alte Toronay 
seinen Spaziergang machte, sagte Ilonka: 

„Ich werde dir helfen, Michaell Lach mich nicht 
aus! Viele Entdeckungen sind schon von soge- 
nannten Nichtfachleuten, von Außenseitern der 
Wissenschaft gemacht worden!” 

Sie durfte also an den Untersuchungen Michaels 
teilnehmen. Und bald darauf hatte auch Michael 
mit Hilfe des Mädchens das Geheimnis gefunden. 
„Ich kenne das Geheimnis, das Geheimnis des 
pompejanischen Parfüms!” sagte er abends zu 
Toronay. Dieser strahlte über das ganze Gesicht 
und fragte hastig, worin es bestehe. 

„Ich verrate es erst dann, bis ich Sie, lieber Chat, 
als meinen lieben Schwiegervater betrachten 
darf” 

„Erpressung! Gar nich!s wissen Sie und wollen 
nur —" 

„Ehrenwort, Herr Toronay! Ich kenne das ganze 
Duftgeheimnisi” 

Da hatte Toronay keine Ruhe mehr, er fand keinen 
Schlaf, er mußte Jede Sekunde nur an das Ge- 
heimnis denken. So gab er drei Tage später seine 
Einwilligung. Er fügte hinzu: 

„Schließlich ist es auch in meinem Geschäfts- 
interesse, einen so tüchtigen, vielleicht den tüch- 
tigsten Parfümchemiker der Welt, ganz eng an 
mein Unternehmen zu fesseln!” 

Nach der Hochzeit trat Toronay auf Michael zu. 
„Sol Lieber Michael, nun bin ich dein Schwleger- 
vater! Nun verrate mir das Geheimnis des pom- 
pejanischen Parfüms!” 

Ehe noch Michael antworten konnte, rief Ilonka 
lachend: 

„Das Geheimnis, lieber Vater, besteht darin, daß 
ich auf das Puder, ehe Ich dir die Dose zeigte, 
ain paar Tropfen Parfüm geträufelt hattel” 

Da wurde Toronay böse. Es kostete viel Mühe, 
Ihn zu besänftigen. 

„Lieber Schwiegervater”, sagte Michael, „vergib 
den kleinen Schwindel mit dem pompejanischen 
Parfüm! Aber was tun nicht zwei Verliebte, um 
ihr Ziel zu erreichen?” 

„Ach, ich ärgere mich weniger über euren Schwin- 
del; denn so kann ich noch glauben, daß der 
Puder seinen ursprünglichen Duft In den Jahr- 
hunderten doch verloren hatl Etwas anderes ärgert 
mich viel mehr! Und zwar, daß Ilonka kein Toro- 
nay-Parfüm verwendet hatte, sondern —" 

„Ja, Vater”, unterbrach Ihn Ilonka, „sondern ein 
gewöhnliches Rosenparfüm aus Neapell Aber 
konnte ich ein Toronay-Parfüm verwenden? Das 
hättest du doch sofort erkannt, Vater!” 

Toronay lächelte jetzt. Das stimme, meinte er. 
Jetzt aber müsse sie diese Puderdose sofort dem 
Italiener zurückschicken. Ein so wertvolles antikes 
Stück müsse in ein Museum kommen. 

„Solche Stücke gibt es genug, lieber Vater!” sagte 
lächelnd Ilonka. „Die werden von Andenken- 
Firmen am laufenden Band erzeugtl” 


(fr. Bilok) 


- Petri Heil! 























Buona pesca! 


373 


(K. Holligenstandt) 





„Glaubst du eigentlich an ewige Liebe und Treue?" 


„Selbstverständlich, falls beide Teile sehr vorsichtig sind!" 


374 


HOKUSPOKUS 


VON ERIK STOCKMARR 


Johansen hatte sich einen guten Fensterplatz im 
Zuge ausgesucht und setzte sich behaglich zu- 
recht, Außer ihm saß nur noch ein Herr im Abteil. 
Der Herr nahm eine Zigarre aus der Tasche und 
wollte sie anzünden, doch Johansen kam ihm zu- 
vor und reichte ihm ein Streichholz. Er langweilte 
sich immer im Zuge und wollte gerne ein Ge- 
spräch einleiten. Der Herr dankte und bot Johan- 
sen eine Zigarre aus seinem Etul an. 

„Danke, danke, das ist viel zuviel.‘ 

„Ach nein, ich habe genug davon.” 

„So? Sie sind vielleicht Zigarrenhändler?” 

Der Herr schüttelte den Kopf. 

„Aber woher bekommen Sie denn so schöne 
Zigarren?” 

„Aus der Luft, mein Herr. Ich bin Zauberkünstler.” 
„Wirklich? Das ist sehr interessant”, sagte Johan- 
sen. „Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle?” 
„Das ist nicht nötig“, antwortete der Zauber- 
künstler, „Sie heißen Johansen, sind Handels- 
reisender in Unterhosen, am 7. Juli 1893 geboren. 
Übrigens fehlen Ihnen am linken Fuß zwei Zehen. 
Stimmt, nicht wahr?” 
„Jawohl, das stimmt. 
können Sie doch ....?” 
„Ach, das Ist nicht schwer. Ich bin auch Gedan- 
kenleser.” 

„Gedankenleser| Sehr interessant, Können Sie 
vielleicht noch mehr über mich erzählen?” 
„Natürlich. Selbstverständlich.” 

„Versuchen Sie es noch einmal, bitte.” 

„Gerne. Lassen Sie mal sehen. Ja. Ich will Ihnen 
z. B. erzählen, was Sie in Ihrer Brieftasche haben.“ 
„Ausgezeichnet.” 

„Sie haben eine Photographie von Ihrer Frau, ein 


Aber wie in aller Welt 


paar quittierte Rechnungen und einige Geldzettel,” 
„Stimmt.“ 

„Und wieviel Geld habe ich?” 

„Soweit ich weiß, haben Sie ein paar tausend 
Kronen.” 

Johansen lächelte: „Da haben Sie sich getäuscht.” 
„Sagen wir dann 5000.” 

„Nein. 10.000.” 

„Wirklich? Merkwürdig. Na ja, ab und zu kann 
ich ja auch einen Fehler machen.” 

Johansen nahm die Brieftasche hervor und zeigte 
die Scheine. 10 Tausendkronenscheine. 

„Sehen Sie.” 

‚Ja wirklich.” 

„Ihre Fähigkeiten sind aber trotzdem ganz eigen- 
artig. Fabelhaft ist das.” 


* 


Nachdem sie eine halbe Stunde gefahren waren, 
hielt der Zug an einer kleinen Station, und der 
Zauberkünstler nahm seinen Koffer und seinen 
Hut. 

„Tja, ich muß leider aussteigen, ich soll heute 
Abend ein Engagement hier in der Stadt antreten. 
Also auf Wiedersehen, mein Herr.” 

„Auf Wiedersehen, Herr Zauberkünstler, und vielen 
Dank für Ihre angenehme Gesellschaft. Es hat 
mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.” 

„Danke gleichfalls.” 

Ein paar Minuten später saß der „Zauberkünst- 
ler“ in einem anderen Zug und fuhr nach Kopen- 
hagen, von wo er gekommen war. Im Koffer hatte 
er Johansens Brieftasche mit den 10000 Kronen, 
seinen Füllfederhalter und sein silbernes Zigarren- 
etui. Hokuspokusi 


DER FREUNDSCHAFTSDIENST 


VON HEINZ SCHARPF 


Der Kinninger Toni ist Besitzer eines ebenso 
tapferen wie eifersüchtigen Herzens. Als wackerer 
Gebirgsjäger im Norden kennt er keine Furcht, 
aber für sein Mädel In Fronlelten, da zittert er. 
Denn die Evi ist noch ganz jung und: unerfahren 
und die Männer „z’Fronleiten” sind alle ralfinierte 
Draufgänger, Sooft ein Kamerad auf Urlaub in 
Kinningers Heimat fährt, gibt ihm der eifersüch- 
tige Toni unter vier Augen den ehrenvollen Auf- 
trag mit, daheim ein wenig nach dem Rechten zu 
sehen. Und jeder kam bisher noch mit der Nach- 
richt zurück, daß sich die Evi des besten Leu- 
munds erfreue. Drauf fiel dem Kinninger jedesmal 
ein Stein vom Herzen, so schwer, daß man es bis 
in die Polargegend plumpsen hätte hören müssen. 
Mit der Zeit rücken dann auch für den Toni die 
Tage des Urlaubs näher. Und eines Morgens ist 
es so weit. Aber als die. Urlaubsscheine verteilt 
werden, ist der Kinninger wieder einmal durch- 
gefallen, muß er sich noch einige Zeit gedulden. 
Dafür darf sein Freund Hannes heim, der überall 
da steht, wo die Sau sich scheueit. 

„Hannes”, sagt der Toni zu ihm beim Abschied, 
„schaust a weng nach bei der Evi ihr'm Fenster- 
stock, du verstehst mi schon. 

Der Hannes verspricht es ihm in die Hand hinein 
und fährt los. 

Doch als er dann zu Hause ist, heidi, da hat der 
Hallodri anderes zu tun, als Kundschafterdienste 
zu leisten. Er kennt in Fronleiten ein Dutzend 
Freundinnen von früher her, denen er die Ehre 
seines Besuches erweisen muß, dabei vergißt er 
ganz auf die Evi. 

Nach zwei Wochen, in denen er das heimatliche 
Tal ziemlich durchgefensterlt hat, schaltet er 


einen wohlverdienten Rasttag ein, bezieht er 
Ruhestellung hinter der Liebesfront. Bis spät in 
die Nacht hinein sitzt er im Wirtshaus. Dann macht 
er sich auf den Heimweg Und da fällt ihm end- 
lich das Versprechen ein, das er seinem Freund 
gegeben hat. Sein Inneres erteilt ihm sofort den 
Befehl, nachzusehen, ob am Fensterstock Evis 
noch die Dornröschen blühn? Unten am Bach liegt 
das Bauernanwesen, in dem sie haust. Im schwa- 
chen Mondlicht sind seine Umrisse deutlich zu 
erkennen. Der Hannes nähert sich ihm, als ginge 
es an einen feindlichen Bunker heran. Der feuchte 
Wiesengrund dämpft seine Schritte. Dann steht er 
vor dem Haus, nichts rührt sich weit und breit. 
Er kennt der Evi ihr Fenster, ohne jemals die Evi 
durchs Fenster kennen gelernt zu haben. Ob er 
einen Stein hinaufwerfen und ihr Grüße von ihrem 
Toni bestellen soll? Plötzlich ertönt ein Pfiff vom 
Nußbaum her und das Mädchen erscheint oben 
im Fensterrahmen. 

Oha, denkt der Hannes, da geht's ja lustig zu, da 
bin I grad zur rechten Zelt kommen, Gleich dar- 
auf lehnt ein Bursch die Leiter ans Haus und steigt 
gewandt die Sprossen empor. Da aber springt 
der Hannes herbel, reißt die Leiter weg, daß der 
Kerl wie ein Sack herabpurzelt, und dann versetzt 
ihm der Hannes ein paar Zünftige mit einer Zaun- 
latte, wie sie zu diesem Zweck auf dem Lande 
jederzeit zur Hand sind. „Du windiger Hund, du“, 
ruft er dabei, „an recht an schön’ Gruaß vom Kin- 
ninger soll i dir ausrichten und du sollst ihm sein 
Fensterstock dalassen.” 

Oben stößt die Evi einen Schrei aus, aber der 
unten gibt keinen Ton mehr von sich, mitten unter 
der Balz ist er verstummt, wie ein getroffener 


. Hahn. Befriedigt geht der Hannes weiter, im Ge- 


fühl, ein gutes Freundeswerk vollbracht zu haben. 
Aber mit seiner inneren Ruhe ist es vorbei. Tellfi, 
Teifi, denkt er bei sich, wie soll @r das nun sel- 
nem Freund draußen flüstern? Kruzitürken, flucht 
er, die Weiber, die Weiber! Nein, beschließt er 
dann, er wird dem Toni gar nichts sagen, soll er 
selber draufkommen, wie weit es mit der Un- 
schuld von dem Madel her ist, eine Sache, auf 
die einer oft lange nicht draufkommt. 

In den nächsten Nächten hat der Hannes wieder 
auswärts Dienst, da kommt er auf bessere Ge- 
danken. 

Nach fünf Tagen aber steht plötzlich der Kinnin- 
ger vor ihm, wie er leibt und lebt, nur nicht so 
gesund, sondern als Verwundeter, geschient und 
verbunden. 

„Ja, Toni”, ruft der Hannes, „wo hat's denn di 
erwischt? Bei an Bolschewistenangriff?” 

„Na“, brummt der Kinninger. 

„Oder bei an Stoßtruppunternehmen?” 

„Na“, brummt der Kinninger. 

„Ja, wo denn nacha?“ 

„Beim Fensterin, auf der Loata”, gesteht der Kin- 
ninger. 

Da weiß der Hannes erst nichts zu sagen, Dann 
aber spricht er mit dem Brustton der Überzeu- 
gung: „Da hast es jetzt g’sehn, Toni, was I dir 
für a guter Freund bin!” 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


„Bobby”, sagı Felix, „willst du mich begleiten? 
Ich möchte schauen, ob ich irgendwo eine Laub- 
söge auftrelben kann?!” 

„Zu was brauchst denn so was, LixI?' fragt Bobby. 
„Na, zu was denn sonst, als zu Laubsägearbeiten!” 
„Wijegerl“, meint Bobby kopfschüttelnd, „Ist denn 
so eine Arbeit net anstrengend, bei der man auf 
den Bäumen umeinanderkraxeln muß?" H.K.B. 


* 


Rudi führt Bobby in seine Bibliothek. 

Dort zeigt er ihm voll Besitzerstolz ein erlesenes 
Werk und meint: 

„Dieses Buch habe ich schon selt drei Jahren!” 
Melnt Bobby nachdenklich: 


„Da höttest du es aber wirklich schon... zurück- 
geben können!” F.H. 
E- (0. Nückel) 





Mitten im einsamsten Dickicht stand vor dem er- 
schrockenen Wanderer plötzlich ein wüster Kerl 
— barfuß, zerlumpt, in der Rechten ein Schieß- 
eisen, Das Gesicht in demütig-traurige Falten ge- 
legt, sprach er mit wehleidiger Stimme: 

„Unterstützen Sie einen armen Mann — außer 
diesem geladenen Revolver hab’ ich nichts auf 
der Welt...” h FW. 


* 


In Wien gibt es unweit des Grabens ein vege- 

tarisches Restaurant. Ich fragte den Wirt: 

„Warum stellen Sie immer künstliche Blumen auf 

den Tisch?” 

Der Wirt lachte: 

„Die echten Blumen stehen auf der Speisekartel” 
JH. R. 





Verlag und Druck. Knorr & Hirth Kommandit, 
Vorantworti. Schriftielter: Walter Foltzick, München. — Der Simp! 
anstalten enigogen. — Bozugspreise: Einzelnummer 30 PI., 


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issimus erscheint wöchentlich einmal. Bes 
Abonnement im Monat RM 1.20. — Unverlan; 















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Buchhandlungen, Zeitur 





lach. 
joschäfte und Pı 
Porto beiliegt. 






Die Exil-Brüder in Washington 


(Wilhelm Schulz) 





„Haben Sie einen Unfall gehabt?‘ — „Nein, ich hatte nur eine 
freundschaftlich politische Besprechung mit meinen Landsleuten!" 


I fratelli d’esilio in Washington: "Avete avuto un Infortunio?" — „No; ho avuto soltanto un’ amichevole discussione politica coi miel compatrioti!,, 


376 


München, 14. Juli 1943 fl 
48. Jahrgang Nummer 28 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


Roosevelt und die Kultur 


tErich. Schilling) 


S 
“ 
- 
11 
” 


4. 


BSYENaTIteRFE 


„Du glaubst mit deinen Bomben den Geist der Kultur zu vernichten — du armseliger kleiner Geist!‘ 


Roosevelt e la cultura: "Tu colle tue bombe credi di annientare lo spirito della cultura 





«.. tu, miserabile, meschino spirlio!,, 


Sägewerk im Böhmerwald - segheria nella Foresta Boema 


(A. Kubin) 





DER PATERNOSTER 


VON WALTER FOITZICK 


In dem großen Geschäftshaus ist ein Paternoster 
eingebaut, wissen Sie, so ein Fahrstuhl, der 
immerzu geht und keine Türen hat. Paternoster 
klingt recht altertümlich, nach gotischer Dombau- 
hütte, nach frommer Technik und nach Alchimie 
mit ausgestopften Krokodilen und Salamandern. 
Aber es klingt nur so, denn der Paternoster geht 
mit Elektrizität und von ausgestopften Krokodilen 
Ist weit und breit keine Spur. 

Manche Leute, die es nicht gewohnt sind, mit dem 
Paternoster zu fahren, fürchten sich vor ihm. Sie 
glauben, den "Zeitpunkt zu verpassen, wo man 
aus- und einsteigen soll’Sie haben es nicht gern, 
wenn er an den Stationen nicht anhält. Ordnungs- 
liebende Leute wollen, daß ein Fahrzeug da hält, 
wo man aussteigt. Das kann der Mensch ver- 
langen. 

Die andern aber freuen sich gerade darüber, viel- 
leicht sind das die unordentlichen Leute. Sie sehen 
den Reiz des Paternosters darin, daß man wäh- 
rend der Fahrt auf- und abspringen darf. Überall 
ist solches sonst verboten, Bei der Straßenbahn, 
bei der Eisenbahn und sogar beim Karussell. Beim 
Paternoster aber ist es geboten, wer mitfahren 
will, muß während der Fahrt auf-und abspringen. 
Und manche Leute springen gern während einer 


Fahrt auf und ab. Jahrhundertelang war dieses 
untersagt. Ich bin überzeugt, auch die ägyptische 
Polizei des alten Reiches hatte schon Vorschriften 
erlassen, daß es nicht erlaubt sei, auf Nilschiffe 
während der Fahrt aufzuspringen. 

Sehr Neugierige und Wagemutige fahren sogar 
obenherum und untendurch. Die Gebrauchsanwei- 


Vom Schulefchwänzen 


Menfchen, die die Schule fchwänzen, 
find fie deshalb Miffetäter? 

Der Defekt läßt fich ergänzen, 
einmal früher, einmal Ipäter. 


Haben fie nur Mut und Grüsse, 
tiffen fie fich durchzufeten, 

und mit flott gefchwung’'ner Mütse 
landen fie auf ihren Pläten. 


Vor des Lebens Schule freilich 
drückebergernd auszumeichen, 
diefer Fall ift unverzeihlich 

und nicht mieder zu begleichen. 


Erftens wird's nur um fo fchlimmer, 
und zu Bergen werden Hügel; 
zweitens gilt man als ein Schwimmer 
und kriegt drittens trotdem Prügel. 
Ratatöehr 


378 


sung des Paternosters sagt zwar, daß es unge- 
fährlich sei, aber es graust einem doch ein biß- 
chen. Jeder hofft oder fürchtet, daß sich unten 
oder oben etwas Unvorschriftsmäßiges ereignen 
könnte, und man vielleicht von oben mit dem 
Kopf voran herunterkommen oder von unten mit 
den Füßen aufsteigen könnte. Doch das geschieht 
niemals. Sonst begegnet man nur immer Leuten, 
die von rechts oder links oder von vorn oder 
hinten kommen, hler treffen wir endlich mal Be- 
kannte, die erscheinen von oben oder unten. Mal 
sieht man von einem die Beine zuerst und mal 
den Kopf. Und manche erkennt man gleich an den 
Beinen und manche am Hut. Und wenn einem nun 
das Detail sympathisch Ist, kann man warien, bis 
die anderen Teile im Ausschnitt erscheinen, 

Wie schön ist es, Leute in einem Stockwerk an 
uns vorüberfahren zu sehen. Sie tauchen aus dem 
Nichts auf und verschwinden wieder im Nichts, 
wie durchreisende Verwandte im Sommer. Man 
möchte mit dem Taschentuch winken. Es ist nicht 
ganz leicht, das richtige Gesicht zu machen, wenn 
man so aneinander vorbeigleitet, ganz dicht, nur 
in einer Entfernung von einigen Zentimetern. 
Innenstehende machen unwillkürlich. eine ein- 
ladende Handbewegung zum Einsteigen. Da regt 
sich eben der Fahrstuhlführer, der in Jedem Men- 
schen schlummert. Man möchte sagen: „Bitte ein- 
steigen, dritter Stock, Kinderwäsche, Vereins- 
abzeichen und Büstenhalter.” 


Neueste Ordnung in Indien 


Wilhelm Schulz) 





„Man merkt, daß unser neuer Vizekönig General ist. Jetzt hängen die Inder fabelhaft in Reih und Glied!“ 


Nuovissimo ordine in India: "Si vede che il nostro nuovo Vicer& & un Generale. Adesso gl’ Indiani pendono meravigliosamente in fila!,, 


379 


DER SPEZIALIST 


VON SCHLEHDORN 


w..und dann möchte ich”, äußerte Regierungsrat 
Julius, der mit Frau Dorette in einer klappernden 
Kleinbahn über Sonntag aufs Land fuhr, „In der 
Sonne liegen, auf einer Wiese, einer garantiert 
entkäferten, still im hohen, grünen Gras (Musik von 
Brahms), und schla—a—a—ten ...” 

„Ein tiefer Gedanke", sagte der Herr mit dem be- 
deutenden Hut und der grünen Brille, „im Schlafen 
bin ich nämlich Spezialist. Vielleicht der einzige 
auf dem Kontinent. Heute ist alles spezialisiert, 
für Motoren, Blinddarm oder Steuerrecht, — aber 
alles für wache Sachen, Dabei schläft der Mensch 
ein Drittel seines Lebens, Normalerweise von ein- 
undfünfzig Jahren also siebzehn. Kinder und Fein- 
schmecker sogar mehr. Jugend schläft, weil sie 
müde Ist vom Tag, Alter, weil es müde ist von den 
Jahren; unser Leben, sagt der Philosoph, liegt 
zwischen Schlaf und Schlaf. Demnach ist der 
Schlaf der primäre Zustand. 

Aber wer bekennt sich ehrlich zum Schlafen? Man 
tenommlert mit durchwachten Nächten, mit Früh- 
aufsteherel, wenn es keiner nachprüfen kann. 
Aber wer treibt Schlafen als Sport oder als Kunst 
oder (wie ich) als Wissenschaft?” 

Frau Dorette erinnerte an den wackeren Battista 
auf Capri, der allmorgendlich um dieselbe Stunde 
seiner sonnigen Bank zustrebte, sich langlegte 
und schlief, die Mütze ins unrasierte Gesicht ge- 
schoben, privat in aller Öffentlichkeit, ohne Ärger, 
Neid und Interesse an Mitwelt und Nachruhm — 
der schlafende Philosoph. „Wer schläft, stiehlt 
keine Fische”, sagt der Italiener. 

„Wer schläft, der sündigt nicht”, bestätigt der Spe- 
zialist, „es Ist eben der einzige moralische Zustand. 
Der Fehler Ist, daß er bisher nur von Medizinern 
und Psychologen bearbeitet worden Ist. Erstere 
fanden in schlaflosen Nächten die Schlafsteue- 
tungszentrumshypothese. Letztere den Unterschied 
zwischen Ermüdungsschlaf und Relzmangelschlaf.” 
Aha, dachte Julius, das ist der, den unser Klub- 
bruder Fritz schläft, seit er das ältere Fräulein 


Berutsunfall - Infortunio professionale 


Pfeifer geheiratet hat. Und laut bemerkte er: 
„Irgendwas stimmt da auch. nicht. Abends kann 
man nicht einschlafen, morgens nicht ausschlafen 
und tags, besonders bei Fachvorträgen, wenn ein 
Sachverständiger die Steuerquellen rieseln läßt, 
kämpft man wieder mit dem Schlaf.” 

„Das kommt”, erklärte der Dormitologe, „weil man 
den Tag fälschlich nach dem Wachen einteilt und 
nicht nach dem Schlafen. Keiner fragt abends: 
haben Sie gut gewacht? oder sagt morgens: 
wachen Sie gut! Keiner spricht von Wachwagen, 
Wachanzug oder Wachmütze, Das Wesentliche ist 
eben der Schlaf.” 

Er erzählte, er habe zu den alten Hausmitteln (wo- 
gendes Kornfeld, Zählen bis tausend) ein neues 
Schlafpulver und eine Einschlafmaschine konstru- 
lert, aus der Zarah Leander mit gleichmütigem Baß 
ein Wiegenlied singt. „Das Schlaflied, wissen Sie, 
war die früheste Musik.” 

„Ich denke, das Liebeslied, sagte Frau Dorette. 
„Vielleicht beides zugleich“, meinte Julius. „Ubri- 
gens könnten Sie die herrliche Schlafarie König 
Philipps Il. im Don Carlos von Verdi durch zwei 
Tabletten Ihres Schlafmittels ersetzen.“ 

„Spotten Sie nicht über den Schlaf (denken Sie 
an Macbeth)! Weil er schlafen will, wirkt Philipp 
in der Oper menschlicher als bei Schiller. Und erst 
Azucena, die häßliche Alte mit dem schönen Alt: 
‚In unsere Heimat kehren wir wieder...‘ Oder im 
Egmont die letzte Szene, gerade beim Schlaf 
greift Beethoven ein, Von Brunhilde gar nicht erst 
zu reden, Kurz: Schlaf ist der eigentlich poetische 
Zustand. 

Und nun die bildende Kunst: Giorgiones Venus, 
um diese allein zu nennen, wäre nur halb so rei- 
zend, wenn sie wachte. Wer weiß, ob sie dann 
uns viel Kluges sagen würde? Das tiefe Atmen 
des gesunden Schläfers hat den gleichmäßigen 
Rhythmus des Wellenschlags. Schlaf ist also der 
einzig harmonische Zustand.” N 

„Wenn einer nicht schnarcht”, sagte Dorette. 

„Ein interessantes Gebiet”, dozierte der Spezia- 
list, „das Ich vermittels des Schnarchseismogra- 
phen erforsche. Freilich, als ich gestern eine junge 
Dame fragte: darf ich diese Nacht eine Tief- 
schnarchaufnahme von Ihnen auf. Schallplatten 








(6. Brinkmann) 





„Unser Koch Ist das Opfer einer Explosion geworden, 
als er eine neue Puddingsoße ausprobieren wollte!‘ 


"|I:nostro cuoco & stolo vittima d’ un’ esplosione, mentre voleva provare un nuovo succo da bedino!,, 


380 


machen?, lehnte sie seltsamerweise ab. Es fehlt 
noch das Verständnis für die dormitologische 
Wissenschaft, für die Somnologie. Man müßte da- 
für einen Lehrstuhl schaffen.” 

„Einen Ohrenstuhl vielleicht”, meinte Dorette. 

Und während der Spezialist seine Vorlesung fort- 
setzte, war Julius bereits zu den praktischen 
Ubungen übergegangen. Wie durch einen Schleier 
hörte er die Darlegungen über die entscheidende 
politische Bedeutung des Schlafs, von der Regie- 
rungsmaxime Julius Cäsars: „Laßt wohlbeleibte 
Männer um mich sein, mit kahlen Köpfen und die 
nachts gut schlafen“ bis zu Napoleon, der wäh- 
rend der Schlacht bei Leipzig schlief... Dann war 
auch er eingeschlafen. Und träumte, wie einst der 
Traum in den Schlaf gekommen ist: 

Da wurde ein Engel auf die neugeschaffene Erde 
geschickt, der trug In dem einen Arm eine 
Flasche, darin war der Schlaf (Eva sollte dem 
‚Adam im Schlaf geschenkt werden), In dem ande- 
ren Arm eine Flasche, voll von Wahnvorstellungen 
(die sollte für künftige Literaten sichergestellt 
werden). Der Engel flog immer ordnungsmäßig auf 
der äußersten rechten Seite der Luftlinie und lang- 
weilte sich sehr. Da naschte er ein bißchen an der 
Flasche voll Schlaf: eine angenehm leichte Schwere 
ergriff ihn und er überließ sich, seiner selbst nicht 
mehr bewußt, dem seligen Segelflug der eigenen 
Schwingen, Später setzte er dann das Fehlende 
aus der anderen Flasche zu, aus der mit den Wahn- 
ideen. Und damit waren die Träume in den Schlaf 
gekommen. Als er dann später dem vorgesetzten 
Erzengel meldete: „Gehorsamstes Hallelujah, Be- 
fehl ausgeführt”, da hätte der ihn zusammen- 
gestaucht, wenn es sowas in der Dienstvorschrift 
der himmlischen Heerscharen gäbe, Aber damit 
wäre ja auch nichts zu ändern gewesen, 

Und Julius träumte welter: er müßte Dornröschen 
interviewen in ihrer Eigenschaft als Rekordschlä- 
ferin. „Was dachten Sie, als Sie nach hundert Jah- 
ten aufwachten?” — „Ich dachte”, antwortete 
Dornröschen, „ob der Prinz nicht am Ende nur aus 
dem Märchen wäre oder gar aus dem Film. Und 
dann dachte ich, wie ich mit meinem Kostüm von 
vor hundert Jahren in die Mode passen würde, — 
aber es ging, man trug sich gerade wieder roman- 
tisch.” 

Und Julius träumte, der Herr mit der grünen Brille 
hätte ein Komitee gebildet, um dem Schlaf ein 
Denkmal zu setzen. Es entstand ein Streit um den 
Künstler, der unter Berufung auf Ovid den Schlaf 
schlafend darstellen wollte, — man stellt doch 
auch den großen Chirurgen nicht auf dem Opera- 
tionstisch liegend dar, und den Barbier nicht in 
eingeseiftem Zustand. Der Schlaf ist doch der ein- 
zige, der nicht schläft (außer dem Nachtwach- 
beamten), Bei der Enthüllung gab es wieder eine 
Peinlichkeit: das Denkmal war nicht fertig gewor- 
den, der Festredner hatte sich verschlafen, das 
Publikum stand und gähnte, Gerade stieß man ihn, 
Julius, auf die Rednertribüne,... Da wachte er auf, 
Der Herr mit der grünen Brille hatte nichts ge- 
merkt. Der war eben mit der Psychologie des Sie- 
benschläfers und des Murmeltiers zu Ende, und 
führte aus: „Sehen Sie, das Roß schläft im Stehen, 
der Affe Im Sitzen, der Mensch im Liegen, aber 
die Fledermaus! Die Fledermaus schläft aufge- 
hängt, aufgereiht, den Kopf nach unten. Welche 
Ordnung, welche Ersparnis an Wohnraum! Wieder 
hilft der Schlaf, ein Problem zu lösen. 

Übrigens kennen Sie mein Werk: ‚Der Schlaf von 
Endymion bis zur Neuzeit’? Sie wissen nicht, wer 
Endymion war? Das war der liebliche Schäfer, den 
Selene auf dem Berge Latmos einschläferte, um 
ihn ungestört küssen zu können. Man könnte 
sich den Vorgang auch anders denken, indessen 
das führt zu weit.” 

„Ja, wenn der Schlaf seine Memoiren schriebe”, 
sagte Julius, „mit allem Drum und Dran und bei—" 
Da hielt der Zug. Und während er den Koffer aus 
dem Wagen hob, brachte er noch den Gedanken 
vor, der ihm im Schlaf gekommen: man müßte dem 
Schlaf ein Denkmal setzen. 

„Ausgezeichnet“, stimmte der Dormitologe zu. 
„Und als Aufschrift darauf: Schlafen ist das Zweit- 
schönste —.” . 

„Wieso?”, fragte verständnislos hinter ihm drein 
der Spezialist, 


Das vollschlanke Tonmodell (Fr. aller) 





Il modello di creta dalle forme snelle tornite 


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Überfahrt am Tegernsee - Traversata sul Tegernsee 


(Magon) 






































FAHRT 


INEBIENZRIERBST 


VONA WISBECK 


Damals strich Ich wieder einmal, nach langen Jah- 
ren, durch das Frankenland, den Main hinab, an 
allen den Dörfern, Märkten, Städichen vorüber, 
die unter den Hängen sanft gewellter Rebenhügel 
In stiller Versonnenheit still vor sich hinträumen. 
Geruhsam, als wolle er sich die Gegend so recht 
mit Muße besehen, windet sich der Fluß durch das 
gesegnete Tal. Nein. er hat es nicht eilig, aus die- 
sen lieblichen Gefilden nach der Wüstenei des 
großen Wassers zu streben. Noch verströmt die 
Sonne ihre letzte Kraft über die Hügel, trächtig 
von Trauben steht der Weinstock, Seht, wie er die 
prallen Bündel goldgebräunter Kugeln kaum mehr 
zu tragen vermagl Hinauf, ihr Mädle, hinauf inden 
Wingert, und schleppt, was ihr schleppen könnt 
zur Kelter! Nachts aber gibt es ein Flüstern und 
Wispern In Gassen und Gäßchen, in Torwinkeln 
umschlingen sich inbrünstig die Schatten — ja, 
küßt euch noch, laßt eure heißen Herzen aneinan- 
derschlagen, bald steht der Weinstock entblättert, 
legt der Tod seine Hand auf braches Landi 

Schon neigt sich der Tag dem Ende zu, da taucht 
noch, aus den blauen Schleiern der Dämmerung 
zum Licht der ersten Sterne strebend, die Veste 
des Märienberges vor mir auf. Würzburg! Ja, ich 
kenne dich, du unvergleichliche Stadt des Fran- 
kenlandes! Ich kenne die edlen Schätze aus 
Stein, Holz und Schmiedeeisen, die du aus großer 
Zeit noch birgst, kenne deine träumenden Gassen, 
kenne draußen das verbuhlte Schlößchen, In dem 
Würzburgs Fürstbischöfe zwischen tändelnden 
Göttern und wippenden Reifröcken gottselige 
Sommernächte zelebrierten. Aber ich kenne auch 
deine verschwiegenen Kneipen und Bäcken, In 
deren kühlen Kellern die dunklen Fässer ruhen. 
Hel, wie das milde Gold des „Leisten“ in die 
Kelche rinnt, wie der würzige „Stein“ aus den Rö- 
mern duftetl 

Und sieh‘, In diesem verwinkelten Gäßchen, hinter 
der verschnörkelten Türe, liegt auch noch immer 
die Kneipe, in der ich allabendlich mit Agathe 
saß! Hier der Tisch — wahrhaftig, noch Ist auf sei- 
ner ausgewaschenen Platte, zerfasert und ver- 
scheuert freilich, das Herz erkennbar, das ich 
heimlich darein ritztel Wein her! Vergessen alle 
Jahre, die das Leben dazwischen warfl Trink, 
Agathe, trink, ich sehe es gern, wenn sich deine 
dürstenden Lippen feuchten. Ein Hoch allen schö- 
nen Frauen der Welt, dir aber, Agathe, flüstere 
ich ein einziges Wort ins Ohr: „Geliebtel” 

Und nun noch ein letztes Schöpple oder ein vor- 
letztes — wer kann das vorher wissen? Nein, 
Agathe, du sollst meiner grauen Haare wegen 
nicht sagen, Ich sei alt geworden und fürchte mich 
vor dem Weinl Sieh, wie ich ihn meisterel Ich 
hatte dich vergessen, verzelh es mir, Agathe, aber 


nun will ich das Haus aufsuchen, in dem du ge- 
wohnt hast. Drüben, im Gewirre alter Gassen. 
Kaum pfiff ich leise, da schlug mir schon deine 
klopfende Brust entgegen, brannte dein Kuß auf 
meinen Lippen. „Agathe, ich dachte den ganzen 
Tag nur an dich, die Sonne lief zu langsam ihre 
Bahn. Es fiel mir ein, daß Ich gestern vergaß, 
deine Augen zu küssen. Nun bin ich dal” 

Ob ich wohl den Weg noch finde? Die Nacht ist 
zwar mondklar, doch strauchelt mein Fuß des öfte- 
ren, verfehlt den Randstein und verfängt sich am 
anderen. Woher kommt der Riß in meinem Ärmel? 
Und trug Ich nicht einen Hut auf dem Kopf? Wes- 
halb winden sich die Häuser in Krämpfen? Auf der 
alten Brücke erfaßt mich gelinder Schwindel, am 
Steinblld des heiligen Kilian muß ich rasten. Still, 
im Geflirre silbernen Lichtes, zieht der Main dahin. 
Ube: mir baumelt der Mond, zwei andere um- 
kreisen Ihn. Ein alter Herr bleibt vor mir stehen, 
sieht mir aufmerksam 'n das Gesicht. „So, so”, 
sagt er, „du bist es alsol”’ — „Ja’, sage ich, „du 
hast es erraten, ich bin’s, und Übermorgen wüßte 
ich vielleicht auch, wer du bist. Heute aber kommst 
du mir. so entfernt vor. Und warum zitterst du?” 
„Für deinen Zustand wäre Tierkohle, carbo medizi- 
nalis, das geeignete Mittel“, meint mit tiefem 
Ernst der Herr, „sie absorbiert die Giftstoffe des 
Alkohols und führt sie ohne Beeinträchtigung der 
Herztätigkeit dem Darm zu.” „Blödsinn“, sage Ich 
ein wenig schroff, „warum soll ich Kohlen fressen, 
well mich das Leben freut? Für deinen Zustand 
aber empfehle ich: lasse dich so lange künstlich 
mit Rizinusöl ernähren, bis es dir leichter wird 
im Gemütl” 

„So etwas an Besoffenheit ist mir doch im Leben 
noch nie vorgekommen“, knurrt der Mann bitter. 
entgegne ich und halte mich an der Kra- 
watte des Herrn fest, „besoffen bin ich durchaus 
keinesfalls nicht, sondern im Gegenteil, Ich tue 
keinem Menschen etwas zu leide und gehe still 
meinen geraden Weg. Wenn du aber in meiner 
Hose suchst, wirst du noch drei Mark darin finden, 
die wollen wir versaufen!” „Das fehlte gerade 
nochl“ faucht der Mann, „mich von einem Süffling 
einladen lassen!” „EinenLahmarsch wie dich sollte 
man jahrelang kopfüber in einen Ententeich hän- 
gen, bis er genug Wasser gesoffen hat“, antworte 
ich, nun wirklich ein wenig verärgert. Da ent- 
reißt mir der Herr wortlos seine Krawatte und eilt 
von hinnen. 

Nun zu Agathel Ja, da steht es noch, das alte 
Häuschen mit seinem hohen Glebel, von dem das 
Mondlicht tropft! Hier, das dritte Fenster war es. 
Erscheint nicht ein braungelocktes Köpfchen zwi- 
schen den weißen Gardinen? Ich pfeife leise, dann 
lauter. Dann auf den Fingern. Das Fenster wird ge- 


382 











öffnet, ein altes Weib in’schlampigem Nachtkittel 
beugt sich heraus. „Komm herunter, braunlockiges 
Engelchen!” rufe ich hinauf, „ich habe noch drei 
Markl”" „Unverschämter Lümmell” kreischt es 
herab. Das Fenster klirrt zu. 

Sonderbar, denke ich mir. Nun ist man doch nur 
gut und höflich zu den Menschen, Ist bereit, Ihrer 
Freude die letzte Barschaft zu opfern, und wird 
von ihnen gekränkt und beleidigt. Traurigkeit 
überkommt mich. Gut, ich will mich aus der Ge- 
meinschaft dieser harten Herzen zurückziehen, 
will eine Hütte im tiefen Wald bauen und von 
Beeren und Wurzeln leben. Ein frischer Quell ver- 
sorgt mich mit Wasser, Vögelein singen im Geäste 
über mir, ein Rehlein schmiegt sich an meine Knie, 
weither, vom Tal herauf, klingen die Glocken. 
Vielleicht könnte ich mir für den Sonntag auch ein 
Kaninchen züchten. — In diesen Gedanken gehe 
ich so vor mich hin. Nun bin Ich wieder auf der 
anderen Seite der Stadt. Verschlungen sind die 
Pfade ‚des „Glacis“, und manchmal hemmt ein 
Baumstamm meinen Fuß. Hier, auf dieser Bank 
könnte ich ein wenig rasten. Oder sind es zwei 
Bänke? Gleichviel, auf die eine will Ich mich hin- 
strecken und träumen. Von Agathe, Ja, Geliebte, 
lege wieder deine Hand in die meine und lasse 
uns plaudern von kommendem Glück! Komm, lasse 
dir diesen Kranz blauer Blüten um die schmale Stirn 
winden, blicke hinauf zum Schwarm der Sterne und 
lasse mich deine Augen küssen! Ich liebe dich! 
Was ist das? Eine Hand zerrt an meinem Arm, eine 
zarte Sitmme redet auf mich ein. Ach ja, da habe 
Ich nun doch die Bank verfehlt und mich quer über 
den Weg gestreckt, Ein Junges Mädchen steht 
vor mir. „Sind Sie krank?” frägt es mitleidvoll und 
richtet mich auf, Es reicht mir seinen Arm, geleltet 
mich zur Bank. Wir setzen uns. Ganz welß Ist nun 
die Nacht, über die zermürbten Reste efeuum- 
sponnener Bastionen fließt milchiges Licht, Kein 
Laut ringsum. „Sie kommen wohl welt her?" frägt 
die Kleine. „Ja”, sage ich, und der Geist des Wei- 
nes Ist nun zerstoben, „ich komme welt her — 
sehr weit, aus meiner Jugendzeit komme ich.” 
Schweigen. „Fürchten Sie sich nicht?” frage Ich 
das Mädchen, „mit einem fremden Mann in dieser 
Einsamkeit? Wenn ich nun meinen Arm um Sie 
legen wollte?” Das Mädchen sieht mich erstaunt 
an und lacht dann fröhlich auf. „Nein, Ich fürchte 
mich nicht vor Ihnen. Sie könnten ja fast schon 
mein Großvater sein!“ Richtig, richtig, so Ist es 
und nicht anders. Vorbei die Trunkenhelt des Her- 
zens, vorüber der Rausch des Lebens! Nur der 
Wein wirft noch den Wiederschein entschwunde- 
nen Glückes in eine ausgebrannte Brust. „Habe 
Ich Sie gekränkt, sind Sie traurig?” frägt das Mäd- 
chen und legt seine kleine Hand mit festem Druck 
auf die meine. „Nein, du gutes Kind“, sage ich, 
„ich bin nicht traurig. Sieh, wie das Mondlicht aus 
den Bäumen träufe!t, wie die Sterne über uns 
ziehen! Schön ist die Welt und schön das Leben, 
und ewig werden sie dem gehören, der nicht auf- 
hört, sie zu lieben.” 


Die Patientin 


(K. Heiligenstaodt) 


even 


En 








ui -3 


„Wenn ich nur wüßte, ob er sich für mich als Ganzes oder nur für meinen gereizten Blinddarm interessiert!?“ 


La paziente: Oh se sapessi s’ egli s’ interessa per me ... in tutto e per tutlo o soltanto ... pel mio irritato infestino cieco!?,, 


383 


ICH HABE BESUCH 


VON BERTO PEROTTI 


„Aber bitte, nehmen Sie Platz! Nehmen Sie Platzi” 
Die Eheleute Lambda zwängen sich einer nach 
dem andern durch die schmale Tür und schauen 
sich erstaunt um. Ein „Ausgezeichnet“ schlüpft 
ihnen über die Lippen, und sie beginnen einen 
Rundgang durch mein Zimmer. Nun, ich will mich 
nicht rühmen, aber ich habe einen ziemlich 
schwierigen Charakter und rege mich über jede 
Kleinigkeit auf. Ich kann nun mal Bewegung und 
Unruhe um mich herum nicht ertragen, Gleich 
denke ich: „Hier stehen schöne Stühle, ein paar 
sind sogar gepolstert; ein Sofa mit sieben, Kissen 
ist auch vorhanden. Warum machen sid davon 
keinen Gebrauch? Warum setzen sie sich nicht?” 
Herr Lambda trägt eine schwarze Jacke mit 
Schwalbenschwänzen und etwas zu kurze Hosen. 
In seiner Jugendzeit ging man so, Und er kann 
sich nicht damit abfinden, älter geworden zu sein. 
Aus diesem Grunde kleidet er sich wie ein Jüng- 
ling. Frau Lambda schaut sich mit der Lorgnette 
um. Von Ihrem Strohhut baumelt ein Bündel ver- 
schimmelter Weintrauben herab. Wenigstens scheint 
es so. Es könnte vielleicht auch ein Feldblumen- 
sträußchen sein oder auch nur Beeren. Übrigens 
geht mich das gar nichts an. Schließlich kann 
jeder auf seinem Hute nach Belieben Beeren, Blu- 
men, Zweige oder sonst etwas tragen. Der kleine 
Lambda Ist ein Prachtkind. Wie alt wird er sein? 
Vielleicht fünf Jahre. „Wie heißt du denn, du klei- 
nes Kerlchen? Hast du den Vati lieb und auch die 
Mutti?” Spricht man nicht so zu Kindern, wenn die 
Mutter mit strahlenden Augen daneben steht? 
Aber diesem Bürschchen würde es besser gefal- 
len, mit melnem Grammophon zu spielen. Beson- 
deres Vergnügen bereitet es Ihm, die Platten 
über den Boden rollen zu lassen und dann darauf 
herumzukauen, als wären sie aus Lakritze. Und nun 
spricht der Vatl. „Ausgezeichnetl Ganz ausge- 
zeichnetl” meint er und zieht aus den geräumigen 
Hosentaschen ein umfangreiches, buntgewürfeltes 
Taschentuch hervor, mit dem er sich die Stirn 
trocknet und die Nase putzt. Was sind doch Ta- 
schentücher für eine nsreiche Erfindung! 
Stimmt das nicht? Man trocknet sich damit den 
Schweiß ab, man putzt sich damit dieNase, manch- 
mal fährt man damit rasch einmal über die staubl- 
gen Schuhe; bisweilen sind sie zum Polieren der 
Brille nützlich; man knüpft in sie den berühmten 
Knoten, um sich an etwas zu erinnern; man 
schwenkt sie, um einem lieben Freund einen At 
schledsgruß zuzuwinken; man trocknet sich die 
üblichen Tränlein ab. . Aber nun verschwindet 
das Riesentuch in Herrn Lambdas umfangreicher 
Hosentasche. Herr Lambda öffnet den Mund, gähnt 
vorschriftsmäßig, überlegt ein wenig und meint: 
„Ausgezeichnetl Ausgezeichnet!” Im Grunds ge- 
nommen ist mir Herr Lambda sehr sympathisch, 
weil ef ein Mensch von wenig Worten ist. Ich bin 
sicher, daß sich in ihm ein Tatmensch verbirgt, 
über den sich die Welt im gegebenen Augenblick 
wundern würde Jemand klopft. Es sind die Ehe- 
leute Chlantl. Zum Teufel, laß sie eintreten! Herz- 
lich willkommen! Ihn ziert ein großer herab- 
hängender Schnurrbert, hinter dem sich jenes 
dünne Lächeln verkriecht, das ab und zu aus sei- 
nen faltigen Augen tritt. Seine Frau reicht mir die 
Hand, damit ich sie küsse. Ich zähle: eins, zwel, 
drei, vier Ringe. Der erste aus Gold, der zweite 
aus Silber, die andern auch aus Gold. Die Finger- 
nägel sind wohl gepflegt und leuchten vor Lack. 
Und trotzdem küsse ich diese Hand nicht. Es tut 
mir leid, Ich weiß nicht, wie ich mich entschuldi- 
gen soll; aber ich werde niemals eine, solche 
stumpfsinnige, anmaßende Hand küssen Herr 
Chianti seızt sich auf dasSofa, zwischen das grüne 
Kissen und das mit demRosenkränzchen. Ich möchte 
an ihm vorbeigehen und ihn am Bart zupfen und 
sagen, es sei der Wind gewesen; oder auch mich 
mit zerknirschter Miene über ihn beugen und 
flüstern: „Wie wenig gefällst du mir doch!“ Aber 
Ich weiß genau, daß dann Herr Lambda aus seinen 
Betrachtungen aufwachen und erklären würde: 
„Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!” Aber umGottes- 
willen, passenSie doch auf denKleinen aufl Sehen 
Sie denn nicht, daß er mir beinahe die Porzellan- 
figur kaputtgemacht hätte? Giuditta, komm herl 
Giuditta ist — falls Sie es noch nicht wissen — 
mein Zimmermädchen. Ja, trotz meines ärm- 
lichen Aussehens leiste ich mir ein Zimmer- 














mädchen. Also Giuditta kommt mit einem 
Tablett voller Tassen näher. Wollen wir Kaffee 
trinken oder lieber Tee? Meine Gäste betrach- 
ten die Tassen wie einer, der sich von einer 
unbekannten Gefahr bedroht fühlt. „Ja”, sagt Herr 
Lambda. „Schwierig”, murmelt Herr Chianti und 
zwirbelt an seinem Schnurrbart. Aber Frau Chianti, 
die von allen vielleicht die diplomatischste Ist, 
bemerkt halblaut: „Ich würde Kaffee wählen.“ Da 
gleitet die Angorakatze zwischen die Beine der 
Gäste. Sie Ist ein Geschenk meiner Tante Ca- 
milla, Sie heißt Dongo und ist manchmal von einer 
erstaunlichen Ungezwungenhelt. Sie gleitet an den 
Beinen der Frau Chianti vorbei, die auffährt, man 
weiß aber nicht, ob aus Vergnügen oder vor 
Schreck. Dann knabbert sie an dem linken Rock- 
schoß des Herrn Lambda. Siehst du, daß Dongo 
heute guter Laune ist? Das ist die Richtigel Auf 
Jeden Fall möchte ich nicht gern, daß sie einen 
Rockschoß verschlingt oder sogar auf gehelmnis- 
volle Welse den Inhalt des Anzuges aufsaugt. 
Lassen wir ihre Fehler dahingehen! Herr Lambda 
Ist ein guter Kerl und außerdem dient er mir als 
Ablenkung. 

Sagen Sie mir doch, was ich tun sollte, wenn 
ich‘mich auf du und du mit diesem schreck- 
lichen Schnurrbart desHerrnChlanti befände, ohne 
die Möglichkeit zu haben, den Blick an den 
Schwalbenschwänzen des Herm Lambda zu stär- 
ken? Aber da kommt Giuditta mit der großen 
Kaffeekanne. Sieh mal, wie der Dampf zur Decke 
emporsteigt! Er muß siedend heiß sein! Frau 
Lambda beäugt mit der lorgnette die Kaffee- 
kanne, schaut nach dem Dampf, der wollüstig auf- 
steigt, betrachtet das ernste Gesicht Gludittas, 
in der Hoffnung, aus dessen Anzeichen eins der 
Geheimnisse, die ihr am Herzen liegen, zu enthül- 
len. Ihre Nase schnüffelt krampfhaft in der Luft, 
um die Spuren des Aromas, an das sie sich noch 
gut erinnert, zu finden. Dann schüttelt sie den 
Kopf, als wollte sie sagen: „Nein, nein, ich habe 
mich getäuscht.” Und sie dreht sich um, um die 
Vitrine mit den Nippsachen In Augenschein zu 
nehmen. Bubil Herzblättchen! Willst du eine Tasse 
Kaffee? Willst du einen Bonbon? Ja? Er will die 
Katze am Schwanz ziehen. Ich sehe schon die 
japanische Vase, die stolz mein Klavier ziert, mit 
großem Getöse hinunterfallen Gleich wird auch 
die große Kristallschale In Trümmer gehen. Aber 
Gluditta Ist eine Perle von Mädchen. Sie nimmt 
Dongo auf den Arm und geht in die Küche mit Ihr. 
So beginnt die Unterhaltung. Herr. Chianti lacht. 
Ja, Ich hätte nicht geglaubt, daß die Bartspitzen 
des Herrn Chianti auch lachen könnten und so 


BERGWANDERUNG 


Daß der Wind weht, 
Das ist gut. 

Im Wildbadh steht 

Mit kalten Blut 

Die Forelle auf der Hut. 


Und nun donnerts auf im Wald. 
Von einem, der die Holzaxt scimang, 
Und nun knallt vom Berg ein Schuß, 
Der den Bock wohl niederzwang. 


Wars für ihn auch nicdıl gemeint, 
Madıts dem Fische doch Verdruft, 
Und er zuckt audı scıon davon, 
Blitzendschnelles Schwarzes. 


Lang nodı, wie ein Harfenton, 
Wie ein kleines Kind, das weint, 
Klagt das Edio durdı die Kluft, 
Und der Wind bringt her den Duft, 
Sdimweren Duft des Harzös. 

Georg Britting 


384 


fröhlich auf- und abwippen. Noch weniger wußte 
ich, daß unter diesem Schnurrbart sich solche 
roten fleischigen Lippen verbergen. Mir steigt 
direkt ein Zweifel auf, ob sich Herr Chianti nicht 
den Bart wachsen ließ, um seine sinnlichen Lippen 
zu verbergen. Verstohlen beobachtete ich, daß 
Herr Lambda viel Mühe aufbringt, um seine Rock- 
schösse nicht zu zerknittern, während Frau Chianti 
Sorge trägt, ihre Hand neben den Tassenhenkel 
zu halten und dabei liebevoll ihre vier Ringe be- 
trachtet. Mir tut es sehr leid, aber mir gefallen 
die Hände der Giuditta tausendmal besser, Und 
da kommt Giuditta mit dem Kuchentablett. In 
Wirklichkeit schäme Ich mich, ein Zimmermädchen 
wie Gluditta zu haben. Außerdem schäme ich mich, 
daß ein Geschöpf wie sie gezwungen Ist, eine 
Dame mit Würstelfingern und einen Alten mit einem 
Busch von Bart zu bedienen. Ich glaube, gegen 
die Menschheit gesündigt zu haben. Gegen die 
Menschheit und gegen die Anmut. Was geschähe, 
wenn einer dieser Herren unfreundlich gegen 
Gluditta wäre? Ich würde mich In großer Ver- 
legenheit befinden, und ich wüßte auch nicht, wie 
ich sie rächen sollte. 

Frau Chlantl, bitte, ein Stück Kuchen! Da pas- 
sierte, was passieren mußte, Frau Lambdas 
Goldjunge hat die Tasse zerschlagen, die schöne 
dampfende Flüssigkeit dringt auf die pollerte 
Tischplatte, den gestickten Untersatz und die 
gestrelften Hosen des Herrn Chiantl. Möge dich 
Gott vor der Wut eines buschigen Schnurr- 
bartes beschützen! Etwas Donnerähnliches bricht 
aus dem Haargestrüpp, dann öffnet sich ein gro- 
ßer Mund, dem Worte entströmen.... meln Gott, 
was für Wortel Flegell Tolpaisch! Unselige Krea- 
turl Zuerst Ist das Ehepaar Lambda bestürzt über 
das Unglück, dann machen sie große Augen über 
den Hagel von Verwünschungen. Das, nein, das 
ist doch wirklich zuviell Aber Frau Chlanti greift 
ein, um die erhitzten Gemüter zu besänftigen. 
Geh, laß dich nicht auslachen! Wenn es Bohnen- 
kaffee wäre, könnte man Bedenken tragen, aber 
das da... das ist doch nur warmes Wasser. So 
etwas gibt keine Flecke Und Giuditta kann ein 
Lächeln nicht unterdrücken. Ich betrachte ihr schö- 
nes Gesicht, ihre feinen Hände. Sie brauchen keine 
Ringe. Aber dann geht sie hinaus, und ich sehe, 
wie Herr Lambda mit seinem großen Taschentuch 
die Hosen des Herrn Chianti bearbeitet. Sehen 
Sie? Noch eine Anwendungsweise des Taschen- 
tuchs! Allmählich klärt sich die Miene des Belel- 
digten auf, Ruhe nach dem Sturm. Ich stelle fest, 
daß von seinem Schnurrbart zwei seltsame Trop- 
fen herabhängen. Morgentau. Das Weintrauben- 
büschel auf dem Hute von Frau Lambda zittert 
schüchtern. (Ich weiß es Jetzt genau, daß es Wein- 
trauben sind), während Frau Chianti einen großen 
altertümlichen Fächer In Bewegung setzt: die Jagd 
auf das Wildschwein oder ein spanischer Stier- 
kampf; irgend so etwas Ähnliches. Ein Stück Ku- 
chen kracht zwischen den Zähnen von Frau 
Lambda, die ständig mit düsterer Besorgnis den 
Kaffeefleck auf Herm Chlantis Hosen betrachtet. 
Darauf kommt die Unterhaltung wieder In Fluß. 
Haben Sie gehört? Der Sohn von Conti Ist durch- 
gefallen. Das Ehepaar Lampredi ist geschieden. 
Donnerwetter! Ist das wahr? Herrn Lambdas Augen 
fallen auf das Klavier. Verwünscht, daß ich 
es nicht hinter einem Wandschirm verborgen habel 
Seine Rockschösse fliegen und er setzt sich auf 
den drehbaren Schemel. Ich werde Ihnen einStück 
aus einer Oper vorspielen. Er versucht die Tasta- 
tur, schlägt ein paar Akkorde an, und erklärt ent- 
setzt: „Es Ist verstimmtl“ Aus den kurzen Hosen 
des Herrn Lambda schaut ein geheimnisvolles Bänd- 
chen hervor..Früher band man lange Unterhosen 
mit einem Band zu. Und Herr Lambda Ist bei sei- 
ner Jugendzeit stehengeblieben. Daher erscheint 
er so alt, Frau Chlantl führt die Tasse an die Lip- 
pen, schneidet eine Grimasse und murmelt: „Das 
ist eine ernste Angelegenheitl” HerrLambda stürzt 
auf seinen Platz und ruft beeindruckt aus: „Was 
ist geschehen? Was haben Sie gesagt?” Herr 
Chianti schaut ihn erstaunt-an und meint: „Wer? 
Ich habe nichts gesagt!" So kommt die Unterhal- 
tung wieder mehr oder weniger flüssig und geist- 
reich in Gang, bis die Stunde des Aufbruchs naht. 
Herr Chlanit zieht die große goldene Uhr aus der 
Westentasche, schaut lange darauf, hält sie ans 
Ohr, überlegt und sagt: „Die Zelt vergeht. Wie 
doch die Zeit vergeht!” Und mit verstörten Augen 
betrachtet er den Kaffeefleck auf den Hosen. Die 
fleischige Hand streicht darüber, während aller 
Blicke auf seinen Schoß gerichtet sind. Herr Lambda 
Ist zerstreut. Fortgesetzt starıt er den Fleck an, 


Die Scheinbeerdigung der Komintern En 





„Du mußt lauter heulen, Genosse, sonst merken die Leute, daß wir einen leeren Sarg zu Grabe tragen!“ 


II finto seppellimento dei Komintern: "Compagno, devi urlare piü forte, altrimenti la gente s’ accorge che noi sotterriamo un feretro vuoto!,, 


385 


Ansprüche (R.Kıosch) 








„Üppige Formen und Sinn für alles Edle verlangt Paul von der Frau, die 
er liebt... Na ja, vorerst wird ihm mein Edelsinn genügen müssen! 


Pretese‘; “Paolo dalla donna che ama, richiede forme esuberanti e senso per tutto ciö che 
v'&dinobile ... Eh via! Egli dovrä dapprima accontentarsi della mia nobiltä d’ animo!,, 


386 


steckt ein Stückchen Kuchen in den Mund, kaut 
langsam und meint nachdenklich: „Ausgezeichneil 
Ausgezeichnet!” — „Hat sich was, ausgezeichnet!” 
ruft Frau Chianti aus und steht plötzlich mit zor- 
niger Miene auf, Herr Lambda schüttelt sich, be- 
obachtet sie, läßt die Augen von einem zum an- 
dern schweiten und stöhnt verwirrt: „Was ist los?” 
Der Besuch ist beendet. Auch das Kind, das Schätz- 
chen, hat es gemerkt. Es fängt an zu weinen und 
reibt sich die Augen. Die Mutter nimmt es auf den 
Arm und betastet es überall ein bißchen, auf der 
Suche nach irgendwelcher verdächtiger Feuchtig- 
keit, Dann sagt sie: „Nein! Es ist nur müdel” Herr 
Chianti nimmt ein Stück Kuchen und reicht es dem 
süßen Balg, der es aber zur Erde wirft und weiter 
weint, Da zieht Herr Lambda sein großes Taschen- 
tuch und trocknet seine Nase. „Schnaubel 
Schnaube tüchtig!" sagt er. Das Kind schnaubt und 
hört auf zu weinen. Alle schauen erstaunt auf Herrn 
Lambda, der das kostbare Tuch zusammenfaltet 
und in die Tasche steckt. Das Kind lacht nun und 
winkt seinem Vater zu. Es möchte noch einmal 
schnauben. Das gefällt ihm. Aber nun hat Herr 
Chianti zum zweitenmal seine goldene Uhr her- 
vorgezogen. Diesmal hält er sie nicht einmal ans 
Ohr. Seine dichten Augenbrauen sind ein wenig 
gerunzelt, die Spitzen seines Schnurrbartes zittern; 
er ist vom Sofa aufgestanden und läuft durchs 
Zimmer auf der Suche nach seinem Stock. Aber 
nein! Aber nein! Den Stock hat er im Vorraum ge- 
lassen, „Giuditta, Giudittal Bring den Stock dem 
Herrn!” — „Aber lassen Sie doch! Bemühen Sie 
sich nicht!“ Herr Lambda erhebt sich mit seinen 
beiden Schwalbenschwänzen und schaut mit ver- 
störten Augen auf den Boden seiner Tasse. Dann 
durchschreitet er den dunklen Korridor. Jemand 
tritt der Katze auf den Schwanz, sie macht eine 
blitzschnelle Wendung und flüchtet ins Zimmer, 
Was gibt's? Was ist los? Beinahe wäre Herrm 
Lambda die Brille von der Nase gerutscht. Wo ist 
mein Hut? Nein, das ist nicht meiner, er ist zu 
groß. Wie zu groß? Der buschige Bart bewegt sich 
drohend. Die beiden Ehepaare steigen die enge 
Treppe hinunter, einer nach dem andern. Ich sehe 
noch eine Bartspitze des Herrn Chianti und mich 
überfällt von neuem eine schreckliche Versuchung. 
Aberich denke: „Das wird ein andermal gemacht!” 
Herr Lambda trocknet sich die Stirn mit dem 
Taschentuch und ehe er verschwindet, dreht er sich 
um und ruft jovial lächelnd: „Ausgezeichnetl Aus- 
gezeichnet!” 


(Aus dem Italienischen v. Charlotte Opitz) 


Appell - Appello 


(fonl Bichl Im Felde) 


„Solsbrav!Wer fleißig legt, kriegt Urlaub, wer im 
Rückstand bleibt, wird als Suppenhuhn abgestellt!“ 


"Cosi va bene! Chi & assiduo a far uova, ottiene la licenza, ch 
Invece rimane in arretrato, viene servito come pollo allesso!,, 





-DIEFQUALENTHEORTLE 


VON GERT SASCHA 


Emsig pfeifend war ich damit beschäftigt, ein 
großes Stück Leinwand über den Keilrahmen zu 
spannen, um mit der Kohlenskizze meines neuen 
Gemäldes: „Elefantenküken zermalmen ein Nil- 
pferd” zu beginnen. Dies Werk sollte die Empfangs- 
halle eines Zoologischen Gartens zieren. — 
Eben wollte ich mein Pfeifchen stopfen, als Pro- 
fessor Prodohari ins Atelier stürzte. Er war, wie 
immer, zehn Jahre jünger. Aus seinen Augenblitzte 
unerbittlicher Forschungstrieb, als er mich anfuhr: 
„Zieh dich an! Laß alles stehen und liegen und 
komm mit!” 

Da ich wußte, daß Frage oder Widerspruch bei 
Prodoharis kategorischen Weisungen unnütze Kraft- 
vergeudung gewesen wäre, hob ich die Pfeife, die 
mir vor Schreck aus dem Munde gefallen war, 
wieder auf und eilte bald mit wehenden Mantel- 
zipfeln an Prodoharis Seite über die Straße. In 
seiner Praxis angekommen, ließ er mich im an- 
helmelnden Operationsstuhl Platz nehmen, schlüpfte 
hurtig in seinen weißen Kittel, sah mich prüfend 
an und fragte: 

„Gehörst du als Malbeflissener zu den Geistes- 
arbeitern?” - 
Eine unbekannte Falle witternd, antwortete ich vor- 
sichtig: „Wie man’s nimmt!” — 

„Dacht‘ ich mir! Also in medias res! — Ich brauche 
für den Richtigkeltsbeweis meiner neuesten Theorie 
ein lebendes denkendes Versuchsobjekt, und das 
kannst nur du sein!” 

„Um Himmels willen!” rief ich und wollte fliehen, 
— „du willst mir wieder was einspritzen, wie die 
Feuerwehr, so daß ich einschrumpfe, wie ein alter 
Winterrettich! Nein! Hilfel” — 

Aber Prodohari drückte mich wieder auf den 
Sessel zurück und beruhigte mich: 

„Diesmal handelt es sich nicht um eine simple sub- 
kutane Injektion, sondern um etwas für dich ganz 
Ungewöhnliches und Schwieriges! — Du sollst 
jetzt... denken! Intensiv denken! Würdest du der 
Wissenschaft dies Opfer bringen?” 

„Für die Wissenschaft würde ich einen Besen ver- 
speisen, der in Seifenwasser gestanden hat!” 
„Schön! — Kennst du die Quantentheorie?” 

Ich gestand, daß für mich die Quantentheorie ein 
böhmisches Dorf sel. 
„Hör zu: Wenn ein Körper erhitzt wird, dann... na?” 
„Dann schwitzt erl" 

„Nein — dann sendet er Strahlen aus! — Neuer- 
dings aber vertritt man die Theorie, daß der 
hitzte Körper auch Teile seiner selbst, also Mole- 
küle, abschleudert! Verstanden?” 

„Gewiß! Der schwitzende Körper spielt mit seinen 
Molekülen Fußball‘ 

„Er gibt also Quantitäten, — Quanten, — her. Da- 
her der Name: Quantentheoriel — In logischer 
Fortführung dieser Anschauung stelle ich die These 
auf, daß lebende Körper nicht nur Quantitäten, 
sondern, z. B. bei hochgradigen Denkvorgängen, 
— auch Qualitäten abgeben! Diese neue und um- 
wälzende Theorie, die ich meinen Kollegen als 
fetten wissenschaftlichen Brocken zuwerfe, nenne 
ich kurz: ‚Qualentheorle’i — Nun soll dein hoch- 
touriges Kleinhirn die Wahrheit meiner Qualen- 
theorie unter Beweis stellen!” — 

Meine Besorgnis, Vie Qualentheorie könne bei mir 
zur Qualen-Praxis werden, wußte Prodohari zu zer- 
streuen: 

„Zuerst steigst du auf die Miwa, meine hochemp- 
findliche Milligrammwage, dann gehst du in meine 
neukonstrulerte Caqua, Camera qualitatis, in der 
ich die Emanationen deines Denkens durch mei- 
nen Hirmwellenprojektionsapparat auf eine Art 
photographischer Platte festhalte. Nach diesem Ex- 
periment in der Caqua stellst du dich wieder auf 
die Miwa, wo ich eine eventuelle Gewichtsdiffe- 
tenz feststellen werde!“ 

Also sprach Prodohari. Ich aber begab mich mit 
angehaltenem Atem auf die Miwa-Plattform, wo 
der Professor genau 70999999 Milligramm Ge- 
wicht ablas. In der Caqua, einer Art verfinsterter 
Telefonzelle, schnallte er einen Riemen um mei- 
nen’ Kopf, an dessen Stirnseite eine Art Objektiv 
befestigt war. Prodohari sagte: 

„Nun konzentriere alle deine inneren Qualitäten 
auf den bevorstehenden Denkprozeß! Grüble ab- 
gründig und sinne tiefschürfend über ein, x-belie- 
biges Thema!” 











Damit schloß er die Caqua, und ich stand, einer 
schwach phosphoreszierenden Platte gegenüber, 
im Finstern. Was lag mir näher, als über die Kom- 
position meines Gemäldes: ‚Elefantenküken zer- 
malmen ein Nilpferd‘, nachzudenken? — Nach fünf 
Minuten anstrengender zoologischer Hirntätigkeit 
entließ mich Prodohari aus der Caqua, 

„Gedulde dich nochmals fünf Minuten!” rief er 
aufgeregt, — „ich entwickle nur die Plattel” 

Mit diesen Worten verschwand er im Nebenraum. 
Interessiert betrachtete ich den gläsernen Instru- 
mententisch. Besonders bewunderte ich die eigen- 
artig geformten, merkwürdig geschwungenen und 
leicht gebogenen Scheren, — Nach einiger Zeit 
kehrte Prodohari strahlend, die Platte in der Hand 
schwenkend, zurück. 

„Heurekal“ frohlockte er. „Triumph! Meine Qualen- 
theorie marschiert! Schau her! Dal Die Plattel Du 
hast natürlich wieder einmal nur an dich selbst 
gedacht! Denn was zeigt die Platte?... Ein Rhino- 
zerosil” 

Eben wollte ich erwidern, als er schon fortfuhr: 
„Die Fixierungsmöglichkeit reflektorischer und 
motorischer Hirnzellentätigkeit, als Basis der 
Qualentheorie, Ist damit zur Evidenz erwiesen! — 
Nun zum zweiten Experiment! Besteige die Miwal” 
Sorgfältig studierte Prodoharl die Skala der emp- 
findlichen Waage. 

„Slehst du?” jauchzte er, „eine zweifelsfreie Ge- 
wichtsminderung um 1999 Milligramm! Ein strikter 
Beweis für die Ausstoßung von einigen Millionen 
vitaler Moleküle! Meine Herren Kollegen werden 
auf ihren nächsten Kongressen über Diskussions- 
mangel nicht zu klagen haben! — Deine wissen- 
schaftliche Hilfsstellung aber wird auf einer Mar- 
mortafel im Treppenhaus der Alma mater In Ge- 
stalt eines goldenen Nilpferdes eingegraben 
werden!“ 

Nach diesen herzlichen Worten vermochte ich es 
nicht über mich zu bringen, den Lauf kühner 
Theorien durch ein banales Geständnis zu hem- 
men! — Nie werde ich daher die Ursache der 
1999 Milligramm Gewichtsminderung aufkläreni — 
Kein Lebewesen wird je erfahren, daß ich mir 
während Prodöharis Abwesenheit mit den schönen 
gebogenen Scheren die Nägel geschnitten habel 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 
It or nn (0. el 
e 


2) 






Trat da in den ersten Maientagen im Badischen 
ein Junglehrer seine erste Stelle an und wurde am 
hohen Rathausfenster vom Bürgermeister mit der 
Umgebung des Dörfleins vertraut gemacht. Dabei 
zeigte sich der etwas schwärmerisch veranlagte 
Junge Erzieher besonders von der blühenden Pracht 
der Obstgärten sehr beeindruckt und verglich das 
Bild mit einem „wogenden Blütenmeer”, 
Worauf das Ortsoberhaupt die Hände über dem 
Bäuchlein faltete und voll Stolz murmelte: 
‚8, und sehen Sie, das gibt alles, alles Most" 
& E.O, S. 


In einem Dort im Egerlande beklagte sich’ ein 
alter Bauer bei seinem Pfarrer bitter Über das an- 
haltende schlechte Wetter, das ihm die ganze 
Ernte zu vernichten drohte. 

Der Pfarrer suchte den Mann mit der Hoffnung auf 
bessere Jahre zu trösten. 

„Im übrigen“, sprach er mit mahnend erhobenem 
Finger, „mußt du trotzdem dankbar sein für alles, 
was Vorsehung und Natur uns schicken. Selbst 
die Vögel unter dem Himmel haben doch jeden 
Tag ihr Futter.” N 

„Na ja“ — der Alte blieb störrisch — „von mei- 
nem Korn... 











lag und Druck: Knorr 


Verantworti. Schriftlelter: Walter Foltzick. München. 
anstellen entgegen. — Bozugspreise: Einzelnumme: 














30 Pf. 


‚chaft, München, Sendling: 








Abonnement Im Monat 


Straße 80 (Fermruf 12%). Brlet 


ielssimus erscheint wöchentlich einmal. Besiellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 
RM. 1,20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beilleg!, — 





schrift: München 2 BZ, Brieffach. 


Nachdruck verboten, — Poslscheckkonto München 5920, Erfüllungsort München. 


Löwenjagd in Afrika 


SLaF Auconanssaom Ur 








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K Ile N N Sn 


„Nicht schießen, Onkel Sam, ich bin ja der britische Löwe!“ 
„Schön, aber merke dir, der König der Wüste bin von jetzt ab ich!" 








| < W] 









Caccia al leone in Africa: ‘Non sparare, zio Sam! lo sono il leone britannico!,, 
“Bene! Bada perö che d’ora Innanzi il Re del deserto sono lo!, 


388 


München, 21. Juli 1943 B 
48. Jahrgang / Nummer 29 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Der Yankee und die Göttin der Kunst 


(Wilhelm Schulz) 

















öl. 


„Warum soll ich auf die Rücksicht nehmen — ich kenne diese Person ja gar nicht!“ 


N Yankee e la Dea dell’ Arte: “Perch& devo aver riguardo d’ essa? lo non conosco affatto questa personal,, 


Entwicklung - Sviluppo 


„Denk bloß, Emil, so'n Biest tut den ganzen Tag nischt anders als fressen und schlafen!" 
„Da sieht man erst, wie weit sich der Mensch schon von der Natur entfernt hat!“ 


(). Hegenbarth) 





"Pensa un po', Emilio, una tale bestia non fa altro che mangiare @ dormire tutto Il giorno!,, — “Solo da questo si vede quanto I" uomo sl sla digglä allontanato dalla natura!,, 


DER HERR AUS DER JUGENDZEIT 


Ich traf Oskar in der Weinstube, Oskar aß Wurst 
mitLinsen und trank dazu ein Viertel Roten. Oskar 
war sichtlich nervös, Es fiel mir auf, daß er dem 
Essen und Trinken nicht die Aufmerksamkeit wid- 
mete, die man sonst an Ihm bei dieser Beschäf- 
tigung gewohnt war. Immer wieder blickte er zur 
Tür. Manchmal wollte er sogar plötzlich aufstehen. 
„Was hast du denn, Oskar?” 

„Ach, ich erwarte einen alten Schulkameraden. 
Habe keine Ahnung, wer er ist und wie er aus- 
sieht. Ein Bekannter rief mich vorhin an und sagte: 
Ein alter Schulkamerad wollte mich hier aufsu- 
chen. Ich liebe solche Überraschungen gar nicht!” 
Oskar hatte weder die richtige Freude an dem 
Wein noch an der Wurst mit den Linsen. 

Jetzt ging wieder die Tür auf und herein trat ein 
Herr mit wehendem Vollbart. Er blickte suchend 
in der Wirtsstube umher, Gerade wollte Oskär 
aufstehen und ihn mit den Worten begrüßen... 
Mit welchen Worten wollte er ihn überhaupt be- 
grüßen? Sollte er sagen: „Du hast dich aber gar 
nicht verändert!” oder „Jetzt haben wir uns aber 
lange nicht mehr gesehen!” Und dann etwas über 
die feuchte Witterung sagen? — 

Aber er konnte sich nicht entsinnen, daß einer 
mit Vollbart in seiner Klasse gewesen war, und 
da sagte auch schon die Kellnerin: „Guten Abend, 
Herr Hauptkassier, die Herren sitzen drüben.” 
Oskar war glücklich, daß der Herr kein Schul- 
kamerad war. 

Kaum hatte er wieder zum Rotwein gegriffen, da 


ging nochmals die Tür auf, und jetzt, ja das war 
der typische Jugendfreund. Der Herr kam gerade 
auf unseren Tisch zu. Oskar breitete schon’ die 
Arme aus, um ihn herzlich zu empfangen,. wie man 
Jugendfreunde begrüßt, die einem vollkommen 
gleichgültig sind. Der vermeintliche Herr aus der 
Jugendzeit aber zog etwas aus der Tasche und 
bot Lotterielose zum Kaufe an. Oskar war sichtlich 
erleichtert und deckte sich bis zum Hals mit Lot- 
terielosen ein. Dann warteten wir wieder, aber 
es kam niemand, 

Ich sagte zu Oskar, daß es ja auch möglich sei, 
der Jugendfreund säße bereits hier. Oskars Augen 
wanderten umher und prüften alle alleinsitzen- 
den Herren auf Jugendfreundschaft. Der Mann 
konnte ja vorzeitig gealtert sein. Womöglich war 
es der mit dem weißen Schnauzbart. Oskar 
überlegte, ob er hinübergehen solle und sagen: 
„Verzeihen Sie, mein Herr, sind Sie vielleicht 
Jugendfreund?“ 

Es wurde ein recht ungemütlicher Abend. Ich 
offerierte ihm noch verschiedene Leute als brauch- 
bare Schulkameraden, dicke, dünne, alte, Junge, 
offensichtlich Verheiratete und typische Jungge- 
sellen. Oskar lächelte hierhin und verneigte sich 
schüchtern dorthin, aber niemand wollte ihn zum 
Jugendfreunde. 

Da trank Oskar seinen Wein aus und sagte ver- 
ärgert: „Ich kann Jugendfreunde überhaupt nicht 
leiden, sie stören sogar die Gemütlichkeit, wenn 
sie nicht kommen.” Foitzick 





390 


ELEMENTARISCHES 


Aus des Alltags trüber Soße, 
in dem Arm die Badehofe, 
wandelt man hinab zum Fluß, 
wegzubaden den. Verdruß. 


Länger kann man’s nicht verkraften, 
bloß am Irdifchen zu haften. 

Ein mobil’res Element 

wird von Leib und Geift erfehnt. 


Frei uns in die Luft zu heben 
und darin herumzufchmeben, 
ift uns ja, Gott fei’s geklagt, 
vorerft leider noch verfagt. 


Doch in fommerlichen Zeiten 

fchmimmend durch das Naß zu gleiten, u 
fteht auch heut fchon jedermann 

völlig frei, fofern er’s kann. 


Herrfcher zweier Elemente, 
rührt die Beine man und Hände 
und empfindet um und um 
fich als ein Amphibium. 
Ratatöshr 


Martinique 








„Nun hat er mir diesen guten Bissen auch noch weggeschnappt!'‘ 


Martinica: “Ecco ch’ egli m’ ha strappato via anche questo buon boccone!,, 


391 


WIR WAREN GÄSTE 


VON KONRAD SEIFFERT 


Eduardo Cardomida lud uns ein, den Ramon und 
mich. Wir sollten seine lieben Gäste sein. Wir 
sollten monatelang auf seiner Hazienda bleiben. 
Alles, was wir gern halten, sollte uns zur Ver- 
fügung stehen. Diese Einladung nahmen wir an. 
Cardomida war uns zu Dank verpflichtet. Bei einem 
Geschäft hatte er viel Geld verdient. Und wir 
waren es gewesen, die ihm dieses Geschäft er- 
möglicht hatten. Er hätte uns von seinem Gewinn 
einen Teil abgeben können. Aber so etwas wagte 
er uns nicht anzubieten. 

Auf der 'Hazienda Cardomidas wurden wir mit 
einer Herzlichkeit begrüßt und empfangen, die 
uns seit langem unbekannt war. Nein, es war nicht 
des Geldes wegen, das Cardomida durch uns ver- 
dient hatte: es war die Freude eines Mannes über 
das Wiedersehen mit zwei Menschen, die er 
schätzte und liebte. 

Auch Dofia Josefina, seine Frau, freute sich über 
unser Erscheinen. Und die beiden Töchter des 
Ehepaares, Dofia Elvira und Dofia Blanca, waren 
zwei hübsche Mädchen. Wir waren entzückt von 
Ihnen, als wir sie sahen, Sie hatten gar nichts von 
Jener Zimperlichkeit an sich, die einem gesunden 
Mann oft so zuwider ist. 

An dem Abend, an dem wir ankamen, gab es ein 
Festessen. Es erschien viel Wein und Likör auf 
‚dem Tisch. Wenn wir da richtig zugegriffen hätten, 
hach, das wäre eine Trinkerei geworden! Aber 
wir wußten ja, daß wir uns beherrschen mußten 
in der Gegenwart der drei Damen. 

Das Essen? Ja, es gab da vor allem Charque, Ich 
weiß nicht, lieber Herr, ob Sie das Zeug kennen. 
Charque Ist getrocknetes Rindileisch, Es soll nahr- 
haft sein, aber Ich muß das bezweifeln. Charque 
wird an der Sonne getrocknet. Das Fleisch wird 
in lange Streifen geschnitten und aufgehängt. Es 
trocknet schnell, wenn die Sonne heiß genug 
brennt. Und das tut sie oft. Nein, in der Regenzeit 
kannı man kein Fleisch trocknen. 

Wenn die Fleischstreifen In der Sonne hängen, 
dann kommen die Fliegen und alle Tierchen, die 
Flügel haben. Die setzen sich auf das trocknende 


Fleisch. Sie ahnen gar nicht, was alles Flügel hatl_ 


Ist das Fleisch trocken, dann wird es in Ballen ge- 
preßt, landauf, landab verschickt, durch den 
Schmutz gewälzt, durch den Staub gezogen. Es 
wird naß und wieder trocken. Zuweilen setzt es 
Schimmel an. Dann sieht es nicht sehr appetitlich 
aus. Und es wird gekocht und gegessen, Dochl 
Man würzt es sehr scharf. Die Tunke, in der es 
schwimmt, treibt einem das Wasser In die Augen 
und einen Feuerbrand bis in den Magen hinunter. 
Wer das Zeug nicht kennt und ahnungslos den 
Mund davon voll nimmt, der geht an innerem 
Brand schnell und lautlos zugrunde. Sagen? Nein, 
sagen kann er da nicht viel. 

Man trinkt dazu. Und die Getränke, die den Brand 
löschen sollen, sind auch keine zahmen Ange- 
legenheiten, Sie können es glauben, lieber Herr! 
Solch Trockenfleisch also setzte man uns vor. Ra- 
mon und ich, wir würgten daran herum. Denn 
Charque Ist in der Regel sehr zäh. Und was wir 
bel Don Eduardo bekamen, das war besonders zäh. 
Wir standen innerlich versengt, hungrig, durstig, 
mit schwankenden Knien und zitternden Händen 
vom Tisch auf, konnten nur noch krächzen, sagten, 
wir seien reichlich müde, verabschiedeten uns 
und gingen schlafen. 

Ach, wir schliefen schlecht. Es schläft sich nicht 
gut In solch einem Zustand, nein, wahrhaftig nicht. 
Am nächsten .Morgen waren Don Eduardo und 
Dofia Josefina reizend zu uns. Die beiden jungen 
Damen auch, Das Frühstück war gut, Ich muß das 
zugeben. 

Aber mittags gab es wieder etwas, das war un- 
genießbar, irgendetwas Ledernes, nein, es war 
wohl kein Charque, aber es war nicht viel anders. 
Und wieder war alles mit vielen vielen höllischen 
Gewürzen gewürzt, die uns, den Ramon und mich, 


fast umwarfen. Wir waren doch allerhand ge- 
wohnt. Dies aber war uns doch zu stark. 

Am Abend war es nicht viel anders. Und so ging 
das jeden Tag. Es war klar, daß wir von innen 
heraus verbrennen mußten, wenn wir das auf die 
Dauer mitmachten. Ach, lieber Herr, ein Mensch 
gewöhnt sich an mancherlei. Und auch wir wären 
auf der Hazienda Don Eduardos vielleicht doch 
nicht verbrannt, sondern hätten mit der Zeit ganz 
brauchbare Esser für scharfe Gewürze abgegeben. 
Aber wir konnten nicht einsehen, daß wir dabei 
so leiden sollten. Und wir wollten auch nicht 
immer nur auf Leder beißen. So etwas macht die 
Zähne nicht scharf, sondern stumpf. Stumpfe Zähne 
aber sind nicht schön. Und vor allem wollten wir 
satt werden. 

Jawohl, wir waren Fleischesser. Aber wir waren 
keine Trockenfleischesser, Es Ist da ein Unter- 
schied, ich weiß nicht, ob Sie den kennen und 
wie ich Ihnen das klar machen soll. Aber es ist 
ein Unterschied, Sie können es glauben. 

Nach einer Woche, ih der wir die ständige Qual 
der unbarmherzigen Gewürze und des zähen le- 
ders bei jedem Essen über uns ergehen lassen 
mußten, waren wir so ziemlich am Ende. Wir hatten 
uns den Aufenthalt als Gäste Don Eduardos anders, 
ganz anders vorgestellt. Jetzt waren wir innerlich 
verbrannt. Wir waren halb verhungert. Unsere Lip- 
pen waren rissig, unser Magen eine einzige Wunde. 
Wir sahen alles in einem roten Dunst, der vor 
unsern entzündeten Augen hin und her trieb. 

Wir hatten noch kein vernünftiges Wort mit den 
beiden Mädchen gesprochen. Sie warteten darauf. 
Wir sahen es deutlich. Sie warteten vielleicht 
auch noch auf verschiedenes andere, ich weiß 
es nicht genau. 

Und ich sagte zu Ramon: „Hier muß sich etwas 
ändern, wenn wir nicht kaputt gehen wollen! Ent- 
weder wir verschwinden — oder wir suchen uns 
selber etwas Vernünftiges zu essen!" 

Ramon wollte nicht verschwinden, noch nicht. Und 
nun tat er etwas ganz Falsches. Er war im Lande 
geboren, er kannte die Sitten und die Angewohn- 
heiten seiner Landsleute. Ich war nur ein Zuge- 
reister. Ich konnte nicht wissen, daß das, was 
Ramon nun tat, ein starker Verstoß gegen jeden 
Anstand war. 

Schlimm? Nein, schlimm war es eigentlich gar 
nicht, Das sagten wir uns. Und das werden auch 
Sie sich sagen, lieber Herr, wenn Sie erfahren, 
was der Ramon tat, Aber darauf kommt es Ja 
niemals an. Es kommt immer darauf an, wie die 
ändere Seite über das denkt, was Sie tun oder 
unterlassen. 

Also: Ramon meinte, wir könnten ein Pekarl, ein 


DER REGEN 


Der Regen singt seine Lieder. 
Es mill dir nicıt gefallen, 

Daß die Regentropfen knallen? 
Warum nidıt? 


"Sieh die Apfelbäume an: 


Sie standen nodı nie so behaglic und grün 
Im Garten! : 

Und die Sonne, die alte, kommt wieder: 
Du braudıst nur zu warten! 


Dann sdhallen die Bädıe am Morgen so kühn, 
Friscdı dampft es aus jeder Spalte, 
Die Erdbeeren glühn, 
Und die Welt sieht aus wie gesegnet: 
Was ist ihr denn schon groß begegnet? 
Gestern hat es geregnet! 

Georg Britting 


392 


Wildschwein, schießen, die besten Stücke des 
Tieres der Hausfrau überreichen und sie bitten, 
uns einen herzhaften Pekaribraten vorzusetzen. 
Da hätten wir mal etwas Frisches gehabt, was 
nicht ledern war. Und wir konnten vielleicht auch 
erreichen, daß man mit den Gewürzen sparsamer 
umging. 

Pekaris gab es in Mengen. Sie bevölkerten den 
Busch und die Savanne zu Hunderten. An einem 
Vormittag kamen wir mit zwei Schweineschinken 
an, sagten unser Sprüchlein auf — und das Ge- 
sicht der Hausfrau wurde zu Eis. Sie sah auf die 
Schinken, sah uns an, sah an uns vorbei, ließ uns 
stehen und verschwand, ohne ein Wort zu sagen. 
„Was ist das nun?” fragte Ich den Ramon. Der 
murmelte etwas vor sich hin, machte ein ernstes 
Gesicht und zog mich weg. Wir nahmen die 
Pekarischinken mit in unser Zimmer, wo wir sie 
aufhängten. 

Mittags gab es ‚etwas Ledernes mit Gewürzen. 
Niemand am Tisch sagte einen Ton. Dofa Josefina 
zeigte uns, daß sie tödlich beleidigt war. Don 
Eduardo sah sehr bekümmert drein. Die beiden 
Mädchen waren verlegen. Wir standen, wie 
Immer, hungrig und Innerlich verbrannt auf, 

Ich fragte den Ramon, was denn eigentlich ge- 
schehen sei, Und er sagte mir, geschehen sel 
nicht viel, es sei eben nicht üblich, daß ein Gast 
etwas beitrage zu seiner Ernährung. Das hätten 
wir getan, nun sei das Unglück da, hier sel kaum 
noch etwas gutzumachen, mit unserm Aufenthalt 
bel Don Eduardo werde es wohl zu Ende sein. 
Ich dachte an die beiden Mädchen, es waren 
hübsche Mädchen, wahrhaftig. Sollten wir eines 
Pekaris wegen um verschiedenes kommen, was 
uns vielleicht hätte geboten werden können? Wir 
sollten. 

Gegen Abend nahmen wir einen unserer Schin- 
ken und gingen damit in den Busch. Dort mach- 
ten wir ein Feuer an, steckten das Fleisch an 
einen Spieß, und Ramon zauberte einen Spieß- 
braten, der großartig war. Zum erstenmal seit 
unserer Ankunft auf der Hazienda Don Eduardos 
wurden wir satt. Zum erstenmal wurde unser Inne- 
tes nicht versengt. Und der Duft, ach, lieber Herr, 
der Duft des Bratens war allein schon etwas wert 
Es gab an diesem Abend bel Dofia Josefina nichts 
anderes zu essen als sonst. Aber das machte uns 
nicht vielaus. Wirhielten uns an die Flüssigkeiten. 
Und Ramon bekam es in seiner Freude fertig, einen 
Trinkspruch auf Dofia Joselina anzubringen. 
Trinksprüche sind Glückssache, Sie müssen das 
zugeben. Ramons Trinkspruch war eine unglück- 
liche Angelegenheit. Ramon erreichte es mit sei- 
nen wohlmeinenden Worten, daß Dofia Josefina 
aufstand, etwas von Unverschämtheit zischte und 
verschwand. Ihr folgten die beiden Mädchen auf 
dem Fuße, 

Nach einer Weile meinte Don Eduardo, der bis 
Jetzt kein Wort gesagt hatte: „Ja, so Ist das!" 
Dann verließ auch er das Zimmer. 

Ramon und ich, wir blieben allein zurück. In wel- 
cher Stimmung wir uns befanden, das brauche 
ich Ihnen nicht zu schildern. Das können Sie sich 
selber ausmalen. ® 

Es war alles verdorben, das war uns klar. Und 
weil uns das klar war, deshalb nahmen wir noch 
etwas von den trinkbaren Flüssigkeiten zu uns, 
die auf dem Tische standen, Ja, wir tranken recht 
kräftig. Denn jetzt brauchten wir ja keine Rück- 
sicht mehr zu nehmen auf die Damen. 

An diesem Abend verließen, wir das Haus Don 
Eduardos. Es stellte sich heraus, daß unsere Pferde 
bereits gesattelt worden waren. Ein zarter Wink 
war dasl Wir versuchten, uns von der Familie zu 
verabschieden. Es gelang uns nicht, auch nur eins 
ihrer Mitglieder zu sprechen. 

Also ritten wir davon, ziemlich lustig und recht 
laut, das kam von den Flüssigkeiten, die wir etwas 
zu schnell, zu hastig hinuntergegossen hatten. 
Den zweiten Pekarischinken nahmen wir mit. Wir 
banden Ihn hinter Ramons Sattel fest und aßen 
ihn dann noch in der Nacht auf, als wir Rast 
machten. Er schmeckte uns nicht schlechter als 
der erste, wahrhaftig nicht! 


„Timeo Danaos...“ cum 





„Rühr bloß die Puderdose nicht an — hier ist gestern ein amerikanischer Flieger drübergeflogen!“ 


“Timeo Danaos...„: "No, non toccare la scatola della cipria! Jeri vi & volato sopra un aviatore americano!,, 


393 


Hexenfußball - Partita di calcio 


delle streghe 











(Fr. Bllok) 
























































TÜREN | 


= 


Sat 





N TIROL 


VON JO HANNS ROSLER 


„Sonderbar Ist es mit den Türen bestellt”, dachte 
Josef Hinzelmann, als er durch Tirols Dörfer ging, 
„alte Bauernhäuser liegen am Wege, unverfälscht 
in ihrer Bauweise erhalten, mit geschnitzten Bal- 
konen, oft am Balkenwerk noch die Jahreszahl 
früherer Jahrhunderte. Schwarze Holzschindeln 
decken die schiefen Dächer, meterdick sind die 
Fensterbänke und die eichenen Türstöcke weisen 
Schnitzereien längst vergangener Jahrhunderte 
auf, nur die Türen selbst — jedes Haus hat eine 
moderne, sachliche und häßliche Tür. Sehen dies 
die Bewohner nicht? Ist es nicht eine Schande, 
ein so schönes Haus sein eigen zu nennen und 
an der Tür achtlos vorüberzugehen? Wenn ich 
einmal ein solchas Haus besitzen werde — —" 
Der Gedanke an die alte Tür ließ ihn nicht mehr 
los, immer tiefer ergriff die Tür Besitz von seinem 
Denken und als er eines Tages bei einem Einöd- 
bauern eine uralte Tür sah, mit Holznägeln be- 
nagelt, beschloß er, um jeden Preis diese Tür zu 
erwerben. Der Bauer, dem der Hof gehörte, war 
längst gestorben, die Pächtersleute, die nichts da- 
gegen hatten, eine neue Tür zu bekommen, wie- 
sen Hinzelmann mit seinem Begehr an die Erben. 
Und hier erlebte Hinzelmann eine neue Über- 
raschung: die Tür selbst war nicht zu verkaufen, 
hingegen wurde Ihm das ganze Haus mit der Tür 
zu einem so billigen Preis angeboten, den er 
gern für die Tür allein zu zahlen bereit war. So 
kam es, daß Hinzelmann, der in eine alte Tür ver- 
liebt war, ein altes Haus kaufte und beschloß, es 
mit Möbeln aus der Zeit einzurichten und darin 
zu leben. 

Josef Hinzelmann erwarb zunächst ein breites 
Bauernbett mit einem gemalten Himmel, auf dem 


sich zwei Schutzengel gerade Gute Nacht wün- 
schen, eine völlig verfehlte Geste, denn Schutz- 
engel sollen über uns wachen, wenn wir uns 
schlafen legen. Dann kaufte sich Hinzelmann 
einen alten Tisch; Stühle, Schränke mit den vier 
Jahreszeiten in bunter Malerei oder den sieben 
Todsünden naturgetreu dargestellt, und jedesmal, 
wenn er mit einem neuen alten Stück an der Tür 
vorüberging, nickte er der Tür vertraut zu als 
wollte er sagen: „Siehe, das tue ich für dich!” 

Mit dem Kaufen kam die Freude an den alten 
Dingen, später das Verständnis, nie jedoch der 
Verstand: Hinzelmann kaufte, bis das Haus barst. 
Schmiedeeiserne Steigbügel und Grabkreuze trug 
er heim, hölzerne Madonnen, alte Bauernuhren, 
Betpulte, Engelsköpfe, die desto teurer wurden, 
Je freundlicher sie in das irdische Dasein schau- 
ten, während übellaunige Engelsköpfe für billiges 
Geld zu haben waren, woraus Junge Fräuleins 
etwas lernen mögen — — alles dies brachte 
Hinzelmann in sein Haus, das immer wertvoller 
wurde, da auch die Handwerker ein und aus gin- 
gen, Platz und Raum für die gesammelten Schätze 
zu schaffen. Die Fußböden wurden erneuert, die 
windschlefen Fensterstöcke ersetzt, das Dach er- 
neuert, nur die Tür blieb in ihrer alten adligen 
Schönheit mit ihrem schweren eingerosteten 
Schloß, das keinem Schlüssel nachgab. An wind- 
stillen Abenden lehnte man die Tür einfach an 
und ihre eigene Schwere hielt sie an der Stelle. 
Herbststürmen jedoch gab sie allzuwillig nach 
und der Riegel fand nur kurzen Halt in dem 
müden, morschen Holz. Die alte Tür betreute nicht 
das Haus, sie war wie ein alter Mensch: leicht zu 
überreden. Und als Hinzelmann eines Tages, um 


394 


en pe AR 


eine Feuerversicherung abzuschließen, den Wert 
seines Hausrates schätzen ließ, erschrak er über 
die hohe Summe, die er nun ‚wohl gegen Feuer, 
keinesfalls aber gegen Diebstahl geschützt hatte. 
Er sah die alte Tür nicht mehr wohlgefällig an, die 
nur noch das Gnadenbrot aß und ihn hinderte, 
das Haus mehrere Stunden allein zu lassen. 

Als er gar eines Morgens Spuren eines ungebete- 
nen Gastes im Haus entdeckte, war es mit seiner 
Langmut zu Ende. Er warf der windschlefen Tür 
einen bitterbösen Blick zu und ging zu dem 
Schreiner des Ortes, sich eine neue sachliche 
Tür aus festem Holz mit festem Schloß zu be- 
stellen. 

„Sonderbar ist es um die Türen bel diesen alten 
Häusern bestellt“, sagen Jetzt die Leute, wenn sie 
an Hinzelmanns Haus vorbeikommen, „sieh dieses 
schöne Haus, wie unverfälscht In seiner alten Bau- 
weise, mit seinen geschnitzten Balkonen und sel- 
nen tiefen Fenstern, nur diese moderne und häß- 
liche Türl Wenn ich einmal ein solches Haus be- 
sitzen werde — —" 





MEIN FREUND JOHANNES 


Johannes kam zu mir. 

„Wollen wir uns heute abend irgendeiner Aus- 
schweifung hingeben?” fragte 
„Das habe ich keineswegs vor”, entgegnete ich 
bestimmt. 

„Ich eigentlich auch nicht. Aber wir sollten es uns 
jetzt fest vornehmen und uns dann nachher dazu 
überwinden, es doch nicht zu tun“, meinte er 
nachdenklich. 

„Und wozu das Ganze?” fragte ich erstaunt. 

„Ja, sieh mal, dann könnten wir uns morgen dar- 
über freuen, daß wir so vernünftig waren und des- 
halb keinen Kater haben“, erklärte Johannes. ).B. 





Stimmungen IR. Krlosch 





„Herrlich ist doch so ein Stück Natur in seiner prangenden Fülle und Unberührtheitl" 
„Werd’ nicht pathetisch wie 'n Mann, der den Übergang sucht!“ 


Sentimenti: "Quanto & bella qui la natura nello splendore della sua pienezza e verginitäl,, 
“Non fare adesso la patetica, come un uomo che cerca d’ incedervi sopral,, 


395 


DAS MÄDCHEN UND DIE GERANIE 


Das Mansardenfenster war weit geöffnet, den 
rechteckigen Ausschnitt füllten Himmel und die 
tuhenden Riesenschäfchen weißer Wolken. Die 
rotbraune und schiefergraue Landschaft darunter 
bestand aus schrägen Dächern, aus Kaminen, aus 
fernen Türmen und Drähten, aus Mauern und Alta- 
nen, von Katzen und Kaminkehrern gelegentlich 
schweigend und gelenkig belebt. Das Mädchen 
lehnte am Fenster. Es schien noch unbeweglicher 
als das stille Verhaltensein der Dinge um sie, als 
die unhörbaren Gesänge in den Antennendrähten, 
als die friedlich zu Ende gegangene Wolkenfahrt, 
als der kaum geflüsterte Rhythmus des nieder- 
gehenden Lichtes. Zwischen Ihren Augen lag eine 
Welle des Haares wie die Schwinge eines schwar- 
zen Vogels, Von der Goldflut der schon versun- 
kenen Sonne abgewendet, sah sie, das Gesicht 
nach unten gebeugt, In die violette Dämmernis 
des kahlen Hofes. Auf ihrer linken Wange lag der 
sanfte Widerschein einer roten Geranienblüte; ein 
Schimmer noch traf Ihre tiefschwarzen Locken. Die 
Blume stand In einem Topf am Gesims des Fen- 
sters und jetzt zupfte das Mädchen ein verdorrtes 
Blatt ab. Dann warf sie es In die Tiefe. Sie sah es 
dunkler und dunkler, den Schatten zugehörig wer- 
den. Ein Frösteln lief um die hochgezogenen Schul- 
tern, So wartete sie auf den Geliebten. 

Als es dunkel wurde, schloß sie das Fenster und 
zog die Vorhänge zu. Vor Ihnen stand sie, eine 
schmale, zärtlich geformte Silhouette, vor dem 
letzten Schimmer des vergehenden Tages. Dann, 
nach einer kurzen Weile, knipste sie das Licht an, 
setzte sich mit hochgezogenen Beinen in einen 
breiten Stuhl und begann in einem Buch zu lesen. 
Uber den klugen Augen waren die schmalen 
Brauen etwas überhöht wie in leichter Ironie, Der 
Mund war das Reifste in diesem Gesicht, wenn es 
auch noch nicht allzulange her war, daß er zum 
erstenmal dem zehrenden Kuß des Mannes sich 
bot. Uber dem Körper läg die bedenkenlos ver- 
schwenderische Pracht der ersten Jugend. Um so 
stärker war der Widerspruch, der aus den Be- 
wegungen kam, Ihre Melancholie war nicht zu 
übersehen. Nein, sie horchte nicht mehr auf 
Schritte, auf das Läuten der Glocke. Sie wartete 
auch nicht eigentlich; die Zeit verstrich eben und 
unter gläsernen Himmeln schwiegen alle Glocken. 
Sie sah tief in ihr Herz, wo die Liebe brannte, 
diese unendliche, würdelos gewordene Liebe zu 
diesem Mann. Noch war nichts geschehen, kein 
Wort eines Endes gesprochen. Er ist feig, dachte 
sie In einer Welle aufflammenden Zornes und wie 
haben wir uns versichert, Immer-ehrlich zu einan- 
der zu sein. Nun Ist alles anders und jeder neue 
Tag Ist eine neue Lüge. Ulla zog die Knie bis ans 
Kinn. Das Buch war aus Ihrem Schoß gefallen. 
Nicht einmal den Windstoß hörte sie, der mit 
blechernen Fingern über die Dächer trommelte, 
schnell verschwand wie ein von Erdenschwere los- 
gelöster Geist, wieder ankam, diesmal auf stamp- 
fenden Rossen, eine Mähne von Regen an die 
Fenster schüttelnd. Im Bett ist sie noch lange wach 
gelegen, bis der Traum ihr quälend und doch 
voller Süße den Geliebten in die Arme legte. 
Als es am nächsten Abend läutete, hielt'ihr Herz 
für einen Augenblick im Schlagen ein. Sie sprang 
auf und drückte die Hand an die nun wieder laut 
und stark pochende Stelle an der Brust. Dann hielt 
sie sich vor, langsam zur Tür zu gehen. Sie sagte 
vor sich hin: Er ist es ja gar nicht, es ist die Mo- 
nika. Das sagte sie vor sich hin, ohne es zu glau- 
ben. Er ist es, nur er. Es war aber kein Jubel, eher 
das Wissen und die Spannung um die Entschei- 
dung. — Ewig, grübelte Ulla für ein paar Sekunden 
im Dunkel vor der geschlossenen Tür: Ewig — 
was ist das? Wie viele Wochen ist das her — da 
fiel dieses Wort. Ewig gibt es für uns ja gar nicht 
— wer hat denn dieses Ewig überhaupt erfunden? 
Da zählte sie noch schnell die Tage, die Wochen. 
Eine ewige Liebe kann also — fünf Monate dau- 


VON ROLF FLUGEL 


ern. Dann geht sie zu Ende und eine andere ewige 
Liebe — — — Da schellte die Glocke laut und 
fordernd. Ulla öffnete: „Ach du bist es!” — „Ja, 
ich bin es!” Die Antwort war wohl um einige 
Grade zu laut; zu forsch auch versuchte er das 
Mädchen zu umarmen. Ulla drängte sich von ihm 
weg, ging vor ihm ins Zimmer. Es sah einer Flucht 
gleich. „Wie geht es?” — Es gibt eine Höflich- 
keit, die hat den Schmerz frischer Wunden. „Ach“, 
sagte sie nur und rückte an der Porzellanfigur auf 
dem Bücherbrett. Den Mann hielt es aber nicht 
lange auf dem Sessel, „Ahl” rief er und deutete 
auf die vom späten Abendlicht beschienene Wand, 
„war das Bild nicht früher auf der andern Seite?” 
Nun kam er zu dem kleinen Schreibpult. „Das 
Kalenderblatt ist von gestern.“ Er brachte das mit 
der Zelt In Ordnung, stolperte Über den Teppich 
und verlangte etwas zum Rauchen. Nie war Ihre 
Schönheit gleichzeitig flammender und schmerz- 
licher als jetzt. Sie hatte zu schwarzen Haaren 
blaue Augen. So stand sie vor dem Blaugrund im 
Rahmen des offenen Fensters. Die Farben gingen 
nicht zusammen, aber doch empfand man sie als 
einen verwirrenden Akkord. Nie war sie schöner 
und lockender als jeızt, wo die flüchtigen Schat- 
ten einer Düsternis das strahlende Gepränge ihrer 
Jugend noch erhöhten. Der Mann schien auch 
etwas zu spüren von ihrer brennenden Kühle, die 
von Ihr ausging. Er zog sie jetzt zu sich und küßte 
sie. Ihre Augen verdunkelten sich und tief senkte 
sie die Lider, um nichts von der quälenden Lust 
zu verraten, die die Küsse ihr bereiteten. Dann 
ließ er sie wieder frei und stand neben dem 
Stuhl. Es ist elne Schande, dachte sle vor sich hin, 
es ist einfach eine Schande und es überstürzten 
sich die Worte aus ihrem Mund: „Ich will nicht 
mehrl” — Der Mann sah einen Augenblick über- 
tascht zu ihr hin, ein schneller Hohn zuckte in 
seinen Augen, dann hob er leicht die Schulter und 
sagte gleichgültig, Ja fast unwillig: „Aber Ulla, 
wegen der Geschichte — das Ist doch längst vor- 


SCHLEHENLIED 


Von Herbert Fritsche 


Verblüht sind rings die Schlehen 
Nach kurzer Frühlingsfrist, 

Der Sommer läßt geschehen, 
Was seines Amtes ist, 

Die Früchte müssen reifen, 

Es reift der Kern darin — — 

Nur Wissende begreifen 

Des Werdens Weg und Sinn. 


Als noch die Blüten schäumten 
Und hell am Bergeshang 

Ihr junges Schicksal träumten, 
Kam ich den Pfad entlang. 

Die Schlehenhecke streckte 
Mir einen Zweig zum Mund. 
Ich nahm ihn: Bitter schmeckte 
Der grüne Blütengrund. 


Nun sind die weißen Sterne 
Vom Sommerwind verspielt, 
Doch keimt im bittren Kerne, 
Was auf die Zukunft zielt. 
Wer dies begreift, wird stille 
Und bleibt fortan gewiß: 

Es webt ein wacher Wille 

In jeder Bitternis. 


396 


beil” — „Mag sein — dann kommt eine andere 
und wieder eine andere — lauter Ewigkeit — eine 
nach der andern.” Und dann leiser und wie als 
wäre sie allein im Zimmer: „Ich habe nicht so viel 
Ewigkeiten — kann sein — Ich habe nur die 
eine — — —” Er versuchte ein Lachen, doch miß- 
glückte es zweifellos. Es glich eher dem häßlichen 
Schrei eines Tieres. Ich habe einen Ekel vor Ihm, 
sInnierte das Mädchen, um ihre Abwehr zu ver- 
stärken, aber als er sie jetzt mit einer brutalen, 
ölig routinierten Geschmeidigkeit neuerdings in 
seine Arme schloß, spürte sie voll eines tödlichen 
Schmerzes wieder-das Verlangen in allen Glie- 
dern. Ich bin einfach verdorben, so Jagten ihre 
Gedanken, diese armen, kummeryollen Gedanken 
wie kleine Vögel im engen Käfig flatternd hin und 
her, verdorben und der Schandpfahl ist meine 
Heimat. Sie wehrte sich kaum, als seine Hand nach 
ihr griff. In diesem saugenden Strudel gab es 
nichts mehr als Nacht, flammende Nacht, halb- 
offene Münder und erlösungsloses Ertrinken. Es 
gibt kein Erbarmen. „Kleine Ulla, nun bist du 
wieder vernünftig!” So ist die Welt des Mannes, 
so folgerichtig, von einer solch erbärmlichen Logik. 
Männer haben die Arlthmetik erfunden und das 
Ziffernsystem. Sie entdecken den Wald, indem sie 
die Bäume zählen und die Liebe — Ulla stand Jetzt 
am Fenster — sie zählen auch in der Liebe — eins, 
zwei, Ewigkeit, eins, zwei, hoppla Ewigkeit. Für 
einen kurzen Augenblick schwang der von breiten 
Schwingen: getragene Leib eines Vogels durch 
den Himmel, Erst als er längst verschwunden war, 
ertönte sein Schrei. 

Wieder dämmerte der Schacht des Hofes in den 
verwesenden Farben des sterbenden Lichts. Ulla 
beugte sich über das Gesims. Ihre hängenden 
Locken bewegie ein zögernder Wind. Ach, da 
unten lag Ja der Stock mit der Geranienblüte, ein 
blutrot leuchtender Ball auf dem kleinen Grab- 
hügel der eigenen Erde, Der Mann hörte ihren 
kurzen Ruf. „Was Ist?” — „Die Geraniel" Er kam 
neben sie an das Fenster, Ein blauroter Himmel 
flammte als Echo der gestürzten Sonne. Aus dem 
immer mehr in sich zusammensinkenden Schwarz 
in der Tiefe des Hofes hob sich wie ein blutendes 
Haupt die Geranienblüte. Das Mädchen richtete 
sich auf. Plötzlich schien ihre Demut, ihre Verzagt- 
helt In Stolz verwandelt. „Das ist nämlich so, daß 
sie sich selbst hinuntergestürzt hat.” Das sagte sie 
sehr bestimmt. Der Mann hob mit einer plötzlichen 
Bewegung den Kopf. „Wer hat sich hinunter- 
gestürzt?” — „Die Geraniel’' — „Die Geranie hat 
sich hinuntergestürzt?” Ulla nickte, „Sie mußte es 
nämlich tun — sle hatte keinen anderen Ausweg 
mehr.” Der Mann richtete an seiner Krawatte, Er 
hatte im Glas des einen zurückstehenden Fenster- 
flügels sein Bild entdeckt. Er stand schon tief im 
Düstern und nur die kräftige Farbe der Binde war 
noch klar zu erkennen. „Unsinn — das ist ja Un- 
sinn!” — Alle Dinge, Stühle, Tisch, Schrank und 
Bild, der Mantel, der unachtsam über die Kom- 
mode geworfen war, hatten ihre Gestalt verloren. 
Sie waren im Dahinsiechen des Lichtes in einer 
schrecklichen Auflösung begriffen. Der Mann schüt- 
telte mit eckiger Bewegung diese Stimmung ab. 
„Das ist natürlich der Wind gewesen, der Sturm- 
wind von gestern abend.” Er war verblüfft, wie 
schwer er sich tat, an seine eigenen Worte, an 
diese doch so natürliche Erklärung zu glauben. 
Des Mädchens Stimme — er konnte ihr ‚Gesicht 
kaum mehr erkennen — antwortete ohne Erregung 
und ohne Betonung: „Was blieb ihr denn noch 
übrig, da sie den Wind liebtel” Der Mann ant- 
wortele irgendwo aus dem Dunkel her und es 
war ein unsicheres Flackern in seiner Frage: „Es ist 
also ein Selbstmord gewesen?" Darauf bekam er 
keine Erwiderung. Das Mädchen erzählte jetzt die 
Geschichte von der Geranie und dem Wind und 
es war, als würde sie es aus einem Buch heraus- 
lesen, so ohne Zögern und so im richtigen Satz- 


bau war es hergesagt: „Sie Ist die einzige Ge- 
ranie gewesen im welten Geviert des Hofes. Als 
ihre erste Blüte zu ihrem eigenen Entzücken sich 
entfaltete, kam der Wind zu ihr. Sicher ist er schon 
früher dagewesen, aber sie spürte ihn nicht. Nun 
strich er mit zärtlichen Fingern über sie hin, daß 
sie zum erstenmal erschauerte. Es fügten ihre 
Blüten sich daraufhin zu köstlichen Kugeln, Mit 
leisem Seufzen, spielerisch und mit der scheuen 
Zärtlichkeit eines schüchternen Liebhabers kam er 
zu ihr und mit den sicheren derben Griffen des 
Sieggewohnten. Einmal fragt sie ihn mehr aus 
einer glücklichen Laune als aus Sorge heraus, 
während sie seinen süßen Hauch um Ihre Blätter 
wand, ob er sie denn auch allein liebe und was 
er denn treibe, wenn er fern von Ihr weile. Da 
blase er In die Räder der Windmühlen, da spanne 
er weiße Segel auf vielen blauen Meeren. Natür- 
lich liebe er sie allein, natürlich, und er hatte ein 
mutwilliges Lachen, liebe er sie allein. Dabei wies 
er auf das Geviert des Hofes mit seinen vielen 
Fenstern, Dort stand der grüne Stiftenkopf eines 
Schnittlauchtopfes, dort der stachlige Rundschädel 
einer Kaktuspflanze. Was sie denn von ihm glaube. 
Sie sei die Schönste, die Allerschönste Im roten 
Tanzkleid ihrer herrlicherblühten Jugend. Es war 
ein Jubilleren in den Lüften, wenn kam, und 
wenn er mit Dachziegeln schmiß, liebte sie den 
Ungebärdigen nur mit um so heißerer Flamme. 
Das Glück der Geranie war grenzenlos, sie 
schmückte sich mit Immer neuen Blüten. Eines 
Tages stand auf dem Nachbarfenster eine zweite 
Geranie, eine hellrote, Als der Wind kam, stutzte 
er einen Augenblick und machte dann vergnügte 
Augen, Dann stürzte er zu Ihr und es war eigent- 
lich wie immer. Im Fortgehen’ strich er, so wie 
man mit kecken Fingern einmal über die Saiten 
einer Harfe streicht, der Hellroten über die Blätter. 
Bald teilte der Wind zwischen der Dunklen und 
der Hellroten die Blicke seiner Augen, den Wohl- 
laut seiner Stimme, die Zärtlickheit seiner Finger. 
Bald würde er die Hallrote bevorzugen. Um dies 
nicht mehr zu erleben”, so schloß nun das Mäd- 
chen Ulla und ihre Stimme, diese dunkle Stimme 
In der gepreßten Blindheit eines grenzenlosen 
Raumes, kam zu Ende, „beschloß die Geranie, zu 
sterben.” 

Ja, da war nun schwer dagegen anzukommen. Der 
Mann, der schon vorher mehrmals eine dieses 
Nachtgespinst zerreißende Antwort versucht hatte, 
schwieg zunächst. Zwischen drinnen und draußen 
war nun kaum .mehr ein Unterschied. Es flutete 
eine gnadenlose Nacht mit lauen Stößen in die 
Mansardenstube. Schließlich ertönte ein krächzen- 
der Laut: „Ich muß jetzt fort!“ und dann ohne Ab- 
schied, schon vom Gang draußen, wo man seine 
stolpernden eiligen Schritte hörte: „Morgen ruf 
Ich anl“ Eine Tür fiel ins Schloß und Jetzt klang 
es, als wäre es durchs Schlüsselloch gerufen: „Es 
wird alles gut!” — Es schienen keine Sterne und 
kein Mond. Wie könnten Elfen tanzen auf blau- 
grünen, leuchtenden Wiesen, wo könnten die 
Geister sich dem Menschen im Reigen verbinden! 
Es gab keinen Stern für Ulla, keinen Prunkstern und 
keinen, der seinen Glanz mehr aus den Ahnungen 
des menschlichen Herzens als aus der Wirklichkeit 
bezieht, keinen von den Allerkleinsten, den noch 
eine Mädchenhand umschließen könnte. Schon hat 
Ulla, vornübergebeugt, ihr Haupt der Tiefe v 
mählt, Dort unten — das konnte genau so gut der 
Himmel sein. Was uns anzieht, ist das immer die 
Tiefe? Das Mädchen hatte jetzt keine Gedanken 
weiter. Es war nichts mehr als ein Teil des dunklen 
umrißlosen Raumes, verschwunden wie Tintenzeug, 
Buch, Lampe und Messinghahn. Tropfen fielen in 
ein Becken. Es war der schwerfällige Augenauf- 
schlag einer schläfrig gewordenen Zeit, Was galt 
es auch noch zu erjagen? Für kurze Augenblicke 
gab es ein schweres Rauschen in der Luft, ein laut- 
loses, schaukelndes, schwarzes Schweben, eine 
Himmelfahrt vielleicht, die von der Höhe kam, die 
ein Unteres war. Von Irgendwoher glaubte man 
ein kurzes ächzendes Geräusch zu spüren. Es war 
wie der fauchende Schwingenschlag eines torkeln- 
den Nachtvogels. 














Sport della pesca all'’amo 


Angelsport - 


(F. Bloyer) 








„Bei den Fischen kein Glück, bei den Männern kein Glück — 
sollte Ich vielleicht falsche Köder verwenden?" 


“Nessuna fortuna col pesci! Nessuna fortuna cogli vomini!... Che forse sia falsa I’ esca che adopero?,, 


EINE AKTUELLE FRAGE 


Im März dieses Jahres starb in Kopenhagen die 
berühmte dänische Schauspielerin Betty Nansen. 
Frau Nansen, die In Frederiksberg ihr eigenes 
Theater leitete, galt Im ganzen Norden als eine 
der bedeutendsten Tragödinnen. Vor dem Krieg 
reiste sie mit ihrem eigenen Ensemble in ganz 
Europa auf Gastspielreise, 

An einem heißen Sommertag spielte Betty Nansen 
mit ihrer Truppe in Skagen. Da das Wetter so 
schön war, gingen die Leute lieber an den Strand, 
als abends ins Theater. In dem Stück hatte Betty 
Nansen ein Medium darzustellen, das in Trance 
fiel und dann die Seelen der Verstorbenen her- 
beirufen konnte. Der Schauspieler Peter Fjelstrup 
war Betty Nansens Partner. Er hatte, wenn das 
Medium in Trance fiel, die Frage zu stellen: 
„Hallo, ist da Jemand?” 

Diesen einen Satz hatte Fjelstrup auf alle mög- 


397 


lichen und unmöglichen Arten schon hervorge- 
bracht, mal mit hoher, mal mit tiefer Stimme, mal 
leise flüsternd, und dann wieder laut brüllend. 
Frau Nansen mußte immer darauf gefaßt sein, daß 
Fjelstrup sie aus der Fassung brachte, aber bis 
Jetzt hatte sie sich noch Immer beherrschen können. 
An diesem heißen Sommerabend aber war der 
Thestersaal fast ganz leer. Ja, man kann wirklich 
sagen, es waren Überhaupt keine Zuschauer. Als 
nun die bekannte Szene zwischen dem Medium 
und Fjelstrup kam, geschah folgendes: Fjelstrup 
rief laut: Hallo! Dann lauschte er, schüttelte den 
Kopf, ging bis an die Rampe heran und rlef über 
den leeren Zuschauerraum: 

„Hallo, ist da jemand?“ 

Frau Betty Nansen bekam einen solchen Lach- 
krampf, daß sie zehn Minuten lang nicht weiter- 
spielen konnte. ,, 


- 


Rivalität 


(K. Helligenstaedt) 





„Schau mal, die da drüben hat genau deinen Badeanzug an... .!" 
„Pah — typischer Fall von Schaupackung!"* 


Rivalitä: “Guarda un po’, quella laggiö porta un costume precisamente come il tuo....!,, 
“Ma che! Un caso tipico di campione da mostra!,, 


398 


BUCH 
FÜR FRAUEN 


VON JOSEF ROBERT HARRER 


Grinetti, Professor der Philosophie, berühmter 
Psychologe und Kenner der Frauen, ist weit über 
die Grenzen seines Landes hinaus bekannt und 
geehrt. Denn sein „Buch für Frauen‘ gibt der an 
sich holden Weiblichkeit ein gewaltiges Arsenal 
von Waffen im Kampfe um den Mann. Und die 
Frauen vergöttern ihn, der, modern wie keiner, 
ihnen für jeglichen Männertyp den richtigen Kampf- 
plan in seinem „Buch für Frauen” darlegt. Es gab 
Frauen, die über Grinetti lächelten; wenn sie aber 
sein Buch lasen, sagten sie bewundernd: „Oh, 
dieser Grinettil Auch Ich habe von diesem Zau- 
berer neue Methoden gelernt!” 

Es würde uninteressant sein, über Professor Gri- 
netti elne Geschichte zu erzählen, auch wenn sie 
noch so kurz wäre, wenn nicht die merkwürdige, 
Ja unglaubliche Tatsache bestünde, daß sich der 
Professor selbst aus den Frauen gar nichts machte. 
Er Ist tatsächlich ein Lehrer der Praxis, der aber 
selbst Immer Theoretiker bleibt. Was seine Person 
betrifft, hat er keinen Blick, keinen Gedanken, 
keine Minute für die Frauen übrig. Daß ihn die 
Frauen dankbar bewundern, das läßt ihn kalt, ihn, 
den berühmten Frauenkenner; und vielleicht eben 
deshalb, weil er ein Frauenkenner ist! 

Seine Freunde, auch die Weiberfeinde unter ihnen, 
die dank seinem Buche alle bereits von Frauen in 
das goldene Netz der Ehe gezogen worden sind, 
wollen auch den Professor „bekehren”, wie sie 
sagen, Sie verschenken sein „Buch für Frauen” an 
schöne Vertreterinnen der holden Weiblichkeit 
und bestürmen sie, den reichen, stattlichen, im 
besten Alter stehenden Grinetti einzufangen und 
zwar mit seinen eigenen Methoden. Es ist vergeb- 
lich. Selbst Frauen, die Siege zu sammeln gewohnt 
sind, die die des Herbstwindes über die dürren 
Blätter In den Schatten stellt, selbst sie haben bei 
Grinetti keinen Erfolg. So hieß es bald, um Gri- 
netti zur Strecke zu bringen, müsse eine neue 
Pompadour, eine Kleopatra, eine moderne Phryne 
kommen, 

Das ging so welt, daß eine große mondäne Zeit- 
schrift, die durch ihre boshafte Schreibweise be- 
kannt war, eines Tages den Frauen vorwarf, daß 
sie eben zu schwach, zu wenig schön und viel zu 
temperamentlos seien, als daß sie den großen 
Grinetti fesseln könnten. Gleichzeitig wurde iro- 
nisch ein Preisausschreiben angekündigt, das jener 
Frau einen bemerkenswerten Preis in Aussicht 
stellte, die den Sieg über Grinetti erringen werde. 
„Wir werden aber leider nie in der Lage sein, 
den Preis zu verteilen, weil es eine solche Frau 
nicht gibtl” 

Ein Junges, schönes Mädchen, das schon längst 
heimlich ein Auge auf Grinetti geworfen hatte, las 
diese Zeilen und ärgerte sich, daß man den Frauen 
immer wieder Vorwürfe machte, daß sie alle ihre 
Künste an Grinettl vergeblich versuchten. Sie nahm 
Grinettis Buch noch einmal gründlich vor, sie 
grübelte Nächte lang und kam endlich zu einem 
Plan. 

Sie fand Gelegenheit, mit dem berühmten Profes- 
sor zusammenzukommen; er empfing ja jede Frau, 
die ihn aufsuchte, Er lächelte gütig und mitleidig. 
Aber das tapfere Fräulein ließ nicht locker, es ließ 
sich nicht aus der Fassung bringen. Es entspann 
sich ein Rededuell, an dem der Professor umso- 
mehr Freude und Behagen fand, als ihm das Mäd- 
chen keine verliebten Augen machte. 

Die beiden trafen sich öfter, sie debattierten, sie 
stritten, und das Mädchen wurde ihm sympathisch. 


Verlag und Druck 


anstalten entgegen, — Bezugspreise 


Knorr & Hirth Kommanditg 


Verantwortl. Schriftlelter: Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal, 
Einzelnummer 30 Pf.; 







(69. Gaggell) 


Aussichten - Prospetiive 


„Glaubst du, Eduard, daß es auch für uns dermaleinst ein Wiedersehen geben wird?" 


„Ich fürchte, ich fürchte, Amalie!" 


*Credi tu, Edoardo, che anche nol ci rivedremo un giorno?,, — "Lo temo, sl, Amalia; lo temol,, 


Eine Woche später wurde der Professor unruhig, 
seine Antworten klangen zerfahren. 

Und wieder eine Woche später war Grinetti be- 
siegt. Er bat das Mädchen um einen Kuß. Mit 
einem Wort, Grinetti war Hals über Kopf in das 
hübsche Mädchen verliebt. 

Als sie geheiratet hatten, fragte ein Freund 





Grinettis heimlich die Junge Frau, wie es ihr nur 
habe gelingen können, den unnahbaren Professor 
zu gewinnen. Sie lächelte und sagte: 

„Eigentlich war es ganz leicht! Ich habe sein ‚Buch 
für Frauen‘ genau studiert und dann praktisch in 
allen Punkten das Gegenteil dessen gemacht, was 
Grinettl als Regel aufgestellt hattel” 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





„Jessas na“, sagı Frau Papanek zu Frau Wrtilek, 
„alsdann, na so was! Haben S’ alsdann do wieder 
g’heirat? Na hörn S‘ aufl Und gestern hab i Ihna 
mit'n Herrn Gemahl g’sehn! — Aber wissen $’, 
ans versteh’| bei der Sach net —” 

„Was verstengen S’ denn net, Frau Papanek?” 
„No jo“, sagt Frau Papanek, „es geht mi ja nix 
an, net wahr ja, und dann sind die Gusto und 
Ohrfeigen ja allemal verschieden; aber daß gar 
so an klanen Menschen g’heirat haben! A so a 





IIschaft, München, Sondlinger Stra; 





Abonnement im Monat RM. 1.20. 


0 (Fernruf 1296). Briefanschrift 


Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen 
— Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegt. — 


große und starke Frau wie Sie ane sein tuan — 
und so a gschmachtiger; klaner Mann —” 

„Schaun $’, Frau Papanek", antwortet darauf Frau 
Wrtilek, „i hab mir halt denkt, soll i a Wittfrau 


bleiben oder no amal heiraten? Na — und da 
hab i halt von de zwa Übeln das klanere g’wählt!” 
H.K.B. 

* 


„Wissen $’, Fräulein Lilly”, sagt Bobby, als er 
mit Lilly die Treppen des Wiener Hochhauses 
hinaufklettert, „früher, wie der Lift noch gegangen 
ist, war das doch viel angenehmer!” 

„Das glaub ich!” lacht Lilly, „Aber ich. bin immer 
mit dem Paternoster da gefahren, das war viel 
lustiger!" 

„Jessas na, der Paternosterl” Bobby bleibt stehen 
und betrachtet sinnend den stillgelegten Pater- 
noster. „Fräulein Lilly“, meint er nach einer klel- 
nen Weile, „ob Sie mir's glauben oder net, wie 
er noch funktioniert hat, der Paternoster,. bin ich 
einmal dagestanden und hab die Kasterin zählt 
— aber nach fünf Stunden hab ich's aufgeben — 
weil immer noch neue kommen sindI” H.K.B. 





München 2 BZ, Brieffach. 
Zellungsgeschäfte und Post- 


Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München, 


Im dunklen Amerika 


{E. Thöny) 








„Auf welchem Kriegsschauplatz ist denn dein Junge, daß du so Angst um sein Leben hast?“ 
„Er ist nicht im Krieg; er ist Arbeiter in Detroit, das ist viel gefährlicher!“ 


Nell’ oscura America: “In che teatro della guerra si trova mal tuo figlio, che temi tanto per la sua vita?,, 
“Egli non & in guerra; & lavoratore a Detroit e ciö & assal pl pericolosol,, 


400 


München, 28. Juli 1943 i 
48. Jahrgang/ Nummer 30 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Der englische Konservative 


(E. Thöny) 


1 














„Ich verstehe gar nicht, warum ich früher das rote Tuch nicht leiden konnte, da ist doch gar nichts dahinter!‘ 


Il conservativo inglese: ‘Non capisco affatto perch& io prima non potessi soffrire il panno rosso. Non c' & proprio nulla.di misterioso sotto!,, 


Der Pomologe - Il pomologo 


{R. v. Hoerschelmann) 








Mitteilung an eine Unbekannte 


Montag, den 19, Juli 1943, nachmittags 14 Uhr 26 
habe ich Ihn zum letztenmal gesehen, Er lag 
hinter dem Museum auf der Gehbahn und streckte 
alle fünfe von sich. Ich weiß die Zeit genau, denn 
ich habe auf die Uhr gesehen, wie alle Detektive 
tun, wenn sie etwas entdecken, und ich hätte auch 
große Rauchwolken aus meiner Pfeife geblasen, 
wie auch die Detektive in solchen Fällen tun, da 
ich aber keine Pfeife bei mir hatte, konnte ich 
keine Wolken blasen. 

Ich sah, wie ein alter Herr von oben auf ihn 
herunterblickte und den Kopf schüttelte. Vermut- 
lich hat er, von diesem besonderen Fall ausgehend, 
etwas Allgemeines gesagt, über die Menschen, 
über die Zeit, über die Vergänglichkeit, 

Dann kam ein junger Mann und schleuderte ihn 
mit der Stockspitze ein Stückchen weiter gegen 
das Museum zu. Dann liefen zwei Buben herbei, 
“und der eine hob Ihn auf und schmiß ihn dem 
andern ins Gesicht, worauf eine kleine Prügelei 
mit unentschiedenem Ausgang entstand. Dann kam 
ein Mann und sagte zu mir herüber: „Den hat 
jemand verloren.” Er nickte dabei mit dem Kopf 
und drückte dadurch sein Beileid aus. Ich faßte 
mir ein Herz und hob Ihn auf. Ich wartete aber 
damit, bis Leute vorbeikamen, die es sehen konn- 


ten, denn ich wollte nicht in den Verdacht kom- 
men, es heimlich zu tun. Es war wirklich ein sehr 
schöner Handschuh. Hier sein Signalement: Nappa- 
leder, außen dunkelblau, innen karminrot, weiß 
zusammengesteppt. Das Eleganteste, was man zur 
Zeit nicht mehr auf dem Markt findet, ich fand ihn 
aber auf der Straße. Er war funkelnagelneu. 

Man sollte ihn aufs Fundbüro bringen, den schönen 
Handschuh, dachte ich. Aber dann hätte ich ihn in 
die Tasche stecken müssen und was hätten die 
Leute von mir gedacht! Ich gestehe, ich hatte 
Angst vor dem Verdacht. Ich legte ihn deshalb 
vorsichtig über das niedrige Gitter und dachte 
dabei das Übliche. 

Ich wollte weitergehen. 

Also, gnädige Frau, es muß heraus! Wenn Sie diese 
Zeilen erreichen, ist Ihr rechter Handschuh nicht 
mehr. Ein Hündchen kam, gnädige Frau, schnup- 
perte an ihm, biß hinein, schleuderte ihn sich um 
die Schnauze, wie Hündchen tun, und tat dann 
noch etwas, was Hündchen gerne tun. 

Meine Dame, es wird Ihnen kaum ein Trost sein, 
aber ich kann Ihnen sagen, es war ein sehr feiner 
und gepflegter Hund, Ich konnte Ihren Handschuh 
nicht mehr retten, ich habe ihm Ihre letzten Grüße 
bestellt. Foitzick 


402 


DER TOD IN DER RUINE 


So liebt's Die Katze und fo liebt’s Die Eule: 

In Trümmern liegt das Schloß unter dem Mond 
Von niemand mehr, von Ratten nur, bewohnt. 
Zur Eule fast der Tod: Nun, Bruder, heule 


Den Jammerton! Er Ichnt an einer Säule, 

Die blieb, als lette, vom Verfall verfchont. 

Ob fich die Jagd heut nacht denn auch gelohnt? 
Fragt er die Katze dann. Moder und Fäule 


Dampft aus den Trümmern her. Er atmet tief: 
Das ift fo der Geruch, wie ich ihn mag! 
Ihr Freunde, kommt, und fest euch neben mich! 


Sie kamen beide, die ihr Herr fo rief: 
Die Katse kam mit leifem Pfotenfchlich, 
Die Eule kam mit fchiwerem Flügelfchlag. 


Georg Britting 


MEIN FREUND JOHANNES 


Martin und Johannes hatten mir in meinem Garten 
geholfen. Als es begann, zu dämmern, brachten 
wir die Geräte in den Schuppen. 

„So, liebe Freunde, nun möchte Ich euch zum 
Dank ein schönes, kühles Glas Wein vorsetzen”, 
sagte ich. 

Damit waren sie durchaus einverstanden, 

Wir gingen also hinein, und während ich die 
Flasche aus dem Keller holte, machten die andern 
sich daran, ihre Hände zu waschen. Ich hatte eben 
eingeschenkt, als Martin auch schon fertig war 
und ins Wohnzimmer kam. Er mußte sich sehr be- 
eilt haben. 

In sichtlicher Vorfreude auf den Genuß schaute 
er auf die Gläser, die ganz gleichmäßig zu füllen 
mir mißlungen war, 

„Welches Glas ist für mich?” fragte er und blickte 
dabei deutlich und begehrlich auf das vollste, 
Johannes hörte es draußen. 

„Das anderel” rief er schnell, 


* 


Renate hatte uns gebeten, Ihr unser Koffergram- 
mophon zu leihen. Nun war sie auf unsere Zusage 
hin erschienen, es abzuholen. 

„Ich mußte schon selber kommen”, erklärte sie. 
„Es hatte sonst niemand Zeit, und wir wollten es 
Ja gerne heute Abend schon haben. — Ist es auch 
nicht allzuschwer?” 

„Nein, nein, vielleicht 5 Pfund“, log Johannes, 
Beruhigt zog Renate damit ab. 

„Aber Johannes”, schalt ich, „Wie kannst du so 
schwindeln! Du weißt doch genau, daß das Ding 
mit Platten mindestens 20 Pfund wiegt.” 
„Natürlich weiß ich das“, verteidigte sich Johan- 
nes ruhlg. „Aber Ich weiß auch, daß Renate sich 
nicht gerne so abschleppt.” 


* 


Wir kannten einen, der hatte sich auf das Schrei- 
ben ‚von Operetten-Texten geworfen. Nicht ohne 
Erfolg übrigens, 

Eines Tages besuchten wir ihn in seiner Behausung. 
Er empfing uns freundlich und führte uns in sein 
Arbeitszimmer. Das war wirklich nett und an- 
heimeind eingerichtet. An den Wänden hingen 
schöne und, wie uns schien, wertvolle Bilder. An- 
erkennend betrachteten wir sie. 

„Originale?” fragte Johannes. Ich hätte nicht ge- 
fragt. Sowas hat man doch selber zu sehen, 
„Nein. Nur gute Kopien alter Arbeiten“, wehrte 
unser Gastgeber bescheiden ab. „Leider muß ich 
mir daran genügen lassen.” 

„Wie bei Ihren Texten“, nickt Johannes verständ- 
nisvoll. J.Bieger 


Der Gangster beim Übungsschießen 


(Wilhelm Schulz) 


nn 0 en 





„Kann der Zielfigur nicht eine Polizeiuniform angezogen werden? Da treffe ich besser, darauf habe ich mich eingeschossen !"* 


Il gangster nell’ esercizio di tiro a segno: "Non si puö mettere indosso alla figura di 
bersaglio un’ uniforme di poliziotto? La ci colpisco meglio, perch& ce n’ ho buona pratica!,, 


403 


Janus — John Bull (0. Gutbrannan) 





verrichtet seine Abendandacht. 


Giano — John Bull fa le sue devozioni della sera. 


404 


ALS MARGOT GING 


VON SCHLEHDORN 


Es war einmal ein großstädtischer Kleinkonsumtions- 
betrieb, dessen Belegschaft, nachdem der einzige 
Arbeitnehmer einen Arbeitsplatzwechsel vorge- 
nommen hatte, sich ledig!ich aus zwei Arbeit. 
gebern zusammensetzte, die im Verhältnis mit- 
äarbeitender Familienangehöriger standen. 

Kürzer: der Haushalt bestand aus einem Ehepaar, 
da die Hausangestellte Margot — wie sich Marie 
ausbedungen hatte, gerufen zu werden — zum 
Ersten endgültig gegangen war. 

Margot gehörte zu den Glücklichen, die stets mit 
sich zufrieden, und zu den Unglückiichen, die 
steis mit der Welt unzufrieden sind. Unten trip- 
pelte sie auf recht hübschen seidenen Beinen, 
oben war sie — sagen wir — selbstbewußt. 
„Schließlich und endlich weiß ich ja auch, was 
ich zu beanspruchen habe”, pflegte sie zu sagen. 
Ihre Träume waren echte Kintopp-Pflanzen. Eines 
Tages 'würde Er auf sie zutreten, dan hellgrauen 
Hut ziehen und sprechen: „Gestatten, Graf Licht- 
burg-Filmeck” oder: „Mein Name ist Millionär 
Müller“, und fortfahren: „Dich, Margst, hatte ich 
gesucht durch fremde Lande.” Darauf sie selbst: 
„Ja, mein Herr, das hätten Sie einfacher haben 
können Schließlich und endlich weiß Ich ja auch, 
was ich zu beanspruchen haba.“ 

Also Margot hatte gestern das Haus verlassen 
und wirft nun ab morgen beiDr. Schwarz das gute 
Meißner entzwei und kocht in ihrer Weise, so 
daß Schellfisch mit Senfsoße und Schokoladen- 
pudding gleichschmecken, nämlich nach gar 
nichts, und wünscht schon nachmittags auszu- 
gehen, „schließlich und endlich weiß ich ja 
auch ...” usw. 

Zurück blieo (außer dem Sachschaden) ein unbe- 
seizter Arbeitsplatz die Arbeit dazu und — die 
Arbeitgeber, Er, Dr. Emil Schachtelhirm, der Haus- 
haltungsvorstand, besser Haushaltungsaufsichts- 
ratsvorsitzender (denn die laufenden Geschäfte 
überließ er seiner Frau), war in der Abteilung Or- 
genisation und Statistik einer Großwirtschafts- 
stelle tätig — daher oben die Einleitung, Seine 
Fıau Barbara war „ohne Beruf” — als ob Hausfrau 
kein Beruf wäre und nicht einer der schwersten, 
schönsten, notwendigsten und natürlichsten. Haus- 
frauen gab es schon, als die Menschen noch in 
Höhlen wohnten, una noch kein Postbote oder 
Gasmann oder Portier klingelte. „Entschuldige 
einen Augenblick”, sagte Barbara und ging öffnen. 
Dann setzten sie sich wieder zusammen (Barbara 
stopfte Strümpfe) und erwogen, wie dieser Per- 
sonalausfall sich ersetzen ließe. 

„Könnte ich nicht die Arbeit im Nebenberut er- 
ledigen?” meinte er, „arbeitsrechtlich wäre das 
ohne Bedenken, zumal ich jetzt dre! Tage dienst- 
frei bin” 

„Wie würdest du wohl aussehen mit Tändelschürz- 
chen und Häubchen”, spottete sie, Er strich sich 
über den handbreiten Scheitel und erwiderte: 
„Schließlich und endlich weiß ich ja auch, was 
ich zu beanspruchen habe. Aber etwas helfen 
könnte ich dir” Und begab sich in die Küche, 
wo er bisher nur gelegentlich zuschauend, sozu- 
sagen zu. Betriebsbesichtigungen, geweilt hatte, 
Mit dem ersten Blick bemerkte er zahlreiche 
Mängel, Das ist immer so: tüchtige Menschen 
möchten beim Eintritt In eine neue Dienststelle 
alles reformieren; mit der Zeit werden die Dinge 
immer größer und man selbst immer kleiner, ge- 
nau wie im Gebirge, wenn man erst anfängt, zu 
klettern. In der Küche wurden z. B. ein halb ab- 
gebrochene: Holzlöffel und e'ne Gabel mit nur 
noch zwei Zinken am meisten benutzt Da fanden 
sich nebeneinander vier aufhöänabare Porzellan- 
dosen „Grief“, „Salz”, „Mehl“, „Mehl”. 

„Wieso zweimal Mehl?” 

„Na. in dem ander ist das Salz.” 

„Und in dem für Salz?" 

„Darln ist doch der Zucker, Dummchen.” 

„Und In Grieß?” 

„Na, die Nudeln.” 

Bitte. man stelle sich bei Akten Ähnliches vor. 
Etwa In den Generalakten „Jubiläen und Extra- 
gratifikationen” die Müllabfuhr und die Beschwer- 
den. Dann wären Organisation und Statistik un- 
möglich 

„Also zunächst muß hier einmal Ordnung aeschaf- 
fen werden“, beschloß er. Und während Barbara 


das Haus verließ, ordnete er das Salz in die Dose 
für Salz ein usw. (Übrigens, haben Sie schon mal 
Erdbeeren mit Salz gegessen? Schachtelhirns taten 
das am Abend.) Dann begann er mit der Inven- 
tarisierung: Pfeffer läßt sich abwiegen, Lorbeer- 
blätter zählt man. Und all die kleinen Tütchen 
mußte Frau Barbara wieder einpacken, als sie mit 
einem vollen Netz (zwei Kohlköpfe, Putzsand, 
Obst, Streichhölzer usw.) heimkehrte. 

„Ja, hast du denn kein Eingangsbuch, kein Ma- 
terialbestandsverzeichnis, keine Verwendungs- 
nachweisung?” Kopfschüttelnd zog er sich in sein 
Zimmer zurück und begann mit der betriebs- 
wirtschaftlichen Planung. Zwischen leitender und 
ausführender Tätigkeit besteht nun einmal ein 
unabdingbarer Unterschied. Eine Arbeitszerlegung 
nach sachlichen Gesichtspunkten erschien logisch 
geboten. Zunächst mußte Innen- und Außendienst 
getrennt werden Und so welter. 

Inzwischen hatte Frau Barbara die Zimmer geord- 
net, die Betten gemacht, gekocht, den Tisch ge- 
deckt und rief ihn zum Essen. Er legte ihr einen 
Organisationsplan vor. 

„Du hast recht”, sagte sie, „vielleicht deckst du 
heute abend den Tisch.” (Wie schwer es ist, von 
drei Sorten Löffeln die richtigen zu wählen und 
wie leicht, drei Sorten Teller zu verwechseln, 
wurde ihm am Abend klar.) 

Nach Tisch arbeitete er die betrieblichen Sofort- 
Maßnahmen aus. Seine Frau hatte Inzwischen das 
Geschirr abgewaschen, Hemden gebügelt und rief 
Ihn nun zum Kaffee. Dabei legte er ihr bereits 
den Entwurf eines Inserates vor: „Für kleineren 











I 


) 


Konsumtionsbetrieb wird ein Materialverwalter, 
ein Kassenbeamter, ein Beamter für den Außen- 
dienst und außerdem Personal für Küche und 
Zimmerreinigung gesucht.” 

„Wären denn alle die Leute beschäftigt?” sagte sie. 
„Na, und ob! Notfalls mit Zuständigkeitsabgren- 
zung. Bei zwei Angestellten ist ein dritter jeweils 
zur Beaufsichtigung zu verwenden, Bei fünfen 
wird schon ein Steuer- und Lohnbüro erforderlich. 
Kind, das Ist doch der Segen der Organisation, 
daß sie Menschen für die Arbeit und Arbeit für 
die Menschen findet.“ 

Am Abend dieses Tages war Frau Barbara, recht- 
schaffen müde, sofort eingeschlafen. Schließlich 
und endlich weiß die Natur ja auch, was sie zu 
beanspruchen hat. Dr. Emil Schachtelhirn aber lag 
noch wach und gelangte zu folgenden Feststel- 
lungen: 

„1. Es erscheint fraglich, ob sich Männer überhaupt 
für die Konsumtionswirtschaft elgnen, Ihre Stärke 
liegt wohl mehr in der Produktion, der Organisa- 
tion. Bei begnadeten Naiuren darin, die Produk- 
tion zu organisieren oder Organisation zu pro- 
duzieren. 

2. Erstaunlich, was so eine Hausfrau leistet! Wie 
macht sie das, ohne Kartothek und Wirtschafts- 
planung? Vielleicht Ist da etwas, was sich der 
statistischen Erfassung entzieht. Ich bewundere 
Barbara hundertprozentig. Hundert Prozent natür- 
lich als Annäherungswert genommen. 

3. Der Haushalt jedoch, diese für die Konsumtion 
nicht wegdenkbare Einrichtung, erweist sich als 
eine ökonomisch zurückgebliebene Organisations- 
form, Was ließe sich da organisieren mit Schnell- 
heftern und Schreibmaschine, Gummistempel und 
Hollerith. Solch Haushalt Ist eben unterorgani- 
siert — heillos unterorganisiert.” 

Dann schlief auch er ein, nach dem mühsamen 
Tag, als Margot ging. 


'G. Brinkmann) 


„Wir hatten schon immer die Absicht, die Steinsammlung wegen 
Platzmangels zu verkaufen. Aber jetzt will mein Mann auch nicht!" 


"Noi avevamo gi& sempre l'intenzlone di vendere, per mancanza di spazio 
la collezione delle pietre. Ma adesso neanche mio marito lo vuolel,, 


405 


HOCHZEIT IM VOLLMOND 


Das war einmal vor Jahren. Und alles Vergangene 
sieht wie ein Märchen aus... 

Und die Betty — das war eine feine Natur, Von 
morgens bis abends verkaufte sie Brauselimo- 
naden. Ihre Backen glichen zwei Portionen Him- 
beergefrorenem. So rot! Ihre Augendeckel waren 
mit einer Beißzange aufgezwickt. Die Nase schaute 
gleich einem krummgeschlagenen Nagel unent- 
wegt gen Himmel, Sie wohnte bei einer Schnei- 
dersfamilie, Möbliert, Da mußte sie zuarst durch 
die Küche hindurch, die zugleich Werkstatt war. 
Halbfertige Knabenanzüge hingen als Säulen- 
heilige an der Wand herum. Es roch nach Bügel- 
eisen und aufgewärmtem Kaffee. Ihr Zimmer hatte 
kein Schloß. Im Ofenrohr hielt sie das Sparkassen- 
buch und die Invalldenkarte aufbewahrt. Uber 
Ihrem Bett dennerte und biltze die Schlacht bei 
Austerlitz als glänzender Öldruck. Daneben hing 
im Goldrahmen ein Osterhase, der Tag und Nacht 
an einer Salatstaude fraß... 

Da sie achtzehn alt war, wurde sie verliebt und 
mondsüchtig. Und das Limonadenfräulein verlobte 
sich mit einem blauen Trambahnschaffner. 

Wenn sie untertags Ärger hatte, lief sie des 
nachts im Hemd die ganze Wohnung aus. Wie ein 
lebendig gewordener Trauml... Sie zählte un- 
sichtbares Geld In die leere Luft hinein und bot 
eisfrische Limonaden an. Die Hausfrau fürchtete 
sich vor Ihr, als ob sie ein Kirchhofgeist wäre. 
Sie zog unter der Decke die Füße an sich, ver- 
kroch sich wie ein Igel in das Bergwerk ihrer 
Kissen und schwitzte. 

In einer solchen Nacht gebar einmal die durch- 
ängstigte Schneidersfrau einen schlauen Gedan- 
ken. Sie stellte vor das Bett das Zimmerfräuleins 
eine Badewanne mit kaltem Wasser anf. Da müßte 
die Nachtwandlerin hineintreten und erwachen. 
Das würde sie heilen. Getan wie gedacht. Aber 
Fräulein Betty hlelt das’ schillernde Naß für ein 
mondlichtglitzarndes Freibad. Und schwamm und 
spritzte lustig drin herum. Bis das möblierte Zim- 
mer zu einem Zirkus unter Wasser wurde... Und 
der im dritten Stock wohnende Postadjunkt über 
seinem Bett Bäche rauschen hörte und von einem 
Wolkenbruch träumte. 

Und Betty blieb weiterhin mondsüchtig. Es gab 
nichts, das half. Und als ihr einmal die Tagesein- 
nahme gestohlen ward, stieg sie um Mitternacht 
über die Dächer der umliegenden Nachbarschaft. 
Die Arme hielt sie wie Maikäferfühler vorge- 
streckt, So suchte sie alle Kamine, Waschauf- 
hängen und Dachrinnen ab. 

Da, wo die kleinen Vorstadtgassen In die ersten 
Wiesen und Felder hineinlauifen, stand Ihr Limo- 
nadenhäuschen. Rosarot, wie ein Briefpapier, war 
es an einen giftiggrünen Lattenzaun gelehnt. Drum 
herum brannte die Sonne einen klabrigen Durst. 
Drinnen saß Betty und »stickte Sofakissen. Mit 
einem Auge sah sie auf das halbfertige „M” des 
vorgezeichneten Musters „Mahlzeit” — und mit 
dem anderen durchsuchte sie draußen die Straße 
nach vorbeihuschenden Kundschaften. Schon von 
weitem schaute sie es ihnen ab, ob sie durstig 
waren. Und dann hatte sie schnell, wie mit einem 
Taschenfeuerzeug gemacht, ein einiadendes L&- 
cheln Übers ganze Gesicht hin verteilt... Und 
schon zischten aus Nickelhähnchen rote, grüne 
und gelbe Strahlen. 

Drüben stand ein Trambahnhäuschen. Auf der 
Bank davor spielten die Schaffner mit Kiesel- 
steinen „Mühlfahren“ Da lernte sie ihren Jo- 
hannes kennen. Immer — wenn er ein klein wenig 
Zeit hatte, sprang er zu ihr über die Straße, daß 
das Kleingeld in seiner Ledertasche wie eine 
Meerschweinchensparkasse schepperte Der wußte 
"nichts davon, daß sie mondsüchtig war. Er war 
ein Stiller. Seine Fragen und Antworten machte 
er mit Blicken. Oft lächelte er in sich hinein — 
niemand wußte warum. Er schon, 


VON ERNST HOFERICHTER 


Seine Ohren konnte er in eine fächelnde Bewe- 
gung versetzen, daß man glaubte — es zieht. 
Zuweilen brachte er ihr eine Haarspange, ein 
Witzblatt, einen Schauerroman oder eine Nagel- 
teile... Und dann küßte sie ihn über den Schank- 
tisch hin, daß es wie von einer Geißelschnur 
schnalzte. 

Wenn er im Dienst auf seinem Wagen an Ihr vor- 
überfuhr, ließ er ein wenig bremsen und läuten, 
daß die Passagiere glaubıen, oben zei die Lei- 
tungsstange ausgesprungen. Über diese Art von 
halbamtlichem Gruß freute sich das Limonaden- 
fräulein gar sehr — aber noch viel mehr über 
das wohlige Bewußtsein, daß ihreıwegen immer 
ein Trambahnwagen voll Menschen etwas auf- 
gehalten wurde. Das war so schön...l 

Und im Sommer wollten sie Hochzeit machen. Da 
mußte er sich einen Zylinderhut kaufen, Sie nahm 
ihm mit einem Bindfaden um den Kopf herum 
das Maß. „D’ Haar derfast aber zuvor aa no 
schneld'n lass'n” — „Brauchst as ja grad 
sag’n...!" — „Weil’s dir sonst unter'n Hut ’naus- 
wachs’n.” — „Schau, brauchst as ja grad sag’n .. .!“ 
— „Sonst siechst wia a spinnata Künstler aus — 
und I müaßt mi’ z’ tot schama...l" — „Freill, 
brauchst as Ja grad sag’n...” 1 
Und die Tage kamen und gingen. Was sie da 
alles noch zu besorgen hatte... Während der 
Geschäftsstunden schrieb sie sich In Ihrem Li- 
monadenhäuschen die vielen kleinen Dinge auf 
das Weiße eines Zeitungsrandes zusammen. Und 
abends rannte sie in all den winzigen Vorstadt- 
läden aus und ein, wo die Türklingeln wie Mini- 
strantenschellen läuten. Da wurde sie müde und 
bekam schöne Träume. Und schon lange war sie 
nicht mehr mondsüchtig gewesen. Aber im Ka- 
lender stand gerade über dem Hochzeitstage der 
beginnende Vollmond angeschrieben. Sie hatte 
sich diesen Tag so blühend ausgemalt. So — wie 
wenn man von früh bis nachts aus einer Praline- 
schachtel essen würde. Oder: wie ein Dauer- 
abonnement auf dem Karussell „Der Himmel auf 
Erden“, das draußen vor der Stadt mitten in 
einer Wiese stand. Und der Bräutigam sollte wie 
ein servieronder Kellner zu ihr Ins Zimmer tanzen. 
Und der Morgen kam. Zum Fenster sprang die 
Sonne herein und zur Tür dar bestellte Friseur. 
Und als der Bäcker das warme Kaffeebrot unter 
den Briefkasten hing, war sie eine strahlend 


LERCHE IM SOMMER 


Nodı hast du nicht dein letztes Lied versungen, 

Nodı himmelst du dich überm Korn hinauf, 

Wo sdion der Klatsdımohn flammt mit 
Feuerzungen 


Und mo die Hundskamille prahlt zu Hauf. 


Dodı wenn durdıs sommerreife Halmgedränge 
Der Schnitter mähend seinen Weg sic bahnt, 
Geht wohl ein Zittern sanft durch die Gesänge, 
Als wenn dein kleines Herz den Tod schon ahnt. 


Nodı aber wird das Blau von dir durcıdrungen, 
Nodı streut dein Jubel goldne Körner hin. 
Und hast du dich für diesmal ausgesungen, 
Bleibt uns noch dein Geschenk: ein heitrer Sinn. 


Heinz Friedrich Kamecke 


406 


weiße Braut. Gerade so schön, wie sie in den 
Auslagen der Photographen ausgesiellt sind... 
Dann klingelte es, und da stand draußen — Jo- 
hannes, der Bräutigam. Während sie sich mit 
stürmischem Anprall küßten, stieß er sich an der 
Gasbeleuchtung den Zylinder vom Kopf, daß er 
unter die Beitlade rollte. Und jetzt sah sie, daß 
er das Haarschneiden vergessen hatte. Da weinte 
sie lange... Und als es die Hausfrau in die 
Küche hinaushörte kamen ihr auch die Tränen. 
Johannes strich sich daraufhin verlegen seine Fri- 
sur mit den Händen glatt und suchte nach be- 
freienden Worten In seiner Brust herum. Endlich 
sagte er: „Wenigstens ist das Wetter schön... 
wenigstens regnet’s nicht... es macht sich auf...” 
Da mußte sie aber noch mehr heulen, 

In einer Zündholzschachtel hatte er ihr, wie Im- 
mer, für ihren Laubfrosch Fliegen mitgebracht. Die 
stellte er jetzt mitten auf den Tisch... und man 
hörte in der bangen Stilie nichts, als ein leises 
Summen und Surren.. Und da es lange genug 
gedauert hatte, fing sie mit einammale zu kichern 
an. Und wie Sonnenstrahlen durch rieselnden Re- 
gen fallen, so sah Jetzt Ihr Lachen und Weinen 
aus. 

Und als das Limonadenfräulein und der Tram- 
bahnschaffner als Braut und Bräutigam vor dem 
Haustor in die Droschke einstlegen, öffneten sich 
tingsum in der Straße alle Fenster. Wi» vor einer 
durchziehenden Prozession... Das Wiegen und 
Schaukeln des Wagens, der über das holperige 
Pflaster enger Gassen zur Trauung fuhr, gefiel ihr 
sehr. Sie wurde ganz lustig davon. Er sagte, das 
sel er schon gewohnt — und erzählte ihr sogleich 
die Geschichte von dem Trambahnwagen, der 
frisch lackiert mitten in einen Konditoreiladen hin- 
einfuhr, so daß er ganz voll mit Schaumrollen 
und Cremeschnitten wurde. Während er sprach, 
zupfte sie ihm weiße Fäden von seinem Braten- 
tock ab und hätte gern dieser Straßenbahnwägen 
sein wollen. Da sie zu den Stufen zum Standes- 
amt emporstiegen, sagte sie. ihm no-h: „Tu fei’ 
nicht deine Ohrwatschl rühr'n, daß d’ Leut net 
lacha müass'n...l” Und er dann: „...Und tu du 
nur net schlageln...1” 4 

Das waren Ihre letzten Gespräche im ledigen 
Stand. Dann sind sie ein Paar geworden... 

Und dann kamen die Stunden mit Essen und Trin- 
ken. Da saßen sie Im Nebenzimmer der kleinen 
Vorstadtwirtschaft um einen langen weißgedeck- 
ten Tisch herum. Eine schaukelnda Gesellschaft 
aus zweierlei Verwandtschaften kicherte und 
quiekste an den Wänden entlang, stieß sich vor 
Lachen gegenseitig in die Rippen. Jemand konnte 
ein Schwein nachmachen wie es grunzt, wenn es 
verladen wird. Ein anderer gab mit seiner Zigarre 
Rauchkunststücke zum besten, wobei or — zum 
Erstaunen aller — den Dampf an den Ohren her- 
ausblies. Ein Leihhauskassier erzählte die Ge- 
schichte von dem Pfarrer, dem Kleiderkasten und 
der neugierigen Köchin... Dazwischen hinein trom- 
melte dor Klavierspieler auf dem Tafelpiano stamp- 
fende Militärmärsche, hopsende Reiterattacken und 
saftige Bauernwalzer. Vom Fensterbrett herüber 
sangen noch spät In der Nacht trillernde Harzer. 
Tanzende Paare schoben sich zwischen Tische 
und Stühle. Und wie aus einer Mehlkiste wirbelte 
der Staub auf. Allmählich lachten alle ohne Grund. 
Weil sie die ganze Welt wie durch eine rosa 
Fenstersche'be sahen . Und aucn die Braut ward 
durstig und lustig. Von allen Seiten her hielt man 
Ihr schaukelnden Wein entgegen. Kaum mehr 
dachte sie Jetzt an ihr einsam stehendes Limona- 
denhäuschen mit den Himbeer-, Waldmeister- und 
Zitronensäften. Der Boden unter den Füßen kam 
ihr ganz weich vor. Wie Faderbatten. Und in 
Ihrem Innern wurde es weit und leicht, Luft- 
ballongefühle machten sie schwebend. Die Zim- 
merwände fuhren um sie herum Karussall. Und die 


Das kleine Glück 


(R. Krlosch) 








„Weißt du, Erna, so ein neuer Hut bedeutet gewiß nicht das ganze Erdenglück, 
aber ewig der alte verbraucht verflixt viel inneren Reichtum !* 


La piccola fortuna: ‘Sal, Erna, un cappello nuovo non significa certo una piena felicitä in terra, 
ma portandone eternamente uno di vecchio, si sciupa orribilmente la ricchezza dell’ animal, 


407 


(©. Sturtzkopf) 






Amerikanische Kulturpioniere 


Pionleri della cultura americani 





USA TE 
\ 


) 


A 
7a 


„Armer Daddy, ich werde dir den neuesten Roman mitgeben. 
Sie haben drüben keine Bibliotheken mehr!“ 


"Povero Daddy, lo ıi dard Il pi recente romanzo da poriar teco, Lagglü non hanno plö biblioteche!,, 


Gaslichter bekamen blaue Ringe um die Augen. 
Und in der Stube qualmte es wie in einer Wasch- 
küche. Alle umarmten und küßten sich gegen- 
seitig. Einige lagen unter den Tischen und sangen 
aus den Tiefen herauf leise Lieder, Roter Wein 
tann ihnen durch die Zipfel des weißen Tisch- 
tuches auf die Köpfe... Und einer meinte, es 
regnet... 

Gegen Mitternacht fühlte die Braut mit einem 
Male Blei In Ihre Glieder tropfen. Und die, Augen- 
deckel wurden zu eisernen Rolläden. Ihr Bräuti- 


gam saß In einer Ecke am Boden und erklärte 
einem Kaminkehrermeister die Geschichte von 
dem Trambahnwagen, der in einan Konditorei- 
laden hineinfuhr... Und sie fand noch gerade in 
Johannes’ Manteltasche den Wohnungsschlüssel, 
mit dem sie sich am Stiegengeländer die vier 
Stockwerke zum ehelichen Schlafzimmer empor- 
209 .. 

So vervielfacht sahen sich nünmehr gegenseitig 
die hochzei'lichen Gäste. daß niemand die Braut 
vermißte. Bis plötzlich gegen die dJämmernde 


408 


Frühe zu die Hausfrau des Limonadenfräuleins 
die Türe aufriß und in den Dampf hineinschrie:; 
m. .Jessasmarlaundjosef— Leut’ — Die Braut lauft 
drob’n mondsüchtig auf die Dächer umanandl” 
— — — Da fiel es über alle wie kalte Dusche 
herab. Der Bräutigam Johannes, der noch immer 
in seiner Ecke saß, hatte augenblickl'ch die Emp- 
findung, daß sein Straßenbahnwagen in aller 
Wirklichkeit zum zweitenmal in jenen Konditorei- 
laden gefahren sei... Dann begann er ganz me- 
chanisch, wie ein aufgezogener Blechschutzmann, 
die Stiege zu seiner Wohnung hinanfzutorkeln. 
Und alle anderen hinterdrein. In der Schlafkam- 
mer waren die Fenster stadeltorweit geöffnet, Der 
Mond floß als ausgelaufener Kuchentelg am Boden 
herum... 
Draußen fluteten silberne Bäche über Giebel und 
Dächer. Und in diesen Fluten watete Johannes’ 
Braut, als wären’s Regenpfützen. Der weiße 
Schleier flatterte als hochzeitliche Fahne im 
Morgenwind. In der Hand hielt sie eine Flasche 
und ein Trinkglas und schenkte Limonaden ein, 
Jemand schlug vor, man sollte sie bei Ihrem 
Namen rufen, ein Bäckergeselle hielt ein paar 
lockende Pfiffe für wirksamer, — und er steckte 
schon sämtliche Finger In den Mund, als eine 
approbierte Badersfrau noch rechtzeitig davor 
warnte: „Um Gotteswillen, solchene Leit’ derf 
ma‘ net aufschrecka — sonst fallen’s runter und 
san maustot...” Aber trotzdem meinte ein 
Schweinemetzger, ob man es nicht mit einem 
Kübel voll kalten Wassers probieren solle... 
So riet man hin und her — und her und hin. 
Alle standen beisammen, wie um ein offenes 
Grab. Eine verregnete Trauergesellschaft, Und 
sie konnten die Empfindung nicht loswerden, daß 
jedem einzelnen unter Ihnen — ein Kanarien- 
vogel ausgekommen sel. Johannes zitterte wie eine 
elektrische Ladenklingel, Seine Aügen hatten das 
Leuchten von Sparbrennern eines Spiritusglüh. 
lichts angenommen. Und dann schämte er sich so, 
weil er eine Braut erwischte, die nachts über die 
Dächer läuft. Ein Nachtgespenst, vor dem sich 
die ganze Nachbarschaft gruselti Im Verein 
werden sie alle über ihn Witze machen... 
Bald öffneten sich auch die umliegenden Fenster, 
Hausfrauen sahen mit Opaernguckern durchs 
Küchenfenster auf dieDächer. Familienväter stiegen 
mit den Zimmerfräulein zu den Altanen empor, 
mit Feldstechern bewaffnet. Alle hielten sie nach 
der mondsüchtigen Braut Ausschau. Die war Jetzt 
in einem Wald voll aufgehängter Steckerlwasch 
verschwunden. Einige glaubten, sie werde bei 
der Feuermauer wieder zum Vorschein kommen, 
andere meinten, hinter den Kamin der Wasch- 
anstalt. Da hörte man mit einem Mal ein helles 
Lied... Sie sang aus den wehenden Hemdchen, 
Unterhosen und leinenen Decken heraus; 

„Geht's und verkauft's mei Gwandi 

«..1 bin im Himmi .. „1 
Als der Bräutigam ihre Stimme aus den flattern- 
den Linnen hörte, versank alle Welt vor ihm. Wie 
durch ein enges Rohr sah er nur mehr nach jener 
Stelle hin, wo seine Liebste sang... Und schon 
schwang er sich Über das Fensterbrett, lief an 
dem hervorspringenden Mauergesims entlang... 
der winkenden Wäsche zul Wie in ein Frühlings- 
gebüsch...! Unten im Hof hatte sich inzwischen 
ahnungslos der Gesangverein zu einem Hochzeits- 
ständchen versammelt, Aus einem mostigen Keller 
gurgelte der Chor in den rosarot aufsteigenden 
Morgen hinein: „Das Wandern Ist des Müllers 
Lust...“ 
Johannes hatte seine Braut gerade noch an der 
Schleppe erfaßt, als sie eben auf einem Kamin- 
kehrersteig zu des Nachbars Dach hinüberwandeln 
wollte. Wie einen entlaufenen Stallhasen nahm 
er sie in seine Arme und trug sie In die hochzeit- 
liche Kammer. Die war dann auch schnell von 
Gästen leer. Und bald durchbabte die enge Stube 
ein weißes Fest. Ihre Körper glitten wie Kähne 
einander zu. Und vom Hof herauf sang es: „...das 
Wa-andern.” Und jetzt gab es kein Wort mehr — 
Das war die Nacht, in der das Limonadenfräulein 
zum letztenmal mondsüchtig geworden ist... 


Die Unverdauliche 


(Fr. Bilek) 

















L’ indigesta 


409 


Karriere (ie) 





„Du willst uns verlassen, Nicki?‘ — „Yes, my baby — ich mache mir selbständig — 
in prima Büro für Nachkriegsplanung in der Monroe-Street .. .!" 


Carriera: “Nicki, tu vuol abbandonarci?,, — “Yes, my baby, ... mi faccio indipendente ... 
con un bürd di prima classe per Il progetto nella Monroe-Street .. .!,, 


410 


DIE BÄRENJAGD 


VON GEZA GARDONYI 


Jedes Jahr im Dezember fahre ich zu meinem 
Freund Jancsi Janosiy. W:r haben zusammen stu- 
diert, aber haben es beide nicht weit gebracht. 
Er isı Bauer geworden und ich wurde ein „Herr“, 
aber ich habe auch nie Geld, 

Gleich am nächsten Morgen, in frühester Däm- 
merung, alarmierte mich Jancsi — ich solle sofort 
aufstehen, der Waldhüter hätte einen Bären ge- 
meldet, 

Ich verspürte nun zwar gar keine Lust zum Bären, 
aber mit Jancsi kann man nicht reden. Er glaubt, 
daß Gott Jeden Menschen zu.n Jäger schuf, und 
daß es nichts Interessanteres auf der Welt gibt, 
öls wenn im Horgos Wald sich ein Bär herum- 
treibt. 

Recht mißmutig zog ich mich also an, wählte mir 
das leichteste Gewehr aus, hängte in meinen 
Gürtel drei Dolche und steckte einen guten Ro- 
man in die Tasche. 

Wir pflegten nämlich so zu jagen, daß Jancsi von 
morgens bis abends mit zäher Geduld auf nichts 
lauerte und ich mich in meinen Pelzmantel hüllte 
und las. Auch Jetzt geschah es so. — Jancsi nahm 
am Rande einer Schlucht Aufstellung, mich aber 
schickte er zu einem entfernt stehenden Schleh- 
dornstrauch. 

Der Waldhüter ging mit den Treibern in den 
Wald. Ich legte das Gewehr neben mich, zündete 
eine Zigarre an und las. 

Es war neblig. Jancsi stand unbeweglich ungefähr 
fünfzig Schritte von mir entfernt. 

Während Ich las, fiel mir ein, daß kein Baum in 
der Nähe war; wenn der Bär auftauchte und das 
Gewehr nicht losgehen würde, so wäre nichts 
zum Hinaufklettern da. 

Ich schaute mich um und sah einige Schritte von 
mir elne Hüterhütte. 

Ich hob mein Gewehr auf, und damit Jancsl mich 
nicht bemerkte, schlich ich mich hinter den Sand- 
hügeln gebückt zur Hütte. 

Auf einmal ein Schuß — die Kugel pfiff an mei- 
nem Ohr vorbei. Bumm! ein zweiter Schuß: er traf 
den Lauf meines Gewehres. 

„Bist du verrückt geworden!‘ schrie ich. Dann 
rannte ich und war mit ein, zwei Sprüngen in der 
Hütte, 


(W. M. Busch) 


= 


IR 


% 


7 











Vom Futter meines Pelzes riß ein Nagel in der 
Tür ein Stück heraus, Ich drehte mich um, um es 
aufzuheben, aber Jancsi war noch immer hinter 
mir mit seiner Knarre. 

Na, das war kein Spaß. Was sollte ich tun? Steckte 
ich den Kopf hinaus, würde er sogleich schießen, 
bliebe ich in der Hütte, zündete er sie über 
mir an. 

Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht, Ich 
durchstieß die andere Seite der Hütte und sprang 
in den Graben. Selbstverständlich ging Ich dann 
nach Hause, 

Ich sagte zu Jancsis Frau Etelka, daß mir das 
Warten langweilig geworden sei. Die gute Seele 
schrie beinahe auf, als sie das Fütter meines 
schönen Stadtpelzes sah... 

„Ich will ihn zusammennähen“, sagte sie und 
suchte in ihrer Tischlade herum. 

„Lassen Sie es gut sein‘, antwortete Ich, „morgen 
suche Ich das fehlende Stück.” 

Ich streckte mich am Kanapee aus und las Ihr 
aus dem Roman vor. Nach Sonnenuntergang kam 
Jancsi. Seine Augen glänzten. 

„Na, wo ist der Bär?“ fragte ich ihn. 

Er zog sich aus. Dann goß er eine heiße Wein- 
suppe in sich hinein, 

„Also“, sagte er, „schade, daß du nach Hause 
gegangen bist, Denn gerade In deiner Richtung 
kam der Bär.” 

„Es war ein riesengroßes Vieh, Er konnte einen 
Klafter hoch gewesen sein. Ich sah ihn, als er 
zur Hüterhütte trottete. 

Schnell entschlossen laß ich auf ihn einen Schuß 
los. Sein linker Hinterfuß ist getroffen. Gequält 
brüllt er auf und flüchtet hinkend in die Hütte. 
Ich schleße zum zweitenmal. 

Mein Bär verschwindet in der Hütte. 

Jetzt hab’ ich dich, Meister Petzl — denke ich. 
Schnell stoße ich zwei Patronen in mein Gewehr 
und laufe zur Hüterhütte. 

Der Böse wartet auf mich. Er steckt den Kopf her- 
aus. Ich schließe doppelt auf ihn. Er zieht sich zu- 
rück, Wieder lade ich mein Gewehr, und piff- 
paff, jage ich wieder zwei Schüsse durch die Tür. 
Da wird aber das Tier grimmig. Wutschnaubend 
kommt es hervor und stellt sich auf die Hinter- 
füße, Es Ist drei Kopf größer als ich. Augen wie 
zwel feurige Kugeln. Sein Rachen schäumt, Es 
fleischt die Hauer, hebt die Vorderfüße gegen 
‚den Himmel und stürmt gerade auf mich zu.” 
„Jesus, Marial” schreit Etelka, 

Jancsi fährt unter heldenhaften Gebärden fort: 
„Ihr könnt euch denken, daß ich keine Zeit 
hatte, mein Gewehr zu laden. — Ich dachte an 
dich, meine liebe Etelka, und an Gott. — Dann 
reiß‘ ich meinen Dolch hervor und warte ent- 
schlossen, bis der Bär sich auf mich wirft. 

Er söumte damit auch nicht. Seine Krallen fürch- 
terlich gegen mich spreizend, fällt er mich an. 
Ein anderer Mensch wäre erschrocken, aber ich 
verlor meine Nerven nicht: schnell hocke ich 
mich nieder, halte meinen linken Arm schützend 
vor mich und stoße meinen Dolch bis zum Griff 
in den Bären.“ 

Vor Entsetzen blaß, fragt Etelka: 

„Hast du Ihn ins Herz getroffen?” 

„Nein. Mein Stich glitt unter seiner Achsel durch. 
Wir umarmen einander. Ich halte seinen Leib mit 
solcher Kraft umfaßt, daß seine Rippen krachen. 
Der Bär kann seine Krallen nicht benützen, aber 
auch ich nicht meine Hand, Der heiße Atem des 
Bären verbrennt fast mein Gesicht. 

Endlich fühle ich, daß meine Kraft nachläßt. Einer 
muß sterben, entweder ich oder der Bär, — denke 
ich, Darauf laß ich ihn ganz plötzlich los, gebe 
ihm aber einen solchen Fußtritt in den Bauch, 
daß er momentan zusammensackt. Und was glaubt 
ihr, was dann geschah?“ 

„Der Waldhüter erschoß ihn.” 


„Keine Spfür. Er kehrte mir den Rücken und rennt 
wieder in die Hütte hinein. Ich greife schnell zum 
Gewehr, werfe zwei Patronen hinein, und damit 
rumm bumm hinein in die Hütte. 

Ich warte, ob er sich bewegt. Es rührt sich nichts. 
Dann blicke ich hinein und sehe, daß es drinnen 
hell ist: auf der anderen Seite Ist ein Riß in der 
Wand der Hütte, Er hat sie durchbrochen und ist 
geflohen. 

Ich blicke ihm nach, aber er hinkt schon am 
Waldrand. Bis Ich mein Gewehr wieder laden 
konnte, verlor ich ihn aus den Augen, Ihr könnt 
euch vorstellen, wie ich mich geärgert habe. Ich 
hätte Ihm gerne wenigstens eine Tatze abge- 
schnitten. Aber Ich habe’ trotzdem ein Andenken 
von ihm mitgebracht.” 

„Was denn?” 

„Was? Ein Stück aus seinem Fell, das während 
dem Ringen herausgerissen worden ist, Hier ist 
es. Daß ihr nicht glaubt, Ich erzähle nur Märchen.” 
Damit öffnete Jancsi seinen Tornister und wirft 
mit großem Triumph das aus meinem Pelz her- 
ausgerissene Stück Fell vor uns hin. 

(Aus d. Ungarischen v. Martha v. Agoraszto-Zöllner.) 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


10. Nückel) 





Bei einer der letzten Wahlen auf Island wurde 
festgestellt, daß auf den Wahllisten der Stadt 
Akureiry eine ganze Menge Leute aufgestellt 
waren, die In Wirklichkeit schon längst tot waren, 
und eine ganze Reihe Leute hatten Wahlschwindel 
verübt, Indem sie im Namen dieser Toten gestimmt 
hatten. Deshalb mußte die Wahl für ungültig er- 
klärt werden, und ein neuer Termin wurde ange- 
setzt. Das benutzten die Parteien natürlich zu 
einem neuen Wahlkampf. Ein Wahlredner in 
Reykjavik aber hatte Pech, er begann nämlich 
seine Wahlrede mit dem bekannten iIsländishen 
Vaterlandslled: 

„Steig empor aus dem Grab 

Du Geschlecht, das gestorben 
In diesem Moment erhob sich ein Polizeibeamter 
im Saal und sagte unter dem Jubel der Anwesen- 
den laut und deutlich: „Nee, nee, diesmal geht 
das nicht so — jeder muß eine Legitimationskarte 
zur Wahl mitbringen...” 


* 





In ein Autogramm-Album schrieb Liliencron ein- 
mal folgenden Spruch: 

„Schließe nicht immer von dir auf andere. Es gibt 
auch anständige Menschen.” 


* 


Johannes bat mich, ihm ein wenig Geld zu leihen. 
„Werde ich es auch bestimmt zurückbekommen, 
Johannes?" fragte Ich. 

„Ich schreibe dir einen Schuldschein aus“, be- 
rtuhigte er mich. 

Er ging also an seinen Schreibtisch, entnahm die- 
sem ein Blatt Papier, zog den Füllhalter und wollte 
beginnen. Dann aber zögerte er, 

„Ich glaube, es Ist besser, ich gebe es dir un- 
beschrieben“, meinte er, „Dann ist es doch nicht 
ganz wertlos für dich.” J. Bieger 





Vorlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgosollschaft, München, Sendlinger Straße 80 (Fermruf 1296). Briefanschriti: München 2 BZ, Brieffach. 


Vorantworti. Schriftiei 
Anstalten onigege: 








1: Walter Foltzick, München. — Der Simp) 
Bezugsproise: Einzelnummer 30 Pf.; 





issimus erscheint wöchentlich einmal. B. 
Abonnement im Monat RM. 1.20. — Unverl 








lungen nehmen ai 
Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — 





Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 


Nachdruck verboten. — Posischackkonto München 5920. Erfüllungsort München. 


Die Verlobung 


(K. Helligenstaadt) 





„+. und dann hat er einfach um deine Hand gebeten?" — „Ja— denk mul — um die Hand auch!" 


Fidanzamento: "... e pol ha chiesto senz’ altro la tua mano?,, — "Si; pensa un po’, anche la mano!,, 


412 











f 
| München, 4. Au ’ 

N „4. August 1943 . 

| 48. Jahrgang / Nummer 31 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 








OLar Aucaransson 43 


ATLANTIK - ÜHARTA 





wZ. RTL 








Y 4 \ Kr: z ? GL, 
/ z AB 
/ % 7 LT. Z f = > 
DH, 3 4 GG, L > 3 35 
/ G, 5 ne FE 
WEERÄRE 73 EEE: 
„Papa Neptun, da bringe ich dir etwas Lustiges zum Lesen — das scheint jemand über Bord geworfen zu haben!" 
La “Carta Atlantica,,: "Papa Nettuno, &ccoti qualcosa d’ allegro da leggere ... Pare che qualcuno I* abbia buttata gid da bordo in mare!,, 











Der Kunstproduzent - Il produttore d’arte 








„+... ja, aber nur gegen Abgabe alter Bilder!" 


x 


Herr und Frau 




















Schnutenfeger 


Von Paul Westergaard 


Kürzlich las ich in einer ausländischen Zeitung, daß 
ein Barbier zum Leiter für das Amt für Hygiene und 
Gesundheitswesen der Hauptstadt seines Landes 
berufen wurde. 

Unwillkürlich mußte Ich dabel an meinen früheren 
Barbier Schnutenfeger denken, der In einer stillen 
Seitenstraße unweit des Hauptbahnhofes sein 
Ladengeschäft hat. Ihn würde es gewiß freuen, 
wenn er erfahren könnte, daß einer seiner Kollegen 
zum Direktor des besagten Gesundheitsamtes 
avancierte. 

Ob ich ihm daher nicht meine Aufwartung machen 
soll, um ihm davon zu berichten? 

Es war freilich schon racht lange her, seit ich seine 
Barbierstube das letztemal aufsuchte. Ich siedelte 
nämlich vor einigen Jahren in einen anderen Stadt- 
teil über, wo ich das Vergnügen habe, von einem 
Barbier bedient zu werden, der um ein nicht Ge- 
rtinges properer ist als Schnutenfeger. 
Schnutenfegers Barbierstube war klein und eng. 
Frau Schnutenfeger half Immer fleißig mit im Ge- 
schäft. Sie pflegte einzuseifen, während erschabte. 
Ich habe noch heute eine Narbe, die ich geduldig 
trage als eine Erinnerung an Schnutenfeger und 
sein Messer. 

Frau Schnutenfeger indessen, die verstand ihr 
Handwerk, das muß man Ihr lassen. Das spassigste 
aber dabei war, daß man beim Einselfen Immer 
riechen konnte, was es bei Schnutenfegers zum 
Mittagessen gab. 

„Nal“ neckte ich sie einmal, „heute gibt es bei 
Ihnen Hering, Frau Schnutenfeger.” 

„Wieso wissen Sie denn das?” erwiderte sie maß- 


los verwundert. „Das können Sie doch gar nicht 
gerochen haben! Ich habe die Heringe ja noch gar 
nicht auf die Pfanne gesetzti Bloß ausgenommen 
habe ich sie.” 
„Ija, eine gewisse übernatürliche Begabung —”, 
erklärte ich geheimnisvoll, 
Aber eines Tages sollte ich den kürzeren ziehen. 
Es war mir nämlich trotz meines ausgesprochenen 
Geruchsinnes unmöglich festzustellen, was das 
Ehepaar diesmal zu Mittag essen würde. 
„Nun, Herr Petersen, heute können Sie schwerlich 
erraten, was wir essen”, lächelte Frau Schnuten- 
feger und entblößte dabei ihren einsamen Vorder- 
zahn. 
„Nein, wirklich nicht. Heute ist mir meine über- 
natürliche Begabung versagt geblieben. Offenbar 
weil es draußen so nebelig ist...” 
„Nee, Herr, Ihre Begabung in allen Ehren. Doch 
wenn ich Ihnen etwas anvertrauen darf, wir essen 
nämlich heute bei meinen Schwiegereltern!” 
Da hatte ich es! Es war also auf eine Art ganz unter- 
haltsam und nett in Meister Schnutenfegers Bar- 
blerstube. Und Je mehr ich nachdenke, habe ich 
wahrhaftig ein schlechtes Gewissen, daß ich mich 
so lange nicht bei ihm sehen ließ. 
Nun aber werde ich gehen. Gleich morgen schon. 
Er muß doch auch wissen, daß einer seiner Kol- 
legen es zum leitenden Direktor des Amtes für 
Hygiene und Gesundheitswesen gebracht hatl Er 
wird sich darüber freuen und stolz sein. Also werde 
ich gehen — man soll energisch sein. Wenn auch 
die Properkeit — — na Ja — — und so welter... 
(Aus dem Dänischen von Werner Rietig.) 


414 


(6. Brinkmann) 


“,....eh sl, ma soltanto verso consegna di quadri antichi!,, 


ALARM 


»Dies hier«, fo Iprach’s im Traum, »ift die Hyäne. 
Sie it weit über hundert Jahre alt... .« 


Ich fah fie an, die gräßliche Geftalt, 
und kraulte zaghaft die gefträubte Mähne, 
Wutgeifernd blechte fie die gelben Zähne... 


Was it... Jäh fuhr ich aus des Traumes Schacht. 
Was ift denn?... Vollmondglänzend fchmwieg die 
Nacht. 
Ich laufchte ... 
Und da heulte die Sirene. 


Getigert war mit einem Mal der Himmel. 
Fahlgelbe Bänder zuckten hin und her, 
durchfchlängelten das Wolkenfchaumgerimmel. 
Und ferne Schläge hört’ ich, dumpf und fchwer.... 


So fchwer und dumpf fchlug auch in mir das Herz, 
fchlugen viel taufend Herzen allerwärts.... 


Aber, o Wunder, horch, im Nachbargarten, 

im finftern Ställchen, hub der wachre Hahn 

fein frohes Morgenlied zu krähen an, 

als könnt” er’s nimmer, nimmermehr erwarten. 


Vertrauter, lieber, tröftlicher Gefang! 
Der Tag bricht an... es dauert nicht mehr lang! 


Dr. Owlglaß 


Der Europaverteiler (Winelm Schu 





„Vorläufig müßt ihr mit dem Papier vorlieb nehmen. Das soll aber nur 
die Vorspeise sein, die richtige Mahlzeit kommt erst nach dem Kriege!“ 


Il dispensiere d’ Europa: “Per ora dovete accontentarvl della carta. Ma questa deve 
essere soltanto I" antipasto; Il vero pasto viene solo dopo la querral,, 


415 


DAS SPUKBEGRÄBNIS 


VON ADOLF JOHANSSON 


Nur zwei Dinge waren es, die den alten Ehren- 
mann, den Major auf Elgdala, quälten, aber sie 
waren auch im höchsten Maße widerwärtig. Erstens 
gab es auf Gottes grüner Erde nichts, was ihm 
seine Seelenruhe so rauben konnie wie die ver- 
‚dammten Wilddiebe, die Immer wieder auf seinem 
Grund und Boden Ihr Wesen trieben. 
Zweitens... Schtl — Der strengste Tagesbefehl, 
den der alte Major in seinem ganzen Leben her- 
ausgegeben hatte, handelte gerade von diesem — 
zweiten: Das dumme Gerede sollte endlich ver- 
stummen! 

Aber wen es doch zu hören gelüstete, der brauchte 
nur an der Knechtsstube und an der Mögdekam- 
mer zu lauschen. 

„Der Teufel soll mich holen, wenn sie sich jetzt 
nicht wieder gezeigt haben!” 

Es verhlelt sich nämlich so, daß der Major einen 
Sohn gehabt hatte. Es war zwar ein prächtiger 
Mensch gewesen, aber ein bißchen leichtsinnig, 
ein Herzensknicker und fröhlicher Gesellschafter 
und ein großer Zecher. Jetzt war er schon seit 
ein paar Jahren tot, und sein Sarg hatte in dem 
großen öden Kornspeicher am Waldrande ge- 
standen. Wie es auch sein mochte, eins war ge- 
wiß: er fand keine Ruhe in seinem Grabe, obwohl 
die alte Lena, die Gutsmagd, die fast als einzige 
der Dienstboten dem Jungen Leutnant von Herzen 
gut gewesen war, dem Sarge heimlich eine 
Schaufel Feuerkohlen nachgeworfen hatte als er 
fortgetragen wurde, Aber es war Ihr nicht ge- 
lungen, ihm heimlich Leinensamen zuzustecken, 
der zwischen Mitternacht und dem ersten Hahnen- 
schrei helfen sollte. Daran scheiterte es wohl, 
glaubte man in der Gesindestube. 

Vor einigen Monaten war die Hausmagd eines 
Nachts, als schon alle Lichter auf dem Hofe ge- 
löscht waren, halb angezogen mit dem großen 
Schlüsselbunde in der Hand über den Grasplatz 
geschlürft, und als sie zufällig durch das Herz in 
der Tür hinausschaute, sah sie, wie der Leichen- 
zug aus dem Kornspeicher herausgezogen kam. 
Es waren schwarzgekleidete He In stelfen 
Hüten und kreideweißen Handschuhen. Sie trugen 
den Sarg, und der letzte blieb einen Augenblick 
stehen, um die Tür des Schuppens zu 
schließen — ganz damals, als 
sich der wirkliche Leichenzug einst In 
Bewegung gesetzt hatte, 

Was die Hausmagd gesehen hatte, 
verbreitete sich natürlich wie “ein 
Lauffeuer, und ebenso fest wie Jeder 
Gutsangestellte daran glaubte, so er- 
grimmt war der Major über dieses 
lästerliche Gerede. Aber er war Ja 
auch nicht dabei gewesen, als die 
Hausmagd In Janer Nacht totenbleich 
In die Gesindestube gestürzt war und 
dort zitternd gelegen hatte. 

Es war gerade an einem solchen 
Abend, als der Major plötzlich durch 
einen heftigen, vom Hof kommenden 
Schrei aus seinen Träumen gerissen 
wurde. Schneller als er es selbst für 
möglich gehalten hatte, war er auf- 
gesprungen und hatte hinter der Gar- 
dine hinausgeschaut, Ein kalter wei- 
Ber Septembermond funkelte in den 
Tautropfen des Grases, und der 
schwarze Schatten des Kornspeichers 
zeichnete sich scharf auf dem weißen 
Hofplatz ab. 

Dort unten stand eine der Stallmägde, 
die Hände am Kopf, wie am Boden 
festgewurzelt. 

Und zehn Schritt vor ihr... Ja, Schock- 
schwernot,.. Herrjesses... der lel- 
chenzugl 

Es war also wahr. Lautlos zog er mit 
dem Sarge vorüber. Die Männer 
stemmten Ihre eine Schulter unter 
dem schweren Sarg hoch in die Höhe, 
und die Schatten folgten ihnen wie 
lange gewundene Rieseneldechsen. 
Der Wald lag dicht neben dem Schup- 
pen, und dort schien sich der Lei- 
chenzug aufzulösan und zu verflüch- 
tigen. Früh am anderen Morgen stand 








der Verwalter, den der Major hatte rufen lassen, 
an der alten wurmstichigen Tür und drehte seine 
Mütze in der Hand. „Nun, Andersson“, begann 
der Major, „willst du heut nacht im Kornspeicher 
schlafen?” 

„Aber“, kam die zögernde Antwort, „Herr Major 
wissen, daß... und erst vorige Nacht...” 

„Du kriegst auch eine Belohnung. Und du kannst 
dir auch noch einen Mann mitnehmen. Ich will, 
daß dies ewige — hm — Gerede ein Ende hat, 
verstehst du? Na, ist es abgemacht?” 

„Ja, Herr Major, dann ist's wohl abgemacht." 

Als es Abend wurde, saßen der Verwalter und 
der Großknecht in einer der großen Kornkisten 
versteckt. Uber den Boden sickerte das Mond- 
licht in einen schmalen Streifen hinein und leuch- 
tete In den Tautropfen des Spinngewebs vor der 
Fensterluke. Ab und zu knabberte eine Maus 
unter dem Fußboden, und hin und wieder tickte 
die Totenuhr In den Wänden. Abgesehen von 
dem Lichtstreifen war es pechschwarz in dem 
großen Speicher. An der äußersten Glebelwand 
hatte der Sarg einst auf schwarzen Holzböcken 
gestanden, Dorthin glitten auch häufig die scheuen 
und ängstlichen Blicke des Verwalters und des 
Großknechts, 

Die Stunden verrannen. Der Wind rauschte, und 
der Zweig eines Baumes schlug gegen die Wand. 
Der Verwalter dachte an die Schnapsflasche, die 
er in seine Jackentasche gesteckt hatte, und stieß 
den Knecht in die Seite, Kluck, kluck, klang es 
durchs Dunkel, 

Plötzlich wurde es an der Tür hell. Ein Strom von 
Mondlicht flel herein. Dann wurden zwei Schatten 
sichtbar, und im nächsten Augenblick traten die 
ersten Herren des leichenzuges mit dem Sarg 
über die Schwelle. Die Gesichter waren kreide- 
weiß, und die Schatten sahen im Mondlicht blau 
aus. Ein Paar der steifen Kirchenhüte nach dem 
anderen neigte sich in der Türöffnung, wenn sich 
Ihre Träger auf der Schwelle bückten. 

Kurze Zeit darauf krochen zwei verängstigte 
Menschen mit klappernden Zähnen aus der großen 
Kornkiste heraus. 

Der Major fluchte durchaus nicht, als er vernahm, 


Das Königsspiel 


Von Herbert Lestiboudois 


Wenn's, wie so oft, uns wieder einmal überkam 

In jenen Nächten draußen, jenen schlaflos langen, 
Daß dieses Unaussprechliche kein Ende nahm, 

Dies Ungefüge in uns, das wir nie durchdrangen, 

Das nie Gestalt war, das da wogte und zerging 

Wie Schatten bald und bald wie kalte Nebelschauer — 
Ein Netz verstrickter, undeutbarer Menschentrauer, 
Darin die Seele irrend, wirrend sich verfing — 
Dann, du mein Freund, mein stiller, bester Kamerad, 
Mein Bruder du — dann war es tröstliches Beginnen, 
Wenn mich dein Wort anrief, an deine Seite bat, 

Um Zug für Zug dem Königsspiele nachzusinnen, 
Dann war es gut, dies Beieinandersein, so nah, 

Daß unser Atem überm Brett sich traf: wir saßen 

Die Nächte durch, gebeugt, zergrübelt — und vergaßen 
Was Undeutbares in und über uns geschah. 
Der Nachtwind röhrte, die Geschütze brüllten dumpf, 
Das Echo rollte schaurig durch die schwarzen Wälder — 
Wir aber spielten, bis der letzte Kerzenstumpf 
Erloschen war am Rand der vierundsechzig Felder. 
Bis daß es finster war um Bauer, Ki 
So jäh verfinstert wie der Glanz der Königinnen — 
Wir hatten nichts mehr zu verlieren, zu gewinnen, 
Als rings das Erdendunkel wie der Bruder Wurm. 





416 


ig, Turm, 


wie die Sache abgelaufen war, er verdoppelte 
nur die Belohnung, wenn der Verwalter noch eine 
Nacht im Kornspeicher zubringen wollte, Aber 
wenn er das Zehnfache geboten hätte, wäre es 
doch vergeblich gewesen, 

Und das Gerücht von dem Spukleichenzuge brei- 
tete sich so aus, daß ein paar Mägde kamen und 
um ihre Entlassung baten. Der Major überlegte 
ernsthaft, ob er nicht das ganze berüchtigte Ge- 
bäude abreißen lassen sollte. 

Ehe es so weit kam, ereignete sich Jedoch etwas, 
was das Abreißen des Schuppens völlig unnötig 
machte. 

Es war eine kalte Septembernacht, und der Major 
konnte keinen Schlaf finden. Er wälzte sich in den 
verschwitzten Bettlaken, die an seinem Körper 
klebten und all seinen Bewegungen folgten, 
Wie gewöhnlich hatte der Major über die Wild- 
diebe nachgegrübelt und konnte darüber nicht 
einschlafen. 

Plötzlich richtete er sich im Bett auf. Es war erst 
zwei Uhr. Jetzt wollte er der vermaledeiten Wild- 
dieberei ein Ende machen. Ein Exempel statuieren. 
Er zog sich an, füllte seine Schnapsflasche und 
schlich sich die knarrende Treppe hinunter. 

Ahl Die Nachtluft schlug ihm kalt und feucht ent- 
gegen. Der Major schob seinen Hut aus der Stirn 
und atmete tief. Die Dämmerung lag blau über 
dem Hofplatz, wo der Tau in den Gräsern glitzerte, 
Der Wald stand schwarz hinter dem Kornspeicher, 
und jenseits leuchtete das Moor durch das lichte 
Föhrengehölz. Am Moore hatte sich der Major in 
einer Weidendickung ein weiches Lager bereitet, 
dorthin lenkte er seine Schritte, um den Wild- 
dieben aufzulauern. 

Das Warten in der ‚Weidendickung wurde ihm 
lang. Eine kalte Feuchtigkeit stieg vom Moore 
auf. — Endlich graute der Morgen. 

Plötzlich duckte sich der Major tiefer und spähte 
durch die Zweige. Ein Absatzeisen klirrte gegen 
einen Stein am Waldrande, und ein Gesicht mit 
rotem kurzen Schnauzbart und blinzelnden Augen 
tauchte hinter den Zweigen auf. Im nächsten 
Augenblick war es wieder verschwunden, aber 
der Major hatte den kleinen Fuchs-Olle, die raub- 
lüsternen Züge des Kätnerburschen erkannt. 
Olle kroch auf allen vieren nach einer Schilfbank 
hinaus, die etwa zwanzig Meter von dem Versteck 
des Majors entfernt lag. Hin und wieder wandte 
or den Kopf und guckte mißtraulsch nach allen 
Selten aus. „Sieh da...” 

Ein kapltaler Eichbulle trat aus den 
Büschen des Waldes und schritt mit 
wiegendem Gang über das Moor. Ja- 
je, das war der Zwölfender, der ihm 
vor ein paar Tagen gemeldet worden 
war. Der Atem dampfte ihm aus den 
Nüstern, als er in fünfzig Schritt Ent- 
fernung die gebogene Muffel hob und 
Im Winde schnob, Pängl 

Der Major fuhr wie von einer Natter 
gestochen In die Höhe. „Ha — das 
verflixte Luder...” 

Schäumend vor Wut stand der Major 
vor dem unglücklichen Schützen. Fuchs- 
Olle ließ alles über sich ergehen, Er 
stärrte mit hoffnungslosem Blick vor 
sich hin, „...anzeigen und Gefäng- 
nis...“ 

Das zündete. Olle begann endlich zu 
begreifen. Streckte die gefalteten 
Hände dem Major entgegen. „Nein, 
nein, nicht Gefängnisl... Die Mutter 
liegt krank zu Haus und kann sich 
ohne mich nicht helfen. Um Gottes 
willen, bester Herr Major, meine 
Mutter..." 

Nun war es so, daß der Major trotz 
seines barschen Äußeren ein weiches 
Herz in der Brust trug. Sein weißer 
Knebelbart zitterte. „Hm, hm, tja, 
deine Mutter, tja...” 

Die flehende Stimme wurde immer 
eindringlicher. Der Major räusperte 
sich, „Na ja, ich will Gnade vor Recht 
ergehen lassen — deiner Mutter 
wegen — wenn du ein paar Nächte 
im Kornspeicher wachen willst. Du 
kriegst auch ehrlich bezahlt, und wenn 
du den Spuk dort aus der Welt 
schaffst...” 

Olle blieb nichts anderes übrig, er 
mußte den Auftrag annehmen, und ob- 
wohl ihm übel zumute war, dankte er 


Wilsons Geist 


{Erich Schilling) 





„Diese Botschaft kenne ich doch, die ist ja von mir. Ich bin nur neugierig, wer diesmal darauf hereinfällt!?‘ 


Lo spirito di Wilson: "“Questo messaggio lo conosco, |"ho falto io. Sono curioso di vedere chi questa volta ci cade dentro!?,, 


dem Major, so gut er es konnte. So begab es 
sich, daß der Fuchs-Olle am selben Abend in einer 
Ecke des Kornspeichers auf einem wackligen 
Melkschemel saß. Neben ihm in einer Flasche 
stand der köstliche Whisky des Majors, und quer 
über seinen Knien hielt er das unselige Jagd- 
gewehr, das man ihm wieder ausgehändigt ha.te, 
$o vergingen einige Tage, Olie schlief tagsüber 
und verbrachte die Nächte im Kornspeicher In 
Gesellschaft der Whiskyflasche und der Büchse. 
Als er am vierten Abend über die Schwelle trat 
und die Tür hinter sich schloß, warf er nicht ein- 
mal mehr einen Blick nach der linken Ecke, in 
welcher der Sarg gestanden hatte, sondern ging 
gleich nach dem Lager, das er sich bereitet hatte 
Und bald lag er in tiefem Whiskyschlummer. 


Aber auf einmal erwachte er. Er streckte sich und 
nahm einen Schluck aus der Flasche. 

Waren da Mäuse? — Da raschelte etwas Im Spei- 
cher. Ein Deckel wurde aufgelegt: Fuchs-Olle griff 
nach seiner Büchse und starrte ins Dunkel. 
Plötzlich wurde er völlig wach. Die Spannung 
kitzelte ihm den Magen, seine Finger zitterten 
wie in Jagdfieber. 

Schwere Schritte schlürften vorüber. Zwei schwarze 
Schatten — ein Sarg... 

Olle stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Dann 
brannte er einen Schuß ab und taumelte auf sein 
Lager zurück. Der schwarze Leichenzug raste nach 
der Tür. Schreie hallten. Mit einem Krach fiel der 
Sarg auf den Boden. 

Als Olle wieder zu sich kam, stand der Major im 


417 


Mantel mit bloßen Beinen neben ihm. Mitten auf 
dem Fußboden lag ein Mann mit gefesselten Hän- 
den neben dem offenen Sarge, der mit Korn an- 
gefüllt war, Fünf bis sechs Mägde und einige 
Knechte lieten von einer Kornk'ste nach der 
anderen. 
„Ja, hier haben sie elwas genommen, und hier.“ 
„Für 150 Kronen Roggen haben sie gestohlen”, rief 
der Verwalter, „Ja, mindestens für 150 Kronen!” 
„Jesses, Jesses”, schnatterten die Mägde, „ach 
du meine Zeit, und wir glaubten, es sel eine ehr- 
liche Leichel” 
Aber der Major klopfte Olle auf die Schulter und 
versprach ihm goldene Berge und grüne Wälder 
Und Fuchs-Olle blinzelte unter den roten Augen- 
brauen in sellger Betrunkenhelt. 

(Aus dem Schwedischen von Ilse Meyer-Lüne) 


DASSIKEELBIDESTGEÜCKS 


VON GIGI VIVIANI 


„Du siehst blaß aus, Kleines.” 

„Ich habe heute Nacht nicht geschlafen.” 
„Warum?” 

„Well du nicht da warst. Aber wir wollen nicht 
von mir reden. Erzähl von deiner Reisel Erzähl 
vor allen Dingen von der blonden Frau, zu der du 
gefahren bist!” - 

„Sprechen wir von ihrl‘ 

Aber ich möchte eigentlich gar nicht von ihr 
sprechen, lieber von mir. Ich wünschte auch, die 
beiden hätten In Paris einzig von mir gesprochen; 
er: meine Gaben preisend; sie: unbändig neidisch 
auf unsere große, mich einzig und unvergleichlich 
dünkende Liebe. 

„Hast du ihr von mir erzählt?” 

„Natürlich. 

„Was hat sie gesagt?” 

„Ich habe ihr die Fotos von dir gezeigt. Sie sagte, 
du wärest sehr hübsch.” 

„Ob das aufrichtig:gemeint war?“ 

„Sie hatte Ja keinen Grund, zu lügen. Als einstige 
Geliebte hätte sie eher alle Ursache gehabt, das 
Gegenteil zu sagen.” 

Trotzdem, ich fühle mich durch diese Großmut, 
die„ich instinktiv durchschaue, In keiner Weise 
verpflichtet. Diese Frau Ist, glaub ich, viel zu 
klug, als daß sie auch nur im Entferntesten etwas 
gegef mich vorbrächte, 

„Was sagte sie denn, als sie dich wiedersah?” 
„Ausgeschimpft hat sie mich, well Ich mit einer 
Ve:spätung von änderthalb Tag elntraf.” 

Diesmal bleibe ich wie vom Schlag gerührt stehen 
und starre ihn mit weit aufgerissenen Augen an. 
Ist es möglich, daß es eine Frau gibt, die fähig 
ist,“ihn auszuschimpfen? Daß eine Frau den Mut 
fand und die Geschmacklosigkeit besaß, ihm häß- 
liche Worte zu sagen? 

Plötzlich faßt er mich bel den Schultern (meine 
ihm unerklörliche Bestürzung belustigt Ihn) und 
dirigiert mich zu einem Wagen, mit dem wir nach 
Hause fahren. Nun muß ich unbedingt alles wissen, 
was in den dreißig Stunden seiner Abwesenheit 
geschehen ist, die der Mann, dar mich liebt, mit 
einer herausfordernd schönen, klugen, blonden 
Jungen Frau verlebte, die er vor zwei Jahren ge- 
liebt hat. Sie rief meinen Geliebten unvermutet 
nach Paris, zur Erledigung etwelcher Geschäfte, 
bei denen seine Gegenwart und sein Rat unent- 
behrlich waren. Mit jenem Fatalismus, der meine 
zweite Natur ist, ließ ich ihn reisen, Ich wollte 
Ihn nicht begleiten, weil es wie Mißtrauen aus- 
geschen hätte, als sei Ich seiner Treue nicht sicher. 
Ist sie noch sehr schön, die blonde Frau?” 

Er antwortet nicht gleich, well er einem anderen 
Gedanken nachhängt, der ihn nicht losläßt. 

„Ich mag dieses ängstliche und verzweifelte Ge- 
sichtchen nicht sehen, Kleines. Es wäre mir lieber 
gewesen, du hättest auf mich gehört und mich 
begleitet; so hättest du sehen können, wie grund- 
verschieden meine Liebe zu dir von der Liebe Ist, 
die Ich zu Ihr hegte.” 

Zu Hause angekommen verspüre ich so etwas wie 
ein Gefühl der Beruhigung. Ich hänge zärtlich an 
meinem kleinen Heim, das beinahe schön ist, von 
Teppichen durchwärmt, von Vorhängen verdun- 
kelt, von Licht durchströmt, wenn ich bei Sonne 
die Fenster aufreiße, und das so still ist, als läge 
es irgendwo versteckt auf dem Lande und nicht 
inmitten der Stadı. Ich weiß, auch mein Geliebter 
ist gern in meinem Heim, und ich scheine ihn 
wiederzugewinnen, nun er ins Nest zurückgekehrt 
Ist. 

„Du hasi auf meine Frage nicht geantwortet: Ist 
sie noch sehr schön, die blonde Frau?” 

Er rasiert sich gerade (die Stoppeln von nahezu 
zwei Tagen) und antwortet mit kleinen Pausen; 
er lacht über meine Besorgnis, die ich mir zwar 
nicht anmerken lassen will, aber mit jedem Wort 
verrate, 

Sie ist noch sehr schön. Als ich nur mit meinem 
grauen Köfferchen ankam, protestierte sie gleich: 
warum ich nicht den Smoking mitgebracht hätte. 
„Warum nicht gar den Frack?” 

Er merkt nicht, daß ich im Begriff bin, böse zu 
werden, 

„Für den dreitägigen Aufenthalt in Paris hatte sie 
so viele Toiletten mitgebracht, wie für vierzehn 
Tage ausreichen würden odar noch zu viele wären. 
Am Nachmittag trug sie einen anderen Pelz als 


am Vormittag und war äußerst gareizt, weil ich 
keinen Abendanzug mitgebracht hatte und sie 
nicht auf den Montmartre begleiten konnte, wo 
sie einen dritten Pelz entfalten wollte, einen Her- 
melin, den schönsten der acht in Frankfurt existie- 
renden.” 

Ich sehe zaghaft an meinem schmucklosen seide- 
nen Fähnchen hinab. Und gleich demütigt mich 
diese Verzagtheit, die ich nicht überwinden kann 
und die mich zu ersticken droht. 

„Na und?” 

„Wir sind in die Umgebung von Paris gefahren, 
mit ihrem Auto, einem deutschen Wagen, Sport- 
typ, wunderhübsch. Sie hat ausgezeichnet chauf- 
fieren gelernt. Wir sind auch die Pferde ansehen 
gewesen, die sie für ihren Berliner Rennstall ge- 
kauft hat. zwei prächtige Kerle.” 

„Kann sie reiten?” 

„Wie eine Amazone.” 

„Und dann?” 

„Dann ist sie nach Hause gefahren, in der Nacht. 
Ich sollte sie nach Deutschland begleiten. Zum 
Glück hatte ich kein deutsches Visum.“ 
„Andernfalls hättest du sie begleitet...” 

Er dreht sich unversehens um (auf die Gefahr hin, 
sich zu schneiden). 

„Übrigens, Kleines, Ich hab dich noch nie so ge- 
sehen.” 

„Mag sein. Du bist Ja auch noch nie verreist, um 
dich mit einer blonden Frau zu treffen, die dir 
nicht gleichgültig war. Im Grund hatte ich nicht 
unrecht, wenn. ich annahm, daß die blonde Frau 
mehr an,eine Vergnügungsreise dachte als an eine 
geschäftliche Besprechung. Das beweisen die 
vielen Toiletten und Pelze, die sie mit nach Paris 
nahm.” 

„Wahrhaftig. Das hab ich weder gedacht noch 
gemerkt.” 

„Wie bescheiden!” 

„Nein, tatsächlich.” 

Zum zweiten Male verstumme Ich. Ich weiß nicht 
mehr, was ich sagen soll. Ich sehe meinen Ge- 
liebten neben der blonden Frau sitzen, d'e bis an 
die Nasenspitze in ihren Pelz gehüllt ist und mög- 
lichst virtuos ihren mächtigen, luxurlösen Wagen 
zu steuern sucht; ich sehe meinen Geliebten am 
gedeckten Tisch der blonden Frau gegenüber- 
sitzen, die überelegant angezogen und mit Bril- 
lanten und Perlen beladen ist; icn sehe ihn, wie 
‚er mit seinen Händen leicht die bebenden Nüstern 
zweier Rennpferde streicnelt, und neben ihm 
steht die schöne, sportliche Frau. Ihr ganzes Wesen 
ist so grundverschieden von meinem, so fern, so 
unendlich viel verlockender als meines, daß mich 
wieder das Bewußtsein meiner Minderwertigkeit 
überkommt und mich im Halse würgt. Ich hätte 
große Lust, zu weinen. Auch mein Heim gefällt 
mir nicht mehr. Die Möbel, die ich mühevoll bei 
den Antiquitätenhändlern ausgesucht hatte, kom- 
men mir alt und verbraucht vor, die Kissen banal, 
die Teppiche ärmlich. Mein Mantel und das Filz- 
hütchen, das ich beim Nachhausekommen auf 
einen Stuhl geworfen habe, sind und bleiben 
armselig, geschmacklos und unelegant, auch wenn 
sie mir gut stehen und mich jünger machen. Nichts 
gefällt mir mehr. Auch ich selber nicht. Im Gegen- 
tell} ich wundre mich, daß ich meinem Geliebten 
gefalle, wo ich doch nicht blond bin, nichts 
Schönes anzuziehen habe, keine kostbaren Pelze 
besitze, 

„Was hast du denn? Du sprichst doch gar nicht 
mehr mit deinem armen Freund, der in so Über- 
großer Eile zu seinem Kleinen zurückgekehrt ist.“ 
„Und wann habt ihr von euren Geschäften ge- 
sprochen?” 

„Gleich nachdem ich angekommen bin. Eine halbe 
Stunde im ganzen.“ 

„Achl“ 

Tränen schleßen mir in die Augen, und ich kann 
sie nicht länger zurückhalten. Er stäubt sich mein 
Kölnisches Wasser ins Gesicht und sieht mich an. 
„Du weinst?“ Er schließt mich sogleich in seine 
Arme. „Warum weinst du? Bist du nicht glücklich, 
daß ich umgehend nach Hause gekommen bin, 
daß ich dir haarklein erzählt habe, was geschehen 
ist und was wir gesprochen haben?” 

„Nein.“ 

Er sieht mich entsetzt an. 

„Du bist unglücklich?” 





418 


„Ich bin unglücklich, weil du bei deiner Rückkehr 
solch ein ärmliches Kleines vorgefunden hast, ohne 
Schmucksachen, ohne Pelze, dazu bestimmt, zu 
Fuß vom Bahnhof nach Hause zu gehen...” 
„Dummchen! Kleines Dummchen..., Wie kannst du 
glauben, Ich interessiere mich für einen Luxus, 
der nicht mir gehört.” 

Er versteht nicht, versteht nicht meine Qual, die 
mich erfüllt und die Ich dennoch als unwürdig 
empfinde; aber sie ist so stark, daß ichs nicht 
hindern kann, wenn sie mich pelnigt .. Mein Ge- 
liebter macht sich zum Baden zurecht; ich lasse 


-ihn allein und ziehe mich In meinen Salon zurück, 


wo ich weinen kann, ohne daß er es sieht, und 
wo ich versuchen will, mich wieder mit mir selber 
auszusöhnen, mit meinem Heim und meinen Klei- 
dern. Ich weiß, nur wenn ich allein >in, kann ich 
mich zu mir selber zurückfinden. Niemand, nicht 
einmal mein Gellebter könnte mir mein Selbst- 
bewußtsein wiedergeben. Ich weiß nicht, ob 
meine Zärtlichkeit das Wohlgefallen aufzuwiegen 
vermag, das ein Hermelinmantel, der schönste der 
acht in Frankfurt existierenden, den Sinnen und 
Augen bietet. 
Ich glaube, in diesem Augenblick würde Ich mit 
Wonne jenen kostbaren Pelz vernichten, der sich 
mit königlicher Miene voll Verachtung ‚gegen 
mich wendet. Ich könnte ja sagen, es mache mir 
nichts aus. Das ist aber nicht wahr. Es schmerzt 
mich tief, daß ich ihm, der so viel Schönhelt ge- 
noß, nicht 'erhabenere Schönheit zu bieten ver- 
mag, die ihn alles vergessen lassen könnte, was 
seine Augen bis gesiern sahen. Aber ich kann 
es nicht, und diese Unfähigkeit betrübt mich; es 
ist, wie wern jemand schwer krank Ist und 
zweifelt, je wieder gesund zu werden. 
„Kleines!” 
Ich zucke zusammen wie auf frischer Tat ertappt. 
„Was ist?“ “ 
„Kleines, ich bin ins Bett gegangen, weil ich so 
müde und abgespannt bin. Bist du nicht auch 
techt abgespannt?” 
„Nein.” 
„Oder wenigstens müde?” 
„Nein.“ 
„Willst du nicht herüberkommen und mir beim 
Schlafen Gesellschaft leisten?” 
„Nein.” 
Es ist nicht wahr, daß ich nicht will. Ich will nur 
nicht, daß er abermals mein allzu bescheidenes 
Kleidchen dem anderen, dem allzu üppigen Kleide 
gegenüberstellen kann; ich will nicht, daß er 
meine bescheidene Wäsche unwillkürlich mit der 
wer weiß wie mit Spitzen und Stickerei verzierten 
der blonden Frau vergleicht... Aber plötzlich 
kommt eine ungeahnte Süßigkeit über mich, und 
ein Schauer durchfährt mich, der auf mich über- 
sprang, als mein Gellebter mich rlef. 
„Kleines, ich friere. Wenn du mich nicht wärmen 
kommst, kann ich nicht einschlafen...” 
Diese Ausrede kenne ich, damit maskiert er den 
Wunsch, mich ganz eng in seine Arme zu schlie- 
Ben, Und instinktiv lasse ich mein Kleidchen 
fellen, die Höschen, die Strümpfe... Ich werde 
mich ihm darbringen, wie ich bin, ohne elegante 
Toilette, ohne seidenes Hamd, ohne langes blon- 
des Haar. Ich werde ihm meinen kleinen bloßen 
Körper darbringen, mit der weißen Haut, dem 
Bubenkopf, der leisen Anschmiegsamkeit und 
dem Geheimnis der Lust, das ihn berauscht. Und 
ebenso glücklich wie vor seinar Reise betrete 
ich die Kammer, die mich wohlig aufnimmt und 
freundlich wie ehedem, schön wie ehedem ist 
und mir wieder gefällt. 
Er empfängt mich mit einem ‘kleinen Freuden- 
schrel und richtet sich im Bett auf. 
„Oh, Kleines, endlich! Du hast mich noch nie so 
lange warten lassen. Komm schnell... Du wirst 
dir in diesem Kostüm den Schnupfen holen!” 
Er lacht. Er ist bei mir wieder zum Kinde ge- 
worden. Und ich eile in seine Arme und freue 
mich meiner Nacktheit. 
„Ich habe nichts Schöneres anzuziehen als das!” 
sage Ich mit schwachem Lächeln und verberge 
mein Gesicht ihm zwischen Hals und Schultern. 
„Ich weiß nicht, ob es In Frankfurt acht schönere 
oder weniger schöne Felle...” 
„Still! Frankfurt existiert nicht mehr, Hermelin 
verabscheue ich, Autos sind mir widerlich, Renn- 
pferde sind etwas Unangenehmes, mein Kleines 
dagegen Ist das Glück.” 
Ich schließe die Augen, um andächtig das einzig- 
dastehende Kleid vorzuführen, das keine Schnei- 
derin konleren kann: das Kleid des Glücks, 

(Aus dem Italienischen von Thea Welde.) 





Das strenge Mädchen Krisen 








„Aber Lisbeth, auch in einer ungebügelten Hose kann ein Mann mit seelischen Qualitäten stecken!" 
„Und du glaubst, daß die durchs Bügeln leiden würden?“ 


La ragazza severa: ‘Ma, Lisetta, anche entro calzoni non stirati puö esservi un uomo con belle qualitä di spiritol,, 
“E credi tu che queste potrebbero soffrir danno dalla stiralura?,, 


419 


EIINIEZVEIRTIEVIEEIERESSAGIEIIE 


VON HANS REIMANN 


Ortrud kam aus dem Kino. Ihr Mann hatte einen 
Geschäftsfreund aufgesucht, mit dem er freund- 
schaftlichen Verkehr aufrecht erhalten mußte. 
Man konnte ihn getrost allein gehen lassen, Der 
Geschäftsfreund hatte keine Töchter, sondern 
nur einen im Stimmwechsel befindlichen Sohn 
sowie eine Gattin, die auch einem weniger an- 
spruchsvollen Menschen als Ortruds Mann unge- 
fährlich war, 

Es regnete in Strömen. Ortrud pferchte sich in 
eine überfüllte Straßenbahn. Das letzte Stück 
mußte sie laufen, da half alles nichts, denn bis 
zum Stadtrand war der Fortschritt noch nicht fort- 
geschritten. 

Unterwegs fingerte sie in der Handtasche vor- 
sorglich nach dem Hausschlüssel, Er machte sich 
durch hartnäckiges Fehlen bemerkbar. Ortrud trat 
unter einen dichtbelaubten Baum und kramte 
hastig alles um und um, Kein Schlüssel. Sie trabte 


Training - Allenamento 





weiter und zerbrach sich den Kopf, warum und 
wo sie den unentbehrlichen Gegenstand ver- 
gessen haben und wer daran schuld sein mochte. 
Sämtliche diesbezüglichen Fragen blieben offen. 
Sie wohnten In einem Zweifamilienhaus. Die an- 
dere Partei war mit Sack und Pack verreist. 
Ortrud zögerte, ehe sie dem verschlossenen Ge- 
bäude tropfend näherschwebte. In der Nähe be- 
fand sich ein Telefonautomat. Den merkte sie als 
letzte Rettung vor, obschon Ihr peinlich war, bei 
Erwins Geschäftsfreund anzuläuten. 

Sie landete vor dem finsteren Haus. Läutete. 
Nichts. Folglich war Erwin nocn nicht eingetroffen. 
Sie rannte zum Fernsprecher und rief an, Ein ver- 
schlafener Baß, zunächst unwirsch, dann mühe- 
voll wirsch, bedauerte, daß Erwin weder da ge- 
wesen sel, noch daß man ihn erwartet habe, Be- 
dauerte außerordentlich, 

Es war dreiviertel zwölf geworden. Ortrud Jagte 


(0. Hermann) 





„Siehst du, Ria, nun kann Ich bereits dämonisch schauen — 
aber es strengt mich noch furchtbar an!" , 


“Vedi, Rio, ora posso gi& fare gli occhi diabolici. Ma che fatica terribile Juora per met, 


420 


zurück — umwölkt von schwärzlichen Gedanken, 
durchweicht vom unaufhaltsamen Regen, schwan- 
kend zwischen heller Verzweiflung und krampli- 
gem Optimismus. Auch ein boshafter Racheplan 
spukte im Hintergrund. 

Nach wie vor lag das Haus in unbarmherzigem 
Dunkel. Ortrud sagte etwas Unschönas vor sich 
hin. 

Die Lampe Im Herrenzimmer war noch warm, Das 
konnte man allerdings nicht von draußen fest- 
stellen. Die Lampe im Schlafzimmer war einen 
Grad wärmer. Auch dies blieb der guten Ortrud 
verborgen. Leise weinend, hockte sie sich auf 
die oberste Treppenstufe und wartete auf Erwin, 
den ‚Gatten, 

Erwin, der Gatte, duselte soeben ein. Er hatte 
seinen Plan aufgegeben, den Geschäftsfreund an- 
zurufen, statt dessen im „Mohren“ einige Partien 
Billard gespielt und sich wieder nach Hause ver- 
fügt. Ortrud war selbstverständlich noch nicht 
aus dem Kino zurück. Sicher hatte sie eine Freun- 
din getroffen und tratschte Irgendwo mit Ihr. Erwin 
war seiner Ortrud durchaus treu, und Ortrud war 
ihrem Erwin treu, das stand fest wie das Einmal- 
eins. Sie würde schon kommen, Ihn schlafend 
finden, sich geräuschlos Ins Bettchen legen und 
morgen früh an seiner Seite erwachen — wie 
gewohnt und obrigkeitlicherseits genehmigt. 
Mit der satten Zufriedenheit eines braven Haus- 
haltvorstands schnarchte Erwin leise in die 
Kissen. c 

Im Morgendämmer platzte Ortrud ins Schlafzim- 
mer, nachdem sie von der Aufwartefrau eingelas- 
sen worden war. Es entstand ein bewegter Mor- 
gen. Ortrud glaubte ihrem Gatten keine Silbe. 
Bestimmt war er, während sie schlummerte, be- 
hutsam über sie hinweggestiegen, um sein nächt- 
liches Abenteuer nicht zu verraten. Erwin empörte 
sich über diesen ungehauerlichen Verdacht und 
drehte den Spieß um. Hatte sie einen Zeugen 
dafür, daß sie die geschlagene Nacht im Haustor 
gehockt hatte? Erwins Gewährsmann, der Billard- 
partner, kam bis elf Uhr in Beiracht. Ortruds Ge- 
währsmann, der wirsch gewordene Geschäfts- 
freund, hätte lediglich ihren abendlichen Anruf, 
die Aufwartefrau hingegen ihre morgendliche 
Anwesenheit vor der Tür zu bestätigen vermocht. 
Im übrigen klaffte da eine Lücke, die mit Miß- 
trauen, Verdächtigungen und Vorwürfen auszu- 
füllen dem Gemahl anheim 'gastellt blieb. Ortrud 
drehte ihrerselts den Spieß 'ım, doch Erwin er- 
brachte ohne weiteres den Nachweis, daß er mit 
Wachs in den Ohren geschlafen habe, weil ihn 
ein quakender Frosch schier verrückt gemacht 
habe. Dem Geräusch nach zu urteilen, war das 
Biest mindestens so groß gewesen wie ein Kalb. 
Er trage sich mit der Absicht, einen Jagdschein 
zu beantragen. Woraufhin Ortrud sich entrüstete, 
er möge bitte die Angelegenheit nicht ins Lächer- 
liche ziehen. Woraufhln Erwin beteuerte, es sel 
ihm heiliger Ernst, 

Diesen Stoff klemmte sich der Teufel unter den 
Atm und verteilte ihn in mehreren Abschriften. 
Bald erzählte einer am Stammtisch die Geschichte 
als wahres Erlebnis seines Schwagers. Im Frisör- 
laden wurde sie von einer Dame als die Tragödie 
einer Jung verheirateten Freundin berichtet. Ein 
Ehemann servierte sie "als auf der Trambahn er- 
lauscht und knüpfte daran belehrende Ausfüh- 
tungen über die Sinnlosigkeit der Eifersucht. Ein 
Filmschriftsteller verlegte die Begebenheit der 
Reihe nach in den wilden Westen, den zahmen 
Norden und den charmanten Südan, umrankte das 
Histörchen mit Historie, merzte die Historie wlie- 
der aus und ließ den Vorfall um 1900 spielen, ge- 
staltete Ihn jedoch, die Jahrhundertwende ver- 
werfend, zu einer Urlaubernovalle um, durch- 
blätterte Ganghofer, Karl May, Wilhelm Raabe 
und Gottfried Keller und legte schließlich den 
Stoff in die Mappe „Unerledigt, aber dringend”. 
Ein Dichter hängte das Thema einige Tage 
zwischen die Doppelfenster, holte es dann her- 
ein und garnierte das Ganze so lange mit Versen, 
bis vom anekdotischen Kern aber auch nichts 
mehr zu erkennen war. 

Der Teufel grinste In seinen Spitzbart und lauerte. 


Sonntagnachmittag beim Pascha - Pomeriggio domenicale presso Il Pasciä 


Bisher hatte keiner der Belieferten das Wesent- 
liche getroffen. Konnte man Ortrud trauen? Konnte 
man Erwin trauen? Hatte Ortrud geflunkert? Hatte 
Erwin geflunkert? Hatten beide geflunkert? Hatten 
beide die Wahrheit gesagt? 

Die Zeit war gegen den Teufel, Seine Hoffnung 
schwand. Nirgendwo ward in einer Apotheke 
heimlich nach Zyankall gefragt, in den Waffen- 
läden erschienen lediglich die alten Kunden und 
ersuchten um Schrot oder Rehposten, die Seiler 
bemerkten keine wesentliche Umsatzsteigerung, 
die Gasanstalt buchte nicht den geringsten Mehr- 
verbrauch, Äxte und Hämmer wurden im selben 
Umfang verlangt wie ehedem, und die Feuerwehr 
hatte weder Leidenschaftsausbrüche zu löschen 
noch zerhackte Kommoden wegzuräumen. Dem 
Teufel schwante, daß er sich mit selner Geschichte 
verspätet habe, Trotzdem saß er noch immer und 
laueı 
Bis s Tages Ortrud und Erwin davon ver- 
nahmen und sich augurisch anlächelten. Binnen 
kurzem hatten sie den Urheber der Albern- 
helt erkannt und begaben sich Hand in Hand 
zu Ihm, 

Der Teufel erbleichte bis In den Schweil, 
die jen nahen sah. Ortrud hatte sich 
nommen, schnippisch aufzutreten, aber wie 
Frauen so sind: im entscheidenden Moment kippte 
sie um, klopfte dem Teufel leutselig auf die zot- 























tige Schulter und sagte: 
schlechte Romane gelesen, mein ni" 

Erwin aber, durch janftmut seiner Gattin auf- 
gebracht, pflanzte sich breitbeinig vor dem Höllen- 
fürsten auf und donnerte: „Wissen Sie, was Sie 
mich können? Sie können mich am Berlichingen 
ergötzen....” 

Da entschwand der Teufel unter Hinterlassung von 
allerhand H:S. 

Erwin und Ortrud sind endgültig versöhnt. Bei allen 
anderen, die davon wußten, Ist längst Gras über 
den Vorfall gewachsen, Mich aber zwickte und 


„Sie haben zuviel 








{Fr. Bilek) 


zwackte es, dauernd ging mir die verteufelte 
Sache durch den Kopf. Wie, sagte ich mir wieder 
und wied: 'jenn uns Ortrud und Erwin, In still- 
schweigendem Einverständnis, geleimt hätten? 
Und ich sprach mit jedem von beiden unter vier 
Augen. Ortrud versicherte mir, nicht im Kino ge- 
wesen zu seln. Erwin versicherte mir, nicht Billard 
gespielt zu haben. Im trauten Beisammensein war 
der Abend von Ihnen verbracht worden. Der Teu- 
tel hatte das Ganze aus der Luft gegriffen. 

Auf so plumpe Weise entstehen oft beinah 
Tragödien. 








Von der bewußten Einladung 


Ich hörte, wie ein Mann ganz empört zu einem 
andern sagte: „Der Ding ist schon ein ganz Im- 
pertinenter Menschl” = 
„Hat er dir leicht eppes an’tragen?“ fragte 
sein Freund. 

„Da wär nix dabei”, erwiderte der andere, „das 
Ist man gewöhnt, das ist boarisch — aber woaßt, 
was er zu mir gesagt hat? Sie dürfen mich — 
hat er gesagt ie dürfen mich, wenn ich ein- 
mal Zeit habe! So ein impertinenter Menschl” 

* 


421 








Das Amt hatte dankenswerterweise verfügt, daß 
zur Vereinfachung des Verkehrs In Zuschriften aus 
Publikumskreisen die Höflichkeitsfloskeln gänzlich 
wegfallen und „auf knappstem Raum in der natür- 
lichsten Form” geantwortet werden möge, 

„Daran soll's nicht fehlen!” sagte der Hinterwim- 
mer Beni, von dem IrrtUmlich ein Betrag einge- 
fordert worden war, den er schon vor längerer 
Zeit bezahlı hatte. Er schrieb auf die Umseite der 
Mahnung: „Am A...” Aber das war dem Amt 
auch wieder nicht recht. P. Sch, 








Ohne Badeanzug 


„Ich finde, das Wasser ist heute furchtbar kalt!‘ 


„Du hättest halt mehr anziehen sollen!“ 


422 


IK. Helligenstandt) 





BEINAHE EIN 
WUNDERMANN 


VON FRITZ MICHAEL 


Er war ein Siebenmonatskind, d. h. er hatte, als 
seine an und für sich gleichaltrigen Kameraden 
das Licht dieser einmaligen Welt erblickten, schon 
Ereignisse von zukunfisschwangerer Bedeutung 
hinter sich. Er war in der gesamten Verwandtschaft 
herumgereicht worden. Tanten hatten Ihn geküßt, 
ohne sich um sein entsetztes Schreien zu küm- 
mern; sie hatten Ihn goldig, süß und reizend ge- 
tunden, obwohl er nur ein kleines rotes Bündel 
war, und sie hatten gewünscht, daß er ein Wun- 
derkind werden möchte, Dieses schien er sich 
zu Herzen genommen zu haben, denn er wurde 
es wirklich. Aber nicht etwa, daß er irgendein 
Wunderkind geworden wäre, nein, er war ein 
Wunderkind mit allen Schikanen, ein Hyper 
wunderkind. ke 
Als seine schon oben erwähnten Lebensgenossen 
noch Dati statt Vater sagten, sprach er schon fran- 
zösisch, koptisch und malalisch perfekt. Nach- 
dem er einmal diese Umgangssprachen be- 
herrschte, fielen ihm auch die anderen bedeutend 
leichter und nach kurzer Zeit übersetzte er Karl 
May Ins Sanskrit und in dreißig indische Dialekte. 
Sein Zahlengedächtnis war mehr als enorm. Mit 
fünf Jahren behlelt er eine einunddreißigstellige 
Zahl mit Quersumme, nachdem man ihm diese 
einmal vorgelesen hatte. Außerdem wußte er alle 
Zahlen über die Gewinnung von landwirtschaft- 
lichen Erzeugnissen und industriellen Rohstoffen 
im Britischen Weltreich in den Jahren 1801 bis 1911. 
Piston, Mandoline, Okarina und Querpfeife spielte 
er ohne Noten, alle anderen Instrumente, nachdem 
ihm die Handhabung einmal gezeigt worden war. 
Seine Eltern waren stolz auf Ihn und hatten sein 
Bild auf dem Vertiko stehen. Daneben stand eine 
Vase mit verwelkten Gräsern und eine Gruppe 
„Hirsch ein Reh verfolgend“, letzteres hatte er 
aus einer Bierflasche selbst geblasen. 

Er war aber nicht nur künstlerisch begabt, son- 
dern auch praktisch, Aus einer alten Kehrschaufel 
verfertigte er eine handgehämmerte Obstschale, 
die, nachdem sie versilbert worden war, eine Zeit- 
lang im Schaufenster eines Goldschmiedes ge- 
zeigt wurde. 

Während den anderen Altersgenossen noch die 
Nase lief, ohne daß sich jemand so recht darum 


(Hanna Nagel) 





0. Hogenbarth) 





„Glaub mir, mein Kind: wenn auch Ich damals meinem Herzen 
nachgegeben hätte, wärest du heute ein Affenpinscher!" 


*Credi, figliuol mio, se anch’ io avessi ceduto allora al mio cuore, oggi tu saresti un cane grifone!,, 


gekümmert hätte, und sie sich bei Balgereien die 
Hosenböden zerrissen, schrieb er einen Roman. 
In seinem fünfzehnten Lebensjahr endlich rutschte 
er auf einer Bananenschale aus. Statt sich aber 
das Schlüsselbein zu brechen, rettete er sich durch 
einen Salto rückwärts, kam aber einem Lastauto 
zu nahe und wäre ohne Zweifel überfahren wör- 
den, wenn er sich nicht — geistesgegenwärtig 
wie er war — unter die Mitte des Wagens ge- 
rollt hätte, so daß dieser, ohne selbst Schaden 
zu nehmen, über ihn hinwegfuhr und nur einen 
Tropfen DI auf seiner Krawatte hinterließ. 

Er war alles, was man sich denken konnte: Künst- 
ler, Artist, Athlet usw., daneben spielte er Polo, 
Golf, Skat und Romme, obgleich letzteres ver- 
boten war. 

Den Tanten wurde er nun nicht mehr herumge- 
reicht, Diese hatte er schon längst wie Marlonet- 
ten hinter den Kulissen des Lebens verschwinden 
lassen, obwohl er doch nur ihren Wünschen seine 
Fähigkeiten verdankte. Aber Undank ist der Welt 
Lohn, auch bei Wunderkindern. Er wurde einem 
internationalen Publikum vorgeführt, welches wie 
wahnsinnig klatschte, als er sich selbstbewußt lä- 
chelnd auf der Bühne zeigte, eine rote „Haut- 
den-Lukas-Rose” Im Knopfloch, die er als Drei- 
jähriger bei einem Schützenfest geschlagen hatte, 
wobei der Mast, an dem der Lukas hochsauste, 
zerbrochen war. 

Inzwischen war nun auch die Zeit gekommen, in 
der er ein Mann hätte werden sollen, natürlich 
nur, was das Alter anbetrifft, denn In den anderen 
Sparten war er es schon längst, Aber ein Wun- 
derkind ist schon eine Seltenheit, ein Wunder- 
mann dagegen ist noch seltener. Im Alter neigen 
wir alle dazu, an einem behaglich auswattiertem 
Lebenslauf Geschmack zu finden. Daß er diese 
Neigung auch verspürte, sollte Ihm zum Verhäng- 
nis werden. Das Schicksal, das ihn für eine so 
außerordentliche Laufbahn vorgesehen hatte, 
nahm ihm seinen neuen Entschluß recht krumm. 
Noch während er mit der Beschaffung der Watte 
für den besagten Lebenslauf beschäftigt war, 
stach ihn eine an und für sich harmlose Mücke 
und — — jedenfalls am anderen Tage war er tot. 


DER ALTE LÖWE 


VON PETER SCHER 


Guter Gott, mit drei noch festen Zähnen 
muß? er sicdı ein grimmiger Löre mähnen; 
aus ersciöpftem Busen muß er brüllen, 
traurig muß? er sein Gebrest enthüllen: 
Daß er nicht mehr ist, was er gewesen — 
und dies alles für bescheidene Spesen. 


Adh, wie gern wär er nicht auf der Höhe, 

säß vorm Hüttdıen, fing mit Andadıt Flöhe, 
medelte bescheiden mit dem Scdimweifchen, 
krödımohl audı mal durch ein Kinderreifchen — 
aber Sprung und Tatzenschlag zu mimen, 

das mill einem Opa nicht geziemen. 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(9. Nückel) 





Die beiden Boxer gingen aufeinander los. Höflich 
fragte der eine den anderen: „Ich will Ihnen die 
Sache gern angenehm machen — was für Traum- 
bilder wünschen Sie?“ Beye 
* 

Ein Mädchen im Gebirge schenkte mir sein Ver- 
trauen und erzählte von dem Heiratsantrag, den 
der Lenz, ein Holzknecht, ihr mit dem schlichten 
Satz gemacht hatte: „Magst mi oder magst mi 
net? Wenn d’ mi magst, is guat un wenn d’ mi 
net magst, nacha kost mi...” 
Ich fragte: „Und was hast du ihm geantwortet?“ 
‚Koan vo di zwoa Anträg ha | an- 

P. Sch. 











Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschalt, München, Sondlinger Straße 30 (Fomruf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. 


Verantwortl. Schriftleiter: Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. 
anstalten entgegen. — Bezugspreise: Einzelnummer 30 Pl.; Abonneı 2 





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0. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — 


Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München 


KAMERADEN 


Von Wilhelm Pleyer (E. Thöny) 















Kamerad, wenn mir marfchieren Kamerad, du follft Dich freuen, Kameraden gibt es viele 


In das fremde Land hinein, Daß der befte Freund noch dein, Und kein Menfch ift ganz allein, 
Wenn mir fingen, mufizieren, Unter Alten, unter Neuen Treu marfchieren fie zum Ziele, 
Tönt ein dunkles Fragen drein: Noch marfchieren wir zu zwei’'n. Fröhlich fchwenken fie den Wein. 
Ich oder du, du oder Ich, Ich oder du, du oder Ich, Ich oder du, du oder Ich, 

Einer muß der Erfte fein, Einer muß der Erfte fein, Einer muß der Erfte fein, 

Ich oder du, du oder ich, Ich oder du, du oder Ich, Ich oder du, du oder Ich, 

Tönt ein dunkles Fragen drein. Noch marfchieren wir zu zwei'n. Und der andre fchwenkt den Wein. 


München, 11. August 1943 
48. Jahrgang / Nummer 32 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Aufstieg in USA. 


(Wilhelm Schulz) 


„Was macht eigentlich unser Freund, der Kidnapper, der damals einige Kinderchen umbrachte?‘* 
„Oh, der hat's weit gebracht. Der betreibt es jetzt im Großen: er ist Bombenflieger geworden!“ 


Ascesa negli USA.: "In realtä che fa il nostro amico infanticida che allora ammazzava alcuni bambini?,, 
“Oh, & salito molto in alto! Adesso lavora all’ ingrosso; s’ & fatto aviatore bombardiere!, 





Die Mondsüchtige = La sonnambula 


WANN IST MAN ALT? 


—a 7 





VON SCHLEHDORN 


Eintagsfliegen leben bekanntlich 2 Tagı wahr- 
scheinlich sind sie am Abend des zweiten alte 
Herrschaften und haben 3 Stunden lang Anspruch 
auf achtungsvolles Zuhören der Jungfliegenschaft. 
Menschen leben durchschnittlich 2 Menschenalter, 
— und dann noch einige Jahre jenseits der Alters- 
grenze, erstaunlich rüstig mit ihrer lieben Frau. 
Also: lange nicht so lange wie etwa der Elefant, 
— das hängt wohl mit dem dicken Fell zusammen, 
— oder gar die Schildkröte, — die früh gewöhnt 
wird, sich in sich selbst zurückzuziehen. Lange 
nicht so lange wie die Stechpalme Im Krematorium 
oder die Rebe, von deren Wein gute Freunde auf 
unser Gedächtnis trinken. 

Man wird sonach nicht alt; und daß man plötzlich 
alt ist, das ist auch einer der Widersprüche 
zwischen der Logik, die recht hat, und dem Leben, 
das recht behält. 

Aber: wann Ist man alt? Die Frage ist nicht neu. 
Da Regierungsrat Julius wieder einen seiner immer 
häufigeren Geburtstage hatte, kam sie von selbst. 
Und sich von selbst: wenn man sich 
diese Frage stellt, ist man alt. 

‚Auch hier Ist allos relativ. So sind z.B. alte Harren 
älter als ältere Herren. Dafür sind aber junge 
Damen noch jünger als jüngere Damen. So hübsch 
höflich ist der Sprachgebrauch. 

„Solange man noch neue Gewohnheiten annimmt 
und noch Widerspruch vertragen kann”, sagte 
Marie v. Ebner-Eschenbach, „ist man nicht alt“, 
und die Sandrock: „solange man noch Theater 
spielen kann.” Dies gilt nicht nur für die Bühne 
und nicht nur für die Damen. 

„Ihr Männer seid alt“, meinte Frau Dorette, „wenn 














Ihr anfangt festzustellen, wie Jung ihr noch seid. 
Wenn Ihr z.B. noch auf die fahrende Elektrische 
springen konntet...“ Hoffnungslos ist der Fall, 
wenn dann dem Auf- und Kurzatmenden eine 
Junge Dame ihren Platz anbietet. Als sich einmal 
die jungen Mädchen einer Stadt verschworen, vor 
jedem Herrn über 40 in der Bahn aufzustehen, 
vergreiste der Ort zusehends. 

Ein Philosoph würde vielleicht antworten; wenn 
das Vergnügen am Leben ab — und die Angst 
vor dem Tode zunimmt. Oder; wenn die Erinnerung 
weltsichtig und das Gedächtnis kurzsichtig wird. 
‚Oder: wenn man merkt, daß die meisten Gegen- 











Von der Macht des Gemüts 


IR der Barbeftand an leckern 

Dingen momentan verblüht, 

- muß der Menfch gleich immer meckern? 
Wozu hat er dao Gemütt 


Liefert es doch Seelenhräfte, 

mittels derer man behend 

ftatt für Wein für Himbeerfätte, 

ftatt für Wurft für Quark entbrennt. 

Manches krumme oder fchiefe 

Urteil wird zurechtgefchient, 

wenn man fich der Perfpektive 

des Gemütes Fromm bedient. 
Ratatöchr 


426 


(Fr. Bilok) 


INN 


SS 


sätze nur Unterschiede sind und die Unterschiede 
oft nur Übergänge. 

Ein Weltkind: wenn der Rausch billig wird und 
der Kater ernsthaft. Oder: wenn einer schon wie- 
der anfängt, mit seinen Erfolgen bei Frauen zu 
prahlen. 

Ein Weltmann: wenn die Liebeserklärungen wie 
Zitate klingen. Oder: wenn man sich berechtigt 
glaubt, entweder grämlich oder gütig zu werden. 
Ein einst beachteter Mann ist alt, wenn er be- 
schließt, seine Memoiren zu schreiben, — noch 
älter, wenn er beschließt, es doch zu lassen. 

Alt ist man, wenn man „zu sagen pflegt”, was man 
früher sagte. 

Oder: wenn man das noch könnte, was man früher 
— einfach tat. 

Uberhaupt: wenn man mit Stolz „noch” und mit 
Trauer „schon“ sagt — in der Jugend ist das genau 
umgekehrt. 

Alt Ist man, wenn man findet, daß alte Freunde 
recht alt geworden sind. „Du hast dich aber gar 
nicht verändert”, sagt man In solchem Fall und 
sieht hernach selbst einmal in den Spiegel. 
Regierungsrat Julius war alt, als heute bei der 
Gratulation Marianne gestand: „Ich möchte einen 
Mann heiraten, wie Onkel Julius in Jung.” Wobei 
sie vergaß, daß ein Junger Onkel bestenfalls ein 
Vettar ist, 








„Ja, wenn man vor Ungefährlichkeit schon wieder 
gefährlich wird — oder es werden könnte, wenn 
man wollte — aber es nicht will, weil das gefähr- 
lich werden könnte, — siehst du, Kind, dann ist 


man alt, 
Und er beschloß, sich an einer der feinsten 
Künste zu versuchen: mit Anstand alt zu werden 
und es mit Geschmack zu seln. 

„Glückt das”, sagte Frau Dorette, „so ist man 
eigentlich nicht alt." 

Wann also... Mögen sich andere, Jüngere, die 
es angeht, ihre Köpfe zerbrecnen. 





Wolkenkratzermaßstab en 





„Ich verstehe nicht, warum man sich wegen einer kleinen Basilika 
so aufregen kann, sie ist doch höchstens vier Stockwerke hoch!‘ 


Misura di grattacieli: "Non capisco perch& ci si agiti tanto a causa d’ una piccola Basilica che tull'al piü ha un’ altezza di quattro piani!,, 


427 


ÜBER ALLEM NATUR 


VON HANS FRANCK 


Da die Stadt Groß-Kluckow beim Beginn des 
14. Jahrhunderts Ihre Tochter, die Gemeinde Klein- 
Kluckow zur Welt brachte, vergaß sie, daß Kinder 
heranwachsen und später einmal weit größeren 
Daseinsraum brauchen als In der ersten Lebens- 
zeit. Denn der Neugeborenen wurde ein Gebiet- 
chen angewiesen: eingezwängt von dem Fluß- 
gelände, welches dem Staat, und dem Dünen- 
gelände, welches der Stadt gehörte. In ihrer 
frühesten Jugend nahm Klein-Kluckow die Ab- 
hängigkeit von dem Vater Staat und der Mutter 
Stadt als eine Notwendigkeit hin. Aber auch 
Städte. wachsen heran. Gewiß, es geht damit 
nicht so schnell wie bei den Menschen. Doch 
auch Städte reifen! Zu Anfang des 19. Jahrhun- 
derts also, erklärte Klein-Kluckow der Mutter 
Groß-Kluckow: „Ich bin jetzt erwachsen und 
werde fortan eigene Wege gehen.” Diese bat, 
beschwor das ungezogene Kind, von dem gefähr- 
lichen Vorhaben abzulassen; schalt, drohte, rief 
den vielbeschäftigten Vater Staat zur Hilfe. Und 
tatsächlich, es gelang, die sich streckende Toch- 
ter durch Versprechungen und weise Lehren noch 
einmal zu begütigen. Doch zu Anfang unseres 
Jahrhunderts setzte jener denkwürdige Kampf 
ein, den schließlich, damit wieder Friede zwi- 
schen Mutter und Kind werde, die Natur mit 
einem Machtwort beenden mußte. 

Im Jahre 1907 hatte zu Klein-Kluckow der Ge- 
meindevorsteher und Badedirektor, ein früherer 
Oberleutnant, der wegen Schulden den Rock des 
Kaisers an den Nagel hängen mußte, endgültig 
abgewirtschaftet. Darauf wählte man einen Ver- 
waltungsbeamten auf den verantwortungsvollen 
Doppelposten. Wilhelm Sigbert, der Neugewählte, 
war das, was man einen ganzen Kerl zu nennen 
pflegt: Groß, breitschultrig, straff, mit dickem 
hochgewichsten Schnurrbart im geröteten Gesicht, 
fünfzigjährig, Witwer ohne Kinder, so daß er seine 
durch nichts zu ermüdende Arbeitskraft ungemin- 
dert den öffentlichen Angelegenheiten widmen 
konnte, schlagfertiger Redner und nicht nur kör- 
perlich stiernackig. 

Nach einer Woche war Wilhelm Sigbert, obwohl 
das Ihm unterstellte ausgewachsene Gemeln- 
wesen in ‘den staatlichen Registern noch immer 
als Dorf geführt wurde, nicht nur im Besitz des 
Bürgermeistertitels, sondern er hatte auch sein 
hohes Lebensziel erkannt: Klein-Kluckow mußte 
durch seine umsichtigen Maßnahmen zum Welt- 
bad gemacht werden! Er legte Wege und Prome- 
naden an. Er baute ein Warmbad. Er bestrafte, ohne 
Ansehen der Person, jeden, der die Straße nicht 
ordnungsgemäß fegte, Er schnauzte Höchstselber 
die Bewohner an, wenn sie ihre Hauswände, die 
Einfriedigung Ihrer Vorgärten, die Blumenbeete 
nicht in einem weltbadwürdigen Zustand her- 
richteten und erhielten, 

Die Kinder liefen weg, wenn der Herr Bürger- 
meister — spazierstockfuchtelnd — nahte. Die Er- 
wachsenen zitterten, wenn Wilhelm Sigbert — 
stiefelknarrend — von der Straße abbog und auf 
ihr Haus zuschritt. Aber des Abends, wenn sie 
beim Kaufmann, am Biertisch, auf der Vorgarten- 
bank seine allerneueste, im „Amtlichen Bade- 
blatt” erlassene Verordnung lasen und bespra- 
chen, schmunzelten die Klein-Kluckower. Denn, 
soviel auch immer ‘der einzelne an dieser oder 
jener Regierungshandlung des neuen Oberhaup- 
tes auszusetzen hatte, darüber herrschte sehr 
bald Einmütigkeit: Endlich hatte man den rich- 
tigen Mann gefunden, den Mann, der Klein-Klu- 
ckow in ein Weltbad verwandeln würde, so daß 
dann jeder mit Scheffeln zurück bekam, was er 
jetzt mit Löffeln fortgeben mußte. Als Wilhelm 
Sigbert noch. nicht ein Jahr lang Klein-Kluckow 
segensreich regiert hatte, hieß er bei jung und 
alt, bei Mann und Frau, bei vomehm und gering 
nur noch: Wilhelm der Siegreiche. 

Es konnte nicht ausbleiben, daß der ungestüme 
neue Bürgermeister bei seinem Beginnen, aus 
dem bescheidenen Badeörtchen Klein-Kluckow 
ein glanzvolles Weltbad zu machen, in schwere 
Kämpfe mit dem Vater Staat und der Mutter 


natürlichen! — zu eng bemessen hatten. Als das 
Hafenbauamt durch seine Beschwerden dazu ge- 
zwungen wär, erholungstörende Ramm-, Pflaster- 
und Baggerarbeiten nicht mehr während der drei- 
monatigen Saison, sondern nur noch während der 
neunmonatigen Nicht-Saison vorzunehmen — da 
wandte Wilhelm der Siegreiche, ermutigt durch 
die unerwartet schnelle Niederlage des Vaters, 
sich unverzüglich gegen die Mutter, die Stadt 
Groß-Kluckow. 

Seit Großvaters Zeiten nämlich besaß jeder bes- 
sere Groß-Kluckower Bürger am Strand ein „Zelt” 
in Klein-Kluckow, Diese sogenannten Zelte waren 
kleine Holzhäuser mit einem winzigen Innenraum, 
in den man bei Regen flüchten konnte, mit einer 
seewärts gelegenen Veranda, auf der man bei 
gutem Wetter Sonne und Meerluft ungehindert zu 
genießen vermochte. Zur Erhöhung der Gemüt- 
lichkeit hatte man sie durch Tische, Stühle, Liege- 
vorrichtungen, Spirituskochgelegenheiten und an- 
dere Einrichtungen nach Möglichkeit einer Stadt- 
wohnung angenähert. Dicht bei dicht standen sie 
am ganzen Strand entlang und riegelten nicht nur 
die neuangelegte Kurpromenade vollständig von 
dem ohnehin lediglich im Badeprospekt breiten 
Sandstrand ab, sondern sahen außerdem von 
rückwärts — von der Promenade her — so aus, 
als habe man ein Regiment Bedürfnisanstalten in 
Reih und Glied aufmarschieren lassen. 
Selbstverständlich mißfiel Wilhelm dem Sieg- 
reichen diese Großvätereinrichtung auf das aller- 
heftigste..Sollte Klein-Kluckow in der Tat zu einem 
Weltbad werden, dann mußten die „Zelte“ der 
Groß-Kluckower unbedingt verschwinden. Freilich 
mit einem Frontalangriff wie bei .der Ungehörig- 
keit des Vaters Staat war es diesmal nicht getan. 
Daß Wilhelm der Siegreiche bei seinem Amts- 
antritt die „Zelte“ vorfand, besagte natürlich 
nichts, Er hatte bereits viele UÜbernommenhelten 
mit Erfolg beseitigt. Aber ebensowenig wie sich 
das Recht der Groß-Kluckower Bürger, an dieser 
Stelle Gebäude zu errichten — denn darum han- 
delte es sich längst; nicht mehr, wie ehedem um 
bewegliche Zeltel — aus den Akten und Karten 
nachweisen ließ, genau so schwer konnte man 
dieses Recht ableugnen. Strand und Düne waren 
den Vorfahren als Grund und Boden offenbar 
viel zu wertlos gewesen, als daß durch genaue 


{R. Krlesch) 


Stadt verwickelt wurde, die ihrem Kinde den ° 


Lebensraum selbst bei natürlichem Wachstum — 
um wie vieles mehr bei dem angestrebten un- 





428 


Zeichnungen festgelegt war: Hier hört Groß-Klu- 
ckow auf — hier fängt Klein-Kluckow an. Es hieß 
in den Urkunden nur: Strand für Klein-Kluckow 
— Dünengelände für Groß-Kluckow, Frontalangriff 
mithin ausgeschlossen! Man mußte langsam vor- 
gehen. 

Wilhelm der Siegreiche, der Beherrscher von 
Klein-Kluckow, belegte also durch Gemeinderats- 
beschluß jedes Strandgebäude der Groß-Klucko- 
wer Bürger mit einer jährlichen Steuer von 3 Mark. 
Die Besteuerten murrten. Aber sie bezahlten, um 
weiterhin von ihren „Zelten” aus ungestört das 
Meer genießen zu können, den geringfügigen Be- 
trag. 

Wilhelm der Siegreiche setzte daraufhin durch, 
daß im nächsten Jahr die neueingeführte, viel zu 
niedrige Strandgebäudesteuer auf 10 Mark pro 
anno erhöht wurde. 

Da brach die Empörung der Groß-Kluckower Bür- 
ger offen aus. Wohin sollte das führen? Wer wußte 
denn, ob man im kommenden Jahr nicht schon 
20 Mark „Zelt“-Steuer bezahlen sollte! Oder gar 
100 Mark? Dem Klein-Kluckower Tyrannen war 
auch das zuzutrauen. Womöglich verlangte er, ge- 
stützt auf nichts als auf seine Unverschämtheit, 
eines Tages den Abbruch sämtlicher „Zelte“, von 
denen aus man für billiges Geld an den Freuden 
und Segnungen des Meeres ebenso gut teilhaben 
konnte wie die Klein:Kluckower Badegäste, 
welche dafür Unsummen ausgeben mußten. Wo 
blieb der eigene Bürgermeister? Wo der hei- 
mische Magistrat? 

Es kam zu einer „Kleinen Anfrage” im Groß-Klu- 
ckower Stadtparlament. 

Der Magistrat zu Groß-Kluckow schrieb also an 
den Gemeindevorsteher Wilhelm Sigbert zu Klein- 
Kluckow: Es werde hiermit um sofortige Auf- 
hebung der den Groß-Kluckower Bürgern un- 
rechtmäßigerweise auferlegten Strandzeltsteuer 
ersucht. Im vorigen Jahr sei, um des lieben Frie- 
dens willen, der geforderte Betrag gezahlt wor- 
den. Ohne daß diese, sozusagen eine freiwillige 
Beihilfe für die durch ihre Badeausgaben stark 
mitgenommene Tochtergemeinde darstellende Be- 
zahlung die Anerkenntnis des Rechtes der Strand- 
zeltbesteuerung in sich geschlossen hätte. Auch 
in diesem Jahre wäre von den friedliebenden 
Groß-Kluckower Bürgern gewiß genau so verfah- 
ren und Klein-Kluckow ein Geschenk nicht ver- 
weigert worden. Forderung und Erhöhung aber 
zwöngen Magistrat und Bürgerschaft, nunmehr den 
Rechtsstandpunkt einzunehmen. Die Strandzelte 
der Groß-Kluckower Bürger ständen auf Dünen- 
gelände! Die Dünen aber gehörten — laut Ur- 
kunde und Siegel — der Stadt Groß-Kluckow, 
nicht dem von ihr der Schiffahrt halber an der 
Mündung der Klucke gegründeten Dorf Klein-Klu- 
<kow, dem nur der Strand als Eigentum zustehe. 
Der Bürgermeister zu Klein-Kluckow an den Bür- 
germeister zu Groß-Kluckow: Die geforderte Zelt- 
Steuer sei zu Recht beschlossen worden. Die 
Strandzelte ständen auf Klein-Kluckower, nicht 
auf Groß-Kluckower Boden. Wie schon ihr Name 
sage, selen sie auf dem Strand erbaut. Der Strand 
aber gehöre, wie In dem unangebrachten Protest- 
schreiben richtig gesagt sei, zu Klein-Kluckow. 
Ständen die Strandzelte auf Groß-Kluckower 
Grund, so würden sie Dünenzelte heißen. An eine 
Aufhebung der rechtmäßigen Steuer werde kei- 
nesfalls gedacht. 

Am selben Abend, als dieser Brief in einem der 
drei Klein-Kluckower Postkästen lag, brachte 
Wilhelm der Siegreiche unter vielfachen „Hört! 
Hörtl”- und „Pfui”-Rufen das Schreiben des Groß- 
Kluckower Magistrates in seiner Gemeindever- 
sammlung zur Vorlesung und schloß, immer wie- 
der.vom lärmenden Beifall der Gemeinderatsmit- 
glieder unterbrochen, die Bekanntgabe seines 
Antwortschreibens an. Als er unter kaum enden- 
wollenden Bravorufen die Abschrift zusammen- 
faltete, konnte der Umjubelte sich nicht enthalten, 
hinzuzufügen: „Jeder Groß-Kluckower Schuster 
und Schneider hat in Klein-Kluckow ein ‚Zelt’ an 
bevorzugtester Stelle unseres unvergleichlichen 
Strandes. Ohne Kurtaxe zu zahlen, machen sie 
von allen Kureinrichtungen unseres aufblühenden 
Badeortes uneingeschränkten Gebrauch. Völlig 
gratis hören sie, auf der sogenannten Veranda 
ihrer Holzkisten im kreuzbeinigen Faulenzer liegend, 
unsere von einem erstklassigen Kurorchester aus- 
geführten Kurkonzerte. Scharenweise sind Bade- 
gäste wieder abgereist, weil sie von der Kur- 
promenade aus nur auf einem Umweg an den 


Roosevelts Soldaten Christi in Sizilien 


t£rich Schilling) 





„Wir können stolz sein, Jimmy, daß wir mit unserer hohen amerikanischen Kultur dieses Barbarentum vernichten dürfen!" 


1 soldati in Cristo di Roosevelt in Sicilia: „JImmy, possiamo andar orgogliosi che ci 
sia dato colla nostra alla cultura americana di annientare questo stato di barbarie!,, 


Strand gelangen können oder sich zwischen den 
Strandzelten durchzwängen müssen! Wenn dieser 
Schaden durch Irgendwelche Einnahmen von den 
Groß-Kluckowern wieder aufgewogen würde, 
möchte es noch angehen. Aber an Verdienst hat 
Klein-Kluckow durch dieses knauserige falsche 
Badepublikum im ganzen Jahr nicht eine einzige 
Markl Jeder bringt sich für den Tag sein Essen 
und Trinken in einem Handkoffer, in einer Papp- 
schachtel, in Zeitungspapier, das am anderen 
Morgen überall am Strande herumliegt und für 
Geld von unserm Strandwärter aufgesammelt 
werden muß, aus seiner Stadtwohnung mit, Sobald 
es dunkel wird, fahren sie allesamt mit dem Zuge 
wieder ab, um nur keln Geld für Nachtquartler In 


einem unserer Hotels ausgeben zu müssen. Mit 
diesen Zecken im gesunden Fleisch unseres blühen- 
den, weltbekannten Gemeinwesens muß endlich 
aufgeräumt werden!” 

Diese in Klein-Kluckow abgefeuerte Rede Wil- 
heims des Siegreichen schlug zu Groß-Kluckow 
ein wie eine Bombe. Kleinkalibrige Geschosse — 
Zeltungsartikel, Eingesandtes — flogen in großer 
Zahl nach Klein-Kluckow zurück, Der Gemeinde- 
krieg war da. 

Der Magistrat zu Groß-Kluckow wies seine Bürger 
an, die geforderte Strandzeltsteuer in Höhe von 
10 Mark nicht zu zahlen. Er komme für alle Fol- 
gen auf. 

Die Gemeinde Klein-Kluckow reichte bei dem zu 


429 


Groß-Kluckow befindlichen Gericht Klage gegen 
die Stadt Groß-Kluckow ein, die Ihre Bürger zur 
Steuerverweigerung aufgefordert und damit einen 
ordnungsgemäß gefaßten Entschluß der Gemeinde- 
versammlung sabotiert hatte, 

Das Gericht zu Groß-Kluckow entschied: Die 
Strandzelte der Groß-Kluckower stehen auf dem 
Dünengelände. Das Dünengelände gehört "der 
Stadt Groß-Kluckow. Also Ist die Gemeinde Klein- 
Kluckow nicht berechtigt, von Gebäulichkelten, 
die nicht auf Ihrem Grunde stehen, Steuern zu er- 
heben. 

Wilhelm der Siegreiche ließ sich nicht aus der 
Fassung bringen. Er werde Berufung bel der höhe- 
ren Instanz einlegen! Mit 10 gegen 2 Stimmen 


wurde vom Gemeinderat die Zustimmung zur Ein- 
legung der Revision erteilt. 

Die höhere, nicht zu Groß-Kluckow befindliche In- 
stanz entschied: Die Strandzelte stehen nicht auf 
dem Dünengelände der Stadt Groß-Kluckow, son- 
dern auf dem Meeresstrand. Die Gemeinde Klein- 
Kluckow ist als Besitzerin des Grundes berech- 
tigt, eine Gebäudesteuer von den darauf erbau- 
ten Holzhäusern zu erheben. 

Klein-Kluckow triumphierte und brachte seinem 
„genialen Oberhaupt” einen Fackelzug, an dem 
die Badegäste teils aus Überzeugung, teils der 
Abwechslung halber zu vielen Hunderten teil- 
nahmen. 

Die Stadt Groß-Kluckow tobte. 

Der Magistrat jedoch ließ sich durch das gefällte 
Urteil nicht belrren. Noch stand der Spruch des 
obersten deutschen Gerichtshofes aus. 

Um aber während der langen Wartezeit die Em- 
pörung und Ungeduld der Groß-Kluckower Bürger 
nicht gar zu sehr anschwellen zu lassen, griff der 
Magistrat einstweilen zu einer gegen Klein- 
Kluckow gerichteten Verwaltungsmaßnahme. Man 
beschloß, für das Betreten des städtischen Strand- 
waldes von den Klein-Kluckower Badegästen eine 
Monatsgebühr inHöhe von 3Mark zu erheben und 
zur Kontrolle auf Namen des Inhabers lautende 
Erlaubniskarten einzuführen, die persönlich Im Rat- 
haus zu Groß-Kluckow abgeholt werden mußten. 
Diese Verfügung der Stadt Groß-Kluckow war ein 
schwerer Schlag für die Weltbadträume Wilhelms 
des Siegreichen. Nun reiste in der Tat ein großer 
Teil der Badegäste ab, Die Zurückbleibenden 
aber schimpften mit den Klein-Kluckowern um die 
Wette auf Wilhelm den Siegreichen. Plötzlich gab 
es keinen unfählgeren Beamten In ganz Deutsch- 
land als den bisher zum Genie ausgerufenen. 
Jeder hatte es vorher gewußt, daß eines Tages 
die Weltbadpläne des Großmannssüchtigen zu- 
sömmenklappen würden wie ein Kartenhaus. 
Weltbad? Unsinn! Wilhelm der Siegreiche? Lächer- 
lich! Man war sich völlig einig: Sobald wie mög- 
lich mußte Wilhelm Sigbert, der sich den Bürger- 
meistertitel bei dem Gemeinderat erschlichen 
hatte — denn Klein-Kluckow war bis auf den Tag 
noch nicht zur Stadt erklärt! — für immer ver- 
schwinden! 

Wilhelm der Siegreiche hielt diesem Sturm un- 
erschütterlich stand.’ Noch war der letzte ent- 
scheidende Spruch nicht gefallen. Der höchste 
deutsche Gerichtshof aber, dessen war er sicher, 
würde die Berufung der Stadt Groß-Kluckow ver- 
werten und damit das Urteil der zweiten Instanz 
rechtskräftig werden! Sobald das jedoch der Fall 
war, hatte Klein-Kluckow Groß-Kluckow In der 
Hand. Durch rücksichtlose Hinaufsetzung dei 
Strandzeltsteuer war der Magistrat jederzeit zu 
zwingen, im Interesse seiner Bürger die Verord- 
nung zur Lösung eines Walderlaubnisscheines für 
die Klein-Kluckower Badegäste zurücknehmen zu 
müssen. 

Das Reichsgericht erkannte für Recht: Der Revi- 
sion der Stadt Groß-Kluckow werd. 
und die Sache zur nochmaligen 
die Vorderinstanz zurückverwiesen. Der Vorder- 
richter habe die Frage des Besitzrechtes für den 
Grund und Boden, auf dem die Groß-Kluckower 
Strandzelte errichtet wären, nicht nach allen Sei- 
ten hin geprüft. Es sei dem Vorderrichter nämlich 
entgangen, daß vor der Fällung des Spruches die 
Frage hätte untersucht werden müssen, ob der 
Teil des Strandes, auf dem die Badezelte stän- 
den, In der Tat Klein-Kluckow gehöre oder einem 
bisher nicht herangezogenen Dritten. Das All- 
gemeine Preußische Landrecht (von dem Friedrich 
der Große bekanntlich, als er es gegen seine 
Gewohnheit ungelesen unterschrieb, zur Entschul- 
digung seines Tuns gesagt hat: „Es Ist sehr 
dickel”), das Allgemeine Preußische Landrecht 
habe in der Strandfrage die Auffassung des Rö- 
mischen Rechtes übernommen. Der Standpunkt 
des Römischen Rachtes aber sei: Soweit, wie die 
Wellen des Meeres bei stärkster Flut zu rollen 
vermöchten, reiche der öffentliche Strand, erst 
jenseits dieser von der Natur gezogenen Grenz- 
linie beginne das private Besitzrecht. Mithin 
müßte, was bisher nicht geschehen wäre, zunächst 
einmal an Ort und Stelle festgestellt werden, ob 
die Strandzelte auf fiskalischem Grunde ständen 
oder nicht. Erst wenn die Frage über die Besitz- 
rechte des Staates einwandfrei geklärt sei, könne 
in der Klagesache der Gemeinde Klein-Kluckow 
gegen die Stadt Groß-Kluckow wegen Verweige- 
rung der Strandzeltsteuer endgültig entschieden 





werden. Lasse sich nämlich der Nachweis erbrin- 
gen: Die Strandzelte der Groß-Kluckower Bürger 
zu Klein-Kluckow stehen auf den Wellen zugäng- 
lichem, öffentlichem Grunde, so entfalle die Klage 
des Badeortes gegen ihre Mutterstadt. Laute die 
Antwort aber: auf privatem Grunde, so sei man 
dort angelangt, von wo die Schlichtung des 
Streites zwischen Groß-Kluckow und Klein-Kluckow 
ihren Ausgang hätte nehmen müssen. Denn es sel 
nicht statthaft, einem von zwei darum Streitenden 
ein Besitzrecht zuzusprechen, solange noch die 
Möglichkeit bestehe, daß es keinem von beiden 
gehöre. Mithin wie erkannt: Zur nochmaligen Ver- 
handlung an die Vorderinstanz zurückverwiesen. 
Und es triumphierte der bisher daneben stehende 
schadenfrohe Dritte, der Direktor des Hafenbau- 
amtes, der die Niederlage wegen der erhoölung- 
störenden, für die Dauer der „Saison ihm be- 
hördlich untersagten Ramm-, Pflaster- und Bagger- 
Arbeiten noch immer nicht verwunden hatte. Na- 
türlich standen die Groß-Kluckower Strandzelte 
auf fiskallschem Grund! Wo sonst? Sahr viel weiter 
als heute ein Mensch glaube, ergreife eine rich- 
tige Sturmflut mit ihren Wellen von dem Küsten- 
lande Besitz. Das lasse sich einwandfrei fest- 
stellen! 

Und der Hafenbaudirektor erbat zwecks Feststel- 
lung des staatlichen Besitzrechtes an den Strand 
von Klein-Kluckow um Entsendung eines mit der 
Materie vetrauten Beamten. 

Die Regierung entsprach diesem Ansuchen und 
schickte einen Jungen, trotz seiner 26 Jahre be- 
reits als Überaus gewissenhaft befundenen Regie- 
rungslandmesser, namens Marlow, nach Klein- 
Kluckow. 

Marlow kam zunächst einmal zu der Überzeugung, 
daß die „Zelte“ der Groß-Kluckower Bürger eine 
äußerst angenehme Einrichtung selen. Bald hier, 
bald da lud man den emsigen jungen Beamten 
ein, auf einer der Strandhausveranden Platz zu 
nehmen, sich ein wenig auszuruhen, ein kleines 
Gespräch zu führen: über das Wetter und über 
die See, über das herausfordernde Benehmen 
der auswärtigen weiblichen Badegäste und das 
gesittete Betragen der Stadttöchter, sowie über 
manches andere noch, Selbstverständlich nicht 
über den Prozeß zwischen Groß-Kluckow und 
Klein-Kluckow, für den er seine Feststellungen 
völlig objektiv treffen mi I Man bot Marlow zu 
tauchen, zu trinken, zu essen an. Und er ließ sich 
alles Dargebotene zur Erhöhung seines Wohlbefin- 
dens in dem bildsauberen Badeort zwar nicht 
unwidersprochen, aber gern gefallen. 

Die allgemeine Freundlichkeit der Groß-Kluckower 
kühlte sich freilich plötzlich und stark wie des 
abends ein hochsommerlich warmer Soptember- 
tag ab, als man sich der Überzeugung nicht län- 
ger verschließen konnte, daß der Junge Regie- 
tungslandmesser ein „Zelt” vor allen andern auf- 
fällig zu bevorzugen begann. Dafür hatte Marlow 
es denn freilich In dem auserwählten Strand- 
häuschen so himmlisch, daß er es im Paradies, 
welches Ihm wegen seiner unantastbaren Redlich- 
keit sicher war, nicht himmlischer haben werde. 
Besagtes Strandzelt-Holzhöuschen, in dem er nicht 
nur — wie bisher in den anderen — die Abend- 
stunden außerdienstlich verbrachte, sondern sehr 
bald auch die Mittagszeit, die Frühstückspause 
und die Kaffeepause, in das er sogar, well er 
seine Ge:öäte darin untergebracht hatte, Übertag 
auch dienstlich immer wieder einkehrte, gehörte 
nämlich einer Witwe aus Groß-Kluckow, die mit 
zwei schlanken Töchtern, einer dunklen und einer 
blonden, gesegnet war. Eine Zeitlang wußten die 
Groß-Kluckower Strandzeltbesitzer trotz aller 
Scharfäugigkelt und Hellhörigkeit nicht: Die Dunkle 











AUGUST 


Wie ein Bräutigam kommt der August, 
Heiterkeit beflügelt seine Sohlen. 

Heiß und herrlidı strömt in ihm die Lust, 
Seine Braut, die Ernte, heimzuholen. 


Vollerglüht ist sie und reif genug, 

Alles dem Geliebten zu gerähren. 

Golden wogt durdıs Tor der Hodhzeitszug, 

Bis das Paar versinkt im Duft der Ahren. 
Heinz Friedridi Kamecke 


430 


oder die Blonde? Die Ältere oder die Jüngere? 
Aber dann gab es darüber keinen Zweifel mehr: 
Die Ältere, die Schwarzhaarigel 

Es war — 1912 schrieb man unterdessen — ein 
ungewöhnlich schöner Sommer. Ein sonnellim- 
mernder Tag reihte sich an den andern wie die 
Perlen einer Kette. 

Was Wunder also, daß die Feststellung, ob die 
Groß-Kluckower Strandzelte zu Klein-Kluckow auf 
fiskalischem oder privatem Grund standen, all- 
dieweil bei einer Sturmflut wie sie seit Menschen- 
gedenken nicht stattgefunden hatte, die Wellen 
bis zu ihnen gepeltscht werden konnten oder 
nicht, sich als ungewöhnlich schwer erwies. Der 
Junge Reglerungslandmesser, obwohl er die Vor- 
züge eines Strandzeltes sozusagen am eigenen 
Leibe unleugbar erfahren hatte, machte In großer 
Objektivität seine Landvermessung mit Theodollt, 
Bussole, Winkelspiegel und sonstigen landmosse- 
rischen Geräten ungewöhnlich eingehend. Mehr- 
fach erinnerte die Regierung den äußerst um- 
sichtigen Beamten an den noch Immer ausstehen- 
den Bericht. Aber Marlow konnte mit Recht auf 
die ungewöhnliche Schwierigkeit und die unge- 
wöhnliche Bedeutsamkeit der ihm anvertrauten 
Aufgabe hinweisen. 

Schließlich aber — der Sommer ging zu Ende, 
die Bewerbung um die Hand der ältesten Tochter 
der verwitweten Strandzeltbesitzerin war in vol- 
ler Form erfolgt, das Jawort nicht verweigert 
worden — schließlich mußte Marlow als Ergebnis 
seiner Untersuchung der vorgesetzten Behörde 
berichten: Sämtliche zu Klein-Kluckow errichteten 
Strandzelte der Groß-Kluckower stehen auf fiska- 
lischem Gelände, denn es ist unzweifelhaft nach- 
weisbar, daß bei Sturmflut die Wellen des Mee- 
res über den Strandstreifen, auf welchem die 
Strandzelte errichtet sind, in früheren Zelten ver- 
schiedentlich hinweggespült sind, 

Auf Grund dieser Feststellungen des jungen 
Reglerungslandmessers Marlow wurde im Novem- 
ber 1912 die Klage der Gemeinde Klein-Kluckow 
gegen die Stadt Groß-Kluckow wegen Verweige- 
rung der Strandzeltsteuer in letzter Instanz end- 
gültig abgewiesen, Alle Kosten des vier Jahre 
dauernden Prozesses wurden Klein-Kluckow auf- 
erlegt. 

Die Klein-Kluckower waren außer sich. Ihre go- 
sammelte Wut richtete sich gegen Wilhelm den 
Siegreichen, Der durfte sich — wollte er nicht 
Gefahr laufen, beschimpft, bedroht, verprügelt zu 
werden — bei Tag auf der Straße nicht mehr 
sehen lassen. Summa: Den Kindern ein Gespött, 
den Erwachsenen ein Gegenstand der Verach- 
tung, erledigt! Bei der nächsten Gemeindevor- 
steherwahl, die glücklicherweise schon im Januar 
1913 stattfand, würde men sich einen Tüchtigeren 
wählen. Einen penslonierten Offizier! Einen zucht- 
vollen Mann, der in seinem früheren Beruf gelernt 
hatte, nicht wie ein Wahnsinniger mit dem Kopf 
gegen die Wand zu rennen, sondern sie orst zu 
beschließen, zu unterminieren, um dann da in der 
Tat den Sieg zu erfechten, wo Wilhelm Sigbert 
nur mit dem Maul gesiegt hatte. 

Weihnachten 1912 wütete ein Sturm gegen die 
Küste wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der wuchs 
sich In den letzten Tagen des Jahres zu einem 
Orkan aus, Niemand aus Klein-Kluckow konnte 
sich Silvester auch nur vor die Haustür wagen. 
Als es am Neujahrsmorgen endlich aufklarte und 
das Ungewitter sich gegen Mittag legte, erkann- 
ten die Klein-Kluckower ihren Strand nicht wle- 
der: Wüst und leer wie die Erde vor der Erschaf- 
fung des Lichtes lag er da. Nicht nur die beiden 
Badeanstalten, sondern auch sämtliche „Zelte” 
der Groß-Kluckower hatte das Meer verschlun- 
gen. Kein Brett von ihnen allen war übrig ge- 
blieben. 

Diesem Spruch des Allerobersten Richters beug- 
ten sich beide: Mutter und Tochter. Stillschwei- 
gend begruben Groß-Kluckow und Klein-Kluckow 
den jahrelangen Streit. 

Kein Strandzelt der Groß-Kluckower Bürger steht 
also heutigen Tages zu Klein-Kluckow zwischen 
Kurpromenade und Meer. Den Strandwald darf 
von den Badegästen betreten wer mag, aus dem 
Meeressand Bauten aufführen wen es dazu treibt. 
Ein Weltbad ist Klein-Kluckow, das zwischen dem 
staatlichen Hafenaelände und dem städtischen 
Dünengelände eingezwänute dörfliche Gemein- 
wesen, das im Januar 1913 Wilhelm den Sieg- 
teichen auf Lebenszeit zu seinem Oberhaupt 
wählte. ein Weltbad ist Klein-Kluckow noch immer 
nicht geworden. 


Die Anrede Bruch 


TEE 





„Mutti, kannst du mir nicht einen netten Kosenamen für Albert sagen?" 
„Doch — ich habe zu deinem Vater zuerst ‚Mein Wilder‘ und später ‚Mein Braver‘ gesagt!" 


Appellativo: '‘Mammina, non potresti suggerirmi un bel vezzeggiativo per Alberto?,, 
“Cer.o; a uo padre ho detto dapprima 'Selvaggio mio!, e plö ‚ardi 'Bontä mial,!, 


431 


MENSCHENFRESSER IN SCHWEDEN 


In meiner grünsten Jugend verbrachte ich einen 
Sommer, einen herrlichen Sommer, als Menschen- 
fresser in Schweden, Es Ist Ihnen vielleicht nicht 
bekannt, daß in Skandinavien Menschenfresser 
leben, das ist aber doch der Fall. Das heißt rich- 
tige, waschechte Menschenfresser, die sich von 
dicken Missionären, Entdeckungsreisenden und 
änderen Leckerbissen ernähren, gibt es hier natür- 
lich nicht, es lebt aber ein Vetter von den rich- 
tigen Menschenfressern in Skandinavien. Und so 
ein Kerl bin ich also gewesen, 

Ich reiste während des erwähnten Sommers mit 
einem Zirkus in Schweden herum, um ein Buch 
über das Artistenleben zu schreiben, da kam 
eines Tages der Direktor zu mir und fragte mich, 
ob ich am Abend als Menschenfresser arbeiten 
wollte. Ich nahm natürlich sein freundliches An- 
gebot sofort an. Das wird später einmal meinen 
Sohn mit Stolz erfüllen, dachte ich, wenn er der 
Lehrerin in der Schule erzählen kann, daß sein 
Vater ein Menschenfresser gewesen ist. 

Die Zirkusmenschenfresser sind ganz gewöhn- 
liche, friedliche Leute, die in den Sommermonaten 
mit irgendeinem Zirkus, als Menschentiere ange- 
kleidet, herumreisen, um ein bißchen Geld zu 
verdienen. Nur von den kleineren Zirkussen wer- 
den Menschenfressernummern vorgeführt, und nur 
in den ganz kleinen Provinzstädtchen, wo die Ein- 
wohner noch ein bißchen naiv und leichtgläubig 
sind und keine näheren Kenntnisse von den zoolo- 
gischen Merkwürdigkeiten besitzen. Den ganzen 
Tag hat der Menschenfrasser frei, kann im Gras 
liegen, baden gehen oder Mädchen küssen und 
sonst alles tun, wozu er Lust hat. Am Abend aber 
muß er arbeiten. 

Das Kostüm, das er bei seinem Auftreten benulzt, 
ist ein großes Tierfell, gewöhnlich ein Bärentell, in 
das er hineinkriecht. Er schminkt sein Gesicht ganz 
schwarz, wodurch die Augen unheimlich leuchten, 
befestigt am Kopf eine scheußliche, strotzende 
Perücke und an der Nase eine dicke, dunkelrote 
Schnauze, die mitten Im Gesicht wie eine schöne, 
vollreife Tomate sitzt. Zulatzt klebt er einige lange 
Schnurrbarthaare unter die Schnauze und nimmt 
ein Riesongebiß in den Mund Nun Ist das Un- 
goheuer zu seiner Arbeit bereit. Ganz einfach, 
nicht wahr? Doch jetzt zu dem abendlichen Auf- 
treten im Zirkus, so wie es sich für mich während 
meines Gastspieles als Menschenfresser ergab! 
Stellen Sie sich bitte vor, daß wir uns in einer 


Vorübung - Allenamento 


0 Hogenbarth) 





„Sie müssen ganzstill stehen, dürfen die Stellung der 
Beine nicht ändern!“ — „Kann ich, Herr Professor, 
bin kürzlich acht Stunden Eisenbahn gefahren!" 
"Doyete star ferma immobile e non mutare la posizione 


delle gambe!,. — "Si, ci sono capace, signor Professore. 
DI recente ho fatto otto ore di ferrovlalı, 


VON ERIK STOCKMARR 


kleinen, schwedischen Provinzstadt befinden, und 
daß drinnen Im Zirkuszelt tausend Menschen sitzen 
und gespannt auf den Augenblick warten, wo das 
Ungeheuer in die Manege kommt. Ich stehe in 
meinem malerischen Menschenfresserkostüm hin 
ter der „Gardine”, wie man den roten Teppich 
nennt, und plaudere gemütlich mit einer schönen, 
Jungen Artistin, als der Sprechstallmeister den Zu- 
schauern meine Ankunft meldet. Ich gehe in mei- 
nen Käfig, einen Zirkuswagen, dessen drei Seiten 
‚aus dicken, eisernen Stangen bestehen. Zehn starke 
Männer schieben den Wagen in die Manege. Da 
bin ich also nunl Ich grüße die vielen Menschen 
mit einem fürchterlichen Urwaldgebrüll und rolle 
unheimlich mit den Augen. Wie ein verrückter 
Floh sptinge ich im Käfig herum, schlage ein paar 
Purzelbäume und rüttle wild an den eisernen 
Stangen, während ich unheimliche Gesichter 
schneide. Mucksmäuschenstill sitzen die Zuschauer 
auf ihren Plätzen, wagen kaum zu atmen und 
gucken einander angstvoll an, denn die meisten 
dieser harmlosen Menschen glauben, daß es sich 
um einen richtigen Menschenfresser handle. Da- 
mit sie auch welter nicht zu zweifeln beginnen, 
stoße ich noch ein paar Brüller aus, bewege meine 
Tomatenschnauze hin und her und heule darauf 
herzzerreißend wie eine wahnsinnige Eule, Ein 
paar ältere Damen in der ersten Reihe erheben 
sich erschüttert, um sich schleunigst nach Hause 
zu begeben Ich schaue sie wütend an und zische 
ihnen nach. Zitternd verlassen sie das Zelt. 

Der Sprechstallmeister, der einen Revolver in der 
Hand hält, tritt nun an meinen Käfig heran und 
erzählt mit angstvoller Stimme ein grausames 
‚Abenteuer, das ich, um den Eindruck zu verstär- 
ken, für diese Gelegenheit verfaßt habe; denn ich 
bin doch, neben meiner Anstellung als Menschen: 
frasser, auch Schriftsteller. 

„Tief im afrikanischen Urwald”, erzählt der Sprech- 
ställmeister, „hat man dieses fürchterliche, Men- 
schentler gefangen und es unter großen Schwie- 
rigkeiten nach Europa transportiert. Der Schiffs- 
koch und zwei Vollmatrosen wurden mit Haut und 
Haaren gefressen, und der Kapitän verlor sowohl 
seine Naso wie auch seine Frau. Nur die Hüte und 
die Vollbärte der Gefressenen wurden zurück- 
gelassen, und dann die Beine natürlich, die das 
Untier ausspuckte; denn Matrosenbeine maa er 
nicht. Dagegen hat er Frauenbeine natürlich 
gerne.” (Ein Schauer geht durch die vielen Men- 
schen im Zirkus.) „Obwohl der Menschenfresser 
mehrere Jahre in seinem Käfig verbracht hat”, 
fährt dor Sprechstallmeister fort, „Isterdoch heute 
ebenso gefährlich wie damals.” 

Um diese mahnenden Worte zu unterstreichen, 
schmeißt er nun ein weißes Huhn in den Käfig 
hinein. Das Huhn Ist aber nur aus Pappe und Fe- 
dern gemacht, was jedoch kein Mensch ent- 
decken kann. Schnell beiße ich den Hühnerkopf 
ab und spucke ihn in die Manene heraus, wäh- 
rend ich mir voll Wohlbehagen die Schnauze lecke. 
„Uuuuuschl” sagt ein Herr und bebt vor Schrecken. 
„Dieses grausame Untier“, erzählt der Sprechstall- 
meister weiter, „das in der Gefangenschaft mit 
weißen Hühnern und jungen vierzehnjährigen 
Meerfrauen und Meerfräulein — von den Fidji- 
Inseln Importiert — gefüttert wird, duldet nur 
einen Menschen In seiner Nähe, nämlich seine 
bildhübsche Pflegemutter, eine Junge, weiße, 
blonde Frau. Durch mühsame Erziehungsarbeit und 
febelhafte Geduld Ist es ihr gelungen, den Men- 
schenfressor so zu zähmen, daß er am Abend auf 
ihrem Schoß sitzt, während sie ihm kleine süße 
Wiegenlieder vorsingt.” 

Durch diese Äußerung fühlen die Zuschauer sich 
augenscheinlich ein bißchen erleichtert, und als 
die Pflegemutter, Fräulein Blondhaar, in einen 
weißen Kittel gekleidet, in die Manege tritt, wird 
sie mit begeistertem Beifall und Bravorufen emp- 
fangen. Sie geht zum Käfig hin, und ich grüße sie 





„alleruntertänigst, indem Ich mich tief verbeuge 


und in größter Bewunderung meinen schwarzen 
Zilinderhut abnehme. (Ich trug Immer einen Zilin- 
der auf dem Kopf, um den Eindruck ein bißchen 
versöhnender zu machen!) -Fräulein Blondhaar 
steckt die Hand in den Käfig und gibt mir einen 
kleinen Kuchen, indem sie mir liebevoll über mein 
Foll streichelt, 


432 


„Haep“, sagt sie und macht ein kleines süßes 
Knickschen, 

Ich wedele freudestrahlend mit meinem langen, 
aus Fell genähten Schwanz und schnurre wie eine 
Katze. 

„Ich glaube, er ist in sie verliebt”, flüstert eine 
Dame im Parkett, 

Das stimmt wirklich, denn im privaten Leben bin 
ich mit Fräulein Blondhaar verlobt und bin in sie 
bis über die Ohren verliebt, Ein älterer Herr lehnt 
sich an seine Frau, seufzt tief und sagt: 

„Ach wäre ich doch auch ein Menschenfressarl“ 
Sie knallt ihm eine warme Ohrfeige, faßt ihn am 
Kragen und verläßt das Zelt mit ihm. Fräulein 
Blondhaar macht nun eine Verbeugung und zieht 
sich zurück, um in unserem privaten Zirkuswagen 
für das Abendessen zu sorgen. Und damit ist die 
Vorführung zu Ende, der Käfig wird wieder von 
starkon Männern herausgeschoben, und ich nehme 
von den Zuschauern Abschied, indem ich wütend 
in die eisernen Stangen beiße und mein schreck- 
liches Urwaldgebrüll ausstoße. 

Sobald der Wagen wieder hinter der Gardine ist, 
bin ich ein freier Mann, verlasse den Käfig und 
gehe in meinen privaten Zirkuswagen, wo ich 
wohne, und wo Fräulein Blondhaar mich mit heißem 
Kaffee und noch heißeren Küssen empfängt. 

In einer kleinen schwedischen Stadt aber war Ich 
gerade mit meinem Auftreten fertig geworden und 
saß noch In meinem Wagen In voller Ausstattung, 
um mich abzuschminken, als der Zirkusdirektor 
wie ein Sturmwind in den Wagen stürzte: 

„Um Gottes willen!“ rief er atemlos, „gehen Sie 
schnell in Ihren Köflg hinein, der Polizeimeister 
kommt, or darf Sie hier nicht sehen! Kommen Sie, 
bitte, schnell” 

„Wieso? Ich verstehe nicht?" 

„Hören Sie zu. Der Polizeimeister der Stadt, Herr 
Blomquist, hat eben der Vorstellung beige- 
wohnt und hat einen furchtbaren Schrecken vor 
Ihrer Menschenfresserei bekommen. Er ist vor 
Angst ganz außer sich, er fürchtet, daß das Untler 
aus dem Zirkus flüchten und die Einwohner der 
Stadt überfallen und fressen könnte, Er glaubt ja, 
daß Sie ein richtiger Menschenfresser sind und 
will sich nun davon überzeugen, daß diese wilde 
Kreatur gut und sicher hinter Schloß und Riegel 
sitzt, denn die Verantwortung für die Unglücke, 
die sonst passieren könnten, will er nicht auf sich 
nehmen, sagt er. Also komm, komm — wir müssen 
uns beeilen.” R 
Fräulein Blondhaar gab mir ein paar Kuchen mit, 
und weg waren wir. 

Eine Minute später lag ich im frischen Heu in 


DAS KARUSSELL 


Ich fteh' vor einem Karuffell, 
erft scht es langfam, fpäter fchnell 


und mie ein gut jonglierter Teller 
dreht es fich fchnell und immer fchneller, 


Die Pferde kreifen wie im Tanz, 
den Kopf am Schweif des Vordermann. 


Im tollen Wirbel, Roß und Kind 

kaum noch zu unterfcheiden find. 

Wer fo betrachtend, lange fteht, 

weiß nicht mehr, wer und was fich dreht. 
Man meint, man fei eventuell 

am Ende felbft ein Karuffell. 

So denke ich mir ungefähr 

die Welt vom Standpunkt großer Bär, 
Und machte nicht Kopernikuo 

fchon damals mit dem Märchen Schluß, 


daß fich Die Erde nicht bewegt, 
ich hätte jetzt es angeregt. 


Doch dazu ift es nun zu fpät. - 
Man weiß fchon längft, um mas fich's dreht. 


Frig Vöttiner 














Das Angebot 


(Magon) 








HD AUFRAALUTM En 


so 

















„Sagen Sie, liebe Frau, könnte man wohl Butter, Schmalz und Eier bei Ihnen bekommen?" 
„Naa, aber a guat erhalten's Odelfaß tat’ i markenfrei vakaffal'* 


L’ offerta: “Ditemi, buona donna, non si potrebbe aver da Vol del burro, dello strutto e delle vova?,, 
"Eh no; ma avrei da vendere senza fagliando un barilotto, ben conservalo, da concime!,, 


meinem Käfig hinter der Manege und knurrte un- 
heimlich. Gerade hatte ich die Tür geschlossen, 
als der Zirkusdirektor und der Polizeimeister auf 
den Sattelplatz traten. Ich gab ein furchtbares 
Geheul von mir, so daß der Hut des Polizei- 
meisters vor Schreck wegflog. 

„Und hier sitzt er Tag und Nacht?” stotterte der 
Besuchende, 

„Natürlich“, antwortete der Direktor. 

„Und er kann nicht ausbrechen?“ 

„Kommt gar nicht in Frage, Übrigens ist er ein 
sehr neiter und harmloser Kerl, wenn er außer- 
halb der Manege ist. In Stockholm spazierte ich 


jeden Tag mit ihm durch die Straßen, und wir 
tranken unseren Nachmittagskaffee In einer Kon- 
ditorel, Doch führte ich ihn natürlich an einer 
Schnur.” 

„Das dürfen Sie hier bestimmt nicht machen”, 
sagte der strenge Wächter der Justiz. 
„Selbstverständlich nicht, Aber jetzt müssen wir 
schnell gehen, Herr Blomquist, denn das Tier hat 
einen furchtbaren Haß auf alle uniformierten Leute, 
insbesondere Polizeimeister. In Göteborg hat er 
das eine Bein des dortigen Polizeibeamten abge- 
bissen, und nachher seine Frau als Dessert ge- 
fressen.” 


433 


„Huuuuh, Huuuuuuuuuhl”“ schrie ich und rüttelte 
wild an den eisernen Stangen, Und weg war der 
Mann. 

* 


„Denk dir”, sagte ich zu Fräulein Blondhaar, als 
wir nachher beim Kaffeetisch saßen, „er glaubte 
wirklich, ich wollte ihn fressen. Wie blödsinnig! 
Wenn ich überhaupt Jemand fressen würde, dann 
doch höchstens.., ja, weißt du wen?” 

„Mich?“ sagte sie und gab mir lächelnd einen 
Kuß, 

„Ja, antwortete ich und küßte sie, 


(K. Heillgenstaedt) 





„Und womit entschuldigt sich Egon, daß er eine Freundin hat?“ 
„Er sagt: ‚Beruhige dich, mein Kind, sie ist ganz dein Typ!“ 


Conforto: “E come si scusa Egon d’ avere un’ altra amica?,, — "Egli dice: ‘Sta tranquilla, bambina mia; ella & tutta il tuo tipo,!,, 


434 


DURCHZBIELBEUME 


VON H. DORR 


Ungeduldig blickte Martin nach der Uhr, denn die 
verabredete Zeit war längst vorüber und Maria 
war noch immer nicht erschienen. Pünktlich um 
fünf wollte sie da sein, und nun war es fast 
sechs Uhr. 

„Hörst du, Peter”, erzählte er wohl schon zum 
zehntenmal an diesem Nachmittag seinem klei- 
nen, braunen Dackel, der ihm ebensooft mit un- 
verminderter Aufmerksamkeit gelauscht hatte, 
„hörst du, heute kommt Marla zu uns, das schönste 
und beste Frauchen, das wir beide jemals ge- 
sehen haben. Und ich hoffe, du wirst hübsch artig 
sein, alter Junge, wirst weder vorlaut bellen, noch 
am Teetisch um ein Stück Zucker betteln, ver- 
standen? Dafür aber wirst du schön Pfötchen 
geben, wenn Frauchen es wünscht, und nachher 
gefälligst in deinem Körbchen verschwinden. Sie 
muß einen guten Eindruck bekommen von uns 
beiden und sehen, daß du ein wohlerzogener 
Hund bist. Ich liebe das Frauchen nämlich und 
möchte, daß es für Immer bei uns bleibt, ver- 
standen?” 

Bei diesen Worten rückte Martin hier ein Kissen 
und dort eine Tasse zurecht, pflückte ein welkes 
Blatt von den Blumen, die in der Mitte des fest- 
lich gedeckten Tisches standen und steckte ab 
und zu einen Keks in den Mund, während der 
Hund, erfreut über die lange Zwiesprache mit 
seinem Herrn, dessen Bewegungen aufmerksam 
verfolgte. Nur der Schatten einer kleinen Ent- 
täuschung lag in den braunen Dackelaugen, daß 
nicht wie sonst auch für ihn hin und wieder ein 
kleiner Happen durch die Luft geflogen kam. — Und 


MEIN FREUND JOHANNES 


Es Ist Jetzt schon so lange her, daß ich es ruhig 
erzählen darf, 

Da wurde Johannes einmal von seiner Mutter da- 
bei erwischt, wie er mit auch für einen zwölf- 
jährigen Jungen ungewöhnlich schmutzigen Füße: 

in sein Bett steigen wollte, Es bestand der be- 
gründete Verdacht, daß er das auch sonst zu tun 
pflegte. Der Zustand der Bettlaken machte es 
wahrscheinlich. Man darf deshalb auch annehmen, 
daß die Mutter nicht ganz zufällig gerade in diesem 
Augenblick in das Zimmer trat, 

Wie dem auch sei, sie nahm die Gelegenheit wahr, 
Johannes ins Gewissen zu reden. 

„Stelle dir nur mal vor, du hast auf der Straße 
einen Unfall und mußt sofort ins Krankenhaus ge- 
bracht werden, Was meinst du wohl, was dann 
die Ärzte und Schwestern von dir denken, 'wenn 
sie deine schmutzigen Füße zu sehen bekommen? 
Sie werden denken, daß du ein ganz großer 
Schmutzfink bist! — Möchtest du das wohl gerne?” 
„Nein, Mutter‘, sagte Johannes. 

„Willst du dann in Zukunft dafür sorgen, daß sie 
das nicht zu denken brauchen?“ 

„Ja, Mutter“, sagte Johannes. „Ich werde von nun 
ab ganz besonders vorsichtig auf der Straße sein.” 


* 


Martin war Onkel geworden. Das erfüllte ihn mit 
maßlosem Stolz, Dauernd erzählte er von seiner 
Nichte, Wie niedlich und klug sie wäre, und so 
welter, 

So lange er nur das tat, war es noch auszuhalten, 
Aber bald kamen die ersten Fotos. Wir hatten sie 
zu bewundern. 

Nun, mein Geschmack sind so ganz Neugeborene 
nie gewesen. Auch Martins Nichte machte da 
keine Ausnahme, Wie ein hilfloses kleines Aff- 
chen lag sie im Arm ihrer Mutter. Dahinter waren 
einige Bäume zu sehen. 

Verlegen beschaute Ich mir das Bildchen. Ich bin 
sonst Martin gegenüber nicht so zartfühlend ge- 
wesen, aber In dieser Sache mochte ich ihn nicht 
kränken. 

„Wirklich sehr nett“, urteilte ich also. 

„Ja, recht hübsch“, bestätigte Johannes. „Wo steht 
diese Baumgruppe nur noch?" . Bieger 


wieder sah Martin nach der Uhr. Schon wollte 
er jede Hoffnung auf diesen mit so hohen Erwar- 
tungen erfüllten Besuch aufgeben — da, endlich 
klingelte es, Mit einem Sprung war er ander Türe, 
setzte sein glücklichstes, strahlendstes Jungen- 
lächeln auf und öffnete. Draußen aber stand nicht 
die zarte blonde Frau Maria mit den unwahr- 
scheinlich veilchenblauen Augen, sondern der 
Postbote mit einem Eilbrief von Ihr. Hastig riß 
Martin den Umschlag auf und starrte sekunden- 
lang verständnislos und entgeistert auf das eine 
einzige Wort, das der Brief enthielt. Schwarz auf 
weiß stand da geschrieben: Flegel, nichts wel- 
ter als Flegel! 

Fürs erste versetzte Martin dem unschuldigen 
Peter, der ihm erwartungsvoll und schweifwedelnd 
nachgeeilt war, einen etwas unangebrachten Fuß- 
tritt, worauf der Hund sofort die Schwingungen 
seines Gefühlsbarometers einstellte und jämmer- 
lich jaulend unter den Tisch kroch, um von dort 
aus schwer gekränkt und mißtrauisch hervorzu- 
äugen. Sein Herr aber ließ sich in einen Stuhl 
fallen und starrte noch Immer fassungslos auf die 
seltsame Botschaft. 

Langsam versuchte er, seine fliegenden Gedanken 
zu ordnen und sich die Ereignisse des gestrigen 
Tages Ins Gedächtnis zurückzurufen. Es war doch 
alles in bester Ordnung gewesen. Er hatte mit 
Frau Maria einen schönen, zauberhaften Abend 
verbracht, Sie wären in einem kleinen gemütlichen 
Lokal gesessen und bei einer Flasche Wein hatte 
er endlich den Mut gefunden, der schon seit lan- 
gem angebeteten Frau seine Liebe zu gestehen. 
Maria hatte dazu nur fein gelächelt und ihm zört- 
lich über die Haare gestrichen. Aber mit Augen 
hatte sie ihn angesehen, aus denen ihm eine Welt 
von Zuneigung entgegenzublicken schien. 

Ehe sie auseinandergingen, erwähnte Marla noch, 
daß sie morgen Geburtstag hätte und ließ ihn 
scherzend raten, der wievielte es wohl sein 
mochte. 

Martin war einen Augenblick in arger Verlegen- 
heit, denn nichts konnte er schlechter, als das 
Alter der Frauen schätzen. Und gerade bei Maria, 
dieser schönen, reizenden und bestimmt sehr jun- 
gen Witwe schien ihm dies unmöglich, denn sie 
konnte ebensogut schon gegen dreißig sein, wenn 
sie auch in manchen Momenten, so wie eben in 
diesem, ganz bedeutend jünger aussah und es 
wahrscheinlich auch tatsächlich war. Um also Zeit 
zu gewinnen und ihr gleichzeitig eine sinnige 
Aufmerksamkeit zu erweisen, hatte er auf Ihre 
weitere dringende Frage nach ihrem Alter lächelnd 
geantwortet: 

„Ich will es Ihnen durch die Blume sagen und 
werde mir gestatten, Ihnen morgen so viele rote 
Rosen ins Haus zu schicken, als Ihnen Lebensjahre 
blühten!” . 
„Schön gesagt“, hatte Maria fröhlich ausgerufen, 
„und wenn Sie annähernd richtig geraten haben, 
dürfen Sie mich morgen um fünf Uhr zum Tee er- 
warten und ich will meinen Geburtstag mit Ihnen 
ganz allein verbringen.” 

Martin war überglücklich gewesen. Schon am 
frühen Morgen war er in den Blumenladen geeilt 
und hatte sich nach reiflicher, in einer fast schlaf- 
losen Nacht durchdachten Überlegung dazu ent- 
schlossen, zwanzig Stück roter Rosen zu schicken. 
Er hatte noch den Auftrag gegeben, ganz be- 
sonders große, ausgewählte Prachtexemplare zu 
schicken und war nun sicher, das Richtige getan 
zu haben, denn es mußte Maria, wenn sie auch 
vielleicht tatsächlich schon älter war, sicher 
freuen, von ihm so jung eingeschätzt zu werden. 
Und nun kam statt ihr dieser Brief, der doch un- 
möglich die Antwort auf seine zarte Geste sein 
konnte. 

Plötzlich durchzuckte Ihn ein Gedanke. Man hatte 
vielleicht überhaupt vergessen, die Blumen bei 
ihr abzugeben oder hatte sie an eine falsche 
Adresse gesandt und sie war mit Recht über 
diese grobe Unaufmerksamkeit erzürmnt. Er mußte 
sich augenblicklich Gewißheit verschaffen und 
stürzte in den Blumenladen, die erschrockene Ver- 
käuferin mit den hastig hervorgestoßenen Worten 
überfallend: 

„Haben Sie die heute morgens bestellten zwanzig 





(K. Rössing) 


Jilustriertes Sprichwort: 


„Spitze Nase, spitzes Kinn, 
da steckt der Satan leibhaftig drin!" 


Proverbio Illustrato: "Chi naso acuto e acuto 
mento avrä, Satana in carne ed ossa occulteräl,, 


Stück roten Rosen auch wirklich an die ange- 
gebene Adresse gesandt?” 

Das kleine Blumenmädchen wurde ein wenig ver- 
legen, als der aufgeregte Kunde vor ihr stand, 
dann aber sagte sie rasch und freundlich: 
„Gewiß, mein Herr, wir haben die Blumen abge- 
geben. Allerdings’‘, fügte sie bedauernd hinzu, 
„von den gewünschten ganz großen Exemplaren 
war nicht mehr genügend Vorrat da. Ich habe mir 
daher erlaubt, zum gleichen Preis natürlich, 
vierzig Stück einer etwas kleineren, aber eben- 
falls sehr schönen, wohlduftenden Sorte zu 
schicken.” Und als sie merkte, wie des Kunden 
Blick immer starrer wurde und sie schließlich fast 
zu erdolchen drohte, setzte sie bedauernd hinzu: 
„Sie werden doch deswegen nicht ungehalten 
sein, mein Herr?” 

„Nein, ich nicht”, erklärte Martin mit wütendem 
Sarkasmus und warf die schwere Glastüre klirrend 
hinter sich zu, was das Mädchen zu der philo- 
sophischen Bemerkung veranlaßte: „Ich glaube, 
er war doch ungehalten, der Herr!” 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Bammers gingen in die Kunstausstellung. 

Bammer blieb vor einem Aktbild stehen und be- 
trachtete mit liebkosenden Blicken. 

Seine Frau murrte: „Was gibt es denn da groß 
zu sehen?” 

„Aber, Alwine”, seufzte Bammer, „Ich bewundere 
doch nur den prächtigen Rahmen!" p.b. 


I a 


Verlag und Druck: Knorr & Hirtk Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger 
Verantworll, Schriftleiter: Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus ersc wöchentlich 
anstalten enigegen. — Bezugspreise: Einzelnummer 30 Pf.; 








Bo 80 (Fernruf 1296). Briefanschrifi: München 2 BZ, Brieffach. 


mal. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 
Abonnement im Monat RM. 1.20. — Unverlangie Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegt. — 


Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920, Erfüllungsort München. 


Britannias allzustürmischer Liebhaber 


(0. Gulbransson) 


Auaf Auteranssan (3 


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„Onkelchen Sam, du faßt mich ja um die Kehle statt um die Taille!“ 
Amante impetuoso di Britannia: ‘Ma, zietto Sam, tu mi stringi alla gola invece che alla vital, 


436 


München, 18. August 1943 k 
48. Jahrgang / Nummer 33 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Die Jagd nach dem Sieg (erieh Sehlling 





Alla caccia della vittorla! 





Stolz - Orgoglio 





(0. Hermann) 





„Daß deine persönliche Note ausgerechnet Im ständigen Einschnappen besteht, Ist wirklich lästig, Egon!" 
„Menschen mit starkem Charakter sind immer lästig, meine Liebe!‘ 


"Che la tua nofa personale consista precisamente nel pigliar tutto In mala parte & cosa davvero molesta, Egon!,, 
"Gli uomini di forte carattere sono sempre molesti, cara mial,, D 


DER UNZULÄNGI. 


VON SCHLEHDORN 


Der Unzulängl. war (obwohl zweites Kind) schon 
Im slebenten Monat geboren und war so klein und 
beschelden geblieben, daß er alles mit Abkürzun- 
gen schrieb und sogar in Abkürzungen dachte. 
Also ähnlich wie, die Inserate in den „Neuesten 
Nachrichten“, als da sind: „Dame üb, 30, vollschl. 
warmh. fraul. Gem, su. ebensolch. bess. Herrn zw. 
Heir. k. z. I. Vermttl, Papkrb.” 

Der Unzulängl. hatte mit Jullus die Schulbank ge- 
drückt. Später hatte er die erste jur. Prüfg. nicht 
bestand, da bedankte er sich und nahm e. kl. 
Stellg, b. e. Versich.Ges. (Bür. od. Kzlei. od. Exped.) 
an. Bei der „Heiwelhagag”, der Heidelberg-Wei- 
marer Hagel-Versicherungs-Aktien-Gesellschaft. 
Gewiß, das Gehalt war besch., das Leben war 
eben besch., aber die Stimmung ganz besch. Wo- 
bei „besch.” im ersten Fall beschämend, im zwei- 
ten bescheiden und im dritten natürlich beschau- 
lich heißt. 

Denn so Ist das. Leute, die nichts geworden sind, 
sind meist viel friedlicher als solche, die dauernd 
aufsteigen müssen und dann leicht den Absatz des 
Vorankletternden ins Gesicht bekommen. Nicht 
losgemachte Boote schaukeln weniger auf den 
Wellen des Ozeans. Ein angepflockter Wallach 
geht ‚seltener durch als ein freilaufender Hengst. 
Der Unzulängl, war gerade auf dem Heimweg vom 
Dienst. Das war das Einzige, was er nicht abkürzte. 
Denn der Bürovorsteher hatte den Geduckten noch 
geduckt (groß ist man, wenn die Kleinen kleiner 
werden), und daheim wartete die Frau, die ihn 
geheiratet hatte, um seine Seele mit Sandpapier 
abzureiben. Da war Dienst noch schöner. So 





sparte der Unzulängl. das Fahrgeld auf der U- 
oder S-Bahn, freute sich an den asthmatischen 
Firmenschildern, wie Aboag (das klingt wie kurz 
nach Tisch in minderen Schänken) oder BzBG. 
(darin faucht noch die Lokomotive), und fand im- 
mer neue Abkürzungen. 

Als Regierungsrat Jullus ihn traf, strahlte er, ent- 
schuldigte sich und kam bald auf sein coupiertes 
Steckenpferd, sein Ameisenei des Kolumbus zu 
sprechen: wie kol. bequ. u. bill. die allg. Einführg. 
d. Abkrzg. in d, Schriftspr. wäre. 

„Denk mal, Din-Format hätte die Größe des Ab- 
reißkalenders. Man könnte dann geradezu aus 
der Maschine ins Stenogramm übertragen. Die 
Typen würden geschont, nur der Punkt vielleicht 
überanstrengt. Man könnte ein Viertel aller Steno- 
typistinnen entlassen. Das würden freilich leider 
gerade die Hübschesten sein. Die Post brauchte 
mangels Masse nur alle 3 Tage ausgetragen zu 
werden.” 

Er wurde Immer größer im Verkleinern. Der Große 
Brockhaus könnte in einem einzigen Bande er- 
scheinen und die Devisenbestimmungen in nur 
zweien. In der Zeitung könnte z. B. eine Kurz- 
geschichte auf 11 Zeilen abgedruckt werden, be- 
sonders, wenn man alles wegließe, was jedermann 
schon weiß, liebe und so. Welch eine Ersparn. an 
Pers. und Mat. und Pap. Allerdings fiele wegen 
des Formats von den 3 überlieferten Benutzungs- 
möglichkeiten der Zeitung die als Einwickelpapier 
fort, 

Plötzlich sah er auf die Uhr: „Entschuldige“, sagte 
er, „meine Frau...” 

Das war die Abkürzung für eine ganze Tragödie. 
Er zog einen Zigarrenstummel aus der Tasche (zu 
Hause durfte er wohl nicht rauchen), Jullus gab 
Ihm Feuer, und schon im Abgehen sagte der Un- 
zulängl.: „Danke verbindlpunkt“ 


438 


Desillufionifierung 


»Hoch hinauf ins himmlifche Blau 
flattert zärtlich ein Kohlmweißlingpärchen, 
über dem grünen Gezweig der Buchen, 
über geflederten Efchenmwipfeln, 

hoch hinauf und felig verliebt. 


Ach, wer fo fich vom Boden der Erde, 
von der Materie löfen dürfte, 
gaukelnd, fchiwebend, Seele geworden, 
filberne Seele Im himmlifchen Blautl« 

* 
Seele? Seelet? Ja, Pfeifendechelt 
Denn was refultiert aus dem Ausflug? 
Eier, du Schwärmer, und mas für Eier! 
Raupen, du Schafskopf, und was für Raupen! 
Da find deine, die du im Kopf haft, 
reine Waifenknaben dagegen. 
Sind fie erft ausgchrochen, dann ift dein 
Kohl im Garten, der weiße, der blaue, 
(Weiß, und Blau, wie du fiehft, wiederholt fich) 
futfch, geliefert, kaputt, perdü, 
und du kannft an den Strünken nagen. 


Siehft du alfo wieder ein Pärchen 

hoch im Blau, dann hol’ deine Flinte 

und fehieß’ ugs das Gefindel herunter, 
diefe rüchfichtslofen Erotiker, 

wenn dir an Blau= oder Weißkrautgemüfe 
mit Kartoffelpuffern was liegt! 


(Grade genug, daß Die Schweinsbraten rar find!) 
Ratatöshr 


Der unlautere Wettbewerb 


„Wie geht das Geschäft, Mrs. Smith?“ — „Schlecht. Seitdem Roosevelt umsonst eine bessere 
Zukunft vorhersagt, will sich niemand mehr von mir gegen Bezahlung wahrsagen lassen!" 


La concorrenza sleale: “Come vanno gli affarl, Mrs. Smith?,, — “Male; da quando Roosevelt ha predetto 
grautuitamente un miglior avvenire, nessuno vuole piö sentire profezie da me verso pagamento!,, 


439 


(Wilhelm Schulz) 





Führung in Washington 









































Drm Auiomansson 





„... und hier war das Porträt Monroes. Er ist leider aus dem Rahmen gefallen!“ 


qui c’era il ritratto di Monroe. Purtroppo & caduto giü dalla cornice!,, 


Guida in Washington; ",..e 


440 


PEDRO ERBT 


VON RAINER PREVOT 


Als Pedro, der kleine Pedro, fern im Licht des 
rasch sinkenden Mittelmeer-Abends den schnee- 
weißen Mauerkranz der stolzen afrikanischen 
Stadt auf dem blauesten aller Meere aufsteigen 
sah, raffte er sein armseliges Gebein zusammen 
und suchte sich klarzumachen, warum er sich 
seit zwei Tagen auf großer Fahrt befand, elendig- 
lich in sich verkrümmt und ausgehöhlt vom Übel 
des Meeres, Und angesichts seines Reiseziels riß 
ihn das stolze Bewußtsein hoch, ein Erbe zu sein. 
Vor vier Tagen hatte seine Mutter, die einen Fisch- 
handel beirleb Im spanischen Hafenviertel von 
Marseille, die würdige Sefiora Soledad, zu ihm 
gesagt: „Pedro, mein Sohn, Seforito unserer 
Familie, dein ehrwürdiger Oheim in Tanger, mein 
Bruder Don Manolo Sanchez de Palacio ist ge- 
storben, Er war ein Geizhals, Der Teufel hat seine 
Seele geholt. Mich, seine leibliche Schwester, hat 
er darben lassen, aber er war ein reicher Mann 
und du bist sein einziger Erbe. Sein schöner Tep- 
pichladen ist in der breiten Straße, die vom Hafen 
steil zur Kasbah hinaufführt. Du wirst Ihn schon 
finden; geh hin, mein Sohn Pedro, und erbel"” 
Dann hatte Ihm der alte penslonierte Notar aus 
dem Nebenhaus, der Immer um den Fischbadarf 
für seine sonntägliche Bouillabaisse feilschte und 
dafür auch mal was Rechtes tun konnte, ein 
Schreiben mitgegeben für einen Kollegen in 
Tanger. Er hatte die notwendigen Auswelspapiere 
in einen Umschlag gesteckt, der In Pedros Hemd 
eingenäht wurde. So ausgerüstet und allen Schutz- 
heiligen belohlen, mit Ausnahme leider des bis- 
her unbekannten Patrons gegen die Seekrankheit, 
hatte Pedro die ganze Tücke des fälschlich als 
ölglatt beleumundeten mediterranen Tümpels mit 
leızter Kraft überstanden. Er s3ß nun in der Hafen- 
barkasse, vorsichtshalber Über ihren Rand ge- 
beugt und hatte nur einen Wunsch: Ein Bett, mit 
oder ohne Wanzen, aber garantiert unbeweglich 
und horizontal. 

Noch waren seine Beine des Gleichgewichtes 
nicht ganz sicher, als er wie ein Paket auf dem 
Landungskai abgesetzt, von wildem Gebrüll und 
Gefuchtel empfangen und nach Ziel und Wünschen 
ausgeforscht wurde, Pedro verteidigte sein Hand- 
köfferchen wie ein Überfallener unter Seeräubern. 
Das konnte er selber tragen! Und den Weg würde 
er auch finden. Es ging einfach durch das mäch- 
tige maurische Stadttor und das europälsche 
Hafenviertel zur Araberstadt hinauf. Aber ihm 
wurde etwas bang In diesem Gewimmel, das 
noch viel toller war als in Marseille. Die bedäch- 
tig schwankendenr Kamele, die Wasserträger mit 
Ihren Bocksfellen, die langen hageren Eseltreiber 
aus dem Sudan mit ihrem eintönigen „Balekl... 
Balekl” (Platz dal), womit sie die Mange teilten, 
In der klein und schmächtig Pedro mit seinem 
Köfferchen verschwand. Doch wie Ihm so bang 
wurde um sein Ziel und der Universalerbe Don 
Manolos sich immer mehr als lächeriicher Zwerg 
im Reich der Riesen fühlte, erblickte er plötzlich 
seitwärts, an eine weiße Hauswand gelehnt, ein 
Mädchen, das an einer Zuckerstange lutschte und 
Ihm dabei mit schwarzen Augen und blltzenden 
Zähnen zulächelte. Daß sie keine Maurische, son- 
dern eine Spanische sein mußte, verriet Ihm Ihre 
Kleidung mit Kamm und Fransantuch. Die fragst 
du, dachte Pedro, und näherte sich dem glut- 
äuglgen Kind mit der Bitte, ob sie wisse, wo das 
Geschäftshaus des ehrenwerten Don Manolo de 
Palaclo sich befinde. 

„Was willst du dort?" klang auswelchend die 
Gegenfrage. 

„Erben!“ meinte Pedro selbstbewußt, 

„Was gibst du mir, wenn ich dir's verrate?” 

In Pedro regte sich der Kavalier: 

„Was möchtest du haben?” fragte er königlich. 
„Fünf Pesetas!”... 

„Danke“, sagte Pedro, „dafür finde Ich mich schon 
selbst zurecht.” 


„Gar nichts wirst du finden, wenn ich dich nicht 
führe. Und dann erbt ein anderer!" Sie lachte 
verächtlich. 

„Ich gebe dir eine Pesetal” sagte Pedro. 

„Gib zweil Und erst trinken wir zusammen eine 
Anisetiel” Sie hatte ihn beim Ärmel gefaßt und 
zog ihn zur großen, Kaffeeterrasse, von der man 
weit über das Meer schaute, Und als sie ihr Tisch- 
chen gefunden hatten im Schatten einer hohen 
Palme, die so verstaubt war wie eine alte Theater- 
kulisse, fragte er: „Wie heißt du?” 

„Ich bin Senorita Carmencita und eine Tänzerin.” 
Dabei schwang sie die Hüfte und reckte sich hoch: 
„Und du?” 

„Ich heiße Don Pedro und wlil ein berühmter 
Torero werden“, gab er stolz zurück. Nun schwie- 
gen sie und beobachteien die Wirkung ihrer aus- 
gespielten Trümpfe. Das erste Ergebnis war, daß 
sie nicht mehr wagten, sich zu duzen, 

Uber der alten staubigen Palme strahlte das 
blankste Blau und weit drüben zwischen diesem 
Himmel und dem blaueren Meer, das nun plötz- 
lich ganz ruhig lag, leuchtete ein schmaler gelber 
Streifen, 


„Ist das Spanien?” fragte Pedro mit leuchtendem 
Auge. 
„38, es ist Spanien. Dort werde ich hingehen, um 
eine große Tänzerin zu werden.” Sie sagte das 
mit dem Mund, mit den Augen und mehr noch 
mit der Hüfte, „Meine große Schwester Manuela 
tanzt in Cadiz.” 
„Ich geh mit. Ihnen“, entfuhr es ihm, „wenn ich 
geerbt habe, nehm ich Sie mit, und wir werden 
zusammen berühmt. Wollen Sie, Senorita?" 
„38,DonPedro, aber In derNase bohren dürfenSie 
nicht mehr, wenn Sie ein großer Torero sein wollen.” 
Eine Glutwelle schoß ihm Ins Gesicht, Er nahm 
Haltung an, wie er es in Marseille gelernt hatte, 
wenn man vom fernen Spanien sprach. Und nun 
sah er es zum erstenmal. Und es war nur ein 
kleiner gelber Streifen zwischen Meer und Him- 
mel, aber der schien aus reinem Gold. 
Eine Ungeduld packte ihn, Er zahlte das nach 
scharfer Minze duftende Geiränk. 
„Da Ich Ihnen einen Kuß geben, Seforita?” 
fragte er schüchtern im Schatten der Palme, 

Sie zögerte ‚Ja, aber nur auf den Nacken, 
Don Pedro. Kommen Sie, zuerst wird geerbtl” 


(© Sturtzkopf), 





„Weißt du, Gerüchte sind ja eben doch immer nur unvollständig!“ 








Freilich, freilich, da muß man schon selber noch etwas dazu machen!" 


“Ma sal, le voci che corrono sono sempre qualcosa d’ incompleto!,, 
"Certo, cerlo; e cosi bisogna agglungervi anche un pochino di proprio!,, 


441 





(Fr. Bilok) 


„Glaub mir, Miezerl, ich hab’ dich gern!" 
„Alles Lüge, sonst wärst du schon längst en Kater geworden!“ 


“Credimi, io 1i voglio bene, gattina mial,, 
*Tutte menzogne! Altrimentl saresti divenuto giä da molto tempo un gattol,, 


DER SCHULDLOSE 


VON HORST IRMLER 


„..und darum beschwöre Ich dich noch einmal, 
mein Lieber, — — verbrenne diese schändlichen 
Spuren meiner Geschwätzigkeit, sobald du die 
gelesen hast und streue die Asche In alle Winde, 
— — es ist tatsächlich bitter notwendig. 

‚Aber Irgendwie muß ich dir ja doch den ganzen 
Sachverhalt unseres mißglückten Zusammentreffens 
verständlich machen, obwohl die Sache gar nicht 
so einfach zu erklären ist, und ich bereits auch 
mit der Möglichkeit rechne, dıß du mir ab sofort 
mit einer gehörigen Dosis Rattengift nach dem 
Leben trachtest. 

Sozusagen aus — aus gekränkter Sippenehre. Höre, 
und du wirst meine Schuld'osigkeit herausfühlen, 
Am 7. Mai, Schlag sieben Uhr, war ich verab- 
redungsgemäß In Kinsburg angekommen. In dem 
von dir empfohlenen Hotel Bollavue hatte ich zu- 
erst ein gefühlvolles Wortgefecht mit dem Por- 
tier, der nach Gin und Branntwein roch — und nur 
schwerlich zu bewegen war, einzusahen, wie 
dringend notwendig ich ein Zimmer brauchte. 

Er verschanzte sich hinter alleilei Einwänden und 
ttaute wohl auch meiner Börse keine zu großen 
Sprünge zu. Als ich ihm aber sag'e, wieviel 
tausend Kilometer ich zurückgelegt hatte, um am 
ersten Urlaubstag nach vielen Mönaten einen 


lieben, guten, vorwundeten Kameraden aufzu- 
suchen, bat er mich beinah um Verzeihung und 
drückte mir ein gepfoffertes Preiskärichen in die 
Hand mit dem Bemerken: 
„Da nehmen Sie nur, — das Ist der Zimmeraus- 
weis für ein Doppelzimmer mit Bad. Ich berechne 
os ihnen aber nur als Einzelzimmer, und wenn es 
auch telegrafisch bereits einem Hochzeitspaar zu- 
gesagı war, das macht nichts. Die sind auch anders- 
wo noch unterzubringen. Ich werde schon Irgend- 
etwas Improvisieren!“ 
Und dann machte er, ganz dem vornehmen Haus 
entsprechend, le Verbaugung vor mir oder 
meiner abgewetzten Uniform, und zeigte mit ele- 
ganter Bewegung zur großen Hoteltreppe. 
da geht es hinauf. Dar Lift ist außer 
und Ihr Gepäck schicke Ich sofort nach 
Ihr Zimmer liegt im ersten Stock, genau 
gegenüber der Haupttreppe. Sie können es nicht 
verfehlen. Einen Pagen kann Ich Ihnen leider 
nicht mitgeben zum Zimmer zeigen, Sie wissen, die 
Personaleinschränkungen, der Kriegl...” 
Und hier geht die Geschicht. jentlich erst losl 
Ich kann dir nur sagen: Es ist eine schöne Ge- 
schichte. 
Ich gehe die breite, mit purpurroten Läufern be- 


442 




















legte und mit vergoldetem Geländer versehene 
Treppe hinauf, durchschreite den langen Flur und 
da bin ich auch schon vor dem Zimmer Nr. 77 an- 
gelangt und öffne die Doppeltür. Instinktiv taste 
ich nach dem Schalter, finde diesen Jedoch nicht 
gleich, bemerke aber staıt dessen sofort, daß 
vom Badezimmer durch die halboffene Tür ein 
breiter Lichtstrahl mir entgegenleuchiet, — und 
plim-plam irgendwer im Wasser fröhlich planscht. 
Ja, ja, ich entsinne mich noch dunkel, daß ich 
tatsächlich rückwärts wie ein Krebs aus dem Raum 
getreten bin und die Türe ganz sachte und be- 
hutsam wieder schließe, einmal kurz und befreit 
schnaufe, wie nach einem gefährlichen Spähtrupp 
und dann aus meiner Rocktasche das Zimmer- 
kärtchen geschwind heraushole, schaue und ver- 
gleiche und doch nur feststellen kann: Das ist 
mein Zimmer für 12.50 RM. plus 15% Bedienungs- 
geld. Na alsol — 

Alle meine Bedenken verschwinden und deshalb 
haue Ich kräftig auf die Klinke und gehe schnur- 
stracks abermals hinein. Ein dicker Teppich vor- 
schlingt meine Schritte und bei diesem lautlosen 
Schreiten werde ich schon wieder unsicher und 
ahne schon, — jetzt mache Ich bestimmt etwas 
falsch, — und da ist es schon, 

Da stehe ich, der der Zivilisation so lang Ent- 
wöhnte, auf der Schwelle eines prächtigen: zitro- 
nengelben Marmorbades und erblicke, während 
ich den Atem anhalte, ein wunderhübsches Mäd- 
chen unter der sprühenden Dusche. Den relzen- 
den Rücken mir zugewandat steht sie aufrecht 
da und an Ihren schlanken Hüften brechen sich 
glifzernd die silbernen Wasserstrahlen. 

Und dann fängt dieses ahnungslose Mädchen auch 
noch zu singen an, — so ganz zart und flink trala- 
lala die Tonleiter hinauf und tralalala die Tonleiter 
hinunter, und dann streckt sie die Arme in die 
Höhe und Ich sehe noch eine Kleinigkeit mehr — 
— — und die ist schön, — sehr schön. — 

Und ich stehe wie gebannt und verzaubert und 
vergesse meine ganze gute Erziehung und alles, 
— und lausche und blinzle so lange in dieses 
Mörchenland hinein, bis ich nach Sekunden mein 
Herz am Halse jämmerlich schlagen höre und er- 
schreckt auf leisen Sohlen den Rückweg zu er- 
schleichen versuche, 

Ich bin wie glanzgeblendet und das Dämmer- 
licht im Zimmer erschwert überdies das Auffinden 
meines Koppels, das Ich beim Eintroten so schwung- 
voll in einen Sessel geworfen habe, — aber dann 
habe ich es doch und die reitende Tür auch, — 
oder vielmehr beinah, denn plötzlich wird sie auf- 
gerissen und das Licht flammt auf und ich .er- 
schrecke über die plötzliche Halle, und mir gegen- 
über steht ein blutjunges blitzblankes Zimmer- 
mädchen. Sie starrt mich entgeistert an und eine 
Blutwelle jagt ihr über Stirn und Wangen und ich 
höre mich sprechen, ohne daß Ich as’ weiß, ob 
‚das die richtigen Worte sind: 

„Ich muß mich doch verlaufen haben!” 

Und ich selbst muß dabei ein Gesicht gemacht 
haben wie ein Hirtenbub, dan man mitten in der 
Nacht weckt mit dem Verlangen, ein Stück aus 
dem Cornelius Nepos zu übersetzen, 

Aber was ist denn? Das Mädchen hört ja gar 
nicht auf meine verzweifelte Rechtfertigung, son- 
dern schaut unverwandt auf meine Hände, In 
denen ich das Koppel halte, und als Ich fragen 
will, was denn los sei, halte ich schon beim er- 
sten Worte inne und entdecke in meinen Händen 
an der Revolvertasche verfitzt, — und mir wird 
auf einmal unböndig heiß, — anklagend ein kaum 
zwei Handflächen großes weißes Batisthöschen. 
Ich schüttle den Kopf und gebe mit zittrigen Fin- 
gern das unfreiwillige Beutestück zurück, 

„Da nehmen Siel” — 

Und da lächelt gotilob das Mädchen wieder und 
streicht mich In Gedanken und Gnaden ganz 
sicherlich endgültig aus der Liste der Fassaden- 
kleiterer, weist aber immer noch stumm auf den 
Sessel, auf dem meine Revolvertasche lag, und 
ich sehe dort noch andere winzige Dinge liegen, 
von denen man kaum glaubt, daß das ein Hemd- 
chen oder ein Halter oder ein Strumpfgürtel sein 
soll. 

Und in diesem Augenblick war ich so ziemlich 
sicher und überzeugt, daß der Trottel von Portier 
mir ein falsches Zimmer angewiesen hatte, und 
so etwas ähnliches muß ich wohl auch gesagt 


Das Bad im Walde (0. Nückel) 


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Il bagno nella foresta 


443 


haben, denn ich geiange ohne neuerliche Zwi- 
schenfälle aus dem verhexten Zimmer und will 
die Treppe in schnellen Sprüngen heruntereilen, 
als mir das Mädchen mit liegender Schürze nach- 
gelaufen kommt und zuruft; 

„Ach, warten Sie doch einen ganz kleinen Augen- 
blick, Herr Soldat!” 

Ich lehne mich etwas erschöpft an das Treppen- 
geländer und meine entsetzten Augen jagen ha- 
stig sämtliche Knöpfe und Haken an meiner Uni- 
form ab, ob da nicht eventuell doch noch so ein 
verräterisches Ding baumelt und mich süßer Sün- 
den bezichtigt, die Ich nie begangen habe. 
Jedoch ich bemerke nichts — und als ich mich 
umwende, hat sich auch das Mädchen gefaßt und 
löst das Rätsel ganz geschwind, Indem sie mir 
gesteht, daß das Zimmer tatsächlich das meinige 
sei und auch in fünf Minuten endgültig und un- 
gestört mir gehören soll, solange ich es nur will. 
Sie selbst aber müsse sich vieimais enischuldigen, 
denn sie sei es gewesen, die dem Hausverbot 
zum Trotz, so ein bissel aus Bequemlichkelt und 
Leichtsinn der Jungen Hausdame da ein Bad an- 
gerichtet habe, wo es ihr am besten gepaßt 
habe, Immer in dem Glauben, daß das Zimmer 
erst spät In der Nacht besetzt werde, und’ sie 
bitte recht herzlich davon abzusehen, unten im 
Büro den Vortall zu erzählen. Da söße ein ver- 
kalkter Knacker und es gäbe sonst für sie ein 
mächtiges Donnerweiter, und der brächte es auch 
glattweg fertig, durch sinnlose Verhöre, warum 
das passieren konnte, sie und das Fräuleih Irene 
aufzuhalten, und das ginge schon aus dem Grunde 
nicht, weil das Fräulein In die Stadt müßte, — 
gleich, — — um, nun um eben auch einen Sol- 
daten zu treffen. — — — 

„Ja, Ja, selbstverständlich”, antwortete ich, „es 
ist alles gut und von mir wird kein Sterbenswört- 
chen über die Lippen kommen, ganz gawißl"— — 
Und dann warte Ich noch fünf Minuten auf dem 
Flur und höre eine Tür schlagen, — meine Tür. 
Drehe mich aber nicht um, da ich bange bin, daß 
ich rot werden könnte, rot wie junger Klatsch- 
mohn, — trotz 32 bewegter Lebensjahre. Aber die 
lange Zeit an der Front, — Ja der Krieg, — macht 
einen für solche Dinge furchtbar emafindsam. 
Und was nun kommt ist unwesentlich und deshalb 
mache Ich einen langen Gedankenstrich — — — 
ratsch, da steht er — — — und es Ist möglich, 
mir ohne Verzögerung durch die Schwingtür zu 
felgen, die mich pünktlich um acht Uhr In das 
Weinrestaurant führt, wo wir uns, wie brieflich 
verabredet, treffen wollten. 

Ich erspähe sofort unsere alte Nische und schnup- 
pere — köstlich — die Luft Ist schwer von Wein 
und auf dem Tische steht ein kleines mahnendes 
Schild „Reserviert‘‘, 

Jemand berührt meinen Arm. Es Ist unser stets 
glattrasierter Herr Oberkellner im Frack. Er hat 
mich trotz jahrelanger Abwesenheit sofort er- 
kannt, begrüßt mich stürmisch und ergeben und 
dienert um mich herum, als hätte ich ihm gestern 
erst zum leiztenmal die Hand gedrückt. 

„Ach, da sind Sie Ja endlich”, rief er, „ich bin 
über alles Informiert und Ihr Freund, Herr Thomas, 
muß gleich kommen. — Ihren Tisch habe ich auch 


AUGUST 


Die Bäume stehn so schwer im Laub, 
Wie nicht im danzen Jahr. 

Ein wenig liegt auf den Blättern Staub, 
Und der Himmel ist audı nidıt ganz klar. 


Der Anfang ist, die Mitte vorbei, 
Dahin der Frühling, der schöne Mai, 
Der ersten Liebkosung Sparsamkeit: 
Wir haben jetzt August! 


Und mie eine Frau mit üppiger Brust, 
Erfahren in Kuß und Lust, 
Liegt abends der Wald unterm Monde bereit. 


Georg Britting 


noch halten können, — fein, — was? — Und Sie 
werden staunen, wie der verletzte Fuß von Herrn 
Thomas kaum noch zu merken ist..., erstaunliche 
Fortschritte hat er gemacht, — — erstaunlichel ...” 
Dann rufen Ihn schon wieder andere Pflichten von 
mir weg, und Ich setze mich in den Sessel, der 
mit safrangelber Seide überzogen war und habe 
den Blick frei über das ganze Lokal und sehe na- 
türlich das allernächste nicht, was Ich wahrhaftig 
sehen mußte, daß nämlich auf dem Tische drei 
Gedecke aufgelegt sind, und da kommt der Herr 
Oberkellner wieder auf meinen Tisch zugesteuert 
und führt eine junge Dame an meinen Tisch und 
sagt, auf mich weisend: „Das ist unser langent- 
behrter Herr Lukasl” 

Und die Dame neigt eine ganze Kleinigkelt das 
Köpfchen und streckt mir eine winzige Hand hin 
und spricht: 

„Ja, das muß er sein”, lächelt ganz lieblich und 
unbefangen und fährt fort zu reden: „Das ist be- 
stimmt ein schlechter Tausch, statt des guten 
Freundes sich mit mir zu begnügen. Ich bin Irene, 
Ihres Freundes Thomas oft übersehene und 
schlecht behandelte Cousine. Thomas läßt sich 
tausendmal entschuldigen, — — äber er durfte 
nicht kommen. Schwester Margot Im Lazarett und 
Ich, — wir haben das so ein bißchen hintertrieben, 
— Ja, Ja, — — — bestimmtl Denken Sie nur, die 
fast verheilte Wunde ist wieder aufgebrochen 
und trotzdem wollte er hierherhumpeln, — und 
das ging doch wohl nicht, soviel er auch grollte 
und brummte, er mußte Ins Beıt. Und da es keine 
andere Möglichkeit gab, Sie zu verständigen, bin 
Ich gekommen, um Sie zu begrüßen. Schwester 
Margot wollte auch noch kommen, aber sie hat 
mich schändlich im Stich gelassen und so muß 
ich Sie über den ersten vertanen Urlaubstag trö- 
sten, so gut es angeht!” 

„Oh, bitte, nehmen Sie Platz, — und zu trösten 
bin ich In keiner Weise, im Gegentell, das Ist ein 
glückliches Beginnen!” 

Und wie ich sie so anschaue, taucht in meiner 
Erinnerung mit schwindelnder SüßigKeit das Ver- 
hängnis von Zimmer Nr. 77 auf, und ich denke, — 
und da denke Ich ausnahmsweise einmal richtig: 
Von der Seite, mein Gott, von der Seite sieht die 
Junge Dame wie die kleine Wasserfee aus. Aber 
das kann doch wohl nicht möglich sein, — das 
war doch eine, — na, — wie heißt doch diese 
Art von Hausdrachen gleich? — Und wenn es 
auch ein himmlischer Drachen war —I — — — 
ach Ja, jetzt weiß ich, — eine Hausdame — und 
hier, hier sitzt mir die Cousine meines liebsten 
Freundes gegenüber. . 

Ich sehe ihr mutig in die Augen, sinke aber den- 
noch wie betäubt In den Sessel zurück und ziehe 
eine dicke Wolke aus der Zigarette, 

„Warum sehen Sie mich so prüfend an?” fragte sle, 
„Darf ich das nicht?” 

„8, — aber weswegen?” — 

„Ich finde eine verblüffende Ähnlichkeit mit... 
Thomas, Ihrem Vetter.” 

„Finden Sie?" 

— und dann war wieder einmal bei mir alle Ver- 
nunft zum Teufel und ich sagte welter, während 
ich Weln In die Gläser goß: 

„Übrigens finde ich Sie schön, schön und ver- 
lockendi” 

Sie nahm das Glas, setzte es an den Mund, und 
eus Ihren halbgesenkten Lidern hervor traf mich 
ein erschreckter Blick, und Ihre Wangen erglühten 
tlefor. 

Ich reichte ihr Toast und Fleisch, 

„Schneiden Sie mir ein kleines Stück abI” bat 
sie mich. 

„ist's so recht?” 

‚38, danke” 

Und vier oder fünf Herzschläge später sprach sie: 
„Es war gar nicht so leicht, Uber den Abend frei 
zu verfügen. Ich bin erst wenige Wochen In der 
Stadt und in einem großen Hotel Tag und Nacht 
eingesperrt.” — — — 

Das geht mir wie ein Stich ‘durzh und durch, — 
sie it esl — — — 

„Was Ist Ihnen, Sie sehen mit einem Male ganz 
anders aus.” 








444 


„Wieso?“ fragte ich. 

„Sie haben alle Farbe verloren und sind kaum 
wieder zu erkennen.” 

„So, — da muß ich flink ein wenig nachhelfen”, 
und ich goß die Gläser voll. 

Aber ich mußte noch mehr hören: 

„Ach, so ein festlicher Abend“, plauderte sie 
munter weiter, „läßt mich fast vergessen, daß ich 
heute schon zehn Stunden treppauf, treppab ge- 
laufen bin, von einem Zimmer in das andere, um 
unsere gestrenge Etagengouvernante im Hotel ein 
wenig zu entlasten, Das Ist mein Arbeitsgobiet, — 
ein sehr vielseitiges, und Sie ahnen nicht, was es 
da alles zu tun glbt, wo Ich doch erst so ein 
ganz kleiner, bescheidener Hoielspatz bin.” 
Ich biß mir auf die Lippen. — Nun wußte ich es 
wirklich ganz genau, das wär keine Zauberei 
oder Augenverblendung, — sie war es. — — — 
Jedenfalls wurde der Adend riesig nett. Es war 
mir unmöglich, die Augen von Irene loszureißen. 
Ich wäre ihr ohne Verzögerung in die Hölle ge- 
folgt oder in den siebten Himmel, 

Eine Welle von Liebreiz und Eigenart offenbarte 
sich mir, sie war ein Wunder der Jugend und 
gleichzeitig voll zauberhaftester Fraulichkeit. 
Und dann war es auch schon 10 Uhr, und sie sagte: 
„Oh, wie schade, aber Ich muß gehen, die ge- 
strenge Etagengouvernante, — — — Sie ahnen 
nicht, die kann schrecklich poltern und böse sein, 
—— aber morgen, morgen, Lukas, das müssen Sie 
mir versprechen, wo wir so gute Freunde gewor- 
den sind, morgen bleiben Sie noch hier und wir 
besuchen Thomas. Ja?" 

Da wappne ich mich gegen die glimmende Ver- 
suchung und gebe ihr mit einer unverdienten 
Barschheit und mit einer Mlione, als brüte Ich 
über einen baldigen Selbstmord, zur Antwort: 
„Ich kann der Einladung nicht Folge leisten. Es 
ist Ja gar kein Urlaub, den Ich habe, Irene, 
sondern eine genau begrenzte Dianstreise, und 
morgen in aller«Herrgottsfrühe muß ich schon 
welter.” 

Bei Jedem Worte, das ich sagte, war mir, als 
hätte Ich Schwefel zu schlucken. 

„Wie schade“, meinte sie, und ihr reizendes un- 
schuldiges Gesicht nahm einen traurigen Aus- 
druck an. 

Und dann gingen wir durch die stillen Straßen, 
und ein naher glitzernder Sternenhimmel stand 
über uns. Sie ging neben mir. Ihr leichter wie- 
gender Gang beglückte mich über alle Maßen — 
und ich hatte bestimmt‘ erhöhte Temperatur. Es 
war etwas Lässiges, Losgebundenes In Ihren Be- 
wegungen, Sie waren so weich, so zerlließend, 
und ich war nahe dran zu bitten, doch noch einen 
Tag in Ihrer Nähe bleiben zu dürfen, 

Und da waren wir auch schon vor dem Hotel 
Bellevue, und sie sagte: 

„Da bin ich zu Hause, — das Ist meine Zwingburg. 
Gute Nacht! — — — und wo wohnen Sie denn 
eigentlich?” 

„Da am Bahnhofl“ hörte ich mich lügen. „Gute 
Nacht, Irene, es war ein zauberhafter Abend...” 
Und das war schon wieder die volle Wahrheit. — 
Siehst du nun, daß es nicht meine Schuld war, 
Thomas, wenn wir uns diesmal nicht sahen? ... 


DER TRUTHAHN 


Der Truthahn spreizte 

sein Gefieder, - 

weil ihn ein roter Sonnenschirm reizte; 

ein Fräulein stürzte vor Schreck fast nieder. 


Das Tier mit seinem roten Schnabel 
stieß Töne aus, daf es erklang 

mie nahender Weltenuntergang 

oder wie Drachengeheul in einer Fabel 


Die Bäuerin ladıte 

und mußte sidı schneuzen; 

das Fäulein gedadıte 

den Feldieg in Zukunft nicht mehr zu kreuzen. 
Peter Scher 


Der Maßstab 8. Keen) 








„So ein Krautkopf ist halt ein bisserl groß für mich, Frau Schmidt!“ — „No, aber der Herr, 
mit dem $’ gestern ganga san, hat aa koan kloana Kopf aufg’habt, Fräul'n Franzi!“ 


La misura: “Ma, cara Schmidt, quella testa di cavolo & un po’ grossa per mel,, — “Ah cche?!... Il 
signore, che leri era in vostra compagnia, signorina Franz, non aveva certo una testa pid piccola!,, 


445 


Vorbild 


(K. Helligenstandt) 








„Wie kommt das, Fritz: vor unserer Ehe hast du viel mehr auf dein Äußeres geachtet?" 
„Nun ja, auch das Vogelmännchen wirft einmal sein Brautkleid ab!“ 


Esempio: “Com'&, Fritz, che prima del nostro matrimonio avevl piö cura del 
tuo esteriore?,, — "Eh, sal, anche I* uccello maschlo fa la muda delle penne!,, 


446 


BADENDE BUBEN 


VON EUGEN ROTH 


Buben, braun und blondgeschopft 
Die Strümpfe 

In die Schuh gestopft, 

Übern Rücken gehängt 

Waten, wild nach Indianertaten 
Durch die Sümpfe, 

Von Mücken bedrängt, 

Durch die grüngrauen 

Flußauen . .. 

Weidenstümpfe, 

Birken, Erlen. Eschen 

Schmaler Wege Breschen 

Ins Dickicht hinein. 

Hoch aus dem Blauen 

Das Licht durch die Zweige tropft. 


Einen Gertenspeer der eine 
Sich schnitzt, 


Eine Weidenflöte der andre sich klopft. 


Den Mund gespitzt 
Probt er voraus das leichte Lied. 


So traben sie durch Busch und Ried. 


Draußen über die heißen, weißen 
Steine blitzend 

Im Sonnengleißen 

Der Inn kalt kochend zieht. 

Aber die Buben drinnen 

Im Busche schleichen und kriechen 
Wo die Pappeln flocken 


Die Faulbäume riechen 


Wo hundert Wässer 

Stocken und rinnen, 

Froschäugige Tümpel 

Wo angeschwemmt 

Und im Schlick verschlämmt 

Alte Flaschen und Büchsen und Fässer 
Und morsches Gerümpel 
Geheimnisvoll, fremd 

Locken. 

Eine Ente aufrauscht mit Geflatter, 
Erschrocken [Geschnatter 
Oder eine Ringelnatter 

Schlüpft unters Wurzelgeflecht 
Oder im Altwasser steht ein glatter 


Grüngoldner Hecht. 


Aber nun, aus der grünen Grotte 
Von hundert Gerüchen gewürzt 
Nesseldurchflackert, lattichgeschürzt 
Kommt mit Schreien die Rotte 
Herausgestürzt 

Schmatzend im Schlamm 

Herauf zu den Weiden 

Am Uferdamm, 

Sich rasch zu entkleiden. 

Das sind nicht mehr bayerische Buben 
Entronnen 

Den dumpfen Stuben 

Gewonnen 

Dem neuen, dem unbekannten Gotte 


Verloren dem Lamm 


Dem Kreuze zum Spotte: 


Diedanacktaufden Steinen sich sonnen, 


Barbaren sind es, end junge Heiden 
Von iGlans marannen 


Wie das Wasser, das grüne 
Und weiße 

Auch zerre und reiße 

Wilder Wichel sie packt: 
ln 
Schlanke und kühne 

Werfen sie sich in das Brausen. 
Vorbei, wo mit Grausen 

Das Riff die schnelle 
Strudelnde Welle 

Zerhackt. 

Immer wieder hüpfen sie 
Orden bralen Szillde Glieder 
N RegEtern Ha 
HorsVlopfandiliegen wie 

Die Then ne 

Wo der Sand, der feine, heiße 
In der Glut des Lichtes backt. 


Endlich, in der Sonne Neigen 
Wird ihr lautes Rufen stiller. 
Tode Pipralzweigen 

Rauscht des Abendwindes Thriller. 
Frierend. klamm 

Steigen sie hinauf zum Uferdamm, 
Zitternd schlüpfen sie in Hemd, 


nackt... 


Hose. Strumpf und Schuh. 
Laufen schnaufend, abendfremd 
Durch das Grauen 

Der verzaubert stillen Auen 
Ihrem Dorfe zu. 


Schweigend traben sie und rennen. 


Hundert Kerzen brennen 

Im Gotteshaus. 

Lieblich, in der Blumen Pracht 
Strahlt die letzte Maiandacht. 
Klosterschüler. fromme Knaben, 
Die im Ion gebadet haben, 

Treten sie hinein 

Gläubig in den Weihrauchschimmer 
In den Lichterschein. 


Dann, beim Abendschmaus 

Hungrigwild, mit Räuberzähnen 
ssen sie, vergessen sie 

Schnell den frommen Sinn: 

Wie es ihnen schmeckt! 

Kaum, daß sie mit Strafen 

Bändigt der Präfekt! 


Doch im Schlafen. wähnen 
Sie noch immer 

Sich als wilde Schwimmer 
Zuekt im Mondenschein 
Lang noch Arm und Bein 
Rudernd übern Inn ... 


D:E.VMASE 


VON KURT SCHULZE 


Das Zimmer bel Frau Lehmann ist mir in unver- 
geßlicher Erinnerung. Es war ein Zimmer für einen 
Sportsmann. Wollte man sich ausziehen und den 
Anzug In den Schrank hängen, mußte man unter 
Aufbietung einiger Kräfte den schweren Eichen- 
tisch zur Selte rücken, der die Hälfte des Zimmers 
ausfüllte, Der Weg ins Bett führte dann allerdings 
über das gleiche Hindernis, das je nach Uhrzeit 
und physischer Verfassung durch Überkletiern 
oder Flankensprung genommen wurde. Morgens 
vollzog sich die sportliche Betätigung In umge- 
kehrter Richtung und Reihenfolge. Frau Lehmann 
lag anscheinend die sportliche Ertüchtigung ihrer 
Untermieter sehr am Herzen. 

Aber die gute Frau hatte auch Sinn für „Kunst 
und das Bestreben, In dieser Hinsicht auf die ihr 
anvertrauten künftigen Ehemänner erzieherisch 
einzuwirken. 

Da stand doch auf einem Tischchen zwischen den 
beiden Fenstern des Zimmers eine hellblaue Glas- 
vase mit Papierblumen. Heute halten meine Augen 
beim Mieten eines Zimmers argwöhnisch nach 
ähnlichen „Kunst“gegenständen Ausschau, deren 
Vorhandensein das Zustandekommen eines Miet- 
vertrages unweigerlich verhindert. Aber damals 
bei Frau Lehmann war ich noch Anfänger und kein 
ausgesprochener „Kunst”gegner. 

Die Vase war mir jedenfalls entgangen und ent- 
puppte sich nun als unangenehmer Mitbewohner 
meiner Junggesellenklause: sie fiel bei jeder 
passenden und unpassenden Gelegenheit um, wo- 
bei den Blumen stets eine Staubwolke entströmte, 






ten entgegen. 





Mein Ärger wuchs von Tag zu Tag. Ich beschloß 
schließlich, meiner Wirtin meine Abneigung gegen 
die Vase symbolisch kundzutun. Ich setzte also 
eines Morgens vor meinem Weggehen die Vase 
in die Ecke hinter dem Ofen. Aber am Abend 
stand sie in neuem Glanze auf dem überflüssigen 
Tischchen und fiel bei meinem Eintritt triumphie- 
rend um. Das war das Zeichen zum Beginn eines 
langen und zähen Kampfes zwischen meiner 
Wirtin und mir für und wider die „Kunst“, Die hell» 
blaue Vase aber war die sichtbare Waffe in diesem 
Kampfe zweier Weltanschauungen. Ich versteckte 
sie morgens: auf dem Schrank, im Schrank, in der 
Wäschekommode, unterm Bett, in der Ofenröhre 
— aber abends stand sie als Siegerin stets wieder 
am angestammien Platze. 

Ich lernte in Jenen Tagen erkennen, daß aus ab- 
gtundtiefem Haß Mordgedanken entstehen kön- 
nen, Und ich beging den Mord, planvoll und vor- 
sätzlich. Ich verwischte die Spuren der schreck- 
lichen Tat nicht. Nein, ich verließ vielmehr den 
Schauplatz des Schreckens lächelnd und mit einem 
Gefühl der Befreiung von meiner stillen Peinigerin. 
Es kam zu keinem Lokaltermin, zu keiner Verhand- 
lung. Am Abend waren alle Scherben beseitigt. 
Frau Lehmann sprach kein Wort über die Dahin- 
gegangene. Und am nächsten Tage fuhr ich für 
einige Zeit auf Urlaub. Ich saß im Speisewagen 
mit dem Gefühl eines Siegers und trank auf diesen 
Sieg eine Flasche Mitropa Silber. 

Wenige Tage später kam ich zurück in mein Jung- 
gesellenasyl. Auf dem Tischchen am Fenster stand 
eine hellblaue Vase mit Papierblumen. In der Tür- 
öffnung aber erschien gleich hinter mir Frau Leh- 
mann und begrüßte mich strahlend: 

„Damit Sie sehen, Herr Schulze, det ick nich nach- 
träglich bin.” 


'norr & Hirth Kommanditgesellschalt, München, Sandlinger Straße 3 (Fomruf 1296). Brietänschrift: 
k, München. — Der Simplicis: 
zugspreise. Einzelnummer 30 Pf.; 
Nachdruck verbo 





‚Abonı 





Fontscheckkonte "München 5920. Erfüllungsort 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückei) 





Jensen und Andersen hießen zwei unheimlich 
dicke dänische Komiker, die vor Jahren in den 
führenden Varietes der europälschen Hauptstädte 
auftraten und aus ihrer polizeiwidrigen Leibes- 
fülle vielbelachte groteske Wirkungen hernahmen. 
Eines Tages gerieten sie sich aus irgendeinem 
nichtigen Anlaß während des Zwischenaktes In 
die Haare. Der Streit wurde rasch hitzig, man be- 
schimpfte einander mit höhnenden und bissigen 
Worten. „Sie armer Wichtl” rief schließlich Jensen 
mit unsäglicher Verachtung, „Sie sind ja gar kein 
Original — ich war schon lange vor Ihnen dick!" 

* Kb: 


Der Geschäftsführer einer reisenden Schauspieler- 
truppe depeschierte an den Pächter des kleinen 
Provinztheaters, wo die Gesellschaft ein paar 
Tage später auftreten sollte: 
„Hauptprobe Montag drei Uhr. Hoffe, daß Spiel- 
leiter, Friseur, Beleuchter, Inspizient und Bühnen- 
arbeiter pünktlich anwesend.” 
Nach vier Stunden las er die Antwort: 
„Einverstanden. Der Mann ist zur Stelle.“ FF, 


München 2 BZ, Brieffach. 


us erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen. Zeilungsgeschäfte und Pont: 
im Mor — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto belliegt. — 


chen. 


Zusammenhänge 


(E. Thöny) 





„Hast es scho’ g’hört, an Lenz hat heut früh der Blitz derschlag’n?}" 
„| hab ma scho’ allawei denkt, der machts nimmer lang, weil er gar so schlecht ausg’schaugt hat!" 


Coerenze: “Hal giä sentito che Lenz fu colpito sfamane dal fulmine?,, — “Eh io me 
I" Immaglinavo sempre che non l"ayrebbe tirata plü in lungo; aveva una cera sl bruttal,, 


448 





















München, 25. August1943 = 
48. Jahrgang / Nummer 34 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 












Der. King wundert sich ee 




















OLAC Avıenamssan 43 









„Merkwürdig, ich bin immer noch da, obwohl man von mir nichts hört und sieht!“ 






Il *King,, si meraviglia: "Strano, io sono ancor sempre qui, sebbene nulla si senta e si veda di me!,, 





Glück im Spiel - Fortuna nel glocs 


A. W. Paul) 





„Junge, Junge, heut hab ich mein’ großen Tag — heut hol ich euch aus dem Becher, was ihr wollt!" 
„Dann hol uns man drei Zigarr'n raus, Hein!" 


"Ragazzl, ragazzl, oggi ho io la mia gran glornata ... oggi vi tiro fuori dal bussolofto quel che voletel,, — "Allora, Enrico, tiracl fuorl tre sigarit,, 


GEMSEN 


VON WALTER FOITZICK 


Jetzt habe ich also meine erste Gemse — ge- 
sehen, meine erste tote Gemse. Ihr Jäger saß im 
Trinkstübel des Gasthauses und hatte sie neben 
sich auf der Bank liegen. Sie ragte aus dem 
Rucksack heraus und hatte was Grünes in der — 
ja wie sage ich's meinem Weidmann? Weidmän- 
ner verstehen unsere Sprache so schwer, Also 
sie hatte etwas Grünes in der Schnauze, wobei, 
dies sei dem Weidmann erklärt, In unserer Sprache 
Schnauze diejenige Körperöffnung ist, mit der 
normalerweise die Nahrungsaufnahme erfolgt. 
Wir Hotelgäste sahen uns das, Tier an, und es 
sagte einer zum andern: „Ach, eine Gemsel”, 
denn wir wissen natürlich alle, was bei den Ein- 
geborenen eine Gemse Ist. Sie kommen in den 
Jägergeschichten aus dem Gebirge vor, und in 
den Jagdzimmern hängen ihre Hörner als Garde- 
robehalter an der Wand. Für die Jäger sei be- 
merkt, daß wir unter Hörner in unserer Sprache 
dasjenige verstehen, was der Weidmann „Krickl” 
nennt. 

Auf der Hotelterrässe steht ein Fernrohr, und in 
dieses Fernrohr sieht gelegentlich einer hinein und 
sagt: „Eben ist ein Rudel über die Schuttreiß'n 
drüben am Nordhang gewechselt!” Er meint Gem- 


sen, Überzeugen Sie sich selbst. Schauen sie hin- 
ein in das Fernrohr, Sie werden nichts entdecken. 
Auch ich habe schon durch viele Fernrohre ge- 
sehen, aber niemals Gemsen entdeckt. Mag seln, 
daß es In lebhafter besuchten Fremdenorten Fern- 
rohre mit einmontierten Gemsengruppen gibt. 
Gemsen gehören in die Berichte von Bergbestei- 
gungen wie Petersilie zum gebackenen Schnitzl. 
Man muß sie geschickt und diskret anbringen. 
Nur ganz Ausgekochte können erzählen, daß sie 
die Gemsen mit freiem Auge gesehen haben, und 
selbst ihnen glaubt kein Mensch. Die Gemsen 
dienen hauptsächlich zur Veralberung der Städter 
durch die knorrige Bergbevölkerung. Wenn die 
sächsische Sprache keine verbotene Sprache 
wäre, würden alle Geschichten über Gemsen auf 
sächsisch erzählt werden. Das ist aber gar nicht 
notwendig, wir anderen glauben auch nicht mehr 
an Gemsen, wir fallen nicht mehr auf diesen 
Scherzartikel der ewigen Berge herein, auf diese 
Osterhasen aus einer Höhe von über 2000 Meter. 
Wir aufgeweckten Leute wissen, daß es auch keine 
Gemsen gibt. 

Was also der Jäger im Rucksack hatte, weiß ich 
nicht, es sah ganz schmackhaft und gar nicht 
markenfrei aus, und die Gamskrickl wird er wohl 
aus einem Einrichtungsgeschäft mit einem Aus- 
weis für Bombengeschädigte bezogen haben. 
Was mich anbetrifft, ich habe die Gemsen schon 
längst zum alten Eisen oder Einhorn geworfen, 


450 


SEELEN-METEOROLOGIE 


Das Barometer ift gefallen. 
Melancholie fchlägt ihre Krallen 
dir ins Gemüt, 

Verfchloffen ift des Lichtes Pforte. 
Du hörft nur düftre Moll=Akkorde. 
Giftweizen blüht. 


Wie Blei fo fehmwer find deine Knochen. 
Aus allen Winkeln kommt gehrochen 
der Überdruß. 

Du bift gereizt wie eine Viper, 

ein kraffer, ekelhafter Hyper= 
äfthetikus ... 


Halt! Nein! So geht das Ding nicht weiter. 
Hol’ fehleunigft eine Feuerleiter 
und klett're zul 
Und mach dir klar, du.blöder Peter: x 
wenn es fchon fiel, das Barometer, 
fo fteig’ halt du ! 

Ratatöshr 


Sowjetischer Massensturm 


(Wilhelm Schulz) 


„Sollte ich tatsächlich in meinem eigenen Blut ersaufen? Ich wollte doch eigentlich die anderen darin ertränken!" 


Assalto sovietico in massa: “Che debba proprio io affogarmi nel mio sangue? In realtä volevo annegarvi dentro gli altri!,, 


451 





Neid - Invidia 


(Magon) 














„Sehen Sie doch, Fräulein Emma, wie sich diese verliebten Falter umgaukeln!" 
„Ach ja, wenn man Flügel hat, Ist alles so einfach!“ 


"Vedete un po’, signorina Emma, come volteggiano queste due farfalle Innamorate!,, 
“Ah sl ... quando si ha all, fuffo & sl facile},, 


DAS GEWITTER 


VON KURT GROOS 


Als Rainer den Wartesaal betrat, überlegte er 
gleich, ob er nicht besser umkehren sollte, denn 
der große Raum war bis zum Bersten gefüllt; es 
war Sonnabend. In kurzen Intervallen drang ein 
zum Summen abgedämpftes Brausen der ein- und 
auslaufenden Vorortzüge durch die dicken Mauern. 
Immer neue Menschen kamen und gingen. Es war 
eigenartig anzusehen, wie träge sie sich heute 
bewegten oder an ihren Tischen herumsaßen; es 
war ein lastender Abend. 

In der Mitte des Saales wollte Rainer endgültig 
umkehren, verwarf aber seinen Entschluß im letz- 
ten Augenblick, als ein ganz In der Nähe sitzender 
korpulenter Herr, dem er irgendwo mal vorgestellt 
worden war, zahlte, sich erhob und Rainer seinen 
Platz anbot. Am gleichen Tisch mit Rainer saßen 
zwei Männer, von denen der eine, der ältere, 
einen Zwicker anormal hoch auf der Nase sitzen 
hatte, bedingt durch eine dicke Warze auf der 
Nasenwurzel. Der hochsitzende Zwicker gab sei- 
nem Träger etwas Hochmütiges, obgleich er wäß- 
rige und demütige Augen und eine energielos 


nach unten gezogene Nase hatte. Dem mit, dem 
Zwicker gegenüber saß ein jüngerer Mann, an- 
scheinend der Sohn des anderen; allerdings ohne 
Warze und mit ein wenig lebhafteren Augen, 
jedoch mit der gleichen nach unten gezogenen 
Nase. Beide machten einen unendlich gelangwell- 
ten Eindruck, 

Zwischen den Männern saß ein Junges Mädchen; 
anfangs schien es Rainer, als gehöre es nicht zu 
den beiden. Aber dann richtete der mit der 
Warze gleichzeitig das Wort an das Junge Mäd- 
chen und den jungen Mann. Er meinte, daß so ein 
Spaziergang doch anstrenge, und er sagte, „ich 
habe mit Jonas und Macketau in der ‚Sommerburg' 
die ganze Zeit Skat gespielt, während ihr beiden 
den Spaziergang zur Fasanerie machtet.” 

„Blst du müde?“ fragte der Junge Mann das Mäd- 
chen, das den Kopf schüttelte und die Lippen 
leicht nach unten verzog. „Wovon soll ich denn 
müde sein?“ Aber das Mädchen sah doch müde aus. 
Dann sprach lange Zeit niemand mehr am Tisch. 
Die Luft wurde immer noch drückender und schwü- 


452 





ler, so schwül und drückend, daß manche stöhn- 
ten. Alles litt unter der Vorgewitterstimmung, die 
nun schon den ganzen Tag in der Luft hing. Aber 
das Gewitter entlud sich immer noch nicht; Dumpf- 
heit und innere Spannung hielten sich lähmend die 
Waage. 

Die Kellner bekamen von dem Geschäftsführer 
den Auftrag, die großen Fenster des Saales weit 
zu öffnen; die Hitze und die schlechte Luft waren 
unerträglich geworden. Aber durch das Oflnen 
der Fenster wurde es nur wenig besser. Die Luft 
stand unbeweglich, sie schien zum Schneiden 
dick und das Drückende wurde noch sinnbildlicher 
durch den jetzt In den Fensterausschnitten sicht- 
baren Himmel, der wie rötlichgelbes schmelzendes 
Metall über den schmutzig-violett erscheinenden 
Dächern stand, 

Das Mädchen, das Rainer gegenüber saß, preßte 
aus ihrer Starre plötzlich ganz schnell, zuckend, 
eine Hand auf das Herz, und im gleichen Augen- 
blick flammte ein fahler Blitz durch das rötlich- 
gelbe Brodeln über den Dächern, Lähmung und 
Spannung für Sekunden noch steigernd, Dann 
flammten hellere Blitze auf; das fahle Leuchten 
wurde zum grellen, peitschenden Zucken, dem 
berstendes Krachen folgte — hemmungslos pras- 
selnd strömte der Regen. 

Rainer schien es, als seien alle Menschen in dem 
großen Wartesaal nun zu einem einzigen, tief 


" Atem schöpfenden Wesen geworden, denn dieses 


Entspannen, dieses Weichen eines unerträglichen 
Druckes erfaßte sie alle zugleich — ein lähmen- 
der Bann war gebrochen. Auf einmal war es auch 
ganz kühl geworden durch die Luft, die durch die 
hohen Fenster in den Saal strich; eine wunder- 
volle Kühle. 

Da sah Rainer, daß das Mädchen zwischen den 
beiden alltäglichen Männern sehr schön war, Ein 
elgenartiges Mädchen mit ganz grauen verhange- 
nen Augen, aber ein Mädchen ohne Aufmachung. 
Es dehnte sich jetzt etwas zu frei; vorher hatte 
es zusammengesunken gesessen, Jetzt dehnte es 
sich so, daß man durch die dünne Bluse die Kup- 
pen der hochgerichteten Brüste sah. 

„Ha, das tut gut!” sagte der Mann mit dem Zwik- 
ker und der Jüngere bestätigte es und sagte: 
‚Ordentlich neugeboren fühlt man sich nach solch 
einem Gewitter“ 

Kaum hatte er das ausgesprochen, da geschah 
etwas Eigenartiges; das Junge Mädchen stand mit 
einem Ruck auf und schlug dem Jungen Mann die 
Hand in das Gesicht, riß Ihre Handtasche an sich 
und lief aus dem Wartesaal. + 

Die Umsitzenden rückten die Stühle, wunderten 
sich, machten Bemerkungen und starrten, sichtlich er- 
freut Über diese unerwartete abendliche Sensation, 
auf die beiden Männer, von denen dem älteren 
der Zwicker von der Nase gefallen war, so daß 
er gar nicht mehr hochmütig aussah, während der 
Jüngere wohl nicht alles begriffen hatte, denn er 
ließ den Mund offenstehen und lächelte etwas 
erbärmlich. 

„Da hat man doch...”, rief der mit der Warze 
schließlich, „na, das ist denn aber — nein, sowas, 
Emill Nun komm doch zu dir, Emill" Der bedie- 
nende Kellner war Weltmann genug, dieser pein- 
lichen Situation durch sein schnelles Erscheinen 
ein Ende zu bereiten. Die beiden Männer zahlten 
und zogen verlegen bei gemacht trotziger Haltung 
ab; auch Rainer zahlte sein ungetrunkenes Bier 
und verließ den Wartesaal. 

Draußen blieb er einige Minuten stehen; es kamen 
ihm eigenartige Gedanken. Dann schlenderte er, 
immer noch In Gedanken, aber schon mit einem 
Entschluß, zur Omnibus-Haltestelle; er bekam den 
letzten Wagen zur Fasanerie, kurz vorher war der 
zur „Sommerburg” abgefahren. 

Als Rainer das Ziel erreicht hatte, bog er von der 
Chaussee ab; ‘er ging den schmalen Pfad durch 
die Schonungen. 

Es war eine wundervolle Nacht; ein würziger Ge- 
ruch aus Bäumen und Blumen mischte sich mit dem 
süßlichdumpfen moderndenHolzes und dem feuch- 
ten der atmenden Erde. 

Rainer hatte den halben Weg von der Fasanerie 
zur „Sommerburg” zurückgelegt, als Ihm das Mäd- 
chen aus dem Wartesaal entgegenkam, Sie muß- 
ten sich im gleichen Augenblick gesehen haben, 
denn beide stockten ein wenig, einen Herzschlag 
lang — dann aber gingen sie aufeinander zu. 





Der Angsttraum ten 


„Jessas, Amali — jetzt hımm ma ja beim Mittagessen mangelhaft verdunkeltt“ 


Il sogno pauroso: "Gesd Marla! Amalla ... adesso a pranzo abblamo oscurato malel,, 


453 





DAS DURCHGANGSZIMMER 


Auf dem Schild stand „Sepp Obertrauners Gast- 
hof zur Billigkeit”‘ und unten auf einem Zettel: 
„Fremdenzimmer von RM. 2.50 pro Bett aufwärts.” 
Herr und Frau Bartel wechselten einen Blick er- 
freuten Einverständnisses und traten ein. 

„Wir möchten ein billiges Zimmer haben um zwei- 
mal RM. 2.50.” 

„Woll, woll”, sagte der alte Obertrauner und sog 
an der Pfeife. „Aber ’s Ischt halt ein Durchgangs- 
zimmer. Das zweite ischt schon besetzt von zwei 
Herren. Die gehen aber sicher früher schlafen. 
Und im dritten ist eine alte Sommerpartei.”“ 

Das Ehepaar beriet eine Weile. Es war schon 
Abend, sie waren müde und wollten sich heute 
nach der langen Bahnfahrt tüchtig ausschlafen. 
Sie nahmen das Zimmer. Es war recht nett, ganz 
neu, Das Holz der Wände und der Möbel hatte 
noch den Geruch von Wald und Sägewerk. Außer 
der Eingangstüre gab es noch zwei Türen. Die 
@ine war verschlossen und führte auf die zukünf- 
tige Veranda, von der bisher nur die Stützbalken 
und einige Bretter vorhanden waren. Die zweite 
führte In das Nebenzimmer Nr. 2. Sie legten die 
Rucksäcke ab, kleideten sich um und gingen In 
die-Wirtsstube hinab. Diese war ein alter winke- 
liger Raum mit elektrischem Licht, zumUnterschied 
von den oberen Zimmern, in denen noch dieLicht- 
leituhg fehlte. Die Stube war gemütlich, das Essen 
gut; es gab sogar auch Tiroler Wein. 

Drüben In der Ecke saßen die beiden Bewohner 
des Nachbarzimmers. Sie waren keine Touristen, 
sondern trugen graubraune Anzüge mit langen 
Hosen. Unter dem Tisch hatten sie einen großen 
Koffer, aus dem sie hie und da etwas hervorlang- 
ten und aufmerksam betrachteten, wobel sie stats 
ganz nahe zusammenrückten und mißtrauisch In 
die Runde spähten, Sie redeten ununterbrochen 
halblaut, mit lebhaften Handbewegungen. Beide 
waren schon mehrere ‚Tage nicht rasiert und ihre 
dunklen Bartstoppeln verliehen ihnen einen wü- 
sten Ausdruck, 

Frau Bartel war eine gute Touristin und in Gefah- 
ten durchaus tapfer.'In einem Punkt jedoch hatte 
sie eine unüberwindlicheSchwäche. Das war eine, 
vielleicht durch Kinoromantik von einst her- 
vorgerufene Angst vor Verbrechern, Wenn ihr 
Mann einmal des Abends nicht zu Hause war, 
pflegte sie sämtliche Zimmertüren abzusperren. 
Und vor dem Schlafengehen leuchtete sie unter 
alle Betten, sogar unter die Schränke, unter denen 
nur ganz flache Verbrecher von der Form einer 
Wanze hätten liegen können. Herr Bartel wußte 
das und versuchte durch heitere Reden und etwas 
Wein Ihre Bedenken zu zerstreuen. Aber Frau Bar- 
tel spähte Immer wieder unruhig hinüber und er- 
klärte, daß man unbedingt abwarten müsse, bis 
die beiden Männer schlafen gegangen seien, da- 
mit man dann hinter ihnen die Tür fest versperren 
könne. 

Sie warteten also, obwohl sie beide schon ein 
starkes Schlafbedürfnis empfanden. Aber die bei- 
den Nachbarn rührten sich nicht vom Platze. Es 
fehlte nicht mehr viel auf Mitternacht, Da hielt es 
Herr Bartel nicht mehr aus. Gähnend erhob er sich 
und sagte: „Jetzt gehen wir.” Schlaftrunken tapp- 
ten sie die Treppe hinauf und zündeten das win- 
zige Kerzenstümpfchen an, das auf einem Nacht- 
kästchen stand. Dann nehm Frau Bartel aus dem 
Rucksack die lange Hutnadel, ein Erbstück der 
Großmutter, welche sie (die Hutnadel) immer auf 
den Reisen mit sich führte, und stach damit durch 
die Matratzen und Polster, Niemand war darinnen, 
nur ein paar Ohrwürmer ergriffen entsetzt die 
Flucht. Die Schränke waren leer. Im Nachtkästchen 
hockte kein verbrecherischer Zwerg. Im Ofen 
lagen keine Bomben, nur einige alte Käsepaplere. 
Nachdem noch Herr Bartel im Auftrag seiner Frau 
unter die Betten geleuchtet hatte, gingen sie zu 
Bett. 

„Ich bitte dich, nimm den Eispickel In die Hand; 


VON BRUNO WOLFGANG 


so lange, bis sie durchgegangen sind“, flehte Frau 
Bartel. Sie selbst bewaffnete sich mit dem großen 
Schnappmesser ihres Mannes. Dann löschten sie 
das Licht und warteten. Jede Minute rief Frau 
Bartel ängstlich: „Daß du mir nicht einschläfst, Ru- 
dolfi Uberhaupt, sprich etwas.” Herr Baıtel ver- 
suchte nun, mühselig mit dem Schlaf kämpfend, 
irgend etwas zu reden, aber die Gedanken ge- 
horchten ihm nicht mehr, Mechanisch begann er 
schläfrig Schillers Glocke herzusagen: „Fest ge- 
mauert in der Erden.. “ 

Bei „... docn den sichern Bürger schrecket nicht die 
Nacht, die den Bösen gräßlich wecket” fuhr seine 
Frau auf und rief: „Jetzt!” Uber die Treppe tapp- 
ten schwere Schritte hinauf, leise fingerte es an 
der Türklinke, dann schoben sich-schnaufend die 
beiden Männer durch das Zimmer; sie schleppten 
offenbar den Koffer. Dann öffnete und schloß sich 
dieNebentüre. Nichts war geschehen. Noch nichts. 
Hastig flüsterte Frau Bartel, während sie das Licht 
anzündete: „Schnell, sperr ab!“ 

Rasch fuhr er aus dem Bett und eilte zur Tür, „Es 
ist kein Schlüssel da”, flüsterte er. 

„Um Gotteswillen, suchen wir, er muß da sein.” 
Sie durchsuchten das ganze Zimmer. Nirgends eine 
Spur des Schlüssels, 

„Nein, da muß etwas geschehen, sonst kann ich 
die ganze Nacht kein Auge zutun. Die Zwei sind 
Verbrecher. Ich fühle es.” 

„Aber Ilse! Auch Verbrecher verbrechen nicht täg- 
lich. Auch sie müssen ausruhen. Und auf uns Im 
billigsten Zimmer haben sie es ganz gewiß nicht 
abgesehen” 

„Das kannst du nicht wissen. Nimm das Wasch- 
becken und lehne es oben auf dem Türstock an, 
aber ganz lose. Wickle diese Schnur herum und 





GURKE 
IN EINEM BAYRISCHEN 
BAUERNGARTEN 


Wasserfressend, wasserspeichernd, 
Eine gelbgefleckte Schlange, 

Ihren Umfang täglich steigernd, 
Unter langgestielten Blättern 
Lauert sie nach Regenwettern. 

In gefräßigem Wachstumsdrange 
Kriecht sie durdı den Bauernzaun, 
Um die Straße zu beschau'n, 

Füße, Röcke, Waden, Wagen. 
Andre liegen mit Behagen 

Träge auf der fetten Erde, 

Auf dem schweren Dung und Mist, 
Der dem braunen Ackerpferde 
Rauchend unterm Schwanz entfallen ist. 


Gurken ähneln großen Nasen, 

Oder umgekehrt. 

Mancher Magen wird durch sie beschwert 
Und von Rülpsern aufgeblasen. 

Und sie stößt den Groll hervor, dicksatt, 
Den sie in der Sonnenhitze 

Oder mit dem schwülen Nachtgewitterblitze 
In sich eingezogen hat. 


Anton Schnack 


454 


binde sie an die Türklinke an. Die Klinke müssen 
sie niederdrücken, wenn sie sich zu uns herüber- 
schleichen wollen. Da fällt das Waschbecken her- 
unter und machtLärm. Dann rücke denKübel einen 
Schritt vor die Türe, und mit der unteren Kante 
auf einen deiner Schuhe, so daß der Kübel beim 
leisesten Anstoß umfällt. Dann stelle die beiden 
Sessel dorthin und verbinde sia mit einer Schnur. 
Auch die Sessel müssen schie/ stehen, damit sie 
sofort umkippen. Was könnte man noch tun? Den 
Eispickel mußt du im Bett behalten, ich nehme das 
Messer, und die Gläser samt der Wasserflasche 
vertelle auf dem Fußboden.” 

Nachdem Herr Bartel dies alles gewissenhaft aus- 
geführt hatte, erlosch das Kerzenstümpfchen ge- 
trade von selbst, Sie versuchten einzuschlafen. Das 
war aber einstwellen nicht möglich. Denn die bei- 
den Nachbarn redeten noch immer, Obwohl sie 
leise sprachen, konnte Frau Bartel jedes Wort 
hören: „Du hättest ihm den Fuß abschneiden, nicht 
ausreißen sollen. Jetzt Ist auch ein Stück von der 
Bauchdecke mitgegangen.” 

„Na, das ist kein Unglück. Wir haben Ja noch 
einen.” 

„Und wie oft hab ich dir schon gesagt, beim Kopf 
muß man besonders aufpassen. Du mußt dich im- 
mer erst Überzeugen, ob er wirklich tot Ist, sonst 
macht er noch einen Rucker, und die ganze Ar- 
beit ist umsonst.“ 

„Der war ganz tot, kannst ruhig sein. Noch toter 
als deiner. Ich werd’s‘doch wissen. Ich hab das 
vielleicht öfter gemacht als du. Der Kopf ist von 
selber abgefallen. Wahrscneinlich hast du zu stark 
gedrückt, wie du ihn betäubt hast.” 

Sie stritten noch ein wenig, dann wurden sie 
plötzlich still und begannen jenen gesunden 
Schlaf zu schlafen, der anscheinend Gerechten 
und Ungerechten gleichmäßig beschieden oder 
verwehrt wird. Mit bebender Stimme stammelte 
Frau Bartel: „Rudolf, hast du gehört? Entsetzlich. 
Es sind Mörder, Sie haben Leichen Im Koffer. Ich 
habe es geahnt. Steh sofort auf, Wir müssen fort. 
Lieber schlafe Ich auf der Straße. Ich bitte dich, 
halt nur den Eispickel fest Wie oft habe ich dir 
schon gesagt: Kaufe einen Revolver, Abes. du hörst 
Ja nicht auf meine Worte, bis os zu spät Ist.” 

In diesem Augenblicke begann es wieder vorsich- 
tig die Treppe hinanzutappen, Hastig griff Frau 
Bartel nach dem Fenster. Lieber ein Sprung Ins 
Freie, als hingeschlach'et zu werden, Sie wollte 
um Hilfe rufen, aber die Stimme versagte Ihr. Die 
Türe ging -uf und eine Männerstimme sagte: 
„Paß auf, Therese, tritt leise auf, hier schlafen 
Leute. Wir müssen durch zwei Zimmer gehen. Man 
muß Rücksicht haben.” 

„Ja, August”, entgegnete eine zitternde Frauen- 
stimme, „aber nimm mich bei der Hand, Ich fürchte 
mich.“ 

Plötzlich fiel ein Glas um, gleich darauf die Was- 
serflasche. 

„Aber Therese, ich habe dir doch gesagt, du 
sollst aufpassen”, zischte der Mann, „du bist so 
ungeschickt; du mußt so wie ich. .‚” Er sprach es 
nicht zu Ende. Denn nun warf er selbst beide 
Stühle um und schon polterte auch das blecherne 
Waschbecken mit großem Getöse zu Boden. 
„Entschuldigen Sie vielmals, meine Herrschaften”, 
murmelte der Mann bestürzt, als er aus dem Kra- 
chen der Betten entnehmen konnte, daß sich die 
Bewohner des Zimmers aufrichteten. Rasch zog 
er selne Frau ins Nebenzimmer. Ahnungslos wie 
Lämmer betraten sie die Löwenhöhle. Frau Bartel 
hielt den Atem an und lauschte. Bebend erwartete 
sie ein schreckliches, lautloses Ringen und das 
Gurgeln erstickter Wehrufe. Aber nichts geschah. 
Es wurde noch eine Tür geöffnet, Dann war es 
wleder still. Die beiden Verbrecher schnarchten 
um die Wette weiter. 

„Nun komm rasch fort, Rudolfl’ 

„Ilse, glaube mir, die beiden Männer sind sicher 


Das Geheimnis 


(R. Kriesch) 


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„Aber schwöre mir, daß du das nicht weitererzählst — ich hab's auch geschworen!" 


ll segreto: “Ma giurami che non lo racconteral ad altri ... anch’ io I'ho giuratol,, 


455 


Im Gasthaus zum „Goldenen Bock“ - Nella locanda al “Becco d'oro,, 


III 
S IT Re 


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INN 





ganz harmlos. Und wenn sie üble Absichten ha- 
ben, werden sie bestimmt nicht uns, sondern die 
anderen wählen. Schlafen wir ruhig ein.” 

Es dauerte noch geraume Zeit, bis Herr Bartel 
seine Frau überreden konnte, zu bleiben. Er mußte 
jedoch die Barrikaden alle wieder instand setzen 
und auch die Außentüre durch einen vorgefunde- 
nen Stiefelknecht und den Spirltuskocher sichern. 
„Hast du den Eispickel?" 

„a“ 

„Schlaf nicht ein, ich bitte dich!” 

„Nein." 

„Sprich noch etwas.” 

„Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der 
Mühe Preis,” 

Herr Bartel murmelte Immer leiser, dann schlief er 
ein. Da weckte ihr‘ die Stimme seiner Frau: „Ru- 
dolf, hörst du nichts?“ Er richtete sich auf und In 
der Tat, er hörte etwas, Diesmal vor den Fenstern. 
Ein leises Tappen und Schleichen. Es kam immer 
näher. Eine Hand stieß an eine Fensterscheibe, 
Unerklärlich. Im zweiten Stockwerk. Gab es auch 
noch Gespenster In diesem Gasthof des Grauens?” 
„Rudolf, sel bereitl“, schrie Frau Bartel und sprang 
aus dem Bett in die Mitte des Zimmers. Gläser 
fielen klirrend um, die Flasche rollte pumpernd 
bis zur Wand. Draußen ächzten Bretter, Hände 
tasteten die Wand ab, leise Stimmen murmelten. 
Dann entfernte sich das Geräusch, Es wurde still. 
„Ich halte es nicht mehr aus“, stöhnte Frau Bartel. 
„Ich werde wahnsinnig. Komm! Rasch!” 

Es blieb nichts übrig, Herr Bartel belud sich mit 
Je einem Polster und einer Decke. Sie stiegen in 
die Wirtsstube hinunter und streckten sich auf die 
Bänke aus. Aber auch hier fanden sle nicht die er- 








sehnte Ruhe. Nach kaum einer halben Stunde 
Müsterte Frau Bartel abermals: „Rudolf, was 
raschelt da fortwährend so sonderbar?” 

Bartel hörte es wohl. Aber es erschien ihm sanft 
und anheimelnd gegenüber den Schrecken des 
Durchgangszimmers. 

Das Scharren klang allerdings seltsam wie die 
nächtliche Arbeit riesiger Ratten. Er nahm den 
Eispickel und ging In der Richtung des Geräusches 
vorsichtig los. Plötzlich fuhr ihm etwas zwischen 
den Beinen durch, mit heftigem Geschrei und Ge- 
gacker. Auch Frau Bartel schrie auf. Ein paar 
Hühner, die sich hier des Nachts eingerichtet hat- 


RAST 


Alle Worte sind klein 
und zu erahnen kaum: 
Ja, so köstlich ist ein 
blühender Baum. 


Zartestes wiegen die Zweige: 
Wie sie greifen ins Blau! 
Bienensang, tröstliche Geige... 
Bist du noch müde? Schau! 


Oh, wer so blühen kann! 
Liebling der Sonne, 

sieht er lüächelnd mit an 

die kurze Rast der Kolonne. 


Josef Guggenmos 


456 


(Fr, Bilek) 














ten, stoben davon und einige von Ihnen liefen In 
ihrer Herzensangst geradewegs über Frau Bartels 
‚Gesicht. Herr Bartel lachte gefühllos. „Jetzt glaube 
ich, könnten wir aber wirklich schlafen.” Seine 
Frau schöämte sich ein wenig und tat nun so, als 
schliefe sie wirklich. In Wahrheit lauschte sie noch 
auf allerlei Geräusche, Ketlengerassel, Schnauben 
und Stampfen. Allmählich aber überwältigte sie 
doch die Müdigkeit. Wie im Traum hörte sie noch 
oben im Zimmer den ganzen sinnreichen Sicher- 
heitsapparat zusammenrumpeln. Leise Flüche er- 
tönten, gedämpfte Schritte huschten, das Haustor 
knarrte leise. Dann schlief sie ein. Sie erwachte 
erst mit einem lauten Schrei, als sich eine Geister- 
hand feucht und warm über ihr Gesicht legte. Es 
war aber nur ein großer, brauner Hund, der im 
Morgengrauen neben ihrem Lager stand und Ihr 
treuherzig das Gesicht leckte. 

Die Schreckensnacht, war zu Ende. Auf die Vor- 
würfe der Frau Bart! erwiderte der Wirt, daß das 
alte Ehepaar im dritten Zimmer sonst Immer schon 
um acht Uhr zuBett gahe, sich aber diesmal leider 
auf einem Ausflug verspätet habe. Sonst wären 
die Herrschaften nicht belästigt worden. Denn das 
Personal, das im vierten Zimmer schlafe, habe 
strengen Auftrag, an der Außensejte über die 
Bretter der unvollendeten Veranda In sein Zimmer 
zu schleichen. Und die beiden Herren im Nach- 
barzimmer seien keine Verbrecher, sondern harm- 
löse Käfersammler. 

Da zahlte Herr Bartel fünf Mark und stieg mit sel- 
ner Frau auf die nächste Bergwiese, um sich dort, 
wo die Natur Ruhe und Billigkelt verschwende- 
tisch gewährt, endlich einmal gründlich auszu- 
schlafen. 





England in Indien 


„Was hat denn der Kerl angestellt?* 


(Erich Schliling) 


„Er will es nicht glauben, daß England für seine Freiheit kämpft!“ 


L’ Inghilterra nelle Indie: "Cosa ha commesso quel figuro?,, — "Non vuole credere che |’ Inghilterra combatta per la sua libertä!,, 


MEIN FREUND JOHANNES 


Ich war sehr, sehr enttäuscht. 

Die ganze Woche hatte ich mich schon auf diesen 
Sonntag gefreut. So richtig gründlich wollte ich 
Ihn genießen. Vor allem mal ausschlafen. So lange 
im Bett bleiben, bis die Post käme. Sicher würde 
sie mir doch einen besonders netten Brief brin- 
gen. Damit wäre dann die Stimmung für den gan- 
zen Tag gesichert. 


Na ja, also ausgeschlafen hatte ich. Und auch die 
Post war gekommen, Aber das, was sie mir 
brachte, war keineswegs ein besonders netter 
Brief, sondern mein Steuerbescheid. 

Kein Wunder also, daß ich nun sehr, sehr ent- 
täuscht war. 

Betrübt saß ich beim Frühstück. Da klingelte es 
wieder an der Haustür. Mißmutig öffnete ich und 
fand Johannes. Er setzte sich zu mir an den Tisch, 
trank eine Tasse Kaffee mit und erzählte allerhand, 


457 


Schließlich fiel ihm wohl meine Schweigsamkeit auf. 
„Hast du Ärger gehabt?” fragte er. 

Ich erzählte ihm die Geschichte mit dem Steuer- 
bescheid. 
„Ungefähr 
schloß Ich. 
„Tausend Mark?” wiederholte Johannes. „Und da 
bist du betrübt? Mein Gott, wie würde ich mich 
freuen, wenn ich mal so viel Einkommensteuer 
bezahlen müßte!” J.B. 


zahlen!" 


tausend Mark soll ich 





Unbewaffnet 


(X. Helligenstaedt) 





„Der Chef sieht's nicht gern, wenn die Damen die Beine so übereinanderschlagen _ 
aber Sie haben ja keine Strümpfe an .. .! . 


Disarmato: "Il principale non ama vedere che le signore mettano le gambe cosl I" una sopra l’altra ... ah, ma Voi non portate calze ...!,, 


458 


DER BLITZZUG HÄLT IN ÖLBJÄRG 


Es fing damit an, daß auf dem Bahnhof des däni- 
schen Städichens Olbjärg ein Telegramm einlief, 
das so lautete: 

Auf Veranlassung des Hofmarschallamts hält Blitz- 
zug 15 morgen außerfahrplanmäßig In Olbjärg + 
2. Distrikt + 

Der Eisenbahnassistent war sich sofort darüber 
klar, was das bedeutete: ein Königsbesuch in 
Olbjärg! Welche Sensation! 

Obwohl das Telegramm nicht für die Öffentlichkeit 
bestimmt war, so war dessen Inhalt doch so span- 
nend, daß der Assistent es nicht lassen konnte, 
davon zu erzählen, als er in den Krug kam, um zu 
Abend zu essen, 

Das war doch endlich einmal eine Neuigkeit! 
Der Krugwirt geriet dermaßen in Erregung, daß er 
seinen Priem ausspuckte und äußerte, daß das für 
lange Zeit das größte Ereignis in der Geschichte 
Olbjärgs bleiben würde, Jedenfalls war niemals 
mehr etwas so Aufsehenerregendes geschehen 
seit damals, als der versoffene Armenhäusler 
Pimpe-Anders Amok gelaufen und den Gemeinde- 
vorstand mit einer Bürste bedroht hatte, was zur 
Folge hatte, daß Pimpe-Anders auf Gemeinde- 
kosten zwangsweise in ein Trinkerheim zu einer 
Entwöhnungskur eingeliefert worden war. 

Aber nun war das Ja für Olbjärg eine ganz anders- 
geartete, stolze und ehrenhafte Begebenheit, die da 
bevorstand! Für eine Zeitlang würde Olbjärg für 
das ganze Land im Mittelpunkt des Interesses 
stehen. Der Rundfunk würde darüber berichten 
und alle Zeitungen würden schreiben: Königs- 
besuch in Olbjärg! 

Der Krugwirt konnte Im Grunde genommen recht 
gut verstehen, daß man es allerhöchsten Ortes als 
eine reine Pflicht ansehen mußte, Olbjärg einmal 
zu besuchen: Olbjärg war wirklich eine Muster- 
gemeinde! 
. * 

Die Neuigkeit von dem Königsbesuch breitete 
sich wie Feuer in einem Heuschober aus. Der 
Krugwirt teilte sie dem Geschäftsführer des 
Bauernvereins mit, und als sie erst in den „Kultur- 
zentren‘‘ — Krug, Bauernverein und Fernsprech- 
amt — bekanntgeworden war, dauerte es auch 
nicht mehr lange, bis ale sie kannten. Selbst auf 
dem entferntesten Hof wußte man es: Morgen 
kommt der Königl 

Am Abend hielt der Gemeinderat im Krüge eine 
Sitzung ab: es mußte doch über einen geziemen- 
den Empfang für Seine Majestät beratschlagt wer- 


den. Verschiedene Redner ergriffen das Wort. Mit - 


Eifer wurde diskutiert, und schließlich gelang es, 
über das Festprogramm eine Einigung zu erzielen. 
Der Gemeindevorstand mit Sören Spillemands 
Vier-Mann-Kapelle an der Spitze sollte Seine 
Majestät auf dem Bahnsteig empfangen. Wenn der 
Zug einlief, sollte die Kapelle die Königshymne 
spielen, worauf der Gemeindevorsteher vortreten 
und die Bewillkommnungsrede halten würde (man 
‚darf Ja nicht glauben, daß der Gemeindevorsteher 
etwa irgendetwas fürs Knopfloch erhoffte — bei- 
leibe nicht!), 

Nach dem pompösen Empfang sollten die hohen 
Herrschaften im Wagen des Gemeindevorstehers 
durch die Hauptstraße gefahren werden, die mit 
Flaggen und Girlanden geschmückt werden sollte 
— geradeso wie kürzlich bei der Rinderschau. 
Im Kruge sollte ein großes Festessen stattfinden 
— ein Punkt, zu dem der Krugwirt seine wärmste 
Zustimmung gab. Kurz: es sollte ein Empfang wer- 
den, der sowohl der Stadt als auch dem hohen 
Gaste zur Ehre gereichtel 

Unter gespannter Erwartung auf die Ereignisse 
des folgenden Tages schloß die Sitzung. Der Ge- 
meindevorsteher machte sich rasch auf den Heim- 
weg, um die Festrede auszuarbeiten, der Ge- 
meinderat wollte die Ausschmückung in die Wege 
leiten ünd die Krugwirtin hatte genug mit der Vor- 
bereitung des Festessens zu tun. 


VON AAGE vV. HOVMAND 
Der große Tag begann und fand Dlbjärg so fest- 
lich gekleidet, daß es kaum wiederzuerkennen 
war, Überall war sauber gemacht und aufgeräumt, 
die Häuser waren mit Fahnen geschmückt, die 
Gartenwege frisch geharkt und die Haupistraße 
geschmückt mit Reihen von Fahnenstangen mit 
Girlanden und knatternden Flaggen. Vor dem, 
Bahnhof war eine Ehrenpforte errichtet worden 
mit der Inschrift: Herzlich willkommen! 
Auf dem Bahnsteig versammelten sich die Hono- 
ratioren mit. feierlichen Mienen und in feinster 
Aufmachung. Naphtalinduftende Gehröcke waren 
aus ihren Behältnissen hervorgeholt worden und 
wurden in der frischen Brise ausgelüftet. Sören 
Spillemands Kapelle bildete eine Gruppe für sich 
und spitzte ab und zu einmal die kalt geworde- 
nen Lippen, um die Instrumente zu probieren. In 
geziemendem Abstand hinter den Repräsentan- 
ten der Öffentlichkeit drängte sich eine große 
Schar Neugieriger. Die Schuljugend hatte frei be- 
kommen. 
Und jetzt... jetzt sah man wirklich — weit da 
draußen — einen kleinen roten Punkt, der rasch 
größer wurde: der Blitzzug! Der Blitzzug, für den 
an allen anderen Tagen des Jahres Olbjärg nichts 
anderes war als ein kleiner Krähwinkel, durch 
den der Zug in sausender Fahrt hindurchdonnerte 
und nichts hinterließ als eine Wolke von Staub, 
in der Papierfeizen und Unrat in die Höhe wirbel- 
ten. Aber der heutige Tag sollte nicht so sein 
wie öndere Tage: heute würde der Blitzzug hal- 
ten, In Olbjärg halten! Heute war Olbjärg ebenso 
wichtig wie die großen Städte, ja, wichtiger noch! 
Die Spannung stieg. Die Musikanten fingerten 
fieberhaft an Ihren Hörnern herum. Der Gemeinde- 
vorsteher durchflog zum 117. Male in Gedanken 
seine Rede. 
Nun ratterte der Zug über die Weichenstraße. 
Würde er anhalten? Ja — jetzt begannen die 
Bremsbacken an den Rädern zu schleifen, Die 
schweren Wagen verloren an Fahrt, Die Bremsen 
kreischten. Sören Spillemands Vier-Mann-Kapelle 
setzte die Hörner an den Mund. Der Blitzzug 
hatte gehalten. Die Kapelle stimmte die Königs- 
hymne an; im langsamen Maestoso erklangen die 
ersten Takte. Erwartungsvolle Blicke suchten die 
Wagentüren ab. Nun öffnete sich eine... Heraus- 
stieg, langsam und sich vorsichtig am Handgriff 
festhaltend, um von dem hohen Tritibrett auf den 
niedrigen Bahnsteig herunterzukommen, ohne ein 
in Zeitungspapier gewickeltes Paket zu beschädi- 
gen, das er unter dem Arme trug — Pimpe-Anders! 
Etwas schwankend stand er da, heimgekehrt aus 
der Trinkerheilanstalt, auf dem roten Läufer, wäh- 
rend seine starren, spritumflorten Augen mit Ver- 
wunderung die bekannten Gesichter der höchsten 
Behörden seiner Unterhaltsgemeinde erblickten. 
Dann und wann kullerte eine helle Träne der Rüh- 
rung (oder des Branntweins) über seine wetier- 
harten Wangen hinab. 
Den Bläsern erstarben die Töne Im Munde. Keine 
menschliche Stimme brach das drückende Schwel- 
gen. 
DerGemeindevorsteher fühlte dieBlicke der Menge 
auf sich ruhen. Jetzt hatte er überhaupt keine Lust 
mehr, eine Fesirede zu halten. Aber man wartete 
augenscheinlich darauf, daß er etwas sagen würde. 
Die langelnstudierte Ansprache summte in seinem 
Kopf herum. „Eure Ma...” wollte er beginnen. 
„Hm — Anders!“ verbesserte er sich. Und dann 
folgte eine Rede, die etwas anders ausfiel, als die 
geplante: eine kombinierte Begrüßungs- und Mahn- 
rede. Der Gemeindevorsteher hielt Anders vor, 
wieviel die Gemeinde für ihn geopfert hätte. Er 
sprach die Hoffnung aus, daß die jetzt abgeschlos- 
sene Reise einen heilsamen Einfluß haben möchte 
und er wünschte, daß Anders von jetzt ab ein 
ordentliches Mitglied der Gesellschaft werden 
möchte. 
Pimpe-Anders hörte sich die Ansprache mit ge- 


ziemendem Ernst an. Über seine Lippen kam ab 


„und zu ein bescheidenes Aufschlucken. 


Die Fahrt durch die fahnengeschmückte Straße fand 
unter dem Hurra-Rufen der Menge statt. 
Unterwegs bekam dann der Gemeindevorsteher 
die Aufklärung des Ganzen: Der König hatte am 
Vortage das Trinkerheim besichtigt. Er hatte sich 
mit verschiedenen Insassen unterhalten, unter an- 
deren mit Pimpe-Anders, der erzählt hatte, daß er 
gerade wieder nach Hause sollte. Der König war 
sehr freundlich gewesen und hatte gefragt, ob er 
sich darüber freute und woher er wäre und wie 
er reisen wollte. Da hatte Anders erzählt, daß die 
Gemeinde keine Schnellzugkarte für ihn bezahlen 
wollte. Und er wollte doch so gerne einmal wissen, 
wie das wäre, mit dem Blltzzug zu fahren. 

Der König hatte bemerkt, daß es vielleicht gar 
nicht so gut wäre, wenn Anders die lange Strecke 
mit dem Bummelzug fahren würde: es gab Auf- 
enthalte auf den Umsteigebahnhöfen und ver- 
schiedene Wirtschaften unterwegs, die ihn in die 
Versuchung bringen könnten, rückfällig zu werden. 
Deshalb hatte der König ihm Geld für eine Schnell- 
zugkarte und für eine Platzkarte gegeben und zu 
seinem Adjutanten gesagt, daß man für ein ein- 
ziges Mal die Staatsbahnen bitten möge, den Blitz- 
zug dort halten zu lassen, wo der Mann aussteigen 
müßte. „Denn der König war doch so'n furchibar 
netter Mannl” schloß Anders seinen Bericht, 


* 


Die festlich gekleidete Versammlung setzte sich 
im Kruge an den wohlgedeckten Tisch. Das Pro- 
gramm war nun einmal so aufgestellt — und es 
wöre ja auch schade um das Festessen gewesen, 
wenn es nicht verzehrt werden würde. Um den 
Teil des Festes wollte man doch nicht betrogen 
werden! Und allmählich, als der gute Braten der 
Krugwirtin hinter die Weste glitt, schwand auch 
die allgemeine Enttäuschung und eine gute Stim- 
mung ergriff alle Parteien. 
Pimpe-Anders traf alte Freunde, die nichts Böses 
dabei sahen, ihm verschiedentlich „Bescheid zu 
bieten, und er revanchierte sich für die lange Ent- 
haltsamkeit. 
Es wurde spät, bevor er nach Hause ging, und er 
feierte seine Heimkehr damit, daß er seine Frau 
verprügelte. 
Das war ein schöner Tag! Er hatte sich wahrhaft 
„königlich” amüsiert. 

(Aus dem Dänischen von John W. R. Hellmann) 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückal) 





Anton Krumbiegel, Gutsherr von altem Schrot und 
Korn, ließ seinen Neffen Egon Landwirtschaft stu- 
dieren, Die ersten Semesterferien durfte der Junge 
auf Krumbiegels Gut verleben. Als ihn der Alte 
nach der Ankunft mit Besitzerstolz durch sein An- 
wesen führte, fiel Egons Blick auf einen beson- 
ders dürftigen Obstbaum. 

„Entschuldige Onkel“, begann er ein wenig von 
oben herab, „aber ich glaube, deine Kulturmetho- 
den sind doch schon ein bissel veraltet. Es.sollte 
mich wundern, wenn das Bäumchen da auch nur 
drei Kilo Äpfel brächte...” 

„Mich auch“, knurrte der Alte, „Schon darum, weil 
es ein Birnbaum IstI“ 


ee” Tee TE —Z———JJ>J>JJw ‚> EE€ er ee 


Verlag und Druck: Knorr & Hirh Kommanditgesellschaft, München, Sondlingor Stras 





® (Fernruf 1296). 


Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. 


Vorantwortl, Schriftleiter; Walter Foitzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal, Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 
anstallen entgegen. — Bezugspreiso; Einzelnummer 30 Pi.; Abonnement im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — 


Nochdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. 


ttüllungsort München. 


Tarock 


(€. Thöny) 





„So, mei’ Lieber, desmal hab'n mir dei’ Schell’nsolo g’wonna!' 


„Dees werd’ aa no’ a Kunst sei: zwei geg'n ein’!" 


Tarocco: “Cosl, mio caro, questa volta abbiamo vinto nol il tuo solo di quadri!,, — “Bella bravurä ... due contro uno!,, 


460 


München, 1.September 1943 d 
48. Jahrgang / Nummer 35 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Sorgen im Oberhaus 


(E. Thöny) 


„Wird 's dem neuen Sowjetbotschafter genügen, oder müssen wir noch weiter nach links rücken?“ 


Apprensioni nella Camera dei Pari: “Basterä cosi al nuovo ambasciatore sovietico ...o dobbiamo accostarci ancor piü a sinistra?,, 





Vorteilhafter Kauf 








0. Hegonbarth) 











„Glauben Se mir, Jnädige, In diesem Stöffchen werden Se so 
Jung ausseh'n, det Se uff Kinderkarte Eisenbahn fahren könn’! 


‚Acquisto vantaggloso: “Credetemi, signora .. . questa stoffetta Vi fard sl 
glovane che In ferrovia polrete viaggiare con un biglielto per bambini!,, 


LOCH IM STRUMPF 


VON WALTER FOITZICK 


Es wäre eine glatte Lüge, wenn ich behauptete, 
daß mich das Loch im Strumpf überrascht, daß 
ich etwa ausriefe: „Donnerwetier, wie kommt 
denn das da hinein!” Ich weiß nicht, wie das bei 
Ihnen ist, bei mir ist es so, daß ich auf das Loch 
im Strumpf warte, manchmal länger, manchmal 
kürzer. Ich kenne die Stellen genau, wo es ent- 
stehen wird. Bei mir sind Löcher an gewissen 
Strumpfstellen ein Brauchtum, wie Weihnachten, 
wie Neujahr oder wie die Aufforderung zur 
Steuererklärung, niemals kommen sie über- 
raschend, ich erwarte sie geradezu. Da haben 
wir zum Beispiel das Loch vorne an der großen 
Zehe, es ist das Standardloch, mit dem geht's los. 
Bei Ihnen mag’s eine andere Stelle sein, jeder 
hat seine schwache Stelle, und eines Tages ist 
der längst"erwartete Angriff an der Strumpffront 
da, und wo vorher Strumpf war, ist dann Zehe. 
Was tritt jetzt bei einem ordentlichen und wohl- 
behüteten Manne ein? Die Hausfrau wirft sich in 
die Bresche, stopft die Stelle mit frisch herbei- 
geführten Kräften, und im Gegenstoß ist die 
offene Stelle wieder abgeriegelt, 

Ach, auf wie lange? 

Ich habe jahrelang einen Kampf gegen nimmer- 


müde Frauenhände geführt, einen geistigen 
Kampf. Ich habe argumentiert: Wenn die große 
Zehe den Freiheitsdrang spürt, laßt dem Kinde 
doch die Bulette, fallt ihm nicht in die Zügel, der 
Freiheit eine Gasse, und jeder großen Zehe ihr 
Loch! 


Da hätten Sie mal die Beherrscherinnen der nim- 


ABSEITS 


Volkes Stimme, Gottes Stimme... 
Nicht in Liedern bloß voll Duft 
macht fie ihrem Seelengrimme, 
ihren Wonneträumen Luft. 


Will du wilten, wie fie denken 
und was ihr Gemüt vermißt, 
mußt du deine Schritte lenken 
dahin, wo es einfam Ift. 


Mancher fchrieb zurückgezogen, 
mas er fo bei fich empfand, 
anonym und ungelogen 

an die nächfte befte Wand. 


Ratatöshkr 


462 


BESUCH 
DESZTEUFEILS 


Um das Jahr 1905 herum wurde die dänische Insel 
Seeland von einer ganzen Reihe mystischer Brände 
heimgesucht. Nach und nach gelang es der Krimi- 
nalpolizel, die Verbrecher aufzuspüren, und diese 
wurden dann von dem damaligen Kommissions- 
tichter Sylow abgeurteilt. Richter Sylow war ein 
sehr scharfer Herr, seine Methoden beim Verhör 
konnte man wirklich nicht zart nennen, aber es 
gelang ihm immer, den Verbrecher zum Geständ- 
nis zu bringen. Der Name Sylow wurde für die 
dänischen Verbrecher nach und nach zum Schreck- 
gespenst, 

Eines Tages wurde in Nordseoland ein Bauer er- 
mordet aufgefunden. Auf Veranlassung Sylows 
verhaftete die Kriminalpolizei einen Schuster aus 
dem Dorf, aus dem der Ermordete stammte, Man 
brachte ihn ins Gefängnis, aber der Schuster be- 
teuerte immer wieder seine Unschuld, die Sache 
ging nicht weiter. Kommissionsrichter Sylow, der 
die Leute aus dieser Gegend sehr genau kannte 
und ‚wußte, wie abergläubisch und furchtsam sie 
im Grunde waren, dachte sich nun einen Trick 
aus, der in den Akten der dänischen Polizei ziem- 
lich einzig dastehend Ist. 

An einem dunklen Winterabend erschien in der 
Zelle des Verhafteten der leibhaftige Teufell Er 
hatte ein feuerrotes Gewand an, einen langen 
Schwanz und gewaltige Hörner. Die Hände waren 
furchterregende Klauen und das Gesicht eine 
scheußliche Teufelsfratze. Eine Theatertruppe, die 
gerade das Schauspiel „Das alte Spiel von Jeder- 
mann” aufführte, hatte dem Kriminalbeamten be- 
reltwillig das Teufelskostüm zur Verfügung gestellt 
und der Theaterfriseur hatte seine ganze Schmink- 
kunst angewandt. Und doch hatte Richter Sylow 
diesmal keinen Erfolg. 

‘Als der „Teufel“ in leibhaftiger Gestalt in die 
Zelle des Gefangenen kam und sich drohend vor 
dem Verdächtigen aufpflanzte, brach der Schuster 
in ein schallendes Gellichter aus: „Ha, ha, ha — 
das kann mir überhaupt nicht Imponleren! Glaubst 
du, ich hätte Angst vor dir? Nee, ich hab schon 
etwas viel viel Schlimmeres als den Teufel ge- 
sehen — nämlich SylowI" 





mermüden Hände hören sollen: Unmöglich, ein 
Loch im Strumpf gehört gestopft, und wenn es 
bis zum Jüngsten Tage immer wiederkehrt, Ord- 
nung muß sein! Obwohl das Letztere In dar Welt 
nicht beweisbar ist, habe ich einen Kompromiß 
vorgeschlagen. Ich habe gesagt: „Wenn Ihr schon 
Ordnung wollt, nun so schafft sie, säumt das 
naturgewollte Loch sauber ein, meinetwegen mit 
farbigen Zierstichen, womöglich kunstgewerblich. 
Zeigt aller Welt dadurch, daß hier Ordnung 
herrscht und gebt kund, daß hier ein Loch ist, 
das mit Wissen und Willen der aufsichtführenden 
Behörde besteht,” 

Oh, meine Freunde, wie bin ich mit diesem Vor- 
schlag nicht durchgedrungen. Man entgegnete 
mir, gesäumte Löcher habe es bisher auf der 
Welt noch nie gegeben, und der einzig sinn- 
gemäße Zweck einer solchen Beschädigung im 
Strumpf sei der, repariert, gestopft zu werden, 
Ich habe vielen Frauen am Werke diesen Vor- 
schlag gemacht, alten und jungen, dicken und 
dünnen, guten und fremdrassigen, fleißigen und 
künstlerisch interessierten, alle schauderten vor 
der Vorstellung zurück, einen durchgescheuerten 
Strumpf sauber einzufassen. 

Jahre habe ich geschwiegen, nun trete ich an 
die Öffentlichkeit, vielleicht, daß sich doch ein 
Verein oder eine Gesellschaft zusammenfände, 
die die gesäumte lochsache auf ihre Fahnen 
schriebe. 


Vor dem Krankenzimmer FRE 








„Was hat denn unser sowjetischer Patient, Schwester Britannia, daß er wieder so zu toben anfängt?" 
„Er verlangt nach einem echten Kräftigungsmittel, dieser sizilianische Ersatz paßte ihm nicht!“ 


Davanti alla stanza del malato: “Cosa ha mai il nostro paziente sovietico, Suor Britannia, che comincia di 
nuovo a smaniare?,, — "Egli domanda un vero mezzo tonico; questo surrogato siciliano non gli & piaciuto!,, 


463 


BRUTTO + TARA = NETTO 


VON AAGE V. HOVMAND 


„Das war. ein ausgezeichnetes Essen, das wir hier 
bekommen haben!” sagte meine Frau, 

Wir saßen in der Bahnhofshalle von Kalundborg, 
auf der Heimfahrt von einem vierzehntägigen 
Sommeraufenthalt, 

„Ja”, sagte ich, „du hast ja auch tüchtig ein- 
geschaufelt, Ich möchte garantieren, daß du in 
den vierzehn Tagen mindestens deine fünf Kilo 
zugenommen hast!" 

„Ausgeschlossen! Ich, ich bin doch immer so vor- 
sichtig....” 

„Wollen wir wetten?” 

„Das können wir! Wer verllert,'muß morgen die 
Anstandsvisite bei Tante Jolante machen... und 
ihr elnen Karton Pralinen verehren!” 

Die Wette wurde abgeschlossen. Aber wie sollte 
sie ausgetragen werden? 

„Hier steht ja ein Wiegeautomatl” rief ich. 

„Ja, das könnte dir so passen — mich mit Zeug 
und allem zu wiegen! Nein, reines Gewicht muß 
es sein!" 

Meine Frau wurde zu Hause jede Woche in der 
Badeanstalt gewogen. Am Tage vor unserer Ab- 
reise in die Ferlen wog sie 85 kg netto. (Das ist 
eigentlich ein Familiengeheimnis. Es tut mir leid, 
daß ich es verraten muß, aber es Ist zum Ver- 
ständnis meiner Geschichte notwendig. Hoffent- 
lich erfährt meine Frau es nicht!) 

„Na, das bißchen Sommerkleidung kann doch 
nicht soviel ausmachen?‘ versuchte ich einzu- 
wenden. 

„Ich hab’ ja auch wohl nichts drunter! Und der 
Hut... die Schuhe... und die Bleiklumpen! (Noch 
ein Familiengeheimnis: meine Frau näht sich Blei- 
klumpen unten in den Rocksaum, damit er schön 
glatt fällt.) 

„Ja, Ja”, sagte ich, „dann wieg dich doch ohne 
Zeug!” 

„Ohne Zeug!” Meine Frau bekam einen Schreck. 
„Willst du etwa, daß ich mich hier ohne Zeug 
auf die Waage stelle?” 

„Das natürlich nicht! Wenigstens nicht so direkt 
— aber mit etwas Grütze Im Kopf läßt sich das 
schon machen. Sieh: erst wiege dich mal mit 
Zeug. Dann gehst du in die Telephonzelle dort 
und ziehst dich aus. Ich geh dann hin und wiege 
das Zeug. Wir ziehen das Gewicht des Zeuges 
ab — und dann haben wir dein Gewicht ohne 
Zeug!” 

„Ja, aber... können wir das denn... hier?” 
„Selbstverständlich! Es dauert noch ungefähr eine 
Stunde, bis der Zug fährt!” 

„Ich weiß nicht recht...” 

„Hör zu: wir sind uns doch einig, daß wir unsere 
kleine Wette austragen wollen? Nicht wahr? 
Gestern, als du ins Wasser wolltest, hattest du 
nicht so viele Bedenken! Und das war noch dazu 
am offenen Strand!” 
„Wenn nun aber 
sieht...” 

„Das wäre viel schlimmer für ihn selber! Übrigens 
geht niemand In eine Telephonzelle, wenn je- 
mand darin steht und spricht! Und die Scheibe 
ist aus Mattglas — wenn man sich nicht gerade 
dagegen lehnt, kann man draußen gar keine Ein- 
zelhelten erkennen. Außerdem kannst du ja den 
Türgriff festhalten. Das Ganze dauert ja nur einen 
Augenblick! Aber du bist vielleicht bange?” 
Meine Frau wollte es nicht auf sich sitzen lassen, 
daß sie bange wäre, Außerdem wollte sie gerne 
den Triumph auskosten, die Wette zu gewinnen 
— sie schien sich dessen ziemlich sicher zu sein 
— und mich morgen lostrotteln zu sehen, um mir 
Tante Jolantes Jeremiaden anzuhören, 

Also stand mein Eheweib etwas später auf der 
Waage. Ich suchte aus dem Rest des Ferien- 
geldes ein wohlgeformtes Fünf-Öre-Stück heraus, 
steckte es in den Schlitz und wir erwarteten mit 
Spannung das Ergebnis. 

92! kg! Die Wette stand also auf der Kippe. Es 
war spannend, 

Leicht und graziös stieg meine Frau von der 
Waage herab. Sie legte Tasche und Regenmantel 





jemand kommt und mich 


fort und verschwand In einer Telephonzelle. Etwas 
später öffnete sich die Tür auf einen Spalt und 
ein Bündel aus sämtlichen Sachen, die für ge- 
wöhnlich dazu dienen, den charmanten Körper 
meiner besseren Hälfte vor den neugierigen 
Blicken der Menge zu schützen, als da sind Klei- 
der, Hut, Strümpfe, Schuhe, wurde mir heraus- 
gereicht. 

„Du hast mir wohl das Telephonbuch mitgegeben?” 
fragte ich, als ich das Bündel entgegennahm. 
„Jeizt sei ganz ruhig! Tu so, als ob du tele- 
phonierstl” 

„Ja aber... was soll ich denn sagen?” 

„Sagen! Das fragst du mich, der man sonst das 
Mundwerk wenigstens zwanzig Minuten lang nicht 
anhalten kann, wenn du erst einmal einen Tele- 
phonhörer in der Hand hastl Stell dir doch vor, 
du ständest auf der Treppe und klöntest mit 
Frau Hansen!” 

Ich zog ein Fünf-Ore-Stück hervor und stieg mit 
dem Zeug auf die Waage. Da ich nicht sicher 
war, ob die Personenwaage solch kleine Quan- 
ten wie das Zeug alleine überhaupt wiegen 
könnte, wollte ich die Gelegenheit benutzen und 
mit demselben Fünfer mein eigenes Gewicht fest- 
stellen — man muß ja sparen, wo man kann! 
Die Waage zeigte 64 kg an, Ich warf das Bündel 
von mir und die Waage ging auf 62 kg zurück. 
Ich war immer ein tüchtiger Rechner gewesen — 
ich wußte jetzt, daß die Sachen meiner Frau 2 kg 
wogen. Hingegen etwas anderes wußte Ich nicht, 
und das war, daß ein großer schwarzer Pudel 
schon eine Zeit lang ebensolches Interesse an 
mir hatte wie ich an meinem Gewicht. Als ich 
das Zeug wegwarf, geriet er in helles Entzücken 
darüber, daß ich -mit ihm spielen wollte, ergriff 
das Bündel und entwetzte mit ihm zur Tür hinaus, 
Ich stürzte hinterher, und als der Hund merkte, 
daß ich mitspielte, wurde er reinweg ausgelassen. 
Er sauste um den Hafenplatz herum und zerrte 
das Bündel hin und her; dabei knurrte er vor 
Wonne. Nach und nach verlor er die Schuhe und 
den Hut; doch jedesmal, wenn ich ihn beinahe 
zu fassen bekam, entwischte er mir wieder, Die 
wilde Jagd löste unter einer Schar jugendlicher 
Zuschauer begeisterten Jubel aus, so daß sie 
den Pudel mit lebhaften Zurufen immer wieder 
ermunterten. Als schließlich ein paar Matrosen 
auf einem Schiff, das an der Kalmauer lag, an- 
fingen, nach dem Hund zu pfeifen, sprang er 
freudestrahlend über den Landesteg an Bord. Auf 
der schmalen Laufbrücke stieß das Zeug gegen 
das Geländer; der Hund verlor es, und während 
er mit dem besten Gewissen der Welt bellend 
um die Matrosen herumsprang, näherte ich mich 
dem Bollwerk — gerade noch zeitig genug, um 


BESTALLUNG 


Jeder Tag, da du krank bist, 

Ist ein heimlicıer Rufer. 

Fern. aller Freuden, trägt er dir 
Den Klang herzu, den dunklen, für 
Die Heimkehr ans andere Ufer. 
Jeder Tag, da du wohl bist, 

Ist ein lärmender Rufer. 

Fern aller Leiden, trägt er dir 

Den Klang herzu, den hellen, für 
Das tändelnde Spiel mit dem Ufer, 


Jeder Tag, da du Mensdı bist, 

Drängt hinüber ans Ufer, 

In Freud und Leid, in Glück und Traum, 
Bist du, und weißt es selber kaum, 

Des Todes gehorsamer Rufer. 


Ludwig Eduard Fleischmann 


464 


zu sehen, wie das Sommerkleid meiner Frau samt 
ihren Unaussprechlichen (dank der Bleiklumpen 
im Kleidel) auf den Grund des Hafens versank. 


„Hurrah, ich hab gewonnen!‘ rief ich, indem ich 
die Tür der Telephonzelle auf einen Spalt öffnete: 
„Das Zeug wog 2 Kilo — du wiegst also 90!/:l 
Du kannst also gern Tante Jolante anrufen und 
Ihr sagen, daß du kämest. 
„Mein Zeug!” unterbrach mich meine Frau. 
Ich langte den Hut und die Schuhe und ein biß- 
chen Unterwäsche, die ich am Kai aufgesammelt 
hatte, durch die Türritze. 
„Wo ist das andere?” Meine Frau klapperte un- 
heilverkündend mit den Zähnen, 
Es gab also keinen Auswegl So schonend wie 
möglich erklärte ich, daß es im Augenblick leider 
mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein 
würde, sowohl das Kleid als auch die Unaus- 
sprechlichen herbeizuschaffen, well diese Gegen- 
stände auf dem Grunde des Hafens ruhten. 
Ich möchte nicht näher darauf eingehen, was 
meine Frau sagte, als ihr die Lage in ihrer gan- 
zen Grausigkeit klar wurde. Die Wahl ihrer Aus- 
drücke war, was die Psychologen „affektbetont” 
nennen, und der’ Inhalt war ja, so betrachtet, 
bloß für mich bestimmt. 

Mit Rücksicht auf neugierige Zuschauer wurde 

ich in die Fernsprechzelle hineingezogen, und 

hier wurde eine kurze, aber lebhafte Konferenz 
abgehalten, deren Höhepunkte die folgenden 
waren: 

1. daß nur noch 10 Minuten wären, bis der Zug 
abführe, 

2. daß es innerhalb dieser Frist nicht möglich 
sein würde, Taucherhilfe herbeizuschaffen, um 
die versunkenen Effekten zu bergen, 

3. daß unser finanzleller Status wie auch das 
Ende meines Urlaubs keine Verlängerung un- 
seres hiesigen Aufenthaltes gestatteten. 

Als diese Punkte geklärt waren, stellte meine 
Frau die Frage, ob Ich ein Gentleman wäre oder 
nicht, 
Ich erwiderte, ich wäre es. Die Folge davon war, 
daß, als etwas später die Tür aufging und Ich vor 
ein staunendes Publikum trat, meine Frau mit 
meinem Jackett und meinen Beinkleidern an- 
getan war, während ich selber in Hemdsärmeln 
und Unterhose erschien. Zur Entschädigung durfte 
ich den Regenmantel meiner Frau überziehen, 
der in der Vorhalle auf der Bank lag. 





Als wir im Zuge saßen und annähernd zu Hause 
waren, rief meine Frau plötzlich freudestrahlend: 
„Der Mantel... und die Taschel” 

„Was ist los?" 

„Ich stand ja damit auf der Waage... mit dem 
Regenmantel und der Tasche und dem. Photo- 
apparat darin! Und nachher legten wir die Sachen 
auf die Bank... und du hast sie nicht mitge- 
wogen, als du das Zeug gewogen hasıl. Also 
wiege ich um so viel weniger!” 

Auf dem Heimweg nahmen wir ein Taxi. Bei einem 


“ Bäckerladen, der noch offen hatte, ließ ich hal- 


ten. Unsere Wette mußte doch endlich einmal 
entschieden werden! 
Das Gesicht des Bäckerfräuleins nahm einen 
eiwas erstaunten Ausdruck an, als sie mich in 
Regenmantel und Unterhosen, mit einer Damen- 
tasche in der Hand, eintreten sah. Ich jedoch 
entledigte’mich meines Mantels und bat sie, mir 
den Dienst zu erweisen und Mantel und Tasche 
zu wiegen. > £ 
Der Dame war offenbar bekannt, daß man Ver- 
rückten nicht widersprechen soll, denn sie ging 
stracks auf mein Ansinnen ein. 
Die Sachen wogen gut ihre 1% kg. Meine Frau 
wog also nicht 90%, sondern nur 89 kg. Und so 
war ich es denn, der am nächsten Tage los 
mußte, um bei Tante Jolante die Anstandsvisite 
zu machen. 
Ich erstattete ihr Bericht über unsere Heimkehr 
von unserem Ferienaufenthalt; jedoch erwähnte 
Ich nicht, wie wir nach Hause gekommen waren: 
ich hatte das Gefühl, als ob Tante Jolante das 
nicht gern hören mochte. Ich wollte auch nicht 
gern enterbt werden: die Wette war mir schon 
teuer genug zu stehen gekommen! 

(Aus dem Dänischen von John W. R. Hellmann) 


Das Porträt 


(X. Heiligenstaodt) 





„Recht gut haben Sie mich gemalt, aber ich vermisse den geistigen Ausdruck! 
„Ja — ja, — gnädige Frau, den habe ich auch immer vermißt!“ 


Il ritratto: "Mi avete dipInto proprio bene... ma vi manca |’ espressione dell’ animal, 
“Glä...glä...signora, anch’ lo ne ho sentito sempre la mancanzal,, 


465 


SOMMERABEND 


Der Mond tritt rot am Himmelssaum hervor, 
Im Rauche träumend schläft die Wiese ein, 
Der Nebel tanzt. Die Wasserfrösche schrei'n. 
Ein leisesSchauern bebt durch'sschwankeRohr. 


NOVELLE OHNE F 


Der alte Geheimrat Trüffel erzählte, wenn Jullus 
ihn in seiner Junggeselleneinsamkeit besuchen 
kam, gern so seltsame Geschichten, die er selt- 
samerweise alle wahrhaftig selbst erlebt hatte. 
Es ist wohl 50 Jahre her, begann er heute, daß 
mich ein Freund zu dreitägigem Besuch bei sel- 
nem Onkel einführte. Der alte Herr hieß wie das 
Schloß, das er bewohnte, Das war rings um einen 
stillen Hof gebaut, In dem zwei Edelkastanien 
blühten, eine mit weißen, eine mit roten Kerzen. 
Vor den Zimmern oben zog sich ein Altan mit 
hohen Bogen, an jeder der Langseiten des Hofs 
von einem runden Turm unterbrochen. In dem 
einen davon gähnte dunkel das Tor mit der Aus- 
fahrt — „Wir ziehen die Zugbrücke Jetzt nicht 
mehr hoch“, sagte der alte Andreas, „das gab 
immer Ärgerlichkeiten mit dem Postboten und 
anderen Amtspersonen, die hereinwollten”. In 
dem Turm gegenüber war der sonderbar kleine 
Eingang mit prächtigem Frührenalssanceportal und 
schrägen Fenstern darüber, an denen man bis 
draußen sieht, wie die Treppe stelgen muß. 
Der alte Schloßherr mit seinen weißen Haaren, 
schwarzen Brauen und lebhaften Augen sah sel- 
ten Menschen, aber er plauderte gern. 

‚Am ersten Abend, als ich mich umzog zum Essen, 
geschah etwas Seltsames, 

Ich hörte, wie auf dem schweigenden Hof ein 
Wagen vorfuhr, ein uraltmodischer, breit und 
wahrhaftig noch mit kleinen Blumen bemalt, 
dessen Coup6 in breiten Riemen 
hing. Dann öffnete sich die !ür un- 
ter dem Renalssancebogen, und 
heraus trat der alte Herr — aber so, 
als ob er einen Gast vorangehen 
ließe — ging mit kleinen, höflichen 
Schritten bis an den Wagenschlag, 
öffnete ihn, verneigte sich, machte 
eine Bewegung mit der Hand, als ob 
er jemandem in den Wagen hülfe, 
klinkte dann selbst den Wagen- 
schlag zu, verneigte sich abermals 
und zog sich, während die Karosse 
durch das Tor hinausfuhr, leise wie- 
der zurück. 

Nanu, fragte ich mich — und beob- 
achtete am Abend meinen Gast- 
geber mit neugierigem Staunen. Der 
übersah das und erzählte von Por- 
zellan. Seine Hände paßten gut zu 
dem Gespräch. Vom grünen Drach- 
muster sprach er und von den ver- 
schlungenen beiden L in der Marke 
von $evre und dem Alphabet darin, 
das, 1753 beginnend, beim zweiten- 
mal bis RR kam, da war schon Re- 
volution; und zuletzt setzte Buona- 
parte,‚seinen feisten, kleinen Adler 
über die Jahreszahl, und der Stil 
wurde grob und Empire, Wir tran- 
ken einen ganz leichten Sekt... 
Am nächsten Abend beim letzten 
Sonnenstrahl derselbe Wagen und 
dasselbe Bild. Diesmal bemerkte ich 
schon, wie der Kutscher Wenzel mit 
der Peitsche grüßte, und daß der 
alte Herr von einem Reifrock Ab- 
stand hielt, und daß die Hand sehr 
klein war, die sich während des 
Einsteigens In die seine legte, und 





VON PAUL VERLAINE 


Die Wasserrose schließt sich scheu und bleich. 
Die Pappeln schatten hoch und weit dahin, 
Gespenstern gleich, die durch den Nebel zichn: 
Lzuchtkäfer glänzen irrend im Gesträuch. 


VON SCHLEHDORN 


daß er wohl mit einem Lächeln gelohnt wurde. 
Träume ich oder sehe ich Gespenster?, dachte ich 
bei mir und fragte hernach meinen Freund, Aber 
der war in der Bibliothek gewesen (die lag übrl- 
gens Im Turm mit Ihren 5000 braunen ‚Bänden In 
Leder und Gold, und wenn man die Tür schloß, 
war es ein rundes Gefängnis der Gelehrsam- 
kelt). 

Er hätte nie derartiges beobachtet, sagte er 
Frauen, nein, Frauen gäbe es hier nicht, weder 
Junge noch lte, Vielleicht in der Küche, 

Beim Abendessen erzählte der alte Herr vom 
Niedergang der Heraldik selt 1550. Aus Wappen- 
schilden standen Legenden auf und in ihrem 
Grunde leuchtete das Geheimnis der Runen, 
Warum wohl die Lilie von Florenz blüht und die 
Bourbonische nicht? Warum die Sickingen Schwa- 
nenhälse in der Helmzier trügen und was die 
sieben Kugeln der Medici bedeuteten — ob sie 
wirklich Apotheker gewesen sind? Des Haushern 
eigenes Wappen auf Besteck und Gläsern, aus 
denen man einen alten Mosel trank, zeigte zwei 
rote Balken In weißem Feld, — „das waren die 
Schildbänder ursprünglich“, erklärte er. 

Als Ich dann später mit meinem Freund durch den 
Seltenflügel zu unseren Zimmern ging, — der alte 


Andreas trud den Leuchter voran, — lächelte aus 


einer Reihe alter Bilder ein ganz junges Mädchen 
herunter, hochtouplert, den etwas hochmütigen 
Mund sehr rot in dem kleinen, gepuderten Ge- 





Der Nachtkauz hat sich ruh'los aufgemacht, 
Schwerflügligschweifter durch die dunkle Luft 
Und den Zenith erfüllt ein weißer Duft, 

Hell glänzt die Venus auf und es ist — Nacht! 


Deutsch von Gerhart Haug 


RAU 


sicht, und große Augen, In denen alle Fröhlich- 
keit und Traurigkeit und Zörtlichkeit auf das 
Leben wartete. In dem weißen, atmenden Aus- 
schnitt glaubte man das Blut pulsleren zu 
sehen. 

Auf meine Frage, wer das sei, rechnete mein 
Freund sich aus: „das ist wohl eine Urgroßtante 
meines Onkels”. „Du Irrst dich”, sagte ich da- 
mals, „so sieht keine Tante aus. Es muß eine 
Urgroßcousine gewesen sein.“ „Ja, wenn die da- 
mals" — setzte der alte Geheimrat mit einer fast 
Jugendlichen Verlegenheit hinzu —, „aus dem gol- 
denen Rahmen gestiegen wäre und noch frei ge- 
wesen wäre, und mich gemocht hälte, so hätte 
ich jetzt vielleicht goldene Hochzeit..." 

Am dritten Abend wieder der Wagen und wieder 
das höfliche Abschlednehmen. Am Fenster war- 
tend erstaunte Ich kaum: Jetzt meinte ich selbst 
schon die reizende Junge Frau zu sehen, Sie stieg 
ein und lächelte und glich nur allzusehr dem 
Bild von gestern Nacht. Und fuhr durch das dunkle 
Tor in die Abendröte hinaus, 

Gut, daß ich morgen abreise, dachte Ich bei mir. 
Und als Ich diesmal den alten Andreas fragte, 
was das mit dem Wagen sel, fragte der gut- 
erzogen zurück, zu welchem Zug der Herr Doktor 
den Wagen befehle und ob er packen dürfe. 
An diesem Abend sprach der alte Herr beim Essen 
über Politik, — über die Politik Karls des Kühnen 
von Burgund. Der seine Pläne viel zu weit spannte 
für einen Fürsten, der keine Söhne 
hat, Er hätte Ren& von Lothringen 
nicht entwischen lassen dürfen, Die 
Schweizer Zahlen über Granson und 
Murten seien weit übertrieben, tat- 
sächlich wären sie in doppelter Über- 
macht gewesen. Es Ist nicht immer 
der Erfolg, der über den Ruhm ent- 
scheidet... Der alte Herr hatte 
offenbar viel darüber gelesen, auch 
wohl geschrieben. Auch veröffent- 
licht? „Nein, wie kommen Sie dar- 
auf?” 

Er dankte mir für den Besuch und 
trank mir zu mit einem sammet- 
schweren Burgunder... 

Ich habe ihn nicht wiedergesehen. 
Als Ich am anderen Morgen ganz 
früh mit dem Gutsauto über den 
Hof, der von welßen und roten Blü- 
ten bestreut war, durch das Tor, das 
in einem gerahmten Bild die Felder 
und den Himmel zeigte, und über 
die polternde Zugbrücke in die 
Wirklichkeit zum Bahnhof fuhr, da 
habe Ich mir überlegt: 

Gesehen, eigentlich gesehen hatte 
ich nichts, als einen leeren Wagen. 
Aber erlebt hatte ich mehr, als ich 
erzählen könnte. Erst dachte ich,-ich 
hätte gesponnen In dem versponne- 
nen Haus. Aber es hat alles seinen 
Stil: Kleine Leuto empfangen ihre 
Erinnerungen in der Dämmerung zu 
Fuß, Warum sollte einer nicht an- 
spannen lassen für etwas, das ver- 
loren oder vergangen oder ver- 
wunschen Ist, — für seine Jugend — 
oder die Grazie — oder die Vor- 
nehmhelt selber? 


Hanna Nagel) 


Die Aufgeweckte 


„Intelligent siehst du nicht aus, wenn du schläfst, Martha!“ 
„Um so besser, dumme Frauen haben Glück bei Männern!“ 


La briosa: "Non sembri mica Intelligente, Marta, quando dorm! 
“Tanto meglio; le donne stupide hanno fortuna cogli vominil,, 


467 





DAS ORAKEL VON ABONUTEICHOS 


Es bestand kein Zweifel, daß das delphische Ora- 
kel nicht nur eine höchst wunderbare, sondern 
auch eine sehr einträgliche Einrichtung seln mußte. 
Dies wollte dem Jungen Alexander von Abonu- 
telchos seinerzeit nicht mehr aus dem Kopf, denn 
er hötte die einträgliche Selte des Orakels eben- 
sogut brauchen können wie die wunderbare. War 
er doch nur ein unwichtiger Einwohner des klei- 
nen Dorfes Abonutelchos und konnte außer einem 
hübschen Gesicht und seiner angeborenen Schlau- 
heit nichts bieten, was die Aufmerksamkeit der 
schönen Rutlllia, und — was fast noch entschei- 
dender war — die Gunst ihres reichen Vaters 
des kaiserlichen Steuerinspektors, auf sich zu 
ziehen vermochte. 
Der arme Alexander dachte Tag und Nacht an 
seine geliebte Rutillia, und der Gedanke an das 
“ delphische Orakel ließ Ihn nicht mehr los. Ja, 
wenn er so einen Spruch, einen ganz kleinen 
Spruch nur, von der zukunftwissenden Pythia vor- 
weisen könnte, der dem Steuerinspektor voraus- 
sagte, daß seine schöne Tochter nur für ihn, den 
armen Alexander, von den Göttorn selbst be- 
stimmt war, Aber Delphi war welt und Alexander 
eben zu arm, um das Schicksal auf diese Welse 
beeinflussen zu können, denn die Propheten von 
Delphi waren damals bereits recht teuer geworden 
Aber mußte es schließlich ein delphisches Orakel 
sein? Alexander fand, daß man sich nicht Immer 
auf ferne Götter verlassen konnte und beschloß 
seinem Glücke selbst ein wenig nachzuhelfen. 
So setzte er sich eines Tages auf die Stufen, die 
zum Hause seiner Rutillia führten. Dort blieb eı 
nun und erzählte jedem, der es wissen wollte 
daß er von den Göttern dazu bestimmt sei, deı 
Schwiegersohn des kaiserlichen Steuerinspektors 
zu werden. Nun warte er, bis man Ihn zur Hoch- 
zelt hole. 
Ermußte lange warten. Dann wurde aber dam Steuer- 
Inspektor der ungebetene Gast vor seinen Torer 
mit den löcherlichen Reden lästig und er verwies 
Ihm den Platz mit recht unhöflichen Worten. 
Doch Alexander war darüber nicht beleidigt, und 
während er sich zum Gehen wandte, rief er dem 
kaiserlichen Beamten noch nach: „Leb wohl, 
Schwiegervater, und grüße Rutillis, meine Braut!” 
Von nun an predigte Alexander über seln Schick 
sal auf dem Markte von Abonutelchos. Aber eı 
verlieh seinen Weissagungen größeren Nach- 
druck, indem er jedesmal, wenn Rutlllis oder Ihr 
Vater aut Jen Markt kamen, In eine Verzückung 
fiel. Zu diesem Zwecke kaute er eine Wurzel vor 
Selfenkraut, so daß der Schaum aus seinem Munde 
trat, 
Und siehe da, schon fanden sich einfältige Leute, 
die seinen Worten Glauben schenkten und Ihn 
baten, um eln paar kleine Geldstücke auch Ihnen 
die Zukunft zu verraten, . 
Rusillia jedoch lachte nur und ekelte sich vor 
dem Schaum aus dem Munde Alexanders, Ihr 
Vater lachte nicht mahr, sondern erließ ein kaiser- 
liches Dekret, wonach das Wahrsagen auf dem 
Markte von Abonutelchos doppelte. Steuern 
kostete. 
Dies ärgerte Alexander, und er verschwand auf 
mehrere Tage, denn er konnte die Steuer nicht 
bezahlen. 
Nach seiner Rückkehr begab er sich zu einem 
Teich in der Nähe des Dorfes. Dort begann er 
zunächst in Stille ein großes Wunder vorzuberel- 
ten. Er bohrte In ein Gänseel oine kleine Olfnung 
und steckte durch diese elne kleine Schlange In 








> VON HANS ROLAND 


das Ei, Dann verschloß er die Offnung sorgfältig 
mit Wachs und Bleiweiß und legte das Ei an eine 
bestimmte Stelle im Telch. 

Nach diesen Vorbereitungen lief er seifenkraut- 
kauend nach Abonuteichos und rief in Verzük- 
kung die Einwohner zusammen. Es waren nicht 
wenige, die ihm neugierig an den Teich folgten. 
Und alle konnten vor Staunen beobachten, wie 
Alexander nun ein Gänseei aus dem Teich 
schöpfte, es zerbrach und die kleine Schlange 
sich um seine Finger wand. Alexander war nun 
ohne Zweitel ein großer Zauberer und damit ein 
Liebling der Götter, Von weit und breit kamen 
die Neugierigen, ihn zu sehen und seinen Ora- 
keln zu lauschen. So verdiente er bald genug” 
damit, um auf den Marktplatz zurückkehren zu 
können. 

Als der kaiserliche Steuerinspektor davon hörte, 
schickte er seine Gehilfen aus, um von Alexander 
die doppelte Steuer einzuziehen. 

Dieser zahlte Jedoch lächelnd und kam selbst zu 
ihm, um seine Werbung um Rutillis zu wieder- 
holen. Der Steuerinspektor nahm das Geld In 


Sommertage - Giorni d'estate 


os. Oberberger) 


Empfang und ließ Alexander dann hinauswerfen, 
denn seine Tochter war dem reichen Kaufmann 
Lucian versprochen. 

Alexander ließ sich nicht beirren. Er schlug am 
Marktplatz eine Bude auf, in der es ziemlich dun- 
kel war. In ihr setzte er sich auf einen Stuhl und 
nahm eine große Schlange unter den Arm. Den 
Kopf der Schlange klemmte er sich zwischen die 
Achsel. An das andere Ende der Schlange aber 
brachte er einen großen menschenähnlich bemal- 
ten Kopf aus Leinwand an, der das Maul mit 
Hilfe von feinen Pferdehaaren öffnen und schlie- 
Sen konnte, “. 

Da staunten die Einwohner von Abonuteichos 
wieder! Und sie kamen abermals von weither, um 
diesem Wundertier einen Zettel und ein Geld- 
stück Ins Maul zu werfen, worauf es dann einen 
anderen Zettel mit dem Orakel von Abonuteichos 
ausspuckte, r 

Je mehr Rutillias Vater die Steuer für das Orakel 
auch erhöhte, um so teurer wurden die Weis- 
sagungen von Alexanders Wunderschlange. Dies 
war nun wieder nicht sehr zum Vorteil dos kalser- 
lichen. Steuerinspektors, denn Rutillia gehörte 
schon längst zu den besten Kundinnen Alex- 
anders und mußte verstohlen mit ihres Vaters 
Geld die kostbaren Prophezeiungen bezahlen. 
Und wie sehr auch Alexander seiner Wunder- 
schlange zuzureden schien, sie spuckte nach wie 
vor erst den Orakelzettel aus, nachdem Ihr die 
entsprechende Gebühr Ins. Maul gesteckt war, 
Allmöhlich mußte Alexander daran denken, sol- 
nen Betrieb zu vergrößern. Er stellte sich Proto- 
kollführer und alle möglichen anderen Gehillen 
an und baute sich ein Haus, wo er In aller Be- 
quemlichkeit leben und wahrsagen konnte 

Auch die Wunderschlange wurde verfeinert und 
zur höchsten Überraschung aller mit einer eigenen 
Stimme ausgestattet. Zu diesem Zweck setzte er 
dem Leinenkopf der gutmütigen Schlange ein 
längeres Rohr aus Ineinandergosteckten Kranich- 
gurgeln ein. an dessen Ende dann ein Vertrauter 
Alexanders mit feierlicher Stimme hineinorakelte. 
Nun fand es Alexander abermals an der Zelt, 
seine Werbung um Rutlllia vorzubringen. Die 
Wunderschlange verkündete denn auch plötzlich 
der nicht ganz ahnungslosen Rutillia, daß sie In 
wenigen Tagen Alexander heiraten werde. 

Und siehe dal Der kaiserliche Steuerinspektor wagte 
nicht mehr, dem Orakel und damit einem so an- 
gesehenen Manne wie Alexander zu widarspre- 
chen. Er hatte auch keinen Grund mehr dazu, denn 
er erhielt von Alexander längst mehr Steuern als 
vom reichen Kaufmann Luclan, und das war auch 
für einen Steuerinspektor der alten Welt von ent- 
scheidender Wichtigkeit. 

Als Alexander mit seiner geliebten Rutillia end- 
lich vernelratet war, tötete er seine Wunder- 
schlange und verbrannte den Paplerkopt. Denn 
nun war nicht nur der Zwock dieses Orakels er- 
reicht, sondern er halte auch genug verdient, um 
sich zeitlebens zur Ruhe setzen zu können 

Den Einwohnern von Abonuteichos Ist damit 
allerdings Ihre Orakelstätte verloren gegangen, 
und sie mußten sich wieder so wie früher nach 
Delphi ‘wenden, um die Zukunft zu erfahren. So 
kam es auch, daß Abonutelchos Im Laufe der Ge- 
schichte In Vergessenheit geriet und von seinen 
Orakelsprüchen nur ein einziger der Nachwelt er- 
halten bileb: Nämlich der von der Heirat des 
armen Aloxanders mit der Tochter des kalser- 
lichen Steuerinspektors. 


Im magnetischen Kraftfeld 


(Fr. Bllok) 


Entro al campo dell’ attrazione magnetica 





ENTLEIN AUF DER WIESE 


VON HEINZ STEGUWEIT 


In der Sommerwiese wuschelte ein Entlein, Weiß 
und flockig gab es der Flur einen Punkt von an- 
genehmer Unruhe. Und da die Wiese beinah ufer- 
los schien, so welt ragte sie ins Gefild, so arka- 
disch schimmerte ihr Reich, sah das Entlein aus 
wie ein verlorenes, obzwär in seiner Einsamkeit 
schwelgendes Wölkchen am grünen Himmel der 
Gräser und Kräuter. 

Ich sah das Entlein, wie es naschte, hier ein Blätt- 
chen, dort ein Schlückchen; zuweilen blickte es 
sich um, als ahne es einen Störenfried, dann 
wibbelte es wieder achtern und gab zufriedenen 
Laut, 

Wenn ich ein Entlein wär'.. 
Gemach, aus den Auen holder Betrachtung sarık 
ich zurück aufs härtere Erdreich zeitgemäßer Ver- 
nunft: Ein einsames Entlein, so abseits und bar 
äller Aufsicht, sollte das seine Ordnung haben? 
Derlei ungebundene Freuden gab es heute nim- 
mer, solch ein Urlaub vom Alltag verstieß gegen 
die Regeln der Stunde. Wozu war ein Entlein auf 
der Welt? Zunächst, daß es äse, um später selber 
geäst zu werden. Welch ein Beruf. Was für ein 
Leben, Lebenswert allein für uns, nicht für den 
weißen Vogel im arkadischen Gefild der Blumen 
und Kräuter, 

Noch immer naschte das Entlein, hier ein Blätt- 
chen, dort ein Schlückchen. Zuweilen blickte es 
sich um, als ahne es einen Störenfried... 

Ich war es. Und während ich zweifeln mochte, 





wessen Schicksal mich dringlicher zu kümmern 
habe, das des heiteren Geflügels oder jenes der 
harrenden Menschen, obsiegte in mir der humane 
Anstand über das poetische Gefühl. So ward das 
Idyli zur dramatischen Handlung, des Vogels Sorg- 
losigkeit mußte ich beheben: Gutes Entlein, vom 
Himmel bist du nicht und keineswegs gefallen, 
wem also liefest du davon? 

Ich haschte das Tier und fing es endlich, mochte 
es noch so flattern und lamentieren. Dann, das 
Entlein unterm Arm wie Hans im Glück mit der 
Gans, pilgerte ich dem nahen Gutshof zu, dünkte 
mich sehr pflichtgetreu: „Herr Nachbar, ich bringe 
Euch einen Ausreißerl 

Der Gutsherr schaute, zog die Augen schmal: 
„Nee, Ei was. Is meine Ente nich.“ 

„Ihr wohnt am nächsten bei der weiten Wiese, 
Herr Nachbar.” 

„Sei’s schon. Was mir nicht angehört, wie dürfte 
es mein eigen sein. Also bin ich ehrlich.” 

Ich mußte weiter mit meinem Fund, vielleicht 
wurde er jenseits des Waldes vermißt, wo der 
Müller seinen Weiher hatte und das hurtige Rad: 
„Herr Müller, ich bringe Euch einen Ausreißer|” 
Der Müller grüßte artig, zählte seine Tiere nach, 
die dort im Teich sich tummelten, bald nach 
Pflanzen gründelnd, bald nach Insekten, — Köpf- 
chen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh': 
„Nein, tut mir leid, is meine Ente nich.” 

„Wem soll sie anders sein, Herr Müller?” 


469 


„Mich kümmert's wenig. Und wenn sie keinem 
angehört, meine Ente ist das nicht. Also bin ich 
ehrlich.“ 

So versuchte ich's noch oft, Die Bauern rundum 
nahmen’s streng mit der Reslichkelt; was keiner 
besaß, wollte auch niemand behalten. Ich aber 
mußte zurück auf die Wiese, die beinah uferlos 
schien, so welt ragte sle Ins Geflld, so arkadisch 
schimmerte ihr Reich, Ein langer, ein mühsamer 
Weg, die Füße glommen und der Vogel jappte 
unterm Arm. 

Als ein Bursch vorüberkam, ein dreister Kerl, er 
schritt am Stecken und kaute sauren Ampfer ge- 
gen den Durst, Ich fragte: „Wißt Ihr, wem das 
verlorene Entlein fehlt —?” 

Er hielt lachend inne: „Wie sollte ich das ahnen? 
Gott ist mein Wirt und Mutter Grün macht mir das 
Bett.” E 

„So helft mir doch. Weil das Entlein keinem an- 
gehört, will es auch niemand haben!” 

Der Fremde schöpfte Luft: „Das ist etwas anderes. 
Ich sage Euch: Was keiner besitzt und was auch 
niemand haben will, das gehört am Ende mir 
allein. Also bin ich ehrlich.“ 

Hölte mir den Vogel aus dem Arm, tat einen 
drohenden Blick, jagte mich davon und machte 
„schon Feuer für den ambrosischan Braten. 

Spät nachmittags kam ich heim und meine Mutter 
klagte: „Ich hatte ein Entchen besorgt, über Nacht 
ist es entlaufen.“ 

Was blieb mir übrig? Nur eine Prise Philosophie, 
und die macht wenig rund. Nicht der Ehrliche ist 
der Dumme, vielmehr jener, der allzuviel fragt. 
Hernach guckt er In die Röhre, 'in der sein eigner 
Vogel brutzelt, unwiederbringlich und dahin, 





Im USA.-Hühnerhof 


(0. Gulbransson)” 


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„Was haben Sie denn da für eine Mißgeburt?"' 


„Tja, da haben sie mir das Ei einer Zeitungsente untergelegt!“ 


Nel pollaio statunitense: “Che sorta d’aborto avete mal qui 1. — "Eh glä „.. m'hanno fatto covare l'uovo d'un ‘canard,!,, 


470 


ANDERSEN. SPUKT 


VON KURT GROOS 


Am zweiten Weihnachtstag starb Kapitän Ander- 
sen. Er mußte sich einige Tage an das Totsein 
gewöhnen, was ihm aber bei seiner Gabe, sich 
in alle möglichen Situationen einzufinden, schnell 
gelang. So konnte er schon kurz vor der Jahres- 
wende den Entschluß fassen, zu Neujahr zu 
spuken. 

Andersens Geist tat sich mit Gleichgesinnten — 
es waren auch einige recht erfahrene Spuker 
darunter — zusammen. Man beschloß, das Sil- 
vesterfest bei Markus Hillersen mitzumachen, 
Hillersens Gasthaus lag etwas außerhalb Kopen- 
hagen; zu Neujahr versammelte sich dort stets 


ein verteufelt ausgelassenes Volk, tolle Mädchen 


vor allem. 

Andersen traf kurz vor Mitternacht ein. Vorher 
hatte er sich noch etwas in einem Warenhaus 
herumgetrieben; dort hatte sich sein Astralleib in 
dem Gestänge eines Paternosters verfangen. Das 
machte ihn für den Abend etwas befangen, denn 
von den menschlichen Komplexen her war er 
noch ein wenig ängstlich in solchen Dingen und 
mußte die eigene Substanz ziemlich mühsam zu- 
sammenklauben, obgleich die erfahrenen Spuker 
über solche Umständlichkeiten nur lachten. 
Andersen trennte sich von den geschliffenen älte- 
ren Geistern, die gleich in die Bierleitungen 
fuhren; er setzte sich zwischen die Weingläser 
von Fräulein Helge Torsten und deren jüngerer 
Schwester. 

„Dieser alte Sünder hat Ja nun auch ins Gras ge- 
bissen”, sagte Fräulein Torsten. „Ach”‘, antwortete 
Ihre Schwester, „du meinst wohl Andersen, die- 
sen verrückten, ewig besoffenen Kapitän, der sich 
immer einbildete, bei allen hübschen Mädchen 
zwischen 18 und 22 so große Chancen zu haben!” 
„Ja, diesen armen Irren meine ich, Gott sei seiner 
Schnapsseele gnädig”, sagte das ältere Fräulein 
Torsten, das 19 Jahre zählte, 

„Seine Frau soll sich ja schon mit dem An- 
streicher Olafsen trösten”, zwitscherte die jüngere 
Torsten, die beinahe noch hübscher war als Fräu- 
lein Helge. 

Andersens Astralleib schäumte vor Wut; er gab 
sich Auftrieb und verließ spornstreichs Hillersens 
Gasthaus, um sich zu seiner einstIgen Wohnung 
zu begeben. Dort saß seine Witwe, tiefschwarz 
umhüllt, und tatsächlich saß auch der Anstreicher 
Olafsen dabei; sie tranken dünnen Punsch, 
„Jetzt erst merke ich, was ich an ihm verloren 
habe”, sagte die Witwe Andersen, die sich ihr 
ganzes Leben mit dem Kapitän herumgezankt und 
ihm das Leben nach jeder Seereise zur Hölle ge- 
macht hatte, „ich glaube, daß ihn mir kein Mensch 
je ersetzen kann.” 

„Wirklich, keiner?" fragte Olafsen und sah die 
Witwe aus seinen verschwommenen Augen zärt- 
lich an. „Olafsen, Olafsen, du bist ein Arger”, 
drohte die Witwe Andersen und biß sich vor 
lauter Neckerei in den kleinen Finger der linken 
Hand. 

Andersen wollte vor Wut platzen, besann sich 
dann aber darauf, daß das wieder Schwierig- 
keiten mit dem Zusammenklauben der Substanz 
machen würde; statt dessen kniff er den An- 
streicher Olafsen Ins Ohr. Natürlich kniff er ihn 
nicht nach menschlichen Maßstäben, er zwickte 
ihn gewissermaßen seelisch, so daß Olafsen auf 
einmal das Gewäsch der Witwe Andersen leid 
wurde, aufstand, und dem irrealen Ohrzupfen 
folgte, 

Andersen zerrte den Anstreicher bis zu Hillersens 
Gasthaus, bis zu dem Tisch, an dem die Ge- 
schwister Torsten saßen. Es war eine teuflische 
Lust in ihm, Verwirrung zu stiften. Der Anstreicher 
sollte genau wie er auf die albernen Gänse 
hereinfallen, und er tat es auch. Er bestellt über 
seine Verhältnisse Getränke und gab gewaltig 
an, und die beiden Torstens benahmen sich so, 
als ob ihnen Olafsen ausnehmend gefiele. Ander- 
sen kannte ja diese Schlangen, die selbst noch 
die Toten schlecht machten; sollte auch Olafsen 
mal gründlich reinfallen! 


Während der Anstreicher mit den Torstens welter- 
schökerte, fühlte Andersen langsam, daß er als 
Neuling über seine Verhältnisse gespukt hatte, 
er zog sich zurück und schlief ein, das heißt, er 
löste sich auf. 

Am übernächsten Tag spukte Andersen welter. 
Dieses Mal besuchte er eine Druckerei und ließ 
sich mit einer gewissen Wollust immer und immer 
wieder durch die Walzen einer Druckpresse glel- 
ten. Das erinnerte ihn stark an das Karussell- 
fahren aus der Kinderzeit; er war stets für sein 
Leben gem Karussell gefahren. ‚Man druckte ge- 
rade Rechnungen für eine Krankenkasse, harmlose 
Sachen, Aber Andersen schauerte zusammen, als 
die nächste Drucksache eingelegt wurde; es lief 
eine Bütten-Familienkarte durch, ungefähr 150 Kar- 
ten rollten durch die Presse und auf jeder Karte 
stand „Helge Torsten und Knut Olafsen empfehlen 
sich als Verlobte”. 


Da hatte Andersen ja was schönes angerichtet; 
diese herrliche Torsten und der widerliche An- 
streicher Olafsen! Es erfaßte ihn wiederum eine 
tolle Wut, er stürzte sich auf das vor der Maschine 
sich auftürmende Kartenpaket, er wollte es zer- 
reißen und in alle Winde schleudern — aber er 
mußte erkennen, daß da nichts zu machen war, 
denn schließlich sind auch den Geistern gewisse 
Grenzen gesetzt, . 
Andersen zog tiefbekümmert ab und erfahrene 
Spuker, mit denen er sich später über den gan- 
zen Fall unterhielt, rieten ihm, mal ein ganzes 
Jahr Enthaltsamkeit im Spuken zu üben, damit er 


“ mit seinen Nerven wieder in Form komme. 


Andersen folgte dem Rat dieser Erfahrenen und 
unterließ für zwölf Monate die ganze Spukerel, 
Dann aber, wiederum zu Neujahr, trieb es Ihn er- 
neut zu Hillersens Gasthaus, Es wurde ein herr- 
licher, genußteicher Abend für ihn. Fräulein Tor- 
sten hatte sich von dem Anstreicher Olafsen ent- 
lobt und man feierte gerade das Hochzeitsfest 
Olafsens mit der Witwe Andersen. In seinem 
ganzen Leben hatte sich Andersen noch nicht so 
köstlich amüsiert! 


DER SOMBRERO 


VON HEINZ SCHARPF 


Senhor Rodriguez Pesado, ein reicher kreolischer 
Viehzüchter, saß in Onkel Periquillos Barcafe. 
Seinen Sombrero hatte er aufgehängt, es war 
mörderisch heiß, wie es nur in El Oro heiß sein 
kann. 

Rodriguez Pesado trank einen Pulque, jenen ver- 
gorenen Saft der Maguey-Agave, der eingekühlt 
wie Sekt durch die Gurgel fließt und leicht be- 
rauschend wirkt. Plötzlich sah er, wie ein Mestize 
seinen, Senhor Pesados, Sombrero vom Haken 
nahm und sich mit ihm entfernen wollte. Früher 
hätte man einen solchen Burschen über die Köpfe 
der Gäste hinweg einfach mit dem Lasso zurück- 
geholt, aber diese goldenen Zeiten werden nur 
mehr in Liedern besungen. Senhor Rodriguez Pe- 
Hut tatsächlich nicht sein, Pesados, Sombrero war, 
nach und vertrat ihm unter der Tür den Weg. 
Höflich und ohne jede drohende Haltung sagte er 
zu ihm: „Maldito, verdammter Gringo, wohin willst 
du mit meinem Sombrero?“ 

Anstatt nun sofort den Sombrero abzunehmen, ihn 
ohne einen Laut Senhor Pesado auszuliefern und 
rasch zu verduften, wurde der Mestize frech und 
verneigte sich mit den Worten: „No perdon, Sen- 
hor, das ist mein Sombrerol” 

Rodriguez Pesado zog die buschigen Augen- 
brauen hoch, ließ sich aber nicht aus der Ruhe 
bringen, er sprach nur um eine Nuance betonter: 
„Du dreifach gesottener Höllenhund, du gelber 
Mistkäfer, gib sofort meinen Sombrero her, oder 
ich schieße ihn dir vom Kopf, daß dir der Kürbis 
raucht.“ 

„Santa Marla“, duckte sich der Mestize noch ver- 
schlagener, „por Dios, Senhor, das ist mein Som- 
brerol” 

Der Viehzüchter blieb noch immer höflich, griff 
nur bestimmt nach dem Sombrero und wollte Ihn 
dem andern vom Kopf ziehen. „Du verfluchtes 
Stinktier“, murmelte er dabei, „du verwegener 
Strauchritter, 'ncht gehörst du wie dein Vater 
und Vatersvater, 
Kaum jedoch hatte er dies gemurmelt, vergaß sich 
der Mestize so weit, daß er ihn anschrie: „Bei allen 
Heiligen, Senhor, so wahr ich Gonzales Contreras 
heiße, hier liegt ein Irrtum vor.“ 

Der reiche Pesado hielt sich noch immer im Zaum, 
obwohl seine Stirnadern bedenklich anschwollen. 
„So wahr Ich Rodriguez Pesado heiße“, gab er 
herablassend zurück, „wenn du jetzt nicht sofort 
meinen Sombrero dorthin hängst, von wo du ihn 
genommen hast, werden deine Waisgn deinen 
Kadaver dort abschneiden können." 

Gonzales Contreras aber behielt sein heraus- 
forderndes Benehmen bei und behauptete weiter- 
hin stur, das wäre sein Sombrero, 

So ging das noch eine Weile hin und her. Erst 











als der Mestize an der Bar mit Essig abgerieben 
wurde, sah Rodriguez Pesado, daß der strittige 
Hut tatsächlich nicht sein, Pesados Sombrero war, 
sondern der lag, vom Haken herabgefallen, auf 
dem Boden. 

Jetzt aber verlor der Senhor die langbewahrte 
Ruhe, eine blinde Wut erfaßte Ihn. Und wie der 
Mestize sein unverletztes Auge öffnete, schleu- 
derte er ihm den Sombrero mit den Worten ins 
Gesicht: „Da hast du deinen dreckigen Sombrero, 
du Malefizgringo, der Teufel hole dich samt deiner 
Großmutter.” Und zum Wirt Periquillo gewendet 
schrie er: „Diese Verbrecherkneipe sieht mich im 
Leben nicht wieder. Adios!“ 

Damit begab er sich zur Tür hinaus, jeder Zoll ein 
Grande. 

Periquillo bemühte sich um den übel zugerichteten 
Mestizen, den er als Gast nicht verlieren wollte, 
und schwur ihm zu, Senhor Pesado müsse sich bei 
ihm entschuldigen, sonst dürfe dieser Büffel von 
einem kreolischen Viehzüchter sein Lokal nie mehr 
betreten. 

Rodriguez Pesado aber, an dessen Kundschaft ihm 
noch mehr lag, suchte er gleich anderntags auf 
und bat ihn unter tiefen Bücklingen: „Senhor, Ich 
wäre dafür, daß man den bedauerlichen Vorfall 
von. gestern mit einer Entschuldigung aus der Welt 
schaffen würde.” 

„Einverstanden”, sagte Senhor Pesado großmütig, 
„der Gringo möge sich also nächstens in aller 
Form bei mir entschuldigen.” 











LIEBER SIMPLICISSIMUS 
En 


(0. Nückei) 





Im Krankensaal erklingt der erste Satz der „Un- 

vollendeten” aus dem Lautsprecher. Wieder ein- 

mal läßt der Zauber dieser Musik alle Schmerzen 

vergessen. Da ertönt aus dem Nebenzimmer eine 

Stimme voller Pathos und Überzeugung: 

„Das ist Schubert! — Schubert ist dasI — Ist das 

nicht schöner, als so ein — Philharmonisches Or- 

chester?l" 

Und in den letzten Worten lag viel Verachtung. 
H. Sch. 





Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditges 


Verantworti, Schriftl 
anstalten entgege: 











ischaft, München, Sendlingor Straße 80 (Fernruf 12%). Brie 
1; Water Foltzick, Mönchen, — Der Simplichsimus erscheint wöchenilich einmal 


Bestellungen nehmen alle Buchhandlun 
ezugspreise: Einzolnummer 50 Pf.; Abonnemen! im Monat RM. 1,20. — Unvetlangte Einsendungen werden nur zurückg 


nschrift 





München 2 BZ, Brieffach. 


Zoitungsgoschäfte und Post- 
indt, wenn Porto beiliogl. — 








Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München. 


Das Goldene Kalb 


(Erich Schilling) 


EF® Br 


„Komm nur, hab! keine Angst, ich schlachte dich ja nicht gleich, ich will dich erst noch vor meinen Kriegswagen spannen!" 


I vitello d’oro: "Vieni vieni, non äver paura! lo non ti macello subito, sai; prima voglio ancora attaccarti al mio carro di guerral,, 


472 





VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


USA.-Kommission in England 


„Es Ist rührend, wle sich die lieben Tierchen um mich und meln Haus kümmern!" 





Commissari statunitensi in Inghilterra: *E commovente Il vedere quanto questl carl anlmaluccl sl curino di me e della mla casal,, 


Dorfstraße in Oberbayern - Strada di villaggio nell’ Alta Baviera 


(Toni Bicht Im Felde) 





DIE HAUT 


Ich kenne das, und Sie werden es auch kennen, 
nämlich das mit der Haut auf der Milch. Wir 
nen diese Haut seit Kindheitstagen, Wenn Sie so 
einer sind wie ich, so hat Ihnen Immer vor der 
Milchhaut gegraust. Jetzt natürlich fischen wir die 
Haut behutsam heraus oder lassen die Milch 
durchseihen, aber damals war sicher Jemand da, 





HERBSTLICHE EROTIK 


Ich geh’ an einem ftillen Gartenzaun 
gemach vorbei, 

da zwingt mich plötlich etwas, aufzufchau'n, 
was hier wohl fel. 


Was feh’ ich? Einen filberglänzenden, 

das Parktableau 

aufs wahrhaft glücklichfte ergänzenden 

- pardon - Popo. 

Der Nachbar ift’s, in Sonntagshofenpracht 
und tief gebücht ... 

Wozu er fich wohl diefe Mühe macht? 

Nun ja, er pflücht... 

Er pflückt des Sommers letste Rofe, traun, 
und reicht fie - wen? 

Der Dame hinterm nächften Gartenzaun. 
«..Ift eu an dem? 

Scheu linft er, ob’s die Gattin nicht bemerkt. 
Die paßt, gottlob. 

Ich aber drück’ mich, innerlich geftärkt, 

und tu’, ale ob... Ratatöshr 


der hat so was Ähnliches gesagt wie: „Aber Kind, 
das Ist Ja das Beste”, Womöglich hat auch Sie Je- 
mand gezwungen, dieses Beste herunterzuschluk- 
ken. Später hat man Sie allerdings nicht so sehr 
gezwungen, Bestes herunterzuschlucken. Wenig- 
stens mit den Austern und dem roten Bordeaux 
und den Hummern ist einem das nie passiert, ob- 
wohl so etwas doch auch ganz gut ist. Aber die 
Haut auf der Milch gehört zur Erziehung, und die 
muß herunter. 

Ich weiß, Ich weiß, es gibt auch Erwachsene, die 
schlecken sich alle zehn Finger nach so einem 
Hautgeschlader, und sie sprechen wonniglich, es 
stecke die ganze Kraft drinnen, und es sei die 
reine Sahne. Und das schlürfen sie mit Genuß. Mir 
graust dabei auch heute noch. Manche sagen auch 
etwas Chemisches, das sei eine Eiweißemul- 
sion. Also ich muß schon sagen, dann graust mir 
auch vor Eiweißemulsion, und die Haut schmeckt 
mir dadurch nicht besser. 


Ist Ihnen damals nicht auch so etwas gesagt wor- 
den, wenn Sie vor der Haut zurückschauderten: 
„Manches arme Kind würde sich freuen, so etwas 
Gutes zu bekommen!” Nun, mir ist es vorgehalten 
worden und ebenso bei den gelben Rüben und 
‚dem Spinat, den Ich auch nicht mochte, wie fast 
alle Kinder (heute hat sich mein Geschmack darin 
übrigens geändert). Ich muß bekennen, daß ich 
‚damals unsozlal gedacht habe, und daß dies arme 
Kind mir sehr unsympathisch war, das ausge- 
rechnet für so unangenehm schmeckende Dinge 
schwärmte, und sich sogar über Milchhaut freute. 
‘Wenn ich ganz ehrlich war, so konnte Ich mir die- 
ses Kind überhaupt/nicht vorstellen, und ich hielt 
die ganze Geschichte für einen Schwindel, den 
die Erwachsenen uns vormachten. Aber dieses 
Kind mag Ich heute noch nicht, und, wenn mir mal 
jetzt so ein recht unangenehmer und zuwiderer 
Lausbub begegnet, so denke ich immer, das ist ge- 
wiß einer, der Milchhaut mag. Foltzick 





ALLER ANFANG IST SCHWER 


Aage Frederiksen aus Kopenhagen war fünfzehn 
Jahre alt, als er zu einem Elektriker in die Lehre 
kam. Schon am nächsten Tag nahm ihn sein 
Meister zu einer Reparatur mit, die in einer Villa 
in Klampenborg ausgeführt werden sollte. Man 
hatte telephoniert, daß das Licht im Keller nicht 
in Ordnung sei. 

Nach einem kurzen Überblick über die Situation 
ging der Meister Ins Treppenhaus, wo der Zähler 
mit den verschiedenen Sicherungen war, um her- 
auszufinden, was mit dem Licht eigentlich los 
war. Der neugebackene Lehrling sollte unten im 
Keller bleiben und aufpassen, wenn es wieder 
hell wurde. Nun entwickelte sich folgende Rede 


474 


und Gegenrede: Der Meister drehte an den ver- 
schiedenen Sicherungen und wechselte eine aus, 
dann rief er: „Brennt das Licht?” 

Der Lehrling antwortete: „Nein!” 

Wieder wechselte der Meister ein paar Siche- 
rungen aus, schraubte hier und bastelte da, danı 

tief er wieder: - 

„Brennt das Licht nun?“ 

Wieder antwortete der Lehrling: „Nein!“ 

Plötzlich fragte der Meister: „Ist denn eine Birne 
drin?“ 

Lehrling Aage brüllte zurück: „Nein!” 

Zum größten Erstaunen aller lebt der Lehrling 
heute noch... 


Wallstreet am Grabe Wilsons A 





odrowWilson 


Bom 1856 





Deatil9% 





„und werden wir ihm nie vergessen, daß wir Ihm unsere heutigen, großen Geschäfte zu verdanken haben!" 


Wallstreet alla tomba di Wilson: “.... e nol glammal dimenticheremo che dobblamo a lul I nostri grand affari d’ oggi!" 


475 





0. Gulbransson) 


Tauschgeschäfte 






































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OLar GAvursraAnssen a 





„San ja ganz schön, die zwoa Ochs’n, aber a Gans kann | Eahna net geb'n dafür, höchstens a Supp'nhennal'* 


Affari di baratto: "Questi due buol sono davvero bellissiml, ma In ricamblo lo non posso darvl un’ oca, tutto al plü una gallina da brodo!,, 


176 


MEERMÄRCHEN 


VON SCHLEHDORN 


„Jetzt erzähle ich dir das Märchen vom versunke- 
nen BGB”, sagte Regierungsrat Julius zu Frau 
Dorette; 

Eines Tages versank ein Bürgerliches Gesetzbuch 
im ‚Meer. Ein Referendar, der an der Reeling 
lehnte, zeitlich nahe vor dem Assessorexamen und 
räumlich nahe neben einer bıldhübschen jungen 
Dame, hatte über der letzteren das erstere ver- 
gessen, und, während er das Buch über das Meer 
hielt, Jenes in dieses fallen lassen. Aber die bei- 
den an der Reeling Interessierten sich nicht welter 
für die sachenrechtlichen Auswirkungen des Ver- 
lustes. 

Auf dem Meeresgrund saß die Nixe Wellerika und 
träumte von dem Fischer Thom, dem ungetreuen. 
Sie war so schön, daß die Steinbutte und Schol- 
len ringsum ganz platt vor Staunen waren. Als sie 
das Buch fallen sah, hob sie die weißen Arme und 
fing es auf und begann darin zu lesen — sie hatte 
ja sonst keine Lektüre. 

Neben ihr spielte Welleduardchen, ihr dreijähriges 
Nixenkind, das noch recht kaulquäpplich unge- 
schickt mit seinem Schuppenschwänzchen zap- 
pelte, Er ließ einen Hering sich zusammenrollen 
und klatschte in die kleinen, flossigen ‚Hände: 
„Mutti, ein Rollmops.’ Oder er setzte sich auf den 
Goldbarsch und ritt Jauchzend durch die Wellen. 
Und glich trotz seiner grünen Haare dem Fischer 
Thom, dem ungetreuen. 

Die Nixe aber las im BGB. von den geringen 
Rechten der verlassenen Braut, von den Ansprü- 
chen der Kinder, deren Vater — nicht da ist (du 
verstehst schon, Dorette) und über die Vormund- 
schaft viel aufmerksamer, als Ihr Vorbesitzer, der 
Referendar, es je getan. 

Und die Wellen sangen 'hr immer gleiches, stets 
bewegtes Lied von der Ewigkelt... 


* 


Nicht lange danach stieg ein Junger Herr im 
Badeanzug am Strand umher. An dem war alles 
neu: der Badeanzug und die blaue Schirmmütze, 
die Bezeichnung Assessor und die schlanke Frau, 
die lächelnd Im Strandkorb eingeschlafen war. Er 
sah durch se'n Fernglas prüfend über die See und 
zurück zum Strandkorb, ob seine Frau noch nicht 
aufgewacht und noch nicht abhanden gekommen 
sel. 

Da teilte sich die Flut vor ihm. Ein wunderschönes, 
welbliches Wesen stieg herauf und die Wellen 
bildeten ihr ein reizvolles Dekollet® von schäu- 
menden Spitzen. 

„Ahol, Sie!‘ rlef die Nixe. 

„Nanu?“ sagte der Assessor. 

„Sie sind doch Jurist. Ich sehe das am Typ. Dart 
ich Sie mal was fragen? Ich bin nämlich eine Nixe 
und deshalb nicht so Informiert.” 

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, Nixen gibt es doch 
nicht.” 

„Ist es höflich, einer Dame zu sagen, sie existiere 
nicht?” 

„Sie sind doch die Verkörperung des Wassers, 
das sagt uns die Vernunft.” 

„Seien Sie vorsichtig, Herr Assessor. Später, wenn 
die Maschinen selbständig am Strand spazieren- 
gehen und sich durch Lüften ihrer 4 oder 6 Zy- 
linder begrüßen, werden sie von euch Menschen 
sagen: die sind nur die Verkörperung der Ver- 
nunft gewesen, die existieren nicht.” 

Und dann brachte sie das BGB. — du ahnst schon, 
Dorette, es war eben seins, denn die Welt Ist 
klein, nur das Meer darin ist weit. Sie wollte es 
ihm zurückgeben, — „danke schön”, sagte Ich 
bin inzwischen zur Verwaltung gegangen. 
„Du ahnst auch, was sie ihm dann erzählte." 
„Natürlich, von Thom, dem ungetreuen und von 
Welleduardchen.” 

Ja — und das Meer wurde noch mehr von ihren 
Tränen, und auch dem Assessor wurde ganz vor- 
ehelich weich zumut, und er war froh, so Jung und 
fest verheiratet zu sein. 





„Aber, wandte er ein, „da ist doch besagter 
Thom eigentlich seiner Ehefrau Wiebke untreu ge- 
worden...” 
„Aber mir auch“, sagte sie sehr weiblich. „Wie 
vielen Frauen kann so ein Mann untreu sein. Und 
nur einer kann er treu sein. Und das kann er eben 
auch nicht. Die Treue Ist wohl schlecht wegge- 
kommen bei der Schöpfung.” 
„Also, da möchten Sie den ungetreuen Thom zum 
Vormund für den kleinen Welleduard bestellt 
haben, um ihn ab und zu zu sehen. Da fragen Sie 
zweckmäßigerweise beim Amtsgericht nach.” 
„Gut, sagte die Nixe, „jeden Tag darf ich zwei 
Stunden lang auf Füßen gehen, wie ein Mensch. 
Sonst“, sie schlug mit ihren silberglänzenden 
Schuppen das Wasser, „lebe Ich hier.” 
„Ach", staunte der Assessor, 
„Ja, genau wie ihr Menschen zwei Stunden ins 
Theater oder Kino geht und wie Gölter oder Hel- 
den empfindet, und nachher seid ihr wieder All- 
1ag. — Ich werde also morgen den Amisrichter 
tragen.” 
Sie dankte, lächelte unergründlich und versank. 
Der Assessor hat erleichtert aufgeatmet, als er 
vom Strandkorb her auf zwei beständigen, Üübri- 
gens sehr hübschen Beinen seine Junge Frau kom- 
men sah. 

* 
Eine von den zwei Stunden mußte die Nixe auf 
‚dem Amtsgericht warten (es waren noch andere 
Termine) und dann Iragte der alte Amtsgerichts- 
rat Petersen, wie sie mit Familiennamen hieße, 
Sie wußte es nicht. Auch ein Alter hatte sie nicht, 
und ihre Wohnungsangabe war so ungenau, daß 
Zustellungen nur durch Niederlegung von Schrift- 
stücken am Strande möglich erschienen. Dann er- 
zählte sie ihr Herzeleid und er bedachte die 
Rechtsfragen, und mußte sich wiederholentlich 
schneuzen, denn alte Juristen können ebenso- 
wenig wie junge eine schöne Frau weinen sehen. 
„Na, der Thom hötte Sie gewiß auf die Dauer doch 
nicht begriffen“, wollte er sie trösten. 
„Entschuldigen Sie, ist Irgendeine Ehe noch er- 
freulich, wenn man sich ganz begreift? Was Ihr 
an einer Frau liebt, Ist doch im Grunde die Nixe 
in Ihr.“ 
Amtsgerichtsrat Petersen war ein praktischer Ju- 
tist und versprach, sich den Thom kommen zu 
lassen. 
Traurig und dankbar wollte ihm die Nixe etwas 
schenken: „Hier nehmen Sie eine Muschel voll 
Perlmutter. Sehen Sie, wie die Perlmutter glatı 
und farbenreich ist. Aber wer ist denn der Perl- 
vater? Meist ein zudringliches, häßliches Staub- 
korn. Und als Kind dieser Mesalliance entsteht 
dann, well sie so reich an Farben ist, und weil er 
oinfach da war, — die Perle. Doch seltsamerweise 


Ländliche Sommernacht 


Das Feld weht Ruch von reifem Brot. 
die Roggenähren wispern leis, 

des Mondes Antlitz, feist und weiss, 
yrinst höhnisch über Glück und Not. 


Im Bauernhofe dampft der Dung. 
ein Stier trompetet irgendwo. 

die Jungmagd sucht sich einen Floh. 
mißschtend die Verdunkelung. 


Dieweil schleicht sich zu blut'gem Mahl 
der Iltis durch die Scheunentür: 
am Grabenrand der Grenadier 


umarmt sein Mädchen noch einmal. 


Der Holzknecht träumt von seiner Fuhr- 
wälzt sich im Stroh. schläft wieder ein 
und jede Stunde silberfein 

schlägt fern im Dorf die Kirchenuhr. 


Willibald Omansen 


477 


i resgrundbuch usw.” 


ziehen die Menschen die Perle der Perlmutter vor. 
— Aber jetzt muß ich ellen, solange ich noch 


be” 
Beine habe. * 


Thom wurde aufs Amitsgericht bestellt. Frau 
Wiebke, die stattliche blonde Tochter des Fisch- 
meisters, schaute mißtraulsch auf die Ladung: 
„Na, geh man. Hast du woll was Unerlaubtes an- 
gestellt oder gar so was Uneheliches, Thom?" 
„Nee'‘, sagte Thom. Es war ein schwüler Tag. 
Als er am Strande vorüberging, klang eine Stimme 
aus den Wellen: „Komm, Thom!’, eine glocken- 
schöne Stimme. Und dann kam ein Unwetter auf, 
aber im Seemannsdeutsch, so daß Landratten es 
gar nicht kaplerien: die Boote am Strand schlank- 
ten gegen Lee auf, und die eingeklimmten Dwan- 
ken grabbten querbacks und so... 
Thom dachte an jenen Abend vor vier Jahren... 
„Komm, Thom”, hatte es aus dem glitzernden 
Wasser gelockt... „Wat soll ich mit sone süßen, 
glibbrigen Gefühle, die wie Seetang und Quallen 
sind“, sagte er sich und beschieunigte seinen 
Schritt. Wieöke hatte nichts davon erfahren. Es 
war wohl gut, daß er bel ihr In festen Händen war. 
Auf dem Amtsgericht bat er, von seiner Bestel- 
lung als Vormund abzusehen: „Meine Frau sagt, 
Nixen gibt es nicht Da darf ich sie nicht ent 
täuschen.” 
Die Bestellung eines Vormundes über das Nixen- 
kind erschien überhaupt aus allgemeinen Rechts- 
und besonderen Zuständigkeitserwägungen un- 
tunlich. 

* 
Die Jahre gingen. 
Eines Tages sah Wiebke ihren Thom mit prüfenden 
Augen an, die vom vielen Hinausschauen Über das 
Meer von tausend kleinen Fältchen umgeben wa- 
ren: „Na, Thom, nu sag schon dem Herrn Pasting, 
daß wir zwei in diesen fünfundzwanzig Jahren 
unserer Eha glücklich gewesen sind.” 
„Komm, Thom“ klang es draußen im Nebel. — Er 
nickte: „Ja, glücklich.” 
„Gerade um diese Zelt war auch der Vizepräsident 
aus K. mit seiner repräsentativen Gemahlin und 
den Kindern zur Sommerfrische da,” — „Ach, der 
Assessor von damals?” — „Natürlich, Dorette. Und 
der erzählte am Strand, wie er damals die Nixa 
getroffen... Aber seine Frau unterbrach ihn ‚Laß 
das, Hans-Heinrich, die Kinder!! — 
Und wieder nach Jahren strich sich Wiebke eines 
Tags die weißen Haare aus der harten Greisen- 
stir: „Na, Thom, nu sag dem Herrn Pastor schon 
für seine Rede, daß du mir in den fünfzig Jahren 
niemals untreu gewesen bist,” 
„Komm Thom“ ging es ihm ganz leise durch den 
Sinn. „Einmal“, bekannte er. 
„Dj8", meinte sie sachlich, „das könnte uns heuts 
auch nichts mehr nützen.” 
Am Tage darauf ist Thom, weil er doch schon bei 
Jahren und ein bißchen unsicher auf den Beinen 
war, als er so am Strand ging, ertrunken,... 
„Die Nixe hat Ihn geholt”, flüsterten die Leute. 
Die alte Wiebke aber verbot ihren Enkeln, so 
dummes Zeugs zu reden, „Nixen gibt es nicht.“ 
Auch der Präsident a. D.. der mit seiner Frau, einer 
gütigen, alten Dame, den Spätsommer hier v. 
brachte, meinte: „Gewiß nicht, denn wenn es 
welche gäbe, gäbe es auch eine Organisation 
derselben und eine Allgemeine Nixenordnung und 
eine Verwaltung auf dem Meeresgrund, ein Mee- 





.s 


„Und das Bürgerliche Gesetzbuch?” fragte Frau 
Dorette, 

„Richtig, das BGB. Das hat die Nixe vorsorglich In 
einen alten versunkenen Schitfskoffer verschlos- 
sen, damit Thom, wenn er endlich käme, nicht an- 
finge, nach Ehehindernissen und dergleichen zu 
blättern. 

Aber traurig: die Nixe war Jung geblieben, wie 
die Wellen. Er aber war, als er endlich kam, nicht 
mehr der alte Thom. Er wa: eben der alte 


Thom. — Keln happy end, Aus. 


Meintest du etwas, Dorette?” 
Frau Dorette summte leise ver sich hin: 
Thom...” 


„Komm 


DIE SCHWEINE DES HERRN LADISLAUS RAB 


Die Anwesen des Herrn Ladislaus Rab lagen an 
der Grenze des Dorfes Nadudvar. Er besaß eine 
recht ansehnliche Herde von Schweinen und rech- 
nete auf einen ausgiebigen Gewinn. Doch die 
Dürre machte ihm einen Strich durch die Rech- 
nung. Die Glut der Sonne brannte die Vegetation 
bis zur Wurzel aus, und sog das Wasser aus den 
Teichen, Bächlein und kühlen Brunnen. 

Er rief den rechnungsführenden Hirten zu sich, 
„Na, Onkel Jossi, wie werden wir Im nächsten 
Sommer mit dem Speck stehen?” 

Josef drückte den knisternden Tabak in der Pfeife 
mitseinem schwiellgen Daumennieder und lächelte: 
„Speck? Schweineschlachten? Ehhel Niemand wird 
mehr haben als der gnädige Herr.” 

„Eine Handvoll Mais Ist wenig, aber ich habe ja 
nicht einmal so viel, Onkel Jossil" 

„Ehhel” räusperte sich der alte Josef und qualmte 
aus seiner Pfeife, „überlasse der gnädige Herr 
nur seinen Hirten diese Sache. Wir haben das 
schon mit Gyurka, meinem Gehilfen, ausgemacht!” 
Herr Ladislaus Rab kannte die Hirten der Horto- 
bagy gut, daß sie nämlich überflüssige Worte 
nicht lieben, noch weniger vieles Fragen, daher 
verabschiedete er sich mit kurzem Händedruck 
vom alten Joset. 

„Gott segne euch!” 

„Gott segne den gnädigen Herrn.” 

Das dürre Jahr hat das ganze Haldugeblet In 


(005. Oberborger) 


VON PAUL MORICZ 


Trauer versetzt, nur den Bauern von Nadudvar 
brachte es unverhofften Segen. Die seichteren 
Sümpfe von Nadudvar trockneten nämlich derart 
aus, daß die Leute die Teichgründe aufackerten, 
und wo früher Schilfhalme sich im Winde bogen, 
rägten jetzt überall üppig grüne Maisstengel 
gegen den Himmel. Die Bauern von Nadudvar 
haben nämlich Jede ackerbare Wiese mit Mais 
bebaut, und der Segen Gottes blieb auch nicht 
aus. Auf den Feldern erklangen schöne Lieder 
statt dem Kreischen der Sumpfvögel, und im wei- 
Ben Haiduckendorf mit seinen Rohrdächern wurde 
jeder Speicher, Stallboden, Getreidekammer bis 
zum Rande mit Mais gefüllt, 

Die Schweine des Herrn Ladislaus Rab haben den 
Sommer auf der Hortobagy durchfristet, und nach 
verdorrien Wurzeln Im Boden gewühlt. Der erste 
Schnee tiel.., der Winter begann... Einmal, so 
nach Weihnachten stellte sich der Hirte Gyurka 
bei dem Herrn Rab ein. 

„Grädiger Herrl... Die Zeit Ist da, machen wir 
Rechnung.” 

„Gut, mein Sohn, rechnen wir ab.” 

‚Ja, richtig, gnädiger Herr, Ich habe es noch 
gar nicht gesagt, daß nach dem Maisbrechen 
füntundzwanzig Schweine ‚aus der Herde gestoh- 
len wurden.” 

„Donnerwetterl” brauste der sanfte Herr Ladis- 
laus Rab auf, „Und das meldet ihr mir erst jetzt?” 


Urlaubstage - Giorni di permesso 





„Bin ich jetzt braun genug?“ — . „Es kommt drauf an, 
ob du auf Gänsebraten oder auf Roastbeef hinarbeitest!" 


“Sono adesso abbastanza bruna?,, — "Tutto dipende, se tu miri all arrosto d’ oca oyvero alla bisteccat,, 


478 


Der Mund des Hirten Gyurka verzog sich zu 
einem breiten Lächeln. Unter dem Schnurrbart 
blitzten seine starken weißen Zähne hervor: „Ich 
bit!’ schön, gnädige, Herr. äigern Sie sich nicht. 
Ich bin schon auf der Spur der Schweine. Sie 
sind bei den Bauern von Nadudvar verborgen! Ein 
Teil von ihnen ist schon ganz schön fett gewor- 
den.” Herr Rab starrte mit seinen ehrlichen blauen 
Augen den braunroten Hirten an. 

„Gyurka, mein Sohn, was sollen wir jetzt tun?” 
„Was wir tun sollen? Der gnädige Herr geht zum 
Stuhlrichter von Nadudvar, und der Herr Stuhl- 
tichter wird schon die Schweine zusammensuchen 
lassen, sie haben Ja unser Zeichen.” 

So geschah es. 

Die Betroffenen, auch sonst ziemlich berüchtigte 
Bauern von Nadudvar, waren noch froh, daß sie in 
dieser Sache so billig und trocken davonkamen, 
da Ja auch der Stuhlrichter ihnen nicht glaubte, 
daß die Schweine nur so zufällig, ohne ihr Wis- 
sen, als ein geheimnisvolles nächtliches Geschenk 
sich In !hren Hof verlrrt hätten 


Die Prophezeiung des alten rechnungsführenden 
Hirten Josef hat sich wirklich erfüllt, Bei dem 
Herrn Ladislaus Rab ist Schweineschlachten gehal- 
ten worden, und es gab reichlich Speck. De: 
breve Herr setzte Josef neben sich an den Tisch 
„nd nachgem der leckere ungarische Festschmaus 
beendet war, und sie zu zwelt allein waren, het- 
tete er seine offenen blauen Augen auf den alten 
Hirten: „Onkel Josefl Ich möchte Sie etwas fragen. 
„Hm!“ Josef tzt einen tiefen Zug aus seiner Pfeife 
und sagte sonst nichts. 

„Onkel Josef! Erklären Sie mir doch endlich, wie 
sich das mit diesen Schweinen von Nadudvar zu- 
getragen hat? Es bleibt unter uns beiden.” 

„So soll es aber auch sein! Denn es wäre nich! 
gut, wenn alle Leute wüßıen, was wir Hirten mit- 
einander abmachen. Alsc einmal, als wir am Ufe: 
des Hortobagyflusses mit Gyurka zusammentrafen 
sage ich 'hm: ‚Du, Gyurka, dein Herr Ist doch ein 
guter Mensch, nichi wahr’?” 

„Ein Stück Brot kann nich! besser sein!” antwor- 
tete er, 

„Und er hat doch auch 
Gyurka”, sage ich, -, 
„Noch dazu bei den Husaren als Oberleutnantl”, 
erwiderte er. 

„Um so mehr muß bel ihm auch heuer Schweine- 
schlachten gehalten werden! Gyurka, mein Sohn 
du bist doch bekannt in Nadudvar?” 

„Ich gehöre ja mütterlicherseits so halb und halb 
dorthin.“ 

„Und dann weißt du ja auch, daß die Kerle nicht 
genug Platz für ihren vielen Mais finden. Und der 
gnädige Herr ist dir doch ein guter Patron. Das 
andere überlasse ich dir. Hast du mich verstanden, 
Gyurka?” 

„Ich kann dem gnädigen Herrn nur so viel sagen, 
daß dieser Gyurka kein Esel unter den Hirten ist 
In dazu geeigneten Nächten halte er fünfund- 
zwanzig Stück ausgewählte Schweine nach und 
nach zu gewissen Bauern in Nadudvar eingetrie- 
ben, in manchen Hof sogar zwei, drei einge- 
schmuggelt. Man muß sagen, gnädiger Herr, daß 
diese Haiducken von Nadudvar brave Leute sind 
Keiner hat sich nach den Besitzern der verirrten‘ 
Schweine erkundigt, die sie im Gegenteil gut Im 
Stall versperrten und in der Hoffnung auf ein ge- 
schenktes Schweineschlachten sorgfältigbetreuten 
und ordentlich mästete.n. Vielleicht melne ich mit 
Recht, daß der gnädige Herr sich über Minder- 
wertigkeit der Schweine von Nadudvar nicht all- 
zusehr zu beklagen hatl?" 


(Aus dem Ungarischen 
von Martha von Agoraszto-Zöllner) 


im Krieg gekämpft, 


Auf ihres Daches Zinnen 


„Ach, wenn ich so auf 'ner Terrasse stehe, fühl’ ich mich immer wie der selige Polykrates!* 
„So — aber deinen Ring mit dem Smaragd wirfst du trotzdem nicht runter!‘ 


Sul tetto della di lei casa: “Oh, quando sto qui su una terrazza, mi sento sempre come Il beato Policratel,, 
“Ah si!? „.. Ma tuttavia non getti mica giö il tuo anello collo smeraldo!,, 


479 


(R Kriesch) 





GLÜCKLICHE TAGE 


VON RUDOLF SCHNEIDER-SCHELDE 


Als Carlo um die Ecke bog und in der Ferne das 
Haus inmitten des Gartens liegen sah, löste sich 
von dem Zaun, zu dem er hinblickte, eine kleine 
weiße Wolke und bewegte sich auf ihn zu. Er sah 
beim Näherkommen etwas Helles, Farbiges, das 
vorn auf der Wolke saß, und unterschied zap- 
pelnde, unbegreiflich rasch sich vollziehende Ver- 
änderungen an der Wolke, die den Weg entlang 
an der Seite des grünen Wiesenstreifens auf Ihn 
zuschoß,. Wie aus großer Ferne vernahm er ein 
kleines jauchzendes Schreien In der stillen heißen 
Sommerluft. Es war Rosie. Carlo hob den Arm, 
um die Geschwindigkeit zu dämpfen, mit der das 
Kind ihm entgegenlief, aber er erreichte nur das 
Gegenteil. Das Schreien nahm mit dem Größer- 
werden der Wolke und Ihrer Schnelligkeit zu. Er 
vermochte jetzt die Arme und Beine der Kleinen 
zu erkennen, das weiße Kleid und das blonde 
Haar, und zuletzt, vor dem Anprall, den er mit 
Mühe auffing, sah er nur die hellen, fast lechzend 
auf ihn gerichteten Augen, deren Blick mit einer 
durchdringenden Klarheit und Tiefe in ihn drang. 
Er hob Posie hoch und küßte sie, Sie konnte nicht 
sprechen. Sie schnappte nach Luft und umschlang 
Ihn mit Ihren dünnen Ärmchen und preßte sich 
an Ihn. 


Carlo’kam aus der Stadt. Er hatte sich über den ' 


Sonntag frei gemacht und besuchte Nelly, Nelly, 
die seine Frau, und Rosie, die seine Tochter war 
Rosle war sleben Jahre alt. Es ging Carlo gut; 
aber er wußte nicht, ob es ihm nicht noch besser 
gegangen wäre, wenn er In der Stadt nicht Leonie 
zurückgelassen hätte, der er hatte versprechen 
müssen, am Sonntag abend wleder zurück zu sein. 
Er war In der Klemme. Carlo war Immer In der 
Klemme. Soweit er zurückdenken konnte, war er 
In der Klemme gewesen, immer Frauen und Ne- 
benfrauen oder, was schlimmer war, eine Frau und 
eine Nebenfrau oder, was das Allerschlimmste 
war, Nelly und Leonie. Jetzt war Carlo anfangs 
Vierzig, und Jetzt schlen-die Katastrophe über Ihn 
kommen zu wollen. Er liebte Nelly und er liebte 
Leonie und er liebte erst recht Rosie, die nun 
s'umm ur etwas verwirrt Über Ihren Zärtlichkeits- 
ausbruch neben ihm ging und ihre kleine Hand 
vertrauensvoll in seiner Hand hatte, und Nelly 
liebte ihn wieder mit der stillen, unbeirrbaren 
Kraft ihres ganzen tadellosen Lebens, und Leonie 
liebte ihn ebenso, nur ungestümer; von Rosie 
ganz zu schweigen, deren Abgott er war. 

Carlo ging mit der Kleinen an der Hand, die jetzt 
zu plappern anfing, auf das Haus zu, das In der 
Mittagssonne brütend und still dalr- als ruhe die 
Zelt und alle Vergänglichkeit und sel Dauer Über 
das Leben gebreitet. Die Wiesen standen voll 
und saftig In ihrern Grün und dahinter die Acker 
mit Ihren Halmen schon gelb und schwer und bei- 
nah reif, und hangabwärts erstreckte sich der See, 
blau und silbern schimmernd wie eine beruhi- 
gende Gewißheit, wie ein Unterpfand des Him- 
mels, der sich In herrlicher Durchsichtigkeit über 
der Landschaft wölbte, Im Garten standen die 
Obstbäume, voll mit Früchten, die sich schon 
färbten; die Grillen zirpten; es war außer dem 
Geplapper des Kindes der eInzige Laut, der zu 
vernehmen war, und er vertiefte den Eindruck der 
summenden Stille noch 

Carlo fühlte die weiche Hand Rosies in der sel- 
nen und fand, daß es gut sei, hier neben seiner 
kleinen Tochter zu gehen, die so hübsch war und 
Nelly so ähnlich. Er fühlte sich glücklich und hatte 
nicht den Eindruck von sich, daß er ein Mann sei, 
der irgendjemand um irgendetwas betrog. Als er 
zum Haus hinblickte, sah er Nelly unter der Tür 
wartend stehen, Sie stand, ohne sich anzulehnen, 
wartend im Türrahmen und hatte ein blaues Lei- 
nenkleid an mit kurzen Ärmeln und. sah ihm ent- 
gegen. Ihre Arme und ihr Gesicht waren von der 
Sonne gebräunt, sie stand schlank, zart und Jung 
in einer verhaltenen Erwartung da, die Augen 
auf Ihn gerichtet. Carlo begann zu strahlen und 


beschleunigte seinen Schritt, und als er bei ihr 
angelangt war, berührte er sie sacht und zärtlich 
an Armen, Schultern, Händen und Im Gesicht und 
küßte sie. Nelly lächelte und hob den Kopf ein 
wenig und blickte mit ihren klaren Augen über 
den Garten und die Wiesen gradaus. 

Sie verbrachten alle folgenden Stunden zusam- 
men, und es wurde ein sehr schöner Tag. Es wurde 
ein so glücklicher Tag. Sie ließen einander kaum 
aus den Augen. Vielleicht fand Carlo, daß er Nelly 
irgendetwas abzubitier hatte, er war wie Samt. 
Sie redeten über alles Mögliche, nur über das, was 
er Ihr unter Umständen abzubitten gehabt hätte, 
redeten sie nicht, Sie redeten nie darüber, Nelly 
wußte vielleicht gar nichts davon, Carlo hielt es 
zwar für wenig wahrscheinlich, daß sie nichts da- 
von wissen sollte, aber jedenfalls redeten sie nie 
darüber, und sie ließ sich nie etwas anmerken. 
Carlo dachte oft ergebnislos darüber nach. Tatsache 
war, daß sie nichts mehr miteinander hatten. Sie 
hatten seit !:sgem nichts mehr mitelnar-er in der 
Art von Eheleuten, obwohl sie sehr verliebt ge- 
wesen waren, als sie geheiratet hatten. Sie leb- 
ten wie Bruder und Schwester. Vielleicht liebte 
Carlo Nelly darum so, well sie Ihm dieses Eine 
zum Opfer gebracht hatte, well sie nicht wie 
andre Frauen war, die deshalb nach neuen Män- 
nern schielen, Nelly war tadellos. Sie war für 
Carlo die tadelloseste Frau von der Welt und 
hatte aus Liebe ihm dieses Opfer gebracht, das 
Opfer, als Junge, schöne, gesunde Frau ohne 
Mann zu leben, ohne darum gelb wie eine Zitrone 
oder ein eingetrockneter Apfel zu werden. Carlo 
dachte oft darüber nach. Er dachte manchmal, sie 
wären einander zu ähnlich geworden, oder ihre 
Liebe hätte sich dorthin begeben, wo das schon 
eine Verletzung der Zärtlichkeit war Es war ein 
Problem, Carlo haßte Probleme. Aber er hatte sie. 
Er haßte auch Opfer. Aber er nahm sie an. 

Er stand am Nachmittag Im Garten hinter dem 
Haus und hackte Holz und sah Nelly, die mit Rosio 
Himbeeren. von den Sträuchern zupfte. Er hörte 
sie beide reden und lachen, und ab und zu blick- 
ten sie her zu ihm, und Rosie kam und brachte 
ihm eine Handvoll Beeren Er hatte seine Pfeife 
nicht und wollte rauchen, und Rosie ging seine 
Pfeife suchen und brachte sie gestopft und ver- 
klärt lächelnd. Nach einer Weile hörte er auf mit 
Holzhacken und setzte sich auf den Klotz und 
rauchte und sah den beiden zu, die Irgendetwas 
zu reden hatten. Er fühlte sich sehr glücklich und 
ging zu ihnen heran und »>tzte sich nah bei ihnen 
ins Gras. Während er sie beobachtete und strah- © 


ÄPFELDIEBE 


(Antwort auf einen Brief) 


Wunderts dich, daß in der Nacht 
Räuber übern Zaun sich schwingen, 
In die Gärten, unbewacht, 

Um die süße Apfelfracht 

Froh nach Haus zu bringen? 


Vollmond sollte Wächter sein? 
Liebe Frau, was fällt dir ein? — 
Er leuchtete dem Dieb, 

Der in den Ästen lautlos sein 
Schnödes Handwerk trieb. 


Während du dem Mond vertraut, 
War’n andre still geschäftig! 

Wer zu viel zum Mond aufschaut, 
Den bestiehlt man kräftig! 


Georg Britting 


460 


lend lächelte, wenn sie zu ihm hinsahen und er 
den Blick der Mutter im Kind und den des Kindes 
in der Mutter wiederfand, dachte er, daß er für's 
Leben unglücklich sein würde, wenn er die eine 
oder die andre oder beide verlöre. 

Später gingen sie zusammen zum See hinunter 
und machten ein paar Einkäufe, und die Leute in 
den Läden, die Carlo kannten, begrüßten ihn und 
lachte mit -Ihm und Nelly. Sie trafen Bekannte am 
Strand und unterhielten sich mit ihnen, und je- 
mand sagte, Nelly sehe so glücklich aus, weil 
Carlo gekommen sei, und sie lachten alle dar- 
über und gingen in einer ganzen Gesellschaft zum 
Wirt, ein Glas Wein zu trinken, 

Abends, nach dem Essen, nachdem sie Rosie zu 
Bett gebracht hatten, und nachdem auch Nelly zu 
Bett gegangen war, kam Carlo mit einer Flasche 
und zwei Gläsern zu Ihr Ins Zimmer, 

„Trink noch etwas, Liebling’, sagte er, „es war 
ein so schöner Tag heute; wie geht es dir?” 
„Gut.“ 

Er öffnete die Flasche, die noch tauig beschlagen 
war, weil sle unten im Brunnen gelegen halte, 
und goß den Wein in die Gläser, Er brachte \die 
Gläser zu Nelly, gab ihr eins und setzte sich aufs 
Bett. Er trank den Wein In kleinen Schlucken und 
lobte ihn. Es war ein heller, herber Franzose, die 
Flasche hatte kein Etikett Er war vom Wirt 

„Von dem möchte ich ein Fäßchen“, sagte Carlo. 
„Bestell doch eins.” 

„Ich bestelle auch eines. Ich weiß nicht, wie er 
heißt, und der Wirt weiß es auch nicht, aber er 
sagt, er gibt mir etwas davon ab. Aber du mußt 
ihn abfüllen.” 

„Mache Ich.“ 

„Zwei Finger breit leer zwischen dem Kork und 
derFlüssigkelt und die Flaschen legen”, sagte Carlo, 
„Ich weiß Bescheid.” 

„Hast du 'n Schlauch?” 

„Der Wirt gibt mir einen.” 

„Und Flaschen genug?” 

„Mehr leere als dir angenehm Ist”, sagte Nelly 
lachend. „Vom vorigen Sommer steht noch eine 
ganze Ladung unten” 

„Schön! Das ist ein feines Weinchen. Ich werde 
dem Wirt morgen sagen, daß er ihn 'raufschickt 
Trinkl’’ Nelly trank. 


» „Schmeckt er dir? Magsı du etwas dazu essen? 


Ich gehe in dıe Küche und mach’ dir ein Butter- 
brot.” 

„Danke, nein.” 

„Ein kleines‘ Butterbrot; so klein wie du?" Er 
neigte sich übers Bett und drückte sie zärtlich 
an sich. 

Sie schüttelte den Kopf 

„Ich möchte dır so gern etwas zu lieb tun”, sagte 
er. „Geht’s dir gut?” 

„Sehr gut.” 

„Bist du glücklich?” 

„So glücklich man sein kann vor dem morgigen 
Tag.” 

„Oh”, sagte er, „du bist gebildet. Ich hab’ eine 
gebildete Frau. Und du hast keinen Wunsch?” 
„Sicher.“ 

„Siehst du? Was ist es für ein Wunsch? Ich erfülle 
ihn dir sofort.“ 

Sie dachte nach und lachte „Ich weiß ihn nicht.” 
„Du solltest ihn aber wissen Schreib ihn dir auf, 
wenn er dir einfällt, und schick mir den Zettel in 
die Stadt.” 

„Wann fährst du zurück?” 

„Morgen“, sagte Carlo. „Ich habe eine Verab- 
tedung zum Essen. Ich wollte nicht, aber ich 
mußte. So ein Fatzke aus Berlin, der mir ein Bild 
zeigen will und glaubt, es sel ein Parmigianino.” 
„Bin Ich dein-Parmigianino?' fragte Nelly. 

„Nein. Du bist mein Botticelli.” 

„Mag ich gar ıicht sein. Die haben Schwindsucht.” 
„Du bist einer ohne Schwindsucht. Bist du dann 
zufrieden? Du bist mein Engel, mein Frühling, 
meine Muscheilkönigin.” 

„Mit dem langen Hals. Und alle sehen so aus, als 
hätten sie eine Zehe zu viel.” 

„Du hast keine Zehe zuviel. Du bist ganz in Ord- 
nung.” 

„Ach, Carlo.” Sie lächelte und schlang die Arme 


um ihn. „Weißt du, daß ich dich über die Vernunft 
liebe?” 

„Und ob ich weiß.” 

„Das ist, glaube ich, mein einziger Wunsch.” 
„Meiner auch. Trotzdem möchte ich dir noch extra 
etwas zulieb tun.” 

„Du tust es.” 

„Na schön”, sagte er und trank sein Glas leer 
und füllte es wieder, 

„Magst du Jetzt dann schlafen? Soll ich dir ein 
seidenes Nachthemd kaufen?” 

Sie nickte. 

„Und einen neuen Hut? Und neue Schuhe?“ 

Sie nickte immerfort. 

„Du könntest am Freitag in die Stadt kommen, 

Wir könnten alles besorgen und fahren am Sams- 
tag zusammen heraus. Willst du?” 

Sie nickte. 

„Gut. Abgemacht.” Er dachte blitzschnell darüber 
nach, ob er es mit Leonie schaffen werde, Es 
Würde gehen. „Schön, mein Schätz“, sagte er, 
„dann geh’ ich jetzt auch schlafen oder lesen.” Er 
küßte sie und stand auf. Er nahm sein Glas und 
die Flasche, sah Nelly an, stellte Glas und Flasche 
wieder ab und küßte sie noch einmal, „Liegst du 
gu?” 

Sie umarmte ihn und drückte ihn an sich, 

„Soll ich das Licht ausmachen?” Er nahm Flasche 
und Glas wieder, klemmte die Flasche unter den 
Arm, ging zur Tür'und drehte das Licht aus, Er 
ging hinaus, kam aber noch einmal zur Tür und 
warf noch einen Kuß hinein. 

„Schläfst du schon?” 

„Beinah.” 

„Schlaf süß, mein Liebling!” 

Er ging hinüber In sein Zimmer und setzte sich, 
Ohne Licht zu machen, rauchend ans Fenster und 
sah In die Nacht hinaus. Ab und zu trank er einen 
Schluck. Er war jetzt vierzig vorbel. Es würde 
nicht mehr viel kommen. Draußen 
tauschte ein lauer Nachtwind und 
brachte das Laub der Bäume zum 
Rascheln, Die Nacht war klar und 
schön, die Luft herrlich, Es würde 
nicht mehr viel kommen, Rosie 
Würde heranwachsen. So lech- 
zond, wie sie ihn angeblickt hatte, 
Würde sie eines Tages In eines 
fremden Mannes Gesicht blicken. 

Er verspürte den Wunsch in sich, 
hinüberzugehen und Rosie anzu- 
sehen und sie zu küssen und noch ni 
einmal zu Nelly zu gehen und sie 
ebenfalls zu küssen. Wahrschein- 

lich schliefen sie schon, und es 

Wär unsinnig, sie zu wecken, Das 
leben war schön. Er atmete tief. 
Wenn er ein Knabe wäre, dachte 

er, würde er jetzt weinen. Aber 

er war kein Knabe mehr. Er 
sleuerte sein Schiffchen ohne 
lotsen durch die Klippen. Es wäre 
vielleicht großartiger gewesen, 
den Klippen nicht auszuwelchen, 
Zugegeben. Es wäre vielleicht 
besser, nicht zu lügen. Er wußte 

©s nicht, Er hatte viele Jahre lang 

Nicht gelogen. Es war nicht 
eigentlich besser gewesen, eher 
schlechter. Man konnte nicht gut 

bei einer Sache bleiben, wenn 
Man herausfand, daß sie nichts 
taugte. Vermutlich war die Wahr- 

heit für den Menschen nicht ge- 
schaffen, und der Mensch war 
Nicht für die Wahrheit geschaffen. 

f dachte an Leonie und kam 
Unversehens in eine aufgekratzte 
Stimmung. — Morgen, dachte er. 

Am nächsten Mittag fuhr Carlo 
In die Stadt zurück. Er ftühstückte 
Noch mit Nelly und Rosie, und 
beide brachten Ihn zur Bahn und 
sahen ihm nach, als der Zug ab- 
hr, und er sah zurück. Er sah sie sc 


r 


kleiner und kleiner werden, ab und zu verdeckt 
durch einen Signalmast oder einen Milchkarren, 
und immer wieder zum Vorschein kommen, jedes- 
mal etwas kleiner und undeutlicher und in einer 
etwas veränderten Stellung, doch immer sie, Nelly, 
mit Rosie an der Hand, die winkte, und zuletzt, 
als der Zug nach einer langen, flachen Kurve in 
den Wald einbog, unterschied er nur noch das 
blaue Kleid von Nelly und daneben den weißen 
Fleck, der Rosie war. Er stand welter am offenen 
Fenster und blickte hinaus auf den Wald, an dem 
sie vorüberglitten und dessen Stämme sich sei- 
nen Augen wie In einem verwirrenden, leisen 
Schwindel erzeugenden Kreislauf, unablässig 
gegeneinander wechselnd, darboten. Er erhaschte 
mit dem Blick undeutlich nah der Strecke Büschel 
von Glockenblumen, die weit zurückblieben, ehe 
er sie näher betrachten konnte, und wenn er nach 
oben sah, flogen in einem sich senkenden und 
hebenden Rhythmus die Linien der Telegraphen- 
dröhte an ihm vorüber, scharf unterbrochen in 
ihrem träumerischen Schwung durch die Masten, 
die sie wie rücksichtslose Wächter zusammenhiel- 
ten. Die Sonne beschien seine Arme, die er aufs 
Fenster gelegt hatte, und wäörmte ihn, während 
ihn gleichzeitig der Luftzug, der seine Haare und 
seine Krawatte flattern machte, In einer herrlichen 
Weise kühlte, 

Als die ersten Häuserreihen der Stadt neben ihnen 
auftauchten, hatte er Nelly und Rosie weit zurück- 
gelassen, er dachte dran, wie sie klein und klei- 
ner geworden waren, als er abfuhr, und ver- 
spürte etwas wie einen süßen Schmerz dabel, 
aber es war kein Schmerz, der wehtat, und gleich 
darauf freute er sich auf Leonie. Es war eine Frau 
mit ihm im Wagen, die wie er Im Gang stand und 
hin und her geschaukelt wurde, als der Zug über 
die vielen Wechsel fuhr, und etwas in Ihr er- 
innerte ihn an Leonie, obwohl sie keine Ähnlich- 


In der Oper - All' Opera 





»».. hach! Immer die alte Musik dazwischen. 
Man versteht kein Wort von ihm!“ 


-. Ah... sempre la vecchla musica frammezzo! Non sl capisce una parola di lul!'* 


481 


(6. Brinkmann) 


keit mit ihr hatte. Er hatte seinen kleinen Koffer 
In der Hand, lang ehe der Zug hielt, und stand 
an der Tür und öffnete sie, während noch die 
Räder ihre letzte Umdrehung vollführten. Er war 
beinah der erste an derSperre und lief geschwind 
durch die Bahnhofhalle und nahm draußen ein 
Taxi und fuhr nach Haus, 

Nachdem er geduscht und sich umgezogen hatte, 
rief er bei Leonle an. 

„Ich bin da”, sagte er. 

Er spürte die Freude In ihrer Stimme, als sie 
wiederholte: „Bist du da? — Wann kommst du?" 
Jetzt.” 

„Kommst du gleich?" 

‚Ja, gleich.” 

„Soll Ich dir entgegengehen?” 

Er bejahte. 

Er fuhr ein paar Haltestellen mit dem Bus und ging 
dann den Weg auf dem sie sich Immer trafen. Er 
sah sie von weitem. Sie ging rascher, als sie ihn 
sah. Sie sah ihm lachend entgegen. Kurz, ehe sie 
aufeinanderstießen, wandte sie das Gesicht zur 
Seite. Ihre Wangen waren rot, sie sah blühend 
und reizend aus, Er war stehengeblieben und 
hatte sie erwartet. Er blickte sie strahlend an. Er 
hätte sie gern angefaßt, aber sie waren nicht 
allein. Sie schürzte den Mund wie zu einem Kuß 
und sah ihm glücklich in die Augen. Sie gingen 
die Straße entlang, die voll von Spaziergängern 
war. Er sah sie manchmal von der Seite an, und 
sie lächelte, so oft es geschah. Er fand Gelegen- 
heit, ihren Arm zu umspannen und drückte ihn 
zärtlich. 

Sie lächelte. Sie lächelte in einemfort, und wenn 
sie es nicht tat, stand die Bereitschaft dazu deut- 
lich in Ihren Zügen. 

„Freust du dich?” fragte er. 

Sie nickte und hob die Augenbraue über seine 
Frage. „Ich habe gedacht, du würdest vielleicht 
nicht kommen.” 

„Doch“, sagte er. „Wohin wollen 
wir zum Essen gehen?” 

„Wir haben ein Huhn zu Haus. Ich 
habe den Tisch schon gedeckt.” 
„Dann gehen wir jetzt nach Haus.” 
„Es Ist zu früh.” 

„Macht nichts.“ Er berührte sie 
an der Schulter, und sie errötete, 
„Ich wollte etwas spazieren- 
gehen”, sagte sie. 

„Wir gehen ja spazieren.” 

„Ich komme so wenig an die 
Luft; viel zu wenig.” 

Ja", sagte er. 

Sie war Röntgenschwester bei 
einem Arzt, der täglich achtzig 
Patienten hatte. Sie hatte nichts 
mit den Kranken zu tun, sondern 
saß an der Kasse. Es war ein sehr 
moderner Betrieb, 

„Wenn du Urlaub hast”, sagte er, 
„fehren wir zusammen fort.” Er 
überlegte blitzschnell, daß der 
September der passendste Monat 
sein würde, Er hatte es schon 
oft überlegt, überdachte es aber 
immer wieder. Er mußte im Sep- 
tember zu einer großen Auktion 
nach Frankfurt. Der September 
war der beste Monat. — „Im 
September”, sagte er. 

a?" Sie sah ihn zweifelnd an. 
„Wohin?“ 

„Wohin du willst.“ Er überlegte, 
daß es eine Reihe hübscher Orte 
in der Nähe von Frankfurt gab. 
Er nannte mehrere und schwärmte 
von Homburg. 

„Wo der Kalser war?” fragte sie. 
„Nicht nur der Kaiser.” 

„Aber wenn du dann wieder nicht 
kannst? Ich freue mich, und dann 
kannst du nicht.” 

Sie verschwieg, daß sie wußte, 
weshalb er vielleicht nicht kön- 





Erinnerungen 


(X. Heiligenstaedt) 





u... mein Gott, was waren das noch für Zeiten, als mir Robert, der kesse Lümmel, Flit in den Zerstäuber gefüllt hatte!“ 


Ricordanze: '... Dio mio, che templ erano quelli quando quello sfacciato e villanzone di Roberto ml rlempiva Il soffietto di ‘Flit, !,, 


482 


nen würde, aber einSchatten zog ÜberihrGesicht, 
„Ich kann. Komm", sagte er zärtlich, 
famoses Mädchen, ich kann bestimmt, 
Sie gingen ein paar Minuten nicht ganz so aus- 
gesöhnt wie zuvor nebeneinander her. Sie dach- 
ten beide an dasselbe. Sie dachten an Nelly und 
Rosle, Sie hatten beide schon so oft und so lange 
daran gedacht, daß der Frage keine neuen Sei- 
ten mehr abzugewinnen waren. Eigentlich war es 
langweilig, sich mit dem Problem zu beschäftigen. 
Sie wußten es beide, es kam nichts dabei heraus, 
Sie hatten früher auch oft darüber geredet, im 
Guten und im weniger Guten, und es konnte 
auch kein neues Wort dazu gesagt werden. Sie 
konnten sich trennen. Das war alles, Jederzeit 
konnten sie auseinandergehen. Sie hatten es ver- 
sucht, Sie hatten es mehrmals versucht. Offenbar 
wollten sie nicht, Carlo wollte nicht, Aber auch 
Leonie wollte nicht. Es hatte aufgeregte Szenen 
zwischen ihnen gegeben, früher; sie dachten 
beide mit Schrecken daran zurück, Wenn sie aber 
nicht auseinandergehen wollten, war es anschei- 
nend so, wie es war, und nichts dagegen zu 
machen. Sie mußten sich behelfen. Carlo fand es 
nicht so schlimm, sich zu behelfen, er fand, man 
müsse sich das ganze Leben hindurch behelfen, 
aber Leonie fand es manchmal sehr schlimm und 
ließ es ihn manchmal wissen. 

Nach einer Weile sah er sie von der Seite an 
und fragte vorsichtig: „Alles oder nichts?” — Es 
war eine alte Devise. 

„Sei still”, antwortete sie, 

Er sah sie weiter an und bemerkte, daß ihr Ge- 
sicht wieder welch wurde. — „Mein süßer Lieb- 
ling'‘, sagte er und verspürte Dankbarkeit in sich, 
„würdest du mir einen Kuß geben?“ 

„Nicht hier.” 

„Doch, gleich!” 

Sie blickte sich um und näherte ihr Gesicht dem 
seinen und gab Ihm einen Kuß auf die Wange. Sie 
lachte kurz auf, als es Ihr gelungen war. Es waren 
wenig Leute um den Weg. Ein Mann, der sie 
überholte, hatte es bemerkt. Er lächelte und sah 
diskret zur Selle. _ 

Carlo lächelte auch ünd sagte: „Das hast du gut 
gemacht. Wollen wir jetzt nach Haus gehen?” 
„Huhn essen?“ 

„Huhn essen und —. Können wir nicht Arm in 
Arm gehen?“ 

Sie verneinte, aber sie ging unwillkürlich rascher, 
und über ihr Gesicht huschte eine flüchtige Rötı 
Sie ging Jetzt einen halben Schritt vor ihm hi 
Ihr Körper drehte sich in den Hüften. Er folgte ihr 
und ging dicht an Ihrer Seite, 

„Nichtl" sagte sie. 

„Doch.“ Er kam näher zu Ihr heran. Sie lachte 
und errötete wieder. 

„Ich bin in dich verliebt”, sagte Carlo. 

Sie gingen durch ein paar Seltenstraßen, die 
leer im Sonntagnachmittag dalagen, und gingen 
nebeneinander auf dem schmalen Bürgersteig, 
und er sagte ihr dauernd, er sel in sie verliebt, 
und sie wich zu den Häusermauern hin aus. 
„Hörst du es gern?” fragt. und sie nickte und 
schloß, während sie ihm das Gesicht für eine 
Sekunde zuwandte, die Augen. 

„Immer noch?" Sie nickte. 

„Immer wieder?" Sie lächelte nickend. 

„Wird es nicht langwellig?” 

„Mir nicht“, sagte sie. 

Sle überquerten einen Platz und schritten nah 
nebeneinander über die Straßenbahnschienen und 
den grau schimmernden Asphalt, Sie kamen unter 
Kastanien, die am Rand der Straße standen und 
von der Abendsonne gestreift wurden. Rot leuch- 
tende Geranien blühten In einer kleinen Anlage, 
die längs der Straße verlief, Sie durchquerten die 
Anlage und standen vor dem Haus, wo Leonie in 
zwei Zimmern wohnte, Beide blickten nach oben 
zu ihren Fenstern, die im fünften Stockwerk waren. 
Sie betraten das dämmrige Treppenhaus und 
Singen die läuferbelegte Treppe hinauf, vorbei 
an der falschen Pracht dünner Marmorplatten, 
Welche die Wände bedeckten Im dritten Stock- 
werk hörten die Läufer auf, und der Marmor wich 
einer Bemalung. Leonie ging vor Carlo her. Er 
beobachtete sie, während ihr Fuß Stufe um Stufe 
nahm, und als sie oben angelangt waren, leg 
er den Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich. 
Ihr vom Steigen angefachter Atem berührte ihn 


m 





























ei mein” 


warm. Atmend standen sie voreinander und küß- 
ten sich. Ihre Gesichter strählten. Dann ent- 
schlüpfte sie ihm rasch und schloß auf, 

Er trat hinter ihr in die Wohnung und legte, ohne 
zu wissen warum, den Sperrhaken vor die Tür. 
Sie stand vor dem Spiegel auf dem Vorplatz und 
hatte die Arme erhoben, um den Hut abzunehmen. 
Es war ein kleiner brauner Strohhut, den sie be- 
hutsam anfaßte, sie hatte ein braunes Kleid an, 
das am Hals mit einer braunen Perlenschnur schloß 
und denselben Perlenbesatz an den Ärmeln 
hatte, Der Vorplatz war hell, ein Dachfenster ließ 
das Licht herein, sie stand einen Augenblick be- 
wegungslos mit erhobenen Armen da, ihre grünen 
‚Augen hatten im Spiegelihnerblickt und lächelten. 
Carlo beobachtete sie. Sie sah reizend aus, g 
sund, froh, frisch, beinah übermütig mit ihrer 
straffen elastischen Gestalt und ihren kräftigen 
Armen und Beinen; er trat auf sie zu und umarmte 
sie, Sie ließ den Hut und schlang die Arme um 
ihn, Sie Überquerten den Vorplatz, ohne sich los- 
zulassen, und kamen in das Zimmer, wo der ge- 
deckte Tisch stand. Der Tisch war für zwei ge- 











deckt, ein weißes Tischtuch lag auf, ein Büschel 
verschiedenfarbiger Nelken stand in einer Vase 
neben den Telleın und Gläsern, Zwei in der Form 
ungleiche Strohsessel standen vor dem niederen 
Tisch. Durchs offene Fenster drang die laue Abend- 
luft herein, und in der Ferne erstreckte sich in 
seidigem Blaßblau der Himmel, Das Geräusch 
der Straße kam gedämpft herauf, Die Tür zum 
Nebenzimmer war offen. Carlo sah ein Stück des 
niederen Messingbetts mit der rosa Steppdecke, 
er sah die weißen Lackmöbel, ein paar rote Pan- 
toffeln in einer Ecke und umfaßte alles mit einem 
Blick, sich selbst, die Frau, die ihn liebend mit 
schwellenden Gliedern umarmte, die Wohnung, 
die seine und doch nicht selne war, und dahinter 
wie mit sich Überschneldenden Umrissen, die in 
immer größere Tiefen führten, Nelly, Rosie, wieder 
sich, den Mann, der Bilder taxlerte und Bücher 
darüber schrieb, und die Welt, aus der diese 
Bilder erstanden waren, und er fühlte In diesen 
Augenblicken sich überreich, Jung, kraftvoll, ver- 
strickt in eine Reihe endioser Abenteuer und be- 
glückender Entdeckungen. 


DER BART WAR AB 


GROTESKE VON RALPH URBAN 


Herr Stengert saß eines Abends in der Bade- 
wanne und drehte gerade beide Wasserhähne auf, 
um sich am Schluß durch eine kräftige Brause zu 
erquicken, als es klingelte. Da die Dame des 
Hauses, bei der er seit zwei Wochen als Unter- 
mieter wohnte, auf einige Tage verreist war und 
das Stubenmädchen Urlaub hatte, sprang er ärger- 
lich aus der Wanne, schlüpfte rasch in den Bade- 
mantel und eilte zur Tür. Gleich darauf verklärten 
sich seine Züge, denn draußen stand ein Postbote, 
der eine telegraphische Geldanweisung für ihn 
bracht 
Es geschehen zuweilen noch Zeichen und Wun- 
der. Mehr aus Gewohnheit als in der Hoffnung 
auf Erfolg hatte Herr Stengert kürzlich eine alte 
Schuld von eii Bekannten zum xten Male ein- 
gemahnt und jetzt war das Geld tatsächlich ge- 
kommen. Mit dem glücklichen Gefühl des Vaters, 
der den verlorengeglaubten Sohn umarmt, strich 
er die hundert Mark ein und belohnte den Post- 
boten mit einem fürstlichen Trinkgeld. Dann eilte 
er in sein Zimmer und machte sich fesch, denn 
der seltene Anlaß mußte gefeiert sein. 

Eine halbe Stunde später soß er bereits In ein. 
Weinstube vor einer Kosiprobe. Seltsamerweise 
wollte sich aber die Feststimmung nicht einstellen, 
irgendetwas nagte an seinem Unterbewußtsein 
und versetzte ihn in Unruhe. Herr Stengert ver- 
suchte das unangenehme Gefühl zu ersäufen, was 
ihm auch mit der Zeit gelang. Er befand sich be- 
reits in der ersten weinseligen Gemütsverfassung, 
als sein schweifender Blick plötzlich an dem Wirt 
haften blieb, der gerade unter munter plätschern- 
dem Quell die Gläser spülte. Im nächsten Augen- 
blick sträubten sich die Haare des Zechers, denn 
die offenen Hähne der Badewanne waren ihm 
eingefallen. Mit dem Aufstöhnen eines waid- 
wunden Hirsches schoß er an dem unglücklichen 
Wirt vorüber zur Tür hinaus und raste durch die 
Straßen, bis er vollkommen erschöpft im Hausflur 
landete. Da es für die raschere Überwindung der 
drei Treppen aus eigener Kraft nicht mehr reichte, 
warf er sich In den Fahrstuhl und drückte gegen 
einen der Knöpfe, worauf sich der Aufzug knur- 
rend In Bewegung setzte. Oben angelangt, stieß 
er den Schlüssel Ins Schloß der Wohnungstür. Er 
spießte sich aber etwas, das Schloß war nicht in 
Ordnung, eine Affenschande. In Wut und Ver- 
zweiflung benützte Herr Stengert den Ring des 
Schlüsselbundes als Hebel, setzte energisch an — 
tak — und der Bart war ab. 

Gequält blickte der Mann auf das Unglück, wäh- 
tend ihm der kalte Schweiß auf der Stirn perlte. 
Und über die Badewanne floß inzwischen das 
Wasser. Kurz entschlossen trat er zum Anlauf zu- 
rück, machte einige kurze, aber wahnsinnig rasche 
Schritte, schnellte dann in die Luft und flog kra- 
chend mitsamt der Tür in die Wohnung hinein. Er 














rtappelte sich hoch, tastete sich rechter Hand zum 
Badezimmer und riß die Tür auf — 

In der Badewanne saß eine-Dame, die bei seinem 
Anblick schrecklich zu schreien begann. Herr Sten- 
gert griff mit beiden Händen an den Kopf, fand 
aber keine Zeit zum Irrsinnig werden, denn ein 
wilder Mann im Schlafgewand tauchte auf, der 
ihm unbedingt an die Kehle wollte. Im Trieb der 
Selbsterhaltung versetzte er Ihm einen kurzen, 
aber kräftigen Schlag In die Magengrube, worauf 
der nächtliche Schemen rückwäörtsüber in die 
Badewanne zu der Dame plumpste, deren Klage- 
laute nunmehr an die einer Fabriksirene er- 
innerten, 

In wähnsinniger Eile wandte sich HerrStengert zur 
Flucht, Als er dabel beim nächsten Treppenabsatz 
vorüberkam, sah er eln freundliches Bächlein aus 
den Fugen der Wohnungstür quilien, das sich mun- 
ter und in zahlreichen kleinen Wasserfällen seinen 
Weg die Treppe hinunter suchte. Und während 
der Mann dem Wasserlauf folgend hinunterraste, 
wurde ihm die kleine Ursache der großen Kata- 
strophe bewußt: in seiner Aufregung hatte er 
früher im Fahrstuhl anstatt auf den Knopf der 
dritten Etage auf den der vierten gedrückt, 

Erst in gesunder Entfernung von dem Haus blieb 
Herr Stengert stehen und lehnte sich gebrochen 
an eine Mauer. Von diesem Standpunkt aus konnte 
er bequem das Eintreffen des Überfallkommandos 
und das der Feuerwehr, die mit fünf Geräten kam, 
beobachten. Dann ging er zum nächsten Bahnhof. 
‚Am darauffolgenden Morgen löste er in der Ha- 
fenstadt eine Schiffskarte und landete vier Wo- 
chen später auf einer jener freundlichen Südsee- 
Inseln. Dort lebt er seither als Eremit. Den Bart 
ließ er sich wachsei 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


> 




















(0. Nückel) 


Rudi steht am Fenster und spricht zu Bobby im 





kenstein — offenbar sein erster Ausgang, denn 
er war doch schwer erkrankti" 

Geht Bobby auch zum Fenster und meint teil- 
nehmend: „Schau nur, er trägt einen Trauerllor, 
sein Leiden wird doch nicht tödlich gewesen 


sein?" FH. 





Vortag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgosellschaft, München, Sendlinger Straße A (feinruf 1298). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. 


Vatantworti. Schriftieiter: Walter Foltzick, München. — Dar Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. 
AMalten entgegen — Bezugsprelse; Einzeinummer 30 Pf.; Abonnemen! Im Mona! 120. 
Nachdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. 





— Unve 





jellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 
ingie Einsondun, Egosandı 
füllungsort München. 


werden nur zurüch t, wenn Porto beillegt. — 


DIE HEIMAT 








So wie einst in der Kindheit du 
die Heimat hast gesehen, 
wird auch ihr Bild auf immerdar 


vor deinen Augen stehen. 





Ist es auch nicht an Schönheit groß 
mit aller Welt zu messen, 

es läßt dein Lebtag dich nicht los, 
bleibt stets dir unvergessen. 


484 


(Wilhelm Schulz) 


Und zeigt es weiter nichts als schlicht 
nur Berge, See und Auen, 

wem es die liebe Heimat ist, 
kann sich nicht satt dran schauen, 


WILHELM SCHULZ 


e:- 15. September 1943 
e- | Nummer 37 3 Ö Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Im Theater der Alliierten Be 


ar 




















„Sie streiten sich um die Besetzung der Hauptrolle In dem Zukunftsstück, das noch gar nicht geschrieben ist!‘ 


Nel teatro degli Alleati: “Litigano glä per I" assegnazlone della parte di protagonista nel pezzo dell’ avvenire che non & punto ancora scrittol,, 


Entgegenkommen - Compiacenza 





de 





(0. Hermann) 


em. 


„Müssen Sie zum Malen gerade vor meinem Strandkorb stehen?“ — „Ich kann mich ja auch hinter ihn stellen!" 


“Ma dovete dipingere appunto davantl al mlo cesto?,, — “Eh, posso anche mettermi di dietrol,, 


WISSENSCHAFTLICHES 


Als der Möbeltransportler Vinzenz Grabichler beim 
Ausladen den großen altdeutschen Vertiko nicht 
mehr recht erwischte und zu allem Unglück noch 
an etwas Schlüpfrigem ausrutschte, wurde er an 
die Hauswand gedrückt. Bald darauf befand sich 
seine Irdische Hülle im Gerichtlich-Medizinischen 
Institut, da nach maßgeblicher Ansicht der zustän- 
digen Gerichtsbehörden eventuell ein Beschuldig- 
ter in Frage kommen könnte, 

Bei der Sektion ergab sich dann jene Seltenheit, 
die in der langjährigen Praxis des anerkannten 
Gerichtsmediziners Professor B. vielleicht nur drei- 
oder viermal vorgekommen war. Während nämlich 
der sezlerende Assistent den Grabichler vorerst 
noch für einen herzlosen Menschen hielt, stellte 
sich im Verlaufe der Obduktion. eben dieser 
äußerst seltene Fall heraus. Grabichler hatte zwar 
sein Herz am rechten Fleck, aber auf der anato- 
misch falschen Seite. Dieser kuriose Zustand 
weckte natürlich das besondere Interesse der 
Ärzte an der Person des Dahingegangenen. Pro- 
fessor B,, der neben dem Durchschlag des Sek- 
tionsbefundes noch ausführliche und interessante 
Angaben der Angehörigen über besondere Ab- 
weichungen im Leben Sezierter in seinem wissen- 
schaftlichen Archiv bewahrte, lud Frau Grabichler 
mit geeignetem Formblatt zu sich, da er sich ge- 


rade von ihr ganz besonders wichtige Aufschlüsse 
über die abnorme Herzlage ihres Mannes ver- 
sprach. 

Frau Grabichler, eine kleine hagere Frau mit 
schlauen Äuglein, konnte leider gar keine beson- 
ders verwertbaren Angaben hinsichtlich besonde- 


KLEINE 


Liebes Leben, noch atmeft dul 


Noch flattern die Jungen Ringeltauben 

von den Fichtenäften herab zum Ufer, 

zierlich nippend vom köftlichen Naß. 

Noch mwippt die Stelze über die Kiesbank, 

und der Zaunkönig hufcht Durch Die Weiden= 
büfche, 

Aber das Rotichwänzchen warnt und warnt: 

ein Menfch im Revier! ein Menfch im Revier! 


- Laßt euch, bitte, nicht inkommodieren! 

Seht doch, mir um die Füße fpielt, 

filbern bepelzt, eine winzige Hafelmaus, 

und die Sonne, die Morgenfonne, 

leuchtet ihr rot durch die Perlmutter=Öhrchen ... 


486 


ter Auffälligkeiten an ihrem Vinzenz machen. Nur 
auf die Frage des Gelehrten, ob sie denn gar 
keine hervorstechenden Eigenheiten in seinen Le- 
bensgewohnheiten beobachten konnte, nickte sie 
lebhaft und meinte: „Oans hat er ja g’habt. Sein 
Geldbeitl hat er immer so versteckt, daß man nla 
find'n hat könna.” 

Professor B. stellte hierauf weitere wissenschaft- 
liche Fragen ein. L. Neußer 


WELT 


Nein, wahrhaftig, ich bin nicht fol 
Hab’ ich nicht geftern erft, fpät noch am Abend, 
einem Wielel das Leben gerettet? 


Ach, der törichte kleine Burfche 

war in den Trog meines Brünnleins gepurzelt, 
Öurftgequält, und da zappelte er, 

zappelte patichnaß und angftvoll und ruderte, 
aber die Wände, die glitfchigen Wände, 

boten den flinken Pfötchen nicht Halt... 


Nun, mir brachten die Sache in Ordnung, 
und er entfloh durch die Stachelbeerbofchen ... 


Liebes Leben, noch lebft du weiter! 
Liebes Leben, noch atmeft du! 
Dr. OmwlIglaß 


Im USA.-Kaufhaus a 


„Wickeln Sie dem kleinen Mann den Globus In unser Sternenbannerpapier, 
wir unterstützen damit die Ideen unserer Regierung!“ 


Nel magazzino statunitense: “Ravvolgete a quest! ometto Il mappamondo nella carta 
della.nostra bandiera stellata; con cidö appoggiamo I’ idea del nostro Governol,, 


487 





Vater Mars 


(Erich Schilling) 





„Sehr schön von den Herren, sich so um meinen Nachfolger zu sorgen!‘ 


Papä Mart. 





"Bra: |, bravi I signori! ... Affannarsi tanto pel mio successore!,, 


DER KCHAISER MAKCHSIMILIAN 


Im Sommer 1939 fuhren wir, eine größere Reise- 
gesellschaft, im bequemen Reiseautobus durchs 
Tiroler Land. Auf den einzelnen Tagesstrecken 
wiesen und erläuterten uns landeskundige Führer 
Gegend, Orte und Sehenswürdigkeiten. Als wir 
an der „Martinswand” vorbeikamen, ließ der an 
diesem Tage „diensttuende” Führer halten und 
erklärte uns darüber: 

„Söll ischt die Martinswand, Sie ischt dadurch 
bekchannt geworden, daß hier der hochselige 


Kchaiser Makchsimilian, der erschte des Heiligen 
Römischen Reiches deutschen Natschion als dem 
HauseHabschburgch, genannt derletzschte deutsche 
Ritter, in gar arge Lebensgefahr gekchommen 
ischt. Denn der hatte sich hier in seinem Eifer 
als Gamsjager ganz verschtiegen und kehonnte 
auf einmal weder vorwärts, noch rückchwärts, 
nlacht hinauf und auch nlacht hinunter. 

Well er aber niacht nur ein weidgerechter Jageıs- 
mann und gütiger Herrscher, sondern auch ein 


488 


techtglösbiger Krischt war, so kchniete er nieder 
und schickchte ein gar demütiges Schtoßgebet 
zum Herrgott, daß er ihn aus dieser schiachen 
Gefahr ertetten sollt. Und Gott erhörte sein Ge- 
bet und tat ein Wunder an Makchsimilian: er 
schickchte einen Engel in Geschtalt eines Jagers, 
der den Kchalser von der Martinswand sicher und 
heil ins Tal brachte. 

Söll hat ihm aber gar niacht viel genützt. Denn 
schon wenige Jahre schpäter wurde er von den 
aufschtändischen mekchsikchanischen Rebellen 
zum lode durch Pulver und Blei verurteilt und er 
schtarb fern von seinen geliebten Bergen einen 
chrischtlichen Märtyrertod.” Ferdinand Schiep 


EIN FORSTMANN ERZÄHLT 


Die nachfolgende merkwürdige Geschichte vom 
Lehrer Finger! hat mir der Förster Sollereder er- 
zählt, Ob sie vollkommen den Tatsachen ent- 
spricht, vermag Ich nicht nachzuprüfen, doch 
scheint mir die Wahrheitsliebe des ehrwürdigen 
Forstmannes Über Jeden Zweifel erhaben. 

„Da lebte bel uns vor vielen Jahren”, so erzählte 
Sollereder, „eln gewisser Lehrer Fingerl. War ein 
techtschaffener Mann, der den Kindern schon in 
Jahresfrist däs kleine Einmaleins beibrachte und 
mit seinem Lineal Tatzen austeilte, daß es nur so 
knallte. Auch seine Frau war trotz Ihres Kropfes 
kein unebenes Frauenzimmer, wenn sie auch ihren 
Mann streng am Zügel hielt.” „Das sollst du nicht! 
Das darfst du nichtl” so ging es den ganzen Tag 
vom frühen Morgen bis zum Gebetläuten fort und 
fort. Nun, der Fingerl war ein folgsamer Mann 
und kannte keine Leidenschaft mit Ausnahme der 
einen: der Jagerei, Die aber hatte er Tag und 
Nacht im Kopf. Kaum war der Zeigestab weg- 
gelegt, da hing sich der Fingerl auch schon 
wieder die Büchse um und pirschte durch das 
Holz. Daß ich nicht lüge: er war eln waldgerech- 
ter Jäger, keiner von den aasenden aus der 
Stadt, die hinter Jedem Haar herbollern und den 
Bock mit Hühnerschrot ankratzen. 

Das war nun also der Nachmittag vor der Weih- 
nachisbescherung, und den Fingerl, der schulfrei 
hatte, Juckte es schon wieder In den Pratzen. 
„Wie wärs mit einem Butterhaserl?” frug er vor- 
sichtig seine Frau, „könnt ein’s schlassen am 
Brandhölzl hint'.“ „Was, zwoa Stund’ vor der Be- 
scherung?’ gurgelte Frau Finger! aus ihrem Kropf 
herauf, „Kannst denn sogar am heiligen Abend 
die Viecher net in Ruah lassen? So was werd be- 
straft vom Himmivata drob’n, und I schlag dir's 
Schürhackl auf 'n Kopf. Tua llaber die Nüss’ ver- 
golden und deine Socka auswaschen, schlampata 
Hallodril" „Was mir einfallt“, log der Fingerl 
geistesgegenwärtig, „I muaß ja zum Oberlehrer 
Zeiselmaler auf Obertunding hintri, Brauch a Land- 
karten vo’ Preißen.” „No, dös derfstl” erlaubte 
Frau Fingerl, „aber sauf’ ma net wieder zyul 
Schnaps!“ Der Lehrer verdfückte sich In den Flur, 
nahm die Büchse unter seine Kotze und mar- 
schierte In. den Wintertag hinaus. Es hatte seit 
vielen Tagen geschnelt, meterhoch lag der Schnee, 
und so eiskalt Ist es gewesen, daß sich der Fin- 
gerl die gefrorenen Nasentropfen mit einem Zwei- 
gerl hat abschlagen müssen. Im Wald war es 
mäuserlstill, und das Abendrot schlen schon ein 
wenig hinein. Kreuz und quer liefen die Wild- 
fährten vor dem Lehrer her, hier hatte ein Fuchs 
geschnürt, ein Reh gewechselt, war ein Has’ ge- 
hoppelt. Plötzlich, so nah, daß er Ihn hätte tot- 
schlagen können, sieht der Fingerl einen Rammier 
in der Saß. Das ist ein Hase Im Lager, müßt Ihr 
Nichtjäger wissen, und so einen schießt man nicht. 
Der Fingerl klatscht also in die Hände, haut mit 
einem Stecken an einen Baumstamm, wirft einen 
Schneeballen In die Saß. Aber der Krumme rührt 
sich und regt sich nicht, sondern äugt den Fin- 
gerl so ängstlich an, wie ein Schulkind, bevor es 
Tatzen bekommt, Da wird es dem Lehrer endlich 
zu dumm, und er läßt es schnallen, gerade als 
die Weihnachtsglocken anfangen zu Iäuten. Der 
Has‘ Ist verschwunden — nichts mehr von ihm zu 
sehen! Keine Fährte führt in die Saß und keine 
aus Ihr heraus, sie Ist elskalt, Komisch, komisch 
denkt sich der Fingerl und will sich seine Kappe 
tlefer herunterziehen, denn es friert ihn in die 
Ohren. Aber die stemmen sich gegen die Kappe, 
und wie er hinaufgrelft, merkt er, daß ihm lange 
Löffel gewachsen sind, Und wie er auf seine Hand 
herunterschaut, sieht er zu seinem Schrecken, 
daß ihm Hasenbalg Über die Pfote gewachsen ist, 
Die Strafe — die Strafel denkt er sich, da Ist sie, 





VON A. WISBECK 


wirft die Büchse in den Schnee und hoppelt nach 
Hause, — 

Wo nur mein Rudolf so lang bleibt? fragt sich 
ängstlich Frau Fingerl und geht in das Zimmer 
ihres Mannes, Da sitzt der auf den Hinterläufen 
unter dem Schreibtisch und äst an einem Christ- 
baumzweigerl herum. „Machst net glei’, daß d' 
"rauskommstl” herrscht ihn die Frau an und haut 
mit dem Lineal auf den Tisch. Aber der Lehrer 
bleibt in seiner Saß und äugt die Frau Fingerl 
nur ängstlich an. Da luft diese weinend hinweg. 
Und das ging nun so weiter. Der Fingerl redet 


In Kampfstimmung - Umore battagliero 





kaum mehr ein Wort, hoppelt traurig Im Haus 
herum und frißt jeden Tag ein Geranienstöckerl 
auf. Eines Tages ist er dann gestorben. In der 
Saß. „Es hat Leute gegeben”, so schließt der För- 
ster selne Erzählung, „die mir nicht glauben woll- 
ten. Aber der Schlag soll mich auf der Stelle 
treffen, wenn auch nur ein einziges Wörterl er- 
logen Isti” 

Der Schlag hat den Förster Sollereder nicht ge- 
troffen, und so ist denn schon hiedurch bewiesen, 
daß der ehrwürdige Greis die lautere Wahrhelt 
gesprochen hat. 


0. Hegenbarth) 


„Den ganzen Tag überlege ich mir nun schon: wen könnte man für dieses Sauwetter 


verantwortlich machen?" 


"Gid tutto il giorno vado riflettendo su chi mai potrei getiare la responsabilltä di questo tempo canel,, 


489 


DAS BETT DER EITLEN RACHE 


In den Bergen Attikas, unwelt vom festlichen Eleu- 
sis, lebte in der Zeit der Sagen ein friedlicher 
Ziegenhirt, dessen wohlklingender Name Damasi 
niemals die Unsterblichkeit erlangt hat. Denn sein 
Träger war sanften Gemütes und redlich in sei- 
nen Sitten, ein treuer Hüter seiner Geisen und 
Böcke und sorgsamer Vater seiner hüpfenden 
Zicklein. Selbst nachts wachte er mit halbem 
Auge, auf daß ihm keines von einem neidischen 
Nachbar geraubt werde. Dabei sah er oft im 
Schein des Mondes den großen Schatten des 
Pan mit Bangen um die Felsen huschen. Oft 
lauerte er unweit der Quelle am Rand des Myr- 
tenhalns erregt auf die Nymphen und Dryaden, 
die er gerne baden sehen wollte. Er streichelte 
mit den Augen des Traums Ihre lieblichen For- 
men, schlank wie die marmornen Göttinnen im 
Tempel, und wünschte sich eine davon zu be- 
sitzen, so lange, bis er eines Tages einem Bauern- 
mädchen aus dem nächsten Dorf begegnete, das 
einwilligte, gegen den mit ihrem Vater ausgehan- 
delten Preis von drei Ziegen seine Frau zu 
werden. 

So ebenmäßig schön, wie die klassischen Bilder 
seiner Träume, war die ihm von den Göttern Zu- 
geteilte nicht. Sie war plump gestellt und allzu 
rund geraten, eher etwas für einen behäbigen 
Kuhhirten. 

Bald hätte Ihm auch ihre seelische Entwicklung 
Anlaß gegeben, sich bei der olympischen Zu- 
tellungsstelle zu beschweren, hätte er nicht in 
braver Ergebenheit die Zwecklosigkeit solcher 
Auflehnung erkannt. Damals begann seine philo- 
sophische Wandlung. Er erkannte die Relativität 
aller menschlichen Wünsche, die bei tanzseligen 
Göttertöchtern beginnen, um auf dem Strohsack 
einer schnarchenden Kuhmagd zu enden. Wäre 
Damast kein Idealist gewesen, er hätte an den 
Kochtöpfen seiner Eumala sein behagliches Glück 
finden können. So aber.trieb es ihn immer wieder 
zurück zur Quelle seiner Sehnsucht und zu den 
Bildern seiner Träume. Er blieb oft wochenlang 
fern von daheim, schlief unter den Sternen und 
nährte sich bescheiden von Milch und Ziegen- 
köse, ohne den hausbackenen Reizen und den 
köstlichen Honigfladen, die eine Spezialität Eu- 
malas waren, nachzutrauern. 

Doch einmal im Frühling, als das Spiel der Quell- 
nymphen mit den Faunen des Waldes sein Blut 
irdisch erregt und seine Phatansie auf das Nahe- 
liegende gerichtet hatte, beschloß er, unangemel- 
det und vorzeitig seiner Frau die Überraschung 
seines Besuches zu bereiten. Er traf bei ihr ein, 
als der Sonnengott sich anschickte, ins blaue 
Meer zu sinken. In der mit bunten Töpfereien ge- 
schmückten, weinumrankten Laube sah er Eumala 
vor einem mit Weinkrug und Honigfladen wohl- 
gedeckten Tisch zärtlich an der Seite eines bild- 
hübschen Jünglings sitzen, der dem unerwarteten 
Heimkehrer als entfernter Vetter vorgestellt 
wurde, mit Namen Euphonios und Harfenspieler 
von Beruf. Daß er auch über einen schönen Iyri- 
schen Tenor verfügte, bewies der junge Fant, 
nachdem er sich ordentlich gesättigt und gelabtı, 
indem er auf Eumalas Bitte dem Gatten Ihr Lieb- 
lingslied vorsang, das von der Heimkehr des 
Odysseus handelte und wie leise Ironie in Da- 
mastens Ohren klang. Sonst blieb es beim kon- 
ventionellen Frage- und Antwortspiel nach der 
beiderseitigen Gesundheit, der geschäftlichen 
Konjunktur, dem voraussichtlichen Wetter, dem 
Stand der Ziegenzucht und den Honoraren eines 
Saltensplelers. Als diese Themen erschöpft waren 
und es ungemütlich zu werden drohte, erhob sich 
der schöne Jüngling und erklärte, nun heimgehen 
zu wollen. 

Auf die Frage, wo er wohne, gab er aber eine 
so vage Antwort, daß Damast Verdacht schöpfte 
und beschloß, dem Süßholzraspler auf die Spur 
zu kommen. Er schlich ihm heimlich nach und sah, 


VON RAINER PREVOT 


wie er unschlüssig davonschlenderte, um schließ- 
lich, sichtlich verärgert, unter eine der spärlichen 
Steineichen zu kriechen, in der oflenkundigen 
Absicht, seine obdachlose Nacht dort zu ver- 
bringen. Damast dachte sich sein Teil. Wie hatte 
sich doch der windige Kerl gebrüstet, als er von 
seinen Aussichten als Heldentenor am attischen 
Staatstheater sprach. Der Ziegenhirt fühlte seinen, 
jedem reinblütigen Hellenen angeborenen, Re- 
spekt vor Kunst und Künstlern bedenklich sinken 
und sein eigenes ziegenhlrtliches Standesbewußt- 
sein entsprechend steigen. Er wandte sich heim- 
wärts, helter entschlossen, seiner verirrten Ziege 
Eumala nach langer Zeit wieder einmal ver- 
gleichsweise zu beweisen, welch einem Mann 
sie gefolgt warl x 

Als er aber, an der Zisterne notdürftig gesäubert, 
das Schlafgemach betrat, tat der aufdringlich dar- 
gebotene Anblick der rückseitigen Rundung sei- 
ner ehelichen Nymphe seinem ästhetischen Auge 
weh, und die schnarchende Sprache ihrer sın- 
geschlummerten Teilnahmslosigkeit verletzte sein 
Ohr wie sein männliches Selbstgefühl. Als er über 
dem Kopfende des Bettes gar eine Harfe hängen 
sah, lächelte er verächtlich, warf seine Hirten- 
tasche um, nahm seinen Krummstab mit der wehr- 
haften Spitze und wanderte für immer hinaus in 
das hohe Waldgebirge. 

Dort wußte er von einer tiefen Höhle, in der die 
Geister des Styx sich den Menschen, die ihres 
Sinnes sind, offenbaren. Und Damast fühlte sich 
ihres Sinnes. Er nahm fortan das Pseudonym 
„Prokrustes” an, bekannte sich zur Berufsgemein- 
schaft der Räuber und Wegelagerer und zur ehren- 
haften Weltanschauung der „Skeptiker“. Manchmal 
verlrrten sich Leute von der Küste bis zu ihm hin- 
auf. Die sind von Natur mißtrauisch, weil sie das 
wandelbare Meer kennen, das so sehr der Tücke 
der Menschen gleicht. Und mit ihren Berichten 
aus aller Welt bestärkten sie Prokrustes in seiner 
rächenden Lust gegen alle Protzen und Groß: 
sprecher, die klein zu machen, und gegen slle 
Kleinmütigen, die „auszustrecken” seine neue 
Lebensaufgabe war. Weise Hirten aus dem Ge- 
birge berichteten von ihm geflügelte Außerun- 
gen, die bis zur Agora von Athen drangen und 
bei den zünftigen Philosophen. seinen Ruf als 


STÜRZENDER BACH 


Über Geröll und Gestein 

slürzt sic, aufschäumend, der Bach. 
Rausctt audı dein Ilerzschlag darein? 
Riefen die Wellen dich mach? 


Was dir die Tiefe verspricht, 
söltlicher, brandender Strahl, 
zwingt dicdı aus Quelle und Licht 
taumelnd und tosend zu Tal. 


Weile, vermeile, sei mach! 
Drunten, mein Herz, hist du bald, 
drunten die Flüsse sind flach, 
meise und müde und alt. 


Weile, vermeile, sei mach! 

Weiß ich, mein Herz, wo icı bin? 
Rausdıst du im schäumenden Badı 
oder im Tal sdion dahin? — 


Rudolf Habetin 
490 


„Pessimist”, Weiberfeind und Vorläufer Schopen- 
hauers begründeten. 

Prokrustes aber war kein Theoretiker seiner Welt- 
anschauung, sondern ein erfahrener Mann der 
Praxis, Er kannte jetzt die Menschen und wußte 
um das mythische Geheimnis der Berge und 
Wälder. Er hielt nächtliche Zwiesprache mit Hepnal- 
stos, dem göttlichen Meisterschmied, der ihn auf 
den Einfall brachte, sich mittels eines Bettes, die- 
ser Ursache seiner ehelichen Schmach und seiner 
Menschenverachtung, am gesamten Geschlacht 
der Irdischen zu rächen. 

Er wußte, daß hin und wieder ein'ge Kaufleute 
und fahrende Sänger den Engpaß benutzten, an 
dem seine Höhle lag. Er richtete dort also ein 
Fremdenheim ein, gab sich die einladenden Allüren 
eines gastfreien Wirtes und bot den müden Wan- 
derern das bald sagenberühmte Bett an, das von 
göttlicher Eingebung war und nach des unter- 
weltlichen Meisters Weisungen gefertigt. Dieses 
Bett war so bemessen, daß es dem einen zu lang 
und dem andern zu kurz war, keinem jedoch sein 
richtiges Maß bot. „Sollte aber einmal einer kom- 
men”, hatte der Gott gesagt, „der genau in das 
Lager paßt — dann hüte dich, Prokrustes, ihm ein 
leid zuzufügen; sonst bist du meinem Zorn ver- 
fallen!” Aber dieser Eine kam nicht. 

Der gewissenhafte Wirt war der Meinung vieler 
seiner Fachkollegen, daß der Gast für das Bett 
da sel und sich nach den Bräuchen und An- 
spıüchen des Hotels zu richten habe, und nicht 
etwa umgekehrt. Er nahm es mit seinen Ge- 
schäftspraktiken genau, streckte oder verkürzte 
jeden, bis er das Maß seines Patentmusterbettes 
hatte, dank dem er mit dem Beinamen des „Aus- 
streckers“ ins Konversationslexikon kam. Oft hörte 
man die Hilferufe der Gemarterten bis hinunter 
Ins Tal. Die Polizei aber kam immer zu spät. 

Da indessen der Eine immer nicht kam, in hun- 
dert und in tausend und In abertausend Jahren 
nicht, blieb die gruselige Sage von Prokrusies 
lebendig, zur Zufriedenheit einer schadenfreudi- 
gen Menschheit. Und jedesmal, wenn ein Ver- 
trauensseliger seine Schwelle überschritt, dankte 
der Gastwirt „Zum Wunderbett” dem höllischen 
Meisterschmied für die reiche Fülle seiner possi- 
mistischen Befriedigung und das Florieren seiner 
menschenfeindlichen Firma. 

Eines Abends jedoch, als’ der sagenhafte Welt- 
ruf des Prokustesschen Hotels schon welt über 
Hellas Grenzen gedrungen war, kam ein Fremder 
des Weges gefahren, In einem ganz modernen 
Gefährt, das er nach neuer Sitte selber steuerte. 
Der lächelnde Wirt stand vor der Tür und machte 
die Honneurs. Als der Gast sich an Braten und 
Wein gesättigt, verlangte er zu ruhen und legte 
sich unter des Gastfreunds aufmerksamem Auge 
mit sichtlichem Behagen auf die Ruhestatt, 

Ob er sich wohl befinde und das Bett ihm auch 
bequem sel, fragte sarkastisch Prokrustes. 
„Wundervolll” bestätigte der Fremde, „noch nie 
fand ich ein Bett so ganz nach meinem Maßl" Da 
erschrak Prokrustes zum erstenmal. Die Mahnung 
des Gottes fiel ihm ein, Mit helmlichem Grauen 
begann er zu messen. Und Je mehr er sich zb- 
mühte, immer klarer wurde ihm, daß der unheim- 
liche Gast gekommen war, gegen den seine 
gämonische Tücke machtlos bleiben mußte. 

„Wer bist du denn, Fremder?” stotterte er verslört. 
„Liest du denn keine Zeltung, o Gästfreund? Hörst 
du keinen Rundfunk? Gehst du nie ins Kino?... 
Ich bin Euphonlos, der berühmte Staatsoperntenor 
und Filmstarl” 

Da rannte Prokrustes in die Nacht hinaus. Es v’ar 
ihm plötzlich klar geworden, daß Rache eitel ist 
und selten den Richtigen trifft und daß Saiten- 
spieler, Operntenöre und die neumodischen Film- 
stars Leute sind, die in jedem Bett eich zu Hause 
fühlen, und gegen die keines Gottes Macht etwas 
vermag. 


Der Windstoß (R. Kılosch) 





„Wie können Sie mir bei so 'nem Sturm nachlaufen, mein Herr?“ — „Gerade deswegen, meine Gnädigel“ 


Il colpo di vento: “Ma, signore, come mal potete corrermi dietro con questa bufera?,, — "Appunto per questo, signoral!, 


491, 


EIEBEZZUTREERD 


Ihr kennt die Romanze von Donna Diana, der 
spröden Jungfrau aus Katalonien, die sich am 
Ende dennoch freien ließ? Und Ihr entsinnt euch, 
daß Shakespeares Petruchio viel liebe Mühe hatte, 
das widerspenstige Edelfräulein aus Padua zu 
zähmen, ehe er endlich sagen durfte; Nun, Käth- 
chen, komm zu Bettel — Was ich heute zu be- 
richten weiß, klingt nicht weniger amourös als 
eine Romanze oder ein arliger Schwank ums Ge- 
plänkel der Herzen und Sinne Freilich ist der 
Schauplatz des Histörchens weder im Schatten 
spanischer Oliven noch in der ‚Obhut Italischer 
Zypressen zu suchen, vielmehr begab sich der 
Spuk im rheinischen Gebirg, wo die Töchter 
sonst und gemeinhin weniger störrisch den Wer- 
bungen der Männer zu begegnen pflegen. Ja, 
das Ereignis geschah sogar im Kriege, und es 
soll uns mitnichten befremden, wenn die in rauhen 
Zeiten notwendige Tugend des Mutes sich kelnes- 
wegs scheute, auch einmal anmutig und letztlich 
voll Ubermut zu sein. 

Bedenkt, der junge Oberleutnant, den wir mit sei- 
nem Vornamen Diepold rufen dürfen, hatte viel 
Schweres an den Fronten erlebt, nun ritt er, von 
einer Wunde genesen, durchs Eifeler Revier, bald 
ein "freundliches Wort begehrend, bald einen 
Schluck aus den Quellen. So kam er, das Pferd 
am Glitter eines Landhauses vorüberlenkond, dem 
Blick einer schönen Frau Ins Gehege, die, im 
Sattel eines Wallachs thronend, sich anschickte, 
auf den Wiesen Ihres Besitzes die vielfältigen 
Herden eigner Züchtung zu Inspizleren. 

Der Offizier hielt inne, klopfte seinem Gaul den 
Hals, versuchte ein Gespräch zu knüpfen, denn 
er tat die Ansicht kund, derlel 
Lämmer, Bienen und Truthähne 
wären nützlicher als ein Treib- 
haus voll Hyazinthen, oder ob die 
schöne Frau anderer Meinung 
wäre, — allein das emsige, von 
der Arbeit eingenommene Ge- 
schöpf schien nicht gewillt, des 
Reiters Frage mit einiger Huld zu 
bescheiden. Vielmehr ließ die 
Dame eine Sprache vernehmen, 
gegen deren abweisenden Ton- 
fall die Antwort Greihchens im 
Osterspaziergang nur eln scheues 
Flüstern gewesen war. Sie sagte 
nämlich, sie wäre ein Fräulein, 
gottlob und mitnichten eine Frau, 
und ob ihr das Prädikat zustünde, 
für schön befunden zu werden, 
das verlange sie nicht zu wissen. 
Ihr Gesicht war so ernst, Ihre 
Geste dermaßen spröd, und ihre 
Belehrung, es schicke sich nicht, 
von Sattel zu Sattel mit vorneh- 
men Damen anzubändeln, scholl so 
ungnädig, daß dem Oberleutnant 
nichts andres übrig blieb als mit 
Respekt zu salutieren und dar Fräu- 
'einumVergebungseinerallerdings 
überaus schweren Sünde zu bitien. 
Der sanfte Spott des zum Walde 
hin reitenden Kriegers war der 
Widerspenstigen nicht entgangen, 
andererseits mühte sich der Sol- 
dat, seinen Groll In eine stol- 
zere Empfindung zu verwandeln; 
und dieses neue Gefühl hatte 
etwas mit dem Begehr nach Ver- 
geltung zu tun, obzwar Im holden 
Sinne, Denn, dies muß man wis- 
sen, der Oberleutnant Dienold 
war von der Begegnung eher ent- 
zündet als gekränkt, und uer 
Wunsch, die schöne Gärtnerin zu 
zähmen wie Herr Petruchlo sein 
strenges Käthchen, wurde genährt. 


Ruhetag - Giorno di riposo 


VON HEINZ STEGUWEIT 


Am Abendtisch der Offiziere fiel Diepolds Karg- 
heit auf; man bat den sichtbarlich bedrückten 
Kameraden, das Herz aufzutun und die Zunge zu 
lockern. Da erzählte Diepold sein Abenteuer, und 
als er den Hergang der erlittenen Abfuhr onne 
Beschönigung, wenngleich mit gelassener Heiter- 
keit, kundtat,.gab’s ein herzlich Gelächter rundum. 
Nicht aus Schadenfreude, vielmehr wußten die 
Kameraden zu melden, daß das ungnädige Fräulein 
mit Namen Jorinde den Herren des im Eifeler 
Waldgebiet einquartierten Regiments durchaus 
bekannt sei. Ja, das heftige Wesen der Dame 
übertreffe sowohl Donna Dianzs Betragen als 
auch die Unduldsamkeit von Petruchlos Käth- 
chen. Man wisse zwar den Namen Jorindes, man 
schätze auch ihren Beruf als Züchterin von Pflan- 
zen und Tieren, wer aber Ihr Herz gewinnen 
wolle, der müsse schon zu Werke gehen wie 
Jung-Siegfried bei der Islandkönigin Brunhilde. 
Auf Diepolds Frage, ob die schwierige Jotinde 
sich aufs Reiten Im Pferdesattel wahrhaftig ver- 
stünde, gab man den ausdıücklichen Bascheid, 
daß hier mit der schönen Amazone freilich nicht 
zu spassen sel; das Mädchen galoppiere Jeg- 
lichen Morgen um Sonnenaufgang mit einem 
Wallach über Hecken und Bäche, es sei des Wil- 
den Jägers kühne Schwester und pflege alle Ver- 
folger lächelnd hinter sich zu lassen. 

Diepold war's zufrieden. Er ging beizeiten ins 
Bett, allerdings ließ der Schlaf auf sich warten, 
sintemal den ertegten Kopf noch mancherlei 
Pläne beschäftigten. Wissen muß man, daß die 
Berichte dor Kameraden das strudelnde Gemüt 
in Aufruhr hielten, und den, der gestern nur 


00 


492 





schwärmte, umzingelten haut’ die Geister einer 
Bewunderung, die erlöst zu werden verlangte. 
Apoll hub an, um Daphne zu werben, vom offe- 
nen Trotz war nicht welt bis zur heimlichen Lisbe, 
es durfte kein Remis geben in diesem Gefecht 
der Edlen. 
Tag um Tag ritt Diepold in einsamer Kuckucks- 
frühe durchs laubige Gebirg, abwechselnd liehen 
die Kameraden ihm ein Pferd nach dem andern, 
piüfen und erproben sollte er, welches das 
schnellste sei. Morgen für Morgen mühte sich 
der chevalereske Soldat, nicht nur des Reitens 
forscheste Kunst in der Schule unentrinnbarer 
Verliebtneit zu üben, er war auch bestrebt, den 
von kriegerischen Narben behinderten Leib wie- 
der nützlich zu lockern. Tauchte dann bei derlei 
Ritten zwischen Berg und Tal das hoffärtige Fräu- 
lein vor einer Schneise auf, versäumte der Raiter 
keineswegs, die Stolze zu grüßen; dann nickte 
sie nur, beim dritten Mal wagte sie gar einen 
geheimen Blick vom Sattel hinüber Ins Angesicht 
des Mannes, der vorläufig keinen Hauch seiner 
Gefühle preisgab. Ihm fiel nur auf, daß Jorinde 
— so schlen.es — nunmehr nicht ohne Absicht 
die Spur seiner Wege kreuzte; das Fräulein 
konnte nicht rasch genug den eignen Wallach 
vor dem Pferde des Oberleutnants einherlenken, 
bald im Trab, bald In lodernder Karriere, — Herr 
Diepold tat der Spröden nie die Freude an, 
einen verfolgenden Wettlauf zu beginnen; wohl 
aber gönnte eı sich einmal den Zuruf, ein Spiel 
‚mit seiner Geduld wäre gefährlich, und die Rel- 
terin antwortete nichts, doch zeigte sie, einem 
unartigen Kinde gleich, die Zunge, um dann 
spornstreichs zu entfliehen, 
Bis der Soldat eines Morgens die 
Gewißheit hatte, daß der Hengst, 
den er soeben rltt, ohne Zweifel 
die flinkste Kreszenz der erreich- 
baren Ställe Im Umkreis sel, Da 
faßte er sich ein Herz, sprengte 
zum Landhaus der Schönen hin, 
traf das reitende Fräulein und gab 
mit Freimut zu wissen, daß er 
heute keine Abwelsung und 
kein Entrinnen mehr dulde. Er 
bitte also, den Wettlauf mit 'hm 
zu erproben, und sollte er ge- 
winnen, ‘müsse der Preis be- 
glichen werden.:. 
Jorinde lachte ihr kühnstes La- 
chen, freilich gelang es Ihr nicht, 
das erste Erröten zu verhindarn: 
im Schimmer ihrer Wangen und 
Augen tat sich ein Geheimnis 
kund, von dem man nicht wußte, 
ob es noch immer letzte Abloh- 
nung in sich verbarg. Also wil- 
ligte das Fräulein ins Ansinnen 
z des Herrn, mit slegesgewisser 
Miene und triumphierendem Blin- 
zeln allerdings. Ritt dann, bevor 
er.noch danken konnte, querfald- 
ein Ins Weite, ein Fliegen und 
Stürmen war's eher als ein 3a- 
loppleren; indes Diepold folgte, 
schnell, sehr schnell, nicht Gräben 
oder Hürden scheuend, vollzog 
sich ein Hindernisrennen mitten 
in des Herrgotts Eifeler Natur, da 
stoben die Hasen, und das plär- 
rende Volk der Kıähen suchte 
sein Heil in der Luft. 
Fünf Minuten, dann war Jorinde 
x überholt. Sie biß sich die Lippen, 
sah den Weg von des Siegers 
schäumendem Pferde verstallt, 
nannte alles ein ungleiches Spiel 
und verwies darauf, daß es nicht 
tedlich sel, die Vehemenz eines 


Oberborgen) 


Rationelle Schönheitspflege - Cura razionale della bellezza 















Hengstes mit der begrenzten Kraft eines Wallachs 
zu messen, Diepolds Meinung, die Kunst läge beim 
Reiter, weniger beim Pferd, außerdem wolle der 
Umgang mit vollblütigen Hengsten gelernt sein, 
ließ das Fräulein nicht gelten: Jorinde bestand 
darauf, daß die Wette auf getauschten Gäulen 
wiederholt werde. Diepold willigte ein, auch bot 
er jede Hilfe an, doch das Fräulein, weit stör- 
tischer als jemals, lehnte ab, nie habe die beste 
Relterin zwischen Mosel und Rhein solcher Hilfe 
bedurft, spottete sie, dann war Jorinde abermals 
auf und davon... 

Der freundliche Gegner folgte auf dem Wallach, 


wiederum drohte der Soldat den Hochmut der 


Amazone zu strafen, als das Spiel eine teils bit- 
tere, teils überaus anmutige oder gar übermütige 
Wendung erfuhr. Denn die Dame, die ein neues 
Unterlliegen mit allen Mitteln reiterischer Schlau- 
heit zu verhindern trachtete, lenkte den Ihr an- 
vertrauten Hengst absichtlich einer Koppel zu, 
wo die. Stuten des eigenen Hofs weideten. Jo- 
tinde ahnte, daß derlei Witterung den Eifer ihres 
Tieres bis zur Sturmeseile beflügeln mußte, — als 
etwas geschah, was ebenso kurlos wie natürlich 
war, obgleich es nicht im Kalkül des eitlen Fräu- 
leins verzeichnet stand. 

Hört: Jorindes Hengst zögerte nicht, sich eine 
der Stuten mit flottem Blick zu küren. Er hielt, 
nicht Sporn noch Zügel mehr empfindend, wie- 
hernderwaßen inne, kein Zuruf oder lockendes 
Schnalzen betörte den Gaul, der sein Opfer um- 
tanzte, um sich dann, nach mancherlei Liebkosun- 
gen mit Mähne, Hals und Zunge, auch den letz- 
ten, den holdesten Hüpfer zu gönnen... 

Herr Diepold, der edle Ritter, der das Fräulein 
noch Immer Im Sattel des hurtig rauschenden 
Hengstes thronen sah, wußte nicht, ob er das 
Bild, das sich Ihm bot — ein Schauspiel der 


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Natur, wie man sagen muß — nun herzlich be- 
dauern oder weit seliger belachen sollte. Da aber 
das Fräulein, aller Bestürzung untertänig, der 
Lage keineswegs gewachsen war, vielmehr zwi- 


INSEL MAINAU 


Auf der Terrasse _ 


Ist es der Duft, 

Aus Rosen entstiegen, 

Der midı beseligt, 

Oder drunten die blaue Gruft, 
Zupressenumschmiegen, 

Die mir befehligt, 

Süß ins Vergessen 

Hinab zu beben? 


Lädhelnd zu schweben — 


Lehrt mich hauptüber 
In luftblauer Bucht 
Goldenhäutig 

Die südlidie Frucht! 


Zypresse 
Flammend sie sühnt! 
In blättriger Dichte 
Heiße Verzichte, 


Finstrem Verzehren, 
Kann sie ihm mehren? 
Erbarme! 
Immer grünt 
Das Begehren 
Erstorbener Arme, 
Georg Schwarz 


493 


ı 1 
N) \\ CRM u { (irgeze 


(Fr. Bllek) 











schen Erröten und Erblassen ein übers andre Mal 
um Hilfe rief, meinte sich der muntere Kavalier 
des Versicherns zu entsinnen, daß die beste Rei- 
terin zwischen Mosel und Rhein keinerlei Hilfe 
bedürfe —?! Dennoch führte er seinen Wallach 
behutsam an die Flanke des vermögenderen Ka- 
meraden, In dessen Sattel die Amazone flehent- 
lich schaukelte. Und verstand es, tells mit güti- 
gem Zuruf, zumeist aber doch durch abwartende 
Geduld des Hengstes Feuer zu beschwichtigen. 
Bis das Tier, seiner Moral als gut erzogenes 
Equus caballus wieder inne werdend, allmählich 
neuen Boden fand, um dann, das Intermezzo mit 
einem dankbaren Schnauben beschließend, den 
Gehorsam auf Zügelzug und Schenkeldruck neuer- 
lich aufzunehmen. 
Diepold salutierte vergnügt, Fräulein Jorinde aber 
sank erschöpft vom Roß, der Reiter neben ihr 
mußte eilends den Sattel verlassen, um die Dame 
aufzufangen, und zwar in den innig gebreiteten 
‚Armen. 
Den Heimweg legte man wandernd zurück, Jeder 
tat philosophisch, jeder führte auch sein Pferd, 
und Jorinde durfte, konnte, ach: wollte nichts 
andres offenbaren, als daß sie sich überwunden 
fühle, der edie Herr Diepold sei heute abend 
zu Gast gebeten... 
Uns Ist gestattet, dem Paare einiges Glück zu 
wünschen, vor allem der gezähmten Jorinde. Die 
Kameraden, denen es oblag, nach den Gründen 
und Umständen des kaum begieiflichen Sieges 
zu fragen, antwortete der stille Triumphator 
lediglich, die Liebe — und nur diese — habe ihm 
geholfen, das Paradies der Erde liege nun mal 
auf dem Rücken der Pferde, und er fügte von 
Petruchios Käthchen die einsichtsvollen Worte an: 
© daß die Weiber herrschen, trotzen wollen, 
Wo sie nur immer lieben sollen. ., 


(K. Helligenstaedt) 


Verschwendung 


„Albert hat die Übersicht über Zahlen völlig verloren: gestern schickt er mir nur ein Küßchen — 
heute sinds schon tausend Küsse!“ 


Sperpero: “Alberto ha perduto completamente I" orlentamento de! numerl. lerl mi mandava un solo bacIno ed oggl me ne manda glä millel,, 


494 





DER SCHÄFER 


Hat früh den Tau die Sonne aufgelogen, 

Greifft du gemach zu deinem Schwarzdornftock, 
Kommt friedlich mit der Herde angezogen, 
Grau wölkt der Vliefe dichtes Wollgeflock. 


Dir folgt dein frommer Wolf, der das Gewimmel 


Der Leiber auf der Trift zulammenhält. 
Dein find die Erde und der freie Himmel, 
Dein ift die ganze grüne Pflanzenwelt. 


Und nähert fich der Abend feucht der Erde, 
Ziehft du gelaffen auf den Hof zur Nacht: 
Du vorneweg und hinter dir Die Herde. 

Es {ft fchon viel: Du haft fie fatt gemacht. 


Heinz Friedrich Kameche. 


NEBEN BUHTLER 


Scheinbar lebten sie im besten Einvernehmen, 
die Bewohner des Hauses Rabengasse 13. Schuh- 
machermeister Lund in seiner Kellerwerkstatt — 
Frau Skog, die Miichhändlerin und Fräulein Jons- 
son, die Grünkrämerin Im Erdgeschoß — die 
Näherin Alida Persson und die Witwe Phil mit 
ihrer Tochter Aina im ersten Stock. 

Meister Lund, Junggeselle und in noch guten 
Jahren, war als einziger Mann im Hause natürlich 
der Hahn im Korbe. Gern ließ er sich auch die 
vielen kleinen Beweise besonderer Geneig!heit 
gefallen, mit denen ihn die weibliche Nachbar- 
schaft in selbstloser Weise und ohne eifersüch- 
tige Regungen von allen Seiten bedachte. 

Des Sonntags zum Beispiel war er ständiger Mit- 
tagsgast bei Fräulein Jonsson, um bei Frau Skog 
den Nachmittagskaffee einzunehmen und sich 
hernach bei der Witwe Phil an einigen Gläschen 
selbstbereiteten Kirsschweines zu erquicken. Den 
Abend aber verbrachte er in Gesellschaft von 
Alida Persson, die Besitzerin eines kostbaren 
Schallplattengerätes war. Kurzum, er führte ein 
Leben wie Im Paradlese und war ängstlicher denn 
je bedacht, sich seine Junggesellenfrelheit zu 
währen. 

Bis eines Tages das Schicksal einen seiner launen- 
haften Sprünge tat und Ihm den Spaß verdarb. 
Die Witwe Phil hatte sich entschlossen, ein Zim- 
mer ihrer Wohnung zu vermieten, 

Der neue Mieter war ein Junger Eisenbahn- 
beamter. Ein liebenswürdiger Junger Mann, der 
in seinem Äußeren einem bekannten Filmhelden 
sehr ähnlich sah. Was Wunder also, daß er Ein- 
druck machte und die Herzen der Damen im Nu 
gewann. Und das auf Kosten des Schuhmacher- 
melsters! 

Denn mit Kummer und Verdruß mußte Meister 
Lund erfahren, wie wandelbar die Gunst des 
schönen Geschlechtes Ist. Die sonntäglichen Ein- 
ladungen wurden spärlicher und spärlicher. So 
zog er sich schließlich von selbst zurück und 
flüchtete in die Abgeschlossenheit seiner Keller- 
gemächer, sobald er nur die Stimme seines 
Nebenbuhlers vernahm. 

Von Stund an war er ein gebrochener Mann und 
verfiel offensichtlich dem Trübsinn. Er sang richt 


DER TON 


Die Grille singt; 

von ihrem Laut 

sind Menschen fröhlich und erbaut: 
Wie hübsch es klingt! 


Man fängt sie und man sperrt sie ein, 
kein Käfig ist für sie zu klein, 

auf daß sie nicht den Ton verliere 
und -so geplagt- noch lauter musiziere. 


Peter Scher 


Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgesellschaf 


Verantwortl. Schriftlelter: Walter Foltzick, München. — Der 
anstalten enigegen. — Bezugspreise: Einzeinummer 30 


Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfäll 


VON WILLY WALFRIDSON 


mehr und grüßte niemanden, er hämmerte nur 
noch mit glanzlosen Augen auf die Schuhe ein, 
Das Haus, früher ein Garten Edens, hatte sich in 
ein Inferno verwandelt, so daß er beschloß, aus- 
zuziehen und sich einen neuen Kundenkreis zu 
suchen. 

An jenem Morgen aber, da er diesen Beschluß 
gefaßt, erhielt er einen Brief. Und der stammte 
von dem verhaßten Nebenbuhler und enthielt 
eine Einladung zur Verlobungsfeier, die am Abend 
in der Wohnung der Witwe Phil stattfinden sollte. 
Die Verwirrung jedoch, in die Meister Lund darob 
geriet, stand in keinem Verhältnis zu der, die 
die weiblichen Bewohner des Hauses befiel. Denn 
an alle Hausbewohner war die Einladung er- 
gangen und jede schwelgte nun In der Hoffnung, 
daß gerade sie und keine andere die Aus- 
erwählte sein würde, 

Kokett betrachtete Frau Skog sich in dem kleinen 
Spiegel, den eine Margarinefabrik zu Reklame- 
zwecken in ihrem Laden hatte anbringen lassen. 
Und in der Anwandlung eines Gefühls feierlicher 
Andacht holte Alida Persson ihr Konfirmationskleid 
hervor und überlegte, wie sich daraus wohl ein 
Brautstaat machen ließe. Das kleine, dürre Fräu- 
lein Jonsson hingegen saß hinter dem Ladentlsch 
und übte sich, schmachtend ein zartes Ja zu 
hauchen. — 

Und der Abend kam. Traurigen, doch gefaßten 
Sinnes — nachdem er sich zuvor ein wenig Mut 
und Stärkung angetrunken — betrat Meister Lund 
die Wohnung der Witwe Phil. Die Damen waren 
bereits vollzählig anwesend. Frau Phil bat Platz 
zu nehmen und Aina, die Tochter, schenkte ihm 
ein Glas Kirschwein ein. 

Da betrat der verhaßte Rival den Raum. 

„Es freut mich, daß Sie gekommen sind, meine 
lieben Freunde, und ich danke Ihnen!” begrüßte 
er seine Gäste. 

Lund schluckte den Inhalt seines Glases, als 
tränke er sauerstes Essigwasser. Der andere aber 
ergriff erneut das Wort. 

„Ich habe Sie eingeladen, meine Verlobung zu 
feiern. Wer die Braut ist? Geduld, meine Lieben! 
Gleich will Ich es Ihnen verraten.“ 

Lautlose Stille verhaltener Spannung folgte seinen 
Worten. Dann aber machte sich unter den Damen 
eine gewisse Unruhe bemerkbar. Madame Skog, 
die hinter Fräulein Jonsson saß, schob Ihren Stuhl 
in günstigere Position. Ein Manöver, das von den 
anderen sofort durchschaut wurde, Ein verbisse- 
ner, hartnäckiger Kampf um den besten Platz be- 
gann und endete erst, als der junge Mann wieder 
weitersprach. 

„Doch nun will ich endlich die Siegel des Geheim- 
nisses lösen. Denn ich hoffe, daß meine Auserko- 
rene mich mit offenen Armen aufnehmen wird...” 
Drei Paar sehnsüchtiger Frauenarme streckten sich 
ihm entgegen, drei Herzen helratslustiger Frauen 
drohten zu zerspringen, drei Lippenpaare formten 
sich zu einem zarten Ja. Meister Lund aber, ent- 
schlossen, seln Geschick mannhaft zu ertragen, 
griff mit fester Hand nach dem Stuhlrücken vor sich. 
Doch da zeigte sich auf dem Gesicht seines Ri- 
valen plötzlich eine Mischung von Erstaunen und 
leichtem Spott. Alsdann aber trat er an Aina, die 








scheint wöchentlich einmal 
t im Monat RM. 1.20. — Unverlangte 





Simplicissimus 
Pf.; Abonneı 





Junge Tochter der Witwe Phil heran, umarmte sie 
und rief: 
„Liebe kleine Aina, Jetzt bist du mein — vor aller 
Öffentlichkeit!” 
Diese sensationelle Wendung löste unter den 
Frauen, die so Jäh aus den Wolken des Glücks 
gefallen, die trübste und verzagteste Stimmung 
aus. Nur noch mit Widerwillen ließen sie nun die 
zufriedenen Reden der Witwe Phil über sich er- 
gehen, womit diese voller Rührung das Gllick 
ihrer Tochter pries. Es schien, als wären die glü- 
henden Herzen plötzlich zu Eis erstarrt, und es 
war Ihnen anzumerken, wie bitter es sie reuie, 
soviel Zeit und Mühe an einen Unwürdigen ver- 
geudet zu haben. 
Melster Lund dagegen kam immer mehr in sein 
altes Fahrwasser und wurde wieder guter Laune 
Und stand auf und hielt dem jungen Paar eine 
begeisterte Rede, worin er den früheren Neben- 
buhler einen braven und biederen Bürger nannte, 
Als Fräulein Jonsson ihn dann aber beim Abschied 
für den nächsten Sonntag zum Mittagessen einlud, 
da söhnte er sich vollends mit dem Schicksal aus 
und entschloß sich, den Plan seines Wegzuges für 
Immer aufzugeben. 

(Aus dem Schwedischen von Valborg Rietig) 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückol) 








Bobby sagt zu Rudi: 

„Du, denk dir nur, heute vormittags treffe ich den 
Baron Schreckenstein, glaubst du, er hätte ge- 
grüßı?" 

‚Aber Bobby”, erwidert Rudi, „der ist doch schon 
it Wochen in Italien!“ 

Meint Bobby: 

„Aber deswegen hätte er ja doch grüßen können!” 





* 


Unser Ileber Mitrekrut Banz war einer, dem 
man nicht ankonnte, Als er einmal bei der Übung 
wieder recht schlecht schoß, nicht nur keinen 
Ring, sondern nicht mal die große Scheibe traf, 
und der Herr Unteroffizier ihn stauchte, sagte er: 
„Entschuldigen S', Herr Unteroffizier, ich denk halt 
immer an den Ernstfall.” 

la 

„Ja stellen S’ Ihnen doch so einen feindlichen 
Sturmangriff vor, ganz dick und schwarz kommen 
s’ daher, wenn mir da alle nach dem selben Fleckl 
schiaß'n, san ma hergschenkt..." H. W. 





München, Sondlinger Straße 8 (Fornruf 1296). Brlefanschrift: München 2 BZ, Brieffach: 
Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, 


Zeitungsgeschäfte und Post- 


insendungen werden nur zurückgesandi, wenn Porto beiliegt. 
lungsort München. 


Das alliierte Terzett 


SS 
TCON 





chte Harmonie entstehen!" 


spielt, kann keine rei 


Noten 


jeiger naı 


ne! Solange der Baßg 


„Verdammte Mißtö: 


dietro le proprie note, non poträ mai uscirne una giu: 


ssista suona 


trabba: 


! Fintantoche Il con! 


Il terzetto degli Alleati: *“Maledette stonature 


496 


München, 22. September 1943 i 
48. Jahrgang / Nummer 38 ; 30 KR 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Moskaus neuer Liebling 


{Erich Schilling) 


De Gaulle wird zum sowjetischen Konjunkturritter geschlagen. 


Il nuovo benlamino di Mosca: De Gaulle viene creato “Cavaller di congluntura,, del Sovietl. 





Fischkönig = II Re de! pesci 


Der Stammtisch 


Von Walter Foitzick 


Ich weiß nicht, ob sich die Soziologen schon mit 
dem Stammtisch beschäftigt haben. Nächst der Ehe 
halte ich ihn für eine der wichtigsten Grundlagen 
des Gesellschaftsiebens der Indogermanen, In- 
sonderheit der germanischen Sprachfamilie. Ich 
glaube an die staatenbildende Kraft der Stamm- 
tische. Erst als die nördlichen Völker durch Be- 
rührung mit der südlichen Zivilisation Tische, und 
somit Stammtische bekamen wurden sie seßhaft 
und gründeten Staaten. 

Der Stammtisch ist die Keimzelle des Vereins, er 
unterscheidet sich von diesem nur durch das Feh- 
len von Statuten. Es kann vorkommen, daß sich 
durch Staatsstreich oder durch Volksbeschluß einer 
der Stammtischler zum Kassenwart aufschwingt, 
und schon Ist der Verein fertig. Was. daraus werden 
kann, ahnt man gar nicht. 

Der ungeschriebenen Gesetze hat der Stammtisch 
viele. Es sind sehr strenge Gesetze, die aus 
Brauchtum befolgt werden. Da weiß jeder, an 
welcher Stelle einer bekannten Geschichte er bei 
deren Bericht zu lachen hat, wann er Stammtisch- 
brüder bedauern muß und wann er alles zu über- 
sehen hat. Um jeden Stammtisch Ist solche 
Geheimwissenschaft. Bekanntermaßen entsteht aus 
Gebräuchen Kultur. Noch hat niemand das große 
Werk geschrieben: Die Geburt unserer Kultur aus 
dem postglazialen Stammtisch. 

An guten Stammtischen hat Jeder seinen Stamm- 
platz, Tritt der erste Stammgast an den Tisch, so 


(A. Kubin) 





fragt er, ob noch niemand von den Herren da Ist. 
Die Bedienung bestätigt ihm dann regelmäßig, daß 
er der erste sei. Früher waren für die Herren am 
Stammtisch Zeitungen und gebratene Kalbshaxen 
reserviert. Das liegt jetzt sehr im argen und 
Überlebende bemühen sich, diese Tradition in die 
Zukunft hinüberzuretten. 

Man weiß von Jedem einzelnen, ohne zu fragen, 
ob er Helles oder Dunkles trinkt. An Stammtischen 
gedeihen auch häufig die Blerwärmer. Eine voll- 
ständige Entwicklungsreilhe der Bierwärmer fehlt 
selbst im Deutschen Museum zu München. Des- 
gleichen vermissen wir auch eine gründliche Arbeit 
über die geographische Verbreitung des Bler- 
wärmers. Südlich drang er mit den einwandernden 
Bajuwaren bis in die Alpentäler vor, nördlich findet 
man Ihn in der Diaspora selbst In Berlin. 

Früher hat ein gepanzerter Ritter auf dem Tisch 
das Signal gegeben, daß sich kein Unbefugter hier- 
her wagen dürfe, heute zeigt ein einfaches Schild 
mit der Aufschrift „Stammtisch“, daß hier heiliger 
Boden ist. Aber dieser Boden ist jetzt ‘sehr ge- 
fährdet, und heranbrandet die Menge, um alte 
Rechte zu zerstören. Nicht zu beneiden ist der 
einzelne Mann, der im Schatten des Schildes sitzt 
und mit seinem Leib das Asyl für die andern 
decken will. 

Die Berechtigung zum Stammtisch steht jedem 
Deutschen frei, doch ist es Sitte, daß er sich erst 
In reiferem Alter zu Stammtischen vereinigt. Neue 
Stammtische entstehen teils durch Stecklinge, teils 
durch eine Art Zellteilung, indem durch Krach 
aus einem Stammtisch häufig zwei werden. 


498 


DIREKTOR BRINKMANN 
VON C. E HELK 


Meier, der Pferdehändler, hatte eine wirklich 
hübsche Fuchsstute im Stall stehen. Dreitausend 
Mark wollte er dafür haben. Das war allerdings 
ein hübsches Stück Geld, aber das Pferd war es 
auch wert. 

Er überlegte, wem er das Pferd wohl anbieten 
könne und verfiel auf Direktor Brinkmann von 
den großen Eisenwerken; für den waren drei- 
tausend Mark ein Pappenstiel. Er machte sich also 
bei passender Gelegenheit an Direktor Brinkmann 
heran, 

„Ich habe da eine Fuchsstute Im Stall, Herr Direk- 
tor, das gegebene Pferd für Sie. Bildschön, lamm- 
fromm und schnell — wenn Sie auf der morgens 
um sechs von ihrer Wohnung wegreiten, sind Sie 
um halb sieben in Groß-Borstel.” 

Der Preis spielte keine Rolle bei Direktor Brink- 
mann und so war er damit einverstanden, daß 
Meler ihm am nächsten Morgen die Stute vor- 
führen lassen würde, damit er sie ausprobieren 
könne. Djes geschah. 

Es verging einige Zeit, ohne daß Meier von Herrn 
Direktor Brinkmann etwas gehört hätte. Ungedul- 
dig rief er ihn schließlich an und es entspann 
sich folgendes Gespräch: 

„Guten Morgen, Herr Direktor. Nun, wie ist das 
mit der Fuchsstute? Hat sie Ihnen gefallen?” 
„Soweit ganz gut.” 

„Wäre das nicht was für Sie?” 

„Ach, ich weiß nicht.” 

„Aber ich bitt' Sie, Ist die Stute nicht bildschön?” 
„Doch, ‘das ist sie.” 

„Und ist sie nicht lammfromm?"” 

„Ja, gewiß, das ist sie auch.” 

„Und ist sie nicht schnell?” 

„Ja, das ist sie schon, aber wissen Sie, ich hab’ 
mir das überlegt, was soll ich jeden Morgen um 
halb sieben in Groß-Borstel?" 


SCHÖNE AUSSICHT 


Ein etwas größ’res Quantum Fett, 
fo meinft du, wäre doch recht nett? 


Na, tröfte dich, mein liebes Kind, 

bis wir erft mal im Himmel find. 

Dann gehn wir, je zu ziel, drei, vieren, 
auf jener Straße promenieren, 

die, wie du weißt, von A bis Z 

reinmweg aus Milch und Rahm befteht, 
moraus mir, bloß indem wir fchreiten, 
die nötige Butter uns bereiten. 


Von Zeit zu Zeit fett man fich gern, 
um auszuruhn, auf einen Stern 

(für jedermann gibt eo da einen), 
fchabt fich die Butter von den Beinen 
und ftreicht diefelbe ganz kommod 
aufs trockne Himmelsvelperbrot. 


Weil nun (dafür laß’ ich mich Köpfen!) 
der Vorrat niemals auszufchöpfen, 
geht das fo welter höchft bequem 

bie Anno Sankt Methufalem. 


Ratatöshr 


Stalin schweigt 


(Wilhelm Schulz) 


„Vielleicht gelingt es auf diese Weise, mit unserem sowjetischen Freunde zu sprechen!" 


Stalin tace: "Forse riusciamo In tal modo di parlare col nostro amico sovletico!,, 


499 





FREDERIK MIT DEM KAKTUS 


Frederik hätte sich auf dem Blumenmarkt einen 
Kaktus gekauft, der war in einen erdbeerroten 
Fingerhut gepflanzt und von Gestalt so klein wie 
eine Erbse. Aber Stacheln hatte er schon über 
und über, wie ein Erwachsener. 

Die zitronengelbe Namenstafel, die er trug, war 
um vieles größer als sein Töpfchen und er zu- 
sammengenommen; darauf stand ein langer Name 
in Apothekerhandschrift. Frederik entzifferte ihn 
später glückstrahlend in einem Caf6; die Schrift 
bedeutete „Echinopsis Schickendantzii Web.” Er 
war stolz, daß er eine Pflanze mit einem solchen 
Namen selbständig gekauft hatte und steckte die 
Namenstafel in die Westentasche, damit sie nicht 
dummerweise verlorenginge. 

Danach aber wurde der Schickendantzkaktus der- 
artig klein, daß er auf der Marmorplatte neben 
dem Aschenbecher überhaupt nicht mehr zu 
sehen war. Auf diese Weise passierte Frederik 
mit dem unerwachsenen Kaktus etwas recht Un- 
angenehmes, 

Als das Servierfräulein ihm das Kaffeetablett 
brachte und die einzelnen Dinge auf dem Tablett 
vor Frederik anordnete, zog es plötzlich, wie von 
einer Wespe gestochen, seinen Arm zurück und 
schrie ganz laut: „Aul“ in das Caf6, so daß jeder 
es hören konnte; und Jeder sah auch augenblick- 
lich erstaunt und vorwurfsvoll auf Frederik und 
das Mädchen, 

Dieses aber wurde zinnoberrot und blitzte Fre- 
derik feindselig an, denn es dachte, dieser Herr 
mit dem elegischen Blick hätte es mutwillig ge- 
stochen, weil es den Kaktus nicht sehen konnte 
und seine Hand neben dem Aschenbecher lag 
und so tat, als sei nichts geschehen. 

„Das wär ich nicht, Fräulein“, sagte Frederik 
plump, dem es nicht paßte, daß die Kaffeehaus- 
gäste auf seine Hand wie auf die eines Lust- 
mörders starrten. „Was haben Sie sich eigentlich 
getan, daß Sie hier so laut werden?!” 

Darauf drehte das Servierfräulein sich um und 
ging mit brüsken Schritten hinter die Theke, wo 
der finstere Herr des Kaffeehauses stand und un- 
willig zu Frederik hinsah. Frederik hörte, wie er 
das Mädchen hinter dem Wandschirm halblaut 
fragte, ob der sonderliche Vogel etwa versucht 
hätte, es zu zwicken. 

Frederik, den der „sonderliche Vogel” genügend 
verdroß, spitzte die Ohren und bemerkte mit 
Mißbehagen, daß fast sämtliche Gäste dasselbe 
taten. 

„Nein“, flüsterte das Mädchen entrüstet, „aber 
Ich habe mich grade an ihm Irgendwo gestochen.” 
Sie sagte das mit einem Theaterflüstern, das 
ötzend bis in die fernsten Winkel des Kaffee- 
hauses drang. Es war zu spüren, wie sämtliche 
Gäste plötzlich stutzten, von Ihren Zeitungen auf- 
sahen und mit geringschätzigen oder zwoideutl- 
gen Blicken zu Frederik hinäugten. Andere hiel- 
ten die Tassen kurz vor den Lippen an und beug- 
ten sich neuglerig vor, so daß Frederik beinahe 
auf sich selbst den Verdacht warf, ein ungesetz- 
licher Schwerenöter zu sein. 

Offenbar aber war der finstere Herr des Kaffee- 
hauses der einzige, der dieses Geflüster nicht 
richtig verstanden hatte. Zusammenzuckend hörte 
Frederik wie er das Mädchen hinter dem Wand- 
schirm anbrüllte: 

„Was haben Sie sich an ihm getan?” 

„Er hat .gestochen!” antwortete das Mädchen 
kurz angebunden, doch diesmal mit einemFlüstern, 
das In ein furchtbares Zischen überging. Frederik 
war hinter seinem Tablett zumute, als würde er 
von einem heißen Dampfstrahl angeblasen und 
lebend darin gesotten. 

„Er hat Sie... was?!” brüllte der berserkerhafte 
Baß des mißtrauisch gewordenen Schwerhörigen 
dawider. 

„Gestochen!” schrie nun des Mädchen verzwel- 





VON EUGEN SKASA-WEISS 


felt und in höchstem Diskant, und die Gesichter 
der Gäste wandten sich nun Frederik offen ver- 
urtellend und beunruhigt zu. Es drängte ihn, mit 
einer bagatellisierenden und erklärenden Hand- 
bewegung, sarkastisch lächelnd, auf den dämo- 
nischen Zwerg Schickendantzii-Web. zu weisen — 
aber der war in seinemLiliputtöpfchen nur wenige 
Zentimeter weit sichtbar. 

„Gestochen! Höre ich recht!? Das war noch nicht 
dal’ tobte die rüde Stentorstimme.des Chefs hin- 
ter dem zitternden Wandschirm, und Frederik 
fühlte, daß er sich diesen schwerhörigen Wüte- 
rich gegenüber niemals mit der subtilen Wahrheit 
herausreden könnte. 

„Hel Er hat Sie gestochen! Wo gibts denn so wasl 
— Und das lassen Sie sich bieten?” 

Das Mädchen schluchzte auf, und es war zu spÜ- 
ten, daß es vor Scham nicht mehr wagen würde, 
hinter dem Wandschirm hervorzutreten. 

„Tut es weh?" mischte sich eine andere, schmal- 
zige Stimme — die des Konditors wahrscheinlich 
— dazwischen, „womit hat er Sie denn gestochen? 
Und wo?" 

Frederik biß sich auf die Lippen. 

„Wo?l — Mensch, das fehlte noch! Wo, fragt er, 
woll“ brüllte nun der Chef, und seine Stimme ver- 
riet die Energie eines Rächers und Inquisitors. Jede 
Aussicht, daß Frederik das Lokal unverprügelt ver- 
lassen konnte, schwand dahin. 

„Ich weiß os nicht...” schluckte das Mädchen, und 
die Kaffeehausgäste sahen nun doppelt inter- 
essiert zu Frederik hin. Dor starte versteinert ins 
Nichts und tat, als ginge ihn das ganze nichts an. 
„Was!“ hörte er hinterm Wandschirm brüllen, „Sie 
wissen es nicht? Warum heulen Sie dann? Wieso 
lassen Sie sich von Gästen stechen? Ohne zu 


Antwort an Dich 
und viele 


Von Herbert Leriboudols 


Ich kann Dir melter nichts fagen, 
Als daß wir marfchieren - - 
Weiß wohl, daß all Deine Fragen 
Nach unferem Weg und Ziel 
Nicht nur fo dahergefagt find; 
Aber wie Wolken und Wind 
Im Erigen fich verlieren, 

So pflügt unferes Herzens Kiel 
Die namenlofen Weiten -, 

Wir find auf endlofer Fahrt 


= "Durch uferlofe Zeiten. 
x 
Mehr kann ich Dir nicht Antwort geben, 


Heute nicht und auch morgen nicht; 
Denn alles, was In der Tiefe aufbricht 
Und was in mir geborgen ward 

Auf Wegen zwifchen Tod und Leben, 

Das wird fich erft aus dem Dunkel erheben, 
Wenn tieder einft im Morgenlicht 

Die. hellen Gedanken zur Sonne fliegen-- 
Bis dahin laß Dir genügen, 

Daß meine Seele fpricht -I 


500 


wissen wohin! Ich werde den Kerl hinauswerfen!” 
Er tauchte plötzlich rot und vierkantig vor dem 
Wandschirm auf und betrachtete Frederik stim- 
tunzelnd wie einen Zopfabschneider. Die genieße- 
rische Spannung der Gäste auf den Verlauf die- 
ses Skandals begann Frederik zu rädern. 

Auf einmal stemmte der Schwerhörige beide 
Fäuste auf den Tisch und beugte sich tief über 
Frederik, als hätte erLust, ihn mitsamt dem Kaffeo- 
tischchen aus dem Lokal zu fegen. 

Frederik sprang auf. Er schlug, da er In seiner 
Verzweiflung keinen anderen Ausweg sah, mit 
der Faust auf den Tisch. 

„Herrgott, Sie brauchen sich nicht für das Mäd- 
chen zu entschuldigen”, herrschte er den wuchtig 
gegen ihn vorgestemmten Wüterich an, „es hat 
meinem Kaktus“ — und dabei hielt er ihm das 
Fingerhuttöpfchen dicht vor die finsteren Augen 
— „in der Eile bloß zwei kleine Stacheln abge- 
knickt, Es war ein seltenes Exemplar, schade... 
aber ich verzeihe ihr. Aber Ihr Gebrüll, Herr, Ist 
nicht zu verzeihen, lassen Sie die Lappalie Jotzt 
endlich ruhen, Jal’ 

„Gestochen! Löppaliel” grollte der Schwerhörige 
dumpf. „Mit einem Kaktus! Lappallel- Das sind 
Scherze, Herr...! Und wohin? Wohin, frage Ich?" 
Er ballte die Fäuste. Frederik setzte sich erschöpft 
und sprungberelt auf die Stuhlkante, Die Gäste, 
die zu begreifen anfingen, lachten amüsiert auf. 
„Sagen Sie es ihm nicht, Lassen Sie es ein süßes 
Geheimnis sein!”, rief ein belustigter Junger 
Dachs spontan Frederik zu: „Aber wozu mit einem 
so kleinen Kaktus?" 

Da kam das Mädchen zerknirscht hinter dem 
Wandschirm hervor und zeigte dem hartnäckigen 
Chef kläglich Ihren Daumen. > 

Er betrachtete sich das Unheil pedantisch und 
Frederik sah einen winzigen Kaktusstachel ganz 
zart auf ihrer rosaroten Daumenkuppe aufglitzern. 
Plötzlich drehte der Schwerhörige sich verächtlich 
um. Das Mädchen lächelte Frederik unter Tränen 
versöhnlich zu. Der sah sauertöpfisch auf seinen 
Kaktus, als täte der Ihm leid, 

Herrgott, das Theater war noch nicht zu Endel 
Hinter dem Wandschirm hörte er den nachgrol- 
lenden Chef, dem versteckten schmalzigen Kondi- 
tor zugewandt, zähneknirschend knurten: „In den 
Daumen! Was or davon bloß hat” 

Und nach einer Weile kam es tropfenweise: 
„Früher gabs die Zopfabschneider. Und In Mün- 
chen haben sie vor Jahren einen erwischt, der 
allen Jungen Mädchen die Brillen abgerissen und 
danach zertreten hat. Nur den Jungen Mädchen, 
merkst du was? Aber in den Daumen stechen — 
und mit einem Kaktus — und ein älterer Mensch — 
was das für Zeiten sind! Und mich auch noch an- 
schreien, und mit selnem Kaktus drohen! Das 
fehlte nochl.... In den Daumen!” 

„Hast du schon gelesen“, brabbelte dor Konditor, 
„was die Chinesen machen? Die sotzen arme Teu- 
fel Über Kaktusse, die ganz rasch wachsen, sägen 
ein Loch in den Stuhl, damit der Kaktus mit der 
Spitze von hinten her durchkann und dann gie- 
Ben sie ihn, und er wächst nun ruckweise durch 
den armen Teufel hindurch, bis er das Herz dürch- 
bohrt ...” 

Frederik hörte, wie der Konditor danach stöhnte 
und seufzte. Er war fest überzeugt, daß der 
Schwerhörige wenig davon richtig verstanden 
hatte, daß diese Erzählung aber vielleicht ge- 
nügte, ihm nun endgültig in diesem Cafl& den 
Garaus zu machen. . 

Und während er, den dämonischen Schicken- 
dantzli Web. In der zitternden Hand, durch die 
Drehtür ging, hörte er drinnen brüllen: 

„Ein Loch In den Stuhl? Gesägt?! Wer hat das 
getan?l” 

Er hörte noch, wie das Mädchen „Nein! Nein!” 
schrie, dann machte er eilends, daß er davonkam. 


(R. Krlesch) 





„Auf, Ulla, im Büro gähnst du doch auch nicht mehr um diese Zeit!“ — „Hast du 'ne Ahnung!“ 


Permesso: “Alzati, Ulla; giä anche in ufficio non sbadigli pid a quest’ oral,, — “Eh, hal un’ idea tul,, 


501 


Träumerei - Fantasticherie 


(Hanna Nagel) 





SCHACHTELHIRNS IDEEN 


VON SCHLEHDORN 


Nach einer Goethefeier saß Regierungsrat Julius mit dem Statistiker 
Dr. Emil Schachtelhirn zusammen. 

„Ja, die Unsterblichkeit”, sagte Schachtelhirn. „Ich habe in meinem Kon- 
versationslexikon festgestellt, daß mindestens 80% der Unsterblichen in 
den letzten 50 Jahren hinzugekommen sind, Die Unsterblichkeitsziffer ist 
beängstigend angestiegen. In Frankreich macht man sich die Sache 
leicht: die haben ihre 100 Immortels in der Acad&mie Frangaise, also 
numerus clausus. In anderen Ländern überläßt man die Unsterblichkeit... 
verantwortungslos dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage. Einen 
erganisatorischen Ansatzpunkt gäbe das Urheberrecht, wonach der 
Schriftsteller sich selbst um 30 Jahre überlebt. Ich schlage vor, man 
gründe einfach eine Behörde. Die Unsterblichkeitszuteilungsstelle. Dort- 
hin haben etwaige Jubilare bzw. deren Angehörige oder Anhänger 
einen Antrag auf Nachruhmnachtrist in dreifacher Ausfertigung einzu- 
reichen. Geschieht das nicht, oder werden die Gebühren nicht recht- 
zeitig gezahlt, so wird der Betreffende Im Reichsruhmesblatt gestrichen 
Seine Gedichte gelten als Volksliäder, bei seinen Tragödien darf ge- 
lacht werden, Doktoranden dürfen Ihn abschreiben, ohne ihn in der 
Fußnote zu zitieren. 

Sie behaupten vielleicht, das sei Bürokratie oder das Urteil sel zufällig. 
Entschuldigen Sie; Sie überlassen das Urteil der „Offentlichkeit”, dem 
Zufall und dem Beifall. Sie beurteilen den Beifall nach der Auflage- 
zifler oder dem Applaus im Theater — sind die Käufer oder Klatscher 
urteilsfähig? Haben sie eine Kauf- oder Klatschprüfung bestanden? 
Na also? 4 

Mit dem Dienstgebäude der Reichsruhmzuteilungsstelle sind verbunden: 
rechts eine Sendestelle, ein Dutzend Interviewzellen (mit Einrichtung 
zum Ferngesehenwerden), Telephonzellen für eigene Berichterstatter von 
Zeitungen und ein kleiner Lorbeerhain. Links, für die Abgelehnten, eine 
Bierkneipe, wo es warme Würstchen gibt. Sie ist dem öffentlichen Ver- 
kehr zugänglich. Da treffen sich alle Nichtunsterblichen. Es wird rechts 
sehr gemessen zugehen — die Schreitenden reden druckreif und des- 
halb weniger —, links wird es dafür um so gemütlicher. Ein gewisser 
Ausgleich muß doch sein,” 

„Gewiß”, meinte Julius, „das vereinfacht dann die Geschichtsschreis 
bung.” 

„Richtig, die Geschichtsschreibung‘‘, rief Schachtelhirn. „Ich sehe vor- 
aus, wie zwangsläufig alle Geschichte schließlich in Statistik übergeht. 


502 


In Amerika Ist man schon dabei. Von der Einheitswiege bis zur Normal- 
bahre ist dann alles genormt und numeriert. Vielleicht sogar die Liebe, 
Mensch und Maschine lassen sich nicht mehr unterscheiden, denn die 
Maschine ist bis dahin beseelt worden, Lyrische Gedichte lassen sich 
maschinell herstellen, falls Bedarf besteht. Empfindungen werden ge- 
messen, alles ist elektrisch, und es gibt drei Typen von Töpfen für die 
Wirtschaft und zwei Meinungen (innerhalb der Ehe nur eine). Man gıün- 
det einfach eine Behörde, die alles auf Dinformat bringt. Wie in der 
Kreidezeit der Dinosaurier die Landschaft beherrschte, so alsdann deı 
Din-Arler. Der hat das Vergangene aufgezeichnet, das Gegenwärtige 
statistisch erfaßt und das Zukünftige vorausberechnet. Was früher Pro- 
pheten waren, nennt man dann Konjunkturforscher.” 

Ja, überlegte Julius, am Ende erledigten die Menschen dann Himmel 
und Erde, Und die Erde war erfaßt und durchorganisiert. Restlose Klar- 
heit lag über den Untiefen und keinerlei Geist schwebte mehr über 
den regulierten, kanalisierten und destillierten Wassern... „Immerhin‘, 
sagte er, „ein interessanter Gedanke.” 

„Ach so, Gedanken”, fiel Schachtelhirn ein, „da habe ich eine Idee. Im 
Zuge der Entwicklung wird man dahin kommen müssen, die Gedanken 
zu bewirtschaften. Wie wertvoll Gedanken sind, zeigen die Philo- 
sophen. Aber wie mancher Mann Ist gestorben, ohne je einen Gedanken 
geäußert zu haben, z. B. wenn er Beisitzer war oder verhelratet, oder 
wenn er sich sagte, daß schließlich Arlstoteles schon alles gewußt und 
Goethe schon alles besser gesagt hat. Andererseits, wie gefährlich sind 
Gedanken: Die meisten Verkehrsunfälle treffen Leute, die in Gedanken 
gingen. Bei dan meisten Dummheiten entschuldigt man sich: ich hatte 
gedacht... Und im Frühling kommen bekanntlich auch kluge Leute auf 
dumme Gedanken. 

Ich denke, man gründet einfach eine Behörde, Sie hat ihren Vorläufer 
in der Patentanmeldestelle. Wer einen eigenen Gedanken hat, oder zu 
haben glaubt, hat ihn der Gedankenanmeldestelle zur Prüfung vorzu- 
legen. Zurückhaltung von Gedanken (Gedankenhortung) ist unzulässig. 
Die ausgefüllten Formulare, die den Gedanken kurz nach Inhalt, Ursprung 
und Alter anzugeben haben, gehen an die Godankenprüfungsstelle, die 
mit der erlorderlichen Anzahl von Abtellungen arbeitet. Ist ein Ge- 
danke alt und wahr, so wird seine Verbreitung mit entsprechendem Zu- 
satz freigegeben. Ist er alt und falsch, so wird er der historischen Ab- 
teilung überwiesen und notfalls unter Verschluß genommen. Ist er neu 
und richtig, so wird er gegen angemessene Vergütung für den All- 
gemeingebrauch beschlagnahmt. Ich habe dazu einen eingehenden Ge- 
setzentwurf nebst Aus- und Durchführungsbestimmungen ausgearbeitet, 
Ist ein Gedanke neu und unrichtig, so tritt 1—10 Tage Nachdenken, in 
schwereren Fällen Einzeldenken, ein. Ist er aber neu und halbwahr, so 
wird er dem Verfertiger überlassen, um ihn zu propagieren, darüber zu 
disputieren, sich damit zu blamieren. Denn wenn es keine halbwahren 
Gedanken gäbe, hörte jede Diskussion auf. Und dieser, mein Gedanke 
von der Gedankenprüfungsstelle”, fügte Schachtelhirn stolz hinzu, „wäre 
einer von den Gedanken, der unter den ersten Gedanken bei einer 
solchen Behörde zur Anmeldung kommen müßte: er ist neu und sehr 
richtig.” 

„Aber werden das nicht ein bißchen viel Behörden?” warf Regierungs- 
rat Jullus ein 

„Natürlich, Behörden“, entgegnete Schachtelhirn prompt — „ich habe 
da eine Idee. Man gründet einfach eine Behörde zur Prüfung der Er- 
sparnis der anderen Und nun passen Sie auf: aus Ersparnisgründen be- 
setzte ich diese Behörde mit Beamten aus den anderen Im Nebenamt. 
Wenn Einer dann seine eigene Behörde abbaut — denn Jeder wird bei 
sich am ehesten feststellen, ob er überflüssig ist — so baut er gleich 
zwei Beamte ab. Guter Gedanke, wie?" 

In diesem Augenblick gebot der Wirt Polizeistunde. Und Julius erhob 
sich. Schon Im Fortgehen hörte er Schachtelhirn hinter sich her: 

„A propos: Polizelstunde. Ich habe da eine Idee...” 


BEGRÄBNIS IN DER SCHENKE 
Von Fritz Knöller 


‚Adı, der jungen, ungefügen Liebe, 

Weißen, rotgeäugten Taubenliebe, 

Da sidı eins des andern unverbrüchlich mwähnte, 
Wenn sich Haupt an Haupt verschwiegen lehnte! 


Eine Frühlingswolke hat ein frostger Wind vertrieben, 
Eine Handvoll Sand hat ein Rüdıtger Fuß zerrieben. 


Wein aufgefahren! 

Roten, stürmischen Wein! 

Laßt midı die junge, honigsüße Liebe aufbahren! 
Unter die alten, vergessenen Leichen 

Der Liebe in späteren Jahren 

Soll sie zu liegen kommen, 

Daß ihr das Aufstehn für immer genommen! 

So tief in der Erde begraben 

mill ich die junge, honigsüße allein, 

Daß sie endlich vergeh bei ihresgleidien! 


(0. Gulbransson) 


Dem deutschen Arbeitsdienst 





aa BEER LE ER 
FESTE ERS AINIEHSD 2 


n 





Al Servizio del Lavoro tedesco 


503 


GROSSE WAGENFAHRT 


Die Geschichte, die ich hier erzählen will, ist mir 
als Kind widerfahren. Sie fällt mir ein, und kaum 
ist sie mir eingefallen, so fällt mir weiterhin ein, 
daß sie schon oft in mir aufgetaucht Ist, Jenen 
Träumen gleich, die man wiederholt träumt, die 
also hartnäckig eıwas bedeuten wollen, denn nur 
darum rumoren sie in uns, sie wollen heraus, ans 
Licht, es ist nicht möglich, ihnen mit Erfolg das 
Maul zu verschließen. 

Ich weiß jetzt auch, weshalb mir diese Geschichte 
so oft einfällt. Sie ist ein Inwendiger Stachel, eine 
unerledigte Angelegenheit. Sie erinnert mich. 
Ich war zehn Jahre alt. In diesem Alter Ist alles 
noch welch und unbestimmt. Noch haben die täg- 
lich neu sich findenden Eindrücke keine Zelt ge- 
habt zum Verhärten in nunmehr feststehenden 
Ansichten, noch ist alles im Fließen und bloßen 
Kenntnisnehmen, dauernd kommt zum Gestrigen 
das Heutige, ‚alles wird vorerst nur gesammelt, 
hereingenommen, aufgespeichert, um vielleicht 
später verwertet zu werden. Der Rest Ist Nebel- 
masse, ein wogendes, beständig nachquellendes 
Nebelzeug des Geistes, lauter Unklares. Ver- 
ständlich sind nur die Gemütseindrücke, nur der 
Moment. In dieses Nebelwallen hinein wirft die 
Phantasie Licht aus glühend farbigen Schein- 
werfern, und dieses Anleuchten erst, durch magl- 
sche Phantasiekräfte, das schafft dann Gestalten 
in den Nebel hinein, Ich denke an den Knaben 
In Goethes „Erlkönig” Für den Vater sind es 
Nebelstreiten im feuchten Wiesengelände, für den 
Knaben sind es Erlkönigs Töchter In Schleler- 
gewändern. Er sieht sie ganz deutlich, Es Ist Erl- 
königs Stimme, die denKnabe vernimmt, während 
der Vater aussagt: „In dürren Blättern säuselt der 
Windi” 

In diesem Alter erscheint alles geheimnisvoll, 
alles fügt sich dem Wunsche, alles eilt der Phan- 
tasie nicht nur nach, nein, es eilt Ihr sogar ent- 
gegen. Da finden dann feurlge Vermählungen 
statt... 

— Und hier gestatte ich mir ein trockenes ver- 
kniffenes Humorgrinsen, wie es meinen heutigen 
fünfzig Lebensjahren angemessen ist, denn ich 
habe hier eine Vorrede geschrieben, philosophisch 
geladen, und dabel handelt es sich um eine Ge- 
schichte, die so lächerlich ist, so Inhaltsdünn, und 
doch Ist es eine Geschichte, die mir wieder und 
wieder zu schaffen macht (durch ihr bloßes, be- 
harrliches Wiederkehren!), und die ich jetzt end- 
gültig zu töten gedenke, durch Niederschrift, fer- 
tig. Hau’ ihn auf den Kopf! Zieh‘ es Ins Licht, das 
Gespenst 

Da war damals Otto Greill Mein Freund! Um zwei 
Jahre älter als ich, eine Person also, ein Gewal- 
tiger. Was Otto mir sagte, das galt, das stand. 
Seine Eltern hatten ein Porzellangeschäft, 
großes, sondern nur einen Laden für klein. 
fache Kundschaft. Sie verliehen auch Porzellan. 
Beispielswesie, es feiern welche Hochzeit, sie 
haben aber nicht das Geschirr dazu, diese vielen 
Teller, Tellerchen, Gläser, Tassen, Untertassen und 
Schüsseln und so weiter, dann wenden sie sich 
an Greil, und Grell leiht ihnen Porzellan. 

Dies alles wußte Ich damals nicht, es würde auch 
viel zu fremd für mich gewesen sein, es lag voll- 
kommen tern. Ich wußte nur: Ottos Eltern haben 
ein großes Geschäftl Denn daß es groß sein 
müsse, ergab sich aus der einfachen Tatsache. 
daß Otto mein Freund war. Ist damit nicht alles 
bewiesen? Er, der hoch Überlegene, konnte nur 
Sohn eines großen Geschäftes sein. Das ist so 
klar, daß Worte darüber sich erübrigen. 

Und nun fragt mich Otto eines Tages: „Willst du 
mitmachen? Ich muß mit dem Wagen Geschirr 
abliefern.” 

Ich kam mir erhöht vor wie durch königliche 
Ehrung, Mit dem Wagen, das bedeutete: das 
Pferd wird vorgespannt, Otto kutschiert, ich aber, 
neben Ihm, durchfahre die Stadt mit Prunkl 








VON FELIX RIEMKASTEN 


Hoffentlich sehen mich viele aus meiner Klasse, 
ja, sogar ein Lehrer wird mich möglicherweise 
sehen! 

Meine Mutter sagte: „Warte doch noch. Auf dem 
Wagen, da weht der Wind. Du sitzt da ohne Be- 
wegung. — Du mußt ein Halstuch umbinden!” 
Sie band es mir um, während ich dachte: Sowie 
ich draußen bin, tue ich es abl 

Ich zitterte vor Ungeduld. Ich donnerte die Treppe 
hinunter, ich kam atemlos bei Otto vors Haus 
gerannt. 

„Wo ist der Wagen?“ 

„Der wird jetzt erst aufgepackt.” 

Er sagte es mir so wichtig, so um zwei reiche 
Lebensjahre älter, daß ich nur wieder einmal 
sehen und staunen konnte. Er war groß und er- 
haben. Freilich ergab sich nun etwas Furchtbares: 
der Wagen, mit dem wir fahren sollten, war nicht 
ein Wagen, nein, es war ein schäbiger, krumm- 
gebogener alter Kinderwagen, der — so war es 
gedacht — nicht von schäumenden kraftvollen 
Rossen gezogen wurde, über die dann In Stolz 


Trinkerweisheit 


Der Wein ist von Adel. 
Das ist kein Tadel 
Für den derberen Schnaps. 


Das Beil und der Degen 
Sind beide aus Eisen 
Gemacht und sind Brüder. 


Deswegen — gib acht: 

Für den Klotz einen Keil, 

Einen Hieb mit dem Beil — 

Doch für das Herz nimm den Degen! 


Georg Britting 


zu herrschen gewesen wäre, sondern dieser Wagen 
— ich sage nur: dieser Wagen!! Er sollte von mir 
und Otto geschoben werden! Durch die halbe 
Stadt. Geschoben, und hoffentlich sehen mich 
dabei recht viele aus meiner Klasse, möglicher- 
weise sogar ein Lehrerl 

Damit setzt die Geschichte ein, diese Geschichte, 
die mir alle paar Jahre wieder einfällt und nicht 
weichen will, wobei ich immer erröte und mich 
schäme. Ich hätte beim Anblick des Wagens er- 
klären sollen, daß ich andere Erwartungen gehegt 
hätte, ganz und gar andere, und daß ich auf 
solche Weise und in solcher Art bestimmt nicht 
mitmachen würde. Aber ich war zu dieser Er- 
klärung zu feige, und die Feigheit war mir zu- 
gleich bewußt. Ich war voll Scham, vorher so 
gierig gewesen zu sein, so lächerlich hoch- 
gestimmt... Vor allem aber vermochte ich es 
nicht, Otto zu sagen, wie nüchtern und klein er 
plötzlich für mich geworden sel. Ich wurde 
glühend rot bei dem Bewußtsein, wie sehr ich 
bisher In Ihn sozusagen „hineingestürzt” war, Ich 
dachte, es müßte Ihn zu sehr verletzen, wenn ich 
ihm erklärte, der Geschirrwagen sei eine Erniedri- 
gung. 

Ich sah wie er einpackte. Immer eine Lage Stroh, 
dann eine Lage Teller, dann wieder Stroh, dann 
die Tassen und Untertassen. Und dann schoben 
wir los, Ich meine damit wörtlich, daß wir nun 
losschoben. Der Wagen war schwer, das Schieben 
war nicht leicht. Ich sah dabei nur immer auf 
meine Füße, ich sah sie auf das Pflaster hintreten, 


504 


und neben mir Ottos Füße im gleichen Takt. Er 
warnte mich vor den Straßenbahngleisen. Wenn 
wir da hineingerleten, sagte er, mit diesen schma- 
len Kinderwagenrädern... | 

„Dann kommt gleich der Schutzmann”, erläuterte 
er mit einer Stimme, die eine heilige Unterwürfig- 
keit ausdrückte, zugleich auch Verschmitztheit. 
„Das ist nämlich gar nicht erlaubt, daß wir als 
Kinder das machen”, sagte er. „Das ist Gewerbe- 
betrieb, da ist das verboten.” 

Mit dieser Eröffnung hatte er mich so fest in den 
Fängen, daß ich nicht mehr entweichen konnte. 
Ich besuchte das Gymnasium, und wehe, wenn 
ich von der Polizei bestraft wurde. Ich sah die 
einsame Gefängniszelle, ich schmeckte auch 
schon das nüchterne Wasser, das salzlose nüch- 
terne Brot, und meine Eltern starben vor Gram, 
ja, sie waren sogar schon gestorben! 

Wir schoben, und ich ächzte dabei. Ich war zu 
feige, um wegzulaufen, ich war auch zu feige, 
Otto zu sagen, was ich dachte. Ich war zu allem 
zu feige. 

Er ahnte nicht, wie schimpflich er war mit seinem 
Wagen, und wie er auf dieser Fahrt neben mir 
jetzt starb. Er starb einen Tod, wobei der ganze 
Schmerz nur auf mich fiel. Es war, als sel er vor- 
her ein Baum gewesen, prangend in Fülle und 
Kraft, und diesen Baum sah ich nun sterben. Erst 
schwand die Krone dahin, alle Blätter wehten 
dahin, dann standen die Äste und Zweiglein kahl, 
während innen alles zu' Dunst und Moder werden 
sollte, dann verlor das Ganze die Farbe, und zu- 
letzt war nichts als Müdigkeit und Trauer und 
Bangen und Frieren. Zugleich verwandelte sich 
Ottos Gesicht. Es sah nicht mehr kühn gebietend 
aus, sondern wurde gewöhnlich, es wurde un- 
angenehm, ja, es wurde zuletzt widerlich. 

An dieser Stelle hätte Ich abermals aufhören sol- 
len mit Wagenschieben, aber statt dessen schob 
ich weiter und hörte zu und gab ihm Antwort, 
weil ich immer nur dachte: ich bin zwar fertig 
mit ihm, aber das kann er nicht wissen, und wenn 
ich ihm meine Gedanken sagen wollte, müßte es 
ihn zu sehr verletzen... | » 

So kamen wir vor dem Hause an, In dem wir ab- 
liefern sollten. 

„Sei aber vorsichtig, laß nichts hinfallen“, mahnte 
Otto und sagte es mir In der alten gewohnten 
Art, er begriff also nichts, er wußte noch gar 
nichts. Wenn er es aber nicht wußte, wie durfte 
ich es ihm dann sagen?! Darum biß ich die Zähne 
zusammen und half ihm beim Tragen. Es ging 
nichts entzwei, 

Oben in der Wohnung waren Leute, aber Erwach- 
sene, also Menschen, lauter „Große“, folglich Ge- 
stalten In Unbegreiflichkeit, denen man nichts 
sagen kann. Sie sind die Wahrheit, sie sind die 
Macht, sie sind das Recht. 

Ich bekam zwanzig Pfennig, Otto bekam dreißig 
Ein großer Mann sagte: „Dem Kleineren sollte 
man Gela gar nicht geben. — Willst du Bonbons 
haben, Junge?” 

Ich sagte nichts, ich stand nur da. Ich weiß auch 
heute nur — denn Ich kann soviel Nebel nicht 
mehr durchdringen — daß Ich Bonbons bekam. 
Eine Frau sagte verächtlich: „Das ist ein ganz 
maulfauler Junge, der andere ist wenigstens fix 
und freundlichl“ Darüber wurde ich dunkelrot 
und schrecklich mutlos und müde und wütend 
zugleich. 

Unten, wieder am Wagen, der nun leer war und 
sich wie im Spiel schieben ließ, sagte Olto: „Das 
siehst du doch ein, die zwanzig Pfennig gehören 
mir. Dafür ist es doch auch mein Wagen! — Sieh 
mal”, sagte er, „das mußt du doch einsehen: 
ohne den Wagen da hättest du gar nicht die 
Gelegenheit gehabt, das siehst du doch ein?! Da 
mußt du mit also das Geld hergeben. — Und die 
Bonbons”, sagte er, „die müßtest du eigentlich 
auch geben, aber die Hälfte will ich dir lassen. 





Die Leber des Prometheus 


(Erik) 




















„Wart’ nur, du Luder, ich zeig’ dich an — heut’ am fleischlosen Tag!" 


Il fegato di Prometeo: “Bada bene, gaglioffo! lo tl denunclo . . . oggl & glorno di magro!,, 


505 


Junges Glück 


(X. Heillgenstaodt) 





„Siehst du, Mausi, wenn man sich von Herzen lieb hat, kann eine solche Wanne ein ganzes Familienbad ersetzen!" 


Fior di felicitä: “Vedi, piccina mia, quando ci si vuol bene di vero cuore, una tale vasca rimpiazza tutto un bagno di famiglial,, 


506 


— Ja", sägte er zögernd, „na ja, also die Hällte 
kannst du behalten, Aber zeig’ sie erst mal!” 
Ich zeigte sie ihm, und er teilte sie in zwei Hälf- 
ten zurecht, eine große und eine kleine. 

„So”, sagte er, „die da, die sind deine!” 

Und dann gingen wir wieder weiter, den Wagen 
schiebend, und fortgesetzt suchte er mir zu be- 
weisen, daß es gerecht zugegangen sei. Er redete 
entsetzlich viel und schielte immer auf mich hin, 
um zu sehen, ob ich ihm auch glaubte, 

„Denn sieh mal", sagte er, „ungerecht will ich 
nicht sein. Ungerecht, das darf man überhaupt 
nicht sein, das Ist verboten. Aber so, wie ich es 
dir erklärt habe, das ist gerecht. — Oder Ist es 
nicht gerecht?” 

Und da war ich abermals zu feige. Ich war auch 
noch zu unentschlossen, ich war vor allem nicht 
fertig mit Denken, denn während er redete, sah 
ich abermals etwas in mir, schon wieder Neues, 
wieder ein Bild, Ich sah und hörte Ihn zwar, doch 
war er längst nicht mehr Otto, weder dieser Otto 
von früher, noch jener Otto, der er vorhin erst 
geworden war, der erledigte, abgetane, über- 
wundene Otto, sondern jetzt war er dabei, eine 
häßliche, widerliche Kröte zu werden, und in der 
Gestalt einer Kröte sah er mich lauernd und im 
Stillen angstvoll an, bis zuletzt die Gier und Er- 
folgshoffnung alles in ihm überwand. Ich wußte, 
daß er In seiner linken Hand seine dreißig und 
meine zwanzig Pfennig zu einem unerhörten Geld- 
schatz von fünfzig Pfennigen ganz fest zusammen- 
krampfte. Die Bonbons in seiner Backe wanderten 
sichtbar hinüber und herüber. Es waren diese 
harten gelben Hustenbonbons, 

„Oder siehst du nicht ein, daß es gerecht ist?“ 
trieb er mich. 

In diesem Augenblick war ich endgültig fertig 
mit ihm, aber er kam mir so unsagbar bemit- 
leidenswert vor, so unausdenkbar entsetzlich, 
daß Ich meinte, soviel Scham dürfe man niemand 
auferlegen, ihm zu sagen, was man Jetzt von ihm 
wisse, Denn ich erkannte sehr gut, wie er mitten 
dabei war, mich zu begaunern... 

Das kann man einem Menschen nicht sagen! 
Also würgte ich gehorsam hervor: „Ja, natürlich, 
das Ist gerecht, das Ist klar.” 


Wie man sieht, es ist eine lächerliche, sogar eine 
schimpfliche und vor allem eine alberne Ge- 
schichte, eine Kindergeschichte zwar nur, aber 
doch schon mit leise sich bereits in der Jugend 
schon ankündigenden sehr bedenklichen Cha- 
raktergefährdung.... 

Was weiß man von dem, was in der Seele sich 
abspielt? Jahrelang habe ich umhergekaut, an 
dieser Feigheit damals, bis mir in neuerer Zeit 
ein Licht darüber aufzugehen scheint. Denn ich 
ahne nun: es war nicht Feigheit, es war (schon 
damals) dieser über alles hinweggehende unbe- 
zwingliche andere Drang, dieses ganz und gar 
Beherrschende, dieses unheimlich Verlockende, 
der Drang und Zwang nämlich: laß die Leute sich 
entfalten, laß sie ganz und gar sich zeigen, halte 
den Atem an und verschrecke sie nicht, denn 
siehe — dann siehst du etwas! Einen Menschen, 
ein Verhalten, ein Stück Leben, einen Vorgang 
In der Welt —II 

* 


Nur eben: welch ein Preis, gottverflucht, welch 
ein Preis! Denn es hatte mich selbstverständlich 
die halbe Klasse gesehen, auch ein Lehrer, sogar 
der Ordinarius. Eine Welt war in mir untergegan- 
gen, eine andere hatte sich dafür in Wehen em- 
porgewälzt. Nur diesen einen letzten äußersten 
Preis hätte ich doch vielleicht nicht zahlen sol- 
len, nämlich ihm zuzugeben: „Jawohl, ich sehe 
es ein!” Das Ist das einzige, das mich wurmt, Daß 
Ich auch das noch gefressen habel 

Aber was hilft Nachdenken? Da sind Wellen, Be- 
wegungen, machtvolle Umwälzungen, die führen 
sehr vieles mit sich, da gibt es selbstverständlich 
auch Schlamm. Das sind peinliche Reste. 

Ich werde mir eine Pfeife anstecken und rauchen. 


DER KUCKUCK 


VON KURT GROOS 


„Niemand kann über seinen Schatten springen”, 
sagte sich der Generaldirektor Ciborius und lud 
seine Sekretärin ein, ihn auf einer mehrstündigen 
Dienstfahrt zu begleiten. 

Sie mußten durch eine menschenleere, in Natur- 
schönheiten strotzende Landschaft fahren, und 
der Generaldirektor steuerte selbst, und neben 
ihm saß seine Sekretärin; in den Kurven lehnte 
sie sich leicht gegen ihn, so daß der General- 
direktor erwachte, 

Er war tatsächlich erwacht, dieser Generaldirek- 
tor, vornehmlich in den Kurven, und er lächelte 
die Sekretärin an, und er entdeckte dabei, daß 
sie In den Freistunden die von der Generaldirek- 
tion eingerichteten Dachgarten-Sonnenbäder aus- 
gekostet hatte; Ihre Haut war zwar noch nicht 
sonnenbraun, sie war nur honigfarben, aber ein 
vielleicht noch reizvolleres Dessin als das sonnen- 
braune, 

Die Sekretärin und der Generaldirektor arbeiteten 
nun schon seit zwei Jahren zusammen, nun erst, 
heute auf dieser Fahrt, entdeckte Ciborlus, daß 
die Dame seines Vorzimmers Lippen und Nasen- 
flügel besaß, die auf verborgene Seltsamkeiten 
schließen ließen. Diese Lippen waren fast über- 
irdisch geschwungene Polster ohne Riß und Falte, 
und die Nasenflügel bebten manchmal leicht und 
doch gleich erkennbar, vornehmlich in den Kurven. 
Weil der Generaldirektor vor Jahr und Tag einen 
in Italien spielenden Roman gelesen hatte, stellte 
er sich — besonders in den Kurven — ziemlich 
heftig vor, daß die Sekretärin die Stufen einer 
ungeheuerlich großen, breit hingedehnten Treppe 
hinabstieg, um ihn, den unten in einer kurzen 
Samthose mit einer Gitarre Wartenden zu küßen 
cder ihm sonst Angenehmes anzutun; sicherlich 
seltsame Vorstellungen für einen Generaldirektor. 
Zwischendurch aber, das sei gesagt zu seiner 
Ehre, dachte er immer wieder an die Bilanz und 
an einen Posten, der schwer unterzubringen war, 
jedoch untergebracht werden mußte; ein Marter- 
posten. 

So fuhren sie dahin, und der Kompressor saugte, 
und die honigfarbene Sekretärin sah aus, als 
würde sie an gar nichts denken. Es kamen vorerst 
keine Kurven mehr, und der Generaldirektor 
blickte wie seherisch in die angleitenden Wolken, 
hauptsächlich dachte er an den schwierigen 
Posten. 

Gerade als Ciborius eine Idee hatte, den frag- 
lichen Posten doch noch geschickt einzuschieben, 
legte sich Glorias Hand — Gloria war der Vor- 
name der Sekretärin — auf den lässig steuernden 
Arm des Generaldirektors, und der schöne Mund 
unter den fein bebenden Nüstern bat anzuhalten, 
unbedingt anzuhalten. 

„Gern, ihnen zu Gefallen gern“, sagte der Gene- 
raldirektor etwas erstaunt, und sie hielten an und 
Glorla lauschte, und sie lauschte nicht vergeblich. 
„Hören Sie?“ fragte Gloria. „Der Kuckuck ruft!” 
Und tatsächlich, in dieser einsamen Landschaft 
tief der Kuckuck, in immer gleichen Zwischen- 
räumen rief er, und In dem Generaldirektor be- 
gannen Saiten zu klingen, die eigentlich schon 
längst von dem Rost schwierig unterzubringender 
Posten hätten zerfressen sein müssen, „Hören Sie 
doch!” sagte Gloria und schmiegte sich eng an 
Ciborlus, „das ist die Welt, die wir schon fast 
vergessen haben, die bessere Weltl” „Ja', sagte 
Ciborius, und er wagte sich kaum zu bewegen, 
um den Kuckuck in seinem Rufen nicht zu stören 
oder um auf Glorias Atem zu lauschen, 
Unablässig rief der Kuckuck, unablässig. Der 
Generaldirektor, diese Seele von Generaldirek- 
tor, vergaß den Posten, und Gloria vergaß die 
Distanz, und der ferne Kuckuck, der von alledem 
nichts wußte, war ein Zauberer — er brachte die 
Gesichter der beiden nah, ganz nah zusammen, 


und der Generaldirektor küßte den Mund ohne 
Riß und Falte so ganz in Gedanken, ganz ohne 
Gedanken. Alles schlief ringsum, der Kompressor 
schlief, die Bäume mit ihren Blättern schliefen, die 
Blumen am Wege schliefen, der schwer zu buchende 
Posten war eingeschlafen, die Distanz auch, nur 
der Kuckuck schlief nicht, auch die Lippen des 
Generaldirektors und der Honigfarbenen schliefen 
nicht, aber sie waren doch wie in einem Traum, 
wie In einem unendlich langen, betäubenden 
Traum. 

„Wie oft ruft dieser Kuckuck wohl noch?” fragte 
der Generaldirektor und sah auf die Uhr im Arma- 
turenbrett. „Ach, vielleicht ewig, Immer", seufzte 
Gloria, und als sie das gesagt hatte, da rief der 
Kuckuck nicht mehr, da war alles ganz still rings- 
um. Der Generaldirektor wollte die Situation 
schnell umbiegen, nicht wegen des Postens, an 
den er allerdings auch wieder denken mußte, 
sondern well er überhaupt ein Mann war, der 
Situationen erkannte, und er sagte „das Lied ist 
ausl” 

„Es war kein Lied, es war nur ein kleines Zwi- 
schenspiel”, sagte Gloria, die auch von dieser 
Welt war, eine verkappte Dame, und der Gene- 
raldirektor trat auf den Anlasser. 

Ja er trat auf den Anlasser, und Gloria sah ihn 
dabei an, wie man einen einmal zu tief Gelleb- 
ten und dann Gehaßten ansieht — aber im glei- 
chen Augenblick nahm Ciborius den Fuß wieder 
vom Anlasser, und er sah in die Weite, ganz ver- 
loren in die Weite. Gloria schmiegte sich wieder 
leicht an, ihre schönen grünen und verdächtigen 
Katzenaugen leuchteten. „Sie denken jetzt an 
irgend etwas“, sagte Gloria, „an irgend etwas 
denken Sie, denn der Kuckuck hat gerufen — 
vielleicht hat er uns beiden etwas zugerufen!” 
„Ja, mir fällt etwas ein”, nickte Ciborius, „notieren 
Sie es bitte — wir müssen morgen Schelloh und 
Macken pfänden lassen!” 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


| 





(0. Nücket) 


Hammer schuldet Bungel seit langer Zeit hundert 
Mark. 

Bungel steht vor Hammers Haustür, da kommt 
Hammer. Bungel stürzt auf ihn zu: „Welch ein Zu- 
fall...” 

„Reden S‘ doch net!’ murrt Hammer, „Wo $' doch 
schon seit acht Tagen bei mir vor der Haustür 
stehn! Glaub’n S’, unsere Fenster san mit Bretter 
vernagelt?" Beye 


* 


Rudi besucht Bobby vormittags und ırifft ihn noch 
im Bett an. 

Meint er vorwurfsvoll: „Aber Bobby, um zehn Uhr 
vormittags bist du noch nicht ausgeschlafen! Wie 
ist denn das möglich?” 

Entgegnet Bobby: „Weißt du, ich glaube, ich 
schlafe zu langsam!” F.H. 





Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditg 
Vorantwortl. Schriftleiter: Walter Foltzick, München. — Der Simp! 
Einzelnummer 30 Pf.; 


anstalten entgegen. — Bezugsprelse 





Ischaft, München, Sendling 


‚simus erscheint wöchentlic 
‚Abonnement im Monat RM. 1.20. — Unverlangte 





‚stellung 








(Fornruf 129). Briefanschritt: München 2 BZ, Brieflach. 
'n nehmen alle Buchhandlungen, 


Zeitungsgeschäfte und Post- 


‚endungen werden nur zurückgesandi, wenn Porto beillegt. 


Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München 


Nord und Süd 2 TerThomm) 





A 1 





„Was tuast denn du, Schorschl?‘*‘ — „I mach jetzt an Dolmetscher für Umquartierte. 
 Woaßt, I war früher amal bei dene drob’n, da hab I dene ihr g’spaßige Sprach’ g’lernt!" 


Nord e sud: “Cosa fal dunque, Glorgetto?,, — "Adesso faccio da interprete agli sfollatl. - 
Sal, prima sono stato da quella gente lassö e ho Imparato Il loro buffo linguagglo!,, 


508 





München, 29.Seplember 1943 
48, Jahrgang / Nummer 39 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN Sy 








PROMETHBUS 














Orr Gvignaussen Hey 


„Dazu habe ich wuhrlich nicht das Fever vom Himmel geholt!" 
3 .  Prometeo: "In veritä io non ho strappato a tale scopo il fuoco dal cielo!,, 

















0. Hagenbarth) 





„Nee, nee, melne verehrten Herrschaften, für dreißig Fennige 
Eintritt spielen wir Ihnen nich Beethovens Neunte Symphonie!" 


"Eh no, egregl signorl, per trenta qualtrini d’ingresso non VI suoniamo la nona sinfonia di Beethoven!, 


DIE SCHÖNE AUSSICHT 


VON WALTER FOITZICK 


Mein Arbeitstisch stand einmal ein ganzes Jahr 
an einem Fenster, das ging auf einen schmalen 
Hof hinaus. Drüben war eine dunkle, graubraune 
Ziegelwand, und in der Wand waren Fenstei 
Hinter den Fenstern lebten Leute, auch ein Junges 
Mädchen. Wie das junge Mädchen lebte, weiß Ich 
nicht, Ich hatte nur an Ihrem Frisleren tell und an 
ihrem Blumengleßen. Beldes betrieb sie gewissen- 
haft und ordentlich. Wenn blauer Himmel war, 
brauchten wir nur dicht ans Fenster zu treten, um 
oben die Sonne zu sehen. Wenn aber schlechtes 
Wetter war, brauchten wir das nicht einmal, denn 
Schnee und Regen bemühten sich in unseren Hof 
herunter. 

Ich behaupte, daß dies eine schöne Aussicht war, 
denn Ich denke gern an den Schnee, an das Mäd- 
chen, den Regen und die Blumentöpfe zurück. 
Aber kein Mensch würde eine welte Reise oder 
Wanderung an das Fenster unternehmen, um die 
schöne Aussicht zu genießen und im Baedeker 
hatte sie auch nicht den kleinsten Stern. 
‚Aussichten mit Sternen sehen anders aus, Je mehr 
Sterne, desto umfassender die Aussicht. Die Quan- 
tität macht's. Je mehr man sieht, desto schöner 
ist's, so denken die meisten. Berggipfel haben 
den Rekord. 

Ich habe einmal auf dem Herzogstand ein nord- 
deutsches Ehepaar sehr glücklich gemacht. Ich 
schenkte ihm die Namen aller Gipfel von den Ost- 
alpen bis ins Berner Oberland. Es sah unter mei- 


ner Anleitung den Großglockner, die Dolomiten, 
die Jungfrau, das Matterhorn und die Namen aller 
Berge, die mir aus der Schulzeit erinnerlich waren. 
Reich beschenkt stieg es zu Tal. Eine so schöne 
Aussicht hatte es noch niemals gehabt. Die Berge 
minderer Berühmtheit werden es mir sicher ver- 
ziehen haben, daß ich sie als Prominente vor- 
stellte; vielleicht sind auch Berge eltel. 

Es ist Ihnen sicher schon aufgefallen, daß Leute 


TRAGÖDIE 


Im Hübnerhofe nebenan 

befindet fich ein Zivergenhahn, 

bei dem des Morgens früh um achte 
der Drang, zu lieben, aufermwachte. 
Bloß fehlten, als die Triebe kamen, 
die Ihm gemäßen kleinen Damen. 

Er war bezüglich der Statur, 

ach, ganz allein auf weiter Flur. 

Und mas an Hennen fonft vorhanden, 
fehlen fachlich zwar fchon einverftanden, 
doch feine zierliche Geftalt 

gebot dem Wunfch entfchieden Halt. 


510 


Das 
Schnapsalphabet 


Von C. E, Helk 


Kam da einmal nach einer Besichtigung der Divi- 
sionskommandeur in das Offizierskasino eines 
Regiments einer kleinen Garnison und fand da 
auf einer Anrichte schön ausgerichtet 25 Flaschen 
der verschiedensten Schnäpse, jede groß mit 
einem andern Buchstaben desAlphabets bezeichnet. 
„Nanu”, fragte der Kommandeur einen der Haupt- 
leute, „was bedeuten denn all die Flaschen mit 
den großen Buchstaben dort?” 

„Ach, Exzellenz”, sagte der Angeredete, „damit 
haben wir uns so ein kleines Gesellschaftsspiel 
eingerichtet. So als Zeitvertreib an den langen 
Winterabenden.” 5 
„Gesellschaftssplel? Und wie geht das vor sich?” 
wollte Exzellenz wissen. 

„Einer geht hinaus, und es wird aus den verschie- 
denen Flaschen ein Schnaps zusammengemischt. 
Dann wird er hereingerufen, bekommt Ihn vorge- 
setzt und muß nun raten, welches Wort sich aus 
der Mischung ergibt.” 

„Das möchte ich doch mal sehen“, sagt Exzellenz, 
und der Fähnrich wird hinausgeschickt. 

„Also sehen Exzellenz, ich fülle nun ein Glas zu 
einem Viertel aus Flasche A, zu zwei weiteren 
Vierteln aus Flasche N und das letzte Viertel wie- 
der aus Flasche A.” Er tat es, rief den Fähnrich 
wieder herein und setzte Ihm das Glas vor. 

Der Fähnrich kostete kurz und sagte dann prompt: 
„Anna”. 

„Großartig, großartig!” sagte Exzellenz. 

„Ach, das ist noch gar nichts, Exzellenzi" er- 
widerte der Hauptmann. „Wir haben mal einen 
Oberleutnant gehabt, der hat das Wort ‚Nebukad- 
nezar’ geraten.” 





gern von Bergeshöh mit Operngucker und Fern- 
rohr hinuntersehen und sich sehr freuen, wenn sie 
unten alles genau erkennen können: „Siehst du 
dort, neben dem Wald, gerade über der Tele- 
graphenstange, das Ist unser Haus. Ach, und Jetzt 
schüttelt Frau Limmermutter die Betten zum Fen- 
ster heraus. Nein, so deutlich! Wirklich, eine herr- 
liche Aussicht” 

Man steigt weit weg auf die Berge und dann freut 
man sich, wenn man das Zurückgelassene wieder 
ganz nahe sehen kann. Dafür gibt es sicher eine 
sehr schwierige psychologische Erklärung. Viel- 
leicht ist es Wille zur Macht, vielleicht auch eine sehr 
geschickte Propaganda der optischen Industrie. 


Darob ergriff ihn heißer Zurn. 

Er krähte: »Wo Ift ein Kothurn?i« 
Vergeblich war indes fein Greinen. 
Der liebe Gott verlich ihm keinen, 
fo daß er fchließlich, matt und lahm, 
verärgert davon Abftand nahm. 


- Warum wird, frag’ ich mich beklommen, 
kein Gnadenakt hier vorgenommen? 

Ein Hühnchen für den armen Gochel, 

das paßte, oder auch ein Sockel, 

mit dem er feinen Zivech erreicht? 


Der Allmacht fiele das doch leicht! 
Ratatöchr 


Sitzung im VdV. (Verein der Verräter) . nony) 








„... und schlage ich vor, Marschall Badoglio zu unserem Ehrenwortbruchmitglied zu ernennen!" 


Seduta nella L.d.F. (Lega dei Fedifraghi): “... ed lo propongo di nominare il Maresciallo Badoglio a membro dei ‘Fedifraghi,!,, 


511 


WARUM AUCH NICHT 


VON PETER SCHER 


Wer möchte wohl leugnen, daß Jünglinge und Knaben Die Greise, dadurch allmählich immer tüchtiger geworden, 
bisweilen überraschende Einfälle haben. . strebten gar bald nach hohen Belobigungen und Orden, 

So empfand ganz plötzlich ein Vierzehnjähriger den Drang welche sic selbstverständlich nach Verdienst auch erhielten, 

und brachte als Neuestes „Die Ertüchtigung des Alters“ in Gang. indem die Knaben mit ihnen wie mit Gleichberechtigten spielten. 
Den Knaben erbarmte das Minus der Greise Bald sah man denn allerorten weißwallende Bärte 

und er widmete sich ihnen liebenswürdigerweise, fröhlich sich tummeln und es schwand die jugendliche Härte 
indem er sie hopsen ließ wie auch durch Reifen springen; des Knaben als eigentlichen Lebensgestalters 

des weitern durften sie Märsche üben und kernige Lieder singen. gegen den Geist der Erfahrung mit der vollendeten Ertüchtigung 


des Alters. 


Nach der Befreiung des Duce 


(Erich Senilling) 





„Dio mio, wo ist der Freund, der mich hier herausholt?" 


Dopo la liberazione del Duce: ""Dio mio, dov’ & I" amico che trarrä ‚me fuori di qua}, 


512 


DER SONNTAG UNTERM APFELBAUM 


Das Haus, In dem der Herr Schulvorstand wohnt, 
ist sehr alt. Schon seit hundert Jahren dient es 
dem jeweiligen Schulvorsteher als Wohnung. Es 
liegt, wenn man in das Städtchen am Sund kommt, 
gleich neben dem Friedhof, und der Mittelpunkt 
des Gartens ist eln großer, breitästiger Apfel- 
baum. Im Garten sitzt die Frau Schulvorstand und 
näht, der Kaffeetisch unterm Apfelbaum ist ge- 
deckt, und im Schatten des Baumes sitzt der Herr 
Schulvorstand und genießt den Sonntagnachmit- 
tag mit Pfeife, Sonntagsblättchen und Streusel- 
kuchen. 

Die Frau Schulvorstand hebt ihre Augen vom Näh- 
zeug und schaut hinüber zu ihrem Mann. Schlap- 
pes Mannsbild, denkt sie. Und was er sich für 
einen Bauch zulegt, „Kommen sie heute?” fragt sie. 
Der Schulvorstand schaut nicht aus seinem Blätt- 
chen auf. „Ja“, sagt er im Lesen. „Alle mitein- 
ander?" Die Frau Schulvorstand verzieht gering- 
schätzig den Mund. 

„Alle”, erwidert er. „Der Herr Magistratssekretär 
und seine Frau, Notar Christoffersen und seine 
Frau, noch ein paar und dann bestimmt Fräulein 
Svendsen....” Die Frau schnauft hörbar durch die 
Nase. „Daß doch die überall dabei sein muß, die 
falsche Katzel” In die Stimme des Schulvorstandes 
kommt ein leichtes Zittern. „Marie”, sagt er, „Ich 
muß dich doch ernstlich ersuchen, solche Aus- 
drücke nicht von den Honoratioren der Stadt zu 
gebrauchen, zumal, wenn sie dem Ausschuß der 
Kirchengemeinde angehören. Du weißt, sie wollen 
den neuen Brunnen der Schule ansehen.” 
„Gottbewahre”, antwortet die Frau Schulvorstand, 
„ich bin ja darin trainiert, meine Gefühle zu ver- 
bergen. Bloß, wenn diese ekelhafte Schlange 
über meine Schwelle tritt, Iäuft mir die Galle 
über, Kaum ist sie im Zimmer, laßt sie die Augen 
herumgehen, und dänn flüstert sie mit der Magi- 
stratssekretärin, der hämischen Hexel” 

Die Frau Schulvorstand warf einen neuen Blick zu 
ihrem Mann hin. Er lehnte schief In seinem Arm- 
stuhl unterm Apfelbaum und war eingeknickt. 
Jesper!” Er fuhr auf und verlor dabei seine 
Pfeife. „Ja, meine Liebe?” 

„Jesper, ich habe dieses Leben hier satt. Dick- 
satt,“ Sie hatte das Nähzeug beiseite gelegt und 
redete sich In eine starke Erregung hinein. „Wir 
sind nun zwölf Jahre hier. Jeden Tag ists das 
gleiche, Jeden Tag sieht man dieselben Gesich- 
ter, hört dasselbe dumme scheinheilige Geschwätz 
Die Luft Ist voll davon. Sie bringen mich noch 
um mit ihren zuckersüßen Worten, hinter denen 
sich Spitzigkeiten verstecken. Mir hängt alles zum 
Hals heraus.” 

Der Schulvorstand hörte sich den Ausbruch seiner 
Frau ruhig an, Er war daran gewöhnt. Friedlich 
rollte er die Daumen umeinander. 

„Ich will mich scheiden lassen!” schrie die Frau. 
„Du weißt, liebe Marie”, sagte er, „so etwas tut 
man nicht als Schulvorstands-Eheleute, und noch 
dazu hler Im Städtchen. Was würden denn die 
Eltern meiner Schulkinder sagen? Meine Stellung 
wäre futsch. 

Nun war die Frau am Rande eines Rasereianfal- 
les. Sie atmete mit Beschwer. „Nie hätte ich dich 
heiraten sollen! Niel Wie oft habe ich das schon 
bereut! Hätte ich doch Eigil genommen. Eigil — 
ha, das wa: ein Mann! Die Lust aufs Leben und 
auf Gefahren leuchtete Ihm aus den Augen. Wenn 
er von seinen Reisen und Abenteuern erzählte, 
fühlte ich, ja, das war das richtige Erleben, und 
nun bin ich hier In diesen Froschteich geraten. Ich 
komme mir oft vor, wie mit grünen Wasserlinsen 
behängt. Ja. du würdest nicht lachen, wenn du 
Eigil gekannt hättest...” 

‚Quatsch”, sagte der Schulvorstand, 

„Du“, fuhr die Frau mit geballten Fäusten auf Ihn 
zu „hast am wenigsten Recht, so zu mir zu reden! 
Ein..., ein ... Mann, der keiner ist\..“ 


VON URIAS 


„Nun schweigst du aber, Marlel“ 

Im selben Moment kam das Mädchen und mel- 
dete die Gäste, Und in einem Atemzug wechselte 
die Szene, Der Schulvorstand erhob sich und 
lächelte voller Liebenswürdigkeit; seine Frau er- 
griff hastig wieder das Nähzeug und beugte sich 
in häuslichem Fleiß darüber... „Von Herzen will- 
kommen, liebste Freunde!“ rief der Schulvorstand 
und breitete die Arme aus. „Marie, liebstes Weib- 
chen, willst du gleich Kaffee einschenken und 
den Streuselkuchen reichen? Den müssen Sie ver- 
kosten, liebstes Fräulein Svendsen, Niemand backt 
ihn so köstlich, wie mein Hausschatzl” 

Fräulein Svendsen, von oben bis unten platt wie 
ein Bügelbrett, verzog ihr Gesicht zu einem säuer- 
lichen Lächeln. „Ich bin davon überzeugt”, sagte 
sie, „nur schade, daß sie keine andere Frisur trägt. 
Eine wirkliche Dame läßt ihr Haar nicht locken 
Sie trägt glatten Scheitel,” u 
Während sie sich von der Frau Schulvorstand ein 
großes Stück Streuselkuchen auf den Teller legen 
ließ, sagte Notar Christoffersen zum Schulvor- 
stand: „Lieber Freund, wir haben heute Besuch 
aus Kopenhagen. Wir haben uns erlaubt, ihn mit- 
zubringen, Einen Kapitän Larsen und seine Frau...” 
Zwei Menschen, eine‘ Dame und ein beleibter 
Herr, traten In den Garten, Die Frau Schulvorstand 
durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. Einen 
Augenblick lang hielt sie sich an der Tischkante 
fest. „Ist Ihnen schlecht?” fragte Fräulein Svend- 
sen lauernd. Die Frau Schulvorstand war weiß bis 
in die Lippen, und ihre Stimme gehorchte Ihr 
kaum, als sie sagte: „Danke... es wird gleich 
vorübergehen,.., Ich habe nur etwas im Haus zu 
tun...” 

Sie blieb lange aus. Im Garten aß und trank man 
inzwischen, Als sie wiederkam, schlug sie den 
Blick nicht auf, Endlich aber war die Kaffeestunde 
vorbei, die Gesellschaft erhob sich, um den neuen 
Schulbrunnen zu besichtigen. Bloß Kapitän Larsen 
blieb noch zurück und reichte der Frau Schulvor- 
stand die Hand, „Laß dich nun richtig begrüßen, 
Marie.” 

„Eigil”, flüserte sie. „Warum bist du gekommen?" 
— „Mit meinem guten Willen nicht, Aber meine 
‚Frau und Frau Christoffersen sind Freundinnen, 
und wir sind zu Besuch hier.” Die Frau Schulvor- 
stand betrachtete Ihn. Er war stark geworden. Und 
außerdem sah er recht verdrossen aus. Aber er 
war es trotz allem — er war Eigil, „Hör Eigill” 
flüsterte sie und gab allen Widerstand auf, „wenn 
du bloß wüßtest, wie ich mich nach dir gesehnt 
habe. Ich welke hin in diesem Nest, ich... ach 
Eigil. ." 

„Grundgütiger Himmel“, unterbrach er sie und sah 
sich höchst peinlich berührt um, ob doch niemand 
in der Nähe sel, „hast du dir die romantischen 
Flausen Immer noch nicht aus dem Sinn geschla- 
gen?" — 

„Ich kann einfach dieses Leben nicht länger er- 
tragen!“ drängte sie weiter. „Ich bin krank von 





In ein Weinglas geritzt 


Der Wein ist weiss wie Schnee! 
Der Wein ist rot wie Blut! 


Trinkt! Trinkt! Und seid nicht bange: 
Auf eines Kindes Wange 
Könnt ihr die beiden Farben seh’n 


Im Frieden nebeneinander stehn! 
Georg Britting 
513 


dem geistigen Stumpfsinn hier und all der Schein- 
heiligkeit im Städtchen... Eigil, kannst du mir 
nicht helfen?” 
„Es tut mir leid, das zu hören”, sagte er und 
schaute noch verdrossener drein. „Aber jeder von 
uns trägt ja sein Kreuz. Deines sieht halt so aus. 
Und sei jetzt still. Da kommt meine Frau.” 
Die kleine blonde Dame trat aus dem Haus In den 
Garten. „Dart ich Ihnen noch eine Tasse Kaffee 
einschenken?” fragte die Frau Schulvorstand noch 
völlig verwirrt. „Ach danke, ja", erwiderte die 
Kapitänin und nahm am Tisch unterm Apfelbaum 
Platz, Eigil benützte die günstige Gelegenheit, zu 
verschwinden. 
„Sie sind sicher glücklich”, sagte die Frau Schul- 
vorstand, als sie ihrem Besuch den Streuselkuchen 
reichte. Die kleine blonde Dame biß herzhaft hin- 
ein. „Na wissen Sie — wenn Sie schon selber fra- 
gen, dann will ich auch ehrlich antworten von 
Frau zu Frau”, meinte sie zwischen zwei Bissen. 
„Gewiß, mein Mann und ich, wir kommen zusam- 
men aus, Aber das Ist auch alles, Er ist ein recht 
schwieriger Mann, und mit den Jahren Ist er immer 
träger geworden. Er fährt ja nicht einmal mehr zu 
See, sondern sitzt die ganze Zeit zu Hause, Zum 
Glück habe ich ein heiteres Temperament, das. 
mich alles leichter ertragen läßt. Sonst wäre es 
unmöglich mit Eigll. Er ist ein Gewohnheitsmensch 
aällergrößter Sorte, von Geistigkeit keine Spur...” 
„Aber das ist doch nicht möglich....“, sagte die 
Frau Schulvorstand ungläubig, „Doch, doch“, er- 
widerte Frau Kapitän Larsen, „Er kennt nur seine 
Bequemlichkeit. Und das ist hart für eine Frau, 
die sich noch Jugendlichkeit bewahrt hat.“ Sie 
nahm ein zweites Stück Streuselkuchen und schlug 
nun im Ton um. Begeisterung klang aus ihrer 
Stimme. „Doch Sie, Frau Schulvorstandi Sie müs- 
sen doch glücklich sein! Mit so einem Mann, wie 
dem Ihrigen! So gut aussehend, klug und beweg- 
lich, Diese edle hohe Stirn, dieser Intelligente 
Blick hinter den Brillengläsern! Ja, Frau Schul- 
vorstand, Geist, das ist doch die Hauptsache, und, 
wie gesagı, den läßt nun mein Eigll völlig ver- 
missen. Wirklich, Frau Schulvorstand, Ich benelde 
Siel” 
„Mein Mann ist leider recht ... verschlossen...” 
warf die Frau Schulvorstand ein. „Ah, das kann ich 
aber nicht glauben. Verschlossen, sagen Sie? Ach 
nein, das ist ein ehrlicher und offener Mensch, Ja, 
man kann geradezu ihm die Romantik aus den 
Augen leuchten sehen. Du lieber Himmel, wenn 
Ich dagegen an Eigil denkel” 
Nun näherten sich die anderen Gäste. Man brach 
auf, es gab ein allgemeines Händeschütteln und 
Abschlednehmen. Der Herr Schulvorstand und 
seine Gattin begleiteten alle noch bis zum Gar- 
tenausgang. Dann kehrten beide zum Kaffeetisch 
zurück. Der Schulvorstand setzte sich wieder unter 
den Apfelbaum und zündete seine Pfeife an, die 
Frau nahm abermals ihre Näharbelt zur Hand. 
„Das ist also überstanden”, meinte er und zog 
an seiner Pfeife. „Nun können wir wieder da be- 
ginnen, wo wir aufgehört haben.” 
„Jesper, sagte die Frau Schulvorstand und schaute 
zu ihm hinüber, „Bist du mir sehr böse?” 
„Böse?“ nahm er das Wort auf, „Nicht böse, Marie, 
aber ärgerlich. Warum denn so viel jugendliche 
Torhelt, wenn man doch schon über vierzig ist. 
Ich meine, da könntest du wirklich vernünftiger 
sein.“ 
‚Ja, Jesper“, sagte sie leise und nachgiebig. „Ich 
will es versuchen.” 
Er antwortete nicht. Sie blickte zu ihm hin und 
sah, wie er gerade wieder einnickte. Wie vorhin 
rutschte er immer schiefer in seinem Stuhl, nun 
öffnete er den Mund und begann zu schnarchen 
Ringsum war es ganz stlil. Durch die Zweige des 
Apfelbaumes schien die untergehende Sonne. 
(Aus dem Dänischen übertragen von $. R.) 





BESUCH NACH MITTERNACHT 


In der Nacht, In der ich dieses eigenartige und 
erregende Erlebnis hatte, kam ich erst spät zu 
Bett; die Zeit bis gegen Mitternacht verbrachte 
ich mit einem mir nahestehenden Menschen In 
der Stadt. Der Abschled von diesem Menschen 
machte mich melancholisch, und ich trank danach 
in meiner Wohnung in ziemlicher Hast noch eine 
Flasche Tokaler. 

Ich schätze, daß es ungefähr eine Stunde nach 
Mitternacht war, als ich einschlief. Durch ein um 
diese Zelt in meiner stillen Wohnung ungewöhn- 
liches Geräusch wachte ich aus elnem unruhlgen 
Schlaf auf. Von dem Turm der Lambertskirche 
schlug es gerade zweimal. Vielleicht war es auch 
gar kein Geräusch, durch das ich aufwachte. 
Jedenfalls hatte ich es nicht mit ganz klaren Sin- 
nen wahrgenommen, denn als ich aus dem Schlaf 
auffuhr, wurde Ich durch etwas anderes erst hell- 
wach: durch einen feinen Luftzug, der gleichzeitig 
ein weiches und angenehmes Parfüm durch den 


Die Fischhändlerin - La pescivendola 


VON KURT GROOS 


Raum wehte — die Tür mußte gerade bei meinem 
Erwachen geöflnet worden sein; nur die geöffnete 
Tür konnte den Durchzug zu den unverschlossenen 
Fenstern meines Schlafzimmers bewirken. 

Mit plötzlich überwachen Sinnen hörte ich, daß 
jemand in meinen Raum schlich, leise wie eine 
Katze; aber ich hörte die Katze atmen. In den 
ersten Augenblicken erkannte Ich nichts, obgleich 
der Viertelmond blaß hinter den wehenden Vor- 
hängen stand, dann aber sah ich die Umrisse einer 
Frau, die vorsichtig, ganz vorsichtig, zur Zimmer- 
mitte schritt, dort mit verhaltenem Atem stehen 
blieb und einige Zeit angestrengt zu mir herüber- 
schaute. Ich rührte mich nicht, ich stellte mich 
schlafend, aber mein Herz schlüg bis zum Hals, 
eine ungeheure Spannung erfüllte mich. Im fahlen 
Licht der Mondnacht konnte ich das Gesicht der 
Frau nur undeutlich erkennen, aber es mußte eine 
ausnehmend hübsche und junge Frau sein, soviel 
sah ich doch, vor allem fühlte ich es. In seinen 


(Gustav Gaggell) 





verhaltenen Bewegungen war der geschmeidige 
Körper von einem seltsamen Reiz. Wenn Ich sage, 
daß ich dieses alles eigentlich viel mehr fühlte 
als sah, so habe ich diese gleiche Wahrnehmung 
schon früher hin und wieder in Zuständen ge- 
bannter Erregung gemacht — das Gefühl steigert 
sich dann schließlich zu einer ungeheuerlich siche- 
ren Sensibilität, die Dinge sichtbar macht, die Im 
nüchternen Alltag ungesehen bleiben. Ich erfuhr 
in dieser Nacht, in der eine schöne Frau leise wie 
eine Katze in mein Zimmer gekommen war, In 
der der Wind eine Welle eines weichen und zärt- 
lichen Parfüms über mich hinwehte, so mancherlei 
neu und beglückend, das mir sonst verborgen ge- 
blieben wäre. 

Alles andere vergaß ich nun; unbeweglich hing 
ich mit meinen Augen, mit meinem ganzen Ge- 
fühl, an dieser Frau, die nun langsam, ganz sicher, 
so als hätte sie sich schon unendlich olt In die- 
sem Raum bewegt, auf den Tollettentisch zuging, 
ihre Hand zum Lichtschalter erhob, sich dann aber 
besann und sich Im Dunkeln entkleidete Ja, sie 
entkleidete sich. Ich habe vorher nie gewußt, daß 
eine Frau sich so bildhaft schön entkleiden kann, 
mit solcher Grazie wie diese, die da wie ein 
Traum, wie ein Geheimnis zu mir gekommen war. 
Vielleicht kann ein Mensch nur alles harmonisch 


. und schön vollbringen, wenn er es ganz unbe- 


obachtet vollbringt, in einer Natürlichkeit, die alle 
Kunstwerke In den Schatten stellt. Und trotzdem 
ist auch das wiederum nicht ganz richtig, was Ich 
da von der Natürlichkeit sage, denn eine Frau 
entkleidet sich eigentlich auch unbeobachtet Immer 
wie In einem Spiel — aber wie soll Ich das alles 
denn nur zum Ausdruck bringen; es erfüllten mich 
Ja keine klaren, sondern nur wogende Gedanken 
In dieser Verzauberung, die dennoch kein Traum 
war. 

Vielleicht hätte ich die Flasche Tokaler besser 
nicht getrunken. Wie entzückend selbstverständ- 
lich meine Besucherin sich Jetzt vor dem Tolleiten- 
tisch bewegte; wirklich, es machte den Anschein, 
als wisse sie in diesem Raum genauer Bescheid 
als ich. Mit einer mein Gebanntsein immer mehr 
entwafinenden Sicherheit gab sie sich; vorsichtig 
holte sie eine Zahnbürste und die Paste aus dem 
Wandschrank über dem Toilettentisch und begann 
sich mit unbegreiflicher Selbstverständlichkeit 
die Zähne zu putzen. Dann griff sie mit der glei- 
chen Selbstverständlichkeit, und doch auch ver- 
halten und geheim, die Nachtcreme aus einem 
Fach und cremte das Gesicht und die schönen 
Schultern ein; mein Erstaunen überstieg meine 
innere Spannung. Dann beugte sie sich nieder, 
klippte vorsichtig das Schloß eines Koflers auf, 
den sie mitgebracht und den Ich vorher nicht 
bemerkt hatte, und holte einen Schlafanzug her- 
aus. Im Niederbeugen spannten sich ihre Knle- 
kehlen, sie leuchteten schneeig, es sah aus, als 
ob sie phosphoreszierten in der Dunkelheit — 
aber das habe Ich mir vielleicht auch nur ein- 
gebildet. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, 
mit der diese Frau alles tat, zog sie auch den 
Schlafanzug an — und kaum hatte sie Ihn ange- 
zogen, da geschah etwas mir in dieser ganzen 
Situation so Unbegreifliches, daß mir der Atem 
plötzlich ganz verschlug, daß mein Herz, meine 
pochenden Pulse stockten: Die schöne Besucherin 
sprang wie ein Junger Panther In mein Belt. Sie 
preßte meinen Kopi an ihren warmen Mund, und 
sie fragte „Schläfst du, Liebster?” In diesem 
Augenblick fiel alles Lähmende von mir, eine Welle 
freudiger Erregung erfüllte mich, denn der junge 
Panther war meine Frau; sie kam von der Bahn 


zurück — sie ‚hatte den Nachtzug nach Wien ver- 
paßt. 


Entwicklung 


(R. Kriosch) 





„Was meinst du, Else, Strümpfe malt man sich bereits aufs Bein — 
sollte ich es einmal mit einer Bluse versuchen?" 


Sviluppo: “Che pensi, Elsa, ormai si dipingono calze sulle gambe ... e non dovrei io !entare di dipingermi una blusa?,, 


515 


HERRN PAPINIS 


Auf dem See war nur mehr ein rosagraues Zittern 
geblieben von dem schwülen Sonnenuntergang, 
nun hatte auch ein leiser Wind begonnen, die 
Mole und den Platz am Hafen zu überhauchen, 
so daß sich die Menschen herauswagten aus den 
vor dem heißen Sommertag schützenden Häusern; 
und so begann das Promenieren auf der Mole, 
Die Sommergäste trafen sich da und die besseren 
Leute des Dorfes gingen auf und ab, machten ein 
wenig anspruchslose Unterhaltung und schauten 
den heimkehrenden Booten der Tagfischer zu, 
den ausrudernden der Nachtfischer, den schwan- 
kenden der Knaben, die von den Planken ins 
Wasser sprangen und von dort wieder zurück- 
kletterten, noch manches andere Spiel treibend, 
um den Schauenden zu imponieren. 

Die einfacheren Leute lehnten aus den Fenstern 
ihrer Häuser und ließen sich dort den leichten 
Wind um die sommerfeuchten Nasen wehen; 
einige Männer saßen bei noch frühem Wein vor 
der Osterla an den blauen Tischen und stierten 
mit dunsttrüben Augen in die funkelnden Gläser, 
In denen noch ein letzter Rest Sonne schwebte. 
So war auch die Unterhaltung der Promenleren- 
den .hitzemüde, und nur wenige anspruchslose 
Worte gingen hin und her. 

Selbst die Worte des Herrn Papini an die neben 
Ihm schreitende junge Dame, die kein Geheimnis 
daraus machten, daß sie den Versuch zu einer 
Werbung bedeuten wollten, entbehrten doch jeg- 
licher Frische, die In solchen Worten von Liebe 
sein sollen; sie wockten in der Jungen Dame nicht 
das geringste schüchterne Keimen, ja, sie lang- 
weilton sio direkt; und die junge Dame machte 
keinen Hehl daraus, 

Da geschah unerwartet, daß den beiden eine 
Dame begegnete, eine Freundin von Herrn Papi- 
nis Beglelterin. 
„Lucial‘ 
„Eugenial” 

Sie umarmten sich, küßten sich auf beide Wan- 
gen, anscheinend hatten sie sich lange nicht ge- 
sehen. Die Freundin nahm keine Notiz von Herrn 
Papini, der schaute eine Weile der stürmischen 
Begrüßung zu, die kein Ende nehmen wollte und 
gar nicht in die sommermatte Stimmung paßte -— 
kam sich überflüssig und klein vor; ja, gern hätte 
er sich leiso fortgestohlen, aber er hoffte noch 
auf ein Unvorhergesehenes, vom gütigen Schick- 
sal gesandt, das die Freundinnen Lucla und Euge- 
nla trennen würde. Doch auch dieses Hoffen ging 
unter in dem rosagrauen Zittern des Sees, als 
Lucia Ihn der Freundin vorstellte, diese aber, Ihn 
nur kurz zur Kenntnis nehmend, an jene die Fra- 
gen stellte: 

„Wie lange haben wir uns eigentlich nicht ge- 
sehen? Wo war es doch — bei den Gigantis, 
glaub ich, ja?...“ 

‚Ja, bei den Gigantis|” rief Lucia: „Dort haben 
wir uns zum letzten Male gesehen! Was ist aus 
denen übrigens geworden? Hast du wieder mal 
was von Ihnen gehört?” 

„Nein — ganz aus den Augen verloren...” 

Da hatte Herr Papini eine glänzende Idee. 

„Die Gigantis?“ wart er fragend dazwischen: „Die 
Gigantis meinen Sie?” 

„Ja?l” riefen einstimmig ‘die Freundinnen — so 
interessiert laut, daß einige der Promenierenden 
sich umsahen: „Kennen Sie die Gigantis denn 
auch?" 

Herr Papini lächelte: „Selbstverständlich! Ich stehe 
doch im Briefwechsel Mit. der Tochter.” 

Eugenia wurde noch neugleriger: „Mit welcher? 
Gina oder Luisa?” 

„Mit Luisa natürlich. Die Gina ist doch tot!” 
„Tot?! Was Sie nicht sagen! Tot?l...“ 

„Jawohl”, log Herr Papini weiter, „sie soll Liebes- 
kummer gehabt haben... Selbstmord..." Es war 
ihm gelungen was er geplant: er war plötzlich 
zum Mittelpunkt geworden. Man kam wieder ins 


VON PETER REIMANN 


Promenieren, zu dritt 
waren gefesselt... 
„Aber —" sagte Lucia, „sie war doch so glücklich 
mit ihrem Paolo.” 

„Nur Schein, alles nur Scheln. Den Paolo kenne 
ich gut. Nachdem er sich der Wechselfälschung 
schuldig gemacht...” 

„Der Wechselfälschung?!” 

Das Rosa In der Farbe des Sees verwischte sich 
allmählich, es ging in ein weißliches Glitzern über, 
das eigenartige Streifen über die Wasserfläche 
zeichnete; die tollenden Knaben gaben ihr Spiel 
auf, da die Stunde der „minestra” nahte. 
„Jawohl, der Wechselfälschung! Sie wußten es 
noch nicht? Nein? nun, er kam ins Gefängnis, 
zwei Jahre erhielt er...” 

„Mein Gott, mein Gott! Die arme alte Mutter!” 
„Die arme alte Mutter, sagen Sie?“ sprach Herr 
Papini: „Diese Person! Die hatte es auch in sichl 
Einen um 25 Jahre Jüngeren Mann fing sie. Er hat 
sie wirklich gehelratetl” 

„Was? Die vierundachtzigjährige Frau?... Und — 
deren Mann lebte doch noch?...” 

„Nein, nein; der Ist vor einigen Jahren im Irren- 
haus gestorben.” 

„Im Irrenhaus?l’ 

„Jawohl. Säuferwahn.” 

„Er trank? Aber er war doch mit seinen drei 
Töchtern und zwei Söhnen dem Antialkoholverein 
beigetreten?!” 

„Natürlich, Ich welß es. Aber die Töchter lande- 


jetzt: die zwei Frauen 


IBJEIE 


ten auch auf der schiefen Ebene. Die Jüngste...” 
w.. die niedliche blonde Giovanna?” 

or. ja, die Giovanna, dieses entzückende Ga- 
schöpf, dieses lebende Pastell: sie mußte in eine: 
Entwöhnungsanstalt untergebracht werden...” 
Der leise Wind hatte an Schwüle verloren, er waı 
lau geworden und kräuselte die jetzt dunkel- 
graue Fläche des Sees; der Abend war dämmerig 
an Stelle des untergehenden Tages getreten; da 
tat Eugenia eine unvorsichtige Frage: „Und — was 
ist eigentlich aus Paolos Bruder geworden?” 
„Der... der...” Herr Papini überlegte kurz 
‚helratete vor vierzehn Tagen die Gina Gi- 
gantl.“ 

Jäh nahmen Lucias und Eugenlas Augen einen 
eigenartigen Ausdruck an. 

„Wie?l” kam es wie aus einem Munde: „Sie sag- 
ten doch vorhin, sie sei tot?!” 

Herr Papini ward verlegen. 

„Gina... Tot? — — 9a, ja... Habe ich das 
eigentlich gesagt?... Hm, dann muß es...” 
Weiter kam er nicht; die Frauen hatten seinen 
Trick durchschaut. Sie lachten nicht, Frauen ver- 
stehen keinen Spaß, wenn man sie zum besten 
hält. Sie überschütteten ihn auch nicht mit Vor- 
würfen. Sie wandten sich gekränkt von dannen. 
Herr Papini blieb allein stehen Inmitten eines 
Abends, der jäh eine ungemütliche Kühle hatte. 
Er fror. Dann lenkte er seine Schritte den blauen 
Tischen zu und ertränkte die Niederlage in süßem, 
frühen Wein. 








DIE VERWANDTEN 


VON STEFAN HOLLENTHONER 


Meine gute Mutter war ganz ahnungslos, als am 
Abend des 12. Juni plötzlich der Storch ans Fen- 
ster plckte und stürmisch Einlaß begehrte. Ich er- 
Innere mich noch (als wäre es gestern gewesen), 
wie ich dem Storch, während ich so zwischen sel- 
nen Schnabelblättern hing, das flaumige Goderl 
kratzte und ihn bat, er möge doch noch um ein 
paar Fenster weiter fliegen; dort befand sich näm- 
lich die Wohnung des Präsidenten der Eternit- 
A.G., in welche Wohnung Ich schon seinerzelt, 
als Ich mich noch quitschvergnügt auf Mondstrah- 
len hutschte, gern und oft hineingeguckt hatte... 
Ach, solche Mondstrahlen waren doch das herr- 
lichste Vergnügen, man konnte an ihnen sause- 
geschwind hinabrutschen — und manchmal pas- 
sierte es, daß ich an Handen eines solchen Mond- 
strahles mitten In eine schummrige Laube plump- 
ste, wo zwei erdgeborene Menschenkinder eng 
beisammen saßen und sich regelmäßig totenblaß 
anblickten, wenn sie mein Gejubel ahnten;. hören 
konnten sie mich ja nicht und sehen konnten sie 
mich auch nicht, denn ich war ja noch ein Sternen- 
kind. Ich aber faltete dann meine Flügel ausein- 
ander und surrte wieder in die Nacht hinaus, Und 
mein Ziel war jedesmal die Wohnung, wo der 
Herr Präsident wohnte, sich in Plüsch und Leder 
wälzte und seine Gattin Patlencen legte. Wenn ich 
mein Näschen an den Scheiben platt drückte und 
mit den grüngoldenen Flügeln leise vor den Fen- 
stern knatterte, wurde die Frau unruhig; sie legte 
die Karten traumverloren auf ein Päckchen zu- 
sammen, tat einen kurzen Blick nach ihrem Mann, 
der bereits im Halbschlaf an einer waschelnassen 
Zigarre lutschte, und starrte dann in die blaue 
Nacht hinaus. Ich lächelte, da lächelte sie auch 
Ich machte ein Schmollmäulchen, da schmollte sie 
auch. Und wenn ich dann ein bißchen durch die 
Nasenlöcher weinte, weil mich diese ekligen 
Fensterschelben hinderten, mit einem Satz in alle 
diese Herrlichkeiten zu hopsen, so kamen auch 
dieser seltsamen Frau die Tränen, und ihr Kummer 


\ 516 


wurde manchmal so mächtig, daß sie in wilder 
Sehnsucht die Arme von.sich streckte, ein paar 
hilflose Schritte zu mir hin machte, um dann 
fassungslos zusammenzubrechen, Der Präsident 
wachte dann jäh aus seinem Schlummer auf, die 
Zigarre flog In den Aschenbecher, zerquatschte 
dort wle eine verweste Kröte. Der Präsident 
streckte sich vorerst ein wenig, trat dann an die 
Seite seiner schluchzenden Frau, streichelte Ihr 
die Haare und sagte leise: „Schick dich doch end- 
lich in das Unvermeidliche, Grital Geh doch schla- 
fen, es ist elf Uhr, und deinen Nerven tut Ruhe 
gut...” a 

Also, mit dem Präsidenten und seiner Frau war 
es nichts. Bulbao, der Storch, ließ sich nicht er- 
welchen; er habe strenge Order von höchster 
Stelle — von wegen der Seelenwanderung und 
so. Ich sel schon einmal der Sohn eines kaukasl- 
schen Fürsten gewesen, diesmal müßte ich os bil- 
liger geben. 

Bulbao wiederholte sein Gepicke an der Fenster- 
scheibe meiner künftig elterlichen Wohnung. Mein 
Vater kam auf den Zehenspitzen zum Fenster und 
öffnete es. Dabei lächelte er glücklich und un- 
endlich verlegen. Ich machte die Augen zu und 
erhob ein glanzvolles Gekrächze. Bulbao ent- 
ledigte sich rasch seiner Bürde, indem er mich In 
ein Gefäß mit warmem Wasser plumpsen ließ. Zum 
Abschied hieb er mir noch seinen langen roten 
Schnabel ins Bäuchelchen, so daß ich heute noch 
an dieser Stelle einen Nabel habe. 

Ansonsten verlief meine Erdenfahrt glänzend. Die 
weise Frau teilte meinem Vater mit, daß Ich 
männlichen Geschlechtes sei — eine Sache, die 
mir damals höchst gleichgültig erschien. 

Ich war nach achtzehnjähriger Ehe als erstes und 
einziges Kind dieses friedfertigen Beamtenehe- 
paares geboren worden. Die beiden Leute hatten 
seit Beginn ihres ehelichen Beisammenseins dem 
Grundsatz des Verdienens und Sparens In einer 
Weise gehuldigt, daß selbst am Hochzeitstage 





US 


(0. Herrmann) 


EA 


„Dees geht net, mei Liebe, daß du erst in der Früh um sechse heimkommst!"* 
„+. Wo i doch als ‚Erwachender Morgen‘ Modell steh, Muatta!“* 


Il motivo plausibile: “No no, cara mia; non va che tu rincasi al mattino alle seit, 
*,.. ma se devo, mamma, far da modello pel 'Risveglio del mattino, !,, 


der normale Verdienstgang nur um einige Stun- 
den unterbrochen wurde, um nur ja in Hinblick 
auf den erhofften Stammhalter mit dem nötigen 
Kleingeld gerüstet zu sein, Doch der Stammhalter 
wollte sich nicht einstellen. Dafür meldeten sich 
die lieben Verwandten, die infolge ihres gesun- 
den Familiensinnes dachten, daß in Ermangelung 
eines Thronfolgers eben die Seitenlinien zu fröh- 
licher Erbfolge berufen seien. Sie zerbrachen sich 
bloß die Köpfe, welchem Umstand sie es zu ver- 
danken hätten, daß trotz Vorhandenseins aller 
finanziellen Vorbedingungen meinen Eltern durch 
volle achtzehn Jahre das ersehnte Himmelgeschenk 
versagt blieb. Da sich aber beide Eheteile einer 
vertrauenerweckenden Gesundheit erfreuten, so 
vermutete die glattzüngige Tante Tini, daß meine 
Eltern vor lauter Verdienen und Sparen ganz dar- 
auf vergessen hätten, daß nebst Geld auch noch 
andere Bedingungen für eine Menschenerschaf- 
fung einzuhalten wären. Drauf steckten die lieben 
Verwandten die Köpfe zusammen, knallten sich 
vor Vergnügen auf die Schenkel und beschlossen, 


meinen Eltern gegenüber den Erwerbstleiß Jedes- 
mal über alle Maßen zu loben, damit nicht etwa 
in letzter Minute — das wäre doch fatal gewesen! 
Es war ein Hasardspiel, es war alles zu gewinnen 
und alles zu verlieren. Und sie verloren! Tjal 

Als ich sah, wie die lieben Verwandten angesichts 
meiner Lebendgeburt zersprangen, daß man es 
ordentlich bersten hörte, war ich mit meinem Los 
vollkommen ausgesöhnt, und Ich gab die ersten 
Laute gesunder Schadänfreude von mir (obwohl 
ich damals von Nestroy noch gar nichts wußte), 
um die Tante Tini, den Onkel Sepp, die Basen 
und Vettern zu weiterem Zerspringen hilfreich an- 
zuregen. 

Als der Onkel Sepp ganz unverschämt in meiner 
Gegenwart der Base Lina, die so vie| Sommer- 
sprossen hatte und beim Reden erbärmlich „zu- 
zelte“, ins Ohr raunte, daß „so ein Balg”, der 
dazu noch von alternden Eltern stammt, bestimmt 
nicht lebensfähig sei, lieferte ich »meinen ersten 


Bewels. Ich wälzte mich nämlich meine Windeln- 


breitspurig entlang und ließ mich vom Tischchen 


517 


‚auf die Erde fallen; ich prellte mir ein wenig den 
Schädel, schlug mir das Gesäß platt, war aber 
ansonsten voll Freude über das gelungene Exem- 
pel. Der Onkel Sepp tat nämlich einen Freuden- 
schrei, die Base Lina zuzelte sich vor Aufregung 
den linken Augenzahn wacklig — beide glaubten 
Ja, ich sel zumindest tot, und meine gottverflixte 
Stammhalterei damit in Auflösung begriffen, Sie 
erhoben lautes Geschrei, aber als mein Vater am 
vermeintlichenLeichnam seines Kindes zusammen- 
brach — da öffnete ich die Augen in ihrer Veil- 
chenbläue, verschränkte die Fäustchen über der 
Brust und strampelte und brüllte und beschrie die 
vier Wände In solch schmetterndem Fortissimo 
voll Freude über den gelungenen Streich, daß der 
Onkel Sepp nichts weiter hervorzubringen ver- 
mochte als ein tonloses, heiteres: „Na, na, ...is 
scho guat, mir wissen ’s eh, daß d’ an böhmischen 
Schädel hast!“ Und die lieben Verwandten ver- 
loren den letzten Rest von Kultur und zerspran- 
gen restlos. Restlos! 

Ich aber nößte vor Behagen nächtlich die Windeln. 


Immer diskret 


(K. Halllgenstaadt) 





‚„„,Am meisten liebe ich Ihre Hände‘, sagt er immer — wie taktvoll, daß er nicht ‚Beine‘ sagt!" 
Sempre fino: “Con squisitezza di tatto egli dice sempre: *amo sopratutto le Vostre mani,, invece che dire: 'le Vostre gambe, !,, 


518 


Abendlicher Zuspruch 


Von Hermann Sendelbach 


Sei getrost, es steigt der schöne Mond 

Auch nach dieser Trübnis aus der Nacht! 
Sei getrost, es blieb noch viel verschont, 
Dran dein Kummerherz nicht mehr gedacht! 


Rührt der Nachtfreund dich mit Wehmut an. 
Weil er so viel Längstvergangnes sah, 
Hochhin wandelt seine gleiche Bahn 


Und nicht wissen will, was dir geschah? 


Lasse es genug sein, daß er glänzt 

Und auch dir das dargereichte Haupt 
Minder nicht als einst Homer bekränzt, 
Dem selbst Lichtes Tröstung war geraubt. 


Er und mancher trugen mehr als du. 
Fühl dich allen brüderlich gesellt, 
Winke ihnen und dem Monde zu 
Und gedulde dich wie sie der Welt! 


PÄL AM TOR 


FRITZ HABERMANN 


Nachmittag hatte der alte Päl den Zwetschgen- 
schnaps zum Reifen in die Sonne gestellt, Als er 
das tat, dachte er nicht im geringsten an etwas 
anderes, und ein ordentlicher Mann soll ja auch 
gar nicht an.zwei Dinge zugleich denken, Aber 
abends kamen seine zwei Schweine nach Hause, 
warfen die Korbflasche um und tranken den 
Schnaps restlos aus. 

Hinterher waren sie recht vergnügt, die Schweine, 
aber PAl natürlich nicht, Und sogar am nächsten 
Tag konnte er sie noch nicht einmal auf die 
Weide schicken. Denn man müßte sich ja schämen 
mit solchen Schwelnen. 

So pflegt es oft zu gehen. Solange man etwas 
ganz sicher hat, wird es nicht geschätzt. Vielleicht 
hatte man auch einmal eine Geliebte, eine 
schöne, schöne Geliebte, ein Jahr oder. zwei 
Jahre — eine hübsche Zeit lang jedenfalls — und 
schließlich lag schon gar nichts mehr daran, weil 
sie ja Immer da war. Aber dann kam sie ab- 
handen, oh, was das für ein Jammer war. 

Dem alten Päl Ujzsap ging es jetzt mit seinen 
Schweinen auch so. Wegen der drei Liter Schnaps 
hatte er gar kelne rechte Freude mehr an ihnen. 
Also kümmerte er sich auch nicht mehr um sie; 
dann aber kümmerten sie sich nicht mehr um ihn, 
und damit war das Unglück schon fertig. 

Und doch hätte es schon gereicht, wenn er nur 
Immer abends die Hoftür aufgemacht haben 
würde, um sie einzulassen. Nämlich im Dorfe 
Bacsamosvar, wie fast In ganz Ungarn überhaupt, 
führen ‚die Schweine keineswegs ein sogenanntes 
Schweineleben In einem finsteren Kober, Nein, 
sie führen ein harmonisches Leben! Früh wandelt 
der Hirt durch das Dort und bläst und dann geht 
es in großer Gesellschaft, mit munterem Trab oder 
gemächlich, auf die Weide hinaus. Und abends 
kommen sie zurück. Das ist die Tageseinteilung, 
denn auch ein Schwein braucht eine solche. Und 
selbstverständlich geht jedes wieder in seinen 
Hof, denn Jeder Borstenträger ist ja der Ansicht, 
daß dieser besondere Hof ihm ganz allein gehört. 
‚Aber der alte Päl hatte nun schon mehrmals die 
Hoftür nicht offen gelassen und da mußten seine 
zwei anderswo übernachten. Denn sich bei Nacht 
herumzutrelben, das lieben sie nicht, Gottbe- 
wahre, solche gibt es nicht unter den Schweinen. 





Ukrainer - Gli Uerani 





Als sie sich jedoch gleich mehrere Tage im Hof 
nicht mehr sehen ließen, da fiel dies Frau Ujzsap 
doch auf und sie zankte Päl mächtig aus. Aber 
obwohl der jetzt jeden Abend gleich das ganze 
Hoftor aufriß, es nützte nichts mehr; die Herde, 
mehrere Hundert im ganzen, strudelte vergnügt 
und eilig vorbei und kein Schwein tat, als ob es 
bei Ihm daheim wäre. 

„Wo worde ich hinkommen, wenn das so geht?” 
fragte sich PAl besorgt. Seln Kummer war gewiß 
echter als der manch eines abgesetzten Lieb- 
habers, denn zwei Schweine verlieren Ist noch 
nie eine Kleinigkeit gewesen. Halt, da blieb ja 
noch der Weg zum Gemeindevorsteher, vielleicht 
wußte der einen Rat. 

„Aber das Dorf ist groß, Päl, wo soll Ich deine 
zwei Schweine finden? Hast du denn nichts Auf- 
fallendes, woran du sie erkennen kannst?” wurde 


‚er gefragt. 


Nein, etwas Auffallendes wußte Päl von seinen 
Schweinen nicht zu sagen, 

„Und wäre es denn nicht möglich, daß die Schweine 
dich erkennen?” 

„Hi, hi, du machst wohl Spaß, Vorsteher? Die 
Schweine sollen mich besser kennen wie ich sie? 
Das ist doch unmöglich, hi, hi 
Über dieses Geklcher erzümnte 
„Ja, soll ich euch wohl identifizieren? Du kommst 
einfach zu mir und willst zwei Schweine, weißt 





“nicht wie sie aussehen, ob sie noch da sind, oder 


ob sie nicht mehr da sind. Gar nichts weißt dul“ 
Päl ärgerte sich sehr darüber, so angefahren wor- 
den zu sein und aus Zom trank er an diesem 
‚Abend soviel von dem hellen guten Zweischgen- 
schnaps, daß er wirklich schon auf drei Meter 
gegen den Wind roch. Dann stellte er sich zur 
rechten Zeit wieder unter das Tor und wartete 
kummervoll auf die Schweine, 

„Dieser Vorsteher, das Ist auch so einerl Kein 
Herz und wer weiß, wo die armen Schweine 
sind... Und was der für neumodische Sachen 
aufbringt, Schweine identifizieren... Füttern muß 
man sie, ja, das muß man.. 
Da sonderten sich zwei von der Just vorbeitollen- 
den Herde ab und bileben schnüffeind vor ihm 
stehen. Und dann gingen sie mit ruhigem Schritt 
und kurzweilig wedelndem Schwänzchen durch 
das Tor in den Hof hinein. 

Voll Freude schloß der alte Päl das Tor und ging 
ihnen nach; Ja, das waren sie! Jetzt erkannte er 
sie auch wieder. 
„Theresel” rief er. 





‚Sie sind da, sie haben mich 





(os. Öberborger) 


wirklich identifiziert —" und zu den Schweinen: 
„Jultscha und Ertsi, Gott, wie groß und schön 
seid ihr geworden!" 

Die Schweine grunzten vergnüg! und wandten 
sich dem Stall zu. Päl aber dachte mit Dank an 
den hellen Zwetschgenschnaps, welcher so wun- 
derbar scharf riecht, so scharf, daß niemand der 
Ihn kennen gelernt hat, ihn Je vergißt. 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Scholz und Bolz gehen auf die Jagd, 

Plötzlich taucht ein Eber vor Ihnen auf. 

Scholz schießt und fehlt. 

Der Eber stürzt wutenibrannt auf die Jäger. 
Scholz und Bolz rennen um Ihr Leben, 

Immer näher kommt der Eber. 

Da schreit Bolz in höchster Verzweiflung: „Ich war 
es nicht, der Scholz hat zuerst geschossen!” Fr.H. 


* 
Bobby kommt verdattert zu seinem Freund Felix: 
„Fellx”,stottert er herum, „ich dank dir schön, daß 
du mir dein Fahrrad geborgt hast — da bring ich 
dir's wieder — aber schau, du darfst mir net bös 
sein — der vordere Reifen Ist halt net ganz in 
Ordnung —" 
„Bobby —” ruft Felix, den Reifen ansehend, „was 
hast du denn da wieder angestellt? Der Reifen Ist 
ja ganz zerschnitten!” 
„Ja, nickt Bobby, „Ja — ein bisser! zerschnitten 
ist er schon — weißt — Ich bin nämlich über eine 
Flasche g’fahren.” 
„Na hörst”, ärgert sich Felix, „warum hast denn 
net aufpaßtl" 
„Ich hab ja eh aufpaßt“, antwortet Bobby ge- 
kränkt, „Und wie vorsichtig Ich war... Aber 
kannst du’ das vielleicht sehn, wenn einer eine 
Weinflasche in der Aktentasche hat?’ H.K.B. 





Verlag und Druck: Knorr & Hirh Kommanditge: 





;chalt, München, Sandlinger Straße #8 (Femrut 129). Briefanschrift 


München 2 BZ, Brielfäch, 


Vorantworli. Schriftleiter: Walter Foltzick, München, — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post. 


onstalten anigagen. — Bezugspreise: Einzelnummer 30 Pi.; Abonnement Im Monat RM. 


1.20. — Unvorlangte Einsondungen werden nur zurückgesandt, wenn Porio beillegl 


Nacharuck varbolen. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München 


AUF URLAUB 


(Wilhelm Schulz) 


Wenn ein Soldat auf Urlaub kommt, Doch tut es das noch nicht allein, Von Siegeswillen übersonnt 
ist leicht es zu erraten, mag’s noch so gut ihm schmecken, will er die Heimat sehen, 
daß dann daheim ein Bier ihm frommt all Eure Sorgen, groß und klein, damit er wieder an die Front 
und auch ein Schweinebraten. sollt Ihr vor ihm verstecken. zurück kann freudig gehen. 


WILHELM SCHULZ 





- München, 6, Oktober 1943 W i 
48. Jahrgang / Nummer 40 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Der mißglückte Spaziergang 











„Da heißt es immer, daß alle Wege nach Rom führen, der Weg über 
Badoglio scheint aber doch nicht der richtige gewesen zu sein!“ 


La passeggiata andata a vuoto: “Il motto dice che tutte le vie conducono a Roma; pare perö che la ‘Via Badogllo, non sia stata la glustal,, 


Das Jüngste Gericht - Il Giudizio Finale 


(Fr. Bilok) 





Der Selbstgebaute 


Von Walter Foitzick 


Wenn würdige Männer über Selbstgebauten spre- 
chen, wird es sich um Tabak handeln. Tabak wird 
nömlich jetzt nicht nur geraucht, sondern auch ge- 
baut; Ich glaube, er wird sogar mehr gebaut als 
geraucht. 

Ich werde mich hüten, eiwas gegen den selbst- 
gebauten Tabak zu sagen, denn dann kämen mir 
alle diese würdigen Männer auf den Kopf und Ich 
müßte womöglich ihren Tabak rauchen, um eines 
Besseren belehrt zu werden. Das möchte ich nun 
nicht gern, nicht nur, weil ich mich vor Nikotin- 
vergiftung fürchte. 

Ich bekenne demnach, es gibt nichts Besseres und 
Bekömmlicheres als selbstgebauten Tabak, und ich 
weiß von vornherein, daß alle Rezepte gut sind. 
Rezepte muß man nämlich haben, das ist wie 
beim Salat, beide müssen angemacht werden, beim 
Tabak sagt man fermentieren. Es gibt bekanntlich 
slebenhundertvierundsechzig verschiedene Arten 
richtig zu fermentleren, und niemand wird mich 
zwingen, zu behaupten, daß die Methode, die ein 
anderer befolgt, besser ist als die eigene, Mir ist 
nämlich mein Leben lieb, und was das Fermentieren 
anbelangt, da verstehen die Leute keinen Spaß. 
Also, um richtig zu fermentieren nehme man einen 
größeren Hutkoffer und begießa ihn... Ach, Ver- 
zeihung, ich wollte mich ja nicht in die Fabrika- 
tionsgeheimnisse mischen, man kann es selbstver- 


ständlich auch anders machen und zwar viel 


besser. 

Aber von einem Einzelfall werde ich doch wohl 
teden dürfen? > 

Sehen Sie, da ist mein Freund Paul. Sie würden es 
ihm gar nicht ansehen, daß er selbstgebauten 


WANDLUNGEN 


Als haariges Räupchen erft begann er 
und fraß fich durch von Blatt zu Blatt; 
hernach zu einer Puppe Ipann er 

fich ein, die nichts mehr nötig hat. 


Und fchließlich fchloff er als ein Falter 
aus diefem nächtlichen Verfchlag, 

fo bunt, daß ihn mein Federhalter 
nicht voll zu würdigen vermag. 


Zivei Tage war er quichlebendig, 

ja fozufagen tatenfroh, 

bis ein Profeftor eigenhändig 

ihn fing - worauf fein Geift entlloh, 


Nun wohnt das holde Kind der Mulen 
ftochfteif (und mweiß nicht recht, zu was) 
mit einer Nadel in dem Bufen 
bei vielen andern hinter Glas, 


S Ratatöchr 


522 


Tabak raucht, wenigstens vor dem Rauchen nicht. 
Paul hat sich bisher immer viel mit Philosophie be- 
schäftigt, jetzt beschäftigt er sich mehr mit Rau- 
chen — von Selbstgebautem. 

Er hält nichts vom Ferm....., ach so, ich wollte ja 
nichts von seinem Innenleben verraten. In einem 
Kästchen hat er etwas Grünes, das spricht er frank 
und frei als Tabak an, Wie gesagt, er hat sich bis- 
her hauptsächlich mit Philosophie beschäftigt. Das 
Grüne wird nur einen krassen Laien an’ geirock- 
neten Spinat erinnern, einen Lalen In selbstge- 
bautem Tabak. Das ist es, was Paul In seine Pfeife 
stopft, wobel wir, seine Freunde, so tun, als ob es 
das Selbstverständlichste von der Welt wäre. Der 
Pfeife entquillt ein blauer Rauch, tatsächlich ein 
blauer Rauch, ein sehr ähnlicher blauer Rauch, der 
aufs Haar anderen Rauchen gleicht. Paul weht Ihn 
uns mit der Handfläche zu. Wir sind gute Freunde 
und sagen ihm, daß wir schon Schlechteres im 
Leben gerochen haben, schon Brenzlicheres, 

Nun versenkt sich Paul wieder in die Philosophie 
und da kam er neulich auf die Beurteilung des 
Duftes von Rosenöl zu sprechen. Warum er gerade 
auf Rosenöl kam, bleibt unklar. Wird wohl so eine 
Wunschvorstellung gewesen sein. 

Wenn Paul sich die zweite Pfeife ansteckt, hat er 
kleine Schweißperlen auf der Stirne. Er sagt, es 
käme. von der heißen Suppe. Auf jeden Fall will er 
im nächsten Jahr noch mehr Tabak anbauen, das 
Sandblatt sei besonders delikat. Das Sandblatt ist 
nämlich das Grüne, aber da komme ich schon 
wieder ins Fachsimpeln. 


Kronos baut vor 


(0. Gulbransson) 


Quae Qucsranszon as 





„So — Kognak und Hoffmannstropfen stehen bereit für den Fall, daß mir schlecht wird. Ich werde 
jetzt mal versuchen, das Kapitel über Badoglio, Viktor Emanuel und Konsorten zu schreiben! 


Kronos previene: “Ecco .... Il cognac e le gocce - Hoffmann ... glä pronti nel caso che mi senta male, Adesso 
tenterö pur di scrivere il capitolo su Badoglio, Vittorio Emanuele e consorti!,, 


523 


Am Treffpunkt (R. Krionch) 





„Unerhört — nicht mal 'ne halbe Stunde wartet er, wo ich ihm doch 
gesagt habe, daß meine Uhr manchmal ’n paar Minuten nachgeht!" 


Luogo d’ appuntamento: “Incrediblle! Egli non aspetta nemmeno un’ ora, 
bench& gli abbia detto che il mio orologio talvolta ritarda di alcuni minutfi!,, 


524 


APARTADO 22 


VON WILHELM LUKAS KRISTL 


Das war In Sevilla, in der Karwoche. Zur Sevilla- 
ner Karwoche mit den weltberühmten Prozessio- 
nen, da sind schon Wochen vorher alle Schnell- 
züge’und Flugzeuge in ganz Spanien ausverkauft, 
und in Sevilla ist noch die letzte Dienstboten- 
kammer zu saftigen Preisen längst Im voraus ver- 
mietet, von Hotelzimmern nicht zu reden. Wer von 
den Sevillanern eine freie Hundehütte hat, der 
stellt auch diese noch den Festgästen als Wochen- 
end-Häuschen zur Verfügung und die diesbezüg- 
liche Rechnung entspricht durchaus einer Ein- 
familien-Villa, So mancher Sevillaner lebt den 
ganzen Sommer von dem, was ihm die heilige 
Karwoche einbringt und trägt auf diese Weise zu 
der südlichen Beschaulichkeit bei, welche die 
Touristen an der andalusischen Hauptstadt ganz 
besonders entzückt. 

Ich hatte vorgesorgt. Ich gehörte zu den Glück- 
lichen mit Quartier und Flugplatz und wünschte 
nur noch, mein Zimmer befände sich gleich m der 
Nähe des Flugbüros, damit Ich keine Zelt ver- 
säume und mir nichts von der großen Prozession 
am späten Nachmittag entgehe, „Apartado 282“ 
war die Adresse; ich verwährte sie wie ein 
Juwel in meiner Brieftasche. 

„Ist die Apartado gleich in der Nähe, Seforita?", 
frug Ich im Flugbüro. „Wie heißt die Straße?” 
„Apartado”, wiederholte ich und als mich die 
Seforita weiterhin dumm ansah, buchstabierte 
Ich: „A-par-ta-dol” Sie wandte sich an eine Kolle- 
gin und diese an den Buchhalter und der Buchhal- 
ter griff nach dem Telephonbuch. Da rief einer 
von den jungen dunkelhäutigen Bengels, welche 
das Flugbüro auf der Jagd nach Trinkgeldern um- 
lauerten, daß er die Straße kenne und bemäch- 
tigte sich allsogleich meines Koffers. Aber er ging 
keine zehn Schritt mit. Sodann verhandelte er 
mich an einen anderen Burschen und dieser be- 
deutete mir, ihm nur ruhig durch das aufregende 
Gewühl zur Straßenbahn zu folgen. Nun, in der 
Sevillaner Karwoche darf,man nicht anspruchsvoll 
sein; liegt das Zimmer auch nicht gerade im 
Stadtzentrum, die Hauptsache Ist, du hası ein 
Dach überm Kopf. 

Wir stiegen in die Straßenbahn. „Zwei Apar- 
tado’ verlangte Ich. „Si Senior, Apartado.” Jedoch 
der Schaffner schien sich ebensowenig in Sevilla 
auszukennen. Er frug den Wagenführer, und als 
auch der nur einen Brummer von sich gab, holte 
er die Meinung seiner Fahrgäste ein. Alsbald be- 
schäftigte sich mit meiner Adresse die ganze 
Trambahn, Die Ansichten waren getellt. Man bot 
mir nacheinander sämtliche Stadtviertel Sevillas 
an. Mein Einwand, wenn eine Straße 282 Haus- 
nummern habe, könne sie doch nicht so unbe- 
kannt sein, wirkte nicht gerade klärend, Im Ge- 
genteil, sie entlachte nur neue Meinungsver- 
schiedenheiten, während ich die Frage aufwarf, 
ob denn vielleicht mal ein gewisser Apartado in 
der spanischen Geschichte eine Rolle gespielt 
habe. Endlich rührte sich ein Mann auf der hinte- 
ren Plattform: Ich sel schon richtig, jetzt falle es 
ihm ein, es fehlten noch drei Haltestellen, dann 
sollte ich mich ein wenig nach rechts halten. 
Das Viertel, In dem wir ausstiegen, sah so aus, 
daß meine festliche Stimmung ruckweise sank. 
Aber mein Bursche mit dem Koffer marschierte 
tapfer voraus und ich folgte widerwillig hinterher. 
Und nachdem wir einige Male im Kreise herum- 
gelaufen waren, da stellte er sich vor mir auf und 
sagte kühn, nun selen wir da. Ich sah mich um: 
Ein Dutzend altersschwacher Häuser, wie ausge- 
storben die ganze kümmerliche Gasse, nur ein 
milder Duft von Müllhaufen und ranzigem Küchen- 
öl verriet die menschliche Nachbarschaft. Ich 
schlen mich in der verlassensten Gegend der 
Stadt zu befinden und obendrein stellte sich her- 
aus, daß die Gasse gar nicht Apartado hieß, son- 
dern ihr Name begann nur mit einem A und hörte 
mit einem O auf Das war alles. Was meinen Ba- 


Atlas - Atlante 


©. Hegenbarth) 





„Sag', Emil, wie hieß der Mann, der die Weltkugel auf den Schultern trug?" 
„Aber gute Adelheid, du glaubst doch schon alles!" 
. 


“Dimmi, Emilio, come si chiamava quell' uomo che sosteneva il globo ferrestre sulle spalle?,, 
“Ma, mia buona Adelalde, come tu eredi proprio a tullol,, 


gleiter freilich nicht hinderte, eine Miene aufzu- 
setzen, als habe er nie im Leben behauptet, die 
Straße auch nur ganz ungefähr zu kennen. 

Mir wurde warm. Ratlos studierte ich meinen 
Zettel, las Ihn von vorn nach hinten und zurück. 
Glocken und Fanfaren ertönten in der Ferne und 
verkündeten, daß die große Prozession im Gange 
war, Mir fielen die schwarzgelockten Jungen Se- 
villanerinnen ein, welche jetzt sicherlich im Fest- 
schmuck die Tribünen und Balkone füllten. Dann 
erleichterte ich mein Herz mit einer Serie heimat- 
licher Wünsche, die mit der heiligen Karwoche 
weiter nichts zu tun hatten. 

Eine leere Kutsche nahm mich auf wie ein Fischer- 
boot einen Schiffbrüchigen. Wahrlich gerettet kam 
ich mir vor, als ich mich hinaufschwang. Es sollte 
indessen eine neue Irrfahrt beginnen, Er sei ge- 
borener Sevillaner, meinte der Kutscher, und fahre 
seit etlichen zwanzig Jahren die Fremden herum. 


Aber Apartado?, und noch dazu mit so viel Haus- 
nummern? Vorbei an ehrwürdigen Stadtmauern, 
an maurischen Portalen, durch romantische Gas- 
sen ging die Reise und der Kutscher frug von sei- 
nem Bock herunter mal diesen, mal jenen Passan- 
ten. Je mehr wir wieder stadteinwärts gelangten, 
desto mehr schwoll der Trubel an, desto farbiger 
wurde die Stadt. Jedoch mein Interesse schwand 
In dem gleichen Grad, in dem die herein- 
brechende Dämmerung bei andern für poetische 
Stimmung sorgte. Ich teilte das ganze festliche 
Sevilla nur in zwei Hälften: Die eine Hälfte, die 
hatte in der Nacht ein Bett und die andere, die 
hatte keines. Zu dieser gehörte also ich. 

Ich habe aber doch zu meinem reservierten Zim- 
mer gefunden. Mit Verspätung allerdings und 
etwas erschöpft; es war schon Mitternacht, Zu 
guier Letzt hatte sich nämlich herausgestellt, daß 
Apartado zu deutsch — Postfach heißt... 


Villa über dem Fluß 


Von Maximilian Brantl 


Hell flechten Rofenftunden 
fich in des Lebens Kranz, 
und fie verdecken ganz 

die Lücken und die Wunden. 


Wie lacht aus farbiger Hülle, 
ihr Mädchen, eurer Leib! 
Verfchütte Früchte, Weib, 
aus goldnem Horn der Fülle! 


525 


An euch gelehnt, wie fächeln 
fich Worte und Gefühlt 

Da wird uns heiß und kühl, 
da löft fich Ernft in Lächeln! 


Kredenzt ihr dann der Trauben 
Schoßblut und Herzensgold: 
Mufik! Heut ift uns hold 

das Schichfall Laßt uns glauben! 


VOM BLAU AUF ALTEN BILDERN 


Blau ist oft auf alten Bildern im Hintergrund. 
Hintergrund bedeutet: Ferne, das Ungenaue. 

Im Hintergrund fliegen Vögel in Form einer Braue. 
Vorne stehen die Städte mit drohendem Mauerrund. 


Das Blau der alten Bilder hat etwas Ruhendes, 

Bei ihm herrscht Stille, Geheimnis, Rast. 

Es hat den Schlaf im Gesicht, Schweigen, Nichlstuendes. 
Doch mandımal öffnet sicı jäh sein verschleierter Glast. 


Im Hintergrund dämmern Wälder und Berge, 
Oder Gemässer dunsten. Also das Undurdhdringliche. 
Vorne wandeln Hirte und Ferge, 

Vorne drohen Türme — Sinnbilder für's Dinglidıe. 


Idı liebe das Blau dieser Bilder, Es ist meit. 

Es lockt hinaus. Es hat kein Ende, 

Hinter ihm verbirgt sidı der Raum der Unendlichkeit, 
Das Märdien, das Glück, die goldene Wende, 


Und heraus fritt ein Engel, silbern umleudhtet; 
Oder ein Ritter zu Pferd, eisengerüstet, 

Auf dem Sattel Undine, masserbefeuchtet, 

Die es nadı Kuf und Umarmung gelüstet. 


ANTON SCHNACK 


DER ROGL RUEP REDET FINNISCH 


„Ha?” fragt der Oberjäger in die Runde. 
„Mhmi“ sagen die andern. 

Damit ist für ein guies Trumm Polarnacht geredet, 
was zu reJen Ist und es wird wieder still in der 
Hütten. Selt die sieben Tiroler auf der einsamen 
Feldwach einandhocken, Ist ihre Szrach nur 
mehr „Ha‘ und „Mhmi” 

Weil's wahr Istl Für was denn reden? Was ein 
jeder zu tun hat, weiß er ohne reden auch. 
Überhaupt, so sagen sie, mit Reden Ist der Krieg 
nit zu gewinnen, Was zu sagen Ist, sagt der Bol- 
schewik und kriegt sein’ Antwort. 

„Ha?“ 

Das langt 

Aber wenn die sieben Tiroler einmal in der lan- 
gen Dämmerung anders beinandhocken, gesell- 
schaftlich sozusagen, und es wär grad eine ge- 
mütliche Zeit, was zu reden, dann weiß keiner, 
was er sagen soll; denn was sonst Mannsleut 
einander zu sagen haben, das haben sie sich alle 
schon voriges Jahr gesagt. Heuer Ist noch nit viel 
passiert, Sio sind alle sieben die gleichen blie- 
ben und der Krieg auch. Also, was soll da einer 
viel reden? 

„Ha?“ 

Nur dem Rogl Sepp, dem Fernsprecher, paßt das 
nit. Schon von ‚Berufs wegen. 

In den Tisch haut er und schreit: „Höllselten, 
jetzt wird's mir zu dumm. Jetzt redet einmel 
Selnerl” 

„Ha?“ fragt der Oberjäger und schaut von den 
Karten auf, Er hat grad Trumpfsau In der Hand. 
„Reden“, meint der Rogl Ruep, der junge, und 
übersetzt dienstlich, „ein Sprechverkehr einrich- 
ten, wie unter andere Menscheni” 

„Redst eh dul’ sagt der Oberjäger und spielt die 
Sau aus. Und der Staudigl, der schwarze Finten, 
haut den König drauf und meint unwillig: „Reden, 
zu was? Macht eh der Kriag gnue Krawalll” 

Da aber kommt einmal der Befehl, der Rogl Sepp, 
der Fernsprecher, müßt acht Wochen hinauf zu 
den Finnen auf den Tunturl. 

„Mander“, lacht er da und haut sein Zeug In den 
Rucksack, „endlich einmal unter Leut, nit bloß 
unter Stöckl Leut die eine Sprach haben! Men- 
schen, mit die was zu raden Ischtl“ 

So kommt der Rogl Ruep, Jung und voller Freud, 
hinauf auf den Tunturi zur finnischen Feldwach, 
baut seine Leitung auf, und macht, was sonst sein 
Sach ist. 

Weit liegt das Land rundum, Wald über Wald, so 
weit das Auge langen kann, das halbe uns, das 
andere den Bolschewiken Die Handvell Licht 
freilich ist viel zu wenig für das große Land. Die 
Nacht, kaum vergangen, schlieft schon wieder aus 
dem Wald für 

Die Finnen. alle zwölf, rucken um das Feuer zu- 
sammen, das in der Hütten brennt, 

„Feinl” sagt der Rogl und hockt sich dazu, 

Aber er hat wohl einen unrechten erwischt, einen 
von dan Finnen, der nit Deutsch versteht, well er 
tut, als hätt‘ er nit gehört. 


VON KARL SPRINGENSCHMID 


„Fein“, sagt er, lauter noch zum andern nebenbei. 
Der andere nickt ihm zu. 

„Fein“, sagt der Rogl wieder und lacht, „so um 
das Feuer hocken allmitnand, da ischt guet sein. 
Drüben, die sieben Stück, die stummen, die 
hocken jetzt tirolisch beinand und karten. ‚Ha?', 
fragt der Oberjäger, i höı ihn, und ‚mhm‘ sagen 
die andern Das langt für die ganze Nacht, Ischt 
das ein Leben, frag i?“ 

Er schaut in die Gesichter rundum. Sie schauen 
ihm alle genau auf den Mund, wie er da so flei- 


„Big spricht, und nicken ihm zu. 


„Ein Tag um den andern, jeder gleich! Gleich der 
Wald, gleich der Himmel, gleich der Krieg! Alles 
gleich. Wie sollt das einer ertragen, so er nit 
Menschen hat, die reden und erzählen und das 
Leben erst schön machen und richtig!” 

Wieder nicken die Finnen freundlich hin. Jeder, 
den er anschaut, nickt auch. Dann, wie der Rogl 
meint, jetzt hebt der erste zu reden an, langt der 
bloß unter d'e Benk hinein, auf der er hockt, zieht 
umständlich ein Trumm Holz herfür, ein birkenes, 
dreht es nach allen Seiten herum, nimmt dann 
sein Pukko aus der Scheide und hebt zu schnil- 
zen an. 

Das sieht der zweite, langt auch schweigend um 
sein Holz, der dritte, vierte, und so fangen sie, 
daweil der Rogl Ruep noch immer redet, zu 
schnitzen an, bloß der letzte nit, der spürt das 
Feuer. „Seltsam, so eine Sprach”, denkt der Rogl 
und stößt den einen an, der neben Ihm sitzt, und 
fragt: „Wäs wird nacher dös?" 


(G_ Brinkmann) 









NK KÖRNER 


Der aber haltet Ihm bloß das Holztrumm hin und 
dreht es langsam nach allen Seiten. 

„Mhm', sagt der Rogl Ruep. 

Aber dann nimmt er sich wieder einen Anlauf. 
„Ein schöner Brauch, das Schnitzen“, hebt er an, 
„da kann einer grad so richtig derzählen dabei, 
wia es Ischt im Leben, und was es alles gibt und 
so... 

Der eine von den Finnen der die Feldwach führt, 
steht jetzt auf und geht vor die Hütten, Wie er 
wiederkommt, hat er ein Trumm Holz In der Hand, 
das reicht er dem Rogl hin. 

„Ha?“ fragt der Rogl Ruep. 

Dann greift er, weil keiner was sagt, um seine 
Stichmesser — was soll er anders tun? — und 
hebt auch zu schnitzen an. Gleich, was es wird, 
etwa gar ein Pfeifenkopf. Acht Wochen schnitzt 
der Rogl an dem Trumm herum und es Ist allweil 
nit sicher, was es wird, vielleicht doch bloß ein 
Suppenlöffel zu guter Letzt. 

Aber sicher ist, daß der Herrgott selber auch ge- 
schnitzt hat, wie er den ersten Adam, den finni- 
schen, gemacht hat und daß er auch nit viel ge- 
redet hat dabei — 

Und wie der Rogl Ruep, der Junge, wieder bei 
seinen Tirolern Ist, da kann sich der Oberjäger 
am dritten Tag nimmer halten und fragt: 

„Rogl, was redst denn nit?" 

„I red ja eh, aber finnisch”, sagt der Rogl Ruep 
und schnitzt an seinem Holztrumm weiter. 
„Mhm“, sagen die andern. 




















VT 


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DE 


ANA N ER 


RES 
KR 





ya 


„Schau mal, der Schmidt fährt Omnibus, obwohl er verheiratet ist‘! 


"Guarda un po'che il fabbro, sebbene sposato, va con I"omnibusl,, 


526 


Die Vorsichtige 














„Nanu, Helga — du sammelst Briefmarken?“ — „Nee, aber vielleicht werden 
'mal auch von der Reichspost neue Marken nur gegen gebrauchte abgegeben!" 


Non si puö sapere ...: Ebbe", Elga ... fai collezione di francobolli?,, — “No ... ma forse un giorno 
anche dalla Posta del Reich non si daranno nuovi francobolli che in ricambio di quelli usatil,, 


527 


FRAUENHERZ 


VON JORDAN JOWKOV 


Seitdem sein Sohn Ilia aus dem Dorf fort war, 
hatte Vater Gergi nur Schlechtes von ihm gehört; 
endlich bekam’er einmal auch etwas Gutes zu 
hören: man habe Ilia in der Stadt gesehen, er sei 
unlängst über die Grenze gekommen, habe sich 
auf dem Markt gezeigt, wo er Pferde gekauft und 
verkauft habe. Und das sel nicht der Ilia wie 
früher gewesen — schön gekleidet sei er jetzt, 
habe mit großen Herren an oinem Tisch gesessen 
und mit dem Geld in der Tasche nur so geklim- 
pert. Vater Gergi wußte nicht, ob er alles das 
glauben sollte oder nicht, da kam schon Ilia 
selbst. Er hatte dasselbe schmale Gesicht wie 
einst, war aber reinlich gekleidet, frisch rasiert. 
Seine kurze ärmellose Jacke war nicht aus gro- 
bem Wollstoff, sondern aus feinem braunen Tuch, 
die hohen Lederstiefel an den Knöcheln gefaltet 
wie eine Ziehharmonika. Und er kam nicht etwa 
mit einem fremden Fuhrwerk, sondern im eigenen 
Wagen, Wes ‚für ein Wagen war das, was für 
Pferde hatte er! Junge Tiere waren es, kaum 
fünf, sechs Jahre alt, Schlank, feurig, glichen 
beide einander wie Zwillinge, waren gleich groß, 
hellbraun; Schweil und Mähne waren etwas hel- 
ler, beinahe weiß Pferde mit solchem Haar sind 
wirklich eine Seltenheit und sehr schön. 
Großvater Gergi ging durch das Dorf und prahlte 
mit den Pferden. Bei vielen sprach er vor, end- 
lich blieb er ein Wellchen bei Theodor stehen. 
„Grüß Gott, Theodor, Grüß Gott, Anitschkal” rief 
er fröhlich, draußen am Zaun stehend. 

„Gott lohn’s, Vater Gergl. Bol dir gibt's ja Freude 
Im Haus, was? Der Junge ist gekommen, nicht?‘ 
„Ja, er ist da, Ilia ist gekommen..." 

„Er sei gewachsen, schon ein Mann geworden, 
sagt man. Und die Pferde, was für prächtige 
Tiere! Ich habe sie gesehen.” 

Es sprach nur Theodor. Anitschka schwieg, obwohl 
sie sich immer in der Nähe zu schaffen machte 
und wohl hörte, was die beiden miteinander 
sprachen, nur ihre Augen schienen zu lachen 





Vater Gergi weiß, daß Ilia einst etwas mit 
Anitschka gehabt hat, aber das war vor 
Ihren und schon längst vergessen. 
„Hörst du?” sagt Vater Gergi 
löchelnd und weist nach Genos Krug 
hin, wo ein Dudelsack quietscht. WM Busch 


„Meln Junge ist da, Ilia ist es. Möge 
er sich nur unterhalteni Die Groß- 
bauern sollen nur sehen, daß auch 
er ein Mann Ist und zu verdienen 
verstehtl“ 

Vater Gergi blickt Theodor an, der 
verstohlen lächelt, begegnet noch 
einma! dem Blick von Anitschkas 
schwarzen Augen und gaht nach 
Haus 

Gegen Mittag'kommt Ilia, er ist rot, 
angeheltert, 

„Ich war bei Theodor”, sagte der 
Alte. 

„Auch ich war heute morgen da.” 
Ilia schaut zur Seite und schlägt mit 
einem Stäbchen auf seine in Falten 
gelegten Stiefeln. „Aniischka hat 
mich gar nicht angesehen. Es fiel ihr 
gar nicht ein zu sagen: ‚Komm, Ilia, 
laß dich mit einem Täßchen Kaffee 
bewirtenl” Kein Wort sagte sie, 
schwieg still. ” 

„Sie haben viel zu tun, mein Sohn.” 
Vater Gergi will noch etwas sagen, 
aber er schweigt. Einst war Ilia 
Knecht bei Anitschkas Eliern. Da 
hatten sie etwas miteinander ge- 
habt, eine Liebschaft oder so was, 
er hatte sogar geprahlt, daß er sie 





zur Frau nehmen werde. Aber plötzlich, ohne daß 
es jemand erwartet hatte, helratete Anltschka den 
Theodor, 

„Haben wir nicht miteinander dasselbe Brot ge- 
gessen, haben wir nicht zusammen die Garben 
aufgeladen?“ hub Illa wieder an. „Und jetzt will 
sie großtun! Meinetwegen! Mag sie nurl” 

Nach einigen Tagen fuhr Ilia zur Stadt und kam 
mit einem fremden Wagen ohne diePferde zurück. 
„Wo sind die Pferde? Was hast du mit den Pfer- 
den gemacht?” fragte ihn der Vater, 

llia klopfte sich auf die Tasche und lachte. „Hier 
sind sie! Ich habe sie verkauft.” 

„Ach, Sohn, was hast du nur getan? Solche Tiere! 
Wo findest du solche?” 

„Noch schönere kaufe ich. Die da waren gar 
nichts.” 

Wieder begann Ilia sich des öfteren in Genos 
Krug zu zeigen. Manchmal sprach er bei Theodor 
und Anitschka vor, sah Ihnen zu, wie sie arbeite- 
ten. Dabei unterhleit er sich nur mit Theodor, 
denn, wenn er etwas zu Anitschka sagte, schwieg 
sie, tat, als hätte sie nichts gehört. 

Eines Tages ging Theodor weg und Ilia blieb 
allein mit Anitschka. Er nahm zwei ganz 'neue 
glänzende Fünflewastücke aus seinem Geldbeutel 
und gab den beiden Kindern Anitschkas je eins. 
Als sie das sah, packte sie die Kinder, öffnete 
ihnen mit Gewalt die Hände, nahm das Geld und 
geb os Ilia zurück. 

‚Nimm dein Geldl” sagte sie barsch. „Sie haben 
einen Vater, der sie beschenken kann.” Und da 
sie es schon satt hatte, sagte sie unumwunden: 
„Genug hast du mir vor dem Hause gehockt! 
Geh weg!” 

Ilia ging wieder in den Krug. Jetzt ging er jeden 
Tag hin und trank viel. Von Zeit zu Zeit versuchte 
er, Anitschka anzureden, doch sie ging Ins Haus 
zurück, sobald sie ihn sah. Das Geld, das er für 
die Pferde erhalten hatte, war zu Ende und eines 
Tages’sagte er zu seinem Vater: „Dieses Mal will 
ich viele Pferde kaufen .. Ich verkaufe sie und 
verdiene viel Geld. Da mache ich ein Gelage, 
daß die Leute an mich denken...“ 

Er ging fort und kam nach einigen Tagen mit zwei 
Männern zurück. Während er im Dorfe herum- 
ging, schliefen sie in einer Ecke im Hofe. Vater 
Gergi gefieler sie gar nicht: mit ihrer dunklen, 


528 


Dressur 


braunen Haut, den schwarzen Augenbrauen und 
buschigen schwarzen Schnurrbärten sahen sie wie 
Zigeuner aus, Ilia sagte, daß sie Roßtäuscher und 
seine Freunde seien. Mit ihnen ging er wieder 
fort. 

Bald darauf rief jemand eines Morgens, noch vor 
Tagesgrauen, vor Vater Gergis Tür. Der Alte trat 
heraus. Illa war es. 

„Bring uns etwas Brot heraus’, sagte er, ohne 
vom Pferde abzusteigen. „Wir müssen eilen, um 
den Markt nicht zu versäumen.” 

Bei ihm waren die beiden braunen Roßhändler, 
auch sie auf Pferden. Vater Gergi bemerkte, daß 
weder ihre Pferde, noch das Ilias gesattelt waren. 
Etwa zehn andere Pferde waren aneinander- 
gebunden, jedes hintere mit dem Zügel an den 
Schweif des vorderen. So pflegten Roßhändler 
ihre Pierde zu binden, doch hatte Vater Gergi 
gehört, daß Zigeuner, die Pferde stehlen, es auch 
so machten. 

Sobald es zu grauen begann, hörte man auf ein- 
mal laute Stimmen: es zeigten sich berittene Män- 
ner mit Gewehren, Sie schienen es eilig zu haben, 
bückten sich von Zelt zu Zeit, um nicht die 
frischen Spuren zu verlieren, die die Pferdehufe 
auf dem Boden gelassen halten, und sprengten 
welter. Gegen Mittag hörte man berelts, daß drei 
Pferdediebe mit vielen Pferden in dem Wald bei 
Aptaat gefangen worden selen. Der eine war 
Ilia. 

Gegen Abend kamen die Polizisten. Sie führten 
Ilia und die anderen Pferdediebe. Sie hielten 
vor dem Krug, dem Hause Theodors gegenüber. 
Ilias Kleider waren zerdrückt, er war blaß, nicht 
rasiert, Bei dieser Kälte hatte er nur seine braune 
Tuchjacke an. Er lächelte, doch war das Lächeln 
nicht fröhlich, 

Es versammelten sich viele Menschen da, auch 
Vater Gergi kam. 

Er näherte sich seinem Sohn, sah ihn lange mit 
trockenen, brennenden Augen an, spuckte auf 
Ihn und begann zu schelten: „Schande und 
Schmach über dich! Hast du denn keine Hände 
zu arbeiten, dein Brot ehrlich zu verdienen? Mit 
Zigeunern Pferde stehlen? Du bist nicht mein 
Sohn, Ich verfluche dich.” 

Dann wandte er sich ab und ging bleich und 
zitternd nach Hause, 

Einer rief ihm noch nach: „Die Bur- 
schen sind hungrig, bring Ihnen 
etwas Brotl“ 

„Ich habe kein Brot”, orwiderte Vater 
@argl, ohne sich umzusehen, „Steine 
sollen sie essen!” 

Da kam Anitschka aus dem weißen 
Häuschen herauf. Sie trat hinzu, sagte 
etwas den Schutzleuten, holte einen 
Laib frischen Brots, den sie unter 
der Schürze hielt, brach Ihn aus- 
einander, gab die eine Hälfte dem 
Ilia, die andere seinen Gefährten 
Sie gab 'hnen auch je ein Stück 
Käse, dann gab sie Ilia einen alten, 
abgetragenen Kapuzenmantel, den 
sie über dem Arm trug. 

„Ds, nimm, Illa”, sagte sie, „du könn- 
test dich erkälten ..."“ 

Die Polizisten hatten ihre Pferde be- 
stiegen, die Häftlinge gingen vor 
ihnen durch den Schlamm. 

eb wohl, Ilial” rief Anitschka Ihnen 
nach, „Gatt erhalte dich gesundI” 
Sie blieb an derselben Stelle stehen 
und stützte leicht den Kopf auf die 
Hand Versonnen sah sie dem Ilia 
lange nach. Es standen noch Leute 
da, aber sie blickte weder rechts 
noch links und kehrte ins Haus zu- 
rück. 


Aus dem Bulgarischen 
von Z. Dragnewa. 


Elsenhower und das Lied von der zweiten Front en 





„Das Lied gefällt mir, am liebsten möchte ich auch ein bißchen mitsingen!“ 


Eisenhower e la canzone del secondo fronte: “La canzone mi place, ma vorrei anzituffo cantarla un pochino insieme anch"io!,, 


529 


(K. Helligenstaedt) 


Anerkennung 





„Na, was hat denn Edi zu den schönen Äpfeln gesagt?" 
„Er hat gesagt, er sei zu jeder Erbsünde bereit!“ 


Riconoscimento: "Ebbe', che ha detto Edi delle belle mele?,, 
“Ha detto che & pronto a commettere qualsiasi peccato originale!,, 


530 


UNIVERSALGESCHICHTE 


VON SCHLEHDORN 


Als die Zahl der geleerten Flaschen zur Lösung 
der noch restlichen Welträtsel aufrief, befand sich 
Gregorius Grips, der Referendar, im Gespräch 
mit einem schweigenden jungen Historiker. 

„Wie einfach”, sagte Gregorlus, „wie einfach 
hatten es die Alten. Man braucht nur heute fest- 
zustellen, daß es damals einen Schulzokles oder 
Krausides gegeben hat, — schon hält ihn die 
Historie fest. Heute genügt die bloße Anwesen- 
heit nur bei den Spitzen der Behörden. Und hat 
er gar elwas geschrieben, so wird er zitiert, well 
er als Erster gesagt hat, was Jeder weiß. Das 
geschieht heute nur bei führenden Dichtern. Und 
wußte man damals das, was jeder weiß, so war 
man damals allgemeingebildet. Und klassisch ge- 
bildet obendrein. 

Wie einfach war damals die Zeitrechnung. Die 
techneten rückwärts und konnten sich mit der 
Zeit einrichten. Wenn gar eine Dame das Glück 
hatte, um die Zeitwende zu leben, so zählte sie 
zweimal 17, einmal ante und einmal post Christum 
natum. Während heute dıe Damen versuchen 
müssen, dauernd 17 zu bleiben, was nur beim Film 
gelegentlich gelingt.” 

„Ja”, warf der Historiker ein, „die wissenschaft- 
lichen Hilfsmittel sind auch vollkommener ge- 
worden,” 

„Und nun erst die Vorgeschichte‘, fuhr Gregorius 
fort. „Man saß um ein Feuer herum, nagte an 
großen Knochen und ließ sich Zeit. Und draußen 
ging der fortgesetzte Fortschritt seinen Weg. Was 
damals Abfall war, ist heute Wissenschaft. Man 
gräbt in den Humus hinein und findet Rasier- 
klingen aus Stein, Nähnadeln aus Bein, Schlips- 
nadeln aus Gräten, und Fibeln, so primitiv, daß 
sie geradezu modernes Kunstgewerbe sind — und 


Albanischer Sommer ‚ 


Unter albanischem Himmel 
Steht nun mein kleines Zelt. 
Disteln mit hellgelben Blüten 
Stacheln heftig ans Lager, 
Aber ein Feigenbaum reicht 
Sanft mir die süßesten Früchte, 
Maisfelder dehnen sich knisternd 
Bis an den Fluß, dessen Quellen 
Voll starken Schwefels, noch kühlen. 
Wenn in der glutenden Sonne 
Längst alle Säfte schon kochen — 
Schön sind die Nächte im Zelt: 
Silbern im Dreieck des Eingangs 
Funkeln die fremden Sterne. 
Von den Olivenbäumen, 
Von den rebenberankten 
Pappeln und Weiden fiedeln 
Pausenlos die Zikaden. 
"Langsam nur holt mich der Schlaf. 
Hähne und Esel schicken 
Früh ihren Schrei in den Tag. 
Wolkenlos bleibt Albaniens 
Himmel über dem Zelt. 
Nur meine Wünsche segeln 
Durch die unendliche Bläue, 
Segeln der Heimat zu, 
Wo die Geliebteste wartet. 

Heinz Friedrich Kamecke 


und Druck Knorr & Hirt 
Walter Foitzick, München. 









dazu eine Menge wissenschaftlicher Hypothesen. 
Die Menschheit beugt sich über ihre eigene Wiege 
und macht kille-kille beim homo Heidelbergensis, 
von dem gerade noch der Unterkiefer dazu da ist, 
und erzählt stolz vor allen Onkels und Tanten der 
Wissenschaft, was der Mensch In seiner Jungstein- 
zeit schon gekonnt hätte: die Wände bemalen mit 
Hirschen und Schiffen und Menschen, — Herren 
und Damen, sehr einfach und nachdrücklich unter- 
schieden. Und die Maler ließen sich Zelt dabei.” 
Der Historiker wollte berichtigen, daß bereits in 
der Altsteinzeit —, aber Gregorius sprang mit 
seiner Geschichtsschreibung über Ihn hinweg: 

„Und nun erst die Vor-Vorgeschichte. Das war 
eine süßverworrene Zeil, wo noch verfolgte 
Frauen in Bäume verwandelt wurden und steinerne 
Statuen in mit Erfolg verfolgte Frauen. Bäume und 
Quellen wären bewohnt von reizenden Einsied- 
lerinnen, deren Adresse den Göttern bekannt war, 
Und Darwin hätte sein Vergnügen gehabt, wie 
sich der Faun dem Bock und der Zentaur dem 
Pferd artverwandt zeigte, — eine große Familie, 
Ubrigens, wenn wir heute noch ‚Kamel‘ sagen, 


wenn so 'n Ochse ein Esel ist, oder gar ‚Pflänz- 
chen’ oder ‚Früchtchen‘, wenn sich solch nied- 
licher Käfer als raffinierte Kröte entpuppt, — alles 
Erinnerungen an den paradlesischen Zustand, wo 
die Pflanzen noch keine lateinischen Bezeichnun- 
gen hatten, sondern namenlos dufteten, und die 
Menschen nur Kosenamen, und keiner zählte die 
Hufe und die Staubgefäße. Man hätte die Säuge- 
tiere ruhig Eier legen lassen (nicht nur um Ostern), 
— ein Dschungel von Schönheit und Gefühl, wie 
die Seele eines Lyrikers! Und keinerlei Elle. Ich 
glaube, da gab es weder Wecker noch Zeit- 
bewußtsein.” 

„Prost”, sagte der junge Gelehrte freundlich. 
„Prost“, erwiderte der Referendar. „Und davor 
geht dann die Geschichte allmählich auf die Geo- 
logen und zuletzt auf die Astronomen über. Die 
Astronomen lassen uns bis zum Weltuntergang 
noch soviel Zeit, und die Geologen beweisen, 
daß wir mit unserer Weltgeschichte nur in einer 
anspruchsvolleren Interglazialperiode ‚leben. Die 
längste davon hat 142000 Jahre gedauert, Seit 
der letzten Eiszeit sind noch keine 19000 Jahre 
herum. Warum haben wir da eigentlich jemals Eile?’ 
Hier zog der Historiker diskret seine Uhr und 
nannte die Zeit. 

„O weh“, fuhr Gregorius auf, „ich muß schleunigst 
weg. Meine letzte Elektrische fährt.” 


MEIN BRUDER HEINRICH 


Genau genommen habe ich nie einen Bruder 
Heinrich gehabt. Von seiner Existenz hörte ich zum 
ersten Male In einer Gesellschaft, In der ein 
Junger Schriftsteller erwähnte, einen Herm zu 
kennen, der gern meinen Bruder Heinrich spre- 
chen würde. Da ich nur noch einen Bruder Alex- 
ander habe, mußte hier wohl ein Irrtum vorliegen. 
Aber der Junge Autor versicherte, jener Herr 
habe sich ausdrücklich nach meinem Bruder Hein- 
tich erkundigt, da er Alexander ebenfalls kenne. 
Und eines Tages wurde ich diesem Herrn, einem 
Antiquitätenhändier namens Kilian, vorgestellt. 
Dann erinnerte ich mich, von diesem Manne vor 
fünfzehn Jahren einmal ein Ölgemälde erworben 
zu haben, Offenbar habe ich mich In dieser Zeit 
nur sehr wenig verändert, so daß Herr Kilian mich 
wahrscheinlich für meinen eigenen jüngeren Bru- 
der gehalten hat. Rätselhaft war nur, wie er auf 
den Namen „Heinrich” kam. Jedenfalls wäre alles 
in Ordnung gewesen, wenn ich dem wunder- 
lichen alten Herr die Zusammenhänge erklärt 
hätte. Leider aber hasse ich Erklärungen und 
Aufklärungen in jeder Form und jedermann gegen- 
über. Wenn ich zum Arzt gehe wegen einer Seh- 
nenzerrung in der Gegend des Fußgelenkes, und 
er verschreibt mir irrtümlich etwas zum Gurgeln, 
bin ich auch damit einverstanden. Oder wenn 
ich im Gasthaus ein Stammgericht bestelle, und 
der Kellner bringt mir ein Wiener Schnitzel mit 
Kopfsalat, dann akzeptiere ich auch das. 

Ich ließ Herrn Kilian in dem Glauben, einen Bru- 
der Heinrich mein eigen zu nennen Außerdem 
nahm ich an, Herrn Kilian nle mehr zu begegnen. 
Und so trug ich etwas zu meiner kostenlosen Er- 
heiterung bei und sagte ihm, daß Heinrich schon 
selt vielen Jahren in Bukarest lebe und dort glück- 
lich verheiratet sei. 

„Grüßen Sie ihn bitte herzlich von mir, wenn Sie 
ihm schreiben”, bat der Mann beim Abschied, 
Einige Wochen später klopfte mir jemand auf der 
Tauentzienstraße, als ich vor einem Schaufenster 
stand, auf die Schulter. Es war Herr Kilian. 
„Post von Heinrich?" fragte er. 

Ich sagte, daß ich einen Brief bekommen hätte. 
„Itgend etwas von Bedeutung?“ forschte er weiter. 
Ich empfand, daß ein Schreiben, das heutzutage 
von so welt herkam, irgend etwas Nennenswertes 
enthalten mußte, und so ließ ich durchblicken, 
daß Heinrich Sorge mit seiner Frau hätte, Ich 
wollte sagen, daß ihr Gesundheitszustand ihm 


Sorge machte. Aber Herr Kilian faßte es anders 
auf, und Ich wollte auch diesmal nicht erst weitere 
Erklärungen abgeben. 

Lange Zeit sah und hörte ich von dem Antiqui- 
tätenhöndler nichts mehr, Dann erzählte mir je- 
mand zufällig, daß Herr Killan geschäftlich in 
Wien weile. Die Nachricht machte mich nervös, 
denn in Wien lebte mein Bruder Alexander. 
Plötzlich erhielt ich ein Telegramm von Alex, Es 
ist die einzige Form, in der wir in langen Inter- 
vallen miteinander in Verbindung treten. 

„Kennst Du einen Herrn Kilian? Antworte sofort!" 
lautete das Telegramm. 

Nach vielen Überlegungen telegrafierte Ich zu- 
rück: „Kenne keinen Menschen dieses Namens.” 
Hetr Kilian hat später nie mehr mit mir gespro- 
chen. Er soll nur geäußert haben, der einzige 
nette Mensch in meiner Familie sel — mein Bruder 
Heinrich... 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Hermmerling hat die Absicht gehabt, sich von 
seinem Schneider einen neuen Anzug bauen zu 
lassen. 

„Na“, meinte sein Freund, „wie steht es denn nun 
mit deinem neuen Anzug?” 

„Ach", seufzt Hermmerling, „weißt du, der hat die 
Ruhe weg. Erst hat er die Hose fertiggemacht — 
die hab ich jetzt aufgetragen, und die Jacke und 
Weste sind immer noch nicht fertig!” Beye 


* 
Bobby geht zum Photographen. 
Fragt dieser: „Welche Stellung?” 
Entgegnet Bobby mit vornehmer Herablassung: 
„Gar keine — Graf!" 3 FH. 


raße 80 (Ferniuf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. 


'ehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 


'gte Einsendungen werden, nur zurückgesandt, wenn Porto beiliegt 
Erfüllungsort München. 


Moskauer Kirchenkino 


(Erich Schilling) 








„Was gibt es heute für einen Film in der Kirche, Iwan?‘ — „Heute ist kein Film, heute Ist 
Festveranstaltung zu Ehren des englischen Erzbischofs. Kino ist erst wieder, wenn er abgereist ist!‘ 


Cinema nelle Chiese di Mosca: ‘Che film si dä oggi In chlesa, Ivano?,, — "Oggi non c’ & film, ma c'& una solenne 
manifestazlone In onore dell’ arcivescovo Inglese. Riavremo Il cinema quand' egli sard partltol,, 


532 











München, 13. Oktober 1943 2 
48, Jahrgang / Nummer 41 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





UM ANGLO-AMBRIHANISCHEN Z00 


LE BL 


OLar Aursransren +3 

















„Ich weiß nicht, der Geier schaut mich so merkwürdig an, er wird doch nicht eines Tages Appetit auf mich bekommen! 


Nello Zoo anglo-americano: "Non so, quiest' avvoltoio mi fissa In modo sl strano. Non sentirä mica un glorno bramosia di me?,, 








Der gute Schlaf - Il buon sonno 





Die Begnadigung 


Im alten Österreich lebte in Tuzla, Im „gemein- 
samen Reichslande Bosnien und Herzegowina” 
ein alter türkischer Schriftgelehrter, der Hodscha 
MehemedOsmanbasslisch, der wegen seiner Klug- 
heit welt und breit Ansehen genoß. Nicht nur 
seine mohammedanischen Glaubensgenossen hol- 
ton sich bei ihm Rats, auch andere, Ja sogar amt- 
liche Persönlichkeiten und Behördenstellen wand- 
ten sich an den Hodscha von Tuzla, wenn sie In 
irgendeiner mit den Landeseigenheiten oder der 
Denkart der Bevölkerung zusammenhängenden 
Sache nicht ins klare kommen konnten. 

Selnen Rat sollte auch einmal sogar das Ober- 
landesgericht In Seralewo In Anspruch nehmen 
müssen. Anläßlich des sechzigjährigen Regie- 
rungsJubiläums des Kaisers Franz Josef I. im Jahre 
1908 war eine allgemeine Amnestie — wie die 
Strafnachsicht Im Gnadenwege bel besonderen 
Anlässen hieß — erlassen worden, die für viele 
Sträflinge die Freilassung aus der Haft 
während anderen die Haltzeit mehr oder weniger 
abgekürzt wurde. 

Unter denen, deren restliche Haftzelt „auf die 
Hälfte” herabgesetzt wurde, war — durch welchen 
Irrtum, konnte niemals festgestellt werden — ein 
Strafgefangener, der zu lebenslänglicher Kerker- 
haft verurteilt war. Und nun stand die Gefängnis- 
verwaltung, stand das Oberlandesgericht In Sera- 











jewo als durchführende Behörde vor der Aufgabe, 
festzustellen, was als Ausmaß der „restlichen: hal- 
ben Haftzeit”" dieses Lebenslänglichen zu gelten 
habe, wie lange also derMann noch zu sitzen habe 
und wann er zu entlassen sein würde. Die Ver- 


Weftzöftlicher Diwan 


Heut rauch! Ich eine Zigarette, 

dfe, duftigemild mie blonder Samt, 
der Bafis einer Lagerftätte 

fern in Bulgarien entftammt. 


Ein lieber Freund und Gönner hat fe, 
beziehungsmweife den Tabak, 

aus eines Türken Schlafmatrate 
erlöft, der drauf der Ruhe pflag. 


Auch deften Frau nebft Tochterleben 
verfenkten hier Ihr Schwergewicht. 
Und daraus hat fich denn ergeben, 
daß eu fo füß nach Often riecht. 


Da fit’ Ich nun, meit weg Im Welten, 
und blafe Ringe In das Heut 

vom zwelfelsohne Allerbeften, 

mas derzeit diefe Branche beut. 


Ratatöshr 


534 


(Fr. Bllok) 


legenheit in Serajewo war keine geringe. Denn 
es war ein noch nie dagewesener Fall, mochte er 
auch einem Irrtume entsprungen sein, ein Fall, bel 
dem an kein vorangegangenes Beispiel Anlehnung 
genommen werden konnte. Und an die Aller- 
höchste Kabinettskanzlei konnte man diesen peln- 
lichen Irrtum auch nicht gut zurückmelden; man 
mußte allen daran dort Beteiligten, nicht zuletzt 
dem Herrscher eine neuerliche Behandlung des 
Falles ersparen. Ja, aber wie sollie man über die 
Frage „restliche halbe Haftzeit eines Lebensläng- 
lichen” zu einem richtigen Beschlusse kommen? 
In dieser Verlegenhelt verfiel einer der landes- 
kundigen Beamten des Oberlandesgerichtes auf 
den Hodscha Mehemed Osmanbassitsch In Tuzla, 
der bestimmt Rat und Hilfe wissen würde. 

Und so begab sich eine dreigliedrige Abordnung 
des Oberlandesgerichtes von Serajewo nach 
Tuzla, um des weisen Hodschas Meinung einzu- 
holen. Der hieß die hohen Beamten willkommen, 
bot ihnen guten türkischen Mokka und bosnischen 
Tabak an und ließ sich den Fall darlegen, Sinnend 
wiegte er dann sein weises Häupt hin und her, 
strich bedächtig seinen grauen Prophetenbart und 
sagte schließlich; „Allah segne den Kaiser Franjo 
Josip (d. I. Fıanz Josef), er gebe ihm Gesundheit 
noch viele Jahre und Weisheit und Güte für seine 
Herrschaft. Mit dem Häftling aber haltet es so: 
den einen Tag sollt Ihr Ihn eingesperrt halten, 
Jeden zweiten Tag. aber laßt ihn in Freiheit, Der 
Friede sei mit Euchl” Ferdinand Schiep 








Der Beweis 


{E. Tnöny) 





„Ist der Wachtposten auch zuverlässig?“ — „Das will ich meinen. Der ist 
nicht einmal während der dreistündigen Rede Churchills eingeschlafen!‘ 


La prova: „Ma c'& pol da fidarsi di questa sentinella?,, — “Lo credo bene; non s'& 
oddormentata nemmeno durante Il discorso di tre ore di Churchill!,, 


535 


MONDABEND 


Wean der Nebel’weih auf den Wiesen schwimmt 


Und der Mond glüht golden überm Wald — 


Aus dem Dämmer schn dich Augen an 


Aller Frauen, die du schr geliebt. 


Schwarz der Birkenwald unterm Mondengold, 
Uberm Wiesennebel schwarz der Wald. 
Dunkle Augen sahn aus der Dämmerung, 


Waren nalı um micı und sahn mich an. 


DER GRU 


VON WILHELM PLEYER 


Fern am Osten war's dunkel stand’ ein Bau, 
Dunkle Föhre in den Wiesen weit; 
Grillen eirrten hei aus dem Abendtau, 


Uberm Walde stand der Kühle Mond. 


Sang hinüber... ja, ich 





NDHECHT 


VON FREDRIK HIJÄLM 


Unter den Gästen der Pension „Seelust"“ waren 
auch einige Sportangler. Eine kleine Schar von 
Männern, die seit ihrer Ankunft Morgen für Mor- 
gen In aller Herrgottsfrühe hinauszog an den See, 
um nach dem riesenhaften Grundhecht zu fischen, 
der dort sein Wesen treiben sollte. 

Der feierliche Ernst aber und die unermüdliche 
Geduld, mit der sie es taten, brachte Peitersson 
auf die Idee, sich einen Spaß zu erlauben. 

So suchte er Lundberg auf, den ihm befreundeten 
Schulmeister des Ortes, um Ihn In den Plan ein- 
zuweihen. Lundberg, von seinen Jungens her an 
allerhand Unfug gewöhnt, war denn auch kein 
Spielverderber; schmunzelnd hörte er zu und ver- 
sprach mitzumachen. 

Woraufhin Pettersson eiligst zur Pension zurück- 
kehrte. Außer Luft und Atem stürzte er ins Früh- 
stückszimmer. 

„Denkt euch nur, was ich erlebt habe! 
den verdutzten Sportkameraden zu, 
7? 

„Setzte Ich mich doch vorhin an den See, um vor 
dem Frühstück noch ein wenig zu fischen, Zehn 
Minuten mochte Ich sö gesessen haben, als Ich 
plötzlich einen kräftigen Ruck an der Angel ver- 
spürte — —” 

Alle Augen sahen Ihn an, alle Augen waren voll 
Spannung. „Und was fingest du?” 
„Den Hecht“ 

„Den Grundhecht?” 

„Jawohl, den alten Grundhecht!” 
„Hm—hmi” Stimmen des Zweifels 
erhoben sich. Doch Pettersson ließ 
sich nicht beirren, 

Ein gewaltiges Biest", prahlte er und 
zeigte mit den Händen. „Wohl über 
einen halben Meter lang und dreißig 
Pfund schwer. Fragt nur den alten 
Forstaufseher Olsson, der war dabei.” 
„Und du holtest Ihn allein ein und 
wogst Ihn selbst ab?" 

„Ja. Doch leider erwachte Ich dar- 
über aus dem Nickerchen, In das Ich 
verfallen war — —" 

Einen Augenblick herrschte tiefe 
Stille, Doch dann erhob sich ein wil- 
der Tumult. Die Männer umringten 
den spottlustigen Kameraden, und 
es würde Ihm gewiß schlecht ergan- 
gen sein, wenn er nicht rasch eine 
Lage Bier versprochen hätte, 
Kaum hatte sich der Lärm gelegt, da 
erschien Lehrer Lundberg auf der 
Bildfläche. 

Herrschaften!” rief er. „Ich werde 
berühmt, Ich komme in die Zeitung—” 
„Wieso? Was ist denn los? Was ist 
geschehen?” 

„Ich habe den alten Hecht gekriegtl” 





tief er 





Alles lachte. „Da mußt du früher aufstehen, Schul- 
meister! Den Spaß kennen.wir! Damit hat Petters- 
son uns schon angeschwindeltl” Doch Lundberg 
war auf solche Einwendungen vorbereitet. „Ich 
begreife gar nicht”, erwiderte er harmlos, „Doch, 
daß der so lügı auf seine alten Tage, das ist un- 
fein von Ihm! Wenn Ihr mir jedoch nicht glauben 
wollt, dann lest morgen in der Zeitung darüber 
nach — —" 

„Wie groß Ist denn der Hecht?” 

„An die achtzehn Kilo wiegt er wohl und mißt 
beinahe einen Meter. Fragt nur den alten Forst- 
aufseher Olsson, der war dabei.” 

„Kennen wir, kennen wirl” erschallte es Im Chor. 
Doch Lundberg spielte weiterhin den Harmlosen. 
„Ach so, Pettersson hat euch bereits alles erzählt. 
Da hätte er doch warten können!“ 
Die Gemüter beruhigten sich wieder. $ 
„Der Hecht wog also achtzehn Kilo?" 

„Gewiß, sofern ich es nämlich beurteilen kann. 
Denn ich wog ihn nicht nach.” 

„Wie, du wogst Ihn nicht nach?” 





zweifelten. 








„Nein. Wie konnte ich es denn — —?" 
„Aber du sagtest doch, du hättest den Hecht ge- 
kriegtl” 


„Ich den Hecht gekriegt? Sagte Ich so? Verzeiht, 
da habe ich mich wohl leider versprochen, Ich 


G Ar 


„Da siehst du, wie lange ich den Hut schon trage .. .!" 


"Guarda un po’ se non & molto tempo ch’ io porto ormai questo cappello.. 


536 


(G. Brinkmann) 


Aus der Roggenflur eine Wachtel schlug, 
Dumpfes Trommeln hört’ ich des Galopps 


Zweier Reiter schwarz, durch die Nebelmild, 


Und orangen war der Himmelsrand, 


Und ich sang der Nadıt und des Lebens Lob, 


käme bald. .., 


Weil der Nebel weih auf den Wiesen woh 
Und der Mond stand gülden überm Wald. 


habe denHacht zusehen gekriegt, wollte ich sagen." 
Bei dem Handgemenge, das nun entstand, hätte 
Lundberg wohl unter den freundschaftlichen Knüf- 
fen, die ihm zugedacht waren, noch mehr Scha- 
den erlitten als seln Vorgänger, wenn nicht die 
Aufmerksamkeit in diesem Augenblick auf etwas 
anderes gelenkt worden wäre. Ein kleiner dicker 
Mann kam schreiend und wie ein Verrückter sich 
gebärdend vom See herübergelaufen. 
Der kleine Dicke war Jönsson. Er hatte den Hecht 
wirklich gefangen und war außer sich vor Freude. 
„Petri heill” rief er. „Ich habe den Hecht gefan- 
gen — den alten Grundhecht! Brüder, das muß 
gefeiert werden!“ 
Dröhnendes Gelächter empfing Ihn. 
„So—so, auch du hast also den Hecht gefangen? 
Hah, den Trick kennen wir! Aber noch einmal las- 
sen wir uns nicht an der Nase herumlühren!” 
„So glaubt mir doch, es Ist wahrl” beteuerte 
Jönsson. „Ich habe Ihn selbst eingeholt, Ein statt- 
licher Bursche — er wiegt vierzig Plund und hat 
über einen Meter Länge.” 4 
„Kommt mit zu mir ins Hotel“, fuhr er fort, als erall 
die ungläubigen Miönen sah, „ich will ihn euch 
zeigen.” 
„Nun gut, wir kommen mit. Doch wehe dir, wenn 
auch du uns angeschwindelt hast!” 
„Aber wie werde Ich denn“, versicherte Jönsson 
„Bitte schön, überzeugt euch nur. Er liegt auf dem 
Küchentisch, dort könnt ihr Ihn euch ansehen 
und In die Hand nehmen. Ein Musterexemplar, 
sage Ich euch.” — — 
Letzteres sagte sich auch der Land- 
streicher, der zufällig des Weges 
kam. Ein Blick—— und schon langte 
er mit beiden Armen durchs Küchen- 
fenster, versteckte die kostbare 
Beute unter der Jacke und machte 
sich schleunigst aus dem Staube. — 
Die Männer hielten ihren Einzug. 
„ Jönsson ging voran und führte sie In 
die Küche. 
„Ihr glaubt mir wohl noch immer 
richt”, meinte er siegesbewußt. „Bitte 
schön, hier — —" 
Da brach er mitten in der Rede ab 
und starrte mit offenem Munde die 
leere Tischplatte an. Die anderen 
aber erhoben ein wildes Kampfge- 
schrei und fielen augenblicklich über 
ihn her. 
Er bat und beschwor sie und be- 
teuerte seine Unschuld. Vergabens. 
Er wurde ergriffen und zum See hin- 
untergeschleppt. 
Die Exekution wurde augenblicklich 
vollzogen. Ein paarmal wurde er hin 
und her geschwungen. „Eins 
zwei — — drei — — —" 
Und dann plumpste es. Und dann 
plätscherte es, und der See hatte 
wieder einen Grundhecht. 
(Aus dem Schwedischen 
von Werner Rietig) 








Lippenrot 


„Hab’ ich jetzt genug aufgelegt, Fanny?“ — „Ich mein’ schon. Von 
Ihnen 'n Kuß, und so 'n Mann muß stundenlang unter die Brause!‘ 


Rossetto: “Me ne sono messo adesso abbastanza, Fanny?,, — “Credo di si. Con 
un vostro bacio un uomo deve stare ore ed ore sotto la doccia!,, 


537 





DER LIEBESBRIEF IN DER TUNDRA 


Reißt einer mit beiden Händen die querver- 
nagelte Breitertür auf und schreit hinein in den 
Bunker: 

„Hö Schatzli Die zwölfte Kompanie hat dein 
Briafl” 

Und — wum! — haut der Sturm die Tür wieder zu. 
„Wöller Briaf?" schreckt der Schatzl aus dem 
brunntiefen Schlaf auf und schüttelt seine Ohren 
aus — so schön hat er grad träumt! — und fahrt 
mit allen zehn Fingern durch die Haar — oh, mit 
der Burgl war er mitten im Paradies! 

Aber dann mit elnemmal begreift er, was los Ist. 
„Mei Brial?’" springt er dem andern nach. Aber 
den hat längst schon der Sturm verblasen. 
„Die zwölfte Kompanie hat dein Briaf”, wieder- 
holt der Schatzl jetzt langsam den Satz, als müßt 
er sich Wort für Wort festnageln, 

So ist es: Andere kriegen ihre Liebspost in den 
Bunker zugestellt, auf den Schlafplatz hin, nur er, 


der kleine Schatzl, ein wenig ungleich gewach-" 


sen, wie er ist, ein armes, fuchshaariges Bauern- 
knachtl und Gebirgsjäger jetzt nebenbei, er muß 
um seinen Brief über die halbe Welt rennen; 
dena ihn haben sie von der zwölften Kompanie 
draußen am Fjord ‚hinein. in die Tundra versetzt, 
als könnt das Regiment ohne ihn, den Schatzl, 
den Krieg nicht gewinnen, und die Burgl, die 
liebe, daheim in Tirol, schreibt ihre Brief, ihre 
verliebten, allweil noch an die andere Feldpost- 
nummer draußen am Meer. 

Der Schatzl richtet sich zusammen. Er zieht den 
dicken, schafwollenen Schwitzer an. Dann tut er 
die Pelzwesten drüber, bindet sie vornüber zu, 
fest, und schlieft In den Rock drein. Drüber zieht 
er den Mantel, den warmgefütterten, und hängt 
das weiße Schneehemd über. So stellt er sich, 
die Maschinpistolen fest In der Hand, vor den 
Oberjäger hin. 

„Jäger Ignaz Schatzl, bittet sein Briaf holen zu 
dürfen.” 

„Den Briaf? Wo?” fragt der Oberjäger, eingewik- 
kelt im untern Tell in die Decken; denn er flickt 
grad seine Hosen, seine einzige. 

„Bei (der zwölften, halt!” 

„Mensch“, fahrt da der Oberjäger, die Schneider- 
scher In der Hand, hoch auf, „die zwölfte liegt 
ja draußen am Fjord? Dös ischt ja a ganze Welt- 
reis’ und der verfluchte Sturm dazua? Ja, spinnst 
du, Mensch! Dös alles wegen an Briaf?“ Der 
Schatzl wartet still. So wie er jetzt angezogen 
ist, so dick, geht nicht viel durch. Da kann 
der Oberjäger fluchen, wie er will. 

„Ja, himmelseiten, an ganzen Tag rennen, 
bloß wegen an Briaf?"“ schreit der Oberjäger 

und probiert den Fleck auf die Hosen, „muß 

dös a bsunderer Brlatwechsel sein, a liabs- 
mäßiger” 

Der Schatz! steht noch immer da und wartet, 

bis der Fleck auf dem Hosenboden sitzt. 

Da schaut der Oberjäger wieder das trau- 
rfige Mannsbild an. „Hascht alles?” fragt er. 
„Alles”, nickt der Schatzl schnell und greift 

an sich herum. Handgranaten, Seltengewehr, 
Stahlhelm, Bergstecken, Munition, Maschin- 
pistolen, alles was einer braucht, der in der 
Tundra einen Brief holen geht. 

Jetzt schmeißt er die Brust nach vorn und 
schreit, den Kopf hoch auf: „Jäger Schatzl 
meldet sein Abgehen zum Postempfang!“ 
„Glmpl, verliabter”, schimpft der Oberjäger 
hinterdrein und gibt der Tür, der offenen, 
einen festen Tritt hinterdrein. 

Eine ganze Wand voll Schnee baut der Sturm 
entgegen. Der Schatzl legt den Kopf schief in 

den Wind, setzt den Stecken ein und stapft da- 

hin, der Richtung nach, die ihm die Stangen 
angeben. 


VON KARL SPRINGENSCHMID 


Nur keine Stangen fehlen! Eine drüber — und 
schon steht einer, verlassen und einsam, mitten 
in der Tundra, und taut erst wieder auf zum 
Jüngsten Gericht. 

Bergauf, bergab gehen die Stangen, Tiefer wird 
der Schnee, mit Händen und Füßen rudert der 
Schatzl durch die Wächten, die der Sturm bei 
der Felswand angeblasen hat. Eine Sauerel, so 
ein Sturm. 2 
Aber — „mein Briafl” denkt er und druckt den 
Stahlhelm fester auf die Wollhauben, „mein 
Brlaft” 

„Vierundvierzig“, zählt er die Stangen. Die dritte 
Stund ist er Jetzt schon unterwegs. 

Der Posten bei den Granatwerfern, eingewickeli 
in seinen Pelz, will den Feldruf haben, denn er 
glaubt nicht, daß bei so einem Sturm was anders 
kommt als ein Bolschewik. 

Der Schatz! meldet, stapft zum Posten hin und 
sagt: „Burgll” 

„Ha?“ fragt der Posten aus seinem eisigen Bart. 
„Der richtige Feldruef ischt: Burgli” 

„Urlaub?“ 

„Na, lei a Briafl” 

Da schaut ihn der Posten an, ganz mitleidig hän- 
gen ihm die Eiszapfen nieder. „Tundralapp‘’, sag? 
er und dreht sich um. 

Weiter grabt sich der Schatzl durch den Sturm, 
von einem Wegzeichen zum andern 
„Dreiundsechzigl!" Jetzt muß er bald in dei 
Gegend sein, die bei den Jägern das Ringelspiel 
heißt, weil da immer etwas los ist und der Krieg 
rundum geht. Versteht sich, bei so einem Sturm 
schlieft jeder durch die Front, wo er nur will, 
Und richtig? Kaum biegt der Schatzl in die 
Schneegassen ein, da sieht er schon Gestalten, 
zwel, drei. 

Verdammt noch einmal, die ‘gefallen ihm gar 
nicht! Nieder duckt er sich in den Schnee, die 
Maschinpistolen im Anschlag. Sie sehen ihn nicht, 
Gott sei Lob und Dank. Gradwegs auf ihn ren- 
nen sie zu. 

„Schatzl”, denkt er bei sich, „jetzt gilt’s!"” 

Näher kommen die Gestalten. 

„Mein Brlafl springt er auf und merkt grad 
noch, daß es Jäger sind, zwei von der leichten 
Batterie. 

„Wo aus?“ fragen sie. 

„Mein Briaf holen”, schnauft der Schatzl und 





Toni Bich! Im Folder 


stapft wieder welter seinen Weg; Stang um Stang 

„Dreiundneunzig!”, die Granatwerferl Wenn sie 

nicht dem halberfrorenen Schatzl einen heißen 

Tee einschütten würden, käm er am End nicht 

mehr weiter. 

Aber „mein Briaf“, schreit er und hinaus tappt 

er in den Schneesturm! Und welter die Stangen! 

Endlich, in der siebten Stunde sieht er, schlief 

durch den jagenden Sturm, den Fjord. 

„Mein Briaf‘‘, schnauft er noch und taumelt In 

den Bunker drein. Sie legen ihn auf die Pritschen 

hin. Sie ziehen ihn aus und reiben Ihn ein mit 

Schnee. . 

„Hoaß”, schreit er, „hoaßl” und schaut rundum. 

Wie die Mander die fuchsroten Haar sehen, unter 

der Wollhauben, schreit einer: „Dös wird der 

Schatzil” - 

„Wahrhaft, der Schatzll“ staunen alle den Adam 

an. Aber — „Mein Briaf”, sagt er trotzig, sonst 

nichts. 

Der Feldwebel hebt zu suchen an, erst bei den 

Handgranaten hinten, dann bei der Leuchtspur- 

munition. Endlich findet er Ihn hinter den Kon- 

servenkisten, 

Der Schatzl, nackt wie im Paradies, springt aus 

der Schneeschüssel auf und nimmt den Brief mit 

beiden Händen. 

„Burgele, liabsl” haucht er, wie er den Umschlag 

sieht. Wie fein der Namen geschrieben ist, das 

Ignaz so schön und schöner noch das Schatzl. 

Der Feldwebel leuchtet mit der Korzen an dem 

Mannsbild auf und nieder. So einen verliebten 

Adam hat noch keiner nicht gesehen, in ganz 

Lappland nicht, 

Oh, nit lesen jetzt! 

So eine Freud muß der Soldat sich sparen. 

Den Brief in der Hand, drehn sie ihn in die 

Decken ein. Dann schlaft er zwölf Stund. — 

Am übernächsten Tag wie der Schatzl wieder vor 

dem Oberjäger steht, meldet er kurz, als wär es 

die einfachste Sache der Welt: 

„Jäger Schatz vom Postempfang zurück!” 

Hö, da schaut aber die ganze Feldwachl 

Dann kriecht der Schatzl hinauf auf seine Lieger- 

statt, tropft sich sein Wachskerzl an das Sims 

und hebt den Brief an zu lesen. 

Der Oberjäger und alle stehen dort und warten. 

Dreimal liest der Schatzl seinen Brief. 

„Dös mueß a Briaf sein’, meint einer, „den soll- 

ten mier aach z’ lesen krlagn!" 
„Her den Briafl" schreit der Oberjäger. 
Da wird der kleine Schatzl rot über und über, 
zögert eine Weile noch, dann langt erihm den 
Brief hin. Die ganze Feldwach sitzt da und 
loost, wie der Oberjäger zu lesen anhebt: 
„Lieber Ignazl Nun muß ich Dir schreiben, 
indem die Glückin doch zu kälbern gekom- 
men Ist, auf was wir schon so lang gewartet 
haben. Weißt wohl, wie Du sie im Urlaub 
selber zum Stier gebracht hast, Das war eine 
schöne Zeit noch. Der Bauer hat gemeint, 
daß es ein Kuhkalb wird, weil ihm das ge- 
lagener wär, Ist aber kein Kuhkalb geworden, 
wie es gekommen ist, sondern ein Stierkalb. 
Ist auch recht, hat der Bauer gesagt, man 
muß es heutlgentags nehmen, wie's kommt. 
Jetzt will er das Stierkalb doch zum Flei- 
scher bringen. Was sagst denn Du dazu, wo 
Du doch weißt, daß der Bauer viel auf Dich 
gibt und wir miteinand' versprochen sind. 
Wenn Du glaubst, daß wir das Stierkalb...” 
„Stierkalb, Kuehkalbl” flucht der Oberjäger, 
„und für das rennt so einer die halbe Tun- 
dra ausl” 
„Grad für das!” nickt der Schatzl ernst, n'=mt 
den Brief und schlieft wieder hinter die Prit- 
schen, „grad für dasl” 


Der Angler = Pescatore all’ amo 


(A, Paul Weber) 





MEERFAHRT DER SEELE 


Von Herbert Fritsche 


Kommt die Wolkenflut der Regenwochen 

Crau und rauschend übers Land gekrochen, 

Das noch einmalleuchten wollte wie die Herbstzeitlosenblüte, 
Werden alle Farben fortgewaschen: 

Nasser Netze endlos enge Maschen 

Sinken nieder und verwandeln unser Zimmer zur Kajüte, 


Die uns mahnt, uns früh zu Bett zu legen, 

Wenn die Winde um die Giebel fegen, 

Als verfinge sich ihr Heulen in dem Takelwerk der Masten — 
Und indem wir solcher Weise lauschen, 

Hören wir zugleich die Wasser rauschen: 

Dunkle Wogen,dieseitferner Schöpfungsfrüheniemalsrasten. 


Ausgesetzt auf hohem Meere schaukeln, 

Während Albatrose uns umgaukeln, 

Wir mit unserm Zimmer durch die uferlose Nacht der Fluten. 
Unbeirrt von jenen Finsternissen 

Schmiegen wir uns lesend in die Kissen 

Und entfachen alte Träume, die am Seelengrunde ruhten. 


Bücher, die wir fast vergessen haben, 
Atmen, endlich wieder ausgegraben, 
Ihren Duft des Abenteuers uns ins Herz wie vor Jahrzehnten. 

Fremde Küsten steigen aus der Brandung, 

Und wir wagen die erträumte Landung 

An den Strand, nach dessen Palmen wir uns schon als Knaben sehnten 


Unterdessen raunt und rauscht der Regen 

Monoton der Mitternacht entgegen, 

Traumumsungen taumelt unser Schiff im Wellengang der Stunden, 
Wale blasen ihren Dampf durchs Fenster, 

Geisterbarken, fahle Meergespenster 

Tauchen auf und sind alsbald ins Nebelreich zurückgeschwunden. 


Da auf einmal ist das Schiff im Sinken. 

Sollen wir uns wehren, zu ertrinken? 

Tief vertraut umrauscht uns Todessehnsucht mit des Regens Stimme. 
Heim zum Muttergrunde fährt das Leben. 

Schwarze Möwen, die im Nachtwind schweben, 

Spähen auf die Flut, ob irgendwo ein letzter Splitter schwimme... 


539 


Naturkunde - Storia naturale 






0. Hogenbarth) 





„Sag' mal, Opa, warum atmen die Fische durch Klemen?" 
„Is doch klar, weil se mit den Dingern:sonst nischt machen können!“ 





Immi, nonno, perch& I pesci respirano con le branchie‘ 
"E evidente, perch@ non possono far altro con fall arnesi 





DER FAKIR 


VON KURT GROOS 


Ich war damals mit dem rotnasigen Sarghändler 
Pellbohm befreundet und traf mich mit Ihm des 
öfteren morgens in seinem Privatkontor, Eines 
Te,es, der großen Hitze wegen, saßen wir gerade 
bei einem Schwedenpunsch, kam ein etwas eigen- 
artiger Herr in das Kontor. Er verlangte einen 
Sarg nach Maß mit einer Scheintod-Aussteig- 
klappe zur Selbstbedienung und einer kleinen 
Hausbar Innen, Pellbohm rief den Chefkonstruk- 
teur, der die Wünsche des eigenartigen Herrn 
nctierte und dann den Preisanschlag machte, ein- 
mal die Aussteigklappe mit Handbedienung, ein- 
mal mit Akku, Der Herr bestellte die Ausführung 
mit Akku, und da es ein gutes Geschäft war, 
luden wir ihn zum Schwedenpunsch ein. 

Der Herr, ein gewisser Deffersen, verstand an- 
genehm zu plaudern und kam auch bald auf den 
Grund seiner Bestellung zu sprechen. Er ließ sich 
berufsmäßig einsargen, und zwar war er Faklr Im 
Tivoli, Die von der Konkurrenz gelieferten Särge 
hatten verschleder‘'ch geklemmt und ließen auch 





Gefährliche Symbiose 


Als Sent M'Ahesa, die stilstrenge ägyptische 
Tänzerin aus dem Baltikum. sich von der Tanz- 
bühne zurückzuziehen begann, eröffnete sie in 
Worpswede bei Bremen eine Kükenzucht. Sie sel 
sehr glücklich damit, sagte sie. 
Nicht lange danach begegnete sie mir in Bremen 
auf der Straße; sie sah sehr frisch und sehr 
städtisch aus. 
„Hallol” sagte ich. „Was macht Ihre Kükenfarm?” 
„Habe ich aufgegeben”, versetzte sie heiter. „Man 
wirrd den Tierren zu ähnlich.” 
. Karl Lerbs 


in der Inneneinrichtung zu wünschen übrig. Def- 
fersen lud uns ein, Ihn in acht Tagen im Tivoli zu 
besuchen. 

Am nächsten Tag erfuhren wir durch große Zei- 
tungsanzeigen, daß der Faklr Deffersen sich abends 
einzusärgen beabsichtigte, um dann acht Tage un- 
ter dauernder Kontrolle des Publikums ohne Luft 
und Nahrung in seinem Sarg auszuharren. Der Sarg 
wurde vor dem großen Musikpavillon des Tivoli 
in einem hermetisch abgeschlossenen Glasbehäl- 
ter zur Schau gestellt. Das war natürlich eine Sen- 
sation für die ganze Stadt. 

Am achten Tag sollte Deifersens Auferstehung 
sein, alles war auf den Beinen, selbstverständlich 
waren auch Pellbohm und ich zur Stelle. Um Mit- 
ternacht, der Stunde der Auferstehung, drückten 
die Neugierigen fast die Wände des riesigen 
Glasköfigs ein, in dem der Sarg stand, Die Kapelle 
intonlerte einen flotten Marsch, der plötzlich aus- 
setzte; ein unhelmlicher Gong ertönte — aber der 
Sarg öffnete sich leider nicht. Pellbohm lief rot 
an, auch Ich wurde unruhlg. Klemmte der Sarg? 
Aber da war doch die Akku-Aussteigklappe! Wes- 
halb bediente Deffersen sie nicht? Verteufelte 
Sachel Die Volksmasse murrte, einige verlangten 
das Eintrittsgeld zurück, andere riefen nach der 
Polizei. Die Kapelle versuchte krampfhaft, die Auf- 
erstehung durch Musik zu forcieren, sie spielte 
jetzt flotte Weisen aus der „Lustigen Witwe” —, 
aber auch das half nichts; Deffersen rührte sich 
nicht, der Sarg blieb stumm und unbeweglich wie 
ein Sarg. 

Die Angelegenheit wurde unheimlich und peinlich, 
vor allem stand auch der gute Ruf des Hauses 
Pellbohm auf dem Spiel — Pellbohm mußte ein- 
greifen, das war mir klar, Auch mein Freund sah 


540 


das ein; er handelte. Er schnitt mit seinem hasel- 
nußgroßen Diamanten, den er am kleinen Finger 
trug, ein Loch in die dicke Glaswand und stieg In 
den Behälter. Das Publikum hielt den Atem an, 
die Musik spielte ganz leise. Pellbohm näherte 
sich dem Sarg, drückte ein Astloch ein und rief 
dem Faklr etwas zu, das ich nicht verstand, Dann 
sah ich, wie Pellbohm direkt erleichtert aufatmete, 
in seine Hosentasche griff und einen kleinen 
Gegenstand herauszog; im gleichen Augenblick 
schnellte die Aussteigklappe hoch und Deffersens 
Hand kam wie eine Geisterhand zum Vorschein. 
Pellbohm reichte der Hand den kleinen Gegen- 
stand, den ich nicht erkannte, und die Luke schloß 
sich wieder. Jetzt schwieg die Musik ganz, auch 
das Publikum atmete nicht mehr. 

Pellbohm, dieser gerissene Geschäftsmann, trat 
vor das Loch in der Gläswand und hielt eine 
kleine Rede. „Meine verehrten Damen und Her- 
ren“, rief er, „es Ist Ihnen hinlänglich bekannt, 
daß unser lieber Fakir Deffersen mit dem Leben- 
ülgeinsargen von acht Tagen den Weltrekord hält. 
Die nächstbeste Leistung liegt bei fünfeinhalb 
Tagen. Deffersen will nun den eigenen Rekord 
brechen — er wird noch weltere acht Tage ohne 
Luft und Nahrung ausharren; wir stehen vor dem 
größten Rätsel und Wunder aller Zeitenl Wenn 
nun auch in erster Linie ein gewaltiges Phänomen 
an Willenskraft diesen ums Doppelte gesteigerten 
Weltrekord in unserer stolzen Stadt aufstellt, so 
darf Ich mir in aller Bescheidenheit wohl schmel- 
cheln, daß auch der von meiner Firma gelieferte 
Sarg wieder einmal den Werbeslogan meines 
Hauses ‚In Pellbohms Särgen ruht ‚man gern!’ er- 
härtet hatl” 

Das zufrieden murrende Publikum zerstreute sich, 
und auch Pellbohm und ich machten uns auf den 
Heimweg. 

„Das hätte eine verdammte Schwelnerel werden 
können, wenn ich nicht mein Taschenmesser zur 
Hand gehabt hätte”, sagte Pellbohm. Ich verstand 
ihn nich“, „Du w='"+ Inch”, erklärte mein Freund, 
„daß er sich eine Hausbar einbauen ließ. Als er 
die Hälfte der Flaschen geleert hatte, brach sein 
Korkzieher ab, und durch das Astloch hörte ich, 
daß er randalleren wollte und sich konstant wei- 
gerte, den Sarg vor dem leeren der restlichen 
16 Flaschen zu verlassen — da reichte ich ihm 
mein Mosser mit dem Korkzleher und rettete da- 
durch die ganze Situation!” 

„Donnerwetter”, sagte ich, „er ist ein guter Faklrt” 
„Das ja“, gab der rotnasige Pellbohm zu, „aber 
ein schlechter Trinker; denn mit den 16 Flaschen 
hätte er bestimmt in fünf Tagen fertig sein 
können!” 


Bekenntnis eines Kriechers 


„Freunde, ich bin eine Hundesecle. 

Den ich angekläfft habe, den Mann, 

dem ich wütend mollte an Wade und Kehle, 
meil ich ihn einmal nicht riedıen kann, 


habe ich, als er mir einen Bissen 

zumarf und freundlic. geöffnet die Faust, 
mit unbeschwertem Hundegemissen 
beliebäugelt und scuwanzwedelnd umsaust. 


Als er mir später aufs Pfötchen gelreten, 
hab ich gequietscht wie ein rostiges Rad; 

dodı habe idı schwänzelnd Verzeihung erbeten, 
da ich im Weg mar, als er midı frat, 


Ich kusche und lege gehorsamst mich nieder, 
wenn er, mein Gebicler, es so bestimmt. 
Auf alle Menschen, die ihm zuroider, 
bin ich neuerdings gleichfalls ergrimmt. 
Seit er midı füttert, der einst Verhaßte, 
bin icı ein Freund ihm, der ihn umspringt 
- = Der kann mich selbst schlagen, wie es ihm paßte, 
der ab und zu einen Knochen mir bringt“ 
WILLY PAETSCH 


Nach dem Siegesrausch 


(Wiihelm Schulz) 





„Ich finde, daß man auf den italienischen Weln einen fürchterlichen Katzenjammer bekommt!‘ 


Dopo l’ ebbrezza della vittoria: “Trovo che col vino Itallano sl pud prendere una terribile sbornlal,, 


541 


Der Besuch 2. Ko Halilgenslaedt) 


„Du machst dir immer solche Umstände für die paar Minuten, die ich mit Anstand 
bei dir sein kann!“ — „Für die Minuten mache ich ja keine Umstände!" 


La visita: „Fai sempre tante cerimonie per quel pochi minuti ch’ io posso passare contegnosamente 
presso di tel, — “Ma per questi minuti lo non faccio pol cerimonle di sortal,, 


542 





DAS TRAUM-MIKROPHON 


Frau Aspasia Tippemann hatte die üble Gewohn- 
heit im Schlafe zu reden. Das war sehr unange- 
nehm für ihren Mann, denn durch Ihre nächtlichen 
Plaudereien erwachte er und konnte dann nicht 
wieder einschlafen. Die Träume, die Frau Tippe- 
mann hatte, müssen sehr amüsant gewesen sein, 
denn oft lachte sie laut Im Schlaf. Das ärgerte 
Dr. Tippemann, weil er sich nicht mit darüber 
amüsieren konnte, Ab und zu versuchte er mitzu- 
lachen, um die Zelt zu vertreiben, aber Spaß 
machte es ihm gar nicht. 

Eines Nachts nahm die Sache aber eine ernste 
Wendung, und es war Schluß mit dem nächtlichen 
Haha, Plötzlich hörte Tippemann seine Frau einen 
Namen nennen, den Namen eines ihm unbekann- 
ten Mannes. 

„Oh Peterchen”, flüsterte sie und seufzte tlef, 
„mein süßes Schneckerle”. 

Was ist denn das? dachte Dr. Tippemann und 
guckte erstaunt seine Frau an. Er war aber eine 
sehr ruhlge und nüchterne Natur, übereilte nie 
etwas und kam daher nach einigem Überlegen zu 
dem Resultat, daß dieser Peterchen gar nicht ein 
Mann war, sondern ein Hund oder ein Papagel. 
Daß Aspasia ihn wirklich betrügen könnte, war 
unmöglich! 

Die nächste Nacht aber brachte die Aufklärung, 
denn seine Frau drückte sich ein bißchen deut- 
licher aus. Eine Stunde wohl hatte Frau Aspasia 
geschlafen, während Dr. Tippemann still lag und 
lauschte, als sie plötzlich, einen tiefen, zwei Meter 
langen sehnsuchtsvollen Seufzer ausstleß und da- 
zu noch ein paar Worte hinatmete: 

„Peterchen, gib mir einen Kuß. Süßer kleiner 
Schneckelemann!” 

Dann lächelte sie geheimnisvoll und fügte hinzu: 
‚Was glaubst du wohl, was Lilly sagen würde, 
wenn sie von uns wüßte?” 

Für Dr. Tippemann war es jetzt klar, daß es sich 
hier nicht um einen Hund oder einen Papagei, 
sondern um einen Mann handelte, denn einen 


PEITSCHENKNALLEN 


VonPeter Scher 


Ein Stock mit einer Schnur daran 

wird über Pferd und Ochs geschwungen 
und auf dem Leiterwagen steht ein Mann 
der selig lächelt, wenn es ihm gelungen 
und stolz ist, daß ein Echo knattert 

noch lauter als der Wagen rattert. 


Ein großer Knabe, fühlt der Mann, 
daß er es wie ein Künstler kann, 
der Geige meistert oder Flügel: 
in/einer Handlhältier die Zügel 
und mit der andern musiziert er; 
in unserm Dorf ist einer Vierter 
und ist schon darum leicht gebläht: 
man möchte wissen, was er tät, 


wär er der Zweite oder Erste. 


Der Wagen schwankt mit Korn und Ge: ste, 
bisweilen trägt er wohl auch Holz 


VON ERIK STOCKMARR 


Hund tituliert man doch nicht als „kleinen süßen 
Schneckelemann”. Einen Papagei ebensowenig. 
Man fragt auch nicht einen Hund, was Lilly 
wohl sagen würde, wenn sie etwas davon wüßte. 
Einen Papagei auch nicht. Wie schon gesagt, 
Dr. Tippemann war ein Mann, der sich nie über- 
eilte, und er sah sofort ein, daß es keinen Zweck 
hätte, wenn er jetzt seiner Frau eine Kristallvase 
an der Kopf knallte, Ganz abgesehen von dem 
hohen Preis für Kristallvasen heutzutage wäre dies 
eine schlechte Methode, denn Frauen verstehen 
es immer, „Erklärungen“ zu erfinden, Vielleicht 
wollte sie ihre Worte sogar bestreiten und sagen, 
daß er geträumt hätte? Nein man muß ganz an- 
ders schlau sein. Zum Glück fand Dr. Tippemann 
schnell einen raffinierten Ausweg. Er lächelte listig. 
Ja, schlau wär er, schlauer als alle Frauen und 
Füchse in der Welt zusammen. Das war wirklich 
eine großartige Idee. Vor einiger Zeit hatte er 
in einer Zeitung gelesen, daß ein genialer Appa- 
tat erfunden war — das sogenannte Traum-Mikro- 
phon. Das war ein kleiner ganz lautlos arbeitender 
Kerl, den man unterm Bett anbrachte, und dort 
lag er und lauschte die ganze Nacht. Das Mikrophon 
war mit einem Grammophon-Aufnahmeapparat ver- 
bunden, der auch ganz lautlos arbeitete, und alles 
was man im Schlafe sagte, wurde dann auf einer 
Platte aufgenommen, Die Platte legte man nachher 
In seinen Grammophon, und damit war die Sache in 
Ordnung: jedes Wort das gesagt, oder gar ge- 
flüstert wurde, klang dann in den Äther hinaus! 
Dr. Tippemann kaufte sich also am nächsten Tag 
ein Traum-Mikrophon, um auf diese Weise nach 
einem dramatischen Coup seine Frau mit der 
Wahrheit: Auge in Auge ge: überzustellen. 
Wenn sie ihre eigenen Worte hörte, würde sie 
zusammenklappen und ihn um Verzeihung bitten. 
So müssen Frauen behandelt werden! Fest und 
hart! Nachher wollte er dann Aspasla ruhig an- 
hören, wenn sie ihn, auf den Knien liegend, um 
Gnade anflehte, und sich dann die Sache über- 
legen, Und darauf natürlich Peterchen den Hals 
umdrehen. Dr. Tippemann installierte das Traum- 
Mikrophon unterm Bett, wo es mucksmäuschenstill 
lag, um jedes Wort in der nächtlichen Stille auf- 
zuschnappen. 

Frau Tippemann schlief schnell ein, während Ihr 
Mann ganz still im Bett lag und aufmerksam 
lauschte. Alles verlief programmäßig. Nach einer 
Welle begann seine Frau über ihren geliebten 
kleinen süßen Schneckelepeterchenmann zu reden. 
Dr. Tippemann freute sich riesig über seine raffi- 
nierte List. Wie dumm waren die Frauen doch! 
Lange lag er wach und lauschte, dann schlief er 
endlich ein. Erst als die Morgensonne ins Zimmer 
hereindrängte, wachte er auf. 

Den nächsten Tag ging Dr. Tippemann wie ge- 
wöhnlich in sein Büro, nachdem er die Grämmo- 
phonplatte zuerst in seinem Schrank versteckt 
hatte. Erst am Abend wollte er seinen genlalen 
Schlag führen. Als er aus seinem Büro nach Hause 
kam, setzte er sich, wie gewöhnlich nach dem 
Mittagessen, in den großen Lehnstuhl im Wohn- 
zimmer. Frau Tippemann setzte sich auf die Couch 
und. zündete eine Zigarette an. Dr. Tippemann 
erhob sich nun und nahm die Grammophonplatte 
aus dem Schrank. 

„Eine wunderbare Platte habe ich heute ge- 
kauft”, sagte er lächelnd. „Willst du sie hören?” 
„Aber natürlich. Wie heißt sie?” 

„Ich liebe dich, Peterchen!” 

Er legte vorsichtig die Platte auf die Grammo- 
phonscheibe und setzte sich behaglich zurecht. 
Zuerst war nichts anders zu hören als ein ein- 





Nacht. Dann plötzlich ertönte die verliebte Stimme 
von Frau Tippemann. Ein tiefer Seufzer — dann 
flüsterte sle: 
„Gib mir einen Kuß, Peterchen. Mein Herz brennt 
vor Sehnsucht, kleiner süßer Schneckelemann." 
Dr. Tippemann saß ganz still und lauschte, ebenso 
wie selne Frau, die ein bißchen blaß aussah. Er 
lächelte teuflisch. Dann hörte man das tiefe Schnar- 
chen des Herm Tippemann, und darauf wieder 
den eintönigen Laut, die schöne, friedliche Stille 
der Nacht. Jetzt geschah aber etwas Unerwartetes 
Plötzlich erklang die Stimme von Dr. Tippemann 
aus dem Grammophon: 
„Oh, Fräulein Mary, wie sind Sie doch entzük- 
kendl Ich liebe Sie, ich könnte für Sie sterben.” 
Dann ein tiefer Seufzer aus Dr. Tippemanns Brust, 
und dann noch einmal seine verliebte Stimme: 
„Oh, Fräulein Petra. Sie sind so schön wie eine 
Rose im August. Ich llebe Sie...” 
Wie eine Gazelle sprang Dr. Tippemann auf, um 
die Unterhaltung abzubrechen, Gott im Himmel, 
er hatte selbst im Schlafe geredet! Gerade be- 
vor er die Platte wögschnappte, hörte man die 
Worte: 
„Oh, Fräulein Inge, lassen Sie mich inen Kuß 
von Ihren Lippen pflücken! Ich könnte für Sie 
sterben!“ 
Dann war es Schluß mit der Grammophonunter- 
haltung. 
„Hm", sagte Dr. Tippemann, „das Ist eine ganz 
ömüsante Platte, nicht wahr?” 
„Sehr amüsant”, erwiderte seine Frau und zer- 
schmetterte die kostbare Kristallvase am armen 
Kopf Ihres Mannes. 

(Übersetzung aus dem Dänischen von E. S.) 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0, Nücket) 





In einer Gesellschaft, der auch Bobby beiwohnte, 
äußerte Jemand: 

„Das Geheimnis eines langen Lebens besteht 
darin, täglich etwas Knoblauch zu essen!" 
Worauf Bobby meinte: 

„Ja, aber wie macht man es nur, daß die anderen 
das Geheimnis nicht erfahren!" FH. 


* 


Auch Pimpfe sind Jungen und manchmal zu 
Jungenstreichen aufgelegt, Vor kurzem gingen 
einige vom Schulungsabend durch unsere Sied- 
lung nach Hause und drückten so im Vorbeigehen 
auf die elektrischen Klingeln an den Gartentüren, 
Sie erinnern sich doch noch dieses Scherzes aus 
ihrer Jugendzeit? Das Ist Immer so ulkig, wenn 
die Leute die Köpfe aus den Fenstern stecken 
und in die Dunkelhelt fragen. Diesmal gab's eine 
Panne. Ein Siedler war flinker, erwischte den letz- 
ten Pimpf und gab ihm rabiat und humorlos eine 
Ohrfeige. Der Junge war maßlos erstaunt und 
brachte erst nach geraumer Zeit die Worte her- 
aus: „Ouh, g’schlong! In Uniform! Des wenn ich 

















und wie gesagt: Musik und Stolz. tönlger Laut, die schöne, friedliche Stille der meld'I“ 6.M 
vorlag und Druck: Knert & Hirth Kommandligen Inge: ae 88 (Formuf 1256). Brimfanschrift: Münch jeltach, 
Verantworti. Schriftlelter: Walter Foltzick, Münche: ‚heint wöchentlich einmal. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 








anstellen ontgegen. — Bazugsp 





Einzeinum: 
n 












— Unverlang! 


Einsendungen w. 
druck verboten — Posischeck konio München 5920. Erfüllungsorl Müncher 









'n nur zurückgesändt, wenn Porto balliegl. — 


Am Kremi-Kammerfenster 


‚„Geh mach dei Fensterl auf, ich wart’ schon so lang drauf, 
ein einzigs Wörter| sprich doch nur, dann laß ich wieder dir dei Ruh!“ 


Corteggiamento sotto la finestrella del Cremlino: 'Evvia, apri la finestrella; aspetto 
giä da tanto tempo! Dimmi una parolina soltanto e poi ti lascio di nuovo in pacel'* 


544 


(@rich Schilling) 





München, 20. Oktober 1943 
48. Jahrgang / Nummer 42 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Das italienische Menu 


nn 


(Erich Schilling) 














„Kellner, der Braten ist zu blutig!" — „Aber echt englisch, Sir!‘ 


Il menu italiano: '"Cameriere, I" arrosto & troppo sanguinante!,, — “Ma ... proprio all’ inglese, Sire!,, 





Das weltferne Dorf - 








3 


gl 





ER 
N 


Das Überflüssige 
Von Walter Foltzick 


Manchmal denke ich, man sollte sich doch vom 
Überflüssigen trennen. Wenn ich das so einige 
Zeit gedacht habe, gehe ich dem Problem syste- 
matisch zu Leibe, Da muß zuerst einmal das 
Überflüssige vom Flüssigen unterschieden wer- 


Gefahr 


Finger am Abzugbügel, 
Blick, Sinn und Läufe klar. 
Zum Sprung geduckte Hügel. 
Wir fahren durch Gefahr, 


Verftrolchte Sträucher kauern 
Am Sumpf und Augen her; 
Hinter ihnen lauern 
Werfer und Gewehr. 


Im Graben blanke Gerippe, 
Noch vom vorigen Jahr. 
Preßt fish jedem die Lippe. 
Wir fahren durch Gefahr, 


Und fpüren doch Im’ Grunde 
Ein Freuen, heiß und rot, 
Und freu'n uns der Schunde 
Zwifchen Tod und Tod. 


Wilhelm Pleyer 






ES 


Il villaggio segregato dal mondo 


It 
KIN 
V 


den. Zu diesem gehört doch wohl der Tisch, der 
Stuhl, der Schrank, das Bett, der Anzug, die 
Unterhose, Strümpfe, Zahnbürste. Schön, da bin 
ich mit mir ganz einer Meinung. Das sind- alles 
notwendige, aufhebenswerte Gegenstände, Bei 
den Büchern sind wir schon nicht so gleicher. 
Meinung. Da sind zum Beispiel Lessings Ge- 
sammelte Werke. Seit zwanzig Jahren habe Ich 
nicht mehr hineingesehen, aber ich bin natürlich 
als gebildeter Mensch fest davon überzeugt, daß 
Lessing nicht überflüssig Ist. Was tue ich? Ich be- 
‚ginne im Lessing zu lesen. Im Lessing lesen nimmt 
viel Zeit fort, wertvolle Zeit. Erfolg: Lessing bleibt, 
kommt in die Abteilung „Wertvolles Bergungs- 
gut’. Der Teufel soll mich holen, wenn ich die 
nächsten zwanzig Jahre nicht hineinschaue, 

So ging ich meine Bücher durch, Stück für Stück. 
Ich habe selten soviel hintereinander gelesen. 
Als ich an einen Fahrplan kam, einen aus dem 
Jahre 1925 und auch den noch interessant fand 
wegen der vielen schönen Zugverbindungen, da 
faßte ich mir endlich ein Herz und erklärte ihn 
trotzdem für entbehrlich. Vielleicht werde Ich ge- 
rade den einmal vermissen, wenn mich die Lust 
überkommt, in ihm wie in einem Märchenbuch 
zu lesen. 

Also so ging's mir mit den Büchern, Die Bilder 
kamen dran. Ich weiß, auch Sie haben Bilder an 
den Wänden, die Sie jahrelang nicht ansehen. 
Und man sollte meinen, was man jahrelang nicht 
anschaut, könnte man doch leicht entbehren. Aber 
jetzt kommt der Moment, wo man sie bergungs- 
halber genauer anschaut. Ich sage Ihnen, das 
sollte man nicht tun, denn dann erwacht plötzlich 
irgend eine alte Liebe und man entdeckt, daß 
die Bilder ansehenswert sind. 

Natürlich, ich kann ohne das Stück Glimmer- 


546 


(Fr Bllok) 






schiefer welierleben, das ich einmal vom Brenner- 
paß mitnahm, aber ohne Lessing ja auch und 
ohne den hübschen chinesischen Holzschnitt an 
meiner Wand ebenso. Zum Donnerwetter, was Ist 
denn nun eigentlich in Sicherheit zu bringen, Ja, 
den kleinen Glimmerschlefer könnte ich in die 
Tasche stecken, nicht wahr, und die Photographie 
von Ringelnatz und den Distelkopf aus den amerl- 
kanischen Pampas und das Fläschelchen Rosenöl 
aus Bulgarien. Schockschwere Not, ich weiß nicht 
mehr was flüssig und was überflüssig ist; denn 
Jetzt fällt mir mein Impfschein in die Hände und 
mein Zeugnis als Freischwimmer. Wenn’s so weiter 
geht, wird das Schicksal schon persönlich ent- 
scheiden müssen, was überbleiben soll. 


Denen Mondlüchtlingen 


Der Vollmond pflegt euch aufzublähen, 
meshalb ihr ihm denn unvermeilt 

‚In Jamben oder auch Trochäen 

das Imprimatur zuerteilt; 


Laßt doch dies blöde Verfefchmieren 
und plärrt das Publikum nicht doof. 
Wozu dem alten Kerl hofieren? 

Er macht fchon felber fish den Hof 


vermittels einer Aureole 

von ganz immenfem Radius, 
mwovor fich euer Schmachtgejohle 
zutiefft befchämt verkriechen muß. 


Ratatöohr 


Kunstaufkauf in Italien 





„Davon gibt es nur ein Stück!“ — „Lächerlich — bei uns in USA. wäre so etwas in Serienfabrikation hergestellt worden!‘ 


Acquisto d’arte all’ingrosso in Italia: "Non c’ & che questo solo esemplare!,, 


“Comico davvero! Da noi negli Stati Uniti un tale oggetto sarebbe stato confecionato a serie!,, 


547 








Im britischen Kindergarten nein) 
= 

















OAaF Avınnansfan 43 








„Warum heulst du denn schon wieder, Haile?“ — „Der Viktor Emanuel will .mich 
nicht den Kaiser von Abessinien spielen lassen, er sagt immer, er sei der Kaiser!" 


Nel Giardino d’Infanzia britannico: Ma perch& mai urli di nuovo, Haile?,, — "Vittorio Emanuele 
non vuole lasciarmi far la parte d’Imperatore d’ Abissinia; egli dice sempre che & lui I’Imperatore!,, 


548 


GRÜNER HUND MIT SCHWARZEM HUT 


Gestern hatte ich ein denkwürdiges Erlebnis, 
Spazierte ich da nichtsahnend die Straße entlang, 
als plötzlich ein kleiner, dicker Mann In brauner 
Joppe dahergelaufen kam. 

„Verzeihung, mein Herr, ist Ihnen nicht ein grüner 
Hund mit schwarzem Hut begegnet?“ keuchte er 
erregt. 

„Ein grüner Hund mit schwarzem Hut???" 

„Wollte natürlich sagen: ein schwarzer Hund mit 
grünem... Nein, eine grüne Dame mit... Nein, Ich 
meine, ob Ihnen eine Dame mit grünem Hut begeg- 
net ist? Der ist nämlich der Hund hier entlaufen.” 
Ich blickte zu Boden. Doch einen Hund konnte ich 
beim besten Willen nicht entdecken, so sehr ich 
meine Augen auch anstrengte. Aber der kleine 
Dicke wies mit wortloser Gebärde hinab auf das 
leere Ende der Hundeleine, stieß einen kurzen 
Pfitt durch die Zähne und verschwand mit Windes- 
eile um die Straßenecke. — — 

Ich stand da und starrte hinter ihm drein, Doch 
gleich darauf kam aus dem Tor des gegenüber- 
liegenden Hauses ein kleiner schwarzer Hund zum 
Vorschein. Er trottete auf mich zu, 

Was sollte ich tun? Ich machte kehrt und rannte 
dem Monne in der braunen Joppe nach. Und tat 
es mit einer solchen Eile, daß ich darüber vergaß, 
den Hund mitzunehmen 

Ich rief daher einem langen dürren Herm in 
grauem Uster, der zufällig des Weges kam, von 
weitem zu: „Bitte, Herr, passen Sie doch einen 
Augenblick auf den Hund dort aufl” 

Und lief weiter, Nirgends aber vermochte Ich be- 
sagten kleinen Herm In brauner Joppe zu ent- 
decken. Statt dessen Jedoch begegnete mir ein 
Polizist, der mich ob meines sonderbaren Beneh- 
mens und meiner roten Krawatte argwöhnisch be- 
trachtete. 

„Ein Herr sucht nach Ihnen” sprach er mich 
schließlich an. 

„So? So—-so“, entgegnete Ich. „Hoffentlich nicht 
Jemand von der Kriminalpolizei? Wie sieht denn 
der Mann aus? Braun, grau, schwarz oder grün?” 
„Der Herr Ist grau gekleidet.” 
w»-.Und er hat einen Hund bei 
schwarzen Hund mit grünem, 
nen ——" 

Doch da erschien der Herr im grauen Ulster be- 
reits persönlich auf der Bildfläche. 

„Was für einen Hund?” brummte er ärgerlich und 
wandte sich an den Polizisten. „Sagen Sie einmal, 
Herr Schutzmann, dürfen Sie auch überge- 
schnappte Personen festnehmen?” 

„Ja, das kommt ganz und jeweils auf den Fall an. 
Sofern betreffende Person unter der Einwirkung 
des Alkohols steht..." 

„Diese Entscheidung steht bei Ihnen, Herr Wacht- 
meister‘, fiel ihm der Herr im grauen Uister Ins 
Wort und zeigte hohnlächelnd auf mich. „Dieser 
Mann da kommt In wilder Hatz dahergelaufen, 
rennt mich fast über den Haufen und fordert mich 
auf, auf einen Hund aufzupassen, der gar nicht 
da Ist” 

Der Schutzmann nahm mich erneut in Augenschein 
Da tauchte zu melnem Glück hinter einer Litfaß- 
säule der kleine schwarze ‚Hund wieder auf. Und 
näherte sich dem Polizeibeamten und ‚beschnüf- 
felte Ihn. Der Beweis meiner Zurechnungsfählgkeit 
wor erbracht. 

Erregt rlef Ich aus: „Halte ihn! So haltet ihn 
doch!” 

Aber der Herr im grauen Ulster hatte anscheinend 
noch immer nicht begriffen. „Um was dreht es sich 
denn hier eigentlich?" 

„Um einen Hund, mein Herr, um einen kleinen 
grüner Hund mit brauner Joppe... Quatsch...“ 
Auch Ich war jetzt ganz verwirrt. Ich griff erregt 
mit den Händen durch die Luft. „Eine verteufelt 
verzwickte Angelegenheit! Taucht da plötzlich ein 
Polizist auf, der, von einem graugekleideten Herrn 
aufgefordert, einen Mann mit rotem Schlips sucht, 
der wieder einen Mann in brauner Joppe sucht, 
der seinerseits nach einer Dame mit grünem Hut 
fahndet, die einem schwarzen Hund nachjagt. Su- 
chen und jagen wir also jetzt gemeinsam nach 
der Dame mit dem grünen Hutl” 


sich? Einen 
Nein einen grü- 


VON KNUT OVING 


Und über meinen erregten Reden kam mir ein 
neuer Einfall. Ich bückte mich und untersuchte das 
Halsband des Hundes. Doch darauf stand nur dei 
Name des Hundes, nicht aber der seines Besitzers 
Also wieder nichts. Die anderen standen und 
grinsten, 

„Kehren wir also zu dem Haus zurück, aus dem der 
Hund vorhin zum Vorschein kam!” schlug ich vor. 
Wir begaben uns dorthin. Ich nahm den Hund auf 
den Arm, Und richtig, dort stand der kleine Dickel 
Ich überreichte ihm den Hund und sagte nicht 
eben freundlich:. „Hier haben Sie Ihren Köter 
wieder.” 

Der kleine Dicke aber setzte ohne Dank das Tier zu 
Boden undrief erregt: „Da— dort hinten geht siel” 


Revue - Rivista 





Am anderen Ende der Straße tauchte eine Dame 
mit grünem Hut auf. Der kleine Dicke In der brau 
nen Joppe und der lange Dürre Im grauen Ulster 
liefen Ihr nach, Der Hund aber hatte die Gelegen 
heit benutzt, erneut das Welte zu suchen, Und so 
strebten der Polizist und ich wiederum ihm nach. 
Nach einer Weile trafen wir alle vor einem Brief- 
kasten zusammen. Und die Dame mit dem grünen 
Hut dankte uns Männern auf das herzlichste. 
„Aber nun”, schloß sie ihre Rede, „müssen wir die 
Besitzerin des Hundes ausfindig machen, Vielleicht 
hat einer der Herren sie vorhin gesehen — eine 
Dame mit schwarzem Pelz und gelbem Sonnen- 
schirm ...” 

(Aus dem Schwedischen von Werner Rietig.) 


(Hanna Nagel) 


„Meine Gage entspricht nur meiner Stimme — der Wert meiner Beine 
für die Tageskasse läßt sich ja ziffernmäßig gar nicht ausdrücken!" 


“La mia paga corrisponde soltanto alla mia voce ... ma Il volore delle mie gambe 
per la cassa della glornata non Io si puö esprimere affatto a cifrel,, 


549 


Im Liebesrausch‘- Nell' ebbrezza dell’ amore 





Pay _ 
h; NETTER | 





(Magon} 


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FAN 


Ne 


„Sei mein, Gertraude, sei mein!" 
„Ach nee, du, mach’ erst mal ‚bitte, bitte!" 


"Sii mia, Gertrude, sil mial, — "Ah sl!? ... Ma prima pregami a manl gluntel,, 


ERSTE LIEBE 


VON A. WISBECK 


Die Mizzi war Wassermädel in einem Münchener 
Caf6. Ein Wassermädel hat wohl die Gäste mit 
Trinkwasser zu bedienen, meint Ihr. Allerdings 
gehört dies zu seinen Obliegenheiten, doch Ist es 
nur der geringe Teil eines mühevollen Tagewerkes. 
Denn da heißt es, die naschhaften Fliegen vom 
Gebäck zu wedeln, hier ist ein Milchtröpflein 
von der Tischplatte zu wischen, dort eine alte 
Dame in den Mantel zu verpacken, ist der knur- 
tige Herr auf Servis 7 mit seiner Lieblingszeitung 
zu versehen, sind Teller, Tassen und Geschirr zu 
bergen — immer Ist es.auf seinen ausgelaufenen 
Schuhen unterwegs, das Wassermädel, und immer 
träumt es vom großen, aus den Wolken fallenden 
Glück. Von der Liebe, versteht sich, jener Liebe, 
die Im Kino unter schmelzenden Klängen das er- 
wartungsvolle Herzchen erschauern läßt. Was ist 


liebe? Liebe Ist so: Du gehst unter dem mond- 
beglänzten Baldachin blühender Bäume dahin und 
denkst an nichts. Da gesellt sich ein Junger Mann 
zu dir. Schön ist er, froh und stark, ein Strahlen 
geht von seinen großen Augen aus, das dein Herz 
versengt. Zart legt er seinen Arm um deine Schul- 
ter, flüstert heiße Worte in dein Ohr. Schwäne 
gleiten auf silberner Bahn zwischen wogenden 


Wasserrosen dahin, im Fliederbusch flötet die 
Nachtigall. „Ich lebe dich!” sagt der junge 
Mann, und während ein Regen von Blüten über 
euch herniederrieselt, sucht sein Mund deino 
Lippen, reißt er dich an seine Brust. — Siehst du, 
Mizzi, das ist die wahre Liebe, und die hand- 
festen Tätscheleien der alten Stammtischler, die 
mehr als Reflexbewegungen, denn Äußerungen 
des Herzens zu gelten hatten, konnten keinen Er- 
satz dafür bieten. 

Ach ja, von jenem Filmhelden geliebt zu werden, 
der zwischen Nachtigallen, Schwänen und Flie- 
derbüschen so herrlich zu küssen verstand, das 
mußte der Himmel auf Erden sein! Wie mochte 
er wohl leben? Was mochte er essen, wie mochte 
er schlafen? Nun, das Meß sich leicht erraten 
Er nährte sich von Erdbeeren mit Schlagobers und 
schlief, vom rosigen Schein einer Ampel umflos- 
sen, in einer Muschel, die an seidenen Bändern 
von der Decke hing. Dreimal täglich badete er in 
Kölnischem Wasser, seine Unterhosen bestanden 
aus weißem Flor, der mit Vergißmeinnichtblüm- 
lein bestickt war, Von ihm wollte man geliebt 
sein, zart und feurig zugleich, ihm wollte man 
alles bedenkenlos geben, was ein Mädchen zu 
verschenken hatte. — 

Eines Abends betritt ein Herr das Cafe, der 
Mizzi bekannt zu sein scheint. Wer war es nur? 
Der Mann, bei dem man den Pfeflerminztee 
gekauft hatte? Der Schalterbeamte? Er steht im 
mittleren Alter und ist etwas dicklich. Seine Nase 
ist zu breit, die Augen sind zu klein geraten 
Mißlaunig läßt er sich auf einem der verschosse- 
nen Plüsch-Sofas nieder, bestellt eine Tasse 
Kaffee und ein Stück Kösekuchen. Dann zieht er 
eine Brille aus der Tasche und beginnt eine Zei- 
tung zu lesen. — Aber zum Donnerwelter, wo 
bleibt das Wasser? Und da lümmelt nun so ein 
faules Wassermädel in der Ecke und glotzt! — 
Konnte es aber auch verwundern, wenn Mizzi’s 
Augen starr wurden? Denn war dies nicht die 
Stimme des Jungen, schönen, frohgemuten Man- 
nes, des schimmernden Helden heißer Träume? 
Aufmerksam verfolgt Mizzi das Spiel der Lippen, 
hinter denen ein halbzersplitterter Schneidezahn 
sichtbar wird. Trotz allem — es bestand kein 
Zweifel mehr: der Mann war es! 

Nun setzt sich eine rundliche Dame neben den 
Herrn, „Hast du die Kinderchen zu Bett gebracht?” 
frägt dieser. „Ja“, antwortet die Frau, „sie liegen 
schon: Elsbeth hat noch fünfmal auf das Töpfle 
gemußt, aber am Ende war es nur mahr wenig.” 
„Viel oder wenig“, knurrt der Herr, „auf die 
Qualität, nicht auf die Quantität kommt es an, 
wie Immer und überall im Leben. Aber du bist ja 
so gescheit! Wie kann man Kindern als Abend- 
essen Gurkensalat vorsetzen? Ich selbst habe 
kürzlich nach diesem unverdaulichen Fraß — — 
na ja.” — „Und dafür habe ich dir heute sachs 
Paar Socken gestopftl” wimmert die Dame. „Nie 
mehr flicke ich dir eine Unterhosel” — „Zahlen!" 
schreit der Mann wütend. „Zahlen — Was — 
fünfzig Pfennige soll diese Illusion eines Käse- 
kuchens kosten? Es war Pappendeckel mit Flie- 
genleim bestrichen. Auf Wiedersehen In hundert 
Jahren!” 

An diesem Abend zerbrach Mizzi zum erstenmal 
ein Trinkglas, bediente den Bürstenfabrikanten 
Rothnagel mit einer falschen Zeitung und vergaß 
es, die Frau Geheimrat Hagedorn In den Mantel 
zu stülpen. 








DER ABEND. 


Alles war ausgegeben an Licht, 

als der Abend kam und die Erde nahm, 

fast als wär sie geschenkt. Da bedeckte sich dicht 
der Himmel mit Trauer und Scıam. 


Der Wucherer aber dunkelen Sinns 
hob den Mond übers schweigende Land 
und besahı sidı die Fülle seines Gewinns. 


550 


Da mar ein Gebirg, an ein Flußtal gestellt, 
ein See, der inmitten der Ebene stand, 
eine Ortschaft an seinem südlichen Strand, 
Das schien ihm erklecklicher Zins. 





Er legte sicı alle Gestirne an 

und funkelte über den Himmel hinweg 
und prunkte: was alles er schon gewann, 
und lächelte fahl, als im dunklen Versteck 
eine Nachtigall leise zu klagen begann. 


K. M. Schiller 


Rationierung 


(R. Kriesch) 


Zi 


Yf 








„Weißt du, die Männer sind’s halt von der Raucherkarte so gewöhnt — 
immer wollen sie mit den Punkten vorgreifen!" 


Razionamento: “Eh sai, gli vomini sono ormal cosi abituati colla carta dei fumatori .... vogliono sempre |’ anticipo dei puntil,, 


551 


Avanti Savoia! 


(Erik) 














= "E 
[&e erh 





„Nun vorwärts für die Dynastie — gegen Italien!" 


‚Avanti Savoia! '"Orsö, avanti per la dinastia ... contro I’ Italial, 


552 


DER ALTE ANZUG 


VON BRUNO 


Herr Gahl nahm den grauen Anzug aus dem Klei- 
derschrank und hängte ihn über das Notenpult. 
Der Augenblick war ernst. Denn es handelte sich 
um Sein oder Nichtsein eines treuen, erprobten 
Lebensgefährten. Mit bekümmertem Blick folgte 
er den Spuren der männeranzügemordenden Zeit 
und seufzte. Der graue Anzug war der letzte aus 
einer einst stattlichen Reihe von Friedensanzügen. 
Er war im Jahre 1910 bei Meister Naprawnik In 
der Bräunerstraße geboren worden. Er war das 
beste Werk dieses begabten Schneiders und der 
Stolz seines Trägers gewesen. Er hatte noch jetzt 
— man schrieb das Jahr 1929 — den damals so 
gesuchten Vorkriegscharakter. Er war nicht so wie 
die Anzüge aus den sieben mageren Jahren 1915 
bis 1922. Qualität, ruhige Linie, sanfter Schwung 
der Taille und edler Fall der Hose, dies alles 
hatte er gehabt und hatle es noch, wenngleich 
nur dem liebevollen Auge des Kenners fühlbar. 
Was jetzt auf dem Notenpult hing, waren keine 
lebensfrischen Formen mehr, hier hing ein müder 
Greis, nicht ohne leise Faserung des Kragens und 
der Ärmelränder, mit ausgebohrten Knien. Rund- 
liche Flecke längst vergessener Bratensäfte zier- 
ten seine Brust wie Medaillen langen, verdienst- 
vollen Wirkens. Die Rückseite der Hose spiegelte 
im wörtlichen Sinn die fleißige amtliche Arbeit 
ihres Trägers In den letzten achtzehn Jahren 
wieder. Melancholisch betrachtete Herr Gahl den 
alten Freund. 

Was tun? ‘ 

Er hatte Ihn geliebt, den grauen Anzug. Sie hat- 
ten manches Jahr einer Zeit zusammen verbracht, 
die ihm zwar keine großen Erfolge gebracht hatte, 
aber schön war. Und mancher damals noch un- 
beschnittene Mädchenkopf hatte sich vertrauens- 
voll an den Busen dieses Rockes geschmiegt. 
Und auch er, der alte treue Freund, schien mit 
dem verborgenen geistigen Auge der Dinge den 
Blick des Herr zu erwidern, Es tat ihm weh, sei- 
nen Posten zu verlassen. Er fühlte sich noch rüstig 
und dauerhaft, Noch hatte er kein wesentliches 
Loch, der Stoff hielt in alter Festigkeit und die 
Nähte erfüllten unentwegt ihre Pflicht. Die Hose 
warf sich förmlich in die Brust wie ein zu pensio- 
nierender Beamter vor dem Chef: „Oh, ich bin 
kerngesund, nur ein wenig verkalkt. Ich kann 
noch lange dienen.” 

Dies rührte Herrn Gahl und er beschloß, den An- 
zug wenden zu lassen, Er trug ihn zu Herm Na- 
prawnik in die Bräunersträße. Dieser besah und 
betastete ihn aufmerksam und liebevoll. „Ein gu- 
ter Anzug”, fügte er seufzend hinzu. Dann er- 
klärte er sich mit der vorgeschlagenen Wendung 
einverstanden. 

Vierzehn Tage später erhielt Herr Gahl den An- 
zug und begrüßte ihn freudig überrascht, wie 
etwa der Gatte die langjährige Gattin begrüßt, 
die verjüngt aus dem Sanatorium heimkehrt. Er 
war wieder schön, fast wie neu. Die Spiegel- 
flächen der Ellenbogen und des Hosenbodens 
waren verschwunden, die zerfaserten Ränder 
sahen aus wie frisch rasiert, und die Flecke sa- 
Ben innen, unsichtbar wie jene, die der Mensch 
an seiner Seele trägt. Die Brusttasche freilich, 
die saß nun rechts, 

Es war ein herzliches Wiedersehen, In den Ärmeln 
lagen sich beide und weinten vor Schmerz und 
Freude. Doch die bekannte Tatsache, daß die 
Wirkungen der Verjüngung nur eine begrenzte 
Zeit zu dauern pflegen, zeigte sich leider auch 
hier. In den ersten Monaten benahm sich der 
Anzug stramm und prächtig, aber bald bildeten 
sich Falten, fadenscheinige Stellen und er zeigte 
eine bedenkliche Neigung zur Zerfaserung. Er 


WOLFGANG 


bekam wieder greisenhafte Züge, aus dem Jun- 
gen wurde ein Pensionierter, zwar vornehm, 
aber alt. 

Und abermals hing der Bedauernswerte zur Mu- 
sterung auf dem Geigenpult. Er ahnte nichts Gu- 
tes. Das Herz sank ihm in die nunmehr wieder 
spiegelnde Hose, aber dennoch hoffte er noch 
immer auf einen Tauglichkeitsbefund. Lange und 
schmerzlich betrachtete ihn Herr Gahl. Gedanken 
an Tod und Verwesung umflatterten sein Herz wie 
Raben das Hochgericht. Er erwog und prüfte alles. 
Doch dann gelangte er zu dem schweren Ent- 
schluß: Nein! 

Er beschloß, sich von seinem treuen Lebensgefähr- 
ten endgültig zu trennen, und ließ sogleich, um 
jeder Anwandlung von Schwäche vorzubeugen, 
den rühmlich bekannten Bettler Herrn Albanitzky 
holen, um ihm den Anzug zu weiterem Gebrauche 
zu Üüberantworten. Herr Albanitzky hatte zwei 
Doktorate, das juristische und medizinische, 
machte jedoch von ihnen keinen Gebrauch. In 
seinen freien Stunden bereitete er sich auf das 
philosophische Doktorat vor, das seinem Talent 
und seiner Neigung am meisten zusagte. Er hatte 
sein einst beträchtliches Vermögen im Wege der 
Inflation ehrenhaft verloren und war in dem Be- 
streben, einen seiner Vorbildung entsprechenden 
Beruf zu finden, über fünfzig Jahre alt geworden. 
Er hatte das Elend in seiner bittersten Form ken- 
nen gelernt, bis Ihm endlich ein einflußreicher 
Freund einen Bettlerposten in einem der verkehrs- 
reichsten Durchgangshöfe Wiens verschaffte und 
ihm sogar eine ansehnliche Steuerermäßigung er- 
wirkte. Die Natur hatte ihm glücklicherweise ein 
überaus dürftiges Äußere, dazu aber eine eiserne 
Gesundheit verliehen. So lebte er denn auskömm- 
licher als Je, er fügte sich mit Stilgefühl in das 
barocke Stadtbild und legte nach Feierabend 
manchen Spargroschen zurück. 

Herr Albanitzky kam und besah sich pflichtgemäß 
den Anzug. Er ließ seinen Blick auch über die 
Möbel und den Geschenkgeber selbst gleiten, 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Bobby ist bei Baron Schreckenstein, einem in 
der Mußezeit elfrigen Bastler eingeladen. Nach 
Tisch führt er die Gäste in das Jagdzimmer und 
zeigt ihnen seine reiche Gewelhsammlung. 
Fragt Bobby: 

„Lieber Baron, haben Sie denn das alles selbst 
gebastelt?” F.H. 

* 


Bobby kommt zum Zahnarzt und will ein Gebiß 
für seine Gattin bestellen. 

Meint dieser: 

„Aber da muß doch Ihre Frau Gemahlin wegen 
des Abgußes selbst kommen!” 

Entgegnet Bobby: - 

„Aber es soll doch eine Geburtstagsüberraschung 
sein!“ 8 FH 


553 


dann flüsterte er, 
drückend: 

„Ich danke Ihnen herzlich für Ihre große Güte, 
die mich um so mehr rührt und bewegt, als sie in 
unserer Zeit immer seltener zu werden scheint. 
Ich muß Sie jedoch leider bitten, mir zu gestat- 
ten, daß ich unbeschadet meines: dankbaren Ge- 
denkens diesen Anzug nicht annehme. Damit will 
ich aber durchaus kein Urteil über seinen Wert 
und seine Schönheit ausgesprochen haben, da mir 
dies keineswegs zukommt und der Grund meiner 
Ablehnung in Erwägungen anderer Art liegt. Er 
ist, wenn ich so sagen darf, ein rein geschäfts- 
technischer. Der Anzug käme für mich nur als, 
wenn Ich mich so ausdrücken darf, Arbeitskleid 
in Betracht, Denn er verfügt, wie ich sehe, über 
alle Eigenschaften, die nötig sind, um das erfor- 
derliche Mitleid hervorzurufen. Nun besteht aber 
in diesem Punkte bei mir eine gewisse Besonder- 
heit. Wie Sie wissen, bin ich im ersten Bezirk, 
wenn Ich'es so bezeichnen darf, tätig, und habe 
ein Publikum von ganz bestimmter Eigenart. Mein 
Publikum ist nicht einfach nalv-mitleidig, sondern 
es ist ästhetisch-mitleidig. Ich werde Ihnen so- 
gleich erklären, wie ich das meine, Mein Publi- 
kum bedauert nicht das Elend absolut, nicht die 
kompakte, formlose Masse des Elends, das, wenn 
ich mir die Äußerung gestalten darf, das unsicht- 
bare Fundament unserer Gesellschaftsordnung 
bildet, sondern mein Publikum schätzt, sozusagen, 
das romantische Elend, es findet den Zugang zu 
ihm leichter auf dem Wege der Literatur und 
Kunst, wie Sie aus den Werken unserer Dichter 
zu ersehen belieben, die häufig aus den ergrei- 
fenden Worten, die sie dem Elend widmen, be- 
trächtlichen Wohlstand ziehen. Mein Anzug darf 
also nicht äußerste Not, sonder nur diskrete 
Herabgekommenheit widerspiegeln. Er darf den 
ästhetischen Sinn des Publikums nicht beleidigen, 
ich/ muß der sentimentalen Phantasie meines 
Publikums Spielraum lassen. Ich muß dieser — 
verzeihen Sie den üblen Ausdruck — Mentalität 
durch sorgfältige Wahl meines Arbeitsgewandes 
Rechnung tragen. Das ist Kultur. Ich kann es nicht 
ändern und deshalb, sehr verehrter Herr, muß ich 
zu meinem außerordentlichen Bedauern das mir 
zugedachte Geschenk mit innigstem Dank in Ihre 
gütigen Hände zurücklegen.” 

Herr Gahl war wieder allein mit seinem Anzug, 
der sichtlich erleichtert aufatmete. Er nahm ihn 
und verwahrte ihn wieder im Schrank. Vielleicht 
kam noch einmal eine Gelegenheit, ihn hervor- 
zuholen. 

Sie kam, Die Jahre vergingen. Die Welt kam nicht 
zur Ruhe, Die Zeiten wurden nicht leichter, son- 
dern schwerer. Herr Gahl war Pensionist gewor- 
den und es lag im Wesen der Zelt, daß alte Men- 
schen weit weniger geschätzt wurden als alte 
Anzüge. Da erinnerte er sich wieder seines alten 
Anzuges. Er holte ihn aus dem Schrank hervor 
und betrachtete ihn wehmütig. Dann schüttelte er 
den Kopf. Nein, es war zu arg. Schon wollte er 
ihn wieder verwahren, da schoß ein Gedanke 
durch Kopf und Herz. Er wickelte den Anzug in 
ein Papier und trug ihn in die Bräunerstraße zu 
Meister Naprawnik. Dort befreite er den zwischen 
Furcht und Hoffnung schwankenden Anzug seiner 
Hüllen, hielt ihn Herr Naprawnik hin und fragte 
leise und stockend: 

„Könnte man diesen Anzug... ich habe ihn näm- 
lich sehr lieb und möchte mich nur ungern von 
ihm trennen... könnte man ihn vielleicht... wie- 
der zurückwenden?” 

Was?” schrie Herr Naprawnik, schob die Brille 
hoch und stärrte den seltsamen Besteller an. 
Herr Gahl fühlte deutlich, wie der Anzug in sei- 
ner Hand bang zitterte, 

Herr Naprawnik senkte den strengen Blick, nahm 
eine Prise, vielleicht um eine unziemliche Regung 
des Mitleids zu verbergen. Dann sprach er mild: 
„Ich will es versuchen.“ 


taktvoll ein Lächeln unter- 


Reue 


(K. Heiligenstaodt) 





„Wie sagst du — du hast diesem Mann schon so viel geopfert?‘ 
„Jawohl, leider: siebzehn Bogen tintenfestes Briefpapier und elf Umschläge!“ 


Pentimento: ‘Che dici mai?.... Tu hal giä sacrificato tanto per questo vomo?" 
“Sicuro, purtroppo: diciassette fogli di carta da lettere, resistente all’ inchiostro, e undici buste!,, 


554 


WILDWEST 


VON PETER SCHER 


Es war in Arkansas, wo ich das Indianer-Territorium an den nördlichen 
Büffelhornbergen nahe dem Silbersee durchstreifte, Ich hatte die Bekannt- 
schaft des „Muffigen Uhu” gemacht, der damals Häuptling der Plattfuß- 
indianer wär, die sich rühmten, ein Nebenstamm der Apachen zu sein, 
deren berühmtester Mann bekanntlich „Winnetou” war, der Freund „Old 
Shatterhands“, 

„Muffiger Uhu” hatte Eigenschaften, die ihn nicht immer zum angenehm- 
sten Gesellschafter machten, Ich durfte seine ein wenig aufdringliche Zu- 
neigung jedoch nicht ablehnen, weil er so raffiniert gewesen war, mir 
Blutsbrüderschaft anzubieten. 

Die hohe Ehrung konnte ich nicht abweisen, weil ich sonst den ganzen 
Stamm gegen mich aufgebracht hätte, der immerhin aus dreiundzwanzig 
Männern bestand, von denen siebzehn sich keiner Waffen zu bedienen 
wußten — die sie freilich auch gar nicht besaßen — weil sie gerade 
wegen Influenza Krankenkassengeld bezogen; die übrigen fünf waren dem 
Feuerwasser ergeben und brachten den größten Teil des Tages ebenso 
Wie ihr Häuptling, der darum auch den Spitznamen „Alte Whiskyspritze” 
führte, in seligen Dämmerzuständen hin. 

Das harmlose tote Völkchen war mir überaus herzlich entgegengekommen, 
da es meine Eignung zum Gerupftwerden sogleich erkannt und keinen 
Augenblick gesöumt hatte, mich für noch ahnungsloser zu halten als ich 
bin. In dieser Hinsicht erinnerten mich die Rothäute ein wenig an die 
Bauern meiner Heimat, die mit dem sicheren Instinkt von Naturkindern 
großstädtischen Sommerfrischlern eine ihrer Überlegenheit auf allen Ge- 
bieten entsprechende Einschätzung zuteil werden lassen. 

Die roten Männer umlagerten mich den ganzen Tag und wollten ständig 
über die Gebräuche der Bleichgesichter bei mir daheim unterrichtet wer- 
den. Ich erzählie Ihnen von „Old Shatterhand” und den berühmten Stäm- 
men des Landes, in dem sein Wigwam stand, Sie vernahmen mit Bewunde- 
tung, was ich von den berühmten Häuptlingen „Nu allemal" und „Gottver- 
dimmich” Seltsames zu berichten hatte, 

„Muffiger Uhu” erfreute sich einer Tochter, die zwar ein wenig durch 
Kropfwucherungen beeinträchtigt, aber sonst ein liebenswürdiges Mädchen 
war, „Mutsch-Putschi”, zu deutsch: „Das schiefe Gestell, denn gerade 
gehen konnte sie nicht, aber sonst war sie bezaübernd. Sie erbot sich, 
meine Manuskripte auf der Schreibmaschine zu tippen und mir Aufschlüsse 
über das Seelenleben ihrer Stammesgenossinnen nicht vorzuenthalten. Ihr 
Vater vertraute mir’an, daß die „Rose der Prärie” auch gegen etwaige 
Herzensoffenbarungen nicht unempfindlich sei und bei solchen Gelegen- 
heiten eine Pulle Black and White zu schätzen wisse. 

So gingen die Tage In den großen Büffelhormbergen nahe dem Silbersee 
herz- und sinnbewegend dahin. Es war im „Indian-Summer” jener himm- 
Iischen Zelt, da die Natur, bevor sie sich zum Winterschlaf bereitet, noch 
einmal alle Ihre Herrlichkeiten spielen läßt. Ich erinnere mich, daß ich 
eines Abends den Männern und Squaws, die gerade nicht beschwipst 
waren, die erstaunliche Geschichte vom Besuch „Winnetous“ bei „Old 
Shatterhand" in Radebeul erzählte. Ein vielstimmiges „Uff uff“ machte die 
Runde um das Lagerfeuer, als ich dabei angelangt war, frei nach Karl May 
zu schildern, wie der Häuptling der Apachen von seinem Blutsbruder „Old 
Shatterhand“ in den Dresdner Gesangverein „Holdes Brausen” eingeführt 
wurde und wie der Häuptling durch den Schmelz seines edien Bariton, mit 
dem er Karl Mays Ave Maria zum Besten gab, alle Anwesenden zu 
Tränen rührte. 

Manchmal gingen wir auch auf die Jagd. Da es an Bisons mängelte, be- 
gnügten wir uns mit Maulwürfen und an die Stelle des feurigen Renners 
trat ein Schubkarren, auf dem mich „Muffiger Uhu“ bereitwillig in die 
wogende Savanne hinausschob, 

Unvergeßlich bleiben mir die Abende am Lagerfeuer, wenn draußen zwar 
nicht der Schaksl den Mond anheulte, aber doch ein roter Mann aus 
der Black River-Times mit schwermütiger Stimme ein Inserat vorlas, in dem 
der Tausch eines Schaukelstuhls gegen eine gutgestopfte Bratwurst an- 
geboten wurde, 

Allmählich verebbten-die Geräusche des Tages. Hin und wieder hörte ich 
noch, wie ein Wecker aufgezogen wurde. Squaws schlurften an die Türen, 
um die Brotbeutel vor den Wigwams aufzuhängen. Die Seelen der roten 
Männer bereiteien sich vor, in die ewigen Jagdgründe des Traumlebens 
zu enischweben und auch ich warf mich mit dem Ausruf; Verfluchter 
Saustalll auf mein Lager aus knochenharten Maisblättern, von denen er- 
schreckte Flöhe emporsprangen, um den im Kampf ums Dasein stärkeren 
Waänzen Platz zu machen. 

Schon im Einschlafen, hörte ich noch, wie „Muffiger Uhu” seiner Tochter 
„Schiefes Gestell“ mit Stentorstimme Ins Ohr raunte: „Howghi Dieses 
Bleichgesicht hat uns der große ‚Manitou‘ geschickt — es weiß noch nicht 
einmal, daß man beim Pokern den Ärmel seines Partners mit Falkenaugen 
überwachen mußl‘ 





(Toni Bich! Im Felde) 





EIN BAUM IM FELD 


Von Herbert Lestiboudois 


Ein Baumsteht draus Feld, 

Nur dieser eine in der leeren, weiten Waldnis, 
Granatzerfetzt, — die Rinde hängt wie abgepellt, — 
Entlaubt und nackt, ein kümmerliches Bildnis. 

Und doch — ein Baum! 

Da bauen wir zur Rast das Zelt 

Dicht neben ılın, der kaum 

Noch einen mag’ren Schatten für uns lieh — 

Welch Wunder dies: 

Ein Baum — ?! 

Hört her: ein Baum! — wih; 
Was das bedeutet hier 


Tatdieser haumlanewizen Unendlichkeit? 





ihr, 





Da rückt nun alles dichter gleich zusammen, 

Was vor uns liegt so unerbittlich weit, 
TR eereRlaumer 

Sind in der uferlosen, wilden Zeit 

Ein stiller Hafen. 

Der Abend sinkt, — nur schlafen jetzt, nur schlafen! 
Und hört und lächelt gern: wir träumen — 

Wir träumen unter diesem nackten, armen Steppenbaum 
Den hellen Traum 


Von lauter grünen, heimatlichen Bäumen —! 





Verlag und Druck» Knorr DE Hirth Kommanditgesellschaft, München, Sendlinger Straße 18 Kamp! 1296). Brlefanschritt: München 2 BZ, Brlei Ban 





wortl. Schritt Walter Foltziek. München, — Des Simpllcissimus 0 
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üllungsort 








Das Kuckucksei in Afrika 


(Wilhelm Schulz) 








„Kannst du dich erinnern, dieses merkwürdige rote Ei gelegt zu haben?“ 


L’ vovo del cuculo in Africa: "Non ti ricordi mica d’aver deposto questo strano uovo rosso ?,, 


556 


München, 27. Oktober 1943 Z 
| 48. Jahrgang / Nummer 43 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


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OMAF AVLERANnSTu 





„Und hier meine persönliche Gabe für Stalin: ‚Europa auf dem Bären‘! 





Partenza per Mosca: "Ed ecco Il mio dono personale per Stalin: ‘Europa sull’ orso, !,, 








Herbstliche Melancholie - Malinconia autunnale 


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7 





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(0. Hegenbarth) 


„Siehste, Männe, so geht alles Schöne im Leben dahin!" — „Richtig, und mein Beitrag zum Begräbnisverein is ooch wieder fällig!" 


"Vedi, marito mio, cos svanisce ogni cosa bella nella vita!,, — "Evero.. „anzi mi scade dinuovo il contributo per la ‘Societä Funebre, !,, 


Die gute Füllung 
Von Walter Foltzick 


Wenn man Äpfel In eine Kiste füllt, gibt es einen 
Moment, da Ist die Kiste voll, kein Apfel geht 
mehr hinein. Bel Heringen ist die Sache, soviel 
ich weiß, genau so, und dann sagt man, sie sind 
so dicht gepackt wie die Heringe. Bei Eisenbahn- 
wagen für Personenverkehr Ist es so, daß ein 
Wagen voll sein'kann, dann kann er aber noch 
immer voller werden und zum Schluß sogar sehr 
voll. Ja, man spricht sogar davon, daß er über- 
füllt ist. Menschen lassen sich eben besser zu- 
sammendrücken als Äpfel oder Heringe, wahr- 
scheinlich, weil sie vernunftbegabte Wesen sind, 
und der Vernünftige gibt nach. Er kann demnach 
mehr zusammengepreßt werden. Haltl Das ist 
nicht ganz richtig: er preßt sich selbst zusammen, 
er Ist eben nicht so dumm wie die 'Heringe, bei 
denen das ein anderer besorgen muß. 

Wenn ein Zug voll ist, so erkennt man das mit 
Leichtigkeit daran, daß er an den Füllstellen über- 
quillt und Teile des Inhalts heraushängen. Wie 
gesagt, das geht nur bei der Menschbeförde- 
rung; Äpfel, Heringe, Nähmaschinen und Porzellan- 
kisten hängen niemals aus dem Güterwagen her- 
aus. Sie glauben vielleicht, in einen vollen Zug 
geht keiner mehr hinein? Nach physikalischen Ge- 
setzen müßten Sie recht haben, nach psychologi- 
schen nicht., Wer die nötige Energie hat, kommt 
immer noch hinein, durch Druck. Im Innern eines 
Abteils sind stets einige kleine Hohlräume, die 
ausschließlich mit schlechter Luft gefüllt sind. 
Diese gilt es zu komprimieren. Was der Einzelne 


nicht schafft, das erreicht der ganze Zug durch 
ruckweises Anfahren oder plötzliches Stehen- 
bleiben. Züge, die an chronischer Uberfüllung lei- 
den, sollten vor der endgültigen Abfahrt auf ein 
Schüttelgleis gefahren werden, auf dem sie von 
zwel Lokomotiven in entgegengesetzter Richtung 
ordentlich durchgerüttelt werden. Man wird er- 
staunt sein, wieviel Platz auf diesem mechani- 
schen Wege erzeugt werden kann. Durch Zusam- 
menpressen in Eisenbahnzügen erhält man eine 
ziemlich homogene Masse, bei der der ent- 
stehende Prozentsatz von Duldsamkeit und Nei- 
gung zum Krach ungefähr gleichbleibend ist. Da- 
rin gären die Reisenden und erreichen eine ziem- 
liche Mürbheit. An den Haltestellen quillt das Pro- 
dukt aus dem Abteil wie Zahnpasta aus der Tube. 
Aber wie gesagt, dieses Rezept ist nicht bei 
Apteln und Heringen anzuwenden. 


MEIN FREUND JOHANNES 


Ich traf Johannes auf der Straße. Er strahlte. 

„Nun, Johannes, worüber freust du dich denn so?” 

fragte Ich. 

„Ich habe eben meine Uhr verloren”, erklärte 

Johannes, 

„Und darüber freust du dich?” erkundigte ich mich 

überrascht. 

„Sie war Ja kaputt”, meinte Johannes. 

„Hätte man sie nicht heilmachen lassen können?” 

wollte ich wissen. 

„Doch, das hätte man wohl“, sagte Johannes. 

„Aber es wäre bestimmt ziemlich teuer geworden. 

Und das Geld habe Ich nun glatt gespart.” 
J.Bieger 


558 


An einem Herbftabend 


So dann und wann, zum Beifpiel heute, 
hab! ich die fogenannten Leute 

von Herzen’Tatt und fchließ’ mich ein, 
um ftill bei mir zu Haus zu fein. 


Wie hübfch ift’s, ohne Redensarten 
bei einer Pfeife zuzumarten, 

bis, Gott fei Dank, nicht allzu fpät 
auch diefer Tag zu Ende geht. 


Ich werde mich natürlich hüten, 
fein Soll und Haben zu bebrüten. 
Er war halt wieder fehr gemifcht 
und mird nun bald hinweggemifcht, 


um einem nächften Plat zu machen. 
Soll man da weinen oder lachen. .. 
Wer fchon fo lange Kegel fcheibt, 

meiß, daß man doch man felber bleibt. 


»Man felber« ... ift das etrva köftlich? 
Nein, keineswegs. Und doch i’s tröftlich, 
macht man fich klar fo dann und wann, 
auf was man fich verlaffen kann. 


Ratatöschr 


Der Bock als Gärtner ei) 




















Er 





„Nach dem Kriege müßten die USA. der Weltpolizist werden — oder weiß man jemand, 
der von Haus aus geeigneter dafür wäre, für Ruhe und Ordnung zu sorgen?‘ 


Il becco quale ortolano: "Dopo la guerra gli Stati Unitl dovrebbero divenire I polizlotti del mondo ... 
oppure c' & forse qualcuno che per natura sia pid adatto a provvedere alla pace e all’ ordine?,, 


559 


Geschäfte mit Afrika Anaeschute 





„Halt, halt! Du vergreifst dich an fremdem Eigentum. Dies da hat 
sich bereits ein amerikanischer Verwertungskonzern gesichert!" 


Affari con I’ Africa: “Fermo! Fermo! Mettl la mano su proprletä altrul. Questa qui se I'ha digglä assicurata un Consorzlo di utllizzatorl amerlcanil,, 


560 


DAS’GROSSE LOS 


VON KURT GROOS 


Damals, In USA., hatte ich ganz von unten be- 
gonnen, weil man erzählte, daß das am sicher- 
sten zur Höhe führe. Ich war nach Amerika ge- 
fahren, um dort das große Los zu ziehen. Aber 
auf die Dauer wurde ich die Tellerwäscherei 
doch leid. Mein Vorwäscher und ich beschlossen, 
einen Trust zu gründen oder sonstwie zu Geld zu 
kommen. Der Vorwäscher hatte 500 Dollar und 
eine Idee. Wir kauften Gipsrehe, verschleierte 
Wachsjungfrauen von lieblichem Aussehen in 
Lebensgröße, verschiedene Harfen und der- 
gleichen mehr. Das alles stellten wir in einem 
in klein den National-Parks ähnelnden hochromanı 
tischen Waldgelände auf. Wir gründeten die Wald- 
weben-Corporation. Diese Institution hatte die 
Aufgabe, romantisch angehauchte Helratslustige 
auf unser Gelände zu bemühen, damit wir dort 
Eheschließungen managen konnten, bei denen 
wir mit 10% drinlagen. 

Die Sache lief gut an. Wir bepflasterten den Wald 
mit immer neuen Überraschungen. Bei jedem mit 
Bewegung verbundenen Kuß bimmelten kleine 
Glöckchen, leuchteten bunte Lichter im Gesträuch 
auf und winzige Zwerge hieben mit niedlichen 
Hämmerchen auf zierliche Ambosse. Das Geschäft 
zog gewaltig an, 

Und doch brach dieses Unternehmen, unsere 
Waldweben-Corporation, schnell zusammen. Nach 
und nach nahmen die Heiratslustigen unseren Fun- 
dus aus Andenkensucht mit, Außerdem gründete 
ein Idealistisch veranlagter Schweinekönig aus 
Chikago im Nebengelände ein Konkurrenz-Unter- 
nehmen, das mit unsauberen Mitteln hantierte, 
Dieser Filou arbeitete nicht mit verschleierten 
künstlichen Waldnixen, sondern stellte echte und 
dazu noch spärlich bekleidete auf, die er aus 
einer In Konkurs geratenen Revue charterte; ins- 
gesamt 24 Waldweben-Girls. Na, Sie können es 
sich ja denken! Unser Traum war aus. Doch ich 
muß sagen, daß uns der Mißerfolg nur härter machte. 
Wir hatten damals noch 5 Dollar und eine etwas 
lädierte Waldnixe, die Waldweben-Jungfrau Nr. 1, 
wie wir sie scherzend zu nennen beliebten. 

Mit dieser Nixe zogen wir nach Neuyork zurück 
und mieteten einen guterhaltenen Kohlenschup- 
pen, etwas auswärts, Wir umbenannten die künst- 
lie Waldweben-Jungfrau In „Göttin der Er- 
kenntnis”, Dann gaben wir in drei Neuyorker 
Nachtgazetten kurzfristig kreditierte Anzeigen auf, 
In denen wir an die unglücklich Liebenden aus 
besseren Kreisen appellierten. Wir versprachen 
schnellste Heilung. Die Überschrift der Anzeigen 
lautete: „Erkennt die wahren Idealel” 

Schon am nächsten Tag versammelten sich viele 
an unglücklicher Liebe erkrankte Jünglinge wor 
unserer Kohlenbude, Der Kohlenwäscher nahm 
sich jeden einzelnen vor, kassierte 10. Dollar, 
führte ihn in die Kohlenbude und ließ ihn die 
frühere Waldweben-Jungfrau Nr. 1, jetzige „Göt- 
tin der Erkenntnis” entkleiden. Während der Ent- 
kleidung knipste mein Associ& das Licht aus. 

Ich muß sagen, daß ich den Vorwäscher mit 
seiner neuen Idee anfangs für einen zum Ganz- 
nelgenden Halbidioten hielt — aber ich wurde 
schnell eines besseren belehrt. Ich kannte da- 
mals die amerikanische Mentalität auch noch 
nicht so genau. Es hagelte 10-Dollar-Scheine. Aber 
das mit dem Eintrittsgeld, mit der Entkleidungs- 
gebühr, um das Kind beim Namen zu nennen, 
war schließlich nur Nebeneinnahme. Die Haupt- 
einnahmen kamen. aus den besten Familien des 
Landes, von den Vätern bisher unglücklich lieben- 
der Söhne, denen wir die Augen geöffnet hatten. 
Wir zogen dauernd das große Los, „Sie haben 
meinen Sohn von einer Wahnidee geheilt — end- 
lich Ist er In die ihm schon lange zugedachte 
500.000-Dollar-Ehe gestiegen. Für ihre Bemühungen 
2000 Dollar anbei; viel Glück Ihrem Jungen Unter- 
nehmen!“ So und ähnlich lauteten die Dank- 
schreiben der alten Yankees, nachdem wir den 
Söhnen die Augen geöffnet hatten. 





Dabei war unser Geschäft ganz einfach. Der Vor- 
wäscher zeigte die wunderschöne Waldnixe mit 
ihren ganz langen Augenwimpern und dem herz- 
förmigen Unschuldsmund im jungfräulich flleßen- 
den Gewand mit rosenrotem Schleier, knipste 
dann das Licht aus und der bebende Jüngling 
mußte die Nixe im Dunkeln entkleiden, Nach der 
Entkleidung knipsten wir das Licht an, Die Dame 
stand nun keineswegs nackt da — oder doch 
auch wieder nackt — aber sie war von oben bis 
unten mit falschen Dollarscheinen beklebt. Well 
Ich, der ich im Hintergrund hinter einer Tüll- 
gärdine saß, spielte etwas Harfe, um dem zur 
Romantik neigenden amerikanischen Herzen den 
Übergang nicht zu hart zu machen — und viel- 
leicht entsinnen Sie sich noch selbst genau jener 
Zeit, in der nach den Statistiken diese nichts 


einbringenden Liebesheiraten im Staate Neuyork 
so zurückgingen und Dollar sich zu Dollar fand, 
so wie es sein muß. 

Aber trotzdem erlitten wir wieder Schiffbruch. 
Wir verliebten uns hemmungslos. Der Vorwäscher 
heiratete eine miserabel bezahlte Stenotypistin 
und ich eine schmählich verarmte Verkäuferin 
eines Blumengeschäftes am Broadway, ein Veil- 
chen mitten im Asphalt, Beide Frauen waren reine 
Engel, sozusagen, Kinder in der Liebe. Wir wurden 
daraufhin verhaftet und für vorübergehend Irr- 
sinnig erklärt. Unsere „Göttin der Erkenntnis“ be- 
schlagnahmte man als groben Unfug. 

Aber doch stifteten wir wieder Gutes. Die Nacht- 
blätter brachten Sonderausgaben mit dicken 
Schlagzeilen über unser Malheur. Unsere Gat- 
tinnen, diese beiden Engel und Kinder in der 
Liebe, ließen sich eine Nacht nach dem Skandal 
von uns scheiden und heirateten, berühmt ge- 
worden, drei Tage danach In den fettesten Geld- 
adel ein. 

Wir hatten wieder mal das große Los gezogen! 





BILDUNG 


VON SCHLEHDORN 


Eines Tages kam die Rede auf Bildung. 

„Bildung ist Macht”, sagte einer. „Wir halten auch 
einen Lesezirkel.” 

„Bildung bedeutet”, meinte ein anderer, „daß 
jemand auch geistig arbeiten würde, wenn er es 
gar nicht brauchte — so was gibt's nämlich.” 

Ein dritter definierte: „Bildung Ist ein heimtücki- 
scher Angriff auf die Unbefangenheit der anderen.” 
Und 'nun glitzerten die Geister durcheinander. 
„Gebildet ist, wer ahnt, daß hinter den meisten 
Fremdwörtern ein brauchbarer Sinn steckt. — Bil- 
dung ist, zu wissen, daß es nichts Neues unter 
der Sonne gibt, aber dazu will das Alte eben ge- 
wußt sein. — Ach, was wir Bildung nennen, sind 
nur die fühlbaren Lücken in unserer Unkenntnis. — 
Nein, Bildung ist das am Wissen, was man nicht 
lernen kann, — Bildung ist, wenn man weiß, wie 
schwierig das ıst, was andere können. — Jeden- 
falls ergeben zwei Halbgebildete die sich zu- 
sammentun noch keine Bildung. — Der Gebildete 
hat den Schlüssel zu allen Türen der Wissen- 
schaft; deshalb behandeln ihn auch die Fachleute 
gem wie einen Einbrecher, — Bildung vermißt 
man häufiger bei anderen als bei sich; beim Geld 
ist das umgekehrt, das entbehrt man schwerer 
bei sich, als bei anderen: woraus folgt, daß 
Bildung eben nicht käuflich ist. — Gebildet ist, 
wer. das weiß, was wir nicht wissen, aber 


DER BLAUE ELEFANT 


In Ton gebrannt 

und leuchtend blau 

sah ich ihn bei der Tändlerfrau — 
o schönster Elefant! 


Jedennoch ich erwäge dies: 

das Blau ist doch wohl mehr Türkis: 
ihr wollt' es als ein Fehlbrand gelten, 
weshalb sie ihn mir billig ließ. 


Käufer und Händler leben in zwei Welten. 


Ich trug ihn fort 

und schenkt’ ihn dir: 

er zog mit uns von Ort zu Ort — 
nun leuchtet er uns hier. 


Er ist der Inbegriff des Blauen 
und wahrhaft himmlisch anzuschauen. 


Peter Scher 


561 


das sagt, was wir immer gesagt haben.” — — — 
So ging es hin und her. Dabei fiel dem Regie- 
rungsrat Julius die Geschichte ein von dem Schul- 
meisterlein in Hintersauffingen, Oberamt Rülpsin- 
gen, „Ernscht geheiße” Der wäre so gern gebil- 
det gewesen und klagte einem weisen Mann, der 
in Stuegert selbst wohnte, um andere zu lehren, 
genüge es natürlich, aber ihm selber genüge es 
nicht. 

„Bildung“, sagte der weise Mann, und griff nach 
dem Konservationslexikon, „Bildung war bei den 
Alten die körperliche Gestalt. Seit Justus Möser 
ist es die allseitige harmonische Ausbildung usw.” 
Da fuhr das Schulmeisterlein nach Hause und 
meyerte und brockhauste dort in aller Stille zwei 
Jahre lang. Nun konnte es Eleaten und Alöuten 
unterscheiden, Epistel und Apostel, Theorie und 
Tuerei. Nun wußte es Bescheid von Aberglauben 
bis Zweifel, Apfel bis Zankapfel, Auspuff bis 
Zwölffingerdarm, Erde und Himmel, A. bis Zwirn. 
Kurz, alles oder beinahe alles, weil die Konver- 
sationslexika bekanntlich, wenn Z erscheint, bei 
A schon nicht mehr wahr sind, 

„Bin ich nun gebildet?” fragte er den weisen Mann. 
„Sehr belesen“, sagte der. 

Da fuhr das Schulmeisterlein wieder nach Haus 
und begann zu schreiben über eines der wenl- 
gen Themata, in denen er noch Jungfräulich unge- 
kautes Neuland atmete: „Hat der Kaffernkult oder 
der Zweitaktmotor den bestimmenden Einfluß auf 
den modernen Gesellschaftstanz?“ Ein Thema 
übrigens, das Geisteswissenschaft, Technik und 
geselliges Leben versöhnte. Er hatte den ganzen 
Kopf- voll Fußnoten und wurde korrespondieren- 
des Mitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften. 
„Bin ich nun gebildet?” fragte er den weisen Mann. 
„Schrecklich gelehrt”, sagte der und wollte be- 
wundernd in dem Werk seines Gastes blättern, 
das er zur Hand hatte. Es war aber noch nicht 
aufgeschnitten. 

Da fuhr unser Schulmeisterlein zum drittenmal 
heim und setzte sich vor sein Haus und sah In 
den Wald — hinter dem beginnt die Welt — und 
abends in die Sterne — hinter denen beginnt die 
Ewigkeit. 

Und kam wieder zu dem weisen Mann: „Ja, nun 
sehe ich lauter Zusammenhänge und viel weniger 
Gegensätze. Nun habe ich alles verarbeitet und 
das meiste vergessen.” 

Sprach.der weise Mann: „Jetzt bist du wohl ge 
bildet.” 

Sprach das Schulmeisterlein: „Jetzt habe ich nichts 
mehr davon. Jetzt könnte Ich bei allem mitreden, 
aber ich schweige lieber.” 

„Dann freilich”, entgegnete der Weise, „bist du 
im Begriff, gleichfalls eln Weiser zu werden, Ich 
zum Beispiel (ich weiß nicht, ob ich dir das schon 
erzählte) bin das ohne jede Bildung geworden. 
Allein mit gelegentlicher Zuhilfenahme des Kon- 
versationslexikons, wenn Jemand fragen kam...” 


DER WÜSTLING 


VON EFFI HORN 


Die Frage, ob der lang- und rothaarige Bildhauer 
Wolderer ein Wüstling oder nur seines galliger 
Temperamentes wegen so dünn und grün sel, 
war in den Gesprächen des Ehepaares Klimp, zu 
dessen Freunden er gehörte, schon des öfteren 
erörtert worden, Herr Klimp, praktischer Arzt von 
Beruf und Psychologe aus Neigung, lehnte es 
tundweg ab, einem Mann, der rote Bartkoteletten 
trug und der Sparsamkeit wegen Wiener Würst- 
chen gleich imFrühstückskakao mitzusieden pflegte, 
irgendeine Wirkung auf Frauen zuzugestehen. Es 
möge Ihm, so gab er zu, vielleicht hin und wieder 
gelingen, eine kluge und aus Gründen des In- 
tellekts zugängliche Frau zu beschwatzen, nie 
aber brächte er es fertig, durch sein bloßes Auf- 
treten etwa das vielgesuchte „frische "junge 
Mädchen” zu bezaubern oder gar Weiblichkeit 
In größerer Menge allein durch das geheimnis- 
volle Fluldum tief verborgener männlicher Eigen- 
schaften zu fesseln. Frau Klimp dagegen, eine 
zarte, heitere und überaus wohlbehütete Frau 
von achtundzwanzig Jahren, wiegte vlelsagend 
den Kopf, als habe sie ihrem Mann eine große 
Fülle von Erfahrungen mit Wüstlingen voraus und 
sagte mit einem ganz kleinen Beiklang von 
Überlegenheit in der Stimme: „Leonhard, das 
mußt du schon uns Frauen überlassen. Dafür haben 
wir einen feinen Instinkt.” 

Herr Dr. Klimp kicherte daraufhin jedesmal zärt- 
lich, strich seiner Frau in leiser Rührung über das 
weiche blonde Haar und sagte: „Freilich, freilich, 
du weißt das natürlich viel — viel besser.” 

Frau Klimp wollte Jedoch In ihren Instinkten ernst 
genommen werden. Sie haßte diese Bagatelll- 
sierung Ihrer Menschenkenntnis und rief ihre 
Schwester Brigitte zum Zeugen auf, daß dem 
dünnen Wolderer, was Frauen anbatraf, durchaus 
nicht zu trauen sei, Brigitte stimmte glühend zu 
und vertraute Herrn Klimp beinahe flüsternd an, 
daß ‘Herr Wolderer eine Freundin haben solle, 
elne junge, viel jünger als er selber, die stunden- 
lang im Ateller welle. 

Das allerdings sei das untrügliche Merkmal des 
Wüstlings, versicherte Herr Klimp ernsthaft und 
sagte, er bedauere wirklich, den guten Wolderer 
bisher immer nur für einen mickrigen Miesepeter, 
nie aber für einen durch wüsten Lebenswandel 
Zermürbten gehalten zu haben. 

Ob er sich denn nicht erinnere, daß In Schillers 
„Flesco“ auch einer im Personenverzeichnis als 
„hagerer Wollüstling“ bezeichnet sei? wollte Bri 
gitte wissen. So einer, genau so einer nämlich, 
sei dieser Wolderer — und Ihr Schwager mußte 
sich seiner Vergeßlichkelt wegen rügen lassen 
da er sich weder an die Gestalt noch die Be- 
zeichnung des finsteren Gesellen zu erinnern 
vermochte, 

An Herrn Klimps Stammtisch, an dem auch Wol- 
derer hin und wieder auftauchte, um mit der 
Miene bitteren Weltschmerzes sich Rotwein mit 
viel Selterswasser einzuverleiben, teilte man all- 
gemein Herrn Klimps Ansicht über die Un- 
gefährlichkeit des langen Bildhauers für 
Frauen, Töchter und Schwestern. Männeı 
von rundlicher Wohlbeleibtheit versicher- 
ten sich gegenseitig, daß für derart aus- 
gemergelte Figuren Überhaupt keine Nach- 
frage bestünde, und andere, deren Schei- 
tel allmählich totale Formen anzunehmen 
begann, lachten über die völlige Veraltet- 
heit einer langlockigen Künstlererschei 
nung. Die Fräuen aber, voraus Brigitte und 
Frau Klimp, sahen durch solche Reden mit 
Recht sich selbst und ihre Erfahrung der 
Lächerlichkeit preisgegeben und kündeten 
daher laut den Entschluß zu selbständigem 
Handeln an. 

„Ich werde heute deinen Freund Wolde- 
ter besuchen, und zwar unangemeldet“, er- 
klärte daher Frau Klimp eines Mittags ihrem 


wohlwollend nickenden Gatten, der, erstaunlich frei 
von Eifersucht, sagte: „Tu das, mein Kind, tu das. 
Am besten morgens zwischen vier und fü 
sind die Wüstlinge am ungefährlichsten. 
Frau Klimp gab sich bedauerlicherweise die Blöße, 
„Warum?“ zu fragen, und bekam die Antwort, daß 
ein müder Löwe, besonders ein älterer, auch 
durch ein junges, fettes Zebra nicht vom Schlaf 
zur Jagd zu reizen sel. 

So erstieg also die hübsche Frau Klimp, nach- 
dem ihre Begleiterin Brigitte am letzten Straßen- 
eck zurückgeblieben war, mit leicht unbehag- 
lichem Gefühl die vier Treppen eines nicht eben 
stattlichen Hauses, die zum Atelier des Bildhauers 
führten. Oben. enizifferte sie mühsam etliche 
mehr als angegraute Visitenkarten, bis sie endlich 
die gesuchte fand: „Hans Wolderer, 15mal klin- 
geln.” In ihrer leisen Aufregung entging es ihr, 
daß die Anweisung einst einem dreimaligen 
Klingeln gegolten, witzige Besucher aber durch 
einen säuberlich aufgemalten Einser die Zahl um 
zehn erhöht hatten. Sie begann also pflichtschul- 
digst und mit Ausdauer in kleinen Abständen auf 
den Knopf zu drücken. Beim neunten Male ertön- 
ten drinnen polternde Schritte, des Bildhauers 
Stimme brüllte „Aufhören — ich bin doch nicht 
taubl” und ein kleiner Tonklumpen knallte dumpf 
an die Tür. Die erschreckte Besucherin blieb 
tegungslos stehen, nur der Zeigefinger drückte, 
in nachzitterndem Schreck, noch einmal ganz 
unbewußt aut den Knopf. „Biml” machte die 
Klingel. „Himmelherrgott!” jaulte es drinnen, dann 
wurde die Tür aufgerissen und Wolderer starrte, 
grün und grämlich, heraus. 

Frau Klimp setzte ein verlegenes Lächeln auf, 
das sie für unternehmend hielt. „Ich will auch mal 
sehen, wie ein Künstler haust“, sagte sie kühn, 
aber der jähe Versuch, ihrer freundlichen Blond- 
heit ein diabolisches Licht aufzusetzen, konnte 
schon beim dritten Wort als gescheitert gelten 
Frau Klimp blieb sozusagen im Vorfeld ihres 
Vamptums liegen. 

„Bittschön, kommen S’ halt herein”, sagte der 
Bildhauer und stieß mit dem Fuß einen kleinen 
polternden Klumpen beiseite, der gehorsam in 
eine Ecke rollte. Es waren letzte Hinterlassen 
schaften seines vor einem Jahr verstorbenen 
Dackels Lumpi die da verhärtet und versteint 
noch In kleineren Mengen das Ateller zierten. 
„Sie müssen die Unordnung entschuldigen”, sagte 
Wolderer ohne große Verlegenheit. „Aber ich 
habe niemand. der mir ein bißchen aufräumen 
würde.“ 

‚Sie sollten sich eine Frau suchen — oder ein 
paar Bräute”, scherzte Frau Klimp und hielt es 
für sehr listig, wie sie so ihre Schlingen auswarf 
Aber der Bildhauer schien das Lasso um seinen 
Hals durchaus nicht zu fühlen 

„Um Himmels willen, auch das noch”, sagte er 
und hob abwehrend die Hände. „Frauen stören so 
furchtbar, besonders wenn sie Ordnung machen...” 








DEIN BAUM: 


Dein Baum, Georg, ist schon ganz Gold. Ihm läßt 
die sondre Tracht der feingeprägten Blätter 
die frische Jugend. Stolz hält er im Wetter 
das leichte Laub am schlanken Leibe fest. 


Rings um ihn her, der mutig unter Föhren, 
hochragenden und finstern Fichten steht, 
dunkelt’s fast grüner nur. Doch langsam geht 
ein Wandrer fremd im Wald, noch kaum zu hören. 
RICHARD VON SCHAUKAL t 


562 


„Stör ich auch?“ fragte Frau Klimp nicht ohne 
Koketterie. 
Wolderer versicherte eiligst, daß sie ihm eine 
liebe Überraschung bereitet habe und daß er Ihr 
eine Tasse Kakao, seinen letzten sozusagen, an- 
bleten wolle. Frau Klimp aber erinnerte sich an 
die Wiener Würstchen und ein bißchen auch an 
den seligen Lumpi und dankte liebenswürdig. 
Sie sei, so behauptete sie, nur gekommen um 
ihn zu fragen, ob er vielleicht gelegentlich eine 
Porträtstudie ihrer Schwester machen wolle. 
Wolderer empfand darüber wenig Begeisterung 
und heuchelte auch keine hinzu. Er sei gerade 
mit einer Reitergruppe beschäftigt und so gar 
nicht auf Porträtarbeit eingestellt, sagte er, und 
hob dann da und dort ein feuchtes Tuch von 
kleinen Tonmodellen, die Frau Klimp mit höf- 
licher Neugier betrachtete. 
Sie suchte vergeblich nach Beweisen stiller Laster 
oder Spuren orgiastischer Lebensführung ringsum. 
Sie fand das Atelier vor allem kalt und ungemüt- 
lich und stellte einen auffälligen Mangel an be- 
quemen Sitzgelegenheiten fest, Auch vermißte 
sie weichfallende Samtvorhänge und jene dunkel- 
roten Bettbezüge, von deren schaurig schönem 
Reiz man ihr berichtet hatte bei der Beschrei- 
bung eines anderen Ateliers, darin ein türkischer 
Maler hauste. 
Schließlich stand sie mit einem überraschten 
„Aha“ vor den gewaltigen Formen eines riesigen 
Frauenkörpers, von dem Wolderer behutsam zahl- 
reiche Hüllen gelöst hatte. Er verzog dabel keine 
Miene,. Mit seinen wie stets grämlich herab- 
hängenden Mundwinkeln sagte er bitter: „Eine 
Fortuna.” 
Frau Klimp hatte sich die Glücksgöttin bisher 
etwas freundlicher, lieblicher und wohl auch ge- 
mäßigter von Format vorgestellt. Aber sie wagte 
nichts zu sagen und lächelte nur In zielloser, doch 
höflicher Vorhelßung. 
„Einen herrlichen Körper hatte das Weib”, sagte 
Wolderer versonnen und blickte trüb auf seine 
Fortuna. 
„Welches Weib?” fragte Frau Klimp zaghaft, 
„Die Berta. Ein Akademiemodell, das aber nicht 
jedem steht. Sie muß bei Laune sein.” Er lächelte 
ein klein bißchen und fast hatte sein schmerz- 
liches Gesicht dabei etwas Verschmitztes, fand 
Frau Klimp. Ach, sie wußte ja nicht, daß die 
Männer sich gegen sie verbündet hatten und 
Wolderer längst um den Zweck ihres Kommens 
wußte und nun ein wenig herumklimperte auf 
dem leicht verstimmten Klavier Ihrer blonden 
Seele. Das aber wußte sie, daß der Funke düste- 
ter Leidenschaft zumeist unter einer dicken Aschen- 
schicht zu glimmen pflegt und oft nur eines 
energischen Blasens bedurfte, um zu heller Flamme 
aufzulodern. Sie beschloß, ihren ganzen Mut 
daran zu setzen, das verräterlsche Feuer anzu- 
fachen. 
Als Wolderer ganz dicht neben ihr stand und sie 
leicht am Arm faßte, um ihr die für einen guten 
Blick auf die Fortuna nötige Wendung zum Licht 
zu geben, schmiegte sie sich ganz leicht an Ihn, 
stellte sich dann auf die Zehenspitzen und hob 
ihr zartes, rosiges Gesicht zu ihm empor. Dabei 
schloß sie die Augen und es läßt sich 
nicht sagen, ob aus ängstlichem Grausen 
oder im leisen Entzücken prickelnder Er- 
wartung. 
Als sie nach zwei Atemzügen die Augen 
wieder aufschlug und mit aller gebotenen 
Vorsicht dem Mann Ins Gesicht schaute, 
sah sie inmitten der roten’ Bartkotelletts, 
die wie der Strahlenglanz des Sonnengot- 
tes um seine Backen leuchteten, seinen 
» sonst bitterschmerzlichen Mund zu einem 
Lächeln leichter Rührung verzogen. 
„Ist Ihnen nicht gut, meine Liebe?" fragte 
er, aber sie wehrte, Jäh errötet, ab. Dabei 
hörte sie Ihn leise lachen und es war 
jenes Gekicher, das sie von Ihrem Mann 
her kannte, wenn er sie nicht ganz ernst 
nahm, und es hätte nur gefehlt, daß er ihı 
dazu übers Haar gestreichelt hätte. „Ich 


Das Engelkonzert - II concerto degli angeli 


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glaube, Sie sind ein verhinderter Familienvater 


und kein Wüstling“, murmelte sie, mehr zu sich 


als zu Ihm und schaute ihn nachdenklich an. 
„So, meinen Sie?" fragte der Bildhauer ironisch. 
„Und wie wünschen mich gnädige Frau?" 

„Als Wiener Würstchen — im Kakao gesotten", 
sagte sie grimmig. Da aber beugte er sich rasch 
zu ihr herunter, daß sie sein rotgelocktes Haupt 
ganz dicht vor sich sah, gab ihr einen leichten 
Kuß mitten auf den Mund und sagte: „Entschul: 
digen Sie, Sie sahen zu reizend aus — und ha- 
bens überdies verdient.” 

„Zu spät — ich glaub’s Ihnen nicht mehr‘, sagte 





jedoch Frau Klimp und ging lachend rasch auf 
die Tür zu. 

Während des Heimwegs antwortete sie wenig auf 
die stürmischen Fragen Brigittes. Ein wenig mit 
Vorsicht zu genießen sei er schon, der Wolderer, 
sagte sie nur. Nachdenklich aber erwog sie bei 
sich die Frage, ob sich wirklich ihr weiblicher 
Instinkt, ihr untrüglicher, ganz einfach der Dia- 
gnose des Herrn Dr. Klimp zu beugen und den 
dünnen Wolderer als magenkrank ‚und daher 
dünn und düster anzuerkennen habe? Sie war 
sich noch nicht darüber im klaren, als bei ihrer 
Heimkehr Herr Klimp den Kopf aus der Tür sei- 


563 


(Fr. Bilek) 


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nes Sprechzimmers steckte und heiter fragte: 
„Na, wie war's — gefährlich?" 

„er hat mich geküßt“, sagte sie kühn. 

Herr Klimp kam in ganzer Figur aus seinem Zim- 
mer. „Nanu?" sagte er überrascht und sichtlich 
gereizt. „Wie kommt er denn dazu, dieser lächer- 
liche Wüstling?" 

„Nimm’s Ihm nicht übel“, sagte Frau Klimp zu- 
frieden und gönnerhaft. „Er ist eben eine sensible 
Künstlernatur. Aber so schlimm, wie du ihn immer 
machst, Leonhard, weißt du, so schlimm Ist er 
nun auch wieder nicht. Dafür haben wir Frauen 
ein gutes Gefühll” 


Anerkennung (R.Kıtesch) 





„Ich lie —— be dich, ich lie —— — — be dich —— 
„Bravo, Meister, bravo, das macht Ihnen nicht mal 'n Harzer Roller nach!" 


Riconoscimento: "lo fi...a...mo; tl...a...mo...1„— "Bravo, Maestro, bravo! Nemmeno un canarino dell 'Harz canta come Voil,, 


564 


Vittorio Emanueles Traum 


tErich Schilling) 





Nero: „Hier hast du meinen Lorbeer, mein Lieber, denn mein Brand von Rom war 
nur eine Bagatelle gegen das, was du durch deinen Verrat in Italien zerstört hast!‘ 


Sogno di Vittorio Emanuele: Nerone: “Eccoti, caro, Il mio alloro, poich& il mio Incendio di 
Roma non fu che una bagatella in confronto di quanto didtruggesti tu In Italia col tuo tradimentol,, 


MEIN FREUND JOHANNES 


Johahnes zeigte mir einen wunderschönen Apfel, 
den er von selnem Onkel geschenkt bekommen 
hatte, Aber er schien mir dabel gar nicht so rich- 
tig erfreut und dankbar zu sein, 

Im Gegenteil: „So. ein alter Geizhals!” knurrte er. 
„Aber Johannes“, ermahnte ich ihn, „das solltest 
du doch nun eigentlich gerade nicht sagen. Wie 
kommst du zu einer so harten Beurteilung des 
gütigen Gebers?“ 


„Ich kenne ihn doch”, sagte Johannes, „Wenn er 
mir einen Apfel abgibt, dann hat er mindestens 
fünfzig geerntet. Und wenn er fünfzig geerntet 
hat, ist es doch gelzig, mir nur einen abzugeben. 


* 
Martin sammelte Altertümer. Mit wachsender Lei- 
denschaft. Schließlich stellte er sogar seinen Jähr- 


lichen Urlaub in den Dienst dieser Sucht. Er reiste 
dann kreuz und quer durch das Land, und wenn 


565 


er wieder heimkam, zeigte er uns schon am Bahn- 
hof voller Stolz seine neuesten Errungenschaften, 
Einmal war es wieder so weit, Er hatte uns seine 
Rückkehr angekündigt und wir erwarten ihn am 
Zuge. 

Strahlend kam er uns entgegen. Am Arme eine 
Dame, die, nun ja, also die meiner Meinung nach 
nicht so übertrieben reizvoll aussah. 

„Daß er seine Sammlung auch auf lebende Stücke 
ausdehnen würde, hatte ich Ja nun doch nicht er- 
wartet”, sagte Johannes. ), Bieger 


Im Wandel der Zeiten 


(K. Heiligenstaodt) 





„Nein, Ich versteh die Oma nicht: da sagt ste Immer, aus elnem Hemd kann man zwei Sommerkleider machen!" 


Col mutar dei tempi: “No, non comprendo la nonna: ella dice sempre che con una camlcla si possono fare due abltl da estatel,, 


566 


DRAMATURGIE IM HOFSCHACHT 


Es war eine große Stadt, In der Ich mich damals 
vorübergehend aufhielt, Mein Weg führte mich 
durch die abendlichen Straßen, in denen sich 
leicht quietschende Trambahnen dahinschoben. 
Autos hupten... Ich war sehr beeindruckt von 
der nervenaufpeitschenden Melodie der Groß- 
stadt, freute mich aber trotzdem, als ich in jenes 
etwas ruhlgere Stadtviertel kam, in dem man mir 
eine kleine Pension empfohlen hatte. Gedankenve: 
sunken ging ich durch eine In tiefem Dunkel gele- 
gene Gasse. Plötzlich fesselte mich ein auf einem 
wunderbar klingendem Flügel gespieltes Liebeslied, 
Es war mehr eine Serenade... Und dann sang ein 
Mädchen mit einer silberhellen Stimme geschwol- 
lene Versprechungen dazu, Es war eine himmel- 
hochjauchzende Angelegenheit. Aus dem Gesang 
des Mädchens ging einwandfrei hervor, daß es 
sich gern bereiterklären würde, einem Manne 
sämtliche Wünsche zu erfüllen, falls dieser ver- 
spräche, für alle Zeiten treu zu sein, Hierauf fiel 
eine sympathische Mönnerstimme — gewisser- 
maßen ein Tenor — ein, und das Ganze nahm die 
Form eines ausgesprochenen Duetis an. Sie mach- 
ten sich gegenseitig Komplimente, und einer ver- 
sprach noch mehr als der andere. 

„Wie dramatischl” dachte Ich und war durch einen 
großen Torbogen weiter vorgegangen, stand nun 
in einem finsteren Hofschacht — umgeben von 
hohen dunklen Häusermauern — und konnte hier 
alles viel besser verstehen als von der Straße aus. 
Aber dann war es ganz plötzlich vorbei mit der 
Musik, Ein Schrei ertönte, eine Tür fiel Ins Schloß 
und ein Klavierdeckel klappte herunter. „Du 
Dirnel” sagte ein Baß mit viel Eifersucht und 
Verständnislosigkeit In der Stimme. 

„Keine Beleidigungen, bittel” empörte sich der 
Tenor, Das Mädchen hatte inzwischen angefangen 
zu schluchzen. 

„Ach, du flennstl" schrie der Baß. „Erst singst 
du In meinem Hotelzimmer mit einem fremden 
Manne Liebeslieder, und Jetzt flennst du...i" 
Aha, dachte ich, ein Hotell Das mag ja noch 
techt Interessant werden! und trat dichter an die 
Houswand heran. Meiner Ansicht nach schien 
sich diese Szene Im ersten Stockwerk des Hotels 
abzuspielen. Ich beschloß, noch einen kleinen 
Augenblick zu verweilen, und erst heute bin ich 
mir im klaren darüber, wie indiskret wir Men- 
schen manchmal sind, 

Und wieder schrie das Mädchen... Diesmal etwas 
heftiger und beängstigender, Und der Tenor rie! 
„legen Sie augenblicklich den Revolver weg! 
Worauf der Baß zur Antwort gab, daß er gar nicht 
daran denke. „Hilfel” schrie das Mädchen. Ich 
glaubte den Revolverhahn knacken zu hören. 
Nun durfte ich"nicht länger warten. Zwei Men- 
schenleben befanden sich offensichtlich in Ge- 
fahr. Ich eilte.über den Hof der Straße zu und 
hörte gerade noch den Baß sagen: „Oh, das Tele- 
fon bedeutet absolut keine Rettung für Sie, die 
Leitung ist seit gestern durchschniiten, und außer- 
dem bin Ich im Rechtl” 

Auf der Straße stieß ich glücklicherweise mit 
einem Polizisten zusammen. „Siel" sagte ich 
außer Atem und hielt den Mann am Ärmel fest. 
„Kommen Sie sofort mit! Zwei Menschenleben 
sind in Gefahr, zwei sehr musikalische Menschen- 
leben!“ Der Polizist folgte mir auf dem Fuße. 
Ich führte den Beamten an jene Stelle, an der 
ich eben noch Zeuge einer unangenehmen Be- 
gegnung gewesen war. Aber wie verwundert war 
ich, als ich jetzt aus derselben Richtung wie zu- 
vor eine Kinderstimme fragen hörte: „Und das 
Ist unser Pappi, Mutti?" — „Ja, Liebling!” sagte 
die Mutter, die eine reine und sehr klangvolle 
Stimme hatte, 














Vortag und Druck: Knorr & Hirtk Kommandiigesellschaft, Münch 


Vorantworti, Schriftiel 
anstalten enge 


Walter Folt 
zugsprel 








k. München. — Der Simpilcissimus erscheint wöchentlich einmi 
Einzelnummer 30 Pf,; Abonnement Im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen werden nur zurückges 
Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 59. 


VON WILLI WEGNER 


„Siel” sagte der Polizist. „Es widerspricht ja den 
Erziehungsgebräuchen, daß kleine Kinder um zehn 
Uhr abends noch nicht im Bette liegen, aber daß 
da gleich Menschenleben in Gefahr sein sollen, 
leuchtet mir gar nicht ein.” Und dann ging er 
von dannen, Ohne Abschiedsgruß. Vollkommen 
amtlich ging er seines Weges; wie nach einer 
‚großen Pflichterfüllung. Ich eilte ihm nach, „Herrl” 
rief Ich. Als Ich auf die Straße gelangte, war er 
schon um die nächste Ecke gebogen. Sollte ich 
Ihm nachlaufen? Ich verwarf diesen Gedanken 
als unsinnig. Der Baß, der Tenor und das Mäd- 
chen schienen sich während meiner vorherigen 
‚Abwesenheit vertragen zu haben. Aber das mit 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Meinen Freund Albert finde Ich in der schmerz- 
lichsten Verfassung vor. 

„Was Ist dir?" fragte ich teilnahmsvoll, 

„Ich hatte heute Nacht einen furchtbaren Traum“ 
sagte Albert düster. „Denke dir; da hänge ich an 
der überfüllten Straßenbahn und trage meinen 
Flauschmantel über dem Arm. Plötzlich entfällt 
mir der Mantel, Ich springe ab, laufe zurück — 
mein Mantel war verschwunden.“ 
„Aber Albert”, versuche ich zu beruhigen, „es 
war nur ein Traum, du hast doch den Mantı 
„Woher doch“, antwortet mein Freund, „ich habe 
ihn nie besessen, Aber es war ein prachtvolles 
Stück, ganz auf Seide gearbeitet und mit großen, 
cremefarbenen Knöpfen.“ A. W. 





(6. Brinkmann) 


dem Kind, das leuchtete mir noch nicht ganz 
ein. Wie konnte sich das alles so schnell geändert 
haben. Aber so ist es eben im Leben: man ver- 
gißt, man verzeiht, man reicht sich die Hand, die 
man einst verschmähte und übersah, man lächelt 
und ist wieder glücklich ,.. 

Ohne daß ich es eigentlich gewollt hätte, stand 
ich wieder In dem finsteren Hofschacht an der 
dunklen Hausmauer. Ich kann nicht leugnen, daß 
ich an der Herkunft des Kindes interessiert war. 
Oh, wie enttäuscht war ich im ersten Augenblick, 
als keine Kinderstimme mehr, sondern ein schmel- 
zender Tenor sagte: „Ursula, ich liebe dich!” Und 
es folgte ein Dialog, der mein Herz schneller 
schlagen ließ. „Laß, Hansi" — „Ich kann nicht! Du 
mußt mich erhören, hörst du, Ursula, du mußt!" — 
„Nein, niemals, niemals! Immer wieder nein!" — 
„Dann werde Ich dich so lange bitten, bis du ja 
sagst, Ursulal" — „Nein, Hans, das darfst du 
nicht! Du vergißt, daß ich verlobt bin!” — „Ich 
wäre der glücklichste Mann auf der Welt, wenn 
auch du es vergessen würdest, Ursulal“ — „Hans, 
Hansl” — „Ursulal” — „Hans, Hans, Hanslll" — 
Und es war mir, als tromm. sie mit beiden 
Fäusten auf seiner Brust. Dann war es eine ganze 
Weile still, und Hans bekam eine Ohrfeige. — 
Und wo mochte das Kind seln? Ich machte mir 
sehr große Gedanken darüber, — Ob es Ihr Kind 
war, trotzdem sie ihren eigenen Angaben nach 
nur verlobt war? 

Als Ich noch über all das eben Miterlebte nach- 
dachte und bemüht war, mit mir selbst darüber 
einig zu werden, ob die Menschen gut oder 
schlecht seien, öffnete sich neben mir eine große 
Doppeltür und im Nu lag der Hof In hellem Licht- 
schein. Durch die große Doppeltür drängten sich 
Massen von Menschen Ins Freie, „Ein schöner 
Film!” sagte Jemand. Ein anderer meinte zu sei- 
ner Begleiterin: „Ein ziemliches Durcheinander 
wars schon, nicht?" 

Kurzerhand schloß Ich mich einem rothaarigen 
Backfisch an und ließ mir den Film von Anfang 
bis zum Ende erzählen, da Ich nicht für halbe Sa- 
chen bin 




















u... sollte nicht binnen 8 Tage Ihre Rechnung folgen, 
sehe Ich mich zu meinem Bedauern gezwungen ...!" 








mdlinger Straße 38 (Fornruf 129), Brlefenschrilt: München 2 
Bestellungen nehmen alla Buchhandlungen, 


„qualora entro 8 giorni non seguisse Il vostro conto, con mio dispiacere sard costretto a ...1,, 






lach. 


Ntungsgeschäfte und Post. 
1, wenn Porto beillegl. — 








), Erfüllungsort München, 


(#. Thoay) 


DIE ERSTE NACHT = VORN 


Nacht! 

Wind hat fich aufgemacht, 

Schüttelt den Regen aus Blättern und Zweigen - - 
Wir rücken zufammen im Zelt, 

Schmelgen. 

Bis einer, - wir Ipüren, tie er den Atem anhält 
Und laufcht und laufcht - - 

Bis einer dann plößlich Ipricht: 

»Hört ihr das nicht? 


Das Ift kein Wind, der da raufcht - 
Das ift - -« Er verftummt. 

Wie ein giftiger Nachtfalter lummt 
Ein Flugzeug über uns fort, 
Leuchtkugeln fchrmimmen 

Über gefpenftifchen Wäldern dort - - 


Dann aber hören auch mir unheimliche Stimmen: 


Ein Orgeln und Jaulen und Pfeifen - 
Wummi 


568 


Wir hocken krumm 
Und zufammengeducht, 
Ehe mir dunkel begreifen -: 
Die Front! 
Ein Nachtjäger Ipucht 
Gelbe, grüne und blaue Leuchtipurftreifen - - 
Und dann nur wieder der Regen aus Blättern und Zweigen, 
Der über uns kommt - 
Und Schmwelgen. 
Herbert Leftiboudols 














München, 3. November 1943 . 
48. Jahrgang / Nummer 44 30 Pfennig 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





In Süditalien 


(Erich Schilling) 








„Diavolo, die Burschen saugen mir den letzten Tropfen aus dem Leib!‘ 


Nell' Italia Meridionale: “Diavolo! Questi due garzoni mi suggono via fino |" ultima goccia dal corpo!,, 


Amor saust vorbei... - Amore trasvola veloce 


(Ir Bllek) 





BEGEGNUNG 


Gestern traf ich mich an der Straßenbahnhalte- 
stelle. Obwohl Ich mich lange nicht gesehen hatte, 
erkannte Ich mich doch sofort an der schlechten 
Laune, die mir aus allen Falten meines ge- 
rade dem Luftschutzkoffer entnommenen zu weit 
gewordenen Mantels — sagen wir mal — ent- 
gegenlachte. 

Ich wußte, daß es nicht geraten sei, mich jetzt 
anzureden, Andererseits hielt ich es doch für höf- 
lich, mich anzusprechen, denn was hätte ich 
sonst von mir denken sollen, wir kannten uns 
doch schon so viele Jahre, oder glaubten uns 
wenigstens zu kennen. 

Ich grüßte also mürrisch, wie man jemand grüßt, 
den man an einer Straßenbahnhaltestelle gar nicht 
übersehen kann. 

„Wie geht's”, fragte ich, „Ausgezeichnet“, erklang 
die Antwort, „aber das werden Sie ja selbst am 
besten wissen.” „Natürlich, natürlich, meine Frage 
sollte keineswegs Indiskret sein, sie sollte nur zur 
Anknüpfung eines Gespräches dienen. 

Ich hätte Sie Ja gleich fragen können, was Sie 
das letzte Mal für den Kaffee bezahlt haben und 
wie es mit einer fetten Ga..." 

Da kam ich aber bei mir schön an. Ich erwiderte 
mir ziemlich gereizt: „Das geht Sie alles einen 
Dreck an. Übrigens wissen Sie ja wohl, daß solche 


Gespräche, wenn auch nicht gerade unzulässig, 
so doch inoportun sind, zumal, da sie auf Hand- 
lungsweisen deuten.“ 

Jetzt konnte ich's mir geben: „Ahd, Inoportun. 
An diesem flaumweichen Ausdruck erkenne ich 
Sie sofort, ein typisch weiches Wort für eine harte 
Sache. Sie sollten überhaupt die Dinge beim rech- 
ten Namen nennen und nicht wie die Katze um 
den heißen Brei.. 
Da aber wurde der Angeredete wirklich böse. 
„Herr“, sagte ich zu mir, wie es niemand zu 
einem andern sagt, sondern wie man es nur ge- 
legentlich schreibt. „Herr, Sie vergessen anschei- 
nend, wen Sie vor sich haben. Sie haben es hier 
mit dem ausgewachsenen Mitglied der Schrift- 
tumskammer zu tun, und was jedem Mitglied 
einer Organisation billig Ist, sollte auch einem 
Schriftsteller recht sein. Haben Sie nicht schon 
so und so oft eins hereinbekommen, wenn Sie 
über einen Friseur, oder einen Musikallenhändler, 
oder einen Bazillenträger, oder sonst einen an- 
ständigen Menschen sogenannte Witze gemacht 
haben? Hat nicht sofort der Obmann dieser Leute 
Krach geschlagen? Und nun wagen Sie gegen das 
Mitglied der Schrifttumskammer Dinge zu sagen, 
die mit Leichtigkeit jeder Jurist als gegen die 
Berufsehre gerichtet nennen könnte? Machen Sie 
keine Ausflüchte, und behaupten Sie womöglich, 
sie dürften sich selbst beleidigen, so oft Sie woll- 
ten. Nein, mein Lieber, Sie sind geschützt, auch 





570 


gegen sich selbst. Machen Sie lieber keine so- 
genannten Witze über sich.” 

Ich hatte ja gewußt, daß es nicht praktisch war, 
mich heute anzureden. Ich grüßte bescheiden, 
und entfernte mich von mir. Walter Foitzick 


Gelpräch um ein Reitpferd 


Du mwillft das Roß. So nimm co hin, 

und laß eo nicht Im Stalle ruhn. 

Es Ift das Roß von einer Tänzerin. 

Noch fiehft du Silberftaub von ihren Schuh'n, 
und aus der Mähne duftet es nach Aletun. 


Und wenn du mit ihm fprichft, es kennt 
fich nur in mohlgeformten Lauten aus, 
mie ihre Freunde Iprechen, im Akzent 
der Künftler aus dem Schaufpielhaus. 
(Sie ritten oft mit ihr im Flirt hinaus.) 


Der Bredenfteiner legte ihm das rote Tuch 

um feine fchlanken Feffeln an. 

Die leuchten heute wie ein Feuerflug 

durch Weg und Park, das Feld hinan. 

Auf diefem Roß bift du ein froher Mann. 
Albert Hiemer 


Zum britischen Löwen 


(0. Gulbransson) 








oun? Aurnnansson Ha 








„Kann ich hier noch unterkommen, Marschall?" — „Nur herein, Majestät, wir sind schon alle da!" 
Rifugio presso il leone britannico: "Maresciallo, c' & posto qui anche per me?,, — "Avanti pure, Maestä! Glä siamo tuffl quil,, 


571 


Amerikanisches Tempo in Italien 


(E. Thöny) 














„Und dazu hat man tausend Jahre gebraucht? Lächerlich, das machen wir in ein paar Minuten!‘ 


Velocitä americana in Italia: "E per clö ... occorsero mille anni? E da ridere! Nol lo facciamo In due minuti!,, 


572 


Apollo und 


LIED IM 


Daphne - Apollo e Dafne 


SCHUTT 


VON HANS LEIP 


Und als ich über die Brücke kam, 
Schutt, nichts als Schutt, 

als ich über die tote Brüche kam, 

da ftand mein Vater und drohte mir, 
als wollte er fagen: Das dank ich dir! 
Und fuchte und fuchte, was er nicht fand, 
und hob gegen mich die alte Hand, 

der Ich im Wege ftand. 


Und als Ich über die Straße kam, 

Schutt, nichts als Schutt, 

als ich über die tote Straße kam, 

da Stand meine Mutter und fah mich an, 
und fah mich an und feufzte dann 

und ging in den Trümmern hin und her 
und fuchte das Haus und fand es nicht mehr 
und meinte fehr, 


Und als ich über den Tormeg kam, 

Schutt, nichts ale Schutt, 

als ich über den toten Torweg kam, 

da and mein Iruder und lachte mich aus 

und war von den Flammen ganz klein und kraus 
und fang von unferer Kindheit ein Lied, 

von der -Zeiten Glück und Unterfchied 

ein trauriges Lied. 


Und als ich über den Garten kam, 
Schutt, nichts als Schutt, 

ale ich über den toten Garten kam, 
da ftanden meine Schwertern, drei, 

und fragten, ob ich es wirklich fei 

oder nur die Vergangenheit, 

und trugen alle ein fchivarzes Kleid 
wegen der toten Vergangenheit. 


Und als ich über den Schulhof kam, 

Schutt, nichts als Schutt, 

als ich über den toten Schulhof kam, 

da ftand mein alter Lehrer fo grau 

und mußte Das Gute und Böfe genau 

und wies mit dem Finger nach hier und dort 
in der Menfchheit Irrfinn und Brand und Mord 
und fand kein Wort. 


Und als ich über den Kirchplats kam, 

Schutt, nichts als Schutt, 

als ich über den toten Kirchplat kam, 

da ftand am zerfchmetterten Turme gebücht 
meine Liebfte und hatte ein Kränzlein gepflückt 
aus verkohltem Gebälk und zerborftenem Stein 
und lächelte felig und lud mich ein, 

ihr Bräutigam zu fein. 


573 


(K. Rössing) 





Und als ich über das Ufer kam, 

Schutt, nichts als Schutt, 

als ich über das tote Ufer kam, 

da fah ich mich felber am Warffer ftehn 
und fah mich felber von dannen gehn 

fo leicht, fo frei, fo ohne Belchwer 

und glaubte es nicht und ging hinterher, 
als ob es im Traume wär. 


Und als ich über die Ferne kam, 

Schutt, nichts als Schutt, 

als ich über die tote Ferne kam, 

da fah ich die tote Stadt von fern 

und fah fie aufleuchten wie einen Stern 
und fah ihre Not und Trübfal vergehn 
und fah die Erfchlagene auferftehn 
Ichöner als je ich gefehn. 


Welchen Ruhm und Preis 
forderft du, unerforfchliches Walten? 
Wie weit 

find wir gekommen, 

mas haft du uns genommen, 
Ungeheuerlichkeitt 

Bift du noch das Emige Licht? 
So mach uns wieder jung! 

© fchmales grünes Reis, 

das unfere Hände halten, 
melke nicht, 

Hoffnung! 


Programm 


{R Krlesch) 





„Sag', Alex, hättest du nicht auch für mich ein wenig Zeit?" 
„Freilich, du kommst sofort nach den ‚Tauschanzeigen dran!“ 


Programma: »Dimmi, Alessandro, non avresti un po’ di tempo anche per me?,, — "Certo; tu vieni subito dopo le inserzioni di scambio!,, 


574 


DIE GSESCHICHTE -EINERSNACHT 


Am Freitagabend, gleich nach neun Uhr, geschah 
es, daß dem C-Trompeter Josef Trinkel das Weib 
auf und davon lief. 

Die Laubsägeuhr hatte kaum ausgepinkt, da war 
sie auch schon draußen und warf ihm die Türe 
zurück, daß die Küchenwaage im Luftzug federte. 
Und Jetzt, als er allein im schwindsüchtigen Licht 
der Küchenlampe saß, wußte er nur, daß sie nun 
fort war, daß seine Maria ihn verlassen hatte. 
Der Schlag der Tür hatte ihm auf eine kleine Weile 
alles was vorher geschah, wie mit einem Brot- 
messer abgeschnitten. Er hlelt nur das Ende eines 
Fadens in der Hand, eine kleine Schlinge — an 
die man einen Ehering hängen konnte... 
Plötzlich riß es ihn in die Höhe. Erlief zur messing- 
nen Türklinke und berührte sie, als ob sie noch 
etwas Wärme von ihreı Hand aufgespart hielt. 
Aber sie war kalt, kalt war sie, wie die Klappen 
seiner C-Trompete bei einer Grabmusik im winter- 
lich verschneiten Kirchhof. 

Da er zurückging, sah er neben der Kohlenkiste 
die Scherben seines Suppentellers. — Ja, den hat- 
ten sie zusammen drei Tage vor der Hochzeit In 
einem Vorstadibasar gekauft. Und Jetzt zog die 
Zeit zwischen jenem Augenblick, wo das Laden- 
fräulein den Teller aus dem Packstroh zog — und 
dem gegenwärtigen Anblick wie ein bemaltes 
Band vorüber. 

Sie liebten beide diesen Teller. Und sie aßen zu- 
wellen nacheinander — nur damit jedes aus die- 
sem Porzellan löffeln könnte Auf seinen Grund 
war der Einzug in das „Gelobte Land” gemalt. 
Wenn Erbsensuppe in diesem Teller lag, dann 
mußte man länger essen — bis dies Land der Ver- 
heißung mit Trauben, Weinbergen, mannshoher 
Saat und saftreifen Früchten durch die Suppe hin- 
durchschien. Bei Fleischbrühe mit Broteinlage 
fischten sie zuerst die Schnitten heraus, damit in 
der Tiefe Ihnen das Paradies durch die mageren 
Fettaugen entgegenleuchtete... Ja, manchmal 
war der Teller schon leergespeist und Maria löf- 
felte In gewollter Täuschung weiter — über die 
bunten Früchte hin, empfand ihren Geschmack und 
weidete sich an ihrer Billigkeit 

Und heute kam Trinkel, wie so oft, von einer 
Hochzeitsmusik nach Hause. Da hatte er mit seiner 
Kapelle, die aus Walohorn, Klarinette, Bombardon 
und seiner C-Trompete zusammengesetzt war, zum 
erstenmal das Abschiedslied des Trompeters von 
Säckingen gespielt. Seine Maria hatte ihm dazu 
die Noten abgeschrieben — aber falsch. Ein paar- 
mal war sie mit dem Notenkopf in eine höhere 
oder tiefere Tonlinie hineingeraten und Josef 
splelte sie vom Blatt in aufschreiender Dissonanz 
in seine Trompete und von da aus in die Ohren 
der Hochzeitsgäste hinein. Die quieksten auf wie 
Hunde, wenn man sie auf den Schwanz tritt... 
Wie Trambahnen an scharfen Kurven heulten siel 
Und statt der Tränen der Rührung, die auf dieses 
Lied hätten folgen müssen, erschallten Lachsalven. 
Josef glaubte auf einem fahrenden Karussell zu 
spielen. 

Alles drehte sich vor seinen Augen im Kreise. Die 
Notenköpfe flogen allesamt wie scheugewordene 
Vögel von den Telegraphendrähten aus der Linia- 
tur, die Melodie zerfloß Ihm wie Wasserfarben zu 
musikalischem Kehricht, der Takt bekam Kurzschluß 
— und Josef Trinkel hatte nur mehr die Kraft, 
gleich einem ausgepfiffenen Komödianten aus dem 
Saal zu laufen, Hutlos, die Trompete unterm Arm 
und das verschriebene Notenblatt wie eine gif- 
tige Natter In seine Faust gepreßt — so rannte er 
daheim vor sein Weib hin, die gerade den gemal- 
ten Teller mit Suppe auf den Tisch stellte, 

„Was hast du mir denn für einen Dreck zusammen- 
geschrieben?" 

„War etwas falsch daran..?” 

„Falsch..? Daß Ich nicht wieherel Ein Auswurf 
von Unsinn war’s,.| Eine Schande und ein Ge- 
lächter. .1" 

„Und wurde es bemerkt,. ?" 

„Du Schaf..! Ein Angullotti hätte Musikgehör 
genug gehabt, um diese Rülpser zu hören... |” 
„Josef, jetzt Iß deine Suppe '. | Das Gelobte Land 
wird dir.. 1% 


VON ERNST HOFERICHTER 


„Ich pfeif dir auf dein — — Kreuzteufelhimmel .. 1" 
Und schon hielt er im gleichen Krampf, der die 
Notenblätter preßte, den Suppenteller — und 
weil Milzsuppe, schiefergraue Milzsuppe darin 
schwamm, war der aufgemalte Einzug ins Gelobte 
Land verdeckt. 

Und vielleicht hätte es Kraft genug gehabt, ihn 
vor dem Furchtbaren zurückzuhalten, das nun ge- 
schah... 

Josef sah nur die graue Brühe, die sich mit der 
Schieferfarbe seiner Wut deckte — und schon 
schleuderte er Teller und Suppe gegen die Koh- 
lenkiste, daß Marla wie vor einem zündenden 
Blitzstrahl aufschrie — — — 

„Jetzt hast du unser Gelobtes Land in Scherben 
geworfen... I" 

Josef brütete in der befreiten Wut, Über die Stein- 
kohlen rann die Milzsuppe als warme Lava und 
die Porzellansplitter des Paradieses lagen wie 
feindlich aufgeteiltes Land auseinandergestreut. 
Er bemerkte kaum mehr, wie Marla aus der Küche 
lief, 

Nur den Schlag der Türe vernahm er immer und 
immer wieder in so schneller Folge, daß er wie 
ein Trommelfeuer In seinen Ohren lag. 

Voll vom Entsetzen .der Verlassenheit stellte er 
sich in die Mitte des Raumes und rief ihren Na- 
men. Aber wie klang der jetzt so ganz anders als 
sonst, da sie selbst in der Küche stand und Ihn 
auffing! Nun flog der Schall wieder tot in seine 
Brust zurück — und er fühlte, wie sie immer weiter 
und weiter von ihm fortlief, immer wieder Türen 
zwischen Ihm und ihr zuschlug und doch immer 
kostbarer in ihm anwuchs — je ferner und un- 
wiederbringlicher sie wurde. 

Vor seinen Augen rollte ein Stadtplan nieder, auf 
dem seine Küche mit der Kohlenkiste groß und 
wichtig wie ein Dom eingemerkt war. Und Maria 
lief jetzt In seiner Vorstellung nach Irgendeiner 
Richtung, überquerte Straßen und Plä'ze — und 
er wünschte alle Wagen, Radfahrer und Automo- 
bile der Erde vor ihren Weg, damit sie wenigstens 
eine kleine Weile zurückgehalten werde. Dann 
fühlte er sich Ihr wider um ein Kleinstes näher, 
hörte den Klang Ihrer Stimme und spürte die 
Buchtwärme ihres Mundes. Aber als er die Arme 
umschlingend ausstreckte, umfing er nur die leere 
Luft und die hoffnungsvolle Stille dieser Nacht... 


Sind wir nicht diewahren Weisen? 


Viele goldne Sterne stehen, 
Und ein jeder kann sie sehen, 
Allen leuchtet schön ihr Licht. 


Allen ist der Wein gegeben, 
Jeder kann den Becher heben, 
Doch ein jeder tut es nicht. 


Sind wir nicht die wahren Weisen, 
Die den Wein, die Sterne mögen? 
Ob am Himmel Engel flögen — 
Jene andern säh’n es nicht, 

Höben nimmer ihr Gesicht! 


Hab’ ich recht nicht, wenn ich meine, 
Daß sich Erd’ und Himmel eine, 
Oben, unten sich verflicht, 

Wenn der Stern sich in dem Weine 
Spiegelt, und „Da bin ich!“ spricht? 


Laßt mich Wein und Sterne preisen 
Im Gedicht! GEORG BRITTING 


575 


Dann aber tat ernoch dies: Scherben um Scherben 
des zerschlagenen Tellers sammelte er in seine 
kohle Hand zurück und versuchte_das Bild, über 
dem sie so oft schon zusammen gelächelt hatten, 
wieder zum Geiobten Lend aneinanderzufügen 
So sehr er aber verschob, auswechselte und um- 
legte — den Trauben fehlten die Stiele und sie 
hingen In der Luft. Die Männer blieben ohne 
Köpfe, Priester ohne Hände und die Sonne, die 
alles erwärmen sollte, war als Staub in der Koh- 
lenkiste zurückgeblieben... 

Indessen fielen Kilometersteine in seine Sehn- 
sucht hinein, Richtungen bogen sich in ihr Gegen- 
teil um, oft lief sein Weib in seiner Vorstellung 
im Kreise oder gar zwei und drei entgegen- 
gesetzte Wege gleichzeltig... Und die Nacht 
draußen wurde Immer schwärzer und dicker. Nur 
mehr Säbelhiebe konnten sie zerstückeln..| Sie 
war hart und undurchdringlich wie eine Hofmauer 
geworden. Und Josef lächelte darüber... Diese 
Nachtwand kann kein Welb durchrennen..| Und 
eine glasklare Frage :ichtete sich in ihm wie ein 
Wegwelser zwischen Irrlichtern in die Höhe: 

Wo wird sie hinwollen,.? Irgendwohin muß sie 
wollen .| Ein laufender Mensch hat immer ein 
Ziel... auch In tintenschwarzen Nächten gibt es 
Endpunkte, offene Türen, helle Lampen und Tür- 
klingeln ...ı 

Josef Trinkel hatte drüben In der Johannisvorstadt 
einen Bruder, mit dem er aber InFeindschaft lebte 
weil er ihm seinen Kanarienvogel und ein holz- 
geschnitztes Kruzifix widerrechtlich zurückbehal- 
ten hatte. Nur seine Frau besuchte Ihn dann und 
wann an Sonntagnachmittagen, um auf der Nöh- 
maschine seiner Schwägerin die Flickarbeit der 
Woche zu erledigen... Dort wird sie sein... Da 
such’ ich sie auf.., jetzt gleich. . da find Ich sie 
wieder. ° 

Er freute sich, einen Ort zu wissen, wo er In- 
zwischen hindenken konnte. Da wollte er Tränen 
der Verzeihung in Ihren Schoß weinen, Innig wie 
die Bitten eines Nachtgebets. 

Und so umfing ihn schon der Jubel der Versöh- 
nung, so erstrahite er schen Im rosigen Freuden- 
aufgang, daß die Gewohnheit sonstiger Abendo 
ihn ergriff — wo er zu Tanzmusiken aufbrach, Und 
wie zu solcher Stunde, so schob er auch jetzt 
ganz mechanisch seine C-Trompete in den schwar- 
zen Insttumentenüberzieher, steckte sich gedan- 
kenlos wirbeinde Walzer und stamptende Relter- 
märsche in die Taschen — und ließ diesem Tun 
entgegen die Lampe brennen, In der grünenden 
Hoffnung, sogleich wieder mit seiner Maria zu- 
rückkehren zu können. 

So ging also der Trompeter Josef Trinkel schwer 
von Gewißheit die Treppen hinauf und wußte, daß ' 
er nur ausging, um voll Leuchten wiederkommen 
zu können... 

Häuserwände, Laternenpfähle 
schwarzer Himmel waren nebensächlich' wie 
Theaterkullssen geworden. Die Bogenlampen 
schaukelten wie streunende Katzenaugen übers 
Pflaster und ein mitternächtiger Wind miaute 
für sie. 

So stand er bald vor der schattenhaft aufgetürm- 
ten Mieiskaserne, In der oben im vierten Stock 
die Familie seines Bruders wohnte. Als er die 
Stufen seines Feindes emporstieg, war es Ihm 
aber in dieser Nacht, als schreite er über die 
samtenen Treppen eines Hochaltars. Denn vor ihm 
mußte auch Marla mit ihren Sohlen dies ausge- 
tretene Gehölz betreten haben... Ja, er hörte 
das Knarren ihrer Stiefel heraus, verspürte von 
Stockwerk zu Stockwerk mehr Wärme — und flog 
der Haustüre wie einer strahlenden Sonne ent- 
gegen. 

Jetzt stand er auf dem Fußabstreifer, drückte auf 
die Klingel und es war ihm, als würde er damlt 
schon ihren Namen durch die Türe rufen. Er ging 
in Gedanken diesem Läuten nach, stellte fest, 
wann es ihr Ohr Ireffen müßte und wie sie sich 
auf dem Stiefelabsatz wenden würde, um nach 
der Tür zu eilen, ihm zu öffnen. 

Es kam nichts Sie hatte ihn wohl nicht gehört, 
weil sie vielleicht in diesem Augenblick eine 





und bahrtuch- 





Schublade aufzog oder einen Stuhl rückte oder 
an das Zerspringen der Tellerscherben dachtel... 
Er läutete ein zweites Mal... Aber nur Stille, lang- 
hingestreckte Stille antwortete mit Stummheit. 
Niemand zu Hause? Auch der Bruder mit Kind und 
Kegel fort?... Vielleicht war auch Maria, so wie 
er jetzt, vor dieser Türe gestanden, hatte gewar- 
tet, geläutet und wieder gewartet, um endlich, 
‚des Wartens müde, wieder in die finster verpackte 
Nacht hinauszurennen.. ? 

Oder schliefen sie da drinnen alle schon? Maria 
am Sofa, das Ohr über den aufgedruckten See- 
rosen?... Er horchte durch den Türspalt, durchs 
Schlüsselloech — am Briefkasteneinwurf... Da 
hörte er den Kanarienvogel singen, den der Bru- 
der ihm zusammen mit dem holzgeschnitzten Kru- 
zifix mit falschem Recht abgerungen hatte. Und 
die brütende Stille der Nacht, aus der jetzt der 
Vogel mit seinem Singen Formen ausstach, die 
wie Weihnachtsbäckereien anmuteten, verdrehte 
und verrückte alle Wünsche In Josefs Seelen- 
schrank zu lästerlichen Gesichten. 

So ersehnte er sich — der holzgeschnitzte Chri- 
stus möchte herabsteigen vom Kreuze und den 
Kanarlenvogel mit Zeitungspapier zudecken, da- 
mit sein Singen aufhöre — und er dafür das Atmen 
seiner schlafenden Marla besser vernehme... 
Oder der Heiland möchte herabkommen, um ihm, 
dem C-Trompeter Josef Trinkel, von Innen die Tür- 
klinke zu drücken und die Sperrkette auszuhängen, 
damit er selbst durch alle Wohnungsgerüche hin- 
durchstürmen und seine Entlaufene suchen könnte, 
Und wie er so dastand, fiel es ihm plötzlich ein, 
daß er seine Trompete bei sich hatte, Und well 
kein Rufen durch den Türspalt helfen wollte, blies 
er eine mächtige Fanfare durch das Schlüsselloch. 
Das müßte sie hören..| 

"Aber immer wieder kam nichts als Stille, qual- 
volle Stille als Echo zurück, Nur In den unteren 
Stockwerken öffneten sich die Wohnungstüren. 
Schläfrige Flüche, mit Traumfetzen umhäöngte Vi 
wünschungen flogen an des Musikanten Ohr... 
Er hielt sich stille und die Türen schlossen sich 
mürrisch. 

Alle Hofinung war aus ihm wie aus einem lecken 
Faß entlaufen. Auf den Zehenspitzen schlich er 
sich am Geländer Tıeppe um Treppe hinab und 
die Nacht fiel draußen wie der Vorhang einer 
Gruft über Ihn her. 

Nur damit er ihren Namen mit einigem Sinn sagen 
konnte, streichelte er die Mauervorsprünge der 
Parterrefenster und nannte sle „Maria’. Entlaufene 
Hunde, die am Rinnstein entlang streunten, redete, 
er mit ihrem Namen an, damit er Gelegenheit 
hatte, ihn auszusprechen.“ 

An einer Straßenkreuzung begegneten ihm zwei 
patrouillierende Schutzleute. Und wie nach einer 
Hausnummer fragte er sie nach dem Verbleib 
seines Welbes. 

„Ist sie Ihnen davon. .?” 

„Ja — ich habe unser Gelobtes Land in die Koh- 
lenkiste geworfen...” _ 

„Leber Herr, Sie sollten weniger getrunken 
haben ..! Besoffen sind Sie, das Ist alles .1” 
„Ich habe ,.. habe keinen Tropfen getrunken, ich.. ” 
„Das sagen sie alle...” 

„Ich schwöre es Ihnen: os war wegen des Gelob- 





(M. W. Busch) 


ten Landes im Suppenteller.,! Jetzt liegt es in 
der Kohlenkiste...“ 


„Sie sind verrückt, total plemplem... Schlafen 
Sie zuerst Ihren Rausch aus..I" Und gingen 
welter. 


Vielleicht bin ‚ich wirklich verrückt..! fragte er 
sich unsicher und Angstschweiß regnete über 
seine Stirne. Um sich seiner Klarheit zu vergewis- 
sern, sagte er sich sein Geburtsdatum her, buch- 
stabierte den Namen seines Unteroffiziers, voll- 
brachte eine Kopfrechnung, zählte die größten 
Flüsse Deutschlands auf, examinierte sich in den 
Zehn Geboten Gottes und erinnerte sich der Spei- 
senfolge zu seinem Hochzeitstag. 

Inzwischen war der Morgen mit seinem ersten 
apfelgrünen Schein über die Dächer gestiegen. 
Spritzenwagen fuhren an ihm vorbei und begossen 
seine Stiefel wie Blumenstöcke. Josef glaubte 
über einem Wasser zu wandeln, so schwamm er 
auf seinen Sohlen. 

Am Wochenmarkt öffneten die Gemüsestände 
ihre Augen. Metzgerkarren sprangen mit rauchen- 
dem Fleisch über die Trambahnschienen, Bäcker- 
lehrlinge und Zeitungsfrauen rannten mit back- 
warmen Semmeln und letzten Telegrammen um 
die Wette... Aus Nacht und Dunkel war ein neuer 
Tag gemacht., 

Aber er war für Josef keine Helle und kein Trost 
Jetzt war seine Not nur noch sichtbarer gewor- 
den, jetzt lag alles in noch handgreiflicher Klar- 
heit vor ihm da... 

Aus einem Obstkorb lachten ihm in aller Wirklich- 
keit jene Früchte entgegen, die auf dem zerschla- 
genen Suppenteller nur aufgemalt waren. Er er- 
stand sich eine Tüte voll — aber nicht aus hung- 
rigem Gelüste, sondern nur, um dem Erlebnis, wie 
er mit Maria über den gemalten Früchten saß, 
näher zu sein. Da aber verspürte er es, daß ge- 
maltes ungenießbares Obst im Jubel der Liebe 
viel schmackhafter sein kann, als die Früchte der 
Wirklichkeit, wenn sie nicht mit Liebe gewürzt 
werden... 

So saß er in all seinem Jammer mit angebissenen 
Äpfeln, Birnen und der C-Trompete in der Sonne 
am Obststand. Warm legten sich die morgen- 
Jungen Strahlen auf das Mundstück des Instru- 
ments, als wollten sie ihm einen Trauermarsch zu 
seinem Elend spielen. 

Ja, Josef hörte eine tieftraurige Melodie aus sei- 
nem Herzen herauskommen, das wie eine schlecht 
aufgezogene Spieldose pinkte, Und er erhob sich 
mit seiner letzten Kraft und wankte zu dieser 
müden Melodie seiner Straße und seinem Hause 
zu, nur um wieder die Scherben sehen zu können, 
nach denen er Zeltlang hatte wie nach einer 
Heimat. 

So war er noch nie die Stiege zu seiner Behau- 
sung emporgsstiegen. So noch nie! Mehr als er 
stieg, zog er sich hinauf. Und wußte, daß ihn 
oben nichts als gähnende leere erwartete. Oh, 
er wünschte sich seine Msria zurück..| Jetzt, da 
sie fern von ihm wat. hätte er sich allein mit ihrer 
Unzulänglichkeit in einen Taumel der sieben Selig- 
keiten stürzen können. Sein leben lang hätte er 
den Trompeter von Säckingen mit ihren falsch- 
geschriebenen Noten gespielt, hätte gejubelt, 
wenn alles über ihn ein brühheißes Gelächter 


576 


geschüttet hätte und Schande wäre ihm Hosianna- 
ruf gewesen e 

Wenn sie nur mit allen Fehlern zurückkehren 
würde..! Den Türschlüssel hielt er, wie ein 
Selbstmörder den Revolver, vor sich hin — und 
es war ihm, als schlösse er ein Gefäß voll Unrat 
und Spülicht auf. Der Gang bis zur Küche war 
eklig wie ein Kanalschacht geworden. So — als 
wäre In ihm seit ihrem Weggang alles Schlechte 
der Welt, aller beißende Nebel, der ölige Geruch 
aller Stiegenlampen, das ranzige Fett aller Wirts- 
hausküchen, alle abgelegten Kleider und alle weg- 
geworfenen Zigarrenstummel zusammengelegt 
worden, damit er erfahre, wie Wohnungen ohne 
Liebe werden 

Mit Beißzangengriff hing sich die Reue in das 
Fleisch seines Herzens, das mit seinen eigenen 
Schlägen sich selbst Nägel einzuschlagen schlen. 
So fiel er auf die Tür hin, auf dieselbe Tür, die 
am Abend des vergangenen Tages ihn von ihr 
abschnitt. Aber die Küche war heller als er es 
beim Eintritt erwartet hatte, Leicht geblendet 
schloß er das überschüssige Licht ab, Und erst als 
Gewöhnung über seine Pupillen kam, als er einen 
letzten Lidaufschlag In die vermutete Leere tat, 
da sah er, daß — Maria wie ein Denkmal, wie 
eine ausgegrabene Statue am Tisch saß und mit 
ihren glasigen Schaukelpferdaugen ihm entgegen- 
schaute... 

Zum Schreien hatte er keine Kraft mehr. Seine 
Lungen waren wle durchnäßte Flügel geworden. 
In seinen Knöcheln fühlte er das lockern von 
Schrauben. Der Boden wurde wie Schnee imFrüh- 
jahr — er gab nach, er sank ein... Aber, da sein 
Kopf plötzlich Zentnergewichte wog, flog er 
vorüber... 

Und lange fand keines von ihnen ein Wort. Denn 
alles-Leid des einen wa: vom andern neben dem 
eigenen Leid schon miterlebt worden. Und was 
diese Nacht der Sehnsucht aus ihnen gemacht 
hatte, das lag wie ein offenes Blatt aus einem 
Märchenbuch vor ihnen. 

Josef sah langsam auf, von den Bändern ihrer 
Schürze weg, über das Blumenmuster ihrer Bluse 
— zum zerwetzten Rand des Tisches... Vor ihm 
standen zwei Teller — mit dem „Gelobten Land”. 
Josef suchte die gekitteten Stellen. Aber sie wa- 
ren wie das Kleid eines Heiligen — ohne Stücke- 
lung und Naht. 

„Ach, du hast. „?' 

„Ja, ich wollte nicht eher zu dir zurück — bis 
wieder unser Gelobtes Land, unser Paradies im 
Grunde aller Suppen liegt. Und so wartete ich 
auf den Morgen, wartete im Bahnhofsaal auf die 
Offnung des Basars... Und nahm gleich zwei, da- 
mit... wenn du wieder..|” 

Josef rieb sich die Augen, die von Tränen voll 
weren. Aber auch in ihr waren schon viele Trop- 
fen unterwegs. Und als er mit seinem Gesicht 
über das Ihrige hinfiel und dies war, als liege er 
in einer taulgen Wiese, da half kein Übereinander- 
beißen der Zähne mehr, 

Und Tränen der Freude rannen wie Brunnen nach 
schweren Gewittern. Und da sie Jetzt beide über 
den Teller gebeugt waren, begossen die Tropfen 
das aufgemalte Paradies mit einem milden Regen 
— zum Wachstum der Liebe... 

Und als Josef aus der Tiefe dieser Stunde heraus 
mit Bewußtheit den zweiten Teller sah, war 
der wie eine Versuchung, war es — als ob sie 
damit seiner Stärke mißtraufe und schon den Er- 
satz beigeschafft hätte — für einen zweiten Wurf 
aus bösem Herzen... 

Und bald empfanden sie ihn als Zeichen des 
Zweifels, der in ihrer meertiefen Liebe schon 
Sünde schien. Und so zerbrachen sie diesen Er- 
satz mit ihren Händen — damit sie zusammen nur 
wieder einen Teller zum Mahle hatten — und auf 
daß, wie ehedem, nur ein Gelobtes Land ihnen 
aus allen Suppen entgegenleuchtete..| 

Und Jetzt, jetzt zog Josef wie einen Strauß golde- 
ner Blumen seine C-Trompete hervor — und blies 
durchs offene Fenster einen regenbogenlustigen 
Walzer in den funkelnden Morgen hinaus, daß es 
alle Welt wußte — daß sie In ihre Liebe beide 
wieder hineingefunden hatten — ins Gelobte 
Land Liebe zurück. 

Und mit taumelnder Seligkeit tanzte diese Liebe, 
wiegte sich ihre Liebe In diesem urgewaltigen 
Takte — wie ein himmlisches Karussell. .! Wie ein 
Meer von Fahnen im Winde ...| . 


Die große Arie 


(©. Nückel) 





„Siehst du, Martha, und da sagst du immer, ich schreie zu Hause sol" 


La grande aria: “Vedi, Marta, e tu. dic! sempre che In casa grido lo cosl!,, 


577 


Das Hindernis K. Heligenstasch) 





„Das weiß ich: Fritz würde mich sofort heiraten — aber seine Braut ist dagegen!‘ 


L’ ostacolo: “Lo so bene lo: Fritz mi sposerebbe subito ... ma la sua fidanzata non vi acconsente!,, 


578 


DAS MOLIERE- 
DENKMAL 


VON PETER REIMANN 


Mir ist es gestattet, über die Kurzsichtigen zu 
spotten, denn ich bin selbst von einer terriblen 
Kurzsichtigkeit. Weitsichtige zähle ich zu den von 
der Vorsehung Erwählten.... 

Manchmal, wenn ich zwischen den Tischreihen 
eines Restaurants hindurchbalanciere, scheint es 
mir, als grüße hier und da eines jener eigen- 
ärtigen Wesen ohne Augen, ohne Nase und ohne 
Lippen zu mir herüber: einer dieser Köpfe, die 
für mich nur weißlich schimmernde, elliptische 
Scheiben darstellen, neigt sich wie zu einem grü- 
Benden Nicken; dann muß ich, um einerseits nicht 
als Flegel zu gelten, andererseits um einem viel- 
leicht lächerlichen Versehen vorzubeugen, zu 
einer raffinierten Geste greifen, die einerseits 
einen Gegengruß darstellen könnte, andererseits 
als eine Bewegung aufgefaßt werden könnte, die 
den Zweck hat, eine Fliege oder ein Spinnenweb 
zu entfernen... Es ist traurig... Und hinter mir 
vernehme ich dann oft von irgendwoher eine mir 
bekannte Stimme, die tatsächlich nach mir ruft; 
Ich wende mich blitzschnell um, denn ich hoffe, 
der Rufende werde noch bei irgendeiner Be- 
wegung sein, die sein Rufen begleitet, und ich 
werde ihn daran erkennen können: wirklich, die- 
ser Herr muß es gewesen sein, der gerade etwas 
Gelbes schwenkt, vielleicht sein Taschentuch. 
Aber im gleichen Augenblick, da ich mich freund- 
schaftlich zu ihm neige und sein Orangeadeglas 
versehentlich umstoße, daß die Flüssigkeit sich 
über seine Hose ergießt, zieht mich eine Hand 
von der anderen Seite am Jackett; Mensch, hier 
bin ich! Bist du blind?.., Das ist Heinrich, und der 
ist weitsichtig. Er kann sich nicht im entferntesten 
vorstellen, wie es ist, wenn man an Kurzsichtigkeit 
leidet. * 


Einst ging ich mit Heinrich in die Oper. Die Oper 
hat für mich noch manchen Reiz, den sie anderen, 
normalen Menschen nicht bietet. Für mich isı die 
Mimi zum Beisplel noch immer ein grazil graziöses 
Geschöpf, sel sie auch durch ein Kanonenweib 
dargestellt: denn ich sehe sie nur als einen 
vage schinmernden Fleck, der sich auf der Bühne 
bewegt, und aus dessen Richtung mich mehr oder 
weniger gut interpretierte Pucciniklänge an- 
wehen ... 
Nach dem ersten Aufzuge, während der Pause, 
wies Heinrich plötzlich irgendwohin, in den grau- 
flimmernden Menschenbrei des Saals (denn wir 
saßen In einer Rangloge), aus dem hier und da 
andersfarbige Flecke, teils weißliche — die Ich 
für Gesichter hielt — äufleuchteten, und sagte: 
„Siehst du den dort? Das ist der neue schwedi- 
sche Gesandtel” 
„Wor“ 
„Da drüben, neben der Dame im dunkelgrünen 
Dekollet: 
Ich sab irgend etwas Dunkelgrünes sich leise hin 
und her bewegen, es hätte jedoch für mich eben- 
so eine Fahne oder ein großer Kürbis sein kön- 
nen. Dennoch sagte Ich, um mich nicht allzu sehr 
bloßzustellen: 
„Jaja, jetzt sehe Ich Ihn. Sehr interessant. Neben 
der Dame im dunkelgrünen Dekollete, nicht wahr?” 
„Ganz recht", antwortete Heinrich: „Jedoch das, 
was du für die Dame im dunkelgrünen Dekollete 
hältst, Ist der Vorhang. Dort drüben Ist sie doch, 
ganz entgegengesetzt, in der rechten Loge.” 
Ich wandte folgsam den Kopf nach rechts: 
„Stimmt, jetzt habe ich ihn. Ich sehe ihn ganz 
genau." 
„Eigenartig”, sagte Heinrich wieder „ganz elgen- 
artig. Er Ist nämlich gar nicht mehr da. Er muß 
wohl ins Foyer gegangen sein...“ 
Ich hatte mich blamiert. Aber Ich versuchte, doch 
noch meine Ehre zu reiten, und zwar durch einen 
Bluff. 











„Aber von wem sprichst du denn eigentlich?” 


Kanaren hin 







und Druck: 
5 F k, München. 
: Einzelnummer 30 





Die Auskunft - L’ informazione 


2. Kegenbaith) 





„Sagen Sie mir doch mal, lieber Mann, was sind Sie eigentlich?" 
„Wenn Se et schon wissen müssen: 'n alleinstehender eineliger Zwilling!“ 


"Ditemi un po’, coro vom, in realta' cosa siele Vol, — "Glacch& dovele saperlo: sono il gemello superstite d’un sol uovo!,, 


fragte ich: „Von dem Großen da etwa, dem mit 
der weißen Hose?“ 

„Ich sehe niemanden in weißer Hose. Du meinst 
vielleicht den Herrn, vor dem eine Dame im wei- 
Ben Kleide steht?!” 

Ich begann, mich zu ärgern. Da sagte Heinrich: 
„Dort kommt Teobald.” 

„Welcher Teobald?” 

„Nun, Teobald, dein Chef. Er grüßt dich sogar. 
Willst du den Gruß nicht erwidern?” 

Ich nickte lächelnd über die Brüstung hinweg und 
vernahm unter mir einen Dialog: 

„Meint der dich?” 

„Wer? 

„Der da oben; der eben gegrüßt hat.” 

„Nein, mich meint der nicht. Ich kenne ihn nicht. 
Vielleicht kennt er dich?“ 

„Nein, mich kennt er auch nicht.” 

„Komischer Kauz...” 

Ich schämte"mich bereits, aber Heinrich ließ mir 
nicht lange Zeit dazu; er stieß mich schon wieder 
an und flüsterte: 

„Die Witwe Berger mit ihren Töchtern... 
Ich versuchte, seinem Blick zu folgen und sagte ja, 
Ich sehe sie. 

„Sie droht lächelnd mit dem Finger”, sagte Hein- 
rich. Wahrscheinlich, weil ich ihren Gruß nicht er- 
wider! habe, dachte ich, und Ich legte eine vor- 
bildliche Verbeugung hin. 

Da hielt es den Heinrich nicht mehr, er begann 
furchtbar zu lachen und gestand mir, dieser ge- 
meine Mensch, daß er sämtliche Personen, auf die 
er gewiesen, erfunden habe. 

Ich nahm es ihm dermaßen übel, daß ich ihn nach 
Ende der Vorstellung einfach stehen ließ und mei- 
ner Wege ging. Ich hätte es nicht tun sollen. 


* 


Als es mir nach schwerem Kampfe gelungen war, 
meine Garderobe zu erobern, setzte ich, da ich 
meinen Mantel überziehen wollte und keinen an- 
deren Platz für meinen Hut fand, diesen einen 
Augenblick der Moll&re-Statue auf, die neben der 
Kleiderablage stand. Die Statue jedoch brüllte 
mich empört an und warf meinen Hut zu Boden. 
Da sah ich erst, daß sie keine Statue war, sondern 
einer von der Eisenbahn... Wir begannen, uns 
zu streiten. Der Mann wurde unflätig und verab- 
folgte mir eine Ohrfeige. Ich lief davon, einen 
Schutzmann zu suchen. Am Ausgang traf ich einen 
Gendarmen. Ich erklärte Ihm den Sachverhalt; ich 











Hirth Kommanditgesollschaft, München, Sandlinger Straße 3 (Femruf 1296). Bri 
Der Simplicissimus erscheint wöchentlich 
Pf; Abonnement Im Monat RM 
Nachdruck verboten. — Poslcheckkonto München 











hätte einem Eisenbahnangestellten versehentlich 
meinen Hut auf den Kopf geseizt, daraus sei ein 
Streit entstanden; der Mann sei tätlich geworden. 
„Sind Sie verrückt geworden? Ich werde Ihnen 
helfen, Sie Idiot!" schrie mich der Schutzmann an; 
aber er war gar kein Schutzmann — er war der- 
selbe Mann von der Eisenbahn... Ich war der Ver- 
zweiflung nahe; ich machte kehrt und lief nach 
einem Gendarmen, und wirklich traf ich einen, 
wenngleich es nur ein Feuerwehrmann war, Ich 
nahm ihn am Rockärmel und führte ihn zu melnem 
Eisenbahner. 

„Dieser Mann", sagte ich, „hat mich beleidigt; er 
hat mich geschlagen!” 

Da lachte der Feuerwehrmann und fragte mich, ob 
ich betrunken sei. Auf meine empörte Antwort, 
ich habe seit Wochen keinen Tropfen Alkohol ge- 
nossen, wurde er ebenfalls ärgerlich und meinte, 
Ich wollte Ihn wohl zum besten haben! 

Da wurde ich gewahr, daß wir gar nicht vor dem 
Eisenbahner standen. Der war über alle Berge, Wir 
standen vor dem Mollöre-Denkmal ... 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(9. Nückel) 





Dieser Tage besuchte ich eine Familie, die stark 
in Musik macht. 

Mein Freund Pepi, der auch anwesend war, hörte 
andächtig zu als die Hausfrau am Klavier saß 
und war ein begeisterter Beifallspender. 

„Na, Herr Klein“, sagte die Hausfrau, nachdem ihr 
Repertoire und das Ihrer Tochter erschöpft war, 
„jetzt kommen Sie daran, Sie spielen ja auch 
Klavier, wie ich gehört habe.” e 
„Allerdings“, antwortet Pepi mit einem treuherzi- 
gen Augenaufschlag, „allerdings, gnä Frau, aber 
auch nicht besonders!” H.K.B, 









ch 





& ft: München 2 BZ, Brloftach. 


Inmal. Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfle und Post 
zn oranverlengte Einsendungen werden nur zutückgesandt, wenn Porlo belllegl. — 
Erfüllungsort München. 


Stützpunkt Azoren inajm Shui 





„Sehen Sie, mein lieber portugiesischer Freund, so haben wir beide auf diesem Stuhl Platz!" 


Le Azzorre, base d’appoggio: “Vedete, mio caro amico portoghese, cosl abbiamo posto tuttl e due su questa sedia!,, 


580 














München, 10. November 1943 % 
48. Jahrgang / Nummer 45 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN | 

















MARAS 
UND 


BADOGLIO 











Guinaanffon 


ur 


„Nein, mein Lieber, mich kann man nur mit dem Schwert und nicht mit Betrug vertreiben!" 





Marte e Badoglio: “Ah no, caro mio; nessuno puö cacciar via me con l"inganno, ma solo con la spadal,, 








Der Erntewagen - Il carretto della raccolta 


(0. Nückel) 





DER BETER 


Dies Erlebnis liegt über ein Jahrzehnt zurück. Ich 
kam damals auf einer Studienreise durch Italien 
auch nach Orvieto, einem auf hohem ‚Felsen ge- 
legenen umbrischen Städtchen. Es war an einem 
tegnerischen Tag, als ich beschloß, dem Dom einen 
Besuch zu machen, dessen berühmte Fassade Ich 
schon des öftern im Vorübergehen bewundert. Zu 
meinem Vorhaben wählte Ich die Mittagszeit, weil 
Ich hoffen durfte, zu dieser Stunde wenige An- 
dächtige darin zu finden, und mich, ohne jemand 
zu stören, unbehindert der Betrachtung der Fresken 
Signorellis hingeben zu können. 

So kam mir ein heftiger Platzregen, der gerade 


REZEPT 


Im Spätherbft wird man maulhenkolifch, 
gegebnen Falls auch alkoholifch, 

wobei man Eins gefchicht vertreibt, 
Indem man Zwei fich einverleibt. 


Das Seelenfchmwungrad läuft behender, 
zumal wenn man fich feinen Sender 
auf Suppe einftellt oder Strauß, 
Boccaccto oder Fledermaus. 


Wenn jetst euphorifche Lüfte wehen, 
empfiehlt es fich, zu Bett zu gehen, 
damit der Zuftand, der beglücht, 
nicht unverhofft von dannen rückt. 


Man muß, um ihn zu konferoieren, 

alsbald in Schlaf Ihn überführen, 

dann währt er noch die ganze Nacht 

- falle nicht etwas dazwifchen kracht. 
Ratatöchr 


losbrach als ich mich auf den Weg machte gar 
nicht ungelegen; durfte ich doch umso eher er- 
warten, die Kirche leer zu finden. Als ich am Por- 
tale anlangte, war das funkelnagelneue Regen- 
dach, mit dem ich mich ausgerüstet hatte, so 
klitschnaß, daß ich befürchten mußte, damit auf 
den Fliesen der Kirche eine wahre Überschwem- 
mung anzurichten. Also stellte ich meinen triefen- 
den Begleiter entschlossen in eine Ecke zwischen 
Tür und Windfang und trat ein. 

Ich hatte richtig spekuliert: die Kirche war völlig 
leer. Nur an der Nebenkapelle kniete ein Mann, 
im Gebet versunken. Ich schritt so sachte als mir 
möglich war an Ihm vorüber und hatte bald den 
Standort gefunden, den ich zur Betrachtung der 
Fresken für den geeignetsten hielt. 

Als ich etwa nach einer halben Stunde den Dom 
wieder verließ, war der einsame Beter bereits ver- 
schwunden. Dafür kam, wie zufällig, der Sakristan 
herbeigeschlurft. Nun, ich wußte was Brauch Ist, 
und gab ihm ohne weiteres den üblichen Obulus. 
Er bedankte sich vielmals und begleitete mich 
höflich zum Ausgang, um mir die Türen aufzu- 
machen. 

Draußen goß es noch Immer In Strömen, und das 
erinnerte mich an meinen Schirm. Aber — der 
war wegl 

„Signor Sacrlstano, sehen Sie diese Pfütze hier In 
der Ecke? Da stand mein Regenschirm! Ich habe 
ihn hierhergestellt, um Ihnen nicht Ihre ganze 
Kirche unter Wasser zu setzen. Nun ist der Schirm 
fort. In der Kirche war außer mir nur noch ein ein- 
ziger Mensch, jener Mann, der vor der Seiten- 
kapelle links betete, Haben Sie ihn vielleicht be- 
merkt? Können Sie mir vielleicht sagen, wer er 
Ist?" 

Der Sakristan schüttelte verneinend, und wie mir 
schien, verständnisios den Kopf: „Ich habe nie- 
manden bemerkt, mein Herr.” 

„Nun, niemand anders als dieser fromme Beter 
kann meinen Schirm genommen haben!” Und mich 
zum Gehen wendend, fügte ich bissig hinzu: „Eine 
schöne Frömmigkeit das: Drinnen betet man zum 
lieben Gott, und draußen stiehlt man dem lieben 
Nächsten den Regenschirm!” 


582 





Erschrocken hob der Sakristan abwehrend die 
Hand: „Sagen Sie das nicht, mein Herr! Das dürfen 
Sie nicht denken! Sicher tun Sie dem Manne da- 
mit unrecht! Sehen Sie, wie es regnet, und da in 
der Ecke steht ein Schirm! Was konnte der Mann 
anders denken, als der liebe Gott habe ihm den- 
selben hingestellt?” 

Überwältigt von dieser Erklärung stülpte ich-den 
Kragen hoch und suchte meinen Weg durch den 
Regen. A. Hackemann 


DIE WAHRE LIEBE 


Ein Gebirgsjäger, aut Urlaub im Zillertal, hatte 
sonntags auf dem Kirchplatz von Mairhofen sei- 
nem Schatz, der Sendin, versprochen, den andern 
Tag käm er zu Ihr auf die Hochalm und wenn es 
Eisenstecken regne. 
Doch anderntags, als er sich eben zum Almgang 
schicken wollte, kam, weiß der Himmel woherl 
der Befehl, diese Nacht noch hätte er sich bei 
seiner Kompanie in Wörgl zu melden. Bis der 
Zug ging, waren noch knapp drei Stunden Zelt, 
doch vier Stunden und eine:halbe war der Weg 
‚suf die Alm und wieder zu Tal. Da hieß es, Beine 
über die Achsell Das tat er denn auch, sprang 
die Gasse hinauf gradwegs den Wald empor, 
rannte Über die Bergwiese was das Zeug hielt, 
und los auf die Alm, als wär der Höllische hinter 
seiner. 
„Vinzenz, bist da jetzti” rief ihm die Sendin von 
weitem entgegen. 
„Da nit!" schüttelte er den Kopf, „bloß kemen 
sagen, daß I nit kimm!’ 
Sprach’s, kehrte um, und sprang wieder den Berg 
hinab, — 
Als ihn_die andern diese Nacht in der Kompanie 
fragten, ob er doch wenigstens seiner Herzaller- 
liebsten einen tüchtigen Schmatz gegeben habe, 
meinte er bloß, dafür hätte er sich nicht ver- 
halten, Eile sei nichts für verliebte Leute, denn 
die wahre Liebe brauche allwegs ihre Zeit. 

K. Springenschmid 


Morgenthau in Sizilien 


(Wilhelm Schulz 











„Hat dir der amerikanische Finanzminister etwas gegeben, Giuseppe?" 
„Ja, den guten Rat, ich soll mein Geld auf die Weltbank tragen, die er gründen will!" 


Morgenthau in Sicilia: "Ti ha dato qualche cosa, Gluseppe, il Ministro americano delle Finanze?,, 
«S}, Il buon consiglio ch’ Io porti Il mio danaro alla Banca Mondicle ch’ egli vuole fondare!,, 


583 


MÄDCHEN AUF EINEM BIEDERMEIERMEDAILLON 


»..„erinnert an das Karussell der Kinder, 

Das sich am Sonntag dreht und immer wieder dreht. 
++.„ erinnert an den stillen Gutshofwinter, 

Vom Schnee hoch zugeweht. 


Es hat zur Dämmerung am Fensterbrett gestanden, 
Und unten war ein Wehr und rauschte tief, 

Und unten waren Liebende, die im Hain verschwanden, 
Der reglos schlief. 


Das Auge fernher spiegelt 

Den Königsleutnant, der vom Pferde springt, 
Die Gartenpforte, eilig aufgeriegelt, 

Ein Seidentüchlein, das zum Abschied winkt, 


VON ANTON SCHNACK 


Vor einem roten Vorhang ist es abgemalt, 

Durch eine Lücke schaut der blaue Himmel, 
Wartet im Hof der Wagen mit dem Apfelschimmel, 
Weil es so glücklich strahlt? 


Ich male nach — die Brauen sichelhaft geschwungen, 
Der Mund weich, sinnlich, schön; 

Man ahnt die Brüste (Alabasterhöh’n), 

Bewegt vom Zug der Lungen. 


AUF KINDESBEINEN 


VON STEFAN HOLLENTHONER 


Acht Tage nach meiner Geburt wurde ich ge- 
tauft. Anschließend gab es Kaffee mit Schlag- 
obers und Mehlspeise — für mich allerdings 
nicht, Mein Pate war eigentlich eine Patin, eine 
fesche Lebzelterin vom Stadtbahnviadukt, Sie 
schenkte mir einen silbernen Löffel und kümmerte 
sich nie wieder um mich. Der Löffel wurde mit 
der Zeit braun, dann schwarz, und schließlich 
kam das blecherne Skelett zu Tage. Ich ging 
schon zur Schule, als Mutter das „Glumpert” aus 
dem blauen Futteral nahm und in den Müll warf. 
Einige harte Worte widmete sie noch der „un- 
verschämten Lebzelterin”, auf Vaters Stirn ent- 
standen einige Falten, dann war keine Rede mehr 
von der Patenschaft. 

Die Erinnerung an die früheste Kindheit lebt von 
unauslöschlichen Eindrücken auf die Seele, auf 
den Körper oder auf beides. Als ich eineinhalb 
Jahre alt war, saß ich im Flügelhemdchen auf dem 
Bügeltisch. Meine Mutter bügelte. Ich kann heute 
nicht mehr genau sagen, ob sie meine bedrän- 
gende Nähe nervös machte oder nicht. Tatsache 
ist, daß plötzlich die Milch am Gaskocher über- 
lief und meine Mutter das Bügeleisen wegstellte, 
um die Sache mit der Milch in Ordnung zu brin- 
gen. Ich sah die weite Ebene des Bügeltisches 
als lockendes Tätigkeitsfeld vor mir liegen. Ich 
zögerte nicht lange, erhob mich mühsam und 
stapfte dann wacker fürbaß. Etwas seltwärts lag 
tückisch ein gähnender Ärmel von Vaters Hemd. 
Ich sah Ihn nicht, verwickelte mich in ihn, fiel 
nach rückwärts und landete mit meinem Gesäß 
mitten auf dem vor Hitze flirrenden Bügeleisen. 
Das Zischen von geröstetem Fleisch, mein gräß- 
liches Geheul und das Herbeistürzen meiner 
Mutter waren eins. Der Kontakt zwischen mir und 
dem Bügeleisen wurde gelöst. Dann wurde ich 
mit Salz bestreut und mit feinstem Tafelöl be- 
schmiert. Durch acht Tage hindurch konnte ich 
nur auf dem Bauche liegen und die Kehrseite 
war der kühlenden Luft ausgesetzt. Es versteht 
sich von selbst, daß dieses schreckhafte Ereignis 
einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ, zu- 
mindest in meiner Seele, ob auch auf dem be- 
troffenen Körperteil, kann ich wegen der schwie- 
rigen Sichtverhältnisse nicht so ohne weiteres 
sagen, Jedenfalls wurde der Grundstock zu mei- 
ner Lebensweisheit — denn diese ist Ja bekannt- 
lich die Summe aller schlechten Erfahrungen — 
durch ein heißes Bügeleisen gelegt. 


Kinder sind für gewöhnlich in irgendeiner Be- 
ziehung ehrgeizig. Mein besonderer Wunsch war, 
groß, stark und furchtbar gescheit zu werden. 
Andererseits war meine Eßlust nicht besonders 
groß. Mutter nutzte nun meinen Ehrgeiz dadurch 
aus, daß sie das brave Einnehmen von viel Suppe 
als die Voraussetzung jeden Wachstums und das 
Essen von Kalbshim als die Grundbedingung 
äller Gescheitheit hinstellte. Im Panoptikum trat 
damals der bulgarische Riese auf, er war so lang, 
daß mir das Genick weh tat, wenn ich ihm ins 
Gesicht schauen wollte. Mutter fragte ihn, ob es 
wirklich wahr sei, daß er seine Größe nur dem 
Suppenessen zu verdanken habe. Der Riese 


Der Liebestrank - L’elisir d’amore 


(Fr. Bllek) 





Und um den Mund blüht Lächeln, 

$o lächeln, sommerlichtbefunkelt, Seen, 

So lächelt Sonnenschein im Schattenweg der Nußalleen, 
Wenn Lüfte leise fächeln. 


Schmal die erregte Nase, 

Die Stirne wölbt sich wie ein Traumaltar, 
Und über ihr ein Bund von schwarzem Haar, 
Geteilt von einer Scheitelstraße. 


Den Almanach mit Kupferstichvignetten, 
Das Notenheft mit einer Haydnmelodie, 
"Ein Briefblatt, und inmitten Amoretten 
Die Zeile: „Molly, ich liebe Sie!" 


lachte, bückte sich zu mir herab, streichelte mich 
mit seinen Riesenpratzen und sagte gurgelnd: 
„Ja, mein Kind, immer essen Supp!’ Daraufhin 
gab ihm die Mutter eine Krone. 

Auch Kalbshirm aß ich, da ich doch unbedingt 
gescheit werden wollte, Heute weiß ich aller- 
dings, daß man dann wirklich gescheit ist, wenn 
man es. nicht ißt. Wie gewisse Wilde das Harz 
des erlegten Feindes verzehren, um selbst ein 
tapferes Herz zu bekommen, so aß ich Kalbshirn 
bei jeder Gelegenheit, um die Masse meines 
Gehirns zu vergrößern. Ich glaubte ja, es hänge 
vom Gewicht ab, wie gescheit man sei. Daran, 
daß es gerade Kalbshirm war, was ich aß, stieß 
ich mich nicht. Ich dachte mir: Hirn ist Hirn. Im 
übrigen ist die geistige Inferlorität der lieben 
Kälber durch nichts erwiesen. Im Rahmen ihrer 
Kalbheit tun sie gewiß ihr Bestes. Es entspringt 
einer gewissen Überheblichkeit, daß wir gern 
jene Tiere als intelligent bezeichnen, die uns 
nachäffen und auf unsere diversen Wünsche be- 
teitwilligst eingehen. 

Kinder sind glühende Apostel und ihre Logik ist 
uferlos. Ging Ich da einmal mit geputzter. Nase 
spazieren, Je ein Patschhändchen in die Hand 
meines Vaters und in die meiner Mutter gelegt. 
Ich guckte gerade in die Luft und sah Schnee-. 
wittchen und die sieben Zwerge in den Schöfchen- 
wolken, die am Himmel ruderten, als plötzlich 
meine Eltern stehen blieben und mit einem Wesen 


« ein Gespräch begannen, das mich im ersten Augen- 


blick mit Schrecken erfüllte, Es war eine Frau 
mit einer großen Nase und einem breiten Mund, 
der gerade lächelte und seine gelben Zähne 
zeigte. Was aber meine Augen völlig kugelrund 
machte, waren die Zwergenhaftigkeit dieser Frau 
und der gewaltige Höcker, den sie wie eine Last 
trug. Nach einiger Zeit mochte sie bemerkt 
haben, daß ich sie unentwegt anstarrte, Sie 
wandte sich an mich und sagte freundlich: „Du 
bist aber ein goldiges Bubil” Ich drückte mich 
in die Rockfalten meiner Mutter und sagte: „Und 
du bist eine schlimme Tante! Du hast deine Suppe 
nicht gegessen, sonst wärst du nicht so klein 
geblieben.” Daraufhin bekam ich von Vater eine 
Ohrfeige. Und das war — letzten Endes — un- 
gerecht. 

Meine Mutter litt: zeit ihres Lebens unter heftigen 
Zahnschmerzen. Die Zahnärzte quälten sie nach 
allen Regeln der Kunst, es half auf die Dauer 
aber nichts, Schließlich faßte sie einen heroischen 
Entschluß; Sie ließ sich alle Zähne ziehen, die 
kranken und die gesunden auch. Man baute ihr 
für gutes Geld ein blendendes Gebiß, das abends 
immer ins Wasserglas kam, wo es bis zum Mor- 
gen blieb. Die Sache gefiel mir und ich wollte 


Die beste Lösung 


(Erich Schilling) 





„Auf diese Weise haben wir Engländer seit je die Völker befriedet!"" 


La miglior soluzione: "Noi Inglesi abbiamo rappacificato i popoli sempre in questo modol,, 


auch so ein Gebiß haben, Da lächelte die Mut- 
ter, nahm mich auf den Schoß und erzählte mir, 
eine gute Fee habe Ihr allein die Gabe ver- 
liehen, die Zähne herausnehmen zu können, und 
ich dürfe das niemandem sagen, besonders nicht 
der Frau Klug vom zweiten Stock, auch dem 
Onkel Fritz nicht und der Tante Olga schon gar 
nicht, denn sonst müsse sle viel und lange, lange 
weinen. Da umklammerte ich meine gute Mutter 
und sagte Ihr unter heißen Tränen, daß Ich nie, 
nie eıwas sagen würde. Die Mutter lächelte. Deı 
Vater auch. 

An einem schönen Tag im Frühjahr ging meine 


Mutter in die innere Stadt, um Einkäufe zu machen. 
Die Frau Klug vom zwelten Stock hatte sich an- 
geschlossen und ich wurde auch mitgenommen 
Ich vertrieb mir die Zeit, so gut es ging. Ich 
pfiff mir eins, was allerdings von Mutter nicht 
gern gehört wurde, ich spuckte die Ladenfenster 
an, was. Mutter nicht sehen durfte, und ich 
streckte ab und zu einem Passanten die Zunge 
heraus, was Mutter nicht einmal ahnen durfte 
Abeı sie plauderte sich gerade mit der Frau Klug 
so gut. Da sah ich auf einmal einen Schaukasten. 
der in Mannshöhe angebracht war Und in die- 
sem Schaukasten sah ich etwas, was mich mii 


585 


grenzenlosem Staunen erfüllte. Wahrhaftig, dort 
lag ein schneeweißes Gebiß und bleckte mich 
nöhnisch an. Ich riß meine Mutter zurück und 
tief, so laut ich nur konnte: „Mutti, schau nur, da 
liegen deine Zähne, die dir die gute Fee ge- 
schenkt hat!” 

Ach, meine ärme Mutter verfärbte sich, Leute 
blieben stehen und lachten, und die Frau Klug 
sagte mit ihrer grellen Stimme: „Glauben Sie, ich 
habe es nicht schon längst gewußt?!” 

Von der Zeit an war mir klar, daß Kinder von 
den Erwachsenen bisweilen angeplauscht werden 
— sehr zu deren Nachtelll 


MEIN FREUND PITT 


VON A, WISBECK 


Obschon kh seinerzeit die ehrenwörtliche Ver- 
sicherung erhalten hatte, aus dem kleinen, welßen 
Wollknäuel, der über den Boden rollte, würde 
sich In Kürze ein Foxterrier entwickeln, blieb die 
Rassenzugehörigkeit meines Pitt stets ung=klärt 
„Schade, daß Ihr Dackel den Kopf eines Schnau- 
zers hat!” meinten die einen, „Zum Bully fehlt 
Ihrem Spitz die breite Brust” mäkelten die an- 
deren, Nein, es gab wahrhaftig keinen Fehler, 
den man dem armen Hündchen nicht angedichtet 
hätte, Es kränkte mich, das will ich wohl ge- 
stehen, doch enthielt Ich mich Jeder Entgegnung. 
Denn Ich hätte es für unhöflich gehalten, Frau 
Direktor Häberlein auf die langen Ohren ihres 
Gemahls, oder Herrn Baumelsl auf die krummen 
Hinterläufe seiner Gattin aufmerksam zu machen. 
Man liebt, und liebt vielleicht um so tiofer, wenn 
es Fehler zu verzeihen gibt. Es ist das Geheim 
nis des Herzens, Ich liebte keinen Fox, liebte 
keine Stelzbeine und stumpfe Schnauze, ich liebte 
ein Geschöpf, das sich vor Freude überschlug, 
wenn ich das Zimmer betrat, und das sich in 
einen Winkel verktoch, wenn ich es verließ. Ich 
liebte die stummen, bescheidenen Bezeugungen 
einer Freundschaft, die sich nicht Im Wort er- 
schöpfte, Womit war sie verdient? Hatte ich viel- 
leicht’ Geld geliehen oder zu einem Posten ver- 
holfen? Manchmal fuhr meine Hand über ein 
struppiges Fell — das war alles. „Ich verstehe 


Um Mitternacht - A mezzanotte 





es eigentlich nicht, weshalb du mich lieb hast“, 
frug mich Pitt bisweilen, wenn wir des Abends 
beieinandersaßen. „Hast du es schon bemerkt, 
ich bin ein häßliches Geschöpf. Das eine meiner 
Augen ist blau, meine Ohren sind die eines 
Schakals, und wenn ich mir auch stundenlang 
mein struppeliges Fell lecke, es bleibt der ordi- 
näre Balg eines Gassenköters. Warum liebst du 
mich?” „Schweig’ still!" sage Ich und versuche, 
meine Stimme rauh zu machen. „Es gibt Dinge, 
die du nicht verstehst. Doch bleib’ bei mir bis 
zum Ende deiner Tagel” Da wedelt Pitt freudig 
mit seinem Schwänzchen, legt seinen braun- 
gefleckten Kopf auf melnen Fuß und schläft ein. 
Ich will es nicht verschweigen: es gab auch Inner- 
liche Mängel, die meinem Freund anhafteten. „Er 
ist ein kleines Schweindll” äußerte sich al 
Frau Geheimrat Markus. Und in der Tat: an fro- 
stigen Wintertagen benützte Pitt nicht selten das 
Tischbein zu Zwecken, wofür ihm eine Straßenecke 
oder Plakatsäule hätten genug sein müssen. Aber 
sagen Sie doch selbst einmal, gnädige Frau, wür- 
den Sie bei zwanzig Grad Kälte aus dem warmen 
Bett barfuß in den Schnee laufen, einer lächer- 
lichen Kleinigkeit wegen? Ist es vielleicht Ihr Ver- 
dienst, daß sich das Töpferhandwerk Ihrer Not 
annahm? Ja, sehen Sie, Ihnen würde ich es ver- 
übeln, wenn Sie etwa in meinen Papierkorb — — 
doch genug davon! — 








(Magon) 


A „Xaverl, geh, mir is grad eing’falln: Wia is nacha dees, bal 
amal oans stirbt von uns zwei, was krieg nacha da I Pension?" 


"Guarda un po’, Saverio, cosa m’& capitato in mente proprio adesso: 
Che ayviene se mal uno di nol muore? ... Che pensione ricevo allora lol, 


586 


Um diese Zelt, das heißt während frostiger Win- 
teriage, lernte Ich Halga kennen. Sie war eln fei- 
nes Mädchen, hatte das humanistische Gymnasium 
mit Erfolg hinter sich gelassen und wußte die 
ersten Verse der Odyssee fehlerlos vorzutragen. 
Doch waren es diese geistigen Vorzüge nicht, die 
mein Herz In Helgas Bann schlugen. Denn als ich 
beim Besteigen der Straßenbahn das Glück hatte, 
ein Paar hauchdünn bestrumpfter, trockener Beine 
vor mir zu erblicken, das kurze, berückende Spiel 
der Wadenmuskeln zu genießen, waren mir Hel- 
gas seelische und geistige Eigenschaften noch 
vollkommen fremd. Eine gesegnete Überfüllung 
der Plattform und eine kleine Hilfeleistung ver- 
mittelten fast zwanglos die Bekanntschaft. Bald 
stand es schlecht um mich. Von Tag zu Tag wuchs 
meine Liebe, füllte jede Stunde meines Daseins 
aus und machte es zu stummer, verschwlegener 
Qual. Denn seht, ihr guten Männer, bei einem 
humanistisch gebildeten Mädchen verfangen 
eure üblichen Werbungen nicht. Die straffen Ge- 
setze der lateinischen Syntax, d!e kühle Logik 
eiceronischer Reden, haben das Gehlın wehrhaft 
gemacht und zu klassischer Beherrschtheit erzo- 
gen. Nein, mein Lieber, ein so geartetes Mädchen 
überrumpelst du nicht so leicht wie eine dumme 
Gans! Immer umsplelt ein spöttisches Lächeln 
den herben Mund, und magst du auch noch so 
gut lügen. Freilich, auch Kleinmut wäre nicht am 
Platz. Denn es kann bisweilen sein, daß mit 
Blitzesschnelle das Herz den Zaun folgerichtigen 
Denkens durchbricht, daß sich Arme öffnen, und 
ein Weib erschauernd an deine Brust sinkt, „Bis- 
weilen”, sagte Ich, denn In meinem Falle kam es 
so welt nicht, wie ich schon an dieser Stelle auf- 
richtig bekennen will. — 

„Was haben Sie da für einen scheußlichen Köterl" 
meint Helga, als sie zum ersten Male meine Woh- 
nung betritt, um das bekannte Täßchen Tee bei 
mir einzunehmen. Betroffen blickt Pitt auf, Keine 
freundliche Begrüßung, dünkt ihm. Doch man muß 
sich liebenswürdig erweisen, um den ersten Ein- 
druck zu verwischen. Wie wäre es, wenn man 
einen Ball heranbrächte? Vielleicht würde auch eln 
hübsches „Männchen“ Eindruck machen? Oder 
soll man es gar wagen, den Kopf an den Strümp- 
fen der stolzen Dame zu reiben? Wäre ein ele- 
ganter Sprung auf das Sofa genehm? Nein, armer 
Pitt, hier hast du kein Glück! Die Dame spricht 
über die Oden des Horaz und tut so, als sei man 
gar nicht vorhanden. Nun, auch gut, da kuschelt 
man sich eben In sein Körbchen und schläft sich 
eins. — 

Schon verströmt nun die Lampe milden Schein 
über den Tisch. Es ist mir, als hätten sich Helgas 
Züge gelöst, als ruhte ihr schwarzbewimpertes 
Auge nicht ohne Wohlgefallen auf mir. Wider- 
standslos läßt sie es geschehen, daß ich meine . 
Hand auf ihren schlanken Arm lege. „Gefällt es 
Ihnen bei mir?” frage Ich. „Ja, es getällt mir — 
sehr gut gefällt es mir”, flüstert Helga vor sich 
hin, als scheue sie sich, es zu gesehen. „Jeden 








+ Tag, jede Stunde werde ich nun auf dich warten“, 


sage ich und lege meinen Arm um Ihre Schulter. 
In diesem Augenblick springt Helga auf, blickt 
zuerst erstaunt, dann mit dem Ausdruck des Ekels 
auf Ihr Bein hernieder. Ach ja, dieser Pitt, der 
verdammte Köterl „Schuld der Damel” meint Pitt, 
und versucht es, durch forsches Auftreten Ein- 
druck zu machen, „Warum mußte dieses dumme 
Weib ihren Fuß so nahe an das Tischbein stellen?” 
„Vielleicht schmeißen Sie nun endlich dieses gteu- 
liche Vieh hinaus?” herrscht mich Helga mit be- 
bender Stimme an. Gehorsam packe Ich Plit am 
Nacken und werfe Ihn vor die Wohnungstüre. „Es 
ist spät geworden”, sagte Helga kühl, als Ich in 
das Zimmer zurückkehre, „Ich werde nach Hause 
gehen. Vielleicht aber haben Sie für derartige 
Fälle ein Handtuch bereit.” — — 

Wo mochte nur Pitt so lange ble'ben? Jetzt erst 
erinnerte ich mich seines letzten Blickes. Liebe 
und schmerzliche Enttäuschung lagen gleicher- 
maßen darin. Wo bist du, mein kleiner treuer 
Freund, wo hast du in dieser frostigen Nacht Un- 
terschlupf gefunden? Ich warte Stunde für Stunde, 
Ich durchwache die Nacht, Niemals kam Pitt zu- 
rück. Manchmal war es mir, als scharre es an der 
Türe. Nichts —, „Entschuldige mein elnfältiges 
Verhalten!” schrieb mir Helga, „wie konnte Ich 
mich über eine Lächerlichkeit so erregen?” Ja, Ich 
verstand und ich entschuldigte, aber — — —, 


Erfahrungsaustausch 


(R. Kelesch) 





„Weißt du, das habe ich schon bemerkt: es gibt eigentlich nur zwei Arten von Männern!" 
„Ganz richtig Aber zwischen den zwei Arten besteht eben auch kein Unterschied!" 


Scambio d’esperienza: "Saı, ho glä osservato che in realtä non cl sono che due sorte di vominil,, 
“Giustissimo! Ma anche fra le due sorte non c' & appunto nessuna differenzal,, 


587 


Der Fischkauf - Compera di pesce 


(Gustav Gaggell) 





BEI REGENSBURG 


Nur dein Name it [drön, kahl gewordener Berg. 

Heute noch wirlt du genannt: Auf den Winzerer Höh’n, 
Aber Ichwellender Trauben 

Halt du nicht eine mehr! 


Es war irdilcher Wein und er [chmeckte dem Mund 

Und du sprachlt mit dem Mond und du warlt nicht allein, 
Doch die herbere Schlehe 

Macht nur den Gaumen ftumpf! 


Schleppt der Mond jetzt fein Licht langlam über den Berg. 
Müde neigt er dıs Haupt, wälcht das weiße Gelicht 

In dem Waller der Donau 

Bis er verjüngt enteilt! 





Glanz, den nah er verliert, leuchtet Liebenden au 
Denen tief im Gebülch größte Trunkenheit wird 
Adhı, wie gleicher den Zechern 

Nächt'iches Liebespaar! 


Hallen Turmuhren hart in die Winzerer Höh’n, 
Schrecken auf lie das Paar, das im Kusse erltarrt. 
Dodi wer Wein oder Liebe 
Koltet, verzagt nicht leicht! 


Kommt der Morgen herauf, kahl gewordener Berg, 
Saglt du nidıts von der Nadhıt, wer am Hange dir lag. 
Oh, du weiht, dah dein Name 


Liebenden viel verheiht! ® HERMANN SEYBOTH 


DER KLABAUTERMANN 
ÜBER DER KOJE 


VON EUGEN SKASA-WEISS 


Wie der Klabautermann überhaupt in unsere Baracke kam? Ganz harmlos. 
Eines Tages haben sie mir ein zerknautschtes Feldpostpäckchen nach Stor- 
jorden geschickt, Es war voller Kreppapier; ganz Innen, wie die Nuß In 
der Schale, lag ein Männchen aus farbigem Lehm, 

Es war ein Männchen mit zweitschgenblauen Armen, einem Rumpf, der 
eiwa von der unbestimmbar tristen Farbe war, die wir als Knaben den 
armen Seelen zudachten, und sechs spritblauen Haarflammen auf einem 
gelben, eiförmigen Thersiteskopf. Die Beine lagen wie kleine Wuzelwürste 
daneben, Sie-waren zinnoberrot wie die Nase des Mönnchens; klebte man 
sie an, so ähnelte der kleine Kerl dem boshaften Zwerg Klein-Zaches, ge- 
nannt Zinnober. 

„Solche scheußlichen Männchen sitzen bei uns zu Hause überall herum“, 
stand auf dem beiliegenden Zettel, „aber man gewöhnt sich daran. Wir 
sehen nicht ein, weshalb der Vater von den Einfällen seines Sohnes ver- 
schont bleiben sollte..." 

Mein Ältester aber hatte keine andere Sorge, als daß seinem scheußlichen 
Männchen auf der Reise über 3000 Kilometer hinweg etwas zustoßen 
könnte. Es kam Jedoch bei allerbestem Wohlbefinden — sah man über den 
winzigen Beinschaden hinweg — im hohen Norden an. 

Und augenblicklich fiel es uns auf, daß dieses zöhlebige Männchen sich 
nirgendwo so selbstverständlich zu Hause fühlte wie Im Land Peer Gynis. 
Trollartig, misanthroplsch und unterirdisch, wie es nun einmal geraten war, 
eignete es sich hervorragend als Wächter meiner Armbanduhr, die mutte: 
seelenallein an einem Nagel neben meiner Koje hing und in der Nähe d« 
Erzberge und des Nordpols außer Rand und Band geraten waf. Ich setzte 
das Männchen wie einen glückbringenden Däumling auf den Nagelkopf, 
meine Kameraden stützten seine Walzenarme mit Streichhölzchen und ach- 
teten väterlich darauf, daß ihm beim Stubendienst keine Unbill widerfuhr. 
Denn das verflixte Männchen fing allmählich an, uns in Atem zu halten. 
Bald verlor es einen Teil seiner Haare, bald wurde sein Gesicht so furcht- 
bar lang, daß es kein Vergnügen machte, darunter einzuschlafen, bald 
streute es seine Gliedmaßen achtlos unter die Decken und bisweilen 
rutschte es kopfabwärts um den Nagel herum und sah phllosophisch starr 
auf die ängstlich vorauslaufende Armbanduhr. 

Eine geschlagene Nacht kamplerten zwei Maate in unserer Baracke, die 
handtellergroße Muschelschalen aus Ihren Soesäcken packten, sie bis oben 
hin mit qualmigen Kippen füllten und uns aus grauen Dampfwolken an- 
kündigten, daß sie in unseren Kojen diese Nacht wie der Kaiser von China 
zu filzen gedächten. Der Spieß hätte sie deshalb hergeschickt, wir sollten 
die Urlauberkojen besteigen und so weiter. 

Wir wußten nicht, was diese beiden mit dem Filzen vorhalten, waren aber 
darüber einig, daß unsere Strohsäcke dafür zu schade seien; am späten 
Abend kam os heraus, daß beide mit dem Filzen nichts Schlimmeres mein- 
ten als Schlafen. 

Der ältere Maat, der unter melnem Männchen lag, das er vorher übersehen 
hatte, richtete sich kurz vor Mitternacht beim Schein seiner Taschenlamps 
plötzlich ouf und begann: „Was Ist denn das für'n ekler, gammliger Kla- 
bautermann, der da dauernd auf meine Neese stiert...?1" 

Unten bei der Petromaxlampe saß Jan, der andere Maat, und stocherte 
mürrisch in seiner Bratfischkonserve, „Qußrre‘, knurrte er vor sich hin, „laß 
den Klabautermann und gib mir ein Ende von deinem gammligen Speck, 
Quärre, mach mir nichw vor, du hast ihn wegen der Mäuse und mir in die 
Kole hochgeschleppt, Pfui Deibel...” 

„Ich werde dir deinen schimmligen Fisch vor die Schnauze donnern, Jan”, 
sag'e QuXrre bös und fuhr mit einem Ruck vom Strohsack hoch. „Der Kleine 
an der Wand muß meinen Speck unbedingt gerochen haben. Meinen 
schönen Speck aenen deinen lausioen Fisch, daß mir der gelbe Klabauter- 
mann da aerade ein Auge nekniffen hat!” 

Qußrre ballte die Faust und h'eb mit einem gewaltigen Schlag das Männ- 
chen flach an die Wand — brüllte aber Im selben Augenblick wie ein See- 
löwe auf Mitten In seinem Daumenballen saß der Nagelkopf und der Kla- 
bautermann sah zernuetscht und grinsend zu, wie das rote Blut in Strömen 
über seine Hand floß. 

So benann der Klabautermann, wie das Männchen fortan bei uns hieß, 
allmählich aktiv zu werden und unseren Resnekt zu erwerben. Ich gab 
ihm. da mir seine flache Gestalt näch’liche Schauer einlag'e, seine ur- 
sprünn!iche Däumlinnsrund!ichkeit zurück und sein Gesicht verlor damit 
das Rachsüch'Ine und Hämische, das uns keine Sekunde oefallen wollte. 
In einer der Nächte, in der es noch breitaequetscht war, behauptete einer, 
es hötte nach Mitternacht herzerweichend gestöhnt und hößlich an seinem 
Nanel aeschabt. 

Wenn ja ein snuklustiner Kobold durch sein Unwesen die Insassen einer 
S’ube durchainanderhrachte, so war er ein Walsenknabe aenen unsar 
Klebautermännchen. So oft Ihm Iroend etwas abhanden aekommen war — 
und er hielt seine Gliedmaßan bei Gott nicht ordentlich zusammen — be- 
schuldinte einer den andern. er hätte das armRar'inste Charakterstück des 
Klabautermännchens arh’los hinwenrefent. Der Klebautermann sah über: 
leren auf uns herab und amüsle:te sich. Er marh'e uns zänkisch und rauf- 
lus'In und wenn wir nahe daran waren, uns selne'wenen an die Rinnen 
zu rücken, sah er aufmun'ernd und fanatisch wie der Geist des Unfrie- 
dens von einem zum andern. 

Biswe'len zeinte er heimliche Ernänzunnen aus Lehmknollen, die frisch 
vom Rrunnanhau mi'nannmmen waren. und sein Charakter fin damit an, 











"noch schärfer und trolihafier zu werden Der hvnochondrische Geist des 


Polarlandss fuhr in sein lohmines Gehlüt. Immer hizarrer wurden *-'"n Ver- 
renkungen, er legte die Arme auf das Zifferblatt, er bekam Haare aus 


588 


Der Grantige - Il musone 


(6. Hermann) 





„Sei halt a bisserl freundlich mit der Kellnerin, Alisi, nacha kommts Bier schneller!‘ — „Naa, zerscht probier i’s amal so!" 


"Ma sii un pochino gentile, Alisl, colla cameriera, ch& cosi la birra verrä piü presto! 


Besengestrüpp, ihm wücherten Kiefernadelzigar- 
ren aus dem Mundwinkel, er saß plötzlich rittlings 
auf dem Nagel und drehte den Beschauern die 
rotgewellte Pavianrückfront zu wie das Brücken- 
männchen von Beuel — und dabei veränderte er 
seine Formen nach den Stimmungen, die Sonne, 
Nebel oder Nordlicht über uns ausgossen. 

„Es Ist merkwürdig", sagten wir uns, wenn wir 
zuweilen stutzig auf sein unverschämt lebendiges 
Klabautermannfeixen hinstarrten, „man sagt, der 
hohe Norden verändert den Menschen — diese 
durchteufelte kleine Lehmgeburt kommt um die- 
ses Gesetz aber noch weniger herum als wir; 
und offensichtlich scheint ihr diese Veränderung 
Spaß zu machen.” r 

Sie machte dem Klabautermann geradezu gran- 
diosen Spaßl 

Bei allen guten Geistern — er bekam etwas Hohl- 
wangiges und Phosphoreszierendes, die umher- 
flatternden Hexenschüsse mußten ihm in die 
Glieder gefahren sein — er hielt sich heute steif 
und krampfhaft über der Armbanduhr, die vor 
Entsetzen immer schneller lief, morgen krümmte 
er sich epileptisch vornüber und trug eine trüb- 
sinnige Miene zur Schau, Wird unser Klabauter- 
mann, fragten wir uns, bei derart launenhaften 
Anstalten den langen Winter überleben? 

Es war ausgemacht, daß wir diesen Proteus daran 
hindern würden, seiner Natur so hemmungslos 





nachzugeben, wenn er eiwa gedachte, uns wäh- 
rend der langen Nächte In ähnlich skurriler Weise 
anzuöden. 

Urlauber, die zurückkehrten, befreundeten sich 
zunächst mit ihm und unterstützten seine baro- 
meierhafte Unberechenbarkeit mit ihren ausgeruh- 
ten Einfällen — aber dieser Zwang zur Originali- 
töt seizie ihm ungewöhnlich zu. 

Wie ein verirrtes fränkisches Zweitschgenmännchen 
begann er allmählich zu schrumpfen und eines Tages 
fand ich unseren von allen Schrecknissen der 
Polarzone heimgesuchten Klabautermann verstüm- 
melt und zerhackt rund um seinen Nagel, ein 
schrecklicher Schemen seiner selbst, Eine Elster, 
die an der glitzernden Armbanduhr Gefallen ge- 
funden hatte, war ihm herzlos zu Leibe gegangen. 
Er ging in der Tat an seiner Wachsamkelt zu- 
grunde. 

Doch glaube nicht, mein Sohn, daß dein armes 
Männchen, das eine so wunderbar weite Reise 
getan hatte, ohne zerdrückt zu werden, derart 
einfach geendet hätte. Es wäre zwar ein märchen- 
haftes Ende gewesen, denn die diebischen EI- 
stern sind ja die unsteten Geistervögel der nor- 
dischen Märchen. Doch es kam plötzlich ein 
Herbststurm auf, der tausend heulende Wind- 
strähnen durch die Ritzen unserer Baracke jagte 
— und da holten wir die Glieder des Klabauter- 
männchens wieder aus der untersten Ecke des 


589 


— "Macch&; dapprima provo pur cosi!,, 


Spinds hervor; es war die Zeit gekommen, wo 
es uns ohne Faxen und Schnurrpfeifereien bei- 
springen konnte, 

Mit einer schmalen Spachtel schmierten wir seine 
Glieder, den Rumpf und seinen gelben, eiförmi- 
gen Thersiteskopf kügelchenweise in die zugigen 
Bretterfugen — und das Klabautermännchen ver- 
schwand Stück um Stück ohne Widerspruch in 
der Wand. 

In manchen Nächten kann es seine verstörte und 
schabernacklustige Seele nicht ganz verleugnen 
— da dehnt es sich in den Fugen, ächzt und 
knistert gottsjämmerlich, und wenn knatternde 
Stürme vom Fjord her auf unsere Baracke prallen, 
heult es teuflisch mit auf und rumort zwischen 
den Brettern. 

Mag sein, daß der hohe Norden jedes Geschöpf 
nach seiner Welse verwandelt — doch sicherlich 
wurde unserem Klabautermann am Ende übler 
mitgespielt, als seine koboldhafte Verwandlungs- 
sucht dies verdiente, 

Ihr solltet ihn aufschreien hören In böigen Näch- 
ten — als führe alles Zahnweh und tausend 
Hexenschüsse, die von den Winden uns Land- 
fremden zugetragen werden sollten, in sein tief- 
stes Innere — und in solchen Nächten denke Ich 
an dich, mein kleiner Bub — denn wer weiß, 
wozu es gut war, daß du dieses verrückte Kla- 
bautermännchen für mich geknetet hast... 





In der Konditorei 


(X. Heiligenslaed!) 





„Die Torte sieht aber ziemlich alt aus, Fräulein!“ — „Ja, bei Torten geht das schneller, gnädige Frau!“ 


Nella pasticceria: “La torta sembra abbastanza vieta, signorinal,, — "Sl, colle torte la va plö rapidamente, signoral,, 


590 


EINE GUTE 
GESCHICHTE 


VON ERIK BERTELSEN 


Ich hate eine schlechte Erzählung geschrieben. 
Das kommt dann und wann vor. Aber diese waı 
so ausgesprochen schlecht, daß Redakteur Prim 
von der „Zeitschrift für Männer“ sich nicht damit 
begnügte, mir das Manuskript zurückzusenden. Er 
ließ mich wissen, daß er mir mündlich seine Mel- 
nung ausführlicher darlegen wolle, als es in einem 
Briefe geschehen könne. 

Die Zurechtweisung geschah nach dem gleichen 
Prinzip, das gewandte Pädagogen zurückgeblie- 
benen, aber nicht ganz hoffnungslosen Schülern 
gegenüber anzuwenden pflegen: 

„Warum schreiben Sie nicht eine wirklich gute 
Geschichte? Ich weiß, daß Sie es können, wenn 
Sie sich nur zusammennehmen. 
Es war nicht leicht, auf diese Außerung eine Ent- 
gegnung zu finden. Deshalb schwieg ich und war- 
tete auf weltere Unterweisung. Die kam auch. 
Prim fuhr fort: „Die Geschichte, die Sie mir sand- 
ten, ist vielleicht für ein gewöhnliches Wochen- 
blatt sehr gut, das einen rührenden Schluß wünscht. 
Aber nach meiner Auffassung sind diese Blätter 
allzu feminin geprägt. In der Zeitschrift für Män- 
ner verfolgen wir eine reallstischere Linie. Wir 
arbeiten dahin, daß die Unterhaltungsliteratur all- 
mählich eine männlichere Einstellung bekomm! 
Ich schwieg nach wle vor, Denn ich dachte nach. 
Ich dachte daran, daß es auch eine falsch betonte 
Männlichkeit gibt, solche mit Watte in den Schul- 
tern, und daß diese In gewissem Grade auch auf 
die „Zeitschrift der Männer” zutraf. 

Allmählich war etwas Trotz in mir aufgestiegen, 
und ich erdreistete mich zu fragen, wenn auch 
sehr ehrerbietig: 

„Könnten Sie mir nicht skizzieren, wie eine No- 
velle sein müßte, um Ihrem Geschmack zu ent- 
sprechen?” 

Redakteur Prim hatte seinen autorenfreundlichen 
Tag. Er antwortete gutmütig: 

„Ich werde Ihnen die Inhaltsangabe einer guten 
Geschichte geben. — Ein Junger Ingenieur hat 
seine eigene Firma aufgemacht. Und eine seiner 
ersten Aufgaben war es, eine Brücke über einen 
Fluß an einer schwierigen Stelle zu bauen. Das 
war eine sehr ehrenvolle Aufgabe, die ihm nicht 
nur deswegen übertragen war, weil sein Angebot 
das billigste war, sondern auch weil man seine 
hervorragenden Eigenschaften erkannt hatte. 

Er setzte seine ganze Kraft daran, die bestmög- 
liche Arbeit zu leisten. Aber als die Brücke sich 
ihrer Vollendung näherte, zeigte es sich, daß 
nicht alle seine Berechnungen standhielten. Er 
hatte nicht hinreichend in Betracht gezogen, daß 
die Konjunktur sich ändert, so daß seine Ausga- 
ben größer wurden, und es kam so, daß er, wenn 
er seine Verpflichtungen einhielt, nicht nur seine 
Arbelt umsonst getan hatte, sondern finanziell 
ruiniert war. Seine Ehre verbot ihm, an Material zu 
sparen oder eine schlechtere Qualität zu verwen- 
den, als er in Aussicht gestellt hatte. Es gab nur 
einen Weg der Rettung für ihn: Er konnte sich mit 
einer nicht mehr ganz Jungen Frau verheiraten, 
die nachwelslich verliebt in ihn war. Sie war reich 
und hatte außerdem Verbindung zu einflußreichen 
Kreisen. . Aber er machte sich nichts aus ihr. Er 
liebte eine andere — die Ihn sicherlich aufgeben 
würde, wenn er sich beim Brückenbau ruinierte. 
Er traf seine Wahl. Er vollendete die Brücke. Sie 
war ein Meisterstück, Niemand konnte einen Feh- 
ler an ihr finden. Und am Einweihungstage ström- 
ten die Leute in großen Scharen herbei. Aber ein 
Mann fehlte. Das war der Meister. Um selnen Aus- 
gaben gerecht werden zu können, halte er sein 
Geschäft auflösen und alles verkaufen müssen, 
was er besaß, von den Maschinen bis zum per- 
sönlichen Eigentum. 

Und während der Festausschuß mit Blechmusik 
an der Spitze über die flaggengeschmückte Brücke 
marschierte, — wanderte der Ingenieur allein auf 
einer fernen Landstraße, um Arbeit zu suchen, arm 
und heimatlos; aber seine Ehre hatte er gerettet. 
So, das nenne ich eine gute Geschichte für Män- 
ner. So etwas sollten Sie schreiben. Sie können 
das doch!” 








Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditge, 
Walter Foltzick, München. — Der Simplicissimus erschi 
anstalten entgegen. — Bezugspraise: Einzelnummer 30 Pl; Abonnement im Monat RM. 1.20. 

Nachdruck verbolen. — Posischeckkonio München 55 


Vorantwortl, Schriftlei 





Der Unwiderstehliche - L’irresistibile 


„Ja-8”, antwortete Ich nachdenklich, „Ich werde 
es Jedenfalls versuchen.” 

Um bel der Wahrheit zu bleiben, fühlte ich mich 
absolut nicht sicher. Ich war mißmutig, als ich den 
Redakteur verließ. Deshalb ging Ich nicht gleich 
nach Hause, sondern suchte meinen Kollegen 
Bent Konrädsen auf. Er konnte mich vielleicht nicht 
grade sehr aufmuntern, aber er pflegte ausge- 
zeichnete Zigarren zu haben. 

„Du siehst so niedergeschlagen aus”, sagte er bel 
der Begrüßung. 

„Ja — denn ich komme gerade von Redakteur 
Prim und habe eine schlechte Zensur wegen 
meiner Novelle bekommen.” 

Konradsen nickte. „Das sieht ihm ähnlich. Er ist 
schwer zufriedenzustellen. Aber ehrlich gesagt: 
Selbst wenn du einige gute Ideen hast, gibst du 
Ihnen selten einen halbwegs guten Ausdruck.” 
„Mit dir ist es vielleicht gerade umgekehrt‘, 
ich. 

„Tja“, antwortete er tlefsinnig. „Da sprichst du 
vielleicht wahrer als du denkst, Mir fällt das 
Schreiben leicht, aber die Einfälle schwer, Im Au- 











LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Ein berühmter Nordpoltorscher hatte sich für eine 
neue Expedition ein Paar besonders kräftige 
Schaftstiefel bei seinem Leibschuster bestellt, Bei 
der Anprobe fragte der Melster, wie sich denn 
das letzte Paar auf der vorigen Reise bewährt 
habe. 

„Hervorragend! erwiderte lässig der große 
Mann, „es waren die besten Stiefel, die ich je 
auf einer Polfahrt gegessen habe 














it wöchentlich einmal. B: 
— Unverlangle 








‚chaft, München, Sondiinger Straße &0 (Foınrıt 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brlı 
!lungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsg: 
Einsendungen werden nur zurückgesand!, wenn Porto beillegt. — 
öllungsor! München. 


(Fr. BIlek) 





genblick bin ich vollkommen ausgepumpt. Hast 
du nicht eine Idee für eine gute Geschichte?” 
Wenn ändere Menschen in der Klemme stecken, 
bin ich zuweilen ganz hilfsbereit. Und auch dies- 
mal wollte Ich den Freund nicht enttäuschen. Ich 
begann sofort zu erzählen, „Es war einmal ein 
Junger Ingenieur...“ 
Er bekam die ganze Geschichte Prims von dem 
unglücklichen Brückenbauer zu hören. Schon bei 
den ersten Worten verdüsterte sich sein Gesicht. 
Und Je länger ich sprach, desto tiefer wurden die 
Runzeln auf der Stirn, während er gleichzeitig 
seinen rastlosen Gang im Zimmer verstärkte. Ich 
habe selten einen Zuhörer gehabt, der ein so 
leidensvolles Miterleben zeigte. 
Als Ich endlich fertig war, sah er mich ernst an 
und sagte mit bebenden Lippen: „Ich habe immer 
geglaubt, daß wir Freunde wären. Aber jetzt sehe 
Ich, daß du nicht besser als andere bist. Sonst 
würdest du mich nicht in diesem Grad verletzen.” 
„Dich verletzen?” sägte ich verwundert. „Ich 
wollte dich im Gegenteil erfreuen.” 
„Stlll” sagte er hart, „du bist mir neidisch. Sonst 
würdest du nicht mit einem so unschuldigen Ge- 
sicht dasitzen und mir diese infame sentimentale 
Geschichte erzählen.“ 
„Mir scheint-die Geschichte auch nicht besonders 
gut”, entschuldigte ich mich, „aber ich erzählte 
sie wirklich In der besten Absicht.” 
„Danke — das habe ich deutlich gemerkt”, unter- 
brach er mich und wandte mir den Rücken. 
„Es wäre mir am liebsten, du gingest Jetzt.” 
So ging ich, ganz verwirrt und noch mißmutiger 
als vorher. Das war ein trauriger Tag für mich. 
Was hilft es, wenn man Gutes tun will und von 
seinen Mitmenschen nicht verstanden wird, 
Am nächsten Tag kam die neue Nummer der 
„Zeitschrift für Männer” heraus. Ich kaufte ein 
Heft und fand darin eine Geschichte mit dem Ti- 
tel „Der Ingenieur", geschrieben von Bent Kon- 
radsen. Nachdem ich einige Zeilen gelesen hatte, 
merkte ich, daß es die Geschichte von der 
Brücke war, die Unterschuß ergab. Und da ich 
den Geschäftsgang des Blattes kannte, wußte Ich, 
daß das Manuskript vor einigen Monaten einge- 
gangen war. 
Ich telefonierte mit Konradsen und gab ihm eine 
längere Erklärung. Und wir wurden wieder gute 
Freunde. Und das war eigentlich das Beste an 
der Geschichte. z 

(Aus dem Dänischen von Lucie Mülbe) 





lach: 
ichäfte und Post- 





Wavell und die Totengeier 


(E. Thöny) 





„Diese Hungersnot hier. ist wirklich schrecklich. Die Biester fressen mir mein ganzes Kanonenfutter weg!" 


Wavell e gli avvoltoi dei cadaveri: ""Questa carestia & qui davvero terribile le bestiacce mi divorano tutta la mia carne da cannonel,, 


592 


München, 17. November 1943 . 
48. Jahrgang / Nummer 46 n 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 





Im Unterhaus-Restaurant (m. Tnöny) 


mm 











„Ober, bringen Sie mir noch elne Portion. Die Debatte über die Hungersnot In Indien war ungemeln appetltanregend!“ 


Nel ristorante della Camera Bassa: “Camerlere, portateml un’ altra porzione! 
II dibattito sulla carestia In India mi ha eccitato un terribile appetitol,, 


Herbst im Stadtpark - Autunno nel Parco Civico 





HEIZEN 


Bei einer Zentralhelzung Ist die Sache so: Man 
steht vom Schreibtisch auf, faßt an die Röhren, 
dreht sinnlos an einem Hebel herum und sagt 
schließlich: „Der Hausmeister hat heute mal wie- 
der nicht richtig geheizt.” Damit ist die Sache er- 
ledigt. 

$o habe auch Ich es Jahrelang gemacht, Jetzt bin 
Ich In persönliche Beziehung zu einem Ofen ge- 
treten, In sehr persönliche Beziehung. Ein Ofen, 
müssen Sie wissen, meine Herrn Zentralgeheizten, 
ist ein Ding, das In der Ecke des Zimmers steht 
und dazu dienen soll, Wärme auszustrahlen. Da- 


ERNSTE ZWEIFEL 


Die Kirchmeih= und die Martinsgänfe 
ereilte fchon des Todes Senfe. 
Vorüber ift der Fefttagsfchmaus. 
Proft Mahlzeit! - Ich fiel leider aus! 


Auch Weihnacht ift nicht ausfichtsvöller. 
Denn wo Im Stalle oder Köller 

noch fo ein Vogel exiftiert, 

ift er bereits verabonnlert. 


Da müßte man Ja wohl fein Denken 
in Richtung auf Karnichel lenken, 
von denen wir durch Kenner hör'n, 
daß fle erfreulich eßbar wär’n. 


Doch felbft auf diefem Marktgeblete 

zieht man belämmert eine Niete, 

indem der Züchter uns belehrt, 

daß er fie lieber felbft verzehrt. 

Das ift im Grunde ja begreiflich, 

denn es ift menfchlich. Nur bezmeifl” ich, 

ob folche Eigenbrötlerei 

auch meltanfchaulich tragbar fel. 
Ratatöchr 


mit eln Ofen wärmt, muß er geheizt werden, Bis 
hierher ist die Sache vollkommen klar, aber wie 
wird ein Ofen geheizt und mit was? Haben Sie 
ein Ihnen nahestehendes weibliches Wesen zur 
Hand, werden Sie sofort mit ihm in Meinungsver- 
schiedenheiten eintreten über die Art des Hel- 
zens. Alle Männer glauben vom Heizen mehr zu 
verstehen als Frauen. Heizen ist ausgesprochen 
männlich. Helzen ist eine durchaus laute Tätigkeit. 
Man kann mit Schaufel und Schürhaken kräftig 
gegen Ofentüren schlagen, auf eisernen Rosten 
herumkratzen und Staub aufwirbeln. Frauen be- 
haupten, wenn Männer eine ungewohnte Arbeit 
verrichten, hätten sie es gern, wenn dabei starke 
Arbeitsgeräusche entstehen. Man könnte gut eine 
Schallplatte aufnehmen: „Er heizt ein.” Sie würde 
aus einer Tonfolge von Klirren, Schaben, Poltern, 
Fluchen und Stöhnen bestehen. Am Ende kann 
dann Prasseln eintreten, Prasseln bedeutet erfolg- 
reiche Beendigung der Tätigkeit, Prasseln zeigt 
on, daß der Ofen brennt. 

Aber vor das Prasseln haben die Götter den 
Schweiß gesetzt. Ich habe früher nie gewußt, wie 
heikel Ofen in der Nahrungsaufnahme sind, und 
daß ein’Unterschied zwischen Kohlen und Kohlen 
besteht und daß Holz nicht gleich Holz Ist, vom 
Ofen aus gesehen. Man kann einem Ofen noch so 
oft klarmachen, daß dies ein ganz vorzügliches 
Holz Ist, daß es nahrhafte Kohlen sind, die man 
Ihm anbietet, er frißt sie nicht. Bei Menschen geht 
das, Ofen haben einen sehr ausgeprägten Ge- 
schmack. Ofen verweigern die Nahrungsaufnahme, 
erklären das Angebotene für unverdaulich und 
beginnen zu rauchen. Das sollen auch Männer 
gelegentlich tun. Es ist aber noch unerträglicher, 
wenn ein Ofen raucht, als wenn es ein Mann tut, 
von der Wärmeerzeugung ganz zu schweigen. 
Ich bekenne, es ist ein stolzes Gefühl, einen Ofen 
In Brand zu stecken, es bereitet Befriedigung, 
man hat den Eindruck, eine ordentliche Arbeit ge- 
leistet zu haben. Man fühlt sich als nützliches 
Glied der Familie, auch wenn dabel ein Aschen- 


594 


(0. Hegenbarth) 
Te 
| 
| 


regen auf Möbel und Manuskripte niedergeht, wie 
es vor zwei Jahrtausenden bei der Stadt Pompeji 
geschah, Tja, wo gehobelt wird, da fallen Spähne, 
und wo Männer heizen, da fällt ein Aschenregen, 
Frauen haben Achtung vor gutheizenden Männern, 
und aus ihrem dankerfüllten Blick spricht etwas 
wie „Du Starker’, 

Übrigens hat das Helzen den Vortell, daß man 
sich die ganze Zeit damit beschäftigen kann und 
von Jeder anderen Arbeit abgehalten wird, Da 
gilt es nachzulegen, Asche zu entfernen, den Luft- 
‚zug zu regeln, Klappen zu öffnen und Überhaupt 
nach dem Feuer ständig zu sehen. Ich weiß es, in 
Jedem Mann wohnt, sagen wir mal ein Kind, un! 
das will heizen. Foltzick 


ES WAR EINMAL 


ein rechter Bösewicht, der hatte der Witwe 
Freundlich ein Schweln mitten In der Nacht ge- 
stohlen. Aber Gottes Mühlen mahlen sicher und so 
kam die Sache auf und der Bösewicht stand eines 
Tages vor seinem Irdischen Richter. 

„Was haben Sie denn mit dem Schwein gemacht, 
Angeklagter?" 

„Gegessen habe Ich es, hoher Rat!” 

„Gegessen? Und das sagen Sie so ruhig und ohne 
Reue? Haben Sie denn, von Jeder Irdischen Strafe 
abgesehen, daran gedacht, daß Sie sich eines 
Tages im Himmel für diese Schandtat verantwor- 
ten müssen? Was werden Sie sagen, wenn Sie vor 
Gottes Thron stehen und neben Ihnen die Witwe 
Freundlich, die Sie vor Gott anklagı?” 

Der Bösewicht sah sinnend zu Boden. 

„Verzeihung, hoher Rat”, sagte er dann, „glauben 
Sie, daß auch dann das Schwein da sein wird?” 
„Gewiß.” 

Da klärte sich des Bösewichtes Gesicht auf und er 
sagte: 

„Dann Ist es nicht so schlimm, hoher Rat. Dann 
werde ich sagen: ‚Bitte sehr, Frau Freundlich, hier 
Ist Ihr Schwein mit Dank zurück’... IHR. 


Jahreszeiten der Liebe 


(R. Kriesch) 





„Weißt du, Elll, Im Frühling Ist Liebe eigentlich Kitsch, aber Im Herbst liebt sich’s unglücklich am schönsten!" 
Stagioni dell amore: “Sal, EIll, I'!amore In prImavera In realtä non ha alcun valore, ma belllssimo & I’amore Infellce In autunnol,, 


595 


Britannia unter Polizeiaufsicht 


(0. Gulbransson) 








oLAar Abtnmansson 
3 





„Nein, nein, Miß Britannia, das ist keine Zwangsjacke, das ist das neueste amerikanische Jakett, das kleidet Sie vorzüglich!" 


Britannia sotto vigilanza di Polizia: “No no, Miß Britannia, questa non & una 
<amicia di forza, ma la giacca americana d’ ultima moda che Vi sta a meraviglial,, 


596 


DIE ARME LAVALLIERE 


VON EFFI HORN 


Beim Staubwischen am Montag früh fiel es Hen- 
riette sofort auf: der kleine Porzellanchinese, der 
In unendlich feinen Händchen ein langes Schrift- 
blatt hielt, wies eine kleine Verletzung am linken 
Daumen auf. Ein winziger Splitter war abgebro- 
chen, noch wenig zu sehen, aber beim Drüber- 
fahren deutlich zu spüren. 

Merkwürdig, wo ihn kein Mensch angerührt hat, 
dachte Henrietie und schaute sich für alle Fälle 
einmal mißtrauisch nach dem Kater um, aber da 
wäre dann immer noch zu klären gewesen, wie 
Mampe, der Kater, den allenfalls umgeworfenen 
Chinesen wieder aufgestellt hätte, Ein paarmal im 
Lauf des Tages noch fiel ihr die Wunde des klei- 
nen Figürchens ein, das sie im Scherz oft ihren 
Talisman genannt und sorgsam behütet hatte, da es 
das erste Geschenk war, das ihr vor anderthalb 
Jahren Walter Helbing, ihr Verlobter, mitgebracht 
hatte, 

Zwei Tage später fehlte dem Chinesen das Däum- 
chen der rechten Hand und Henriette war erst 
ärgerlich, dann unruhig, und da sie ihre Unruhe 
gern in Worten kundtat, schrie sie: „Zum Kuckuck, 
wer zerbröselt mir da eigentlich meine Porzellan- 
figürchen?”“ Abeı das Zimmer gab keine Antwort, 
was nicht weiter verwundern konnte, da es leer 
war. Am Abend erzählte sie Walter zum erstenmal 
von den kleinen Unglücksfällen ihres Talismans. Er 
bedauerte sie gebührend, doch, wie es Henriette 
vorkommen wollte, etwas zu teilnahmslos für einen 
Bräutigam, der In wonigen Monaten Ihr Mann sein 
sollte, und sagte, so etwas könnte halt mal vor- 
kommen. 

„Ja“, antwortete Henrieite mit ungewöhnlicher 
Bestimmitheit, „aber die Sache bedeutet doch 
etwas, und das gerade will ich wissen, Was meinst 
du, was ich von deiner Liebe halten müßte, wenn 
plötzlich mein, dein — unser kleiner Chinese sich 
selbständig in Scherben auflöste und damit sozu- 
sagen das Ahnenporträt ersetzte, das in feineren 
Familien vor Unglücksfällen polternd vom Nagel 
zu fallen pflegt!” 

„Fang nicht an zu spinnen”, bat Walter mehr 
freundschaftlich als liebenswürdig, worauf Hen- 
riette nicht umhin konnte, Ihn an sein letztlich zu- 
nehmend zärtliches Geplänkel mit Gerda, ihrer 
gemeinsamen Freundin, zu erinnern 

„Ach, Gerda”, sagte Walter und machte eine 
überaus beruhigende Handbewegung, eine Be- 
wegung, die so sehr beruhigend war, daß sie 
Henriettens Aufmerksamkeit erregte. Nanu, dachte 
sie, habe ich also da mit meinem Spaß doch an 
ein Stückchen Ernst gestreift, wie ich schon ein- 
mal meinte — und mit einigem Entsetzen spürte 
sie bei genauerer Kontrolle ihres Empfindens 
plötzlich eine seltsame und jähe Hitze in der 
Magengegend, die sie als gewissenhafte Medi- 
zinstudentin sofort als erstes Symptom heftiger 
Eifersucht diagnostizlerte. Gerde, ihre Freundin, 
wohnte mit ihr auf dem gleichen Stockwerk in 
einem Atelier und kam beinahe täglich zu ihr. Sie 
hatte stets eine gewisse verliebte Zuneigung zu 
Walter gezeigt, doch, wie Henriette bisher ge- 
glaubt hatte, stets mehr aus angeborener und un- 
verwüstlicher Koketterie mit ihm geflirtet, als aus 
irgendeinem wirklichen Gefühl des Besitzenwol- 
lens heraus, 

Es Ist doch ein Kreuz mit Freundinnen, dachte 
Henriette und unterdrückte mühsam einen Seufzer. 
Sie war Jedoch zu Walter freundlich und vergnügt 
wie immer, und als er sich früh verabschiedet 
hatte, ging sie zu Gerda hinüber. 

Gerda lag bäuchlings auf jenem Möbel, das sie 
Couch nannte und selber aus Matratzen, Kissen 
und einer Decke gebaut hatte. Sie las in einem 
dicken Buch, aus dem sie kaum aufschaute, und 
begrüßte Henriette mit dem aus tiefsten Herzen 
heraufgeholten und nicht ohne weiteres verständ- 
lichen Seufzer: „Ach, die arme Lavalliere!” 
„Wieso die arme Lavalliere?” fragte Henriette mit 
der Ihr eigenen Genauigkeit und ging ohne Er- 
staunen dem Überschwang der andern zuleibe. 
„Mönner sind halt mal unzuverlässig”, murmelte 
Gerda vieldeutig, nickte ihrer Freundin wissend 
und wie bedauernd zu und erklärte weiter: „Auch 
wenn sie Könige sind. Ich lese da gerade diese 
Liebesgeschichte von Ludwig dem Vierzehnten 
mit dem Fräulein von Lavalliere, das er nach vie- 


len Jahren recht lieblos verlassen hat, worauf es 
ins Kloster ging.“ 

„Gott, wenn man immer gleich ins Kloster gehen 
wollte“, sagte Henriette und dachte mit einem 
Gefühl zufriedener Sicherhelt an Walter. 
„Findest du nicht, daß es auch wiederum ganz 
schön ist und von Größe zeugt, einfach zu ver- 
zichten?” spann Gerda ihr Thema weiter. 

„Nein“, erklärte Henriette entschieden und hatte 
plötzlich das Gefühl, als müsse sie aufpassen, 
„Das hört sich gut an, besonders wenn man es 
grad gelesen hat.” 

„Weich mir nicht aus”, sagte Gerda mit Würde. 
„Warum nicht verzichten, wenn einem alle An- 
zeichen sagen, daß man nicht mehr geliebt wird 
— oder nicht mehr so wie früher?” 

„Das läßt man sich schon nicht sagen”, behaup- 
tete Henriette zäh und dachte mit einer gewissen 
Unfreundlichkeit an das unglückliche Fräulein von 
Lavalliöre, das sich so ohne weiteres gefügt 
haben sollte. 2 

„Ich verstehe das sehr gut”, sagte Gerda und 
drehte»sich auf den Rücken, woraus Henriette ent- 
nahm, daß sie jetzt eine ihrer längeren tiefschür- 
tenden Abhandlungen zu beginnen gedachte. Sie 
ließ sich ebenfalls bequem auf eine Schreibtisch- 
ecke nieder und Gerda fuhr auch schon fort: 
„Diese Lavalliöre, die noch dazu gar nicht so be- 
sonders hübsch war, hatte eben einem Kraftmen- 
schen wie Ludwig einfach nichts mehr zu geben. 
Das Verhältnis hatte ja auch schon einige Jahre 
gedauert. Und wie sie schon immer mehr fühlte, 


Glanz und Elend der Bauchgewölbe 


Von Peter Scher 


Ein frolter Bauch ‚ist ein Gedicht; 

die ihn besitzen, adılen ihn; 

er wird nur Glücklidien verlieh'n 

und wen er schmückt, den drückt er nicıt, 


Der Nidıtbaucı als sein Gegenpart 
befindet sich in raschen Scuh'n 
und hat nie Zeit, sich auszuruh'n, 
er überrennt die Gegenmart. 


Dodı ob audı Bauch, ist er nicht froh 
und nur die Häufung bittren Seins, 
so drückt er mit der Wucht des Steins 
dann fort mit ihm, es geht audı so! 


Idı kenne einen, der ihn hat; 

der war, sofern man richtig ahnt, 
von Gott als magerer Hedıt geplant, 
dadh leider fand ein Irrtum statt. 


Der uls Charakter klapprig war 

und Mißgunst in den Zügen trug, 

dem wuchs ein Bauch wie einem Krug 
und das entstelll' ihn ganz und gar. 


Trübselig hing an ihm der Baudı 
voll Eigensinn und mwürdelos — 

an einem Lineal ein Kloß — 

kurz unfroh, negativ, ein Schlaudh. 


Lußt ihn ihn tragen, es ist hart, 
mohl härter noch als mager sein; 

ein Bauch kann ein Versager sein — 
ein Hodı dem Baudı von froher Art! 


597 


daß er nichts Rechtes mehr von Ihr wissen wollte, 
da passierte auch schon diese seltsame Ge- 
schichte mit dem Rosenstock, die schon etwas 
Mystisches hat.” 

„Mit was für einem Rosenstock? Entschudige, aber 
ich bin ja nicht so intim mit deiner Lavalliäre”, 
sagte Henriette etwas ärgerlich, und Gerda er- 
zählte, zufrieden über die Aufforderung, weiter: 
„Der König hatte seiner Mätresse einmal einen 
Rosenstock geschenkt, den sie sorgsam hütete, 
da sie glaubte, sein Blühen zeige das ungetrübte 
Glück ihrer Liebe an. Und merkwürdigerweise be- 
gann der Rosenstock plötzlich zu kränkeln als der 
König.sich abzuwenden begann, und ging ein, als 
der Bruch völlig unsuswelchbar schien.” 

„Ach nein, wirklich?” sagte Henriette erstaunt, 
„Und die Lavalliöre heulte natürlich darüber und 
verschönte sich durch eine rote Nase und dicke 
Augenlider, wie es Männer, voraus Könige, so 
gern haben. .* 

„Laß das doch”, sagte Gerda ärgerlich. „Du bist 
manchmal so gar nicht einfühlsam, Ich meine aber, 
daß die Dinge schon irgendwie mit uns verbun- 
den sind und so etwas wie eine Seele haben. Sie 
spüren förmlich, was um uns vorgeht und haben 
so sehr wohl die Möglichkait, wie eine Antenne 
Wellen aufzufangen, die zu uns kommen. Viel- 
leicht sind sie noch feiner abgestimmt als wir und 
wissen schon, wenn wir selber erst ahnen. 
Henriette schaute die Freundin nachdenklich an. 
Sie hörte Gerda unendlich gern klug und’gehoben 
von Seele reden. Sie ist dann Gold wert, pflegte 
sie zu sagen, Jetzt fiel ihr dabei plötzlich Ihr klal- 
ner Chinese ein. Komisch, welche Wellen, welche 
verderbenbringenden Wellen, um in Gerdas ge- 
hobener Sphäre zu bleiben, mochten ihn berührt 
und seine Däumchen abgebrochen haben? 

Als sie später wieder in Ihrem Zimmer saß, sann 
sie noch darüber rach. Etwas stimmte nicht. Mit 
Gerda nicht, vielleicht auch mit Walter nicht, be- 
stimmt aber mit dem kleinen Porzellanfigürchen 
nicht. Walter schien sie in den nächsten Tagen oft 
prüfend anzusehen. Aber sie zeigte keine Spur 
von Unsicherheit, war heiter und gutgelaunt wie 





‚Immer und hatte das Gefühl, als sei er dafür nicht 


nur überaus empfänglich, sondern geradezu dank- 
bar. Allmöhlich wich eine leise Fremdheit, die sie 
ein paarmal meirte verspürt zuhaben, wieder ganz 
von ihm. Dem Chinesen waren derweil noch zwei 
Zehen abgebrochen. Henriette erwähnte es nicht 
Auch als Gerda die kleinen Brüche entdeckte und 
laut darauf hinwies, sagte sie nur gleichgültig: 
„Ja, so was kann vorkommen, dafür ist er eben 
aus Porzellan.” 

Viel später, als sie längst mit Walter verheiratet 
war, erzählte er ihr einmal, daß ihm Gerda eine 
Zeitlang fast — fast ein wenig gefährlich gewor- 
den‘ wäre. Mit ihrem Geglitzer und ihrem teils 
amüsanten, teils komisch-geschwollenen Gerede 
hätte sie Ihn Interessiert, hätte auch gar nicht 
schlecht Henrlettes Gradlinigkeit als Nüchternheit, 
ihren Ernst als Pedanterie herausgestrichen und 
leise, geschickte Warnungen vor künftiger Alt- 
backenhelt eingeflochten, 

„Aha, sagte Henriette, „und wenn ich damals 
grad eine schlechte Zeit gehabt hätte, und viel- 
leicht häufig zu Tränengüssen und Szenen geneigt, 
Eifersucht gezeigt hätte und sonst eine Trauer- 
weide gewesen wäre, hätiest du vielleicht dieses 
Goldstück Gerda In seinem ganzen feurigen 
Glanze erst so recht erstrahlen sehen. wie, und 
hättest es dir gar noch überlegt, oder?” 

„Ich glaub's nicht; heut nicht”, sagte Walter und 
lachte. „Oder vielleicht doch so 'n bißchen... 
.J8, die arme Lavalliörel” sagte Henriette. „Die 
war mir als Vorbild zugedacht Aber die gute 
Gerda hat zu dick aufgetragen. Deshalb habe ich 
mir auch die Mühe gemacht und habe selbst die 
Geschichte von dem blühenden Rosentsock nach- 
gelesen, die Gerda immer geheimnisvoll zum 
besten gab.” 

„Ah, der Rosenstock des Königs, der verblühte 
in der Ahnung kommender Unglücks?' 

„Ahnung ist gut”, sagte Henriette. „Der brave 
Rosenstock hat eingehen müssen, weil ihn die 
neue Geliebte des Königs, die spätere Mainte- 
non, heimlich mit Vitriol begossen hat und damit 
der guten Lavalliäre das berühmte Zeichen von 
oben gab. Und Gerda, die liebe, hat damals mel- 
nem Chinesen alle Fingerchen abgeschlagen, mit 
großer Mühe warscheinlich und trotzdem ohne 
Erfolg. Denn ich war halt leider, leider nicht so 
abergläubisch wie die arme Lavalliöre.“ 

„Na und ich?” sagte Walter. „Ich war eben treuer 
als Ludwig XIV., viel, viel treuerl'' 








DER DIRIGENT 


VON SCHLEHDORN 


Regierungsrat Julius hat eine quälende Ange- 
wohnheit. Er muß im Theater immer denken: ob 
wohl die Choristen und die Statisten satt ge- 
gessen haben. Im Zirkus: ob wohl der Clown von 
seinen Kollegen außerdienstlich auch ernst ge- 
nommen wird. Im Konzert: ob die Mitglieder des 
Orchesters auch glücklich verhelratet sind. 
Künstlerfrau sein ist wahrscheinlich schwieriger 
als Beamtenfrau. Da steht der Frau Marianne, geb. 
Pergin, die gewiß nicht schön war, aber Gluck 
glücklich machte, als Kontrast gegenüber die 
Maria Anna Apol!onla Haydn, der Hausdrache des 
gütigen Meisters. Wenn der eine Clara Wieck ge- 
funden hätte, und Beethoven überhaupt eine Frau 
als Empfängerin des schönsten seiner Briefe... 
Wenn Regierungsrat Julius musikalisch wäre, würde 
er sich während eines Konzerts konzentrieren, 
die Stirn tonversunken in die Hand gestützt, oder 


Die Verlassene 


aber zurückgelehnt, mit selig geschlossenen 
Augen, wie in der Badewanne von Tönen be- 
tieselt, und nur mitunter blinzelnd, zu welcher der 
beider gebräuchlichen Posen sich sein Nachbar 
entschlossen habe. 

So aber stellt er sich vor, wie der Baßgeiger 
wenn er zu Hause den ganzen Vormittag an den 
dicken Saiten gezuppt und gewuppt und geübt 
hat, seine gleichfalls behäbige Hausfrau bei der 
Suppe fragt: „Hast du gehört, die herrliche 
Sechste?” — „Och”, sagt sie „bei dii höre ich 
ja nur immer das Unterfutter der Musik. 

Oder der Pauker (sagt man Pauker?), der so mit- 
leidig ist — hat er mal zugehauen, so legt er 
meistens gleich besänftigend die Hand auf das 
geschlagene Fell — wie der sich zwischen dem 
Üben zu seiner Frau aufs Sofa setzt: „Nun habe 
ich mal wieder 64 Takte Pause, Wenn ich nicht 
noch 60 Takte warten müßte, um dann noch ein- 
mal ‚bumm’ zu machen, kämen wir noch recht- 
zeitig ins Kino.” 

Der Fagottist stößt einige Male kokett die Zunge 
vor, hebt das Röhrchen an den Mund, als ob eı 





IC. Sturtzkopf) 


„Buffet, du unerreichtes, mahagonifourniertes, wir bleiben zusammen!" 


L’abbandonata: 'O tu, buffeito, senza pari, impiallacciato di mogano, noi restiamo insieme!,, 


598 


Cocktail schlürfen wollte, macht baua-quäh, und 
dann setzt er wieder ab. Der Trompeter gießt so- 
gar jedesmal aus, was er zuvor gespielt hat. 
Cello ähnelt am meisten der Menschenstimmme 
— wie gut, daß in der sparsamen Natur nicht 
jeder Bariton solchen Kehlkopf braucht, und daß 
der Klang von ihm an anderer Stelle hervor- 
gebracht wird. Die Harfe mit ihrem Klimper- 
gewimmer hört sich an, als ob eine unglückliche 
Maus sich im Käfig der Musik verirrt hätte — 
meist ist es eine Dame, die sie aus der Partitur 
ins Freie läßt. 

Am rührendsten Ist der dritte Zweite Geiger; der 
hat vor der fliehenden Stirn eine treue Brille, 
einen weißen Haarkranz, der absteht wie Ge- 
fieder und ein Nußknackerkinn. Julius ist über- 
zeugt, daß der noch nie einen falschen Ton ge- 
griffen hat — ein zuverlässiger Geigereibeamter. 
Dann gleitet sein Blick über den begabten flämi- 
schen Flötisten T. I. de Lütt und über den Ersten 
Geiger, den Bulgaren Doremifsoleadoff zu dem 
Manne, der im Mittelpunkt des Saales steht: dem 
Dirigenten. der dick auf den Plakaten steht; dem 
Generalmusikdirektor, der allein in den Kritiken 
steht: Anton Bullendur heißt er, und der 
Musikbetrachter der Allgemeinen Nachrichten 
Weber-Vibrato ist sein Prophet. 

Wenn Regierungsrat Julius musikalisch wäre, 
würde ihm jetzt nicht der Gedanke durch den 
Kopf gegangen sein: „Ob der Mann wirklich so 
nötig ist? Gewiß, wenn er In herkulischen Boxer- 
stößen den alten Herren im Orchester mit dam 
Einsatz droht, einmal, zweimal, dann fangen die 
auch an. Aber sie blieben wohl im Takt auch 
ohne ihn. Die klassischen Sachen können sie 
ohnehin, und bei den.modernen kommt es nicht 
so genau drauf an. Olfen gestanden, mir stört er 
manchmal die Andacht.” 

Aber dann war die Musik wieder so schön, daß 
Julius dankbar war, nicht musikalisch zu sein, 
denn so brauchte er nicht zu kritisieren, sondern 
nur zuzuhören... * 


Weber-Vibrato, der Musikbetrachter, eilte nach 
dem Konzert helm an den Schreibtisch. Alles an 
ihm war Nerv und Musik. Seine Brille brüllte 
sein Halter hallte, seine Tinte tönte und was er 
schrieb, das schrie: „Bullendur-Abend”, 

Uber dem Schreiben ergriff ihn ein Gedanke. Er 
riß seinen breitkrempigen Hut vom Haken, ordnete 
nur flüchtig das Halstuch und stürmte in die, Woh- 
nung des Generalmusikdirektors, wo ihn der Ton 
angebende, etwas verwundert und sich diskret 
den Mund abwischend, empfing: „Was verschafft 
mir die Freude?” 

„Meister — aber nein, ich mag Sie nicht mehr 
Meister nennen. Wenn Haydn In der Hauskapelle 
des Fürsten Esterhäzy, während seiner Pause mit 
dem Geigenbogen taktierte, wenn Johann Se- 
bastian Bach vom Cembalo aus gelegentlich mit 
der weißen Spitzenmanschette den Einsatz winkte, 
— so war er kein orchestraler Betriebsführer, son- 
dern bloß ein gehobener Mitspieler, eben bloß 
— Meister Aber kein Direktor, geschweige denn 
Generalmusikdirektorl Keiner von ihnen halte 
den Stab des Feldmarschalldirektors. 

Heute aber wurde mir klar: der Komponist trägt 
höchstens den Werkstoff herbei, das Orchester 
bearbeitet Ihn, aber die Dome, ja, die Hoch- 
häuser baut daraus in zeitlos zementenen Qua- 
dern — der Dirigent. Er gebiert die klassische 
Vollendung, an die sich Beethoven mühsam her 
angetastet. 

Es ist schon musikalisch unverantwortlich, ein 
Quartett so einfach vor sich hinspielen zu lassen 
— vier Männer ohne jeden Dirigenten, wie ein 
Verein ohne Vorsitzenden, ein Museum ohne 
Interpreten, ein Alpenglühen ohne Erklärer. Oder 
wenn die altbewährte Sopranistin von dem alt- 
gewohnten Begleiter akkompagnlert Jubilare Tri- 
umphe feiert: ich vermisse den musikalisichen 
Chaperon, den Dirigenten.“ 
„Hm, das hat viel Richtiges”, 
Bullendur x 

„Und nun hören Sie meine Idee: Sie müssen 
ein Solo geben! Das ist die Forderung der 


sagte der große 


Modeunterricht in Moskau 


(Erich Schtlling) 





„Das Muster und die Form Ihrer Krawatte sind wirklich sehr apart, Mr. Eden, 
aber wie man sie zuzieht, werde ich Ihnen zeigen, das kann ich besser!“ 


Lezioni di moda a Mosca; "ll disegno e la forma della vostra cravatta, Mr. Eden, sono 
davvero molto a parte, ma Vi mostrerö io come si debba fare Il nodo.... 10 lo so far meglio!,, 


Stunde, Was ein modebedingter Klavier- oder 
Geigenspleler kann, das können Sie zehnmal. 

Dirigieren Sie eine Symphonle ohne Orchester! 
Etwa die göttliche Dreizehnte, oder ein Werk 
des Debussy-Schülers Mollhuber, etwa die ‚Pfütze 
Im Mondschein‘ die heute in aller Munde ist. 
Wachsen Sie im Crescendo schrumpfen Sie im 
Diminuendo zusammen, wiegen Sie sich Im Le- 
gato mit selig breitem Munde, müllern Sie im 
Fortissimo und wechseln Sie nachher den Kragen. 
Wir haben so viel Musik ohne Melodie, so viel 
Tondichtung ohne Musik gehört, daß wir endlich 


zur Musik ohne Ton durchdringen dürfen. 
reinen Anschauungsmusik. 

Und zum Anfang einer neuen Tanzkunst. 
Seit Jahren bewundern wir Sie — von hinten. Ich 
kenne jede Naht Ihres Fracks, jede Falte Ihres 
Nackens, ja, das ausdrucksvolle Mienenspiel 
Ihrer Beinkleider... Welche Tänzerin würde es 
wagen, wieSie, nur durch die Rückansicht fesseln 
zu wollen? Welcher Ausdruckstanz, drückt sich 
nur von hinten aus? 

Und wenn Sie sich gar bei Ihrem Solo zum Publi- 
kum herumdrehten! Wir würden rasen vor Beifall 


599 


Zur 


— wie jedesmal, wenn Sie sich herumdrehen und 
die Gewinnabschöpfung des Beifalls vornehmen. 
Also fort mit dem Orchesterl Wir sind zu musl- 
kalisch, noch Töne zu wollen. Die Plakate und 
die Berichte können bleiben wie sie sind. Die 
teden ohnehin nicht von den armen braven 
Namenlosen, die da unten diverse Töne machen, 
die sprechen doch nur von Anton Bullendur — 
dem Dirigenten.. ” 

Der große Mann hat versprochen, den Vorschlag 
ernstlich zu erwägen. Er hat aber schließlich ab- 
gelehnt. Man sagt, selne Frau sei dagegen. 


Das Urteil des Paris - Il giudizio di Paride 


m" ENT 











N 




































































(Fr. Bllek) 














DIE BAUCHBINDE 


VON HEINZ SCHARPF 


Ehe ich diese Geschichte, die sich im Weltkrieg 
ereignete, erzähie, möchte Ich vorausschicken, 
daß ihr anekdotischer Reiz nicht so erheblich Ist, 
daß sie eine besondere stilistische Ausschmük- 
kung verdiente, ich halıe mich also an die nack- 
ten Tatsachen, die ich am”Schluß allerdings dis- 
kret bekleiden werde. 

Damals lebte auf Schloß Neudeck im Burgenland 
die alte Baronin Hatvany, deren noch Immer 
Jugendliches Herz mit Begeisterung an den Sol- 
daten hing. Sie befahl die NeudeckerDorfschönen 
aufs Schloß, wies auf einen Berg giftgrüner Wolle 
und sagte: „Kinder, davon werden Bauchbinden 
für die Soldaten gestrickt, Ein warmer Bauch ver- 
daut das kälteste Essen und in den Karpathen 
wird die meiste Zeit kalt serviert. Also los” 

Die Mädeln waren begeistert. „Der Bauch eines 
Soldaten ist auch ein schönes Land‘, kicherte die 
alte Ilonka, die nicht gerade in Ehren grau ge- 
worden war. Jetzt strickte sie drauf los, wie sie 
früher drauflos aeilebt hatte. 

Nicht lange darauf gingen hundertfünfzig fertige 





Bauchbinden zur Armee Ins Feld ab, als Liebes- 
gabe der Gemeinde Ne.deck. Sie kamen zur ach- 
ten Kompanie eines Jäger-Regiments und erwie- 
sen sich als so warm und schmiegsam, daß sie 
allseits gern getragen wurden. Sogar auf Urlaub 
fuhren die Soldaten damit. Eine Anzahl von ihnen 
kam auch nach Salzburg, wo das Regiment im 
Frieden garnisonierte. Der Fähnrich Quast erhielt 
gleichfalls dorthin Urlaub. Es war bitterkalt, als 
er in der schönen Salzachstadt ankam, aber er 
hatte Sonne im Herzen und die wärmende Gift- 
grüne um die Hüften, Auf der Staatsbrücke stieß 
er mit einem Mädchen zusammen, das Ihn zwar 
nur kurz anblickte, aber es war ihm, als ob Ihn 
ein Flammenwerfer gestreift hätte. Die Kleine 
würde ich vom Fleck weg heiraten, durchfuhr es 
ihn und sofort machte er kehrt und stiefelte der 
Schönen nach. Sie steuerte schnurgerade auf das 
Caf& Bazar zu, der Fähnrich folgte ihr immer knap- 
per auf dem Fuß Im Caf& war nur mehr ein ein- 
ziges Tischchen frei, das zum Sitzen einlud, eine 
kleine Aufmerksamkeit Gott Amors. Fast zu glei- 
cher Zeit nahmen die beiden Platz. Schon nach 
den ersten Worten, die sie miteinander austausch- 
ten, verstärkte sich die Absicht des Fähnrichs. 
dieses reizende Geschöpf vom Fleck weg zu 
heiraten. 


600 


Sie hieß'Ingeborg. Nach einer halben Stunde 
nannte er sie bereits Fräulein Inge, dann Inge und 
schließlich Ingelein. Zurammen verließen sie das 
Cafe. Fräulein Inge, die sich bis dahin als eine 
blonde Unschuld erwiesen hatte, ließ auch weiter: 
hin keinen Sturmangriff zu. 

Dann standen sie vor ihrer Haustür. Im selben 
Augenblick erlosch die Straßenbeleuchtung, wie- 
der eine kleine Aufmerksamkeit Gott Amors, die 
auszunützen nun der Fähnrich nicht unterließ. 
„Wollen Sie noch eine Tasse Tee bei mir trinken?” 
fragte Im Anschluß daran Ingeborg, „aber wir 
müssen leise sein, daß meine ‚Zimmerfrau uns 
nicht hört.” Det Fähnrich war leiser als eine Katze 
die an eine Maus heranschleicht. 

Dann saß e' mit Ingelein unter einer roten Steh 
lampe und dachte zum drittenmal: die oder 
keinell Kein Wunder wenn dem verliebten Quas! 
dabei so warm wurde, daß er bei gegebener Ge- 
legenhei* sich-seiner Bauchbinde zu entledigen 
trachtete 

Inge. die hingegossen auf der Couch lag, sah es 
mit großen Augen. Beim Anblick der glitgrünen 
Binde entfuhr es Ihr unversehens: „Bist du auch 
bei der achten Kompanie?” Uber dieses „auch“ 
fiel der Fähnrich aus allen Wolken. Fräulein Inge- 
borg wurde nicht vom Fleck weg geheiratet. 


HERR KEIN UND DIE MANDOLINE 


Da war er also eingezogen. Um der guten Augen, 
einer sorgsamen Geste der Frau willen, denn die 
Häßlichkeit des Zimmers blies, blitzte und redete 
kreischend gleich von Anfang an auf ihn ein, mit 
gipsernen Trompetern, vergoldeten Nippes, mit 
porzellanenen Wellblechgebilden, leise schau- 
kelnden Schilfbukeits, mit vergilbten photographl- 
schen Vergrößerungen in altdeutschen Rahmen. 
Dann stand er am Fenster und sah in einen trüben 
Hof, in ein Hinterhaus, dessen Öffnungen wie 
blinzelnde, verschlagene, dumme Augen blickten, 
wie die Augen eines mißratenen Wesens. Trotz- 
dem nahm er das Zimmer und er bekam auch 
Immer Zucker zum Morgenkaffee. „Herr Kein“, 
sagte die Frau zu ihm — sie sagte Immer Kein, 
obwohl er Grein hieß — „warten Sie noch einen 
Augenblick, Ihr Hut muß noch ausgebürstet wer- 
den. Gestern hat es geregnet und Sie nehmen nie 
einen Schirm.” — Dann kam sie fix mit der Bürste, 
So war es auch mit anderen Dingen und Herr Kein 
— nennen wir ihn In Gottes Namen auch so, denn 
die Frau setzte sich durch und er hatte nach einer 
gewissen Zeit alle Einwendungen und Richtig- 
stellungen aufgegeben — war proper und in Ord- 
nung, wenn er tagsüber Geschäftsbesuche machte 
und abends einige Male in der Woche Im frisch 
gebürsteten, zwelreihigen blauen Anzug in den 
Schachklub ging. Trotzdem war Herr Kein ein ein- 
samer Mensch, so sehr ihn die spanische Partie 
interessierte und manches Wechselgespräch den 
grüblerischen Geheimnissen des gefährlichen 
Königfanges nachzuspüren suchte. Die exakten 
Marschschritte in dem kristallenen Reich des Ver- 
standes konnten ihn nicht darüber hinwegtäusche: 
daß ihm manches fehlte. Doch war er schüchtern, 
fand schwer zu anderen Menschen und die Mäd- 
chen, so sehr sie ihn lockten in Träumen und auf 
seinen Wegen, waren göttliche Gebilde und eben- 
so weit von ihm entfernt. Wolken, Monde und das 
hohe Firmament lagen dazwischen. So hob er nur 
dann und wann seinen Blick, um vor der engel- 
gleichen Schönheit, vor ihrem Duft wie vor di 
rätselvollen, tierhaften Grazie ihrer Körper zu er- 
schauern. 

Es war die Zeit der frühen Abende. In den Nach- 
mittägsstunden schon lief der Mann, der eine 
lange Stange geschultert trug, an deren hoch- 
gehaltenem Ende eine kleine Petroleumflamme 
brannte, durch die Straßen und entzündete die 
grünen Monde der Gaslaternen. Sie machten zu- 
nächst die Dämmerung nur noch tiefer. Herr Kein 
schritt fröstelnd und mit hochgeschlagenem Man- 
telkragen den Positionslichtern der Lampen ent- 
lang. Sie standen und schwebten im feuchten Ne- 
bel wie schwermütige Geister. Im Zimmer gloste 
der Ofen. Er machte kein Licht. Kein Ton war zu 
hören und auch die gipsernen Männer in Stulpen- 
stiefeln und Federbarett schienen Ihre Trompeten 
abgesetzt zu haben. Da krachte tief im Gehäuse 
des Sofas, von plötzlichem Freiheitsdrang gepackt, 
eine jahrelang von dicken Menschen gefolterte 
Feder. Nein, ihre Kammer war nicht zu sprengen, 
aber sie hatte es nun jedenfalls einmal der Welt 
gesagt, laut und pistolenschußartig. Herr Kein 
dachte, sie hat recht und so Ist es nicht verwun- 
derlich, daß auch er daraufhin zu einer Tat ent- 
schlossen wär oder doch einen Weg zu Ihr suchte. 
Aus vielen Fenstern im Hinterhaus strahlte Helle 
in den bodenlosen Schacht des finsteren Hofes. 
Hinter den dünnen Wänden aus Glas hantierten 
Menschen, andere saßen, unbeweglich sinnend 
dem Leeren verbunden, in der Flut ihrer Gedanken 
tuhend, wie schwimmendes Holz jm stillen Wasser. 
Herr Kein starrte hinüber, das Gesicht an die 
Scheiben gepreßt. Seltsam lockende, dämonische 
Schauspiele boten sich mitunter in den Aus- 
schnitten der Fenster dar, genährt von dem Grauen 
des Panoptikums wie von der mechanischen Ge- 
lenkigkelt des Marionettentheaters. Einmal sah er 








VON ROLF FLUGEL 


so etwas Entsetzliches, zum mindesten in der Wir- 
kung Entsetzliches, daß er beschloß, seine Neu- 
glerte einzustellen. 

Nun, heute brach er sein Gelübde. Dort und hier 
strahlten die Fenster ihm gegenüber, und es war 
wie das Rampenlicht vor Monologen und Panto- 
mimen. Und nun sah er zum erstenmal das Mäd- 
chen mit der Mandoline. Auf einem Tisch war ein 
Notenständer aufgebaut, die linke Hand faßte die 
Griffe am Hals des Instrumentes, die Rechte zirpte 
mit dem Schildpattplättchen zögernd, stockend 
und gelegentlich einhaltend über die Saiten. Kein 
Ton drang zu Ihm und auch das Gesicht des Mäd- 
chens war ihm verborgen, Herr Kein bückte sich, 
um den Ausschnitt des Fensters zu verändern. 
Doch war der Hals, ein schmaler, weißer Hals, an 
dem ein dünnes Ketichen blitzte, das Äußerste 
was sich seinen Blicken bot. Fesselte ihn die De- 
mut der Gebärde, wär es das streichende Spiel 
der Finger? Er erinnerte sich, kürzlich auf einem 
Bild musizierender Engel von Jan van Eyck schon 
einmal solche Hände gesehen zu haben, lang- 
gliedrige, in der Bewegung selbst zur Melodie 
gewordene Hände. Als Herr Kein tags darauf 
seinen Geschäften nachging, war er von einer 
drängenden Unruhe erfüllt. Es fiel ihm schwer, 
sich selbst Rechenschaft abzugeben. Es ist ein- 
fach lächerlich — das sagte er mehrfach ohne 
sonderlichen Erfolg vor sich hin. Im Schachklub 
sollte er heute mit dem — mit dem Dings, dem 
Enzinger spielen, dabei wußte er ganz genau, 
daß er nicht mit dem Enzinger spielen werde, 
überhaupt mit niemand, daß er gar nicht hingeht, 


DAS SCHWARZE HUHN 


Das war die alte Leverkuhn, 
die saß mit ihrem schwarzen Huhn 
zu Lüneburg im Spittel. 


Sie hatte weiter nichts zu tun, 
als sich vom Leben auszuruhn 
im Rahmen ihrer Mittel. 


Doch war'n im Herbst die Felder kahl, 
ward ihr der Ohrenstuhl zur Qual, 
und sie begann zu hoppeln. 


Sie band das Huhn in einen Schal, 
nahm Binsenkorb und Bohnenpfahl, 
und stapfte in die Stoppeln. 


Und schien ihr lohnend wo der Grund, 
band sie das schwarze Huhn los, und 
es klingt wie eine Fabel: 


es suchte rings umher im Rund, 
und trug wie ein dressierter Hund 
ihr Ähren zu im Schnabel. 


Und lag im Winter dann der Schnee, 
lud Leverkuhn'sch auf Kornkaffee 
zu sich die Spittelsassen. 


Und zwischen Kuchen und Gelee, 
das schwarze Huhn als gute Fee 
trank mit aus allen Tassen. — 


WILHELM MICHEELS 
601 


daß er — sie wiedersehen will, daß es brennt in 
ihm, ihre schmalrückigen Hände zu betrachten und 
das Gesicht kennenzulernen. Das Gesicht, das 
er nicht kennt und doch kennt. Es wird von dunkel- 
braunen Locken umrahmt sein, sinnierte er, und 
über dem himbeerfarbenen Mund wird ein schma- 
ler Nasenrücken zu den feinen Pforten der Augen- 
brauen führen. In der Phantasie war Herr Kein 
ein rüstiger, Ja mutiger Fußgänger in den Gefill- 
den der Liebe. Da kannte er jeden Winkel und 
Jeden lauschigen Platz. Alle Springbrunnen drehte 
er auf, und es gab kein schwellendes Polster, auf 
dem er sich nicht schon mit den Amoretten seiner 
kühnen Gedanken zu seligem Spiel gelagert 
hätte. So darf es nicht wundernehmen, daß er 
auch vor dem zärtlichen, seligen Rund ihres Busens 
nicht halt machte. 

„Aber Herr Kein“, sagte die Hausfrau, die,an 
den-mit fast pedantischer Sorgfalt eingehaltenen 
Stundenplan ihres Mieters gewöhnt war, und sie 
setzte gleich hinzu, ob ihm etwas fehle. „Nein, 
gar nicht — das heißt eigentlich doch.” Und Herr 
Kein benahm sich mit fiebrigglänzenden Augen 
weiterhin so verwirrt und fahrig, daß die Gute In 
ernster Sorge daranging, einen Kamillentee zu 
kochen. Sie zwang ihn mit mütterlicher Gewalt in 
die Küche, und erst nachdem er einige Tassen 
voll bis obenhin hinuntergestürzt hatte und nun 
die ersten Schweißtropfen wie die Herolde eines 
noch folgenden stattlichen Zuges unter den Haa- 
ren hervorsickerten und langsam begannen, die 
Stirn hinunterzurollen, um in den Gruben der 
Augenhöhlen zu verschwinden, war sie mit Ihrem 
Hilfswerk zufrieden. Nun müsse er schnell ins 
Bett. Ja, das wolle er auch, und verschloß nach 
einem flüchtigen Gruß die Tür zum Zimmer. Dann 
stürzte er mit einem einzigen langen Satz ans 
Fenster, hielt sich am Rahmen fest und sah die 
der Musik hingegebenen Finger, die Mandoline 
ruhend im schmalhüftigen und doch weichen 
Schoß, den Hals und das Kettchen. Ach — er 
preßte das Gesicht, das dampfende Gesicht an 
das kühle Glas, fühlte sein Herz schlagen, kröf- 
tiger und schneller. Dann senkte er den Blick 
unter der Last eines unsichtbaren Schicksals irgend 
wohin ins Dunkle des Hofes. Ob ich sie liebe, 
fragte er sich bestürzt und voll einer tiefen, ihn 
selbst überraschenden Erschütterung. Dabei kenne 
Ich nicht einmal ihr Gesicht, ihre Stimme, den 
Druck ihrer Händel Ich liebe weniger als ein 
Schattenbildi — 

Tags darauf, als ein zuckriger Schnee gefallen 
war, der die ganze Stadt, die Brücken und Bögen 
und die Burg zu einer einzigen Weihnachtsaus- 
lage gemacht hatte, war er geneigt, mit einem 
spöttischen, überlegenen Unterton die Eindrücke 
des vergangenen Abends als Hirgespinste ab- 
zutun. Der Enzinger hatte angerufen; er ist mit 
dem Hinweis auf die Kamillenkur auf heute abend 
vertröstet worden. Doch spielte er ohne Lust und 
verlor in kurzer Zeit zweimal hintereinander. Ob 
der Kamillentee etwa blond oder schwarz sel, 
hänselte der Enzinger, nachdem sie die Figuren 
in die Schachtel zurückgegeben hatten, Auf diese 
Frage ist Herr Kein prompt rot geworden; er hat 
sich schnell verabschiedet ünd ist nach Hause ge- 
laufen. Doch war das Fenster im Hinterhaus schon 
dunkel. Da stand er nun und seufzte In das 
schwarze Viereck hinein, an eine dumme Wand 
hin. Liebende haben für unbeteiligte Betrachter 
leicht eiwas Komisches, um nicht zu sagen Irres, 
jedenfalls etwas, das zum Spott reizt. Doch ist 
von diesem Spott zum Neid nicht allzu weit, und 
wie gnadenlos ist eine Zeit, die so wenig noch 
von der herrlichen Bürde der Anbetung gelten 
18ßt. Auch Herr Kein mag unser Lächeln heraus- 
fordern, ‚als er jetzt, die Stirn unter der bohrenden 
Last der brunnentiefen und doch auch wieder 
schmetterlingsleichten Gedanken kraus gezogen, 


VEO-TLENMSOFND 


(R. Siock) 





Sonst, wenn er durchs Fenster blickte 
und die blanke Scheibe sah, 

freute sich der Mensch und nickte: 
„Wahrlich, er ist wieder dal” 


daranging, die Schuhe auszuziehen, die Krawatte 
zu lösen, die Hose aufzuknöpfen, die Unterhose 
abzustreifen, um jetzt mit eckigen Knien, den 
Namen der unbekannten Geliebten murmelnd, am 
Waschtisch zu stehen, Aus dem Ofen fiel eine 
rote Glut. Herr Kein bewegte die Zehen auf und 
ab, kleine Tänzer im schönsten Bühnenlicht. So 
dachte er an das Fräulein mit der Mandoline. 

Viele Menschen sind Im Bett vor dem Einschlafen 
besonders mutig. Sie halten große Reden auf 
ihre Widersacher, und eine tödliche Dialektik 
steht ihnen auf einmal zur Verfügung; originelle 
Gedanken, wert aufgeschrieben zu werden, kut- 
schieren vorüber, blitzen auf in der Laterna ma- 
gica des Bewußtseins und verschwinden wieder 
im Nebel des Nichts. Auch Herr Kein hatte die 
Lösung. Sie war kinderleicht, und er pfiff leise vor 
sich hin. Er würde einfach morgen die Wirtin fra- 
gen: Sie wohnen schon lange in dem Haus — Sie 
kennen doch die Leute, so würde er sagen. Im 
zweiten Stock im Hinterhaus lebt en mandoline- 
spielendes Mädchen. Wissen Sie ihren Namen? 
Dann würde sie Ihn sagen und alles wäre gut. Sie 


Wie so hold umspann die Nähe, 
Busch und Teich und Feld, sein Licht. 
In der Ferne alles Jähe 

floß zusammen, ward zunicht. 


würde Ihm vielleicht mit dem Finger schalkhaft 
winken und: Herr Kein, Herr Kein rufen. Ach, 
würde er dann mit einer lässigen Bewegung er- 
widern und ein Lächeln aufsetzen, das Lächeln des 
Frauenkenners. Dann würde er die Tür in die Hand 
nehmen, mit zwei Fingern an den Hutrand tippen, 
so wie er das einmal im Kino gesehen hatte und: 
Tag Frau Schuler sagen. Unter diesen forschen Be- 
trachtungen schlief er ein, und ganze Heerscharen 
mandolinespielender Engel schlossen sich um Ihn 
zu einem schwebenden, zirpenden Chor zusam- 
men. Die Engel waren von einer mädchenhaften 
Anmut, doch hatten sie keine Gesichter. 

„Es Ist nämlich so”, sagte Herr Kein am Morgen, 
und er hatte das Gefühl, als ob sein Körper allein, 
von seinem Ich im Stich gelassen, diesen waghal- 
sigen Weg hinunterliefe, immer schneller, immer 
schnelier, „daß im Hinterhaus Jemand Mandoline 
spieltl“ — Die gute Frau Schuler hielt im Geschirr- 
spülen ein; alle Frauen haben da eine Witterung, 
kennen sich aus und sind zusammengeschlossen 
wie ein Orden. Sie hob schalkhaft den Finger, sah 
Ihren heute so sonderbaren Mieter von der Selte 


602 


Aber heut ist er uns allen 

ein Fanal wie früher nie. 

Herzen hämmern, Lippen lallen: 
„Horchl.... Was war das? ... Kommen sie?“ 


Dr. OWLGLASS 


an und erwiderte: „Herr Kein, Herr Kein!” — Herr 
Kein hatte es genau gewußt, aber es half ihm 
nichts. Die Röte überzog sein Gesicht bis hinter 
zu den Ohren, und es war, wollte man die Farben 
in dem Zimmer gegeneinander abwägen, ein grel- 
ler Gegensatz zu dem nickelhellen Morgen im 
Fenster. Die ‘Frau hatte ihr Lächeln verstärkt, doch 
war es mit Güte vermischt. Herr Kein sah sich um 
wie ein gefangenes Tier, es blieb Ihm nur mehr 
der Ausweg des Amoklaufes. Mit donnernder 
Stimme schrie er: „Ich frage nur, weil ich den 
Lärm nicht vertragel Daß Sie es wissen, dieser 
Lörm, der oft bis in die Nacht hineingehtl” Es 
dröhnte im Nachhall eine Tür und Schritte, auf- 
geregtes Getrampel, klapperten über die Treppe, 
Der mit sich selbst und der Welt zerfallene Junge 
Mann begann nun in den nächsten Tagen gegen 
seine — wie er es jetzt höhnisch nannte — wahr- 
haft kopflose Liebe vorzugehen. Doch mußte er 
immer wieder feststellen, wie viel Ableger sich 
schon in das Erdreich seines Herzens versenkt 
hatten. Trotzdem stand er nur mehr selten am Fen- 
ster, und auch da sah er nicht Immer die musizie- 


tenden Hände. Mehr und mehr verklärte die süße 
Wehmut des Verzichts die Unerreichbare. Im 
Schachklub wirkte er geheimnisvoll; ein männlich 
beherrschter doch weher Zug schien um seine 
Lippen gegraben. Deigestält von einem großen 
Liebeserlebnis umwittert und gezeichnet, machte 
er über das Brett gebeugt seine Züge, ein ernster 
Mann, plötzlich weit über seine Jahre hinaus gereift. 
Wir sind schon fast geneigt, mit Herrn Kein zu- 
sammen von der Gnade der Überwindung zu spre- 
chen, da kam eines Tags, besser eines Abends, 
ein Mödchen vom Rückgebäude her über den Hof 
gesprungen. Herr Kein hatte sich gerade Hart- 
wurst gekauft und Kaisersemmeln, jetzt aber war 
Ihm der Hunger fortgerutscht durch die Taschen 
seines Anzugs. Was hatte er denn von ihr ge- 
sehen In der Sekundenschnelle? Wohlgeformte 
Beine, einen grünen, pelzverbrämten Mantel, zärtlich 
um die Hüfte gespannt, oder war der Mantel rot 
oder blau — das wußte er nicht. Aber er sah ihr 
Gesicht, durchpulst und belebt von allen herr- 
lichen Strömen der Jugend, Dieses Gesicht — er 
sinnierte Im kalten Hausgang vor sich hin — war 
wie ein auf Flaum gebettetes Osterei. Ach, wer 
wollte sagen, was dieses Gesicht ihm war: Ster- 
nenlicht und küßbarer Mund, paradiesischer Klang 
und Spiegelbild. „Haben Sie warten müssen?” 
fragte Ihn Frau Schuler, doch hatte sie das Tee- 
wasser warmgehalten, Sie wollte ihm so gerne 
helfen, und einmal fand er einen Zettel auf dem 
Tisch: Inte: rt Sie der Name noch? Doch tat 
er damals so, als hätte er ihn nie gelesen. Nun 
von dem Tag an, da er das Mädchen gesehen 
hatte, war die Welt anders und kostbarer gewor- 
den. Der gipserne Trompeter war heute vergoldet; 
alles schien heute vergoldet. Herr Kein schrieb in 
sein Geschäftsbuch mit goldenem Bleistift gol- 
dene Ziffern. Auf goldenen Schuhen schritt erüber 
goldene Straßen, und er wußte auch, daß er es 
jetzt tun könne. Als er sie wieder traf, diesmal 
‚auf der Straße vor dem Haus, zuckte nur kurz sein 
Herz. Zuviel stand auf dem Spiel, Dann sagte er, 
als hätte er es schon oft gesagt: „Fräulein, spielen 
Sie Mandoline?” Das Mädchen war kurz stehen 
geblieben. Es war eigentlich nicht sehr überrascht, 
denn schon öfter mochten Ihr ähnliche Dinge be- 
gegnet sein. Auch der Unwille war ein dezenter 
Unwille. Die Männer konnten wohl nicht anders, 
und Irgendwie schien es ihr auch in Ordnung zu 
sein. Dann erwiderte sie, und ihre Augen funkelten 
vor Lust an der Parade, aber auch die Grausam- 
keit mochte einige Bilnklichter aufgezogen haben: 
„Das finden Sie wohl besonders originelll” Herr 
Kein brachte noch ein aufgeregtes „Aber — — —" 
hervor, doch war da nichts mehr als eine Wand 
und ein Schild an der Wand, ein Nummernschild. 
Herr Kein las die Ziffern, rechnete sie zusammen 
und multiplizierte sie mit fünf, Sie konnte Christa 
heißen. Dann tauchte er wieder auf und schüttelte 
sich; der Kopfsprung in die Behälter Ihrer Augen 
war zu Ende. In einem Zug matt, quälte er sich. 
Das gab es doch nicht, Oder ging dieses Spiel, 
das Ja auch kein Spiel, sondern das Gegenteil 
von einem Spiel war, nach anderen Regeln? Er 
konnte es Jetzt einfach nicht, die Figuren zusam- 
menzuwerfen. 

So stand er die nächsten Tage, die Wochen, um 
die gleiche Stunde vor dem Haus, stapfte durch 
faulenden Schnee, glitschte über geltorenes Was- 
ser, hörte einmal auch einen frischen Regen auf 
seinen Hutrand trommeln — sie kam nicht mehr. 
Schräg gegenüber in der Ecke eines Hausgangs 
war eln Maronimann mit seinem runden, schwar- 
zen Ofchen aufgezogen. Herr Keln wurde Stamm- 
gast. Sie führten freundliche Gespräche, derwell 
er selne Hände an den heißen Kastanlen wärmte. 
Dann ging er wieder auf und ab und streckte in 
Abständen die runden Kugeln In den Mund. Sie 
dampften noch, wenn man die knusperige Schale 
entfernte. Er ließ sie, von der Zunge gesteuer 
In der Mundhöhle herumrollen, bis sie genug ab- 
gekühlt waren, um mit Zähnen und Gaumen ge- 























packt zu werden. Als täglicher Kunde bekam er 
ausgewählte Exemplare; duftende Kugeln, Hitze 
strahlende kleine Sonnen. Herr Kein hatte mitunter 
Mühe, sie unterzubringen. Als einmal, es mochte 
die dritte Woche vergangen sein, die linke Backe 
gerade bis zum Platzen gefüllt war, da geschah 
es — da kam das Mädchen hinter ihm her. Ohne 
sie gesehen zu haben, fühlte er sie. Sein Herz 
hämmerte und dröhnte ihm in die Ohren. Schon 
war sie an seiner Seite. Der Mann drehte In un- 
widerstehlichem Zwang den Kopf, sah sekunden- 
schnell einen erstaunten, dann spöttischen Blick 
in der dunklen Tiefe ihrer Augen. Nun nahm er 
den Hut vom Kopf, wollte trotz der klemmenden 
Kugel in der linken Backe zu sprechen beginnen. 
Doch war sie schon an ihm vorbel. Er griff wütend 
nach der Kastanie im Munde und behielt sie in 
den Fingern. Das Hutband klebte an der Stirn. 
Dann murmelte er ein Wort: „Vorbei oder so 
etwas Ähnliches. Mehr und mehr nahm seine 
Liebe in den nächsten Monaten einen mystischen 
Charakter an. Manchmal, wenn er wach im Bett 
lag, war er sich darüber klar, daß dieses Mäd- 
chen gar nicht existiere, daß es.ein Idol war, eine 
Phantasmagorie, das geistige Bild eines reinen 
Wunsches, und er faßte es in den Goldgrund 
gotlscher Madonnengemälde. Nur scheu hob er 
dann und wann noch in Gedanken den Blick zu 
ihr, die vor ihm schwebte im dunklen Zimmer. Zu 
überirdisch schien ihr Funkeln, zu göttlich die 
Strahlung Ihrer Gnade. Es ist nicht verwunderlich, 
daß Frau Schuler längst, was die Wirkung Ihres 
Kamillentees betraf, In ehrliche Zweifel gefallen 
war. Ihr Mieter hatte den Frohsinn abgı it, so 
wie im Herbst die Bäume Ihre Blätter ablegen, 
nur nicht so tändelnd, nur nicht so gelb und rot, 
als wollten sie ihr nahes Ende mit Tanzkleidern 
verhüllen. Nein, vielmehr so, wie einer, der seinen 
von einem Windstoß entführten und von der Stra- 
Benbahn überfahrenen Hut In den Randstein wirft. 
Und Christa? Ahnte Christo etwas von dieser 
Verwüstung? Schritt sie vielleicht mit hoch- 
geschürztem Röckchen durch diese Seelensteppe? 
Ist sie, sagen wir es deutlich, kokett, kalt, grau- 
sam und unwürdig, das Bild des Medaillons zu 
füllen, mit dessen silbernem Ketichen Herr Kein 
wie ein Weihnachtspaket sein Herz verschnürte. 
Weiß sie etwas von dieser Fesselung, die Ihr 
winzigstes huldvolles lächeln zwar noch enger 
und unlösbarer, aber zu süßer Bürde verwandelt 
hätte, oder Ist sie diesen immer neu auf sie 
eindringenden Anrufen gegenüber taub? Isı sie, 
mit einem Wort gesagt, dumm? Denn dieses 
ist die eigentlichste und größte Dummheit der 














LIEBER SIMPLICISSIMUS 


Ich habe meine Gebirgsjäger In der Instruktions- 
stunde Über den Gebrauch des Gewehrs belehrt 
und dabei auch vor unnützem Munitionsverbrauch 
durch vorelliges Schießen ins Blaue hinein ge- 
warnt. Um darzutun, wie nachteilig sich die 
Außerachtlassung dieser Warnung auswirken 
könne, wies Ich auf die Tatsache’ hin, daß im 
Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 auf einen 
Franzosen eiwa 3000 Infanteriegeschosse gekom- 
men seien. Da platzte ein biederer Ostmärker 
heraus; „Sakra, den muaß nit übel z’rissen ham.” 


* 


Der trinkteste französische Lyriker Ponchon, Mit- 
glied der Goncourt-Akademie und Verfasser so 
mancher wein- und liebesfrohen Leichtfertigkeit, 
fühlte sich krank. Nach gründlicher Untersuchung 
stellte der Arzt Wassersucht fest. 

„Unmöglichl” Ponchon lächelte ungläubig. „In 
meinem ganzen leben habe Ich keinen Tropfen 
Wasser getrunken!” ER 





Frauen. Dabei ist es so gewesen, daß Christa 
einige Male, ja öfter, ohne von ihm gesehen 
zu werden, mit Herm Kein zusammengetroffen 
war, daß sie seinen Namen wußte, daß sie 
bald begann, sich Ihres eigenen Spottes ob 
seiner komischen Hilflosigkeit zu schämen, ja ein 
mütterliches Ahnen zum erstenmal aus unbekann- 
ten Gründen ihres Wesens aufsteigen spürte. Ihr 
Liebster, das hatte sie sich zwar die ganzen 
Jahre her gesagt, mußte ein Sieger sein. So mit 
Hallo und Augenzwinkern und Händen in den 
Taschen. Mit der Schulter würde er zucken, nur 
eine kleine Bewegung, kaum sichtbar, und schon 
würde sie an seine Brust sich stürzend drängen 
und Liebesworte stammeln. Eine Hand würde er 
in seiner Tasche behalten, die andere aber, o 
die andere, um ihre Hüfte schlingen. Eine Eisen- 
klammer wäre das, ein Schraubstock, und wenn 
sie Schmerzensschrele ausstoßen würde, wären 
es keine Schmerzensschreie, sondern solche der 
Lust. Nun kam Kein! — Die Erwachsenen hatten 
es oft genug gesagt, Jetzt sah sie es selbst: Das 
Leben ist kein Film. Kein Ist das Leben, $o ging 
sie hin, sich eine Mandoline zu kaufen, ein leich- 
tes, wehes, verzichtendes Lächeln spannte sich 
um ihren Mund. Sie schien plötzlich reifer; außer- 
dem war sie unmusikalisch. Doch hatte sie gestern 
ihren Herrn Kein — so nannte sie Ihn bereits für 
sich — wleder einmal gesehen. Sie freute sich 
mit drängender Kraft ihrer prangenden Jugend. 
So breitete Christa In stiller Erwartung und mit 
falschen Griffen auf der Mandoline den sonst so 
dunklen Mäntel der Zukunft vor sich aus, Da sie 
wußte, was sie wollte und entschlossen war, da- 
nach zu handeln, da der blinde Passagier Kein in 
ihrem Lebensschifflein nie selbst zum Steuern zu 
bewegen seln würde, ging sie tags darauf, be- 
sonders nett angezogen und duftend vor Frische, 
Harm Kein entgegen. Es war die selbstverständ- 
lichste Sache der Welt, „Herr Kein”, sagte sie 
und ihre Stimme flackerte nicht einmal, „natürlich 
kann ich Mandoline spielen” — Zwischen der 
Frage und der Antwort lagen sieben Wochen. Sie 
schrumpften in sieben Sekunden zusammen. Herr 
Kein hielt ihre Hand, sah, da er den Blick noch 
nicht ganz zu erheben wagte, auf den höchsten 
Knopf ihres Mantels, Dieser große, runde, glän- 
zende Knopf war wie ein kleiner Spiegel. Er sah 
sich dort den Hut abnehmen. „Ach“, sagte er, 
„dann sind Sie es doch, Ich habe es gleich ge 
wußt.” Blitzschnell, nicht aus dem Wissen, nur sus 
der Witterung des llebenden Menschen schöpfend, 
kam die Antwort: „Ja, ich bin es" — Wer soll 
ich sein, dachten ihre nächsten forschenden Ge- 
danken besorgt; dann begann er aber schon zu 
erzählen, alles zu erzählen. Das fadendünne Rinn- 
sal wurde zur plätschernden Kaskade. Da war 
der Kopf zu den Händen, den Hüften. Die Kas- 
kade wuchs zum Wasserfall. Herr Kein war ein 
guter Erzähler. Herr Kein war auf einmal ein 
guter Erzähler. Noch Immer hielt er Ihre Hand. 











‚ „Verzeihen Sie.” Dieses Engelsgesicht neigte sich 


ihm lächelnd zu, es war ein Löcheln, das die höch- 
sten, die schroffsten Berge sich öffnen ließ, um 
die Schötze ihrer Tiefe darzubieten. 

Sieben Sekunden wurden zu sieben Jahren. Es 
war, als ständen sie noch immer Hand in Hand. 
Dabel waren sie schon längst verheiratet. Die 
Mandoline lag Im Glasschrank auf einer dunkel- 
toten Plüschdecke neben den Tassen mit dem 
breiten Goldrand. Sie führte das Leben einer Tro- 
phöe und sie blieb, allem Drängen Herm Keins 
zum Trotz, ungespielt, Nein, sagte Christa und er- 
höhte syblllisch das Geheimnis noch mit dunklen 
Andeutungen, nein, sie könne und’ dürfe nicht 
mehr splelen. Die Mandoline sei kein Musikinstru- 
ment. Was sie zum Klingen habe bringen sollen, 
habe sie zum Klingen gebracht. Sie sei ein Sym- 
bol. Dabei hatte Herr Kein eine Vorliebe für das 
Mandolinenspiel. Doch sagte er jedem, der es 
hören wollte, daß Christa die Richtige sei. Auch 
Frau Kein bestätigt es. 








Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kommanditgosellschaft, München, Sondlinger Straße 89 (Fermrut 1256). Brlofanschrift: München 2 BZ, Brioffach. 


Vorantwortl. Schriflleiter: Walter Foltzick. München, — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal. 
anstalten entgegen. — Bezugsprelso: Einzelnummer 30 PI.; Abonnement Im Monat RM. 
Nachdruck verboten. — Posischockkonto München 55 






1.20. — Unverlangl 


tollungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgoschäfte und Post- 
Einsendungen werden nut zurückgesandt, wenn Porto beiliegt. — 
Erfüllungsort München. 


Bel den Wilden 


(Wiiheim Schulz) 


x e er ar 


N: 


d es werden im Kriege in Europa Frauen und Kinder von fliegenden Soldaten umgebracht!" 
„Aber Großpapa, erzähl uns doch keine solch übertriebenen Greuelmärchen, so was gibt es doch bei den Zivilisierten nicht!‘ 


Presso i selvagg „e nella guerra In Europa vengono massacrati donne e bambinl dal soldatl dell’ aria!,, 
“Ma, nonno, non raccontarcl tali esagerate favole di atrocitä; ciö non avviene, no, presso popoli civili!,, 


604 





München, 24. November 1943 
48. Jahrgang / Nummer 47 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELL ! FT, MÜNCHEN 

















SLarı Ansson 3 








Der Dompteur 








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I EZ, 
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„Was Sie hier sehen, war einmal der wilde Britenleu — heute kann ich ihn in jeder Konferenz vorführen!" 


Il domatore: "Quello che vedete qui era una volta il selvaggio leone britannico ....oggl lo lo posso presentare In ogni conferenza},, 








Am Seeufer - In riva al lago 


DAS WILD 


VON WALTER FOITZICK 


Zuerst hatten wir es gar nicht bemerkt. Wer denkt 
auch daran, wenn er auf einem Bahnsteig auf 
und ab geht. Da sagte ein kleines Mädchen: 
„Schau mal, Mama, die süßen Tiere.” Süße Tiere 
sieht Jeder gern. Wir dachten zuerst, es handle 
sich um nette Hundchen. Es waren aber keine 
netten Hundchen, nein, auf dem Handwagen lag 
etwas mit Fell, ein Haufen Felle eigentlich nur. 
„Ach, Rehe“, sagte die Mama, „paß auf, daß du 
dich nicht schmutzig machst.“ Diese Gefahr be- 
stand allerdings, denn es war allerlei Blut zu se- 
hen. Daraus ergibt sich sofort, daß es sich hier 
nicht um süße Tiere sondern um Wild handelte. 
Wir waren nicht jagdlich interessiert, verstan- 
den auch nichts von kapltalen Decken, aber vom 
Wild verstanden wir alle was. Einer sagte: „In 
Rahmsoße sind sie am besten‘. Ein anderer griff 
Irgendwohin ins Fell. Das war nicht Liebe oder 
Zärtlichkeit, er wollte nur mal feststellen, ob was 
dran ist. Die Prüfung fiel zur Zufriedenheit aus: 
„So ein Schlegel hat seine acht Pfund”, meinte 
er. „Er ist mir lieber als der Rücken, gespickt, 
müssen Sie wissen.‘ Wir wußten es, oder wir er- 
innerten uns wenigstens. 


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Schön sahen die Tiere gerade nicht aus, denn 
man hatte Ihnen schon alles abgenommen, was 
zum Wandschmuck geeignet Ist. Trophäen nennt 
das der Jäger, glaube ich, und darunter kommt 
In schöner Schrift Ort und Datum des Tages, wo 
das ‚Tier das Zeitliche segnete und zum Wild- 
bret wurde, Das Ist alter Weldmannsbrauch. 

Es waren übrigens nicht bloß Rehe, sondern 
auch Hirsche und Gemsen, so wenigstens sagte 
ein Fachmann. Und er wies auch auf die Stelle 
bei den Gemsen, wo die ganz vorzüglichen Ra- 
slerpinsel wachsen. Die Richtigkeit muß ich die- 
sem Fachmann überlassen, denn ich habe Rasier- 
Pinsel bisher Immer nur gekauft und nie ge- 
schossen. 

Wir alle fanden die Tiere sehr schmackhaft, und 
nur das kleine Mädchen bedauerte sie. Kinder 
sehen halt nicht gleich das Wesentliche, Wir 
fanden das Wild sehr wesentlich, und eine Dame 
begann, die ganze Strecke in Fleischmarken um- 
zurechnen. Das hatten die Tiere sich nicht träu- 
men lassen, falls Gemsen, Hirsche und Rehböcke 
überhaupt träumen. Wir aber wurden alle etwas 
träumerisch. 

Einer sagte, er werde sich seine letzte Kalbs- 
haxe, natürlich gut abgefieselt, nächstens auf ein 
schöngeschnitztes Brett montieren lassen und ein 
Datum darunter schreiben, das Datum, an dem 
er die Kalbshaxe erlegt, Verzeihungl, zerlegt hatte. 


606 


(R. v. Hoerschelmann) 


NICHTS FUR UNGUT 


»Sie reden Immer bloß vom Effen«, 

hat eine Dame mich gerügt, 

»und fcheinen drüber zu vergeften, 
daß das denn doch nicht ganz genügt. 


Wo bleibt das zärtliche Fibrieren, 

dfe feurige Begeifterung, 

das felige Sich-Im=All=Verlieren 

- na, kurz: wo bleibt der höhere Schwungt« 


Errötend fenkte Ich die Stirne, 

als ich das Wort zur Kenntnis nahm, 
Dann aber recht’ ich meine Birne 

und fprach: »Entfchuld’gen Sie, Madaml 


Ich bin ein unbeholf'ner Stammler, 
der fchlichte Käfebrote fchmiert, 
kein Hymniker und Dithyrammler, 
der braufepulorig erplodiert.« 


Ratatöchr 


Von Moskau zurück Eindny) 


„Sonderbare Leute, diese Sowjets — jetzt erwarten si 
Engländer für ein bolschewistisches Europa auch noch kämpfen!" 


itorno da Mosca: “Che strana gente questl sovieti! Adesso aspettano anche che nol Inglesl combattiamo per un’ Europa bolscevical,, 


607 





DAS GRÜBCHEN AM KINN 


Verwöhnt? Nein, verwöhnt waren wir nicht, der 
Ramon und ich. Wir hatten schon schlechter ge- 
wohnt als bei Dofia Carmen in Las Canchas. Wir 
hatten auch schon schlechter gegessen als bei 
dieser Dame. Teurer allerdings hatten wir noch 
nirgends gewohnt und gegessen. Und das war 
es, was uns den Aufenthalt in Las Canchas etwas 
verleidete, 

Damals wurde dort nach Petroleum gebohrt. Wir 
bohrten. Aber wir fanden nichts. Das kommt vor. 
Dieses Bohren kostete nicht unser Geld. Im 
Gegenteil: wir verdienten dabei. Wir wurden 
recht gut bezahlt, Und das wußte Dofia Carmen. 
Oh, sie war scharf her hinter dem Gelde, das wir 
verdienten, Sie wollte auch teilhaben an. dem 
Ppäpierenen Segen, der sich über den kleinen Ort 
am Rande der Quebrada de Cifunchos ergoß. Und 
so nahm sie uns ab von unserem Verdienst, was 
sie nur ergattern konnte. 

Nun werden Sie sagen, lieber Herr, wir hätten 
Ja woanders wohnen und essen können. Ach, das 
ging nicht, Es war alles belegt. Wir, der Ramon 
und Ich, wir waren ja nicht die einzigen Männer, 
die bei Las Canchas bohrten. 

Es waren noch andere Herren da. Und alle muß- 
ten untergebracht werden, Alle mußten essen. Die 
Leute von Las Canchas waren auf den plötzlichen 
Ansturm nicht eingerichtet. Sie richteten sich erst 
ein, als sie sahen, daß es etwas zu verdienen 
gab. Und wie sie sich einrichteten! Alle. Nicht 
nur Dofa Carmen. 

Nun legt Ja in der Regel so eine Petroleumgesell- 
schaft, wenn die Bohrungen beginnen, ein Camp 
an mit allem Komfort für ihre Leute. Bei Las Can- 
chas aber war das anders, Bei Las Canchas dachte 
man nicht daran. Es kam mir von Anfang an vor, 
als glaubten die Herren selber nicht so richtig 
an das Vorhandensein ergiebiger Erdölquellen in 
dieser Gegend, Und deshalb wurden die Aus- 
gaben für die Anlage eines Camps gespart, Wir 
bekamen Geld, nichts welter. Wir gingen In 
Selbstverpflegung. Sie kennen so etwas sicher 
auch, lieber Herr. 

Also: wir wohnten und aßen bei Dofia Carmen. 
Wir waren ihr gewissermaßen zugewiesen worden 
als Einquartierung. Vom ersten Augenblick an be- 
handelte sie uns als lästige Eindringlinge. Nur 
das Geld, das wir ihr zahlen mußten, war fähig, 
Ihr Gesicht etwas aufzuhellen und ihren Mund 
zum Schweigen zu bringen. 

Ich muß Ihnen nun sagen, daß Dona Carmen eine 
Mestizin war, eine mächtige Frau, unter deren 
Tritten das Häuschen wankte, in dem wir wohn- 
ten. Es wankte auch, wenn Dofia Carmen eine An- 
sprache an uns hielt. Das tat sie gern, oft und 
mit Ausdauer, Sie hatte immer etwas zu reden. 
Nur wenn sie Geld bekam, war sie still, 

Dofia Carmens Haus hatte zwei Räume, einen 
größeren und einen kleineren. In dem größeren 
wohnten wir, In dem kleineren die Hausbesitze- 
tin. Jeder Raum hatte einen separaten Eingang, 
selbstverständlich, Gekocht wurde in einer Breiter- 
bude, die an der Seite des Hauses stand. Das 
war sehr vorteilhaft. 

In dem Raum, den wir bewohnten, der Ramon 
und ich, war kein Fenster. Doch das schadete 
nichts. Licht und Luft bekamen wir genug. Es 
waren Spalten und Risse da, durch die Junge 
Hunde und anderes Getier zu uns herein- und 
wieder hinauslaufen konnten, Es lief. Das Getier. 
Regen? Nein, Regen hatten wir nicht. Es war nicht 
die Zeit dazu, als wir uns in Las Canchas auf- 
hielten. Aus diesem Grunde machte es uns auch 
nichts aus, daß nur etwa die Hälfte des Raums 
mit einem Dach versehen war. Auf der anderen 
Seite des Hauses, bei Dofia Carmen, sah es noch 
luftiger aus. 

Leider hatten wir keine Betten. Wir schliefen 
auf dem Fußboden. Der Fußboden bestand aus 


VON KONRAD SEIFFERT 


losem Lehm, der vielleicht früher einmal fest- 
gestampft gewesen war. Jetzt ging er in rötlichen 
Wolken hoch, wenn man seinen Fuß daraufsetzte. 
Und Sie glauben nicht, lieber Herr, wie lange 
sich solch roter Lehmstaub schwebend in der Luft 
zu halten vermag! Eigentlich saßen, standen, lagen 
wir immer im Lehmstaub, wenn wir uns in dem 
Raum aufhielten. So etwas ist störend, wahrhaftig! 
Störend war auch das Ungeziefer. Nein, ich will 
Ihnen hier nicht aufzählen, was da alles ‚lief, 
sprang, flog, kroch, schwirrte. Das würde zu viele 
Zeilen kosten. Aber an Ungeziefer gewöhnt sich 
der Mensch bekanntlich. Ramon und ich, wir ge- 
wöhnten uns, 

Ich sagte schon, daß wir bei Dofia Carmen aßen. 
Ja, sie kochte für uns. Sie kochte jeden Tag so 
ziemlich das gleiche. Es war immer eine fette, 
mißfarbene Brühe, in der allerhand herumschwamm. 
Geschmack? Nein, das Zeug schmeckte eigent- 
lich nach nichts. Es brannte nur entsetzlich auf 
der Zunge und im Hals, Das kam von den vielen 
Gewürzen, die Dofa Carmen verbrauchte, Aber 
damit, daß uns der Schlund ausgebrannt wurde, 
mußten wir Ja überall rechnen, 

Es war sozusagen ein Eintopfessen, das wir In 
Las Canchas täglich vorgesetzt bekamen, Dona 
Carmen behauptete, es sel Puchero. Nun Ist 
Puchero tatsächlich etwas Zusammengekochtes, 
Aber es gibt da doch Unterschiede, wahrhaftig! 
Dofia Carmen war uns gegenüber wenig liebens- 
würdig. Sie schrie uns an. Sie kümmerte sich nicht 
um unseren Schlafraum. Sie dachte nicht daran, 
uns das Leben ein wenig angenehm zu machen. 
Wenn sie mit dem Essen angewatschelt kam, 
dann krakeelte sie dabei mächtig, schimpfte auf 
uns Tagediebe, beklagte sich über die viele Ar- 
beit, die sie mit uns hatte, behauptete, früher 
habe sie andere, ganz andere Herren beherbergt, 
hach! Sie war überzeugt davon, daß wir ihr viel 
zu wenig Geld gaben, Und das sagte, schrie, 
schluchzte sie dann auch, Sie hieb das Essen auf 
den wackeligen Tisch, daß es überschwappte. Am 
nächsten Tage waren die Spuren ihrer Empörung 
Über uns noch zu sehen. Auf dem Tisch. 

Und Ramon sagte, nachdem wir etwa eine Woche 
bei Dofia Carmen für sehr viel Geld schlecht ge- 
wohnt und noch schlechter gegessen hatten: „Das 
ist nicht auszuhalten! Hier muß endlich etwas ge- 
schehenl” 

Ich hatte da wenig Hoffnung. Aber vielleicht, 
dachte ich, fällt dem Ramon doch etwas ein, was 
geeignet ist, unsere Lage zu bessern! 

Bevor wir nach Las Canchas gekommen waren, 


AUF JENEN FELDERN 


Einst wird viel roter Mohn 

Auf jenen mildzerpflügten Feldern prangen, 
Kind goldne Ahren wiegen sid im Sommermind- 
Wer weiß? dann scıon, 

Weldı bitÜren Weg wir dort gegangen 

In Nadıt und Grauen sind? 

Wer weiß, wer fragt es 

Fon denen, die da nadı uns kommen werden, 
Weldı Ungesagtes 


" Längst sidı verband mit Stein und Erden —? 


Der Mohn bleibt stumm. 

Und nur der Grübler, der sich aus der Welt 

Hierherverirrt, — 

Nur der wird dunkel ahnen dann, warum 

Ein Ahrenfeld 

So rot mie Blut auf dieser Erde wird — — 
HERBERT LESTIBOUDOIS 


608 


hatten wir oft und gern gelacht. Aber Jeizt waren 
unsere Gesichter tiefiraurig. Ja, solch ein Drachen 
wie Dona Carmen kann aus einem fröhlichen 
Menschen In kurzer Zeit einen Melancholiker 
machen, wahrhaftig, lieber Herr! Doch das Leben 
ging weiter, 

Ein paar Tage später sagte Ramon zu unserer 
Hausfrau, als sie uns das Essen brachte: „Dona 
Carmen, Sie haben da ein ganz entzückendes 
Grübchen am Kinn!” Dabei lächelte er die Frau 
an, es sah beinahe aus, als sei er In sie verliebt, 
Ich muß sagen, daß ich sehr stark erschrak und 
befürchtete, Dofia Carmen werde sich solch 
plumpe Anbiederung sehr energisch verbeien, 
Weit gefehlt! Sie tat es nicht, Sie stellte das 
Tablett sacht auf den Tisch, zum erstenmal. Dann 
siemmte sie die massiven Fäuste in ihre kolossalen 
und sehr weichen Seitenteile, sah sich den Ramon 
en, legte den Kopf schief, grinste, verzog das 
Mäulchen und flüsterte: „Ach, das haben mir die 
Männer früher oft gesagt!“ Dabei schloß sie die 
Augen. 

Ramon sagte ihr nun noch ein paar Sachen, die 
so entsetzliche Schmeicheleien waren, daß ich 
mich sehr schämte. Dabei aßen wir. Puchero. Wie 
immer. 

Dofia Carmen watschelte davon. Ich war gerade 
dabei, dem Ramon zu erklären, daß er mit seinen 
blöden Redereien wohl bei einem neiten, hüb- 
schen, Jungen, freundlichen Mädchen Erfolg haben 
könne, nicht aber bei solch einem Ungetüm wie 
Dofia Carmen. Da kam sie zurück. Mit dem Tablett, 
Auf dem stand der Nachtisch, Noch nie hatten 
wir Nachtisch bekommen. Heut gab es Nachtisch, 
Es war etwas In Fett Gebackenes, sehr süß und 
sehr heiß. Es schmeckte recht gut, 

Und Ramon lobte das Zeug mächtig. Noch nie, 
behauptete er, habe er so etwas Vorzügliches 
gegessen. Und auch Ich sprach ein paar an- 
erkennende Worte. Danach redete Ramon wieder 
von Dofia Carmens Grübchen am Kinn, Sie quiekte 
wie ein Tapir auf der Flucht vor dem Jaguar. 
Als wir am anderen Tag nach Haus kamen, war 
der Fußboden unseres Raums mit einem Teppich 
belegt, Es konnte nun auch für mich nicht mehr 


‚zweifelhaft sein, daß Ramons Methode die rich- 


tige war. 

Sie war die richtige, das können Sie glauben, 
lieber Herr! Bei jeder Gelegenheit wurde sie 
nun von Ramon angewendet, Ich hätte ihm nie 
so viel Selbstüberwindung zugetraut. Schließlich, 
dem guten Beispiel folgend, ging auch Ich dazu 
über, Dofia Carmen einige Schmeicheleien zu 
sagen, Ja, sie hatte da ein Grübchen am Kinn. 
Grübchen kommt von Grube. Nun, es war eine 
Grube, Aber das blieb nebensächlich. 

Die Hauptsache für uns war, daß wir von jetzt 
ab für unser Geld verhältnismäßig anständig zu 
essen bekamen, daß unser Wohnraum täglich 
etwas in Ordnung gebracht wurde, daß Dona 
Carmen nicht dauernd schimpfte, schrie, tobte, 
brüllte, 

Ganz zahm war diese Bestie geworden, Sie zeigte 
uns Bilder aus ihrer Jugend. Und auch auf die- 
sen hatte sie ein Grübchen am Kinn, Früher mußte 
sie ein recht hübsches Mädchen gewesen sein. 
Als wir nach etwa einem Monat Las Canchas ver- 
ließen, weil die Bohrarbeiten abgebrochen wur- 
den, weinte Dona Carmen hemmungslos. Noch 
nie, schrie sie, habe sie so nette Herren be- 
herbergt. Und die Zeit, die wir bei ihr verbracht 
hätten, sei die schönste ihres Lebens gewesen. 
Da wurde uns, dem Ramon und mir, ganz klar, 
daß es sehr einfach ist, einen Drachen wie Dona 
Carmen zu zähmen, Man braucht ihm nur etwas 
von dem Grübchen zu erzählen, das er am Kinn 
hat. Zuwellen kann es, glaube ich, auch etwas 
anderes sein als ausgerechnet ein Grübchen am 
Kinn. Wußten Sie das schon, lieber Herr? 


Korrektur KR. Krlesch) 





„Unerhört, Paul, wie kann dich dieser Mann ‚dummes Rindvieh‘ nennen!" 
„Ja — und überhaupt sagt man nicht ‚dummes‘, sondern bloß ‚Rindvieh'!" 


Correzione: ‘Cosa inaudita, Paolo! Come mai quest’ uomo puö chiamarti 'stupido buacelo, !,, 
“Eh glä ... e pol non si dice 'stupido,, ma soltanto ‘buaccio, !,, 


609 


DER LEUTNANT PFUI DEIFEL 


„Eine richtige Teufelsstellung”, lacht der Ober- 
Jäger unter dem grünen Mückenschleier hervor, 
und zeigt mit beiden Händen in den Wald hin- 
ein. Das stimmt doppelt, so erzählt er uns. Fürs 
erste, weil diesen dreimal vermaledeiten Wald 
längst schon der Teufel holen müßte, aber er 
mag ihn nicht, die Hölle ist ihm lieber. Und fürs 
zweite, well der Leutnant selber, der diese Wald- 
stellung hält, „Delfel” heißt. „Der weiche Teufel”, 
wie ihn die einen wegen des weichen D voran 
rennen (was übrigens bel seiner ganzen Art das 
einzig Weiche an Ihm zu sein scheintl). Die an- 
deren, seine engsten Freunde aber rufen Ihn 


Spuk im Schloß - Spettri nel castello 


VON KARL SPRINGENSCHMID 


mit dem Vornamen nicht Albin sondern „Piuil“, 
weil dann jenes schöne „pful Deifell” beisammen 
ist, das richtig auf diesen gotiverlassenen Ur- 
wald in Karelien paßt. 

Aber das nur nebenbefl Hauptsache, daß einer 
überhaupt diesen Deifel findet. Das ist für Jeman- 
den, der aus Europa kommt, gar nicht so einfach; 
‚denn die Karte ist hier, am Ende der Welt, nur mehr 
eine Art Tapetenmuster, schön und Interessant, 
etwas absonderlich allerdings, weil Sumpf, See 
und Wald, beziehungsweise Wald, See und Sumpf 
die einzigen Bestandteile sind, aus denen der 
Teufel dieses sellsame Muster gomacht hat. 


dt v. Horväth), 





„Zu lästig, diese alten Köpfe. Nie hat man beide Hände frei“ 


“Che seccanti queste vecchie teste! Non si hanno mai le mani libere!,, 


610 


„Beim See 41 links”, so sagte uns einer, „dann 
über den Sumpf 83, gradwegs in den Wald, bis 
zum kleinen See 53, dort rundherum, Bach, wieder 
See, nochmals Sumpf, dann kommt der Wald 53, 
GemDeifel sein Waldl" Aber ohne Kompaß geht's 
nicht. Erst als der Kompaß erfunden wurde, konnte 
Kolumbus Amerika entdecken und erst mit dem 
Kompaß entdeckte der Deifel diesen Wald und 
überhaupt die Gebirgsjäger Karelien. Dabei hatte 
es dieser Kolumbus bestimmt viel leichter als 
der Delfel; denn er sah doch tagsüber die Sonne 
auf dem richtigen Platz und nachts die Sterne. 
Der karelische Sommer aber hat keine Nacht und 
keine Sterne Ja, dieser seltsame Deifel lebt 
sommersüber ganz ohne die gewohnte Finsternis 
und will er sich nach dem Himmel richten, so 
muß er feststellen, daß sich selbst die Sonne so 
seltsam und ungewöhnlich benimmt, daß er nie 
welß, was sie eigentlich will, aufgehen oder 
untergehen oder vielleicht ganz oben bleiben 
Außerdem hat dieser Kolumbus vom Mastkorb 
seines Schiffes aus weitum den Horizont gesehen 
und das neue Land, das ist viel; denn was der 
Leutnant Deifel vom höchsten Baumwipfel aus 
sehen kann, sind wieder bloß Wipfel und Wipfel 
und alles, nur kein neues Land. Nein, der Kolum- 
bus hatte es schon besser getroffen mit Amerika, 
als der Leutnant Deifel mit Karelien! 

Bleibt nur der Kompaßl Und zwar der feine, kluge 
Marschkompaß, den die Finnen statt der Uhr am 
Armband tragen, bezeichnend für sie, weil die 
Zeit in ihrem Leben gar nichts, die Richtung aber 
alles bodeutet. 

Dieser finnische Waldkompaß ist überhaupt ein 
echtes Stück finnischen Wesens. Er ist in Ol ge- 
lagert, und schlägt darum nur ganz ruhig und 
bedachtsam aus, ohne jede Hast und Erregung, 
genau so ruhig und bedachtsam, wie die Finnen 
selber ausschlagen, es mag noch so viel magnetl- 
sche oder bolschewistische Spannung in dem 
Walde liegen. 

Den Kompaß am Arm, so zieht der Spähtrupp los, 
so führt der Oberjäger seine Posten auf, so sucht 
der Zahlmeister seine Schreibstube, so geht der 
Leutnant durch die Stellung, so macht der Haupl- 
mann seinen Besuch beim Oberst. 

Den Kompaß am Arm — ja, dies nun Ist die 
kleine Geschichte vom Leutnant Deifel, die Ich 
eigentlich erzählen wollte. 

Als der Wald 53 erstürmt war, sagte der Leut- 
nant, auf eine Kiefer zeigend: „Und hier den 
Kompanlegefechtsstandi” 

Auf das hin zimmerte der Gefrelte Tschurtschen- 
taler eine hohe Leiter zurecht, legte sie an die 
Kiefer an, kletterte empor und baute einen 
Prügelboden in den Wipfel "hinein, so daß der 
Oberjäger Mumelter, der den Kompanietrupp 
führte, sogleich seinen Posten hinaufstellen konnte 
Inzwischen hatte der Leutnant seln Zelt fertig 
gebaut und damit .war die Übersiediung vom 
Wald 49 in den Wald 53 beendet. 

Endlich einmal Schlaf? Draußen ist Nebel und 
Nässe, Aber der Leutnant muß auf, es hilft nichts. 
Nicht wegen des Feindes, nein, nur sonst, ganz 
allgemein, 

Er schlieft aus selnem Schlafsack, er taumelt aus 
‚dem Zelt. Er schaut um sich. 

Bäume links, Bäume rechts, das Ist alles. 

Da hat er doch gestern genau den Platz be- 
stimmt, jenen Platz, na ja, der schließlich selbst 
im karelischen Urwald bestimmt werden muß. 
Aber, zum Teufel, wo Ist denn? 

Er schaut durch die Bäume, er schaut In den 
Nebel? Hat er nicht eigens sein Zelt mit dem 
Kompaß gebaut, genau von Norden nach Süden, 
damit er, schon wenn er herausspringt, weiß, wie 





Der Mondsüchtige 


(Erich Schilling) 





er im Wald steht. Ist denn in dieser Dreiteufels- 
gegend alles verhext? Er wird doch noch höll- 
sakra, den Ort finden, zwanzig Schritte weit... 
Er findet ihn nicht. So bleibt er ruhig, wie es im 
Walde nötig ist, bei seinem Zelte stehen und 
überlegt; denn er weiß, der Wald läßt nicht mit 
sich spaßen. Es ist schon einmal einer, der nur 
ganz Friedliches wollte, In die falsche Richtung 
geraten und statt an die gewünschte Stelle an 
den Feind geraten. Das will er in diesem Augen- 
blick durchaus nicht, 

Guter Kolumbus! Du hast es leicht gehabtl 

Hilft nichts! Kompaßl 

Er spürt, wie etwas ungemein Beruhigendes von 
diesem klugen, ‚ölgelagerten Ding ausgeht. „Man 
müßte alles hier in Ol lagern“, denkt der Leut: 


Il sonnambulo 


nant, „den ganzen Krieg” und blickt auf die 
Nadel und mit einem Schlage steht die ganze 
Welt wieder richtig, das Zelt, der Baum mit der 
leiter, der Leutnant selber, alles. 30 Strich ost- 


ES WAR EINMAL 


ein Hofnarr, der beklagte sich bei seinem König, 
daß eine mächtige Gruppe des Hofstaates ihm 
ob seiner kecken Freimütigkeit den Tod ge- 
schworen habe. Der König beruhigte ihn hierüber. 
Er sprach zu Ihm in königlicher Güte: „Wer dich 
tötet, Narr, hängt zehn Minuten später selber.” 
Da lächelte der Narr schmerzlich und antwortete: 
„Mein König, es wäre mir weit lieber, wenn er 
zehn Minuten vorher hängen möchte...” I.H.R. 


611 


wärts der Feind, 30 Strich westwärts die Richtung, 
die er in dieser Stunde braucht. 
Also losı — 
Und so geschah es, daß der Leutnant Albin Deifel 
von der siebten Kompanie, kurz der „Pful Deifel“ 
genannt, den finnischen Marschkompaß am Arm, 
ruhig und besonnen, jenen Ort anpeilte, den man 
sonst an der ganzen Front im Osten ohne Kom- 
paß findet. 
An jener Stelle aber haben die Tiroler sodann, 
heimischem Brauche folgend, ein Marterl errich- 
tet, das den Leutnant Delfel zeigt, den Kompaß 
In der einen, die Hose in der anderen Hand, und 
die Worte trägt: 

Oh, Wandrer steh hier still, 

und sieh, was’ dieser Leutnant will 


WER 


Sie haben lärmend in Gärten gefpielt, 

Sie haben mit Pfeilen nach Vögeln gezielt, 

Sie haben fich lungernd herumgetrieben 

Und find dem Rechenbuch ferngeblieben. 
Und meine Erinnerung fpricht: 


Auch du lernteft nicht, 
Auch du mwarft kein Licht. 


Durch Knabenträume Flieger braufen, 
Durch Knabenträume fchäumt das Meer, 
In Knabenträumen Räuber fchmaufen 
Die Gärten einer Herbftzeit Icer. 
Doch davon wächft nicht Wiffenfchaft, 
Die Wiffenfchaft braucht Zimmerhaft, 
Die Wiftenfchaft braucht Bücherfaft. 


DAS KROKODIL 


VON BRUNO WOLFGANG 


In einer kleinen Stadt wurde plötzlich von einem 
Unbekannten das schönste Häuschen des Ortes 
angekauft, Dann kamen einige Wagen mit selt- 
samen Möbeln, Waffen und Teppichen. Zum 
Schlusse der Herr selbst, ein hoher, magerer 
Mann mit einem Habichtsgesicht, langem, dichtem 
Schnauzbart, einem herausfordernden Monokel im 
Auge und blutroten Gamaschen über den spie- 
gelnden Lackschuhen. In der Hand trug er einen 
Geigenkasten. Er war also ein Musiker. 

Falsch. Er war kein Musiker. Was er war, blieb 
überhaupt rätselhaft. Er war Herr von Grill, Er 
hatte keinen Beruf, keinen Titel, nur Geld. Und 
im Geigenkasten hatte er eine kostbare Stradivarl. 
Nein. Er hatte keine Stradivari im Geigenkasten, 
sondern ein ganz kleines Krokodil, ein zartes 
Wesen In der Blüte seiner Jugend. Sein Mäulchen 
(des Krokodils) war noch mit den ersten nled- 
lichen Milchzähnchen besetzt. Die kleinen Augen 
hatten etwas Sanftes, Träumerisches, In ihrer Tiefe 
schlummerte die ferne Glut ägyptischer Prin- 
zessinnen und tanzender Negerköniginnen. Der 
Belag seines Rückens war noch weich und zart, 
noch nicht gekerbt, fast wie Imitation, und der 
gelblich weiß gespannte Bauch hatte fast etwas 
Menschliches. 

Eine Zeitlang lebte Herr von Grill ruhig in sei- 
nem Hause mit seinem Diener und dem Krokodil, 
welches das Klima ausgezeichnet vertrug und sich 
prächtig entwickelte. Die Stadt freilich betrachtete 
ihn mit Mißtrauen, und üble Gerüchte umflatterten 
sein schweigsames Haus wie Fledermäuse. 

Eines Tages erschien Herr von Grill beim Schreiner- 
meister Höllreich und sagte: „Zeigen Sie mir 
Ihren größten Sarg.” 

„Oh, gestatten zunächst mein herzlichstes Beileid.” 
Eine Träne erschien Im Auge des Schreiner- 
meisters mit geschäftlicher Emsigkeit, 

„Nein“, wehrte der Herr ab. „Ich brauche nicht 
Gemüt, sondern einen Sarg. Zeigen Sie mir Ihren 
größten Sarg.” 

Der Schreiner beeilte sich, dem Wunsche zu ent- 
sprechen. Herr von Grill: bezahlte einen phan- 
tastischen Preis und fügte hinzu: „Senden Sie mir 
ihn sofort. Ich brauche ihn dringend.” 
Gewohnheitsmäßig murmelte Herr Höllreich: „Hobel- 
späne gefällig? Ein lacklertes Kruzifix? Kerzen- 
halter schön versilbert?" 

„Wenn Sie noch ein einziges Wort reden, wer- 
den Sie einen Sarg brauchen, nicht ichl”, sprach 
der Herr ganz leise, funkelte aber dabel so 
fürchterlich mit seinen schwarzen, stechenden 





Wer erteilt 7- u. 10-jährigen Jungen Unterricht in 
Deutsch, Rechnen und Englisch? Anschr. 449605. 


Ein Auffat; drückt wie ein Alp, 

Ein Auffat bringt Qual und Verwirrnis, 
Man fchmiert in das Heft, flüchtig und halb, 
Einige Seiten leeren WortsFirnis. 


Ich fehe mich knabenklein, 
Den leichtfinnigen Kopf in Pein; 
Denn es fällt ihm durchaus nichts ein. 


Augen, daß Herr Höllreich fast bäuchlings zur. 
Tür hinauskroch, sofort den Sarg absandte und 
die Neuigkeit an alle Freunde und Bekannten 
weitergab. 

Nun war es Zeit, daß endlich auch die Behörde 
Ärgernis nehme. Es wurde ein besonders kluger 
und diplomatischer Vertreter der Gemeindever- 
waltung enisendet, um die Interessen der Ge- 
meinde gegenüber dem Zugereisten wahrzu- 
nehmen. Herr von Grill empfing den Sendboten 
— er hieß Pinagel — ziemlich ungnädig. 

„Was wünschen Sie?” 

„Es verlautet, daß hier ein Todesfall vorliegt, 
über den nicht die vorgeschriebene Anzeige er- 
stattet wurde,“ 

„Todesfall? Wenn Sie nicht den Floh meinen, den 
ich gestern gefangen und in einer Platinschüssel 
geröstet habe, dann weiß Ich bei Gott nicht, 
woraus Sie auf einen Todesfall schließen.” 

„Hm, Sie haben doch einen Sarg gekauft?” 
„Sa:g? Nun, ich werde Ihnen sofort zeigen, wozu 
ich ihn brauche.” Er stieß mit dem Fuß eine Türe 
auf und ließ Herın Pinagel eintreten. Das Zimmer 
war vollkommen kahl. In der Mitte stand auf dem 
Boden der Sarg, in ihm lag ausgestreckt das 
Krokodil und schlief. 

„sehen Sie, Verehrtester”, fuhr Herr von Grill 
fort, „früher konnte ich es über Nacht in einem 
Geigenkasten unterbringen. Jetzt ist es schon so 
gewachsen, daß ich ein längeres Fuiteral brauche 
Ich hoffe mit dem Sarg mindestens ein halbes 
Jahr auszukommen.” 

Das Krokodil öffnete langsam die Augen, hob den 
Oberkiefer und gähnte gewaltig. Der Besucher 
wich einen Schritt zurück. Dann kroch es schwer- 
fällig aus seinem Lager, legte den Kopf auf den 
Schuh seines Herrm und sah ihn treuherzig an. 
Herr von Grill kratzte es mit einer silbernen Gabel 
hinter den von der Natur nur schwach ange- 
deuteten Ohren. Es hob den Oberkiefer wieder 
— Herr Pinagel trat abermals einen Schritt zu- 
rück — und ließ ihn (den Kiefer) aufgeklappt 
stehen, wie einen Klavierdeckel vor dem Konzert. 
Sofort ertönte ein leises Zwitschern vom Fenster, 
ein kleiner gelber Kanarienvogel kam herabge- 
flogen und hüpfte im Rachen des Krokodils zwi- 
schen den Zähnen munter hin und her. 

„Ah, da schaugstl” entfuhr es Herrn Pinagel. 
„Symbiose“, bemerkte Herr von Grill spöttisch. 
„Jö, das hab ich mir gleich gedacht”, erwiderte 
Herr Pinagel etwas unsicher und empfahl sich 
einstwellen mit diplomatischer Höflichkeit. 

Aber in der Stadt, besonders bei der Obrigkeit, 
gährte es weiter. Man hatte das unbestimmte, 
aber ganz sichere Gefühl, daß gegen Herrn Grill 
und sein Krokodil etwas geschehen müsse. Die 
Steuerbehörde führte den ersten Streich, indem 


612 


ERTEILT UNTERRICHT? 


Sie haben fich heimlich fortgeftohlen 
Zum Wald, zum Hügel, zum Fluß. 
Sie fuchten die Nefter der Krähen und Dohlen 
Sie hatten am Angeln Genuß. 
Auch ich fpür’ noch den Feuerrauch, 
Entfacht im Ufermeidenftrauch: 
Ein Fifch fchmort, aufgefchlist am Bauch. 


Wie wird der Rechenpauker fein? 

Der meinige, Rektor a. D., war wie aus Stein, 

Ein Monument der unbedingten Strenge, 

Zahlenmafchine, Genaufgkeit, Gedankenenge, 
Gefäß voll Spott und Hohn - 
Er ftürzte Winnetou vom Thron 
Und tötete den Robinfon. 


ANTON SCHNACK 


sie Herrn Grill die Hundesteuer vorschrieb. In deı 
Tat, was war das Krokodil schließlich anderes als 
ein verlängerter Hund? Herr Grill hinwiederum 
machte eine geharnischte Eingabe an das Finanz 
amt, um sich zu verteidigen. Inzwischen blieb die 
Steuerbehörde nicht müßig und verhängte über 
Herm Grill noch die Warenumsatzsteuer und die 
Gemeindeabgabe. Die politische Behörde ver- 
langte von ihm eine Konzession zum Betrieb eines 
Krokodils und übersandte ihm zu diesem Zweck 
viermal drei Fragebögen. Es regneto Verständi 
gungen, Erlässe, Noten, Dienstzettel, Amtsverfü- 
gungen, Vorladungen, Terminfestsetzungen und 
dergleichen. Herr von Grill brauchte seine ganzo 
freie Zeit zum Studium dieser oft schwer zu ent- 
tätselnden Schriftstücke, 

Eine Zeitlang hielt er es noch aus. Aber dann 
beschloß er, sich einen bequemeren Aufenthalt 
zu suchen. In einer finsteren Nacht fuhren ge- 
täuschlos mehrere Möbelwagen vor, ein großes 
Auto mit abgeblendeten Lichtern huschte gespen- 
stlsch davon, und am nächsten Morgen war Herr 
von Grill fort. 

Einige Tage lang blieb sein Verschwinden unbe- 
merkt. Erst als der Briefkasten an seiner Türe von 
behördlichen Aufforderungen, Zahlungsaufträgen 
und Exekutionsdrohungen überquoll, so daß der 
Briefträger ein halbes Kilogramm solcher Zustel- 
lungen wieder mitnehmen mußte, wurden die Be- 
hörden mißtraulsch und sandten eine zum Erbre- 
chen (der Wohnung) genügende Anzahl von Or- 
ganen ab, 

Die Wohnung war leer. Der einzige Einrichtungs- 
gegenstand, der vorgefunden wurde, war das 
Krokodil. Es wurde sofort beschlagnahmt, versie- 
gelt und für alle Steuer- und anderen Rückstände 
haftbar orklört, Zur Versteigerung kam es jedoch 
nicht, da sich kurz vor der Amtshandlung heraus- 
stellte, daß das Krokodil längst tot war. 

Im Magen des Krokodlis fanden die Gerichtsärzte 
einen alten Geigenkasten, einen schon halb ver- 
dauten Sarg, ein paar alte, rote Gamaschen und 
28 Kilogramm amtlicher Erlässe, letztere gänzlich 
unverdaut. Schließlich fand man noch die Reste 
eines kleinen gelben Kanarienvogels. Es war also 
doch ein böses, heimtückisches Raubtier gewe- 
sen, das Krokodil, 

Falschl Es gehorchte nur dem ewigen Nalurgeseiz, 
das dem Großen gebietet, den Kleinen zu veı- 
schlingen. Und wäre ein Dichter unter der Menge 
jener gewesen, die den langgestreckten Leich- 
nam des Tieres witzelnd bestaunten, er hätte In 
dessen Augenwinkel die Träne sehen müssen, die 
Träne, die jede Verspeisung des Kleinen durch 
den Großen begleitet, jene Träne, die sonst nur 
bei Menschen vorkommt und daher Krokodilsträne 
genannt wird. 


Das Gewitter - La bufera 


(Fr. Bilek) 











EITELKEIT 


VON ERIK STOCKMARR 


Eine Bank in einem: Park. Ein Junges Mädel und 
ein junger Mann. 

„Wie wunderschön du doch aussiehst, Lizzie”, 
sagt er, 

Sie lächelt bescheiden, als ob sie es gar nicht 
wüßte, Eine halbe Stunde hat sie vor dem Spiegel 
gestanden, um sich schön zu machen. 

„Gib mir einen Kuß, Lizziel“ 

Sie schüttelt ihren schönen Kopf. 

„Doch.“ 

„Nein. 

„Doch." 

„Nein.“ 

Kleine Pause. 

„Warum willst du mich nicht küssen, Lizzie?" 
Keine Antwort. 

„Warum nicht?“ 

„Weil ich nicht will.” 

Seine Augen blitzen. 

„Liebst du mich denn nicht mehr, Lizzie?” 

Ein ganz kleines Lächeln zeigt sich auf ihrem Ge- 
sicht. Das macht ihn ganz außer sich, Er steht auf, 
stellt sich vor sie und guckt sie wütend an. 





„Aha, du liebst einen anderen, Lizzie“, ruft er; 
„deswegen willst du mich nicht küssen. Wer ist 
der Halunke?” Y 

Keine Antwort, - 

„Ich springe ins Wasser, Lizzie“, schreit er und 
nimmt seinen Hut ab. 

Augenscheinlich glaubt das Mädel, daß er seine 
Worte verwirklichen will. Das ist ein bißchen naiv, 
denn wenn ein Mann, bevor er ins Wasser springt, 
seinen Hut abnimmt, wird er sich nicht ertränken. 
Den Hut braucht er Ja dann nicht mehr. Sie faßt 
ihn am Arm, streichelt ihm übers Haar und küßt 
ihn. Lange stehen die beiden dicht umschlungen 
und küssen sich. Dann setzen sie sich wieder auf 
die Bank 

„Warum wolltest du mich nicht küssen, Lizzie?” 
fragt er. 

„Sieh“, sagt sie und zeigt auf ihre eine Wange, 
die eine leichte, kaum sehbare Farbe hat. „Ich 
war heute beim Zahnarzt, der mir einen Zahn zog, 
und dabei wurde die eine Wange ein bißchen 
blau, Eine halbe Stunde stand ich vor dem Spiegel 
und puderte mich, damit man es nicht 
konnte. Jetzt aber ist der Puder durch dein hei 
tiges Küssen fort, du dummer Junge,” - 
„Und nur wegen des Puders wolltest du mich nicht 
küssen?“ fragte er lächelnd. 


613 


















a 

„Du Ilebst mich also doch?“ 

„Natürlich.“ 

„Ach, wie eitel du doch bist, Lizzie.” 

„Küß mich”, antwortete sie, „jeizt ist der Puder 
doch weg.” i 


MEIN FREUND JOHANNES 


Wir waren mit ein paar Freunden zusammen. Um 
die nette Stimmung zu erhöhen, holte ich mein 
Schifferklavier hervor und setzte mich zurecht. 
„Was wollt ihr hören?” fragte ich. 

Sie nannten ihre Wünsche, die Ich nach bester 
Kraft erfüllte. Aber schließlich verlangte einer ein 
Lied, das ich noch nie gehört hatte. 

„Ich spiele es dir mal eben auf dem Flügel vor”, 
sagte er. 

Es war eine flotte, eingängige Melodie, so daß ich 
sie nach elnmaligem Anhören nachsplelen konnte, 
„Donnerwe: du bist doch ganz schön musika- 
Iischl” urteilte der Freund anerkennend. „Woher 
hast du das eigentlich?" 

„Von meiner Großmutter”, erklärte ich. 

„Eine tüchtige Leistung für eine so alte Frau, dir 
das Ziehharmonikaspielen beizubringen“, sagte 
Johannes. 3.Bieger 








Erkenntnis 


(K. Holligenstoddt) 

















„Mir scheint, nicht nur die Zimmer, sondern auch die Schlüssellöcher sind hier viel größer! 


Constatazione: “Mi pare che qui non solo le stanze, ma anche I buch delle toppe sieno molto plö grandil,, 


614 


DIERFSPIELER 


VON HEINZ SCHARPF 


Im Zug nach Monte Carlo saß eine Dame, Ihr 
gegenüber ein Herr. Ahal ...und Gott Amor 
flocht zwischen den beiden eine bärtige Kurz- 
geschichte... 

Gemach, gemachl 

Die scharfen Gesichtszüge der Dame mochten Ihr 
in der Mödchenzeit einen markanten Reiz verlie- 
hen haben, jetzt im Alter gaben sie Ihr etwas 
Raubvogelartiges, „Dame mit Gelerkopf” hätte 
unter ihrem Porträt stehen können. 

Der Herr war ebenfalls keine bloße Erscheinung 
in den besten Jahren, sondern gewann bei nähe- 
ter Betrachtung durch einen Stich ins Dämonische. 
Sein Gesicht war durchfurcht von Leidenschaft, 
die rotumränderten Augen zeugten von einem 
Dauerleben bei Nacht, und seine Hände, oh, diese 
stark geöderten, fahrigen Hände verrieten den 
Spieler. Er machte andauernd Zeichen in ein 
Notizbuch, sah dazwischen gedankenvoll zum Fen- 
ster hinaus, seine Denkmaschine lief sichtlich auf 
hohen Touren, 

Die alte Dame betrachtete Ihn Interessiert, Ein 
Systemspieler, durchzuckte es sie, einer der viel- 
leicht schon einmal die Bank gesprengt hatte oder 
daran war, dies zu tun, vor Erregung stieß sie 
wie ein Bussard die Luft durch ihre Habichtnase 
aus, Sie mußte mit dem Mann ins Gespräch 
kommen. 

„Entschuldigen Sie”, sagte sie, „könnte man nicht 
einen Augenblick das Fenster öffnen, es ist so 
schwül hier?” 

„Gern“ willfahrte der Herr ihrem Wunsch, um sich 
dann gleich wieder seiner Arbeit hinzugeben. 

Die Dame fuhr wie auf Nadeln. Nach einer klel- 
nen Anständspause setzte sle zur zweiten Altacke 
an, „Entschuldigen Sie“, ließ sie sich mit kräch- 
zender Stimme vernehmen, „könnte man das Fen- 
ster nicht schließen, es zieht?" 

„Gern“, sagte der Herr abermals, klappte sein 
Notizbuch zusammen und sah sich auf Gnade und 
Ungnade seiner Reisegenossin ausgeliefert. 

„Sie fahren auch nach Monte Carlo, um das Ca- 
sino aufzusuchen?” fragte sie. 

Der Herr nickte, obwohl er sich lieber taub ge- 
stellt hätte, Er hatte seine Erfahrungen mit geier- 
köpfigen Bekanntschaft: 
„Sie spielen nicht zum erstenmal?” forschte sie 
weiter, 

„Nein, Ich spiele seit Jahren.” Er sagte das ohne 
viel Aufhebens, 

Die Augen der alten Dame begannen immer mehr 
zu funkeln. Also hatte sie den Mann doch richtig 
taxiert, „Und spielen Sie Immer mit Erfolg?“ drang 
sie nelgierig in ihn. 

Der Gefragte. klopfte dreimal auf das Fensterholz. 
„Mit einer Serie von Erfolgen”, zwinkerte er. 
„Ah“, sark die Dame In sich zusammen, „und ich 
Unglücksrabe verliere immer, Ich habe schon eln 
Vermögen in Monte Carlo gelassen. Trotzdem 
zieht es mich stets wieder hierher. Frauen sollten 
überhaupt nicht an die Roulettetische gelassen 
werden.” 

„Dann würden die Spielsäle bald leer stehen“, 
meinte der Herr, „Die Roulette Ist Ja nicht auf 
die mönnliche, sondern auf die weibliche Psyche 
zugeschnitten, Ihre 36 Nummern sind eine galante 
Konzession an die Frau. Damit sie ohne corriger 
la fortune Ihr Alter setzen kann, womit jede Frau 
ihr Debut beim Spiel beginnt.” 

„O Gott, und was mache ich mit meinen 72 Jah- 
ren?” seufzte der Unglücksrabe, der bereits drei- 
undsiebzig Lenze hinter sich hatte, 

„Sie seizen beharrlich zweimal hintereinander auf 
36 und der Croupier wird Ihnen Berge von Jetons 
zuschieben.” 

Die alte Dame hätte den Mann am liebsten um- 














Die Drückebergerin - L'imboscata 





(6. Brinkmann) 














„Ich bin Direktor des Thalla-Theaters. Ich möchte die Dame engagieren, 
die so ergreifend Ihre Arbeltsunfählgkelt zum Ausdruck zu bringen vermag!" 


"lo sono Il direllore del ‘Teatro Talla,. Vorrel scritturare questa signora che sa 
esprimere In modo sl commovente la sua inabilitä al lavoro!,, 


‚armt. Sie fand Ihn einfach hinreißend. Seine Au- 
gen loderten, seine Finger zuckten, der Spieler 
in ihm war erwacht. Vor Aufregung begann sie, 
immer mehr mit dem Kopf zu wackeln. Diese 
kanntschaft hatte ihr die Göttin Fortuna in den 
Weg geführt, spät, aber doch. „Ach“, sprach sie 
mit leichter Koket! „ch kann einfach ohne 
diese erregende Spielsaalluft nicht leben, sie 
macht mich schwindlig, einfach berauscht, ich ver- 
liere völlig den Kopf und vermag nicht mehr auf- 
zuhören zu spielen. Geht es Ihnen auch so?” 
„Nein“, sagte der Herr, „ich weiß genau den Zelt- 
punkt, wann Ich aufzuhören habe.” 

„Mein, Herr", nahm sich nun die Dame ein Herz, 
„würden Sie mich an Ihrem Spiel einmal teilneh- 
men lassen?“ 

„Mit Vergnügen”, bekam zur Antwort, 

Vor Seligkeit rutschte sie beinahe vom Sitz. „Ich 
sah Sie vorhin Aufzeichnungen in Ihr Buch 
nach Luft, „Sie spielen wohl 
nach einem System? Auch ich kenne verschiedene 
Systeme. Wollen Sie mir nicht verraten, was Sie 
spielen?” 

„Gern“, sagte der Herr, „ich spiele Cello im 
Casino-Orchester.” 














EDLE TORHEIT 


Der Torheit mahnt bismweilen inne, 
mas der Verständige nic achtet, 
menn er zu klugem Tatbeginne 
das Universum so betrachtet 

als sei es ein Maschinenhaus. 


Die Herzen lieben es, zu schlagen. 

Oft sieht etwas wie Unsinn aus 

und schließlich löst es alle Fragen, 

die unentwirrbar dem Verstande 
geblieben waren durdı Jahrhunderte, 
bis man sie schließlidı Wahrheit nannte 


und überaus bemunderte. 
PETER SCHER 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


In Kutiners Grünwarenhandlung. Personen: Herr 
Kuttner und Frau Seifert, die die ihr zustehenden 
Eler verlangt. 

„Sind sie auch wirklich frisch?” fragt sie vorsichts- 
halber. 

„Na und obI” lacht Kuttner dröhnend, „die Hüh- 
ner haben sie noch gar nicht vermißtl...“ FF. 


(0. Nückel) 





Ich stand vor einem Buchladen und betrachtete 
die ausgestellten Bücher, Eine seltene Ausgabe 
von Kanis „Kritik der reinen Vernunft” flel mir ins 
‚Auge. 

Sie fiel wohl auch einem anderen Beschauer ins 
Auge, denn Ich hörte plötzlich neben mir einen 
Mann, der auf dieses Werk deutete und zu seiner 
Frau sagte: 

„Sowas können sie auch nur Im Krieg verkaufen! 
laß erst mal wieder Frieden sein, Jsolde, und es 
wieder richtige Romane geben — dann kauft den 
Dreck keinerl” I.H.R. 

* 

Meine Jungen und Nachbar Jörgen Jungens und 
Nachbar Gvatters Mädels spielten im Hof Krieg. 
Ich sah Ihnen vom Fenster herunter aus zu. Heiß 
ging die Schlacht. Gleßkannen wurden zu Ma- 
schinengewehren, die Hausschuhe flogen als 
Handgranaten und mein altes Fahrrad wurde zum 
Sturmgeschütz. Plötzlich aber sehe ich, wie das 
sechsjährige Anettchen in dem Ort mit dem Herz 
verschwindet, noch einmal ihr blondes Kinder- 
kopferl zur halbzugezogenen Tür herausstreckt 
und ruft: „Ich bin jetzt mal für fünf Minuten 
neutral" I.H.R. 


EG EEE FE 


Verlag und Druck 


Knorr & Hirth Kommandlt; 





IIschaft, München, Sendiinger Straße 80 (Famrut 254). Brietauschritt 


Verantwortl, Schriftieiter: Wolter Foltzick, München. — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich einmal 
anstalten onigogen. — Bezugspreise: Einzeinummer 30 Pf; Abonnemen! im Monat RM. 1.20. 


München 2 BZ. Brieffach, 


Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zaitungsgeschäfte und Post- 
— Unverlangte Einsendungen worden nur zurückgesändt, wenn Porto beillgt. — 


Nachdruck verboten, — Posischeckkonto München 920. Erfüllungsort München. 


Es geht ein scharfer Wind ums Haus, 
und guckst zum Fenster du hinaus, 
sind überall im weiten Tal, 

die Wälder und die Felder kahl. 


NOVEMBER 


Schwer ist der Himmel, grau wie Blei, 
die Raben fliegen mit Geschrei. 

Laß dir dabei nicht werden bang, 
oftmals scheint doch die Sonne blank. 


616 


(Witheim Schulz) 


So sei gescheit und fang sie ein, 

laß sie in deinem Herzen sein, 

daß froh es bleibt, sich wehrhaft hält, 
so feindlich sich die Zeit auch stellt. 


WILHELM SCHULZ 











a 


[ München, 1. Dezember 1943 
[|| 48. Jahrgang / Nummer 48 30 Pfennig 


S = 1 = = 
VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


KNOXZ DER WAHRSAGER 














2 


T 
Er NZ 7 | 


SEN ; 
5 N ZU 























« „Jetzt weiß ich, warum meine Prophezeihung von den 90 Tagen bis zur Niederlage 
Japans nicht in Erfüllung gegangen ist. Ich habe zuviel Kaffeezusatz genommen!‘ 


Knox, Il" indovino: *Adesso so perch& Ia mia profezia che 90 giorni bastavano alla sconfitta del Giappone, non s' & avverata; ho Ppreso troppo surrogato di caffe!,, 














Die lustige Fuhre - ı allegra carrettata 


(A. Paul Weber) 





„Wir sind überm Berg!" 


Die Verdunklung 


Von Walter Foltzick 


Sehen Sie drüben auf der Straße den Herın? Er 
trägt etwas Langes, Dünnes, Es sieht schwarz aus, 
Immer wieder sieht man Herren mit etwas Lan- 
gem, Schwarzem. Sie tragen ihre Verdunklung 
heim, Auf Ihren Mienen liegt die Zufriedenheit, 
einen Auftrag erledigt zu haben. Wochenlang 
haben sie sich davor gedrückt, die neue Ver- 
dunklung anzuschaffen. Man hat Ihnen immer 
wieder gesagt: „Oskar, kümmere dich doch mal 
um die Verdunklung.” „Morgen“, haben sie ge- 
antwortet, Bis eines Tages die alte Verdunklung 
vollständig von oben kam, d. h. die Reste der 
noch vorhandenen. 

Jetzt tragen sie die neue nach Hause. Ah, sie Ist 
noch durchaus hell, und wird erst In der Straßen- 
bahn beim Gedränge einen kleinen Riß bekom- 
men oder auch einen größeren. 

Die Verdunklung Ist die Sache des Hausherrn, 
denn das Technische gehört zu ihm. Hat er sich 
nicht früher auch um den Vergaser bemüht, da- 
mals beim Auto? Na also, tan an die Verdunklung! 
Es gibt viele Verdunklungsvorrichtungen, alle sind 
ganz vorzüglich. Sie bestehen meistens aus 
schwarzem Papler, und das Papier,.auch wenn es 


schwarz Ist, gehört gerade nicht zu den dauer- 
haftesten Materialien, Es wird so leicht zu einem 
Fetzen Papier. 

Aber Jetzt Ist es noch makellos und taufrisch. 
Erst wenn der technisch begabte Hausherr sich 
auf einen Stuhl gestellt, beide Hände zum Him- 
mel gereckt und dazu des öfteren gerufen hat: 


GEOMETRISCHES 


Senkrecht ehn IR ehrenhaft 

auf des Dafeins rauher Straße, 
Sturm und Schloffen um die Nafe, 
und erfordert Mut und Kraft. 


Freilich: »rechter Winkels fein 

- auf die Dauer Io befchmwerlich. 
Schief ift weniger gefährlich 

und bequemer obendrein. 


Wer drum gern behaglich wohnt, 
huftet auf die Vertikale, 

flieht in die Diagonale 

und zulegt - zum Horizont. 


Ratatöochr 


618 


“Or posslam cantar vittoria!,, 


„Halt doch mal 'n Moment“, wird es sich zeigen, 
daß die Montage von ein bis zwei Quadratmeter 
schwarzen Papieres viel schwerer ist als der 
Umgang mit Zündkerzen, Vergasern und ähn- 
lichen Gegenständen stablleren Materlals; ganz 
zu schweigen von den Schnüren mit denen die 
Verdunklung auf und ab gehißt werden soll — 
werden soll, denn bis zur vollendeten Tatsache 
Ist es noch ein weites Feld. Manche Verdunk- 
lung fällt der Montage zum Opfer, sie kann ein- 
fach die Strapazen, vom werktätigen Hausherrn 
angebracht zu werden, nicht überstehen. Man sieht 
es sofort am rechten und linken Rand, die sehr 
schnell das Aussehen von größeren Baumsägen 
annehmen, so zackig sind slı 
Rühren Sie nie an eines fremden Mannes Ver- 
dunklung! Er wird Ihnen sofort zurufen: „Achtung, 
sie Ist im Augenblick nicht ganz in Ordnung”, 
und er wird selbst an den Tauen ziehen, wie 
auf einem havarlerten Segelschiff. Dabei wird es 
leicht vorkommen, daß das Großsegel und der 
Großbaum herunterkommen und Über Bord gehen, 
wobei der Ruf erschallt: „Schnell Licht aus!” 

Ich bin ein wenig Fachmann in der Sache, ich 
habe vier Jahre schwere Verdunklung auf dem 
Buckel. Zum Leichtmatrosen auf einem Gespenster- 
schiff, dessen Aufgabe es wäre die schwarzen 
Gelstersegel zu setzen und zu bergen, hätte ich 
es aber Immer noch nicht gebracht. 





Drohbrief an den Frieden 


Wlineim Schulz) 


„Haben an Ihnen keinerlei Interesse, da durch Ihr Erscheinen unsere geschäftlichen Dispositionen gestört werden. Wallstreet.“ 


Lettera minatoria alla pace: “Non ho nessun Interesse per Vol, perch& col 
Vostro apparlre vengono disturbate le nostre disposizioni affaristiche. Wallstreet.,, 


619 





AUF DEM FRACHTER ‚KASSANDRA:‘ 


VON KONRAD SEIFFERT 


Nein, den Namen des Hafens im Südosten Euro- 
pas, In dem ich vor vielen Jahren den Anschluß 
an mein Schiff versäumte, will ich nicht nennen. 
Da stand ich mit meinen Koffern. Ich hatte es 
recht eilig. Und das nächste Schiff fuhr in drei 
Tagen. Aber im Büro der Dampfergesellschaft war 
man gern bereit, mir zu helfen. Mar wußte sofort 
Rat; am Nachmittag fuhr in meiner Reiserichtung 
ein Frachter. Er besaß eine Kabine für Passagiere. 
Und der konnte mich mitnehmen. Ich würde, 
wurde mir gesagt, nicht viel Zeit verlieren, denn 
dieser Frachter sei ein schnelles Schiff. 

Gut. Ich war einverstanden. Der einzige Fahrgast 
auf einem Schiff zu sein, war sicher nicht ohne 
Reiz, Der Fahrpreis war nicht allzu hoch, Einen 
Nachmittag, eine Nacht und einen Tag sollte die 
Reise dauern. > 

Ich sah mir das Schiff an. Es hieß ‚Kassandra'. 
Ich hatte etwas gegen die Kassandra. Das kann 


Die feurige Carmen - La focosa Carmen 








mir nlemand übelnehmen. Kassandra Ist nicht nur 
recht düster, sondern der Name erinnert mich 
auch an ein Vorkommnis während meiner Schul- 
zeit. Es war nicht schön. 

Aber ich ging auf diese ‚Kassandra’ und wunderte 
mich darüber, daß der Schiffseigner keinen an- 
dern Namen für solch einen Frachter gefunden 
hatte. Doch da war nun nichts zu machen. 

Der Kapitän war ein netter Mann. Er verstand 
kein Wort von dem, was Ich sagte. Und ich hatte 
keine Ahnung von seiner Sprache, Niemand auf 
der ‚Kassandra‘ verstand deutsch, außer dem 
Koch. Er kannte Hamburg, St. Pauli, die Reeper- 
bahn und Kottbus. Ich weiß nicht, wie er aus- 
gerechnet nach Kottbus gekommen war. 

Wir fuhren ab. Ich richtete mich in der Kabine 
ein, die nach Staub roch, seit langem nicht be- 
nutzt worden, sonst aber ganz brauchbar und 
relativ sauber war. 


(Hanna Nagel) 


„Jeder Mensch hält mich für eine echte Spanierin — will mal 
auf dem Atlas sehen, wie weit Toledo von Straubing entfernt ist!" 


“Ognuno mi ritiene per una vera spagnuola. Voglio un pd vedere nell' atlante quanto Toledo dista da Straubing!,. 


620 


Durch den Koch kam es heraus, daß ich Deut- 
scner war. Und diese Taısache regte den Kaplıan 
mächtig auf. Er kam, machte ein paar tadellose 
Verbeugungen und sprach hastig und lange auf 
mich ein. Dazu rollte er die Augen, griff sich mit 
beiden Händen an den Kopf, machte ein ver- 
zweifeltes Gesicht und fuhr mit den Armen wie 
in grenzenlosem Jammer durch die Luft. Er 
schwitzte, Ich auch. Es war helß. Ich sagte es schon. 
Aber ich verstand den Mann nicht und meinte: 
„Jawohl, alles in Ordnungl Hoffentlich klappt'si” 
Damit war er anscheinend nicht einverstanden. 
Er lief mit erschrockenen Rehaugen davon und 
kam mit dem Koch zurück. Der Koch fragte mich, 
ob ich es nicht vielleicht vorziehen würde, nachts 
auf Deck zu schlafen, Dort sei es angenehmer als 
In der dumpfen Kabine, und sie würden mir einen 
Streckstuhl hinstellen und Decken geben, soviel 
ich haben wollte. 

Mir war das recht. Denn ich wußte ja, daß die 
Nacht nicht viel kühler sein würde als der Tag. 
Da war es wirklich besser, an Deck zu bleiben. 
Ich sagte also, ja, ich würde draußen schlafen. 
Der Koch übersetzte dem Kapitän meine Worte. 
Und nun strahlte dessen Gesicht. Er atmete tief. 
Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, Er verbeugte 
sich wieder, und damit war der Fall abgetan. 

Am Abend gab es gebackenen Thunlisch, Der 
Koch war ein Künstler. Was der alles so um den 
Thunfisch herumlegte, das war großartig. Noch 
nie hat mir dieser Fisch so gut geschmeckt wie 
auf der ‚Kassandra‘, 

Ich sagte das. Und der Kapitän tanzte vor Freude 
über meine Zufriedenheit. Er unterhielt mich nach 
‚dem Abendessen, ich verstand nichts, wir tranken 
Wein, der wie Harz war, entsetzlich brannte und 
doch gut.schmeckte, es war komisch, 

Und dann kam die Nacht, eine herrliche Nacht 
mit nahen, großen Sternen, mit einem fahl leuch- 
tenden Meer, mit grenzenloser Stille. Und ich war 
allein auf der ‚Kassandra‘, 

Ja, Ich blieb an Deck. Der Streckstuhl stand da. 
Ich sah zu den Sternen hoch. Niemand störte mich. 
Es war wahrhaftig sehr schön. Und dann schlief 
ich ein, ohne mich in die Decken zu wickeln, die 
an meiner Seite aufgestapelt lagen. 

Eist gegen Morgen, als es etwas kühler wurde, 
griff ich nach einer von ihnen, zog sie zu mir 
heran und schlief bald wieder ein. 

Lange schlief’ ich nicht, Ein Kribbeln am ganzen 
Körper weckte mich. Es verstärkte sich. Ich wälzte 
mich hin und her. Das hall nichts. Ich dachte dar- 
über nach, was das wohl sein könne. Dunkle 
Ahnungen tauchten auf. Ich sprang hoch. Das 
Meer und der Himmel glühten, die Sonne kam. 

Es war einer der schönsten Sonnenaufgänge, die 
ich erlebte. Aber mein ganzer Körper brannte, 
Ich hatte Beulen am Hals und an den Armen, Es 
waren Wanzenstiche. Die Decken waren voll Un- 
geziefer. Ich ging in die Kabine und wusch mich. 
Der Koch kam mit dem Frühstück, mit einem aus- 
gezeichneten Frühstück, Er fragte mich, wie Ich 
geschlafen hatte. Ich zeigte ihm die Wanzen- 
stiche, „Oh, ich habe es beinah befürchtet”, sagte 
er, „nun Ist also doch alles umsonst gewesen!” 
Und da erst begriff ich, weshalb mich der Kapitän 
nachts nicht In der Kabine hatte schlafen lassen 
wollen. Da gab es sicher noch mehr Wanzen.als 
in den paar Decken beim Streckstuhl, 

Der Koch erzählte mir, er habe dem Kapitän ge- 
sagt, daß die Deutschen die Wanzen gar nicht 
lieben, das wisse er ganz genau. Und da sei alles 
aufgeboten worden, mich zu Überreden, auf Deck 
zu schlafen. Schadel 

Sie meinten es alle gut: der Kapitän, der Koch, 
die andern Leute auf der ‚Kassandra‘, Nein, wegen 
der paar Wanzen, die sie nun einmal auf ihrem 
Schiff hatten, konnte ich Ihnen nicht böse sein. 
Ich rauchte mit dem Kapitän Zigarette um Ziga- 
reite, Wir tranken umschichtig Weln und Likör bis 
zum Abend hin. Dabei unterhielten wir uns groß- 
artig, obgleich einer den andern nicht verstand. 
Manchmal kam der Koch dazu und übersetzte, Es 
war eine herrliche Fahrt. 

Ich erreichte mein Ziel ohne nennenswerte Ver- 
spätung, Sie verabschledeten sich alle von mir 
wie von einem lieben Gast. Der Kapitän übergab 
mir eine Flasche seines s, den Ich gelobt 
hatte, als ich das Schiff verließ, 

Nur - es hätte nicht ‚Kassandra‘ heißen dürfen!Der 
Name ist eben doch wie eine düstere Prophe- 
zeiung und wie das Vorausahnen eines Unglücks. 
Ich hätte das wissen müssen! 








Nach dem Theater IR. Kriesch) 


IT IIEN 


„Weißt du, dieser Sophokles mag ja ein ganz gewandter Schriftsteller sein, 
aber der gute Mann lebt doch noch in einer anderen Zeit!“ 


Dopo il teatro: 'Puo ben esser che questo Sofocle sia un abilissimo scrittore, ma Il buon uomo vive pur ancora in un altro tempol,, 


621 





ERLEBNIS UND ERINNERUNG 


Da ich in der Nacht nicht schlafen konnte, well 
ich unter hundert anderen Patienten im großen 
Keller des Krankenhauses saß, während draußen 
geschossen wurde, fiel mir dieses und jenes Er- 
lebte ein, das nicht weniger seltsam gewesen 
war als der heutige Zustand des Wartens unter 
Schicksalsgefährten, deren mancher schon vom 
Jenseits einen Wink empfangen haben mochte, 
Mir gegenüber sah ich das Gesicht einer Frau, 
die mit rätselhaftem Ausdruck in eine Geister- 
welt zu blicken schien. Andere wieder !ächelten 
mit jener zu allem bereiten Sanftheit, die bekun- 
det, daß sie, wenn auch noch mit letzter Seelen- 
kraft: am Ausgang des Erlebnisses beteiligt, 
gleichwohl gewillt seien, sich auch ins. Unab- 
änderliche zu finden. 

Das unangenehme Geräusch schwoll an, schien 
näherzukommen und ebbte wieder ab. Die einen 
saßen mit offenem, die andern mit um so fester ge- 
schlossenem Mund und blickten vor sich nieder. 
Auf einmal stieß ein Mädchen einen Schrei aus 
und zog die Beine hastig an sich wie In Angst 
vor steigendem Gewässer; zwei, drei andere 
schrien sogleich ebenfalls, und da im selben 
Augenblick das Schießen wieder stärker wurde, 
rief jemand von irgendwoher: „Was gibt es 
denn dal” Es war aber, wie sich gleich heraus- 
stellte, nichts Schlimmeres geschehen, als daß ein 
Mäuschen, von dem jähen Menschenandrang im 
Keller irritiert, den Versuch unternommen hatte, 
in den Kleidern des Mädchens eine Zuflucht zu 
finden. Das kleine Intermezzo wirkte lösend auf 
elle, man lächelte tapfer und ließ es sich ange- 
legen sein, die steinernen Masken abzutun, Es 
wurde erträglicher im hochgewölbten Raum; 
manche schienen sich plötzlich weit entlegener 
Dinge zu entsinnen und erzählten den Nachbarn 
hastig irgend etwas....so auch ich. 

Mir war — durch welche Art von Assoziation ist 
mir nicht ganz klar — eine Begegnung eingefal- 
len, die ich vor langen Jahren in New York mit 
zwei amerikanischen Schriftstellern und einer 
eben auch In Europa bekannt gewordenen Film- 
schauspielerin gehabt hatte, Wir waren Im Plaza- 
Hotel an der hundertsten Straße nahe dem Ein- 
gang zum Central-Park zusammengetroffen und 
saßen In derHHalle bei einer Flasche französischem 
Sekt, denesin.derProhibition, die damals herrschte, 
für Leute, denen das Stichwort geläufig war, un- 
term Tisch ebenso selbstverständlich gab wie 
den besten Rüdesheimer, Die Schauspielerin er- 
zählte Filmerlebnisse und die Schriftsteller hatten 
auch manches Bemerkenswerte vorzubringen, so 
daß es allmählich recht unterhaltsam wurde. 

In der Halle waren mir schon lange einige sehr 
elegante Damen aufgefallen, die dem überaus 
vornehmen Oberkellner besondere Aufmerksam- 
keit zu widmen schienen, und in der Tat, der 
Mensch durfte wirklich eine ungewöhnliche Er- 
scheinung genannt werden. Man hätte auch im 
Film nicht leicht einen Mann zur Wirkung bringen 
können, der äußerlich dem Vorbild eines „Gent- 
leman“ auffallender entsprochen hätte als dieser 
Oberkellner. Unwillkürlich hatte man das Gefühl, 
daß sich hier eine Art Verkleldungsszene ereigne. 
Als ich diese Beobachtung dem Schriftsteller zu 
meiner Linken mitteilte, dabei auch die Damen 
erwähnte, die den Herm Ober anzubeten schie- 
nen, lächelte er und sagte: „Nicht übel erkannt! 
Der Ober Ist ein ehemaliger russischer Großfürst. 
Haben Sie noch nie von dieser Attraktion des 
‚Plaza‘ gehört?” 

Ich verneinte und war von der Mitteilung Irgend- 
wie angenehm berührt, denn sie schien mir zu 
beweisen, daß ich das Schicksalhafte, das um 
diesen Menschen war, Intuitiv erfaßt hatte, Der 
Schriftsteller zu meiner Rechten erzählte nun, daß 





VON PETER SCHER 


der ehemallge Großfürst gegen die Damen der 
Fitth Avenue besonders zurückhaltend sei, was 
natürlich erst recht ihr Interesse entflamme, wie 
die ständige Belagerung des Herrn durch diese 
Schönen deutlich genug beweise. 

„Mein Gott“, sagte ich unschuldig, „gibt es denn 
das alles wirklich?” . 

Worauf einer von den Amerikanern grinsend er- 
widerte: „Wenn Sie ahnten, was es darüber hin- 
aus hier alles gibt, würden Sie vor Erstaunen den 
Mund gar nicht mehr schließen können.“ 
Während nun ein leichtes Gespräch unter den 
dreien welterging, sah ich mir immer wieder den 
ehemaligen Großfürsten an, der ruhig auf seinem 
Platz in der Halle verharrte und ungeachtet der 
feurigen Damenblicke gelassen seine Nägel be- 
trachtete und diskret gelangweilt die Hand an den 
Mund hielt, wie um ein Gähnen zu verbergen. 
Der Märchenprinz dieser amerikanischen Wirklich 
keit hatte außer dem leicht markierten Gähnen noch 
einige andere darstellerische Momente, die nicht 
nur auf die Damenwelt effektvoll wirkten, sondern 
auch uns männliche Zuschauer interessierten. 
Hier muß ich die Erzählung unterbrechen und die 
Frage aufwerfen: Warum eigentlich machte sich 
dieses New Yorker Erlebnis aus schon kaum noch 
glaubhaft erscheinenden Zeiten gerade bemerk- 
bar, als draußen das Knattern der Abwehr- 
geschütze wieder stärker einsetzte? Vielleicht, 
weil jemand beiläufig gefragt hatte, ob die an- 
greifenden Flieger wohl Amerikaner seien? Doch 
mag das dahingestellt bleiben — wer will die 
eigentlichen Anlässe zu solchen untergründigen 
Empfindungen enträtseln? Ich hatte, da das Ge- 
töse draußen noch stärker wurde, bei geschlosse- 
nen Augen nun deutlich die Halle des Plaza- 
Hotels vor mir, sah den Russen in seiner heraus- 
fordernden Eleganz und Gelangweiltheit; sah die 
Wallstreet-Damen und die beiden Schriftsteller vor 
mir, die Filmdiva nicht zu vergessen, und Ich 
dachte: Wie merkwürdig, daß mir dies alles ge- 
rade in dieser Stunde so gegenwärtig wirdl 

Das Schweigen im "Kellergewölbe war, zumal 
draußen das Gepolter nun sehr heftig klang, in- 
zwischen so drückend geworden, daß ich die 
Augen auftat und meine Umgebung betrachtete 
Die Dame gegenüber sah wieder mit starren 
Augen in ein fernes Land; das Mädchen, das die 
Maus gefürchtet hatte, saß selber wie ein Mäus- 
chen in sich versunken da, und alles war so, 


WAS UNS BLEIBT 


Von Peter Aumüller 


Heben auch die alten Weiden 
noch den grünen Wimpelarm: 3 
Täusch dich nicht! Es klagt vom Scheiden 
schon der erste Vogelschwarm. 


Unter den zerzausten Wolken 
hörst du ihren Abschiedsschrei: 
bald, so werden alle folgen. 
denn der Sommer ist vorbei. 


Ein paar Wochen noch, und Regen 
wäscht das letzte Laub vom Baum. 
Was uns bleibt, ist allerwegen 


von den Dingen nur ein Traum ... 


622 


daß Ich bei mir dachte; Lebt wohl, ihr alle — auf 
Wiedersehn — ich mache mich noch für eine 
Weile davon in mein Erinne:rungsleben von anno 
dazumal. 

Die Halle des Plaza-Hotels wurde am Tag meiner 
Begegnung mit den genannten Persönlichkeiten 
zum Schau- und Tummelplatz eines Ereignisses, 
das damals ganz New York für einen Tag In Auf- 
regung hielt. 

Als wir nämlich so saßen und harmlos scherzten, 
stürzte durch die Drehtür eine weibliche Gestalt 
herein und eine helle Stimme schrie, sich über- 
schlagend, mit wild verzweifeltem Elan ein Wort, 
das niemand verstand. Ein kurzer, scharfer, nicht 
sehr lauter Knall wurde hörbar und im nächsten 
Augenblick lag die weibliche Gestalt raglos zu 
Füßen des eleganten „Oberkellners am Boden. 
Alle waren aufgesprungen, Die beiden Schrift- 
steller standen, wie vom Momentphotographen 
bestellt, als ob sie erschüttert einen Onkel aus 
der Provinz begrüßen wollten, mit ausgestreckten 
Händen da. Nur die Damen und allen voran die 
Diva, die wohl auf der Stelle „Im Filmbild” ge- 
wesen war, hatten sich auf die am Boden lie- 
gende Gestalt gestürzt. Einen Augenblick war es 
vollkommen still, bis Jemand mit einer Art von 
Humorziemlichkühlssagte: „Oh — ist slo sehr tot?" 
Worauf, als ob ein Bann gebrochen sei, mehrere 
riefen: „Ein Arztl Ein Arzt” und Jemand hinaus- 
rannte, in ein Auto sprang und davonraste, 

„Es Ist natürlich Glorlal” sagte eine der Damen 
fast ein wenig pikiert. 

Der Oberkellner hatte bei alledem seine Haltung 
bewahrt, Er bückte sich nun und richtete die 
Dame zu seinen Füßen, die ein wenig wimmerte, 
behutsam auf, wobei er sich wie hilfesuchend um- 
sah. Sein Gesicht war etwas grau, aber sonst 
nicht weiter verändert. Es schien, als sei er nur 
gerade ein wenig verlegen, doch nicht sehr, denn 
schon füllte er Wasser in ein Glas und hielt es 
der Dame an den Mund, Sie trank und wimmerte 
abermals ein bißchen, und da jetzt alle schwie- 
gen, verstand man auch, was sie nun sagte, Sio 
sagte das Simpelste, was man in dieser Situation 
sagen konnte und was vermutlich von jedem klei- 
nen Ladenfräulein gesagt worden wäre: „Sweet- 
heart — | love you very much!” 

Über diesen Satz, wie natürlich über die ganze 
herrlich filmhafie Angelegenheit brachen die An- 
beterinnen des ehemaligen Großfürsten In ein er- 
lösendes Schluchzen aus. Einige Reporter und 
Photographen waren, Gott mag wissen auf wel- 
chem Wege, auch schon da, und alles löste sich, 
da nun noch ein im Hotel anwesender Arzt dazu: 
kam und nur ein leichtes Streifschüßchen fest- 
stellte, in Wohlgefallen auf. 

Gloria hieß das überschwängliche Mädchen, das 
uns dies alles geboten hatte. Es war die einzige 
Tochter eines Mannes aus Riverside, der die 
Südstaaten mit Glühbirnen belieferte und sich ein 
solches Kind gestatten konnte. 

„Hosiannal” sagte der Schriftsteller zu meiner 
Linken, als wieder Ordnung eingekehrt war und 
die Gläser vorsichtig unterm Tisch neu gefülli 
werden konnten. „Dies dürfte ein Grund sein, 
dem alten Europa einen Zu‘runk zu widmen!” 
Worauf wir alle anstießen — Jedoch vorsichtig, 
denn draußen am Fenster ging gerade ein 
Schutzmann vorüber. \ 

Das war vor einer Ewigkeit in New York. 

Ich öffnete die Augen, der amerikanische Er- 
innerungsspuk war verschwunden — aber zum 
Glück der andere auch, denn freudig tönte die 
Entwarnungssirene. Wir sahen uns befreit in die 
Augen, gähnten ein bißchen und wünschten ein- 
ander „Schlafen Sie wohl — auf Nicht-bald- 
Wiedersehen hier unten!“ 


Station Salomonen 


(rich Schliling) 





„Zum Bau der Straße nach Tokio braucht man schon verflucht viel gutes amerikanisches Baumaterial!‘ 


Stazione “Salomone,,: “Per costruire la via Toklo, occorre un enorme quantitä di buon materlale americano|,, 


623 


Medusa beim Friseur 


Er Bilek) 


























DER BRIEF 


VON EDMOND JALOUX 


Jeden Tag um fünf Uhr empfing Herr Daniel Ker- 
guiraud den Besuch seines Sohnes oder seiner 
Schwiegertochter und nahm mit ihnen den Tee. 
Konnte weder eins noch das andere kommen, so 
brachte ihm die Nurse seinen fünfjährigen Enkel 
Urbaln, dem er Geschichten erzählte. Er stand 
forschend über das Kind geneigt und suchte zu 
entziffern, was es den Eltern oder ihm zu verdan- 
ken hatte oder wiederum seinen Eltern, die schon 
seit etwa vierzig Jahren tot waren und an die 
nur er noch dachte, Bald würde er sie eingeholt 
haben. Wenn er zum Friedhof ging und ihre Gruft 
betrachtete, sagte er sich: „Diese Tür wird bald 
für mich geöffnet. Wann nur? In wieviel Wochen, 
Monaten, Jahren?” Wenn das Leben abläuft, läuft 
es nicht mehr Inmitten der Lebenden ab; mehr 
als mit denen halten die Greise mit den Verstor- 
benen Gemeinschaft. Denen, die ihnen voran- 
gegangen sind, nähern sie sich Im Geiste und In 
Wirklichkeit; sie haben einen einsamen Weg ein- 
geschlagen, der sie von den Wegen, die andere 
gehen, wegführt. Im Gespräch mit Abel, s 
nem Sohn, oder Marthe, seiner Schwiegertochter, 
merkte Daniel Kergulraud wohl, wie seine Worte 
ihren Ohren schwer verständlich wurden, und be- 
dauerte immer wieder, nicht besser Anteil an 
ihrem Leben nehmen zu können. Ihres vollzog sich 
geräuschvoll, seines nicht mehr: daher die gegen- 
seitige Unverständlichkeit, Er war 75 Jahre alt. 
An jenem Tage fühlte sich unerklärlich matt; 
obwohl seine Gesundheit Im allgemeinen gut war, 
war er Beschwerden ausgesetzt. Er sprach nicht 
gern davon, denn er war der Meinung, seine 
Pflicht und Schuldigkeit getan zu haben und für 
niemand mehr von Belang zu sein. So gab er 
auch, wenn Abel Kerguirauds Frau ihn nach 
nem Befinden fragte, mit erkünstelter Heiterkeit 
zur Antwort: 
„Mir geht es doch so gut wie möglich.” 
Die junge Frau hegte große Zuneigung zu ihm; 
sie war übrigens gut und empfindsam und besaß, 
wie viele Frauen, eine Menge durchschnittlicher 
und derart schlichter Tugenden, daß niemand in 
Versuchung kam, Ihnen Aufmerksamkeit zu schen- 
ken; sie kreisten bescheiden Im häuslichen Le- 
ben, wie der Saft in den Bäumen. 
Seit langer Zeit schon wollte sie eine Frage an 
Ihren Schwiegervater richten, deren Zudringlich- 
keit sie jedoch ein wenig erschreckte; denn sie 
.d, in Bezug auf sich 
selber verschwiegen war, hätt. ihr weh getan, 
das Innere eines anderen zu verletzen. 
Indessen entschloß sie sich dazu, weil an jenem 
Abend Herm Kerguirauds schönes, ruhiges Ge- 
sicht vielleicht mehr Sanftmut und Größe atmete, 
und sie sagte: 
„Vater, ich denke oft daran, wie hart es Sie an- 
kommen muß, niemals mehr mit irgendwem von 
jon zu tun zu haben, und daß Sie 
Liebe recht einsam fühlen müssen.” 
Herr Kerguiraud antwortete nicht sogleich; durch 
eine ungeschickte Antwort fürchtete er ernstlich, 
seine Schwiegertochter zu kränken oder zu ent- 
täuschen. 
„Eigentlich fühle ich mich nicht einsam,” antwor- 
tete er schließlich, „zunächst einmal durch Euch, 
dann aber auch, weil ich in ein Alter komme, in 
dem man die Gegenwart andrer Menschen nicht 
mehr braucht. Halten Sie für möglich, daß Ich 
manchmal nicht mehr weiß, wer von denen, die 
Ich kannte, noch am Leben Ist, und wer schon 
101? Es kommt vor, daß ich mir sage: Halt, dem 
oder jenem muß ich mal schreiben, ich habe 
lange nichts von ihm gehört... Und plötzlich fällt 
mir ein, er hat ja vor zehn oder mehr Jahren das 
Zeitliche gesegnet. Abends, wenn Ihr fort seid, 
bin Ich im Geiste wieder in Gesellschaft derer, 
die Ich verlor. Oh, das Ist nicht eben lustig, doch 
entbehrt es nicht der Süßigkeit,..." 
Leiser fügte er hinzu: 
„Sogar von Wesen, die ich liebte, weiß ich nicht, 
ob sie noch leben oder nicht. Ich verlor sie aus 
den Augen. Vielleicht denken sie noch an mich, 
wie ich an sie denke.” 
$o hatte Herr Kerguiraud noch nie mit Marthe 
gesprochen; mit Rührung hörte sie ihm zu; e: 
ber fürchtete, zu viel geredet zu haben und fragte 
in lelchterem Ton: 
































„Holt Abel Sie heute abend ab?” 

Für einen Augenblick sank Herm Kerguirauds bär- 
tiges Haupt auf die Brust und seine Lider schlos- 
sen sich. 

Marthe erhob sich und umarmte den Greis. 
„Papa, Ich breche auf, ich fürchte, ich ermüde 
Sie.” 

Er behielt ihre Hand in seiner. 

„Hören Sie, mein Kind, ich hätte eine Bitte an Sie. 
Ich bin endgültig am Ende meiner Rolle..." 

Und als die Junge Frau protestierte, fügte er 
hinzu: 

„Oh, ich sagte Ihnen das nicht, damit Sie mir 
wieder Mut machen! Das ist nun einmal so, daran 
können wir beide nichts ändern. Ich möchte nur, 
daß Sie nach meinem Tode oft mit Urbain von 
mir sprechen. Ich weiß, es ist kindisch, aber be- 
‚denken Sie doch, wie kurze Zeit ich in Eurer Er- 
innerung fortzuleben habe. Abel Ist vierzig: noch 
dreißig, fünfündreißig Jahre und er hat mich ein- 
geholt, Hat Urbain keinerlei Erinnerung an mich, 
so sehen Sie, was mir bleibt, wenn ich nur In 
Eurem Gedächtnis weiterbestehe...” 

Marthe schaude: 
„Still, Papa.” 
„Verzeihen Sie, Sie sind nicht an solche Gedan- 
ken gewöhnt. Bewahren Sie sich diese glückliche 
Sorglosigkeit so lange möglich. Aber ver- 
gessen Sie meine bescheidene Bitte nicht...” 
„Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.” 

„Danke, und jetzt gehen Sie rasch nach Haus. 
Abel könnte sich beunruhigen. Sagen Sie Urbain, 
er solle mich morgen besuchen. Es gäbe eine 
schöne Überraschung für ihn. 
„Sie verwöhnen das Kind zu sehr, Papa.” 

„Ich sag’ Ihnen noch einmal: das Andenken... 
Ich tue es aus Eigennutz. Und außerdem, seien Sie 
versichert, ich I ja nur einmal 
Er legte wie Jeden Tag großes Gewicht darauf, 
seine Schwiegertochter zur Tür zu geleiten, denn 
er war von übertrlebener Artigkelt; dann kehrte 
er in seinen großen Lehnstuhl zurück, 


* 


Der Abend kam langsam über den Hafen, ein 
warmer, trüber Herbstabend, der alle Dinge in 
goldenen Nebel tauchte, von blauem Rauch 
durchzogen. Schornsteli rauchten; gegenüber 
im Kai spien sonnengefleckte Fenster Flamme 
auf Flamme, wie der sterbende Drache in alten 
Legenden. Ein Kirchturm mit viereckigen Zinnen 
stieg sanft aus einem Wust von Häusern und Ti 
ın, pfefferkuchen- und pitchpine- 
farbenen; Wäsche, die zum Trocknen hing, bekam 
In dem schrägen Licht die Farbe des Fleisches. 
das sie bekleidete, und der Abendwind, der sie 
wie Schiffsflaggen knattern ließ, verlieh dem starren 
Element der Landschaft ein so intensives Leben, 
daß seine Elektrizität auf die Steinmassen. der 
Forts, der Spitäler und Häuser übersprang. 






































Kleiner Herbstgesang 


Die Menschen, die am Walde wohnen, 
Verbrennen nun das rote Laub, 

Das mürbe sinkt aus tausend Kronen, 
Gehäufelt quäalmt der Aschenstaub. 


Und dieses Rauchs Gewölk riedit bitter 
Nach Abschied, Herbst und kühler Ruh, 
Gesegnet sei die Rast der Schnitter, 
Die Asche det die Acker zu. 


Mag soldier Staub die Krume nähren, 
Des Frühjahrs harren Rain und Budıt; 
© daß wir schon des Lenzes wären 

Mit allen Wünschen, jeder Sudht, 





Ach ja, des Wünschens stete Frage 
In ungezählten Opfern loht: 

Daß alle Asdıe dieser Tage 
Einmal sich mandele zum Brot. 


Heinz Stegumeit 


625 


Herr Daniel Kerguiraud erhob sich aus dem Ses- 
sel, in dem er eine halbe Stunde geträumt hatte, 
und lehnte sich ans Fenster. Er sah auf den Ha- 
fen, sah aufs Meer und seufzte. 

Vor vierzig Jahren hatte ein Schiff die Stadt ver- 
lassen und eine Frau entführt, die Herrn Kergui- 
rauds Ein und Alles war; selt ewiger Zeit schon 
war er ohne Nachricht von ihr, Ein halbes Jahr 
nach Ihrer Abreise hatte er geheiratet, in der 
Hoffnung, sein Leben neu zu beginnen und vor 
allem Kinder zu haben, und allmählich war in 
sein Herz Frieden eingezogen — Frieden, aber 
nicht Vergesse: 
Er trat aus dem Salon In sein Zimmer. Es war 
niedrig, lang, schmal, ganz in Purpur gehalten. 
Ein schwarzlackiertes Bett zeigte in seinen alter- 
tümlichen Füllungen einen Teepavillon und feier- 
liche Chinesen; im Innern, an den Rückselten, 
entfalteten goldne Rosen sanfı ihre verblichenen 
Blätter. Auf einem Tisch stand ein Kästchen In 
Vernis-Martin; Herr Kergulraud öffnete es und 
entnahm ihm einige Fotografien; sie stellten ein 
und dieselbe Gestalt dar: ein offnes Gesicht mit 
über und über gelocktem, goldblondem Haar, 
leuchtenden Augen und dem Ausdruck heimlichen 
Glückes in den feinen Mienen. Und der Greis 
betrachtete sie lange. 

Er sah wieder die längst entschwundenen Bilder 
seines Schicksals, Sie wirbelten vorüber, relzend 
und blaß. Sie enthielten seine Jugend, und seine 
Jugend hatte ihn verlassen. Wie kann man noch 
leben, wenn die Jugend vorbei Ist, wenn man, 
ein Schoner, der seine Seegel streicht, ganz und 
gar nicht mehr nach einer Zukunft strebt und von 
jedem kommenden Tage ke'n neues, zarteres 
oder wilderes Erlebnis mehr erwartet als vom 
Tage vorher? 

Aber unmerklich graut ein Mörgen nach dem an- 
dern, und mit der Zeit findet man an der Stelle 
des Mannes mit dem kühnen, zukunfibeherrschen- 
den Blick nichts als einen einsamen, enttäuschten, 
griesgrämigen Greis, dessen trübe Augen den 
vergangenen Jahren nachblicken und In der blas- 
sen Klarheit des Harbstes im lärmenden Hafen 
froh die Schiffe rauchen sehen, die er nicht mehr 
besteigt. 

Auf dem kleinen Platz unter Herrn Kergulrauds 
Haus arbeitete ein Schiffszimmermann im Freien; 
man hörte, wie die Hammerschläge sich mit einem 
Gassenhauer mischten. Hölzerne ppe mit ent- 
blößten Flanken lagen im Staub, der mit Säge- 
spänen gemengt war. Eine Katze saß auf einem 
Eckstein und putzte sich, Zu beiden Seiten des 
Hafens wurde der Himmel veilchenblau. 

Eine alte Dienerin, de rundes, weißes Gesicht 
mit dem Leinenhäubchen wie ein Stopfknäuel 
aussah, kam die Petroleumlampen anzünden, die 
noch grüne Schirme hatten. Es war ein Abend von 
Anno dazumal wie auf Seestücken von Joseph 
Vernet, während auf dem Kal, unten am Platz, 
die Autohupen vor Wut erstickten; aber das Meer 
ist ewig und gibt von seiner Ewigkeit auch sei- 
nen Gestaden. Ein Hafen hat immer e!was zeit- 
lich Absolutes; und ob es nun Galeeren, Barkas- 
sen, Kauffahrer, Korvetten oder Dampfer sind: die 
kaum verschiedenen Formen beseelt derselbe 
Gelst. 

Alsdann ließ Herr Kerguiraud die Platte eines 
Sekretärs herab, tauchte die Fe« in ein altes 
Fayence-Tintenfaß, das eine Gondel darstellte, 
sann, den Kopf in die Hände gestützt, einen 
‚Augenblick nach und schrieb dann, ohne das ge- 
tingste Wort zu ändern oder noch einmal zu lesen, 
folgenden Brief: 

„Meine Freundin! Es ist lange her, daß Ich Ihnen 
geschrieben habe, Jahre sind darüber hingegan- 
gen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, Sie in 
dieser Welt nicht wiederzusehen, und doch wußte 
ich, als Sie von mir gingen, daß es für immer 
war. Wir sind alle Propheten, aber Propheten, die 
taub sind für die eigne Stimme. Mein Leben geht 
zu Ende, und jetzt, wo ich es als Ganzes über- 
blicke, sind Sie das einzige, das ich darin sehe. 
Gleichwohl habe ich noch ein zweites Leben ge- 
habt, scheinbar realer, tätiger, an Geschehnissen 
und Folgen aller Art reicher als das erste, doch 
in der Todesstunde kehren mir einzig die Jugend- 
erinnerungen zurück, nicht weil sie an meiner Ju- 
gend haften, sondern weil ich zu den Menschen 
gehöre, die sich Jenseits eines bestimmten Alters 
nur noch selbst überleben. Ich besaß Freunde, 
für die der letzte Lebensabschnitt der einzig wal 
war, In deren Augen die Vergangenheit keinen 



































Stoffmangel 


27 


„Ganz nett, so ein Tagebuch, aber wenn man grade mal nicht verliebt 
Ist, kann man doch nichts anderes hineinschreiben als ‚Donnerstag‘! 


Mancanza di soggetto: “Un tal Diarlo & cosa davvero graziosissima. Ma se per 
caso una volta non sl & Innamoratl, null’ altro si pud scrlverci dentro che “Glovedi'l,, 


626 


(K. Helligenstaodt) 


Wert hatte; Ich habe sie oft beneldet, aber Ich 
bin nicht so robust. Ich gehöre zu den Wesen, 
die sich nur einmal entfalten können, und die 
dann verknöchern oder von vorn anfangen. 

Als ich vorhin den Hafen betrachtete, dachte Ich 
an den Tag, da Sie auf Nimmerwledersehn ab- 
reisten. Es regnete an jenem Tage; ein tüchtiger, 
hartnäckiger, kalter Märzregen war es, und vom 
Hafen aus sah Ich den Dampfer, der Sie nach 
China brachte, durch einen eisigen Nebel vor 
meinen Augen entgleiten. Sie waren vierunddrel- 
Big, Ich fünfundreißig Jahre, und zehn Jahre hatte 
ich Sie geliebt, Ich war gewohnt, zu jeder Tages- 
zeit an Sie zu denken und Sie an allen meinen 
Taten und Plänen teilnehmen zu lassen. Da kam 
plötzlich der große Schlag: der Konkurs Ihres 
Mannes, Ihre Weigerung, Ihn im Augenblick des 
Unglücks zu verlassen, Ihre Abreise. Heute, wo 
ich mehr Lebenserfahrung besitze, sehe ich ein, 
daß der Gellebte, auch wenn er von ganzem 
Herzen gellebt wird, nicht das ganze Leben einer 
Frau ausmacht, und daß ein gutes Tell davon dem 
Manne gehört. Damals Jedoch war ich ein wun- 
derlicher Heiliger und voll von Irrigen Ideen, und 
selbst wenn diese Wahrhelt mich beeindruckt 
hätte, Ich würde sie nicht anerkannt haben. 
Sodann fand Ich mich allein, Jämmerlich allein, so 
allein, daß ich mich verheiratete. Lange Zeit ha- 
ben wir uns noch geschrieben, aber unsere Briefe 
wurden schließlich kurz und selten, bis sie ganz 
ausblieben. Dies geschah, glaub‘ ich, nicht, weil 
wir uns nicht mehr liebten, weil die Laure, die 
ich geliebt hatte, die Laure aus früheren Jahren, 
weniger in Schanghai als in mir selber lebte, In 
Gedanken an das, was Sie mir gewesen, war Ich 
Ihnen näher, als wenn Ich jener Frau schrieb, die 
Sie fern von mir, bei Alltagssorgen, geworden 
waren. Sollten Sie je diese Zeilen lesen, so wird 
mein Egolsmus Sie empören: ach laure, wahre 
Liebe ist egoistisch, und die, die sich vom Egois- 
mus befreien konnte, ist bereits eine Art Heilig- 
keit, Ich vermute übrigens, bei Ihnen ging es 
ebenso zu und Sie verfielen nicht In Schweigen, 
um mich zu vergessen, sondern um reiner das An- 
denken dessen zu bewahren, der nichts mit die- 
sem, In seine soziale Kaste gezwängten, verhei- 
rateten, veränderten Manne gemein hatte, der 
ich geworden war. 

Dennoch erhielt Ich dann und wann Nachricht von 
Ihnen durch Ihren Vetter Geoffroy; Ich weiß, daß 
Ihre Tochter verheiratet ist und in Ihrer Nähe 
wohnt, Ihre Tochter... Ich sehe sie noch als 
Fünfjährige, mit ihren Locken und dem Lächeln, 
darin sich Ihres mir widersplegelte. Unser Geist 
kümmert sich wahrhaftig nicht ums Rad der Zeit, 
Ich... bin allein, oder beinahe allein. Meine Frau 
ist tot, meln Sohn Ist an meine Stelle getreten. 
Ich habe einen Enkel, den Ich vergöttere und 
schon erwachsen wünschte: wohl um noch besser 
den schwermütigen Gedanken nachhängen zu 
können, die mir das Alter Ihrer Tochter macht. 
Erinnern Sie sich, Laure, wie ‘wir, noch wenige 
Tage vor Ihrer Abfahrt, zusammen am Meeres- 
gestade dinierten? Die Trauer um die unabwend- 
bare Trennung lastete auf uns. Das Fenster ging 
nach der See. Vor uns schäumten die Wogen, 
und überall, wo der Mond die Wellen berührte, 
sah man einen Silberstreif huschen. Aber wir 
starrten In das Halbdunkel, wo die grausame, 
bewegte Flut sich regte, die Sie mir rauben sollte. 
Manchmal deucht mich, ich wäre noch Jung und 
Sie wären noch meine Freundin. Träumerlsch er- 
warte Ich Sie, als könnten Sie kommen. Ging 
nicht die Tür? Mir ist, als müßte sie sich gleich 
öffnen, als müßten Sie gleich eintreten mit Ihrem 
leisen Lachen und Ihrer Heimlichkelt... Doch es 
Ist vorbel, endgültig vorbel; nle wieder werde 
Ich Ihre Hand küssen, nie wieder den Duft spü- 
ren, der Sie umgab. 

“ Wie rasch so ein Leben vergehtl Gestern waren 
Sie noch da, und Ich hlelt Sie In meinen Armen; 
gestern sah Ich noch in die Zukunft, als ob mir 
die Welt gehörte... Gestern? Vierz'g Jahre ver- 
gingen indes! 

Ach, Laure, Sie waren meine Jugend, mit Ihnen 
verlor ich alles. Ich ward eine Marionette wie die 
anderen, lieblos und poesielos, kein Mensch, nur 
ein sozialer Mechanismus, und als Sie aus mel- 
nem Leben schwanden, zog die Langeweile darin 
ein. Durch Sie war mein Leben zehn Jahre lang 
etwas Zauberisches, Unvergeßliches; durch Sie 
waltete über mir ein guter Geist, der allen Din- 
gen Ihre wahre Schönheit und ihren ursprüng- 





lichen Schmelz gab. Er lebt noch, dieser Geist, 
und wird sich In der Stunde meines Todes über 
mich neigen. Und das letzte, das mich beküm- 
mert, ist, zu denken, daß bei meinem Tode das 
schönste Bild, das irgendein Erdenmensch noch 
von Ihnen hatte, mit mir auf ewig erlischt... 

Sie haben mich leiden lassen und mich glücklich 
gemacht und mir tausend Träume eingegeben. ... 
Dank, Laure, Dank für die Leiden wie die Freu- 
den.... Wird Ihnen nicht die Hand zittern, wenn 
Sie diese Zeilen lesen? Gedenken Sie nicht mit 
Tränen all der entschwundenen Dinge, all der ge- 
meinsam ‚verbrachten Stunden, all der Landschaf- 
ten, die für uns beide unzertrennlich von unsrem 
Schicksal geworden sind? Haben Sie das alles 
vergessen können? Werden Sie nicht noch ein- 
mal Ihrer fernen Jugend winken? Sie allein gilt 
auf der Welt, und wenn sie von uns geht, müs- 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 





Johannes ging im strömenden Regen. Den Regen- 
mantel trug er überm Arm. 

„Warum ziehst du den Mantel nicht an, Johannes?” 
Johannes seufzte: 

„Hat keinen praktischen Wert! Aus dem Rücken- 
teil hat sich nämlich meine Frau ein warmes Blüs- 
chen geschneidert!” I.H.R, 


* 


Arno ging wieder allein. 

Solo, solissimo. 

„Warum hast du Ingeborg aufgegeben?” 

Arno winkte ab: 

„Aber gehl Die wohnte im vierten Stock! Ich bin 
ja kein Gebirgsjäger!” I.H.R. 


Der Fotograf - Il fotografo 


sen wir sie mit feinen, leichten, duftenden Erinne- 
rungen einbalsamieren wie eine Königsmumie. 
Leben Sie wohl, Laure, Ich umarme Sie...“ 
Herrn Kerguirauds Haupt sank plötzlich auf das 
Papier, seiner Hand entglitt die Feder... 


* 





Als — in aller Hast von der alten Dienerin tele- 
phonisch benachrichtigt — Abel Kerguiraud und 
seine Frau eintrafen, lag der Greis bereits auf 
dem Bett. Der Arzt wandte bei ihrem Eintritt den 
Kopf: 
„Herzschlag”, sagte er, „es ist aus”, 
Abel umarmte seinen Vater. Marthe-kniete am 
Fußende des Bettes und weinte, 
„Heute nachmittag fühlte er sich noch so wohl“, 
sagte Marthe dann, „er klagte über nichts“, 
„Er besaß viel Unternehmungsgeist”, erklärte 
Abel stolz. 
Und er trat zum Schreibtisch, um zu sehen, mit 
welcher Arbeit sich sein Vater im Augenblick 
des Todes abgegeben hatte. Er sah einige ver- 
streute Blätter liegen, las sie auf und überflog 
mit Verwunderung die Zeilen, stieß auf die Wen- 
dung: „Mit Ihnen verlor Ich alles...” Seine Frau 
las, ihm über die Achseln sehend, mit. 
„An wen schrieb er das?” murmelte sie. 
„Ich weiß nicht. Verbrennen wir das, seine Ge- 
heimnisse gehen uns nichts an.” 
Er warf die Blätter in den Kamin, wo die Flammen 
sie verzehrten, daß sie zu schwarzen Klümpchen 
zerfielen. 
Abel betrachtete seinen Vater mit verschränkten 
Armen. Wer war dieser Vater gewesen, von dem 
er nichts wußte? Das ungeheure Geheimnis, das 
das Leben unsrer Eltern birgt, und an das er bis 
dahin noch nie gedacht hatte, ängstigte und er- 
schreckte Ihn, Würde sich eines Tages sein Sohn 
Urbain dieselbe Frage vorlegen? Hatte er also so 
wenig im Leben seines Vaters bedeutet? Aber 
was bedeutete Ihm denn dieser ferne, höfliche 
Vater? 
‚Er betrachtete den Greis, der in die Herbstnacht 
hingestreckt lag. Das flackernde Kerzenlicht 
weckte zuweilen ein letztes Lächeln in dem wei- 
ßen Bart, auf den schon eingesunkenen Wangen, 
Marthe schlang, noch weinend, die Arme um die 
Schultern Ihre Marines. 
„Eigentlich,“ murmelte Abel, „haben wir uns nle 
verstanden, mein Vater und ich...” ‘ 
(Übertragung von Thea Weide 





0. Hegenbarth) 








„So, mein Herr, und nu sehn Sie mal die Frau Jemahlin 'n bißchen 
liebevoll an — 'ne Zehntelsekunde lang werden Se das schon schaffen!" 


"Cosl, signore ... e adesso guardate un po’ amorosamente la Vostra signora ... per 
la durata d’ un decimo di secondo potrete pur farlo!,, - 





Verlag und Druck 


Knort & Hirth Kommanditgesolischaft, München, Sendiinger Straße 2 |! 
Verantworti. Schriftlelter: Walter Foltzick, München. — Der Simplicissimus erscheli 
önstalten entgegen. — Bezugsptaise: Einzolnummer 30 Pl.; Abonnement Im Monat RM. 1.20. — Unverlangte Einsendungen 

Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort München, 








wöchentlich einmal 





” 


inrut 1296) Brlefanschrift 
lungen nehmen 


München 2 BZ, Brieffach 
0 Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post: 
jen nur zurückgesandl, wenn Porto beillegt. — 








Der Kunstliebhaber 


(€. Thöny) 











„Dieses habe ich vor dem Kriege in Berchtesgaden gemalt!"‘ — „Sehr schön, Mr. Smith, nur machen Sie 
mir aus der Gemse ein kleines Kind, dann kann ich das Bild gut für unsere Propaganda verwenden! 


II dilettante d’ arte: "Questo qui I" ho dipinto prima della guerra In Berchtesgaden!,, — “Benissimo, Mr. Smith; soltanto 
camblate il camoscio in un bambino, ch& allora posso servirmi del quadro per la nostra propaganda!,, 


628 


München, 8. Dezember 1943 
Pfennig 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Der Sowjetstier 


(Erich Schilling) 


Er möchte auch Europa auf den Rücken nehmen — aber so! 


Il toro sovietico vorrebbe prendersi sul dosso anche I’ Europa ma cosl! 





Am Rande Münchens - aı margine di Monaco 


(Bill Nagel) 





DER WEG 


VON WALTER FOITZICK 


Jeden Morgen gehe Ich üb: ’e Wiese, Manche 
Leute werden diese Wiese einen Bauplatz nen- 
nen, und zwar mit einem gewissen Recht, denn 
da Ist eine Tafel aufgepflanzt, darauf steht, daß 
man hler ein Haus oder mehrere bauen kann. Die 
Tafel sieht schon recht ramponlert aus; Wenn man 
auf einer Wiese ein Haus bauen kann, dann Ist 
es vorbel mit der Landwirtschaft und durch die 
bloße Existenz der Tafel steigt die Wiese langsam 
Im Wert. So wenigstens hofft der Besitzer. Jeden 
Morgen gehe Ich über diese Wiese und sehe, wie 
sie steigt. 

Sie ist ganz sich selbst überlassen. Frühling, Som- 
mer, Herbst und Winter machen mit ihr genau 
dasselbe, was sie mit den Steppen Sibiriens und 
den Pampas Südamerlkas machen. Manchmal 
blüht der Bauplatz, manchmal sind die Gräser 








MEIN FREUND JOHANNES 


Nach unseren Informationen weilte Herr Schramm 
in der Stadt. Wir benutzten diese Gelegenheit, 
seinem Garten — und In diesem vor allem den 
Obstbäumen — einen Besuch abzustatten. 

Ich war gerade von einem Apfelbaum, den Ich 
kräftig geschüttelt hatte, wieder heruntergestie- 
gen und half Johannes beim Einsammeln, als Herr 
Schramm plötzlich vor uns stand. 

„Was macht ihr denn da?” grollte er. 

„Wir sammeln Fallobst“, erklärte Johannes freund- 
lich. ).Bleger 


braun und manchmal ist sie gefroren wie eine 
Tundra hoch im Norden. Hier sind ein paar Qua- 
dratmeter Urwelt, Gelegentlich kommt ein Schä- 
fer mit seinen Schafen und die Tiere weiden das 
Gras ab, wie die Büffel in den alten Indianer- 
geschichten oder die Herden der Farmer in den 
Büchern für die rel Jugend. 

Jetzt liegt Schnee auf der Wiese, und wenn wir 
morgens zur Straßenbahn gehen, gehen wir auf 
dem Fußpfad, den die Vorgänger getreten haben. 
Es ist Immer ein Weg über die Wiese get 
ein schnurgerader, der nur manchmal um eine 
Wasserlache einen kleinen Bogen macht. Man 
kann sich auf diesen Weg verlassen, es ist der 
beste aller denkbaren We, quer über die 
Wiese, Das Ist sonderbar, denn wenn der erste 
Wegbereiter eine Schlangenlinie ginge oder ab- 
sichtlich seinen Weg durch Sümpfe oder Lachen 
nähme, wir würden ihm alle folgen. Zum Glück 
ist kein Schelm unter unsern Vorläufern, und wenn 
auch einer unter ihnen wäre, so hätte er doch In 
der Frühe solche Eile, an Arbeit Ins Büro zu 
kommen, daß ihm solche Scherze vergingen. Wir 
können uns blind aufeinander verlassen. 

In den alten Indlanergeschichten führten solche 
Pfade oft ins Dickicht oder In wasserarme Gegen- 
den, und die Trapper mußten elendig umkommen, 
um dann ausgeraubt zu werden von den finsteren 
Gesellen, die die falsche Fährte gelegt hatten. 
Mein Pfad führt nie ins Dickicht und anstatt an 
eine Wasserstelle komme Ich sicher an die Stra- 
Benbahnhaltestelle. Von dieser Haltestelle hat 
man einen schönen Rückblick über die Wiese, 
Das ist recht erfreulich, denn nun kann man die 
Nachkommen über den Pfad laufen sehen und 
sich ausrechnen, ob sie noch die Straßenbahn er- 

















630 


teichen werden. Naht sich ein Straßenbahnwagen, 
fängt die ganze langgestreckte Karawane an zu 
laufen, bis sie an einer Stelle abreißt, Die da 
hinten haben auf, , ein Mutloser In der 
Reihe hat das angerichtet. Das ist wie bei den 
Büffel- oder Zebraherden im Film, wenn sie zur 
Tränke gehen, wie gesagt, auf dieser Baustelle 
ist noch Natur, 








VERKUNDUNG 


Dies it die Stunde, da die Welt fich groß 
Und feierlich in Deinem Herzen kündet: 


Ein Stücklein Boden, grüngekränzt Im Moos, 
Am Waldrand,der inslegteLichtdes Tageamündet 
Das Dorf klingt zart aus Glockenftuben, 

Die Berge ftehn wie blauer Plüfch. 

Und aus der Dämm’rung Farbentuben 

Betupft der Himmel träumend fich. 

Es liegt fo fern, wao lärmt und eilt. 

Die Hände taften über Baum und Erde. 


Dies it die Stunde, die Dich einfam heilt. 
© mütterliche, Ichmelgende Gebärdel 


Es fchlüpft Dein Herz fo felig unter, 
Dein Auge ruht in Wolken fern. 

Aus jedem Leid blüht Dir ein Wunder. 
Fern überm Dorfe fteht ein ftiller Stern. 


Ludmig Eduard Fleifhmann 


Der Türke und die Sirenen 


(6 Guoranssani 


EI 








„Er interessiert sich nicht für unseren Kriegsgesang, er scheint unmusikalisch zu sein! 


Il Turco e le Sirene: “Egli non s’ Interessa del nostro canto di guerra; pare che non abbla senso musicalel,, 


651 


ATTISCHIERTRROZESS 


=VON SCHLEHDORN 


Hypereides, der Anwalt, ließ sich maniküren. Mit 
gebeugtem Nacken, auf dem sich schwarze Löck- 
chen kräuselten, saß Phrysoise und verschönerte 
Ihm die etwas fetten Finger, die er für seine be- 
deutenden Gesten brauchte. 

Apollonios, um 350 v. Chr. der erste Friseur von 
Athen, dessen Rede so süß wie seine Salben 
duftete, machte sich schon bereit zum Weg auf 
die Akropolis, wo er einer‘ der 501 Richter war. 
Verteidiger war Hypereides, der diesmal nicht nur 
dem Angeklagten die Verteidigungsrede zum 
Vortrag lieferte (wie es im attischen Prozeß sonst 
üblich war), sondern selbst auftreten wollte. Denn 
der Angeklagte war eine Frau. 

„Die einzige ihrer Art“, schwatzte Apollonios im 
Weggehen, „die niemals bei mir Schminke ge- 
kauft hat, — na Ja, bei dem Teint!” 

„Ich komme gleich, Freund aller lockeren und 
Gelockten”, rief Hypereides ihm nach. „Ohne dich 
kann man zu Gericht sitzen (man lost dann ein- 
fach einen anderen aus), — aber ohne mich kein 
Urteil fällen.“ Er hatte diesmal einen sensatio- 
nellen Effekt vor. 

Damals gab es Verteidiger, die sich für die Haupt- 
person des Prozesses hielten. - 


Phryne, die Hetäre, stand vorm Spiegel und war 
mit Phryne allein. Die Schönheit mit der Angst. 
Sie fluchte dem Euthias, dem Liebhaber, den sie 
laufen ließ, weil er grob und geizig, war. Aber 
kein Haß ist so herzlich, als der, den Geiz zum 
Vater und die verschmähte Liebe zur Mutter hat. 
So hatte Euthias die Hetäre Phryne wegen Lä- 
sterung der Götter angezeigt. Sie hätte den 
Apollo Lykalos beleidigt. Meinte er damit ihre 
Wette um den Philosophen Xenokrates, der nahe 
beim Tempelbezirk des Lykalon wohnte? Ihre 
Wette, die sie mit anderen Hetären leichtfertig 
lachend abschloß, sie würde den ledernen Ge- 
lehrten verführen, und die sie verlor, — denn sie 
tand nach ihren Worten nicht einen Mann, son- 
dern nur das Marmorbild eines Mannes. Und Mar- 
mor zur Leidenschaft zu wecken, war wohl nur 
dem Pygmalion vorbehalten. 

Sie hätte, warf Euthlas ihr weiter vor, wenn sie 
es recht begriff, neue Götter einführen wollen 
und einen neuen Kult. Ob er damit auf jenes Fest 
in Eleusis ansplelte, wo sie, der Gottheit zu Ehren, 
vor allem Volk unbekleidet ins Meer gestiegen 
war? — Und nachher hatte sie Praxiteles, ihr Ge- 
liebter Praxiteles, als Aphrodite dargestellt, wie 
sie das Gewand ablegt, und der große Apelles, 
wie sie dem Meere enisteigt. Oder womit sollte 
sie die Götter gelästert haben? Jedenfalls stand 
auf Gotteslästerung der Tod— und sie schauderte, 
„Soll ich in Trauerkleidern kommen?“ hatte sie 
ihren Verteidiger Hypereides gefragt. 

„Nein”, hatte der geantwortet, „komm so schön 
du kannst. Schönheit ist dein Beruf, heute viel- 
leicht deine Rettung.” " z 

Ihr Spiegel war einig mit ihr, daß das Lächeln in 
Tränen die meisten Chancen hätte. Sie kannte die 
Macht ihres ‚feuchten Blicks‘. Und damals stand 
die Schönheit noch höher — natürlich nicht Im 
Wert, aber im Preise, als selbst die Tugend, 


Fast 500 Frauen von Athen ließen ihre Männer 
zu. Gericht gehen (denn damals gab es dort noch 
nicht so viel Junggesellen). 

„Unerhört, daß man uns ehrbare Frauen als Rich- 
terinnen ausschließt”, sagte eine. 

„Ihr würdet vielleicht zu hart urteilen.“ 

„Und als Zuhörerinnen?” 

„Da vielleicht noch härter.“ 


„taßt ihr Männer euch bloß nicht weichmachen”, 
höhnte sie. — 

„So einel” giftete sich eine andere, die am Herde 
stand. „Phryne heißt Kröte. Früher hat sie in 
Thespiä aus Armut Kapern gesammelt, — jetzt 
prahlt sie, sie wolle die Mauern von Theben wie- 
der aufbauen, wenn man ihr daran die Inschrift 
setzte; ‚Zerstört durch Alexander, wiederaufge- 
richtet durch Phryne, die Hetäre‘. Und wovon? 
Von dem Haushaltsgeld, das die Männer von 
Athen Ihren Frauen entzogen. Jedenfalls wird das 
ummauerte Theben dann unzugänglicher sein als 
sie.” Und rührte weiter im Kochtopf, — 
„Habgierig ist sie”, hetzte eine dritte, „Frau Tra- 
tschikles um die Ecke hat mir erzählt, es hätte 
jemand der Phryne eine Sendung Wein geschickt 
und dazu gerühmt, der wäre zehn Jahre alt. 
Phryne sieht sich das Geschenk an und sagt: 
‚Etwas klein für sein Alter!’ — Übrigens, bring mir 
die drei Obolen, die du als Richter bekommst, 
richtig nach Hause.” — 

„Das Tollste Ist ihre zudringliche Zurückhaltung”, 
machte eine vierte dem Ehemann klar. „Ihr Ge- 
wand ist immer hochgeschlossen, wenn man sie 
auf der Straße sieht. So stiehlt sie der Tugend die 
Kleider. Auch in den öffentlichen Bädern sieht 
man sie nicht. Sie gibt uns nicht einmal Gelegen- 
heit, uns über sie zu entrüsten. Na, am Ende Ist 
sie in Wirklichkeit gar nicht so schön.” — 

Eine aber, Theodora geheißen, entließ ihren Mann 
mit Lächeln: „Sie soll entzückend verrucht sein. 
Und geistreich dazu. Ich glaube, manche Tugend 
ist nur ein Mangel an Geist.” 

„Und manche Schönheit nur ein Mangel an Tu-. 
gend”, meinte er. „Aber Geist und Schönheit 
entschuldigen leicht die verhinderte Tugend.” — 
Es bekamen auch viele ihren Auftrag mit. — Die- 
sem päckte seine Hausfrau Brot und Feigen zum 
Frühstück ein: „Es wird lange dauern, wenn sie 
alle ihre Männergeschichten herzählen muß. Paß 
nur auf, ob einer von unsern Bekannten dabei ist.” 
Jenem versetzte die Seine: „Nun muß sie vor Ge- 
richt auch Ihr Alter angeben.” — 

Eine, die sich gerade die Locken kräuselte, ver- 
langte, er müßte sich genau merken, wie Phryne 
frisiert war. — 

Und eine andere, bereits in besseren Jahren, 


AM WEG ZUM BÜRO 


Auf einem Plätzchen 
oder Rondell 

bemüht sich ein Kätzchen 
um sein Fell: 

mit Ärger sicht es 

ein böser Hund 

und — hui — entflicht es 
mit gutem Grund: 

dies alles zum Leide 

von Fräulein Kätchen, 

du liebe Zeit — 

es hatte schon beide 
schnappschußbereit 

vorm Apparätchen: > 
nun geht es verdrossen 

in sein Büro — 

und war doch so 

zur Freude entschlossen. 


Peter Scher 
632 


mahnte ihren Mann: „Sei so gerecht, als ob’ deine 
eigene Frau vor den Schranken stünde.” 

„Ich urteile als Richter ohne Ansehen der Person.” 
„Du sollst die Person auch nicht ansehen!” — 
Fast 500 Frauen von Athen nahmen Abschied, als 
ob ihr Mann einer Gefahr entgegenginge, Phryne 
war eine Gefahr. Und damals waren noch nicht 
alle Männer treu. 

In der Säulenhalle des Areopag hallte die Stimme 
des alten athenischen Justizwachtmeisters: „Straf- 
sache gegen Phryne, Angeklagte und Zeugen!” 
Diesseits der Schranke saß Athen: 501 Richter. 
Jenseits der Schranke saß Athen: 1002 Zuhörer. 
Viele hatten keinen Einlaß mehr bekommen. Die 
standen draußen und bezweifelten, daß das Ur- 
teil gerecht werden würde. 

Nun trat Phryne ein. Ein Raunen ging durch die 
Zuhörer. Eine Bewegung durch die Richter. 

„Die Angeklagte in Person”, stellte der Vorsitzende 
fest, 

Und Phryne lächelte,,. „Schön“, flüsterten die 
einen. „Frech“, rügten die anderen, „Ruhe”, be- 
fahl der Vorsitzende. 

Mit ihr war Hypereides aufgetreten. Sein Gewand 
in wohlerwogenen Falten, ebenso seine Stirn. 
Sein Schritt war Selbstgefühl und seine Miene 
Wohlwollen, — Wohlwollen für den Mandanten, 
der Recht hat, für die Richter, die das Recht fin- 
den sollen, und für das Publikum, die Mandanten 
von morgen. — 

Die Vernehmung der Angeklagten war kurz. 
Dann hielt Euthias seine Anklagerede, wie es im 
attischen Prozeß üblich war. „Die hat der Rhetor 
Anaximenes ihm gemacht”, sagte einer, der es 
wußte, „sonst wäre'sie noch giftigen.” Aber des 
Euthlas Stimme bellte und sein Wort biß. 

„Ich ersuche, alle Beifalls- und Mißfallenskund- 
gebungen Im Zuschauerraum zu unterlassen”, ließ 
sich der Vorsitzende vernehmen. „Herr Verteidi- 
ger, bitte.” 

„Jetzt kommt Hypereides“, erklärte der alte 
Redelehrer leise seiner Schülerschar, die um ihn 
versammelt saß, Er hatte ihnen vorher einge- 
schärft: „Merkt wohl auf die Teile der Rede. Es 
sind drei Hauptteile und mindestens zehn Unter- 
teile. Hypereides wird mit einer Einleitung be- 
ginnen. Dann den Gegenstand bestimmen. Den 
Tatbestand erzählen. Die Einteilung angeben. Die 
Begriffe erläutern. Die Beweise prüfen. Die Gegen- 
beweise führen. Die Ergebnisse feststellen. Das 
Wesentliche ausführen. Zuletzt in einem rhetori- 
schen Schlusse gipfeln. So gehört es sich für eine 
attische Rede.” 

Die Schüler waren nur noch zum Teil bereit, dem 
Ablauf der Disposition zu folgen. Damals lenkte 
weibliche Grazie noch manchmal von männlicher 
Logik ab, 

„Paßt auf“, flüsterte der Lehrer, „Hypereides wird 
zwei Stunden reden”, 

Aber der sprach nur ein paar Sätze. Uber Euthlas 
und seine schwarze Seele. Über die Götter und 
ihre Gnade. Über Phryne, der Aphrodite Dienerin 
und Priesterin. 

„Achtung, raunte der Lehrer, „jetzt führt er den 
Richtern den Sachverhalt vor Augen”. 

Und da kam die Überraschung. „Glaubt ihr, Män- 
ner von Athen”, rief Hypereides aus, „daß die 
Schönheit die Götter beleidigen könne? Solche 
Schönheit? ...” 

Er hob langsam die Hand, griff der Angeklagten 
an die Schulter — Phryne erschrak —, löste ihr 
die Spange, ihr Gewand glitt zur Erde... 

Und vor dem Gerichtshof stand, wie die Götter 
sie geschaffen und Praxiteles sie nachgebildet — 
die knidische Aphrodite. 

Starr saßen die Richter. Die einen sagten: „Aahl” 
Andere sagten: „Ohl” Und der Kleine an der 
Ecke war ganz blaß geworden und sagte nur: 
„Hal... Mancher dachte an eine versäumte Lel- 
denschaft, manch anderer an eine verliebte Hoff- 
nung und einer auch an das, was ihn zu Hause 
eıwartete. Und dem kamen die Tränen. Und die 


SE 


N 


IHR 





Zuschauer, die nur den Rücken der Aphrodite zu 
sehen bekamen, dachten ähnliches und beneide- 
ten die Richter 

Nur ein Philosoph stellte sich die Frage: Warum 
empfinden wir den Marmor als unbekleldet, nicht 
als ausgezogen? 

Ein alter Jurist erwog: Ist es prozeßordnungsmäßig, 
die Bewelsaufnahme in das Plädoyer zu verlegen? 
Der Augenschein ist doch Beweismittel und kein 
Argument. 

Der Redelehrer war enttäuscht. Nicht so. seine 
Schüler. Damals waren Lehrer und Schüler noch 
nicht in allem einig. — 

Dann geschah etwas Seltsames. Phryne, die zu- 
erst die vielen Blicke als ein angenehmes Prickeln 
“auf der Haut empfunden hatte, Phryne errötete, 
bedeckte die Augen mit den Händen, um nicht 
zu sehen, daß sie gesehen wurde, und bat mit 
einer Neigung des Körpers um ihr Gewand, 
Schweigend legte Hypereides ihr die Falten wie- 
der über die Schultern... 


AN, N NUN N s, NW 
RR rNnmr 


Am Kammerfenster 





Amoreggiando alla finestra 


Der Vorsitzende, nach einem _Hüsteln: „Die Be- 
weisaufnahme ist geschlossen — will sagen, die 
Angeklagte hatte das letzte Wort. — Das Gericht 
wird abstimmen.” 

Damals gab es keine Beratung im attischen Prozeß. 


» 


Alle Athener sprachen am Abend über den Spruch. 
Tausend athenische Damen entrüsteten sich über 
den Freispruch, 

„Natürlich, so einel“ 

„Das war einfach Richterbestechungl” 

„Und du hast auch für den Freispruch gestimmtl” 
— Schuldbewußt schwieg de: Ehemann. 

„Du hast sie doch angesehen!” — „Ich mußte 
mir doch ein Urteil bilden.“ 

„Und dein Frühstück has! du nicht gegessen!” — 
„Ich bekam wohl Appetit, aber ich meinte, früh- 
stücken müßte ich zu Haus.” 

Nur Theodora empfing Ihren Mann: „Das habe ich 
dir von Herzen gegönnt, mein Guter. Und nun 


‘ 
633 


(Fr. Blick) 








erzähl mal genau.“ Er tat’s und meinte dann: 
„Wenn man so denkt, daß nun alle Welt sich über 
die edle Einfalt und stille Größe bei Praxiteles 
begeistert — und dann Ist es allemal die 
Phryne ...” 
„Aber Schönheit”, schloß sie, „muß doch etwas 
sein, was Vergebung verdient und racht behält.“ 
Damals wußte man noch nicht, daß die Götter 
Griechenlands sterblich sein würden, aber die 
Schönheit der Phryne unsterblich, 

* 
Die Angeklagte, strahlend, siegreich und gerettet, 
hatte nachher mit Hypereides, dem Kenner des 
Rechts, noch einiges ganz persönlich zu bespre- 
chen. So auch die Honorarfrage. \ 
Sie bat um sein Schreibtäfelchen: „Ich muß dir 
eınen Schuldschein ausstellen über das, was Ich 
zum Dank dir geben werde.” 
Und sie schrieb- Phryne 
Damals gab esnoch keine feste Anwaltsgebühren- 
ordnung, 


Englische Kunstbetrachtung (en 











„Sehen Sie, Mylady, das ist das Kernproblem: Wären diese Leute bevölkerungspolitisch 
so zurückhaltend wie wir Engländer, käme es nie zu einer Hungersnot in Indien!“ 


Riflessione artistica inglese: “Guardate, Mylady, il problema essenziale & questo: se tale gente in 
fatto di demopolitica fosse riservata come nol Inglesi, in India non verrebbe mal la carestial,, 


634 


Fachkundig {R. Krlasch) 
n - 


N >; hei a. 
e 2 en 


ur, ’ 





„Dummes Mädel, vor einem Maler brauchst du dich doch nicht zu schämen!" 
„Doch — doch — weil ich im Kolorit net so gut beinander bin!“ 


Esperta: ‘Che sciocca di ragazza! Non occorre che tu arrossisca davanti a un pittorel,, 
“Eh sl, st... perche il mio colorito lascia alquanto a desidergre!,, 


635 


MARIKA 


VON A. WISBECK 


Den alten Mann hatte ich In den letzten Herbst- 
tagen auf einer Ruhebank kennengelernt, Dort 
saßen wir des öfteren nebeneinander, ließen die 
Donau an uns vorüberziehen und schwatzten von 
diesen und jenen alltäglichen Dingen. Der Alte, 
der in seinem fadenscheinigen, engen Braten- 
rock, dam hochgebundenen Schlips und verschos. 
senen Halbzylinder einer anderen Zeit anzugehören 
schien, gefiel mir, und es freute mich deshalb, 
daß sich unsere Begegnung wiederholte, wo. 
durch auch die Unterhaltung vertraulicher wurde. 
Was den Alten eines Tages dazu bewog, mir die 
nachfolgende Geschichte zu erzählen, weiß ich 
freilich nicht, Doch scheint es mir, daß es sich 
um ein Erlebnis handelt, das über ein ganzes 
Menschenalter in ihm nachwirkte. 

„Damals“, erzählte der Mann, „stand Ich im acht- 
zehnten Lebensjahr und war als Stallbursche bei 
einem ungarischen Gutsherrn bedienstet. Er war 
ein freundlicher Mann, immer gut gelaunt, und 
die Gulden saßen Ihm lockerer In der Tasche als 
einem anderen ein Hellerstück. Ritt er die Etelka, 
die das halbe Jahr rossig war und sich nur von 
mir satteln ließ, so vergaß er nie, mir einen 
besonderen Lohn in die Hand zu drücken, ohne 
nachzuzählen, wieviel es war. Daß er nicht mehr 
zu den Jüngsten zählte, konnte man an selnem 
schneeweißen Haar gar wohl erkennen, doch 
waren die Weiber noch immer hinter ihm her. 
Denn sd sind sie eben, scheint es mir: ein rech- 
ter Kerl, der das Leben liebt, aber auch Tod und 
Teufol nicht fürchtet, wlo es mein Herr auf seinen 
verwegenen Ritten bewles, hat das Gerisse bei 
den Frauen, und man er auch schon nahe der letz- 
ten Olung stehen. Doch das nur nebenbeil 
Kennen Sie Ungarn? Es Ist ein schönes Land, will 
ich Ihnen sagen, Endlos weit wölbt sich der Him- 
mel darüber, bei Tage von tieflster Bläue und 
nechts von Sternen glitzernd, soweit der Blick 
reicht. Es Ist auch ein heißes Land, dieses Ungarn, 
in dem der Mais fast an den Stengeln röstet, die 
goldbraune Traube vor Süßigkeit schwitzt, und 
das Blut mit Ungestüm In den Adern pulst. Pforde- 
herden stürmen mit flatternden Mähnen durch das 
‚Abendrot, an den Brunnen blitzen dich bunt- 
gekleidote Mädchen mit Ihren Zähnen an, und 
allüberall, bald nah, bald fern, klingt Musik auf. 
Bald möchtest du aufjauchzen mit den Geigen 
In freudvoller Lust, bald dahinschmelzen In schmerz- 
licher Sehnsucht. Wonach? Du welßt es nicht. Es 
liegt wohl jenselts dieser Welt und Ist unerreich- 
bar. Damals freilich glaubte ich, es zu wissen, 
denn Ich war In Marika verliebt, Marika, die 
Küchenmagd. Als Ich sie zum erstenmal sah, 
stand sie, nur mit Hemd und Rock bekle'dat, vor 
dem Herd und bed'ente den Bratspieß. Vom 
Scheitel bis zu den Beinen floß der 

Widerschein der Glut an ihr h 
nieder, schien Ihren Leib In lohen- 
den Brand zu setzen. Als sie sich 
aber nach mir umwandte, traf mich 
ein Blick, der mein Herz versengte, 
Ja, mein lieber Herr, ich finde keinen 
anderen Ausdruck dafür, Sie mach- 
ten mich krank, diese Augen, ‚die 
sanftmütig, wie die eines Kirdes 
blicken konnten, und hinter denen 
doch ein dunkles Feuer glomm.- Aber 
sie waren es nicht allein, es war auch 
das blauschwarze, in der Mitte ge- 
scheitelte Haar, der volle Mund die 
hochgewölbte Brust, es war ein klel- 
nes, dunkles, kreisrundes Mal, das 
an der Wade saß. Ich hatte schon so 
manches Mädel Im Arm gehalt 
aber kelnes noch, das mich so vi 
rückt aemacht hätte, wie diese Ma- 
tika Marika, Marika, du unbegrelf- 
lich schöne Marika — das war mein 
Gedanke bei Tag und bei Nacht 

‚Ich alaube Bursche, du bist In die 
Marika verliebt?’ lachte eines Tages 
meln Herr, denn es war Ihm wohl 
nicht entgangen, daß ich mich öfter 
in der Küche herumtrieb, als es not- 
wendig gewesen wäre. ‚Nimm dich 
In acht vor dem Mädel. denn ste ist 

















Denn als Ich einmal den Mut faßte, meinen Arm 
um Ihre Hüfte zu legen, stieß sle mich unwillig von 
sich und funkelte mich mit einem Blick an, det 
lede Wiederholung einer Annäherung scheuen ließ, 
Gleichwohl, wie sollte ich eine Verliebtheit bän- 
digen, die mein Leben zur Qual machte, wie 
konnte ich Gedanken verbergen, die mein gan- 
zes Sein beherrschten? Keinem Menschen im Haus 
entgingen sie, und es mußte Marikas Abneigung 
nur noch steigern, daß man sie mit dem un- 
glücklichen Liebhaber weldlich verspottete. Be- 
trat Ich die Küche, so wandte sie mir den Rücken 
zu, und wagte Ich es gar, sie anzusprechen, so 
erhlelt Ich eine barsche, hochfahrende Antwort 
‚Zum Donnerwetter, du dummer Kerl, such’ dir 
doch eine anderel’ riet mir belustigt mein Herr. 
‚Aber merke dir das eine: mit einem langen Ge- 
sicht hast du bei den Weibern niemals Glück. 
Ein hängendes Maul lieben sie nicht, und aus 
Mitleld läßt sich kein Mädel küssen. Lache, pfelfe, 
tanze, mache dieser und Jener den Hof, betrink’ 
dich meinetwegen und lauf’ auf den Händen 
durch die Küche — damit wirst du mehr Erfolg 
haben, als wenn du vor Liebe greinstl‘ Das war 
nun alles schön und gut und mochte auch richtig 
sein. Aber, wie sollte man lustig sein, sich an 
eine andere heranmachen, wenn man nur die 
eine, die Unerreichbare liebte? Ich spreche imı 
von ‚Liebe‘, mein Herr, aber sie werden melne 
Gefühle wohl schon als das erkannt haben, was 
sle waren: die Begehrlichkeit eines Jungen, drän- 
genden Blutes, Denn was konnte es schon an- 
deres sein, als Marikas verführerlsche Schönheit, 
die mich quälte und mir schlaflose Nächte be- 
roltete? — 

Eines Sonntags alng ich zum See hinaus, um dort 
zu schwimmen. Denn diesen Sport betrieb Ich mit 
Leidenschaft und darf wohl auch ohne Übertrei- 
bung sagen, daß es mir In meinem Heimatstädi- 
chen an der Donau kaum ein anderer Mensch an 
Ausdauer und Gewandtheit darin gleichtat. Die 
Gluthitze des sommerlichen Tieflandes brütete in 
der weiten, baumlosen Ebene, regunnslos träge 
stand die Luft über den Weizenfeldern. Etwas 
erschöpft schon warf Ich mich in das Wasser, 
konnte aber mein Vorhaben, den See zu um- 
schwimmen, nur mit Aufbie'ung der letzten: Kraft 
ausführen. Müde und erschlafft verkroch ich mich 
in den Schatten des Ufermebüsches, um dort 
euszuruhen. Kaum halte ich mich jedoch hin- 
gestreckt, da wurde ich auf ein Geplätscher auf- 
morksam. Marikal Unwelt meines Lagers durch- 
die seich'e Bucht. Mitunter blieb sie 
, schöpfte Wasser mit den Händen und 
ließ es über die Schultern rieseln. Immer tiefer 
taucht der braune Köroer In die Flut ein. Nun 
verliert er den Grund, Mit unbeholfenen Schlägen 
paddelt Marika dem lieblichen, aus Wasserroren 
gebildeten Inselchen zu. Dort werden ihre Be- 
wegungen ungestlm. Der Kopf versinkt, hebt sich 
wieder aus dem Wasser, taucht neuerdings ein. 





























0. Hogenbarth) 





„Sag’ mal, Aujust, haste vielleicht 'nen neuen Witz uff Lager?“ 
„Jawoll. Aber den ieb’ ick nur an alte Stammkundschati abi“ 


Nun greifen die Arme In die Luft, wollen sich los- 
ringen aus der stillen Flut, schlagen um sich und 
entschwinden. Noch einmal erscheint der Kopf 
über einem Strudel quirlenden Wassers, und ein 
gurgelnder Aufschrei gellt über den See. Der 
Hilferut läßt mich die Müdigkeit überwinden. 
Rasch werfe ich mich in das Wasser und schwimme 
‚dem Inselchen zu. Ja, mein lieber Herr, glauben 
Sie mir, ein leichtes Stück war es nicht, die Er- 
trinkende aus den Schlinggewächsen zu be- 
freien, und es stand wohl nahe so, daß wir beide 
zum letztenmal das Licht der Sonne gesehen hät- 
ten. Fast schon wollten meine Kräfie versagen, 
als es mir noch gelang, Marika an das Ufer zu 
bergen, Da lag sie nun vor mir, die Heißbegehrte, 
und schlief. Wunschlos konnte ich sie betrachten, " 
denn ein armes Menschenkind erschien sie mir 
nur mehr, und gehelllgt ein Leben, das mein 
eigenes Werk war, Unantastbar blieb es 'mir hin- 
fort. Verstehen Sie mich, diese Ausdeutung trat 
erst In späteren Jahren in mein Bewußtsein, denn 
damals machte Ich mir keine Gedanken darüber! 
Es war eben so, — Ich bedeckte das Mödchen 
mit seinen Kleidern, zog mich an und erwartete 
in melnem.Buschwerk Marikas Erwachen. Lange 
noch lag sie im Schlaf der Erschöpfung, bis sich 
Ihre Augen öffneten und erstaunt um sich blick- 
ten. Nun bekleidete sie sich mit schlaffen Be- 
wegungen, machte taumelnd einige Schritte, blieb 
unschlüssig stehen und sah hilfesuchend um sich. 
Da trat ich rasch hinzu hob sie zu mir auf und 
trug sie zum Gutshof. Ihre Arme legten sich um 
meinen Hals, ihr feuchtes Haar fiel über meine 
Hände, Kein Wort kam über unsere Lippen, doch 
sprach ein Gefühl aus Marikas Augen, das mich 
beglückte: Die Achtung des Weibes vor der Tat. 
Ja, so Ist es wohl, mein lieber Herr: In eine 
schöne Nase mag eine Frau wohl vernarrt sein, 
und gedrechselte Sprüchlein mag sie gerne ver- 
nehmen, doch scheint mit dies nur eine Sache 
jes Auges und Ohres zu sein und kurzen Bo- 
stand zu haben, Ihres Blutes geheimste und ewige 
Sehnsucht gehört Immer nur dem Mann, ich meine, 
der männlichen Tat. Und sehen Sie, obschon 
meine fuchsroten Haare nicht braun oder schwarz 
wurden, und meine große Nase nicht kleiner, und 
obschon Ich nichts tat, um Marika gefälliger zu 
werden — sie liebte mich seit jenem Tag und 
zeigte es unverhohlen mit jedem Blick ihrer 
heißen Augen, Bald wußte es Jeder Bedienstete 
des Hauses: die dumme Marika hat sich In den 
roten Stallburschen verliebtl Geduldig ertrug sie 
den -Spott, und dies war wohl das schwerste 
Opfer, das ihr Stolz bringen konnte, Ja, rain 
Herr, ich darf es heute, da alle Eitelkeiten des 
lebens von mir abgefallen sind, getrost seen: 
Marlka liebte mich mit dem ganzen Ungestüm 
Ihres Blutes. Und ich? Nun, ich sagte es Ihnen 
schon; für mich war dieses Leben selt jenem Tag 
geheiligt, da es mein Werk wurde. Niemals mehr 
hätte ich es mit dunklen Wünschen der Begehr- 
lichkeit entwelhen können. Hoch 
und licht stand es vor mir, ein Men- 
schenleben, das den Namen Marika 
trug. Meines Verbleibens im Hause 
konnte freilich nicht mehr lange 
seln. Denn, wie sollte Ich Marika die 
absonderliche Veränderung meiner 
Gefühle begreiflich machen? Sie 
würde mich nicht verstanden haben, 
dessen bin Ich heute noch gewiß 
$o kündigte Ich denn meinem Herrn 
den Dienst. ‚Wie kann nur ein 
Mensch eines dummen Mädels wo- 
gen seine gute Stellung aufgeben!’ 
mökelte der brave Mann. ‚Liebe l&ßt 
sich nicht erzwingen, und daß du 
bei der Marika kein Glück haben 
würdest das habe Ich dir schon 
längst vorhergesagt.’ — Ja — Ja — 
so Ist es’, stotterte Ich, denn meln 
Herr brauchte von dem, was sich er- 
eignet hatte, nichts zu wissen. ‚Such‘ 
dir das nächste Mal ein solldes, 
breithüftiges Frauenzimmer mit hell- 
blondem Schopfl’ lachte er noch, als 
er mich mit einer Handvoll Bank- 
noten entließ. Noch etwas anderes 
nahm Ich mit auf den Rückweg in 
dıe Helmat, einen ganz kleinen Kuß, 
nei. einen flüchtigen Hauch nur, 
vom Munde der Marika. Und er be- 





keines. das mi* sich spaßen läßıl‘ 
Das schien mir nun freilich auch. 


"Dimmi, Augusto, non hal lorse in deposito un nuovo scherzo?,, 
"Sicuro, ma lo lo do soltanlo a vecchla clientela di localel,, 


636 


deu'ete nich's anderes, als den Ab- 
schied für ein Menschenleben.“ 


(Wilhelm Schulz) 


Zukunftsposten für Roosevelt 





„Bitte mich nicht zu stören, ich versuche eben im höchsten Auftrage festzustellen, 
ob die Marsbewohner schon einen Präsidenten haben!" 


Futuro posto per Roosevelt: “Vi prego di non disturbarmi! Per Incarico d’ altissima autorltä 
so appunto tenando di constatare se gli abitantl di Marte abblano giä un Presidentel,, ° 


637 


Erster Besuch (K Haltigenitandt) 








„Nein, Fräulein Gusti, stürmisch bin ich niemals gegen Frauen!" 
„Ja, ja, so was habe ich gleich befürchtet!‘ 


La prima visita: “No, signorina Augusta; lo non sono mal stato Irruente con le donne!,, — “Glä, glä ... ed era cld ch" Io tosto temevol,, 


638 





(WM Busch) 





„Sagen Sie, Herr Soldat, für welches Mädchen machen Sie sich denn so schön?“ 
„Weiß noch nicht — wird sich heute abend erst herausstellen!" 


"Diteml, signor soldato, per quale ragazza mai Vi fate cosl bello?,, — “Non so ancora ... ma lo si vedr& gid staseral,, 


DAS MÄRCHEN VOM HERRN FRITZ 


„So Michelchen, — hör’ schön zu, ... also da war 
einmal ein Mann, der hieß Fritz, und arbeitete in 
einem riesengroßen schönen Hause mitten im Her- 
zen einer ganz großen Stadt, und eines Morgens 
kam er um einen Augenblick zu spät zum Omni- 
bus, mit dem er den weiten, weiten Weg in das 
große schöne Haus, In dem er ärbel , zurück- 
legen wollte, und da sah der Omnibusfahrer zu- 
fällig Im Rückblickspiegel, wie Herr Fritz dem 
Omnibus nachrannte und nicht mehr konnte, und 
da schaltete der Omnibusfahrer, wie er es früher 
bei der Straßenbahn gelernt hatte, den Rück- 
wärtsgang ein und fuhr drei Häuser welt zurück, 
um den Herm Fritz einsteigen zu lassen. Und an 
der nächsten Haltestelle stieg ein dicker Herr 
ein, der versuchte sich neben Herrn Fritz zu set- 
zen, aber neben Herın Fritz saßen schon andere 
Leute, und da der dicke Herr sah, daß es für Herrn 
Fritz auch unbequem werden würde, wenn er sich 
neben Ihn setzte, da gab der dicke Herr seine 
Absicht auf und sagte zu Herm Fritz, es wäre 
Unsinn, wenn sie beide unbequem sößen, und 
Herr Fritz sei auch früher als er dagewesen, 
und blieb stehen und lächelte Herrn Fritz freund- 
lich an, und da der Mann, der neben Herrn Fritz 
saß, in der Zeitung las, las Herr Fritz mit, und am 
Ende jeder Seite fragte der Herr mit der Zeitung 
Herrn Fritz jedesmal, ob er auch fertiggelesen habe 
und umblättern dürfe, und als Herr Fritz sagte, er 
habe die Seite noch nicht ganz durchgelesen, da 
sagte der Herr mit der Zeitung, das mache gar 
nichts, er würde gerne so lange warten, bis Herr 
Fritz die Seite fertiggelesen habe... 

...und als Herr Fritz ausstieg, überquerte er trotz 
des roten Verkehrslichtes die Straße und wurde 
von einem Automobil beinshe überfahren, und ein 
Verkehrsschutzmann erzählte dem Fahrer des 
Automobils, vorsichtig zu sein, denn auch wenn 
die Verkehrsampel zu seinen Gunsten Grün ge- 
zeigt habe, so sei das keine Erlaubnis zum Über- 
fahren unschuldiger Fußgänger, und da mußte 
Herr Fritz den Herrn Verkehrsschutzmann anlächeln 
und der Herr Verkehrsschutzmann lächelte zurück 
und gab Herrn Fritz eine schöne Zigarre zum 
Rauchen und dazu zwei Eintrittskarten zum Sym- 
phoniekonzert der Freiwilligen Feuerwehr, und als 











Vorlag und Druck. Knorr & Hirth Kommanditgesellschaft, München, Send ling: 

©k, München. — Der Simplleissimus erscheint wöchentll 
1.; Abonnemen! im Monat RM. 1.20. 

haruck verboten. — Postscheckkonto München 520. Erfüllungsort Mün 


Vorantworti: Scheiftl 
anstalten entgegen — 


Walter Fo 








Herr Fritz die Karten bezahlen wollte, da lächelte 
der Herr Verkehrsschutzmann wieder und sagte zu 
Herrm Fritz, die Karten kosteten nichts, diesmal 
habe er zu bezahlen und das Ganze sei nicht der 
Rede wert und habe ihn ja kaum aufgehalten... 
‚Herr Fritz aber kam 20 Minuten zu spät In das 
schöne riesengroße Haus, in dem er arbeitete, 
und der Herr Chef stand hinter seinem Schreibtisch 
und grinste freundlich, und als Herr Fritz sich ent- 
schuldigen wollte, da mußte der Herr Chef so 
lachen, daß es ihn schüttelte, und als der Herr 
Chef wieder sprechen konnte, da sagte er, er 
gäbe für einen Mann, der nicht dann und wann 
einmal zu spät komme, keinen Pfennig, und da 
kam Herr Fritz auf den Gedanken, den Herrn Chef 





LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückei) 





M uime ist ein Bekannter von mir, dafür kann ich 
nichts. Als ich ihn vorgestern zufällig traf, sprach 
er von Büchern, nämlich beim Reiser-Verlag in 
Magdeburg gäbe es gute Bücher zu kaufen, un- 
mittelbar vom Verlag weg. 

Ich war über ein solches Interesse bei ihm baß 
erstaunt, besonders auch wegen der herzbeweg- 
lichen Töne, welche er zum Thema fand, 

„Sehr, sehr gute Bücher gibt es da zu kaufen, 
wenn ich nur wüßte, ob sich die Fahrt über Sams- 
tag und Sonntag machen läßt — —” 

„Was denn für Bücher?” fragte ich, und Mulme 
darauf ungesäumt und mit einer entzückten Hand- 
bewegung: „Solche mit Ledereinband"”  F.H. 








einmal 


"0 (Fomrut 1298). Brletanschrift 


Bestellungen nehmen 
— Unverlangle Einsendungen 


zu fragen, ob er nicht 50 Mark mehr Gehalt haben 
könne, und der Herr Chef fragte zurück, wie lange 
Herr Fritz über diese Aufbesserung schon nach- 
gedacht habe, und als Herr Fritz sagte, sechs Mo- 
nate, da sagte der Herr Chef, er werde die Sache 
augenblicklich in Ordnung bringen, und zwar rück- 
wirkend, so daß die Aufbesserung auch für die 
sechs Monate, während der Herr Fritz über die 
Aufbesserung nachgedacht habe, ausbezahlt 
werde... 

-„.und als zur Mittagszeit Herr Fritz zum Essen 
gehen wollte, da rief ihm der Herr Chef nach, 
Herr Fritz solle zwei Stunden statt nur einer hal- 
ben Mittagspause machen, denn es sel ungesund, 
das Essen hinabzuwürgen und sogleich wieder zu 
arbeiten, und als Herr Fritz das Restaurant auf- 
suchte, in dem er auch sonst immer speiste, da 
waren alle Plätze besetzt und in der Vorhalle 
warteten über fünfzig Leute, die auch essen woll- 
ten, und als Herr Fritz gehen wollte, um ein an- 
deres Restaurant aufzusuchen, da kam ihm der 
Herr Geschäftsführer nachgeeilt und sagte, es 
wäre ja noch schöner, wenn ein so guter treuer 
Kunde unbedient gehen würde und machte Herrn 
Fritz sogleich Platz, indem er mit einem Gast, der 
schon lange fertig war und nur auf die Rechnung 
wartete, weil der ihn bedienende Kellner keine 
Zelt hatte, selbst abrechnete, und als Herr Fritz 
ins Büro zurückkam, da lag eine Nachricht vom 
Herm Chef auf selnem Schreibtisch, Herr Fritz 
habe heute nachmittag dienstfrei und er solle 
sich nur etwas ausruhen... 

„..und als Herr Fritz am Abend nach Hause kam, 
da kam ihm unter der Tür schon seine Frau mit 
seinen Pantoffeln und der gestopften Lieblings- 
pfeife entgegen und lud ihn ein, es sich nach des 
Tages harter Arbeit ebenso bequem zu machen, 
wie sie es sich den ganzen Tag schon gemacht 
habe — und nun Michelchen, muß ich gehen und 
morgen erzähle Ich dir die Geschichte von dem 
Mann, der sein eigenes Finanzamt verklagte, weil 
es viel zu wenig Steuern berechnet hatte, das 
heißt, das hängt davon ab, wenn mich der Wärter 
gehen läßt, denn in Wirklichkeit Ist es nach der 
Anstaltsordnung verboten, sich in der Abteilung 
für gewalttätige Irsinnige aufzuhalten" F.L.N. 








München 2 BZ, Brieffach. 


Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Pı 
Ion nut zutuckgesändi, wann Porto beillegl. — 












Herbststimmung In London 


(E. Thöny) 


ARRWETTRSTTET EEE EEE TTTERT 





„Nun sind alle Blätter gefallen und es hat sich wieder nichts ereignet!‘ 


Umore autunnale a Londra: “Ebbene, tutte le foglie sono.cadute e di nuovo non & accaduto nulla!,, 


640 


München, 15.Dezember 1943 








48. Jahrgang '/ Nummer 50 


SiMmPLICISSiMmUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 








JA BAve 


| 
CHE DES BAREN 


Sam Suternangson Us 


= y 

















„Ich habe so das Gefühl, als ob wir Ihm doch ein wenig zu weit entgegengekommen wären!‘ 


Nel ventre dell’ orso: ‘Ho pure un certo senso che noi |’ abbiamo accontentato un po’ troppol,, 











Der verfallene Tempel - Il tempio diroccato 


(K. Rössing) 





DER BERG 


Mein Bergführer war der Maxl. Er hatte die Schi 
geschultert, ein Sportgesicht auf seinen Buben- 
kopf gesetzt, Rucksack umgeschnallt und Schi, 
Hände und Hosen tüchtig mit Wachs einge- 
schmiert, 

„Wo geht's hin, MaxI?“ 

„Auf den Berg.” 

„Darf Ich mitkommen?” 

Max| musterte melne unsportliche Kleidung, be- 
sah kritisch meine Stadtschuhe, meinen Winter- 
mantel, meinen Filzhut, und am liebsten hätte er 
gesagt: „Mann, in dieser Aufmachung willst du 
dem weißen Tod, der auf dem Berge lauert, ins 
Auge schaun?” Er machte aber eine zusagende 
Kopfbewegung Ins Unbekannte hin und wir schrit- 
ten beide vorwärts wie Amundsen und Nansen in 
die weite Schneewüste hinein. 

Die unendliche Schneewüste? Unabsehbar-dehnte 
sie sich, der Horizont war verhangen, Sturm 
peitschte den Schnee über das Land, Ist das 
Grönland, ist das Kamtschatka, die Tundra, Kitz- 
bühel oder der Arlberg? Nein, es ist nur ein 
Stückchen land am Rande der Großstadt. Max 
hat die Führung. Aber wo Ist der Berg? 

„Da hebt Maxl Amundsen die Hand und deutet 
vorwärts, wie Christoph Kolumbus seinerzeit die 
Hand hob, als ersagte: „Gemach, Caballeros, dort 
liegt Amerikal” Ich. sehe den Berg noch immer 
nicht, bis wir an seinem Fuße stehen. Da ragt er 
himmelswärts. Vier Meter hoch ragt er in den 


Ather, und oben am Grat bläst der Wind eine 
Schneefahne wie bei einem erwachsenen Berg. 
Wir durchklettern die Südwand ohne Rası zu ma- 
chen. Auf Wasser sind wir dabei nirgends ge- 
stoßen. Achtung, ihr Mannen, die Feldflaschen 
vorher füllen! Ein herrlicher Rundblick lohnt un- 
sere Mühe. Das majestätische Haupt einer Gas- 
anstalt liegt zum Greifen nahe, rechts dehnt sich 
die gewaltige Kette einiger Hinterhäuser und zu 
unserer Linken erheben sich dräuend die Schrofen 
einer verlassenen Badeanstalt. 

Wir sind nicht allein hier auf einsamer Berges- 
höhe, viele kleine Schiläufer beleben den Nord- 
hang des Berges und Immer wieder geht es In 
sausender Fahrt die vier Meter hinunter ins Tal. 
Einige Väter geben ihren Kindern ersten Unter- 
ticht Im Schilaufen, „Spitzen zusammen“, Ist der 
allgemeine Ruf und „Oberkörper vorbeugen“. 
Einige Mittelschüler tun so, als mache Ihnen die- 
ses Herunterrutschen keinen Spaß, sie wollen nur 
die Schi wieder ausprobieren und versuchen, ob 
das Schiwachs sich bewährt. Sie probieren stun- 
denlang und können dabei nur mühsam ihre 
Würde als Sportsleute unterdrücken, für die so 
ein Berg eigentlich eine Schande Ist. Auf einigen 
Schi sind auch ältere Herren angebracht, die 
stehen nicht mehr fest und ruinieren das Sport- 
gelände beträchtlich. 

Der Abstieg über den Nordhang war sehr loh- 
nend. Wir kamen an einer richtigen leeren Kon- 
servenbüchse vorbei und passierten einen Rodel- 
schlitten, der mit einer Mutter bis zum Überlaufen 
gefüllt war, Foitzick 


642 


FROHE AUSSICHT 


Bald gibt's nun wieder echten Kaffee. 
Ich lob' ihn über den grünen Klee, 
weil in den unfcheinbaren Bohnen 
pfychomotorifche Kräfte wohnen, 
die uns in höhere Sphären entrücken, 
die uns mit Optimismus beglücken, 
die ftaubige Seele gründlich fcheuern, 
den fchlaffen Mut erneuern, befeuern 
et cetera... 

Wohlauf, wohlant 
Die Kaffeemühle auf den Plan 
und recht als Orgelmann gefchuftet! 


Ha, mie bIoß fchon das Pulver duftet! 


Jett Waffer drüber, kochend heiß! 
Durch’s Filter tropft der braune Schweiß 
- und Wonne ift der Mühe Preis. 


Ein Wunder, hold und kaum zu faffent 
Es reicht für zwölf bis dreizehn Taffen, 
und nimmt man etwas kleinere her, 

fogar für mehr. 


(Man kann den Trank auch dünner wählen. 
Das möcht’ ich aber nicht empfehlen.) 


Ratatöchr 


Propaganda gegen Granaten 


„Sehr brav von den amerikanischen Arbeitern, daß sie uns so schönen 
Explosivstoff geschickt haben, dafür werden wir von unserem liefern!" 


Propaganda contro granate: "Bravi davvero i lavoratori americani che ci hanno 
spedito un materiale esplosivo sl bello! In ricambio noi ne forniremo del nostro!,, 


643 


(Wilhelm Schulz) 








Sie berät über den Frieden, den sie der Welt bringen möchte! 


La conferenza dei tre discute sulla pace ch’ essa vorrebbe dare al mondol 


644 


DEMOSTHENES 


VON SCHLEHDORN 


Ob wohl Demosthenes Lampenfieber gehabt hat? 
Jedenfalls hälte er welches gehabt, wenn ihm 
kurz vor Tisch gesagt worden wäre, er müsse zu 
Tante Wandas Geburtstag reden, weil Onkel 
Hans, der Präsident, krank sei. Daß Demosthenes 
nicht aus dem Stegreif reden konnte, ist historisch. 
Tischreden von Demosthenes sind nicht erhalten 
Außerdem ließ sich über König Philipp von Maze- 
donien mehr sagen, als über Tante Wanda, die 
alljährlich Ihre ganze Verwandischaft von nah 
und fern zu einem opulenten Geburtstagsdiner in 
die kleine Stadı und in Ihr großes Haus ein- 
lud, — und alljährlich an Umfang zugenommen 
hatte. 

„Unssre Erbmasse”, nannte sie Rolf, der Referen- 
dar, despektierlich. „Sie setzt Jahresringe von 
Fett an“, flüsterte Hans-Jürgen, der Leutnant. „Sie 
Ist ein abendfüllender Eindruck”, stellte Regie- 
rungsrat Jullus bei sich fest, 

Du sollst gegen Erbtanten nachsichtig sein und 
von edler, abwartender Ehrfurcht — lehrt Buddha, 
dessen Statue sie ähnelte, Sie hatte ein gutes 
Herz für Alle und aß für Zwei (mehr hatte ihr 
der Arzt verboten), Ihr Teller genlerte sich, wenn 
sie zugriff, „'ne gute Magen is mir lieber, als en 
schlecht Jewissen“, sagte sie in ihrem rheini- 
schen Dialekt, verzichtete gern auf Entbehrungen 
und freute sich über jeden, dem es auch schmeckte. 
Tischreden sind die schwierigste Gattung der 
Rethorik, Man malkäfert bis zum Braten und kommt 
nicht zum Essen, und später 1rinkt man zuviel, 
well es überstanden Ist. 

„Du bist heute nicht sehr unterhaltend, Julius”, 
bemerkte selne Schwägerin Margarethe spitz, 
„aber du sollst ja wohl reden. Mein Eugen ist 
vor zwei Jahren auch stecken geblieben.” 

Nun schlug Jullus an sein Glas. „Aahl — Psstl” 
— Stille, — 

Die gesamten Bürger von Athen, ja selbst des 
Demosthenes Gegner, die Gruppe um Äschines, 
waren nicht so kritisch, wie die liebe Familie von 
20 Personen an dem großen Tisch um das Porzel- 
lan mit dem Streublumenmuster herum. Der Pro- 
tessor rückte an der Brille und wartete auf eine 
Unlogik, der Aızt auf eine Zweideutigkeit, der 
Leutnant auf eine Gelegenheit zum Lachen, Ku- 
sine Brigitte (die auf dem Punkt war, wo ein 
Junges Mädchen plötzlich eine alte Jungfer wird) 
auf einen Anlaß zur Entrüstung, Und alle auf das 
Ende Die Herren fixierten den Redner, die Damen 
sahen mit leerem L&cheln vor sich hin, und Vetter 
Filtz vom Lande ließ sich mehrfach neu ein- 
schenken. 

Julius Jedoch, da bei Tante Wanda von Geist und 
Schönheit kaum die Rede war und von ihrem 
Alter nicht geredet werden durfte (sie liebte 
Geburtstage ohne Älterwerden), hatte sich auf 
die schon von den Hofdichtern der Renaissance 
mit Erfolg erneuerte Methode zurückgezogen: er 
schilderte, wer alles und wie gern jeder zu die- 
ser Feier erschienen sel, Die Genannten reagler- 
ten auf Ihre Erwähnung meist mit einem miß- 
traulsch geschmeichelten Lächeln, Onkel Karl, in 
Firma ‚Treibrldmen AG, mit einer Verbeugung, 
der Landgerichtsdirektor mit plädoyergewohntem 
Gleichmut, und Vettar Fritz rief Prost. 

„Sie alle kamen“, faßte nun der Redner In ge- 
schickter Stelgerung zusammen, „sie alle kamen 
und waren erwartungsvoll versammelt, und zuletzt 
erschien —" aber da entfuhr es ihm: „erschien 
Tante Wanda in Massen...“ 

Jubelndes Gelächter rund um den Tisch. 
m+,.Ich wollte sagen; In Massen die Nechten 
und Niffen, die Tonkel und Anten...” 
Vergeblich suchte Frau Dorette mit ängstlichen 
Augen Hilfestellung zu geben. Jullus verhedderte 
sich rettungslos. 

„Auch Demosthenes", fuhr er endlich fort „hat 
sich bekanntlich, als er vor König Philipp teden 
sollte, verheddert,“ — Aber es half nichts mehr. 


Die Wirkung war hin, und eilig steuerte er das 
Wrack ‘seiner Rede in den Hafen des Dreimal 
hoch. Alles trank geräuschvoll auf das lange Le- 
ben der Erbtante, 

Vetter Fritz vom Lande kam mit seinem Glas: 
„Großartig hast du das gemacht mit den Massen, 
Julius,” Jullus wollte erklären, daß es lediglich 
ein Irrtum In der Setzung des Kommas, In derLänge 
der Pause, Ja, nur in der Beionung gewesen sei. 
„Weiß schon, weiß “chon“, sagte Vetter Fritz, 
„es war großartig!” 

Die übrige Familie fühlte sich eins In dankbarer 
Schadenfreude. Nur Frau Dorette trank ihrem 
Mann ermunteind zu, — du brauchst dich bloß 
zu blamieren, dann zeigt sich die wahre Liebe, 
Tante Wanda hatte nichts gemerkt, Aber nun 
wird Ihr's Brigitte versetzen, Brigitie, das Ekel... 
So grübelt Regierungsrat Julius noch vorm Ein- 
schlafen und trat zomig gegen den Battpfosten. 
Hätten sie mich bloß nicht mit ihrem blöden La- 
chen unterbrochen... Er beneldete die Tiere, die 
auch feiern, indem sie futtern, aber nicht dabei 
tischreden, weil sie nicht können. Einen entlau- 
fenen Hund kann man zurückpfeifen, ein ent- 
flohenes Wort nie, Tante Wanda erschien in Mas- 
sen. Zuletzt schlief Jullus ein und träumte: 

Er träumte, er sei in den Himmel gekommen, d. h: 
nur In dessen Wirtschaftsräume, geführt von einem 
Engel, d.h. nur einer himmlisch-technischen Assl- 
stentin, die etwas von der säuerlichen Art der 
Kusine Brigitte zeigte 

Da standen in Reihen große Blechkübel, Gleich 
am Anfang einer, in den durfte jeder, wenn er in 
den Himmel kam, sein Päckchen ablegen, das er 
auf Erden getragen, — ein Zwischending zwi- 
schen Garderobe und Mülleimer also, Darin lagen 
Schielaugen und Wandernieren und Prozeßakten 
und manch leeres Portemonnale, an dem sich 
schwerer trägt als an einem vollen, und mancher 
Pantoffel, unter dem einer gestanden, 

Das nächste Behältnis trug die Aufschrift: ‚Uner- 
füllte Wünsche’. „Davon schütten wir immer eiwas 
in die Frühlingsluft”, erklärte der Engel, „Das 
macht die Luft so interessant, daß alte Herren 
an junge Mädchen denken, und alte Damen an 
die Zeit, wo sie noch Junge Mädchen waren.” 
Dann folgte ein Riesenkübel, darauf stand: ‚Er- 
gebnislose Arbeit‘ „Ja, sagte der Engel, „wir 
wissen auch nicht recht, wohin damit, — zumal 
die Arbeit doch ihren Lohn in sich selber trägt, 
Es sind durchschnittlich 65 Prozent aller Arbeit, die 
ohne Ergebnis Ist, dazu verderben die guten 
Freunde meist noch 10 Prozent, die guten: Feindo 
weitere 10 Prozent, — wer mit dem Rest durch- 
stößt zum Erfolg, der kann seine Memoiren 
schreiben,” 

Daneben stand ein ganz kleiner Kasten: ‚Reiner 


AUSGANG 


Idı ging am Abend nodımal meg, 

um Luftundmöglidıst etrmas Grogzu schnappen. 
kam spät zurück und sah mit Schreck 

ein dunkles Unding durch den Garten tappen 


Tch nahte mich mit Schlich und Husdı, 

das Ungeheimel näher auszuspähen. 

Es stapfte'schmer um Beet und Busch 

und blieb besinnlich unterm Flieder stehen. 


Mit meiten Augen nahm ich wahr, 

mas für ein milder Unfug mir passierte: 
daß es mein Kachelofen mar, X 

der hier zur Nachtzeit einsam promenierte, 


Ich hab mich in den Arm gezwickt, 
bis mir die Schuppen von den Augen sprangen: 
ich hatte ihn nicht gut beschickt, 
da mar der Ofen — ausgegangen. 
DIAKS PAULUN 


645 


freier Wille (nach Kant)‘. Aber es war wenig darin, 
Und nun kamen zwei große Behälter. Der eine 
höchst umfangreiche enthielt ‚Worte, die zu 
wenig gesprochen sind.‘ — Der Engel ließ Ju- 
lius hineinsehen. Da war manches ‚a‘, das leider 
ungesprochen geblieben, z. B. das Jawort, das 
Brigitte auf die Werbung des Assessor Schmidt 
nicht gab, weil er eine Glatze hatte, Nun war 
sie sitzen geblieben. Da waren noch mehr ‚Nein‘, 
die eigentlich hätten gesprochen werden müssen; 
‚Nein’, wenn das allerletzte Glas angeboten wird, 
‚nein’ in verführerischen Sommernächten, ‚nein 
bei Bestechungsversuchen oder noch schlimme- 
ren Versuchungen. Da war die Schmeichelel, die 
man vergessen hatte Im richtigen Moment der 
schönen Frau oder dem großen Mann zu sagen, 
die Zurechtweisung, die ein Zudringlicher ver- 
dient hätte, und ungezählte ausgezeichnete Be- 
merkungen, die einem eingefallen waren, genau 
fünf Minuten, nachdem die Besprechung zu Ende 
war. Denn keine Schlagfertigkelt wird häufiger 
wiederholt und feiner durchgefeilt als die, die 
auf den Schlag nicht fertig war, Und endlich eine 
Menge Examensantworten — richtig, da war auch 
das Preußische Polizeigesetz von 1883, das Ju- 
lius im Examen nicht gewußt hatte... 

Aber neben diesem Behältnis der zu wenig ge- 
sprochenen Worte erhob sich ein wahrer Silo, 
groß wie eine Gasanstalt: ‚Zuviel gesprochene 
Worte‘, war die Aufschrift. Das brodelte und 
quirlte von ‚nicht wahr‘ und ‚wissen Sie”. Von 
Worten, mit denen man sich an der Ecke fest- 
geschwätzt, Worten, verschwendet an wartloso 
Dinge .und Leute, oder Gerede über Vorfälle und 
Nachbarn. Gerüchte, die wachsen wle Lawinen, 
und Phrasen, die schrumpfen, wenn man sie n&her 
ansieht, Lügen, die kurze Beine hatten, und Spott- 
worte, die einen Schwanz von Weiterungen nach 
sich zogen. Worte, mit denen einer aus Eitelkeit 
ein Geheimnis verriet, oder um eines Wortspiels 
willen eine Freundschaft verriet, oder Confiden- 
zen, mit denen er sich selbst verriet. Und so 
mancher lapsus linguse, den man nachher tau- 
sendmal bei sich korrigiert und revoziert und 
umformulier. Und obenauf schwamm: ‚Tante 
Wanda erscheint in Massen, in Massen, in 
Massen. 

„Wohin kommt das nun?’ fragte Regierungsrat 
Julius schaudernd. Der saure Engel zeigte ihm an 
der Selte einen Griff, der an einer Kette hing, 
‚Bitte ziehen‘, 

„Spülen wir hler, so ergleßt sIch der Inhalt direkt 
In die Hölle. Denn da gibt es außer der gewöhn- 
lichen Strafe, zu schweigen, die schwerere Strafe, 
daß einer dauernd fremdes Gerede anhören muß, 
Die noch schwerere: daß er alles anhören muß, 
was er selbst Überllüssig geredet hat. Und als 
schwerste: daß er seine zuviel gesprochenen 
Worte noch einmal sagen muß, und immer wie- 
der, In Massen, In Massen, in Massen.” 
„Fürchterlich”, sagte Jullus. Da ging der Engel In 
die Breite, nahm Tante Wandas Züge an und 
sagte traurig: „Akkurat an meinem Geburtstag 
hättste das besser sein Jelassen. Dies Jahr lad’ 
Ich Euch nicht nach Bordijera ein.“ 

Hier erwachte Jullus. 

So konnte er auch Doreite nichts vom Himmel 
selbst erzählen. „Da wird es wohl”, meinte er, 
„Freuden sonder Zahl (nach Schubert) geben, Und 
zwar lauter erlaubte Freuden. Also ganz, wie In 
einer glücklichen Ehe. Nur natürlich alles meta- 
physisch, absolut transzendental.” 

„Ach so”, sagte Dorette. — — 

Später sind sie zu Tante Wanda gegangen, um 
sich zu verabschieden und sich zu entschuldigen 
Sie saß friedlich und umfangreich In Ihrem Sofa, 
aß Biskults und bedankte sich für die wunder- 
schöno Rede, „Du hast doch gesehen, wie sich 
die Familie gefreut hat.” Jullus fand, daß die 
gute Tante fast hübsch aussähe, und auch Brigitte 
erschlen Ihm heute Jugendlich. 

„Auf Wiedersehen In Bordighera”, sagte Tante 
Wanda beim Abschied, „dann mußt du mir noch 
mehr von dem alten Griechen erzählen, der keine 
Reden halten konnte.” 


DIE SACHE MIT CHRISTINE 


Springe, der alte Lotse von der Station 3, strich 
sich vergnüglich den Spitzbart und schmunzelte 
über das runde Gesicht: 
„e... nun... die Sache mit unserem Kameraden 
Hein Polters, das Ist ein dolles Stück für sich, 
wissen Sie nicht, wie das mit der Christine Loh- 
mann gekommen Ist? Muß Ich Ihnen erzählen!” 
Den ausgebrannten Zigarrenrest zündete Springe 
neu an F 
„War mein Freund, hat mir alles berichtet, aber 
jetzt kommt er auch nicht mehr zum Kegeln und 
zum Skat. Schadel Fangen wir also von vorn an, 
Als seine erste Frau,.die Luise, vor zwei Jahren 
für immer die Augen zumachte, hatten wir ge- 
dacht, es würde nun mit"Hein Polters ein biß- 
chen anders werden. Gewiß, die Luise war eine 
treue und brave Hausfrau, aber sie schaute ihm 
doch’ zu sehr auf die Finger, zählte ihm die ZI- 
garren und die Gläser Bier nach, .war knauserig 
und kleinlich, und das. Ist nicht gutli Hatte ihn 
“ ganz unter dem Pantoffel, wie man das so nennt, 
und nichts durfte er eigentlich ohne sie machen. 
War ein Kreuz, und steht unter Manneswürde, 
sich so unter die Fuchtel kriegen zu lassen.” 
Mißbilligend schüttelte der Lotse den Kopf. 
„Nee... ein Mann muß ein Mann bleiben, aber 
er war eben zu gütmütig, und Gutmütigkeit kann 
in Dummheit ausarten. Als dann die Trauerzeit 
herum war, haben wir uns den Hein vorgenom- 
men. $o, mein Junge, nun wirst du dir mal was 
gönnen, wo du doch eine hübsche Stange Er- 
spartes auf der Kasse liegen hast! Da er durch 
seine Pension für das Alter versorgt war, was 
hatten die zusammengekratzten Groschen denn 
für einen Sinn? Sollte eine Reise machen, wo er 
bisher nichts vom leben hatte und meinten es 
gut mit Ihm, Hein Polters schob die Pfeife von 
dem rechten in den linken Mundwinkel, sah uns 
alle dumm an und knurrte nur: Jo... jo... will 
ich mir mal überlegen!’ Da wußten wir noch 
nicht, daß alles schon wieder zu spät und Hein 
Polters längst wieder mit seiner dämlichen Gut- 


Die Beule - Il bernoccolo - 


VON ERNST HERMANN PICHNOW 
mütigkelt hereingeschliddert war.” — Schwer 
stöhnte Springe auf, 

„Da wohnte also mit ihm In einem Hause In 
einem Zimmer die fünfzigjährige Witwe Christine 
Lohmann, und schon nach ein paar Tagen 
als er seine Luise unter die Erde gebracht 
hatte, klopfte sie bei Hein Polters an. Ein paar 
dicke Tränen kollerten über Ihre Wangen und in 
wehleidigen Worten packte sie ihr Mitleid aus. 
Der arme Polters wäre doch nun in einer gerade- 
zu schrecklichen Lage, keiner sei nun da, der für 
ihn sorge, der Sohn saß In Breslau, und ein Mann 
In seinem Alter wäre doch allerhand Bequemlich- 
keit. und Gemütlichkeit gewohnt, und sie sel 
nicht abgeneigt, ihm die Wohnung sauberzuhal- 
ten und auch für ihn zu kochen, wenn er wollte 
Eine Frau müßte er für die Dinge doch haben. 
Sie kannten sich doch nun auch schon einige 
Jahre, und nur aus reiner Menschlichkeit und 
Nächstenliebe böte sie ihm Ihre Dienste an, und 
Hein Polters möchte hinter Ihrem Anerbieten nur 
keine anderen Absichten vermuten. Und das hat 
er denn auch nicht getan. In seiner gedrückten 
Stimmung meinte er, wenn die Witwe das über- 
nehmen wollte, gut, dann würde er Ihr am Mo- 
natsschluß ein Gehalt zahlen. Christine heulte 
ihm darauf noch ordentlich was vor, wozu sie 
eigentlich gar keinen Grund hatte, und wurde da- 
mit quasi seine Haushälterin.' 

„Jawohl, seine Haushälterin“, wiederholte Springe 
wütend, ballte die rechte Hand zur Faust und 
ließ sie dröhnend auf den Tisch fallen. „Aber 
kennt einer die Weiber, und vor allen Dingen 
eine Witwe von fünfzig Jahren. Die Christine hatte 
es In sich, Teufel nochmal, müssen Sie mal sehen, 
wie die noch in Form ist, hat sich den Hein Pol- 
ters denn ja auch ins Garn gelockt. Aber wie... 
Ja, wie... das Ist es eben, diese Raffinesse. Kam 
der Hein noch biswellen zum Skat, und fragten 
wir Ihn, wie es zu Hause stände, winkte er ab: 
‚Ginge — — ginge — — die Christine Lohmann 
machte ihm die Wohnung sauber, kochte ein biß- 





(3. Hegenbarth) 








. und das kommt bloß, weil der Kapellmeister sich 


immer an meinem Kopf mit der Stimmgabel das ‚a‘ holt!" 


. e questo viene soltanto perche il Direttore d’ orchestra si prende sempre col corista il "La, sulla mio jestal,, 


646 


chen, und es wäre alles in bester und allerschön- 
sier Ordnung!’ 

Na, Ja, so etwas freut einen denn auch. Und als 
dann ein guies Jahr herum wor, was meinen Sie, 
da kam der Hein-Polters zu mir, aufgeregt, wie 
ich ihn nie kannte, flog am ganzen Körper: „Jetzt 
wäre das Maß voll, jetzt höre die Gemütlichkelt 
nun doch auf, so etwas.. nein...!' Er konnte 
kaum reden. 

Ich habe ihn.da in den Stuhl geklemmtl” Der 
Lotse zeigte auf einon behaglichen Sessel im 
Zimmer. „Einige Grogs brachten ihn zur Ruhe, 
und dann mußte er mit der Wahrheit heraus. 
Hatte die Christine sich also nach und nach, ohne 
daß Hein Polters es merkte, alle Gewalt ange- 
eignet, Sie hatte allein das Sagen In seiner Woh- 
nung. In seiner Gutmütigkeit wehrte er sich 
nicht, spürte überhaupt nicht, wie er langsam 
von ihr eingesponnen wurde und nun wie eine 
Fliege im Netz saß. Und heute war es Ihm doch 
zu bunt geworden. Hatte nämlich die Christine 
ihr Zimmer in der ersten Etage aufgegeben und 
war, ohne Hein Polters lange zu fragen, In das 
Zimmer seines Sohnes eingezogen. Dort schlug 
sie einfach ihr Bett auf und räumte ihre Sachen 
ein. Mit der selbstverständlichsten Miene von der 
Welt erklärte sie ihm nur: ‚das wäre schon gut 
so und würde so bleiben, Punkt“ 

‚Soll das so bleiben‘, habe ich Polters mit fester 
Stimme gefragt, ‚willst du das dulden, Hein?’ 
‚Nein‘, hat er mir geantwortet, ‚Ich will das nicht, 
Ich will die Frau nicht in meiner Wohnung wissen, 
da komme ich ins Gerede und ins"Gerede will 
Ich nicht kommen!" 

‚Gut, Polters, dann wirst du sie eben an die Luft 
setzen, raus mit ihr, verstanden? So etwas geht 
doch nicht, und sie ist doch nur deine Haus- 
hälterinl“ 

War ganz verdattert und geknickt, der Hein, 
schimpfte selber auf seine Gutmütigkelt, aber 
jetzt wäre es damit vorbei.” 

Ein schwerer Seutzer rang sich vom Munde des 
Lotsen. 

„Er Ist mit vielen guten Vorsätzen und festen Ent- 
schlüssen von mir gegangen und wollte noch 
am gleichen Abend sein Recht In seiner Wohnung 
zurückerobern. Ich habe Hein Polters dann sachs 
Wochen lang nicht gesehen. Als ich ihn wieder- 
traf, erkundigte ich mich gleich: ‚Nun, Hein, hast 
du sie ’rausgeschmissen....?" 

Zerknirscht hat er mir darauf gebeichtet: den 
ersten Tag fand er nicht den Mut dazu, auch nicht 
den zwelten und dritten. Vier Wochen vergingen, 
und dann endlich, nachdem er sich ordentlich Mut 
angetrunken hatte, stellte er Christino zur Rede, 
und nun brach ein richtiges Donnerwetter los 
Aber leider nicht von Hein Polters, sondern von 
Christine Lohmann. ‚Was das für eine Art von Ihm 
wäre, angelrunken nach Hause zu kommen und 
Krach zu schlagen! Und ausziehen sollte sie... 
Jetzt, wo die Leute wüßten, daß er...’ hören 
Sie, ...er, Hein Polters, ‚sie In seine Wohnung 
genommen hätte und darüber schon geredet 
würde, Was er sich denn unter Frauenstolz und 
Frauenehre vorstelle, und ob er denn vergessen 
habo, wie er Ihr die Wangen gestreichelt und sie 
zörtlich Christinchen genannt hätte, ob so etwas 
eiwa bei einer Haushälterin gang und gäbe sel?" 
Und dann fing sie Jämmerlich an zu heulen, ging 
ein Gejammer über die Schlechtigkeit der Män- 
ner Im allgemeinen und Im besonderen bei Hein 
Polters los, ‚und daß sie nun eine arme, schutz- 
lose, dem Gespött der leute preisgegebeno 
Witwe wöärel’ 

‘Je, nun, da war Hein Polters einfach erschossen. 
Das mit der Wange streicheln und dem Christin- 
chen, das hätte er eben auch nicht tun sollon, 
da saß er nun wioder mal hübsch In der Falle. 
Schon am nächsten Tage Ist er dann mit Christine 
zum Standesamt gelaufen. Kann man dagegen 
etwas machen, nein“, endete der Lotse, „nur. 
auf was für Ideen die Frauen kommen? Ich zunı 
Beispiel wäre nicht darauf hereingefallen, aber 
der Hein, der dumme Hein, mußte es, wo er an 
sich gar nicht mehr heiraten wollte.“ 


Das leuchtende Rot 


{R. Krlesch) 





„Bin ich so gut in der Farbe?“ — „Prima — und rückwärts würd’ ich mir noch 'n Schlußlicht draufmalen!** 


Il rosso brillante: “Mi sono dipinta bene?,, — "Benissimo! E di dietro mi pingerei sopra anche Il fanalino rosso!,, 


647 


-NIKOLAUS . 


VON HEINZ STEGUWEIT 


Unsere Stadt war noch vorhanden, spät kam ich 
damals heim, Besorgungen und Besorgnisse hat: 
ten mich festgehalten Im Dickicht der Straßen, 
und der Weg nach Hause war durch unfrohe Dü- 
sterheli geschehen, Wo alles äußere Leuchten 
fehlt, da hilft jenes, das man In sich spürt. doch 
pur platonisch. Eilig hat man's, der Wagen stellt 
Forderungen, und die Seele braucht Quartier; also 
wird gehastet, doch In der Finsternis Ist heute 
alle Boschteunigung ein Hindernisrennen. Das 
genze Leben scheint ein Hindernisrennen Aber 
der. Gaul muß durch und hinüber, Wer streicht 
die-Wolken vom Monde weg, wer redet den er- 
loschenen Laternen. ins Gewissen — ein Mensch 
läuft gegen den andern, doch man sagt „Ver- 
zelhung”, und solange man Verzeihung sagt, Ist 
roch nicht alles verloren. Nachtwandler wir. 

Ich sagte, daß Ich spät heimgekommen sel. An 


Der Gockel - Il gallo 


der Ecke schon, zwanzig Schritte vor der ver- 
trauten Tür, grub ich die Schlüssel aus der Hose, 
und weil das Gemisch von Nacht, Einsamkeit und 
Totenstille auch für die kleinste Erlösung dank- 
bar ist, klimperte ich mit dem Bündel, das hob 
die Laune, das machte Mut, 

Da trat aus der Nische des Nachbarhauses eine 
Frau, nicht Jung, kaum alt zu nennen, ein mütter- 
licher Schatten jedentalls Das Weibchen flüsterte 
mich an: „Nikolaus?“ — Wie sollte Ich Nikolaus 
heißen Ich habe nichts gegen die Nikoläuse, 
erst recht nicht wenn sie von Kues sind oder 
den Beinamen Kopernikus tragen. Ich fühlte mich 
plötzlich "seltsam geborgen in der Haut dieses 
Nikolaus, der so liebevoll erwartet wurde, Aber 
Ich mußte Abschied nehmen von einom Wesen, 
das Ich nicht war, darum klimperte ich noch eln- 
mal mit dem Schlüsselbund, und die Nachbarin, 
des fremden Tons inne dend — nicht alle 
Schlüssel klimpern gleich, wer zählt die Nuancen 
— sprach welter ins Dunkle: „Ach, Sie sind nicht 
mein Nikolaus?” Ich verneinte, hielt es aber für 
human, der Vernelnung einen bedauernden Klang 








(F.Bloyer) 











„Sel net so eifersüchtig, damIscher Tropf, damischer — 
igeh la bloß zweg'n de Oar zu deine Henna!" 


"Non asser cosl geloso, gran minchione che seil ... Solo per le uova vado dalla fua gallinal,, 


648 


mitzugeben: „Leider, verehrte Nachbarin, leider 
bin ich's nicht. Ist der Nikolaus etwa Ihr Sohn?” 
— Die müiterliche Frau schoß flugs die Frage ab: 
„Sle kennen ihn?” — Es tat mir wehe, wiederum 
das Weiblein enttäuschen zu müssen; doch auch 
diesmal blieb meine Stimme nicht ohne Trost, da 
Ich sagte: „Ich würde mich freuen, Ihren Nikolaus 
kennen zu lernen.” — Der Leichtsinn dieser Be- 
hauptung leuchtete mir bald ein, da Ich grübelte: 
Am Ende ist der Nikolaus noch ein Kind? Oder 
ein Lausojunge, der irgendwo mit andern seine 
Zeit bei Murmelspiel und Blindekuh vergeudet? 
Ich ließ die hartende Mutter nicht im Stich, war 
vielmehr entschlossen, Ihr beizustehen, denn der 
flehentliche Tonfall Ihrer Fragen verlangte nach 
Hilfe, Sorgfalt und Verständnis. Also Iloßen meine 
Schlüssel das Klimpern sein, nun hatte ich's 
weniger eilig, in meinen mannigtältigen Regun- 
gen offenbarte sich das menschenfreundliche 
Herz So daß Ich, der mütterlichen Frau eine Hond 
bietend, mit teilnehmendem Wohlgefallen mich 
dem Katarakt ihrer Erzbhlungen, nein: ihrer An- 
klagen unterzog. Obwohl es finster war, glaubte 
ich die Bitterkeit des Gosichtes und die Be- 
wegungen der Hände zu beobachten, Indes dor 
emsige Mund lamentlerte: „Mein Nikolaus, so was 
Ungezogenes. Wer welß, wo er wieder lumpt. 
Achizehn Ist er alt. Und hat's schon mit don 
Ricken Murmelspiel und Blindekuh? Ach, Sle —I“ 
Die Mutter wartete seit Stunden auf den Sohn 
Hatte In der Dunkelheit berelis slebenmel fremde 
Herren angasprochen: „Nikolaus? Von einer Ent- 
täuschung In die nächste strauchelnd, war sie 
zuweilen wiedor Ins Haus gegangen, hatte die 
Bratkartoffeln vom Hord geschoben und den 
Kaffee unter die Mütze getan. Hatte auf dio Uhr 
geschen, die Stunden gezählt und abermals den 
Gang vor die Haustür gewagt‘ „Nikolaus?“ 

Er kam nicht. Und die Frau hub weiter zu spro- 
chen an: „Ich bin Witwe. Hab mir alles ab- 
gezogen für den Jungen. Groß sollte er worden 
und was lernen. Nein, ein Kreuz Ist das und eine 
Schande Wie spät ham wir?” 

Ich zückte die Uhr: „Bald zwölfe, Frau Nach- 
barin Aber sachte, der Nikolaus wird schon 
kommen " 

Sie legte die linke Hand vors Bäuchleln und 
stützte In der rechten ihre Wange, wie's besorgte 
Hausfrauen Ödfters tun: „Noo, so was. Um achte 
hat er essen sollen. Aber das Mädel is Ja wich- 
tiger Und der Bongel hat noch nix, kann noch 
nix, versteh" noch nix, Wäre wenigstens die Lehro 
bestanden, Der Ludrian. Wenn mein Seliger das 
wüßte, der schlüg’ Ihn semmelwelch. Aber mein 
Mann war gut. Weiß Gott, von dem hat er's nit, 
das Flönleren und so, Nein, der Bruder von mei- 
nem Mann, akkurat der war so einer, der Is auch 


nach Amerika durchjebrannt mit 'ner andern — 


Wie spät ham wir nu?” 

Ich sagte „zwölt Uhr achtzehn“ und mühte mich 
red!ich, den Zustand ‘wohlwollender Neutralität 
zu wahren, mindestens aber nichtkriegführend zu 
sein. Doch die mütterliche Partnerin ließ dos 
Schweigen nicht gelten, sie verlangte Charakter 
und rührte mit den Ellenbogen an meine Selte: 
„Wat meinen Sie?“ 


* Mich banden keinerlei Beziehungen an Nikolaus, 


nur die harrende Mutter war mir seit einer hal- 
ben Stunde vertraut und ein wenig auch an die 
Seele gewachsen. Mich dauerte die Witwe, die 
jahrelang für den Bengel gesorgi, gespart, ge- 
schufiet hatte, und nun lief Nikolaus hinter frem- 
den Sternen her, 

„Ach ja, Muttorchen, so ist's alleweil im Dasein.” 
„Sie sagen auch, daß er ein Lump sei —?" 

Hier wurde mir heiß Ich sollto und Ich mußie 
mich entscheiden, die Nachbarin duldete keine 
Auswege mehr Well Ich aber zwischen Nikolaus 
und mir nicht alle Brücken sprengen wollte, ver- 
suchte Ich — an die mühsam warmgehaltenen 
Bratkartoffeln und den Kaffee unter der Mütze 
denkend — einen mittelschweren Satz, etwa die: 














\ 





sen: „Sie haben recht, es ist nicht schön von 
Nikolaus.“ 

Die Frau wurde rebellisch, Die linke Hand glitt 
vom Bäuchlein, die rechte von der besorgten 
Wange: „Wie spät ham wir jetzt —?" 

Auf meinen Bescheid, daß es nun hurtig auf 
ein Uhr nach Mitternacht losgehe, hub die Mutter 
laut und allerwärts vernehmlich zu poltern an: 
„Aber so gestehen Sie doch, daß der Bengel ein 
Satan Ist...“ 

Sie weinte, Und ihr Schluchzen, das mit der Bitter- 
keit aller Schmerzen geschah, deren eine ver- 
ratene Mutter fähig ist, verpflichtete mich, den 
treulosen Sohn nun wahrlich einen Wicht zu nen- 
nen und sein Betragen als ausgemachte Rüpelei 
zu verdammen... 

».. da kam der Nikolaus, Mit dem Fünkchen einer 
Zigarette leuchtete er sich durch die Dunkelheit, 
sein Gang war lässig, seine Stimme ohne be- 


Der boshafte Klapperstorch 











ÜN 


\\ 








La cicogna maligna 


sonderes Schuldgefühl: „Mutter?”” — Und die 
Nachbarin streckte beide Arme aus, lief dem 
Fünkchen entgegen, drückte den Jungen an sich: 
„Nikolaus, lieber und guter, bin ja so in Sorge, 
hab ja solche Angst um dich; nicht wahr, nun 
kommst du zu mir, kommst in die Küche, mein 
Goldkerl, ach du — Nikolaus... 

Er warf das Fünkchen weg. Ließ sich alle Lieb- 
kosungen antun, und ging, die Mutter am Arm, 
zur Treppe hin, den Bratkartoffeln und dem warm- 
gehaltenen Kaffee entgegen. Meine Augen aber, 
die sich ans Finstere gewöhnt hatten, schauten 
zur Nachbarin hin, deren Blicke freilich die 
meinigen stumm und wie etwas Feindseliges 
maßen. So, als wäre ich ein Abtrünniger und ein 
Verführer, vor dem man den lieben Jungen be- 
schützen mußte, 


Ich klimperte erneut mit meinen Schlüsseln. Mein ' 


Wort, ich mische mich nie wieder ein. 


649 






N 


IN 


(Fr. Bilok) 

















AN I 
N N N N IN 
NÜRIN ep) 7 
NDOYA\ A li® 
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N 1 EN» 


MEIN FREUND JOHANNES 


Wir waren zu dritt unterwegs, Ich hatte die Reise- 
kasse. Nach unserer Rückkehr machte ich einen 
Überschlag. 

„Freunde, wir haben viel zu viel Geld verbraucht”, 
stellte ich fest, 

Schrecklich!” rief Martin. 

„Schrecklich?” staunte Johannes. „Ich fand es 
schön.” 


* 


Ich machte mir Sorgen um einen meiner Neffen. 
„Der Kerl ist noch so jung, soll aber schon ein 
recht bewegtes Leben führen. Seine Mutter sagte 
mir, er tränke sogar manchmal heimlich”, er- 
zählte Ich. 

„Na, so lange er nicht unheimlich trinkt!" meinte 
Johannes beruhigend. 3. Bieger 


Ihre Sorge 


(K. Heiligenstaedt) 








„Wenn du mich noch weiter so ärgerst, Alfred, bin ich bald zum Skelett abgemagert!* 
La sua preoccupazione: ‘“Senti, Alfredo, se continui a darml nola, presto mi vedrai fatto scheletro...!,, 


650 


DIE SENSATIONSNUMMER 


VON 30 HANNS ROSLER 


Der Mann, der im Wandelgang des großen Zirkus 
wartete, sah nicht aus, als ob man auf Ihn ge- 
wartet hätte. Klein, unscheinbar, von schmäch- 
tiger Figur, so lief er mit gesenktem Kopf vor 
der Tür des Büros aut und ab. Wenn er sein Ge- 
sicht hob, um eine der großen gelben Affichen 
an den Zirkuswänden zu studieren, so entbehrte 
sein Blick jeder Sicherheit oder des schnellen 
Erfassens des Gelesenen. Ich will damit nicht 
sagen, daß er gerade dumm aussah, aber er 
hätte, wenn er es darauf angelegt hätte, ge- 
raume Zeit und vieler Worte gebraucht, die Leute 
vom Gegenteil zu überzeugen. Und wle man sich 
gibt, so wird man In der Welt behandelt, Den 
Unsicheren Üüberflügeln die Siegesgewissen und 
es ist kein Wunder, daß der Mann, der hier 
wartete, länger warten mußte als die Tierbändi- 
ger, Feuerfresser und die hochbeinigen Ballerinen, 
die nach Ihm kamen und vor ihm in das Büro 
des Direktors gerufen wurden. 

Als er endlich nach zwei Stunden eintreten durfte 
und dem Direktor mit dem berühmten Zirkus- 
namen gegenüberstand, drehte er verlegen den 
Hut In der Hand. 

„Ich komme —” 

„Sie sind Artist?“, fragte der Direktor sachlich. 
„Gewissermaßen sozusagen Ja.” 

„Und Sie wollen bei mir auftreten?” 
„Sozusagen gewissermaßen Ja.” 

„Mein Programm ist komplett. Vielleicht später 
einmal.” 

Der Artist war schon wieder an der Tür, da blieb 
er stehen und wandte sich noch einmal um. 
„Ich wäre aber eine Sensationsnummer gewesen, 
Herr Direktor.” 

„Mein Programm besteht nur 
nummern.” 

„Wenn auch — das, was ich mache, hat vor mir 
noch keiner gezeigt.” 

Der Direktor lächelte nachsichtig. 

„Was zeigen Sie denn?” 

„Den Todessprung.” 

„Den Todessprung?” 

„Ich springe von der Zirkuskuppel mit dem Kopf 
voran in die Manege.” 

„Mit Netz?" 

„Nein. Ohne Netz.” 

„Unmöglichl” 

„Ich stürze mich mit dem Kopf vornweg aus der 
höchsten Zirkuskuppel auf die blanke Breiter- 
bühne und bleibe‘ dann noch eine Minute auf 
dem Kopf stehen.” 

Der Direktor war aufgestanden, kam Interessiert 
näher. 

„Wo sind Sie damit schon aufgetreten?” 

„Noch nirgends. Es wäre mein erstes Engage- 
ment.” 

„Was verlangen Sie?" 

„Hundert Mark pro Tag." 

Der Direktor mit dem berühmten Zirkusnamen 
brannte sich eine Zigarre an, ein Zeichen, daß 
er für etwas längere Zeit hatte, 

„Also gut“, sagte er und klopfte dem Todes- 
springer aufmunternd auf den Rücken, „führen Sie 
mir Ihr Kunststück vor! Wenn Sie halten, was Sie 
versprechen, sind Sie engagiert.” 

Und so geschah es. Die beiden verließen das 
Büro, betraten die weite Manege, In der gerade 
das hölzerne Bassin für die Wasserpantomime auf- 
gebaut war und in dem das Ballett im Trocknen 
probierte, der Artist drückte dem Direktor die 
Hand und kletterte bedächtig und mühselig die 
zweiundzwanzig zwei Meter stellen Leitern längs 
der Zirkuswand empor, bis er endlich oben in 
der Mitte der Zirkuskuppel stand. 
„Scheinwerferl” rlef unten der Direktor in die 
Beleuchterkanzel. Vier Scheinwerfer flammten auf, 
erfaßten den Mann in der Zirkuskuppel. Eine 
ätemlose Spannung hatte alle erfaßt. Ohne Kom- 


aus Sensations- 





Verlag und 
Verantwortl, Schı 
anstalten onige; 











ezugspreine: Einzelnum 








tuck: Knorr & Hirih Kommandiigesellschaft, Müncheı 


for Folizlek, München. — Der £implicissimus ersch 
Pt.; Abonnement im Mo: 


mando setzte ein Trommelwirbel ein. 

„Achtung!“ 

„Fertig?” 

„Fertig! AbI* 

Der Mann sprang. 

Mit dem Kopf zuerst landete er unten auf den 
Brettern. Hart krachte der Aufschlag, Aber der 
Mann stand. Er stand auf dem Kopf. Wohl 
schwankte er ein wenig, als er sich erhob. 
Aufgeregt ellte Ihm der Direktor entgegen. 
„Großartig! Einmall Unerhört! Die Sensationsnum- 
mer! Sie sind engaglert! Hundert Mark pro Abend!” 
Der Artist beutelte ein wenig benommen den 
Kopf. 

„Zwelhundert, Herr Direktorl” 

„Zweihundert?” 

„Zweihundertl” 

„Aber vorher sagten Sie doch hundert?” 

Der Todesspringer strich sich mit schmerzhaftem 
Gesichtsausdruck über den Kopf und antwortete: 
„Vorher wußte ich nicht, daß es so wehe tut —.” 


DER KAVALIER 


VON HEINZ SCHARPF 


Pfiffette, ein ebenso graziöses wie verwöhntes 
Mäuschen, stammie aus sehr alter, vornehmer 
Familie. Seine Annen sollen schon in: den Kreuz- 
zügen an Gottfried von Bouillons Suppenwürfeln 
genagı haben. Ein Oheim Pfiffettes hat sich rühm- 
lichst im Froschmäusekrieg hervorgetan, Auf je- 
den Fall gehörte des Mäuschens Sippe zur ersten 
Hofgesellschaft, sowohl was die Vorder- als die 
Hinterhöfe betraf, 

Selbstverständlich war Pfiffette von Jugend auf 
nur von Kavalleren umgeben, Zu diesen gesellte 
sich eines Tages ein junger Mäuserich, der war 
ganz erpicht darauf, dem gnädigen Fräulein zu 
dienen. 

Des gnädigen Fräuleins Instinkt sagte Ihm auf 
den ersten Blick, Monsieur scheint ein Kavalier 
zu sein, ob er es bis in die äußersten Finger- 
spltzen, respektive Krällchen, war, das mußte 
sich erst erweisen. Und es unterzog Ihn fleißig 
der Probe auf das Exempel, 

Ein Kavalier ist dazu da, einer Dame in jeder 
Situation das zu zeigen, was ihn ausmacht. Mäu- 
serich demonstrierte den Kavalier sozusagen blind- 
lings. 

Pfiffette blickte zum Beispiel mit ihren hellen Aug- 
lein begehrlich nach einem Wurstzipfel, der aber 
aussah, als hätt’ er Gift im Leib. Mäuserich biß 
flugs und unverzagt hinein, um den Grad seiner 
Bekömmlichkeit festzustellen. Die fürchterlichen 
Grimassen, die er gleich darauf schnitt, bevor er 
elligst in Nachbars Garten verschwand, übersah 
Mäuschen indigniert. 

Ein andermal wollte Pfiffette über einen Bach. 
Mäuserich warf sich wie ein Kanalschwimmer in 
die Brust und dann sofort Hals über Kopf in die 
Fluten, die ihn schlimmer als den Schillerschen 
Taucher hinabwirbelten. Von einer mitleidigen 
Welle wieder ans land gespült, bot er darauf 
noch stundenlang das klassische Bild einer ge- 
tauften Maus. x 

Bei jedem Sprung in die Tiefe sprang selbstver- 
ständlich Mäuserich zur Probe voraus, wobei er 
einmal einen seiner schönsten Nagezähne ein- 
büßte, was empfindlich an seiner Seele nagte. 
Immer war er darauf bedacht, das verehrte Mäus- 
chen vor sicheren Hals- und Beinbrüchen zu be- 
wahren. Mit jedem Tropfen selnes Herzblutes 
diente er dem eigenwilligen Geschöpf, das ein 
so schlankes Hälschen besaß und so zarte Bein- 
chen sein eigen nannte. 

Einmal gelüstete es Pfiffette, einem alten Kater 






Sondlingor Straße 20 


t wöchentlich _einm 
1 RM. 1.20. — Unverlı 









nut 1296). Br 
jollungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- 
gie Einsendungen werd 
chdruck verboten. — Posischeckkonto München 5920. Erfüllungsort München. 


auf der Nase zu tanzen, der gerade seln Mittag- 
schläfchen hlelt. Ob er wirklich so guten Gewis- 
sens schlief? Mäuserich setzte kühn über seine 
Nasenspitze hinweg, da hatte ihn Jener schon 
am Kragen. Nur der senlien Spiellust des Katers 
verdankte er sein Leben, der ihn einen Augen- 
blick los ließ, so daß er zerschunden und zer- 
kratzt entweichen konnte. 

„Gefährlich Ist's, den Leu zu wecken!” glossierte 
Mäuschen dieses Abenteuer von oben herab, wie 
es zu allen Taten Mäuserichs nicht viele Worte 
machte, Kavalierspflichten verstehen sich von 
selbstl 

Eines Tages hatte Mäuschen im Keller Speck 
entdeckt, Knusprigen Schweinespeck, mit den 
schönsten Trichinen gespickt. Er befand sich hin- 
ter einem romantischen Drahtgeflecht, In dem 
Mäuserich sogleich eine Falle vermutete. Es roch 
im Umkreis so verdächtig nach menschlicher Ge- 
meinheit, 

„M—m”, spitzte Pfiffette das schleckrige Mäul- 
chen, „In Speck gebratene Trichinen sind eine 
Delikatesse, der Ich nicht widerstehen kann.“ 
„Nur über meine Leiche”, verstellte ihr Mäuserich 
den Weg, um dann: selbst sofort jenen zu neh- 
men, der in das Drahtgeflecht führte. Schnapp, 
da saß er schon gefangen. Vergebens suchte er 
in die Freiheit zurückzufinden. Das ließ ihn seine 
gute Erziehung auf einen Augenblick vergessen. 
Er stieß einen Fluch aus, allerdings im eleganten 
Französisch, aber es wurde trotzdem kein salon- 
fähiger Ausdruck daraus. 

Chokiert zog sich das Fräulein zurück, 
Mäuserich fluchte auf gut Deutsch welter, bis Ihm 
der Atem zu kurz wurde. Niemand kam, ihn zu 
befreien, nicht einmal der Tod. Von Hunger ge- 
plagt, fraß er schließlich den Speck auf. 

Als Pfiffette dies gewahrte, erstarrte sie zu einer 
Salzsäule. 

Er war eben doch kein vollendeter, sondern nur 
ein Pseudokavalier, dieser Mäuserich, 

Wieso? fragen Sie? Sie fragen das, ohl — 

Ein vollendeter Kavalier hätte niemals in Gegen- 
wart einer Dame geflucht, ein untadeliger Kava- 
lier hötte- unter keinen Umständen den Speck 
geliessen, nach dem es der Auserwählten seines 
Herzens „elüstete, sondern ein Kavalier vom 
Scheitel bis zur Sohle hätte ihn Pfiffette mit 
Grandezza durch die Gltterstäbe herausgereicht, 
— sich ein Monokel ins Auge geklemmt und den 
Radetzkymarsch gepfiffen. 

Damit Sie es wissen! 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 





Schlammbäder müssen heiß genossen werden. 
Als Ich mein erstes Schlammbad nahm, schwitzte 
ich Blut, Das waren bei Gott Temperaturen! Und 
immer wieder rumorte draußen im Gang der 
Bademeister und ließ heißes Wasser nach. 

Als ich aus“dem Bad ging, traf Ich ihn draußen 
bei den Hähnen. 
„Haben Sie denn hier 
meter?“, fragte Ich. 

Er brummte: 

„Haben tun wir schon eins, aber funktionieren 
tut’s halt nimmerl 's Ist Krieg, net wahr?“ 

„Und wie kontrollieren Sie dann von außen die 
Temperatur?” 

‚Ja mei — ‘bald drinnen einer Aul schreit, nach- 
her ist 's meist zu heißl” I.H.R. 


draußen ein Thermo- 





fanschrift: München 2 BZ, Brieftach. 


wenn Porto beiliegt. — 





jen nur zurückgesandt, 


(E. Thöny) 


Die Herren von Süditalien 











Billyl 


und jetzt suchen wir noch ein Altarbild für daheim übern Kamin, 


«..„e adesso, Billy, cerchiamoci anche una pala d’altare, da metter sopra il nostro caminetto!,, 


I signori della Bassa Italia: 


652 


SIMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Der Weihnachtsstern 


(Wilhelm Schulz) 


Der strenge Luftschutzwart; „Licht aus!“ 


La stella di Natale: Il severo capocasegglato: ‘‘Spegnete la luce!,, 





Heimkehr aus dem Winterwald-- Ritorno dal bosco in Inverno 





SCHLECHTE LAUNE 


VON WALTER FOITZICK 


Wer noch nie 'schlechter Laune war, werfe den 
ersten Stein auf mich. 

Man hat mich gelehrt, daß schlechte Laune ein 
Zeichen von mangelhafter Erziehung sei. Der wohl- 
erzogene Mensch hat keine schlechte Laune zu 
haben. 

Die Leute haben gut reden. 

Zur schlechten Laune gehören mindestens Immer 
zwei, einer, der sie hat, und einer, an dem er sie 


SILENTIUM! 


Viel gibt's, was man nicht ficher weiß, 
weshalb man als erfahrner Greis 
freimillig teils, teils notgedrungen 
zurückhält mit den Außerungen. 


Was kommt beim Reden auch heraus? 
Nur felten erntet man Applaus. 

Im Gegenteil, rückt man am Dechel, 
gleich heißt's: Stlentium, alter Ehelt 


Beherrfche drum dein Sprachorgan 
und denke höchftens dann und wann, 
- Wer’s lernt, auch das fich zu erfparen, 
wird allerdings noch beffer fahren. 


Ratatöchr 


ausläßt. Natürlich kann man sie auch an mehrere 
richten. 

Der Mann auf der einsamen Insel ist daher in 
einer unangenehmen Lage, er merkt überhaupt 
nicht, wenn er schlechter Laune ist. Oder wie 
sollte er plötzlich losfahren: „Zum Donnerweiter, 
wo sind denn wieder meine Hausschuhe? Und die 
Hosen sind auch nicht ausgebürstet, und Ich hab 
schon hundertmal gesagt, ich will nicht, daß meine 
Briefmarken auf dem Schreibtisch verbraucht wer- 
den. Wenn ich mal schreiben will, ist nie eine da; 
aber darum kümmert sich natürlich niemand, und 
außerdem ist wieder vergessen worden, das Salz 
auf den Frühstückstisch zu stellen.“ 

All das kann der einsame Insulaner nicht mit er- 
tegter Stimme von sich geben. 

Die, geeignetste Zeit für schlechte Laune Ist der 
frühe Vormittag. Solange Sie allein sind, geht es 
Ihnen wie dem Manne auf der einsamen Insel, es 
fehlt der Partner für schlechte Laune, Haben Sie 
einen Haushalt, eine Frau, Kinder, eine Zugeherin 
oder eine Zimmervermieterin, wird sich das Ob- 
jekt mit Leichtigkeit einstellen. Stellt es sich nicht 
von selbst ein, werden Sie es suchen. 
Schließlich gibt es Ja noch Mitfahrende in der 
Straßenbahn. Ha, was sind die Verkehrsmittel für 
prächtige Orte, um die schlechte Laune an den 
Mann zu bringen! Wenn aber durchaus niemand 
zu finden ist, gehen Sie einfach in ein Postamt, 
stellen sich am besten an einen falschen Schalter 
und versuchen eine Briefmarke zu kaufen. Sie sol- 
len mal sehen, wie das auf Sie wirkt. An solchen 
Tagen ist der Verkehr mit Behörden oder anderen 
Vorgesetzten höchst befreiend, aber gefährlich. 
Nur ganz Geübte sollen sich auf dieses Gebiet 
begeben. 

Natürlich gibt es auch Frohnaturen, die in der 
Frühe von einer geradezu olympischen Heiterkeit, 


654 


(R. v. Hoerschelmann) 


ar 


ART, un 
SE EIERN 


Lebfrische und Abgeklärtheit sind. In Hotels sitzen 
sie am Nebentisch und vereinigen die Blicke der 
morgendlich Schlechtgelaunten auf sich, Sie sind 
geradezu vorbestimmt dafür, auslösend auf die 
Mißgestimmtheit der andern zu wirken. 

Ich wüßte übrigens einen neuen Beruf: Der Mann, 
der jeden Morgen die schlechte Laune des Haus- 
herrn entgegennimmt. ‘Er kommt wie der Brief- 
träger oder der Masseur, womöglich etwas un- 
pünktlich, Der bekommt seinen Krach und kon- 
zentriert auf sich all das, was sonst auf Familien- 
mitglieder und Büroangestellte niedergehen würde, 
Erlöst und heiter verläßt das Familienoberhaupt 
die Wohnung. 


OBOENLIED 


Die du fo oft verwandelt meinen Hauch 
in Ton der Schnfucht oder Fröhlichkeit, 
liebe Oboe, fo komm nun heute auch 

und fel mit mir zur Rillen Flucht bereit. 


Wir wollen wieder einmal heimlich flichn 
vor den Gedanken an das Zeitgefchehen, 
und deine zarten, füßen Melodien 

laß zu den fchönen, bunten Blumen wehen. 


Dort foll dein Lied mit ihrem Duft fich paaren 
und meiterfchmebend über Wald und Au 
sleich einem Wölkchen durch die Lüfte fahren 
als Gruß von mir an die geliebte Frau. 


Herbertvon Franquet 


Der Urlauber et) 








„Woaßt, Xaverl, mit dene Bolschewiki werd’ i scho ferti, aber daß unser 
Bräund! a schwache Hinterhand kriagt, macht mir richtige Sorg'n!“ 


Soldato in licenza: ‘Sai, Saverio, con quella razza di bolscevichi me la sbrigo bene 
io; ma che il nostro sauro s’ indebolisca di dietro, cio mi dä molto a pensare!,, 


655 


Fortschritt (Ö. &ulbransson) 


— mn 427.:52 
Urn I EGÜRREREP- EZ 
































Sr 
SOLar AvLßnanssaon Gs « 
„Wie primitiv die Leute doch damals waren, wir machen das mit Bomben schneller!“ 


Progresso: ‘"Com'era primitiva allora la gente! Nol colle bombe facciamo piü presto!,, 


656 


IN MEMORIAM 


24. Xil. 1818 


{0, Nückot) 





Wir wollen geiftiwels ins Salzburg’fche fahren... 


Vor hundertundfünfundzwanzig Jahren, 
mitten im Winter, zur Weihnachtszeit, 
haben dafelbft zwei wackere Leut” 

ein Lied felbander zur Welt gebracht: 
Stille Nacht! Heilige Nacht! 


Der Kooperator Jofeph Mohr 

reimte die fchlichten Verfe zuvor; 

aber Franz Xaver Gruber, der Lehrer, 
Sankt Cäciliens frommer Verchrer, 
Tann Darüber und fpann um fie 

die allerholdfeligfte Melodie. 


Ste it in alle Fernen gedrungen. 

Wir alle haben fie einmal gelungen. 

Und denken wir unferer Kinderzeit 

und des Lieds, dann wird ung das Herze weit, 
dann wird uns dag Herze fehnfuchtfchwer ... 


* 


Wohl hundert Jahre hinterher 

- auch feiner wollen wir nicht vergeffen - 
ift Einer in Fürftenfeldbruck gefeffen, 

als welcher Michael Kohlhaas hieß 

und fich der Kunft des Schreibens befliß. 


Wie das alles damals gefchehn und gemwelfen, 
könnt ihr in einem Büchl Iefen, 


657 


in einem lieben, kleinen Bücht, 

fo luftig und bunt wie ein Bauerntüchl, 
drin er's aufs haargenau’fte befchrieben, 
grad fo, als wär’ er in felbigem Neft 
anno 18 leibhaftig dabei geweft. 


Schlagt’s auf, wenn draußen die Flocken Rtieben! 
* 

Der Drei laßt uns dankbar heute gedenken 

- mehr können wir ihnen leider nicht fchenken. 

Lebkuchen? Pfeffernüffe? Wozu? 

Sie haben den Frieden und ewige Ruh’, 


Dr. Omiglaß 


DINERNMEIRFERZIEH © 


Mein Großvater — Gott hab’ ihn selig — war ein 
Mann, dem es an allem fehlte, nur an Humor 
nicht. Er war ein richtiger Hans im Glück. Einmal 
soll er sogar wohlhabend gewesen sein. Aber er 
kam sich gewissermaßen erleichtert vor, als er 
diesen Reichtum verwirtschaftet und damit dem 
Dilemma zwischen aufrichtigem Streben zur Er- 
haltung des erreichten Wohlstandes und der Er- 
kenntnis des eigenen Unvermögens zu solchem 
Streben ein Ende bereitet hatte, 

Er war wieder arm und besaß nichts als die 
Kraft seiner Fröhlichkelt. So war es ihm am 
liebsten. 

Nicht aber seiner Frau, welche ahnentafelhalber 
meine Großmulter gewesen sein muß. Sonst habe 
ich nicht viel von Ihr erlebt, denn sie ward ihres 
leichisinnigen Mannes vielleicht frühzeitig leid 
und zog sich in eine eigene Stellung zurück, die 
ihr eine gesicherte Ruhe ermöglichte, Mit meiner 
Mutter und ihren anderen Kindern pflegte sie 
übrigens das beste Verhältnis. 

So bekam der Großvater auch von dieser Seite 
wenig Vorwürfe zu hören und tummelte sich recht 
unbekümmert in der Sorglosigkeit seiner Un- 
angebundenheit. Meistens fuhr er über Land und 
half den Bauern mit einigen guten Salben und 
Sprüchen für und gegen die Gicht. Die Bauern 
behaupteten, daß es wirklich zusehends besser 
werde, und verehrten den Großvater wie einen 
iebendigen Helligen. Der ließ sich’s wohl gefal- 
len, besonders wenn sie ihm mit Kraut und Ge- 
selchtem auftischten, Das sei so 
das Essen der armen Leute, meinte 
er dann und vermachte die Brot- 
suppe großzügig den Relcheren, 
wenn sie Ihm zu wenig geschmalzen 
war, 

Ja, der Großvater durfte wohl An- 
sprüche stellen und er hätte zu sei- 
ner Zeit bestimmt nicht alles ge- 
gessen, was beispielsweise der Herr 
Oberamtsrichter auf den Tisch ge- 
stellt bekam. Aber auf der Straße 
tat der Oberamtsrichter — oder wer 
es gerade sein mochte — ganz an- 
ders, also von oben herab und der 
Großvater tat von unten hinauf, wo- 
mit er sich auch bei diesen Ständen 
ein wohlwollendes Ansehen erwarb. 
Dieses führte sogar so weit, daß der 
Großvater einmal im abgelegten 
Gehrock des Herr Oberamtmanns 
vom Bezirksamt und dann wieder im 
aufgetragenen Hut des Herrn Regie- 
tungsrates vom Finanzamt auftrat, 
Dann machte der Großvater einen 
lustigen Eindruck, aber er wedelte 
mit den Schößen des Gehrockes so 
geschickt, als ob sie aus seiner eige- 
nen Haut wüchsen und grüßte mit 
dem Hut so elegant, als ob seine 
Finger zeitlebens nur Zylinderhüte 
gespürt hätten. Wer es sah, freute 
sich und seine Beliebtheit zog weite 
Kreise. Ein Bauer trug es dem ande- 
ren auf, daß der Großvater sich wie- 
der einmal sehen lassen solle. Da- 
bei war es höchste Zeit, daß er sich 
ein paar Wochen Urlaub gönnte, 
denn von der guten Ernährung auf 
dem land waren auf seinem Leib 
einige Fettschichten zurückgeblieben, 
welche das Gewicht und das Atmen 
schwerer machten. Und außerdem 
wurde er mit den Jahren auch älter. 
Aber das wäre alles nicht so schlimm 
gewesen, wenn ihn nicht die ver- 


VON FRIEDRICH WOLFGANG KOLLMANN 


maledeite Zeh geplagt hätte, die seit Wochen 
dicht unter dem Nagel offen war und um nichts In 
der Welt zuheilen wollte. Selbst alle Salben, die 
e: früher bei Wunden und Geschwüren verordnet 
hatte, versagten nun an seiner eigenen Zeh. 
Zum erstenmal in seinem Leben gab sich der 
Großvater einer ans Schwermütige rührenden Trau- 
rigkelt hin Das Landvolk, das er früher mit seinen 
Späßen mitriß, unterstützte Ihn nun in seinem 
Jammervollen Leid, Alles wegen der wehen Zeh 
Ja, eine wehe Zeh. 

Nein, so was! Dagegen muß doch eine Salbe 
helfen! 

Nein, das war es ja eben, daß keine Salbe half! 
Im Gegenteil, jetzt eiterte die Zeh auch noch 
bald und machte .dem Großvater bei jedem 
Schritt grimmige Schmerzen. Die Gänge aufs Land 
wurden spärlicher und der Großvater hockte 
Immer häufiger bei uns zu Hause herum, Da 
zeigte es sich, daß der sonst so lustige Mann 
auch recht ungeduldig und niedergedrückt sein 
konnte, B 

Weil ich damals gerade zehn Jahre alt war und 
Schulferien hatte, schickte man mich mit ihm 
spazieren. Auf dem ganzen Weg jammerten wir 
über die wehe Zeh um die Wette, er, weil er 
Schmerzen hatte, und ich, well ich aus kindlichem 
Mitgefühl ebenso sehr litt. So plagten wir uns 
durch die heimatlichen Wälder von einem Bauern- 
hof zum anderen und erweckten allseits tiefes 
Bedauern. Die Bauern hatten alles vorbereitet. So 


SPUKHAFTE RHEINFAHRT 


Gespenstig jagt auf glattem Schienenband 
Der Eilzug durch das feiste grüne Land. 


Ein Dichter denkt: Er ist die Kraft, die Tat! 
Schreibt ein Gedicht nach stählernem Diktat. 


Die Reben ziehn vorbei in langen Reihn, 
Ein ferner Dunststreif sagt: dort fließt der Rhein. 


Die schlanken Pappeln, diese Sturmverächter, 
Sind seiner Ufer altgetreue Wächter. 


Sie zeichnen durch das Land die Spur der Straßen: 
Geometrie, in der nahrhafte Kühe grasen — 


Bukolisches Idyll! — mit mütterlichen Eutern 
Und treuen Augen. Überklugen Deutern 


Ein Vorbild der bescheidenen Nafur!, . Dann plötzlich Wald. 
Geheimnis, das, vom Sung des Stahls durchhallt, 


In sich verbirgt den tiefern eignen Spuk 
Vom sanften „Spinnmweb“ und vom kecken „Puck“ 


‘Auf einmal fühlst du dich bei Shakespeare -Gast. 
Zerreiße, Freund, was du gedichtet hast! 


Vom Wasgaugrat. der Goethen einst entzückte, 
Als Friederikens Fernbild ihn beglückte, 


Sinkt dunkelblau und silberklar die Nacht, 
Der Zauber soldier Stunde ist erwacht, 


Die Meister grüßt mit goldenem Betören 
Die schlanke Birke herbstlidı aus den Föhren. 


Ein Maler sieht's und spöttelt: „Kitsch“ — und wendet 
Den eitlen Blick zum eignen Untalent... Der Zauber endet. 


RAINER PREVOT 


658 


lange wir bei ihnen gastlerten, konnte Ich mich 
auf dem Heuboden tummeln, während der Groß- 
vater seine Zeh in Kamillentee badete. Aber 
kaum fuhr er in den Stiefel, da schrie er auch 
schon vor Weh, daß uns das Herz stehen bleiben 
wollte. 

Ich weiß nicht, wieviel hundert Salben auf die 
Zeh geschmiert wurden. Nach Aussagen des Gioß- 
vaters halfen sie alle nichts. Da erfuhr er von 
irgendwo her, daß das frische Harz aus den 
Bäumen bei irgendeiner Großmutter der Um- 
gebung, welche dasselbe Zehenleiden zwanzig 
Jahre lang mit sich herumgeschleppt hatte, ge: 
radezu Wunder wirkte, 

Zwanzig Jahrel Du lieber Himmel, der Großvater 
wußte ja gar nicht, ob er noch so lange zu leben 
hattel Und mit einer wehen Zeh ins Grab zu 
steigen, er als Salbendoktor — nein, da wollte 
er schon lieber Harz sammeln, soviel aus den 
Bäumen floß. 

Mit je einer leeren Streichholzschachtel bewalfl- 
net, schlichen wir fürderhin ins Gehölz Wo ein 
Tröpfchen Harz in der Sonne glänzte, griffen wir 
mit pappigen Fingern danach und strichen das 
Tröpfchen zu den anderen in die Schachtel, deren 
sechs bereits bis oben angefüllt zu Hause lagen 
Wir wirtschafteten auf Vorrat, denn die Zeh wurde 
immer schlechter und der Großvater sah den Tag 
kommen. an dem meine Ferien zu Ende gingen 
und er ganz zu Hause bleiben mußte. Sieben 
Schachteln, acht Schachtelnl Jeden Morgen be- 
strichen wir die Zeh dick mit Harz 
ehe der Großvater in den Stiefel 
fuhr und mit einem lauten Schmer- 
zensruf vorne anstieß. Aber er ertrug 
die peinigende Lederhülle tapfer bis 
zum Abend. Zum Angewöhnen, wie 
er sagte Am Abend zogen wir dann 
vorsichtig den Schuh ab und noch 
vorsichtiger den Socken, denn diese‘ 
war felsenfest mit Harz und Zeh ver- 
pappt. Es war eine Prozedur zum 
Steinerweichen. Der Großvater hielt 
sich mit beiden Händen am Stuhl 
fest, während ich den Socken so 
lange drehte und wand, bis er von 
der Zeh abging und einen langen 
Pechfaden hinter sich herzog. Wenn 
der Socken nicht so varpappt ge- 
wesen wäre, hätte ich sehen können 
daß er genau dort ein Loch hatte, 
wo die Zeh auch eines besaß 

Doch darauf kamen wir erst später. 
Als nämlich der Großvater seine 
Absätze und Spitzen zugelaufen 
hatte, kamen die Stiefel zum Schuster. 
Nach drei Tagen holte ich sie ab 
Der Schuster hielt mich zurück: „Sag 
deinem Großvater einen schönen 
Gruß, Bub, und den dicken Nagel 
habe Ich auch umgeschlagen, der 
genau vor der großen Zeh nach 
innen stand! Mit diesem Stück Eisen 
muß dein Großvater ja allerhand 
Socken kaputtgerissen haben!” Nicht 
nur den Socken, sondern sogar eine 
ganze Zehl Aber der Großvater 
wußte nichts von dem Nagel, Drum 
trug er Tag für Tag still ergeben 
seine wehe Zeh mit sich herum und 
suchte Harz für ihre Heilung. Wie 
gesagt, acht Streichholzschachteln 
hatten wir schon voll. Doch die 
neunte blieb — unvollendeil Denn 
seit der Schuster den bösen Nagel 
umnasrhlanen ha'te, hellte die wehe 
Zehe von ganz alleine. 


Zeitwende “ 


{R. Krlosch) 





„Weißt du, Guste, die jungen Männer von heute lassen unsere Beine 
kalt, und auf die alten wirken sie nur noch als Jugenderinnerung!“ 


Svolta dei tempi: “Sal, Augusta, ai glovanoiti d’ oggi le nostre cambe non fanno 
impressione e nei vecchi non destano che rimembranze di gloventl,, 


659 


Der Zauberspiegel € Bak) 












































Lo specchio megico 


660 


ICH HAB GENUG 


VON BRUNO WOLFGANG 


Es sind nım ziemlich genau zwanzig Jahre her, seit 
Herr Wanka starb. Sein Todesdatum steht zwar 
in den Verzeichnissen nicht vermerkt, aus denen 
die Zeitungen die Anregung für ihre mehr oder 
weniger tiefgründigen Betrachtungen über ver- 
storbene berühmte Männer entnehmen. Wanka 
war kein berühmter Mann. Aber eine Zeitlang 
galt er doch als der wichtigste Mann von Hinter- 
petzluckau und stieg vorübergehend sogar zum 
Range einer Weltsensation empor. Und alles nur 
durch drei schlichte, bescheidene Worte, 

Sie standen auf dem winzigen Häuschen, das Herr 
Wanka draußen in der Au besaß. Nach einem 
jahrzehntelangen Leben äußerster Bedürfnislosig- 
keit hatte er es aus eigenen Erspamissen und mit 
eigenen Händen erbaut. Zum Schluß hatte er mit 
großen Buchstaben über die Tür gemalt: Ich hab 
genug. 

Eine Unverschämtheit sondergleichen, So lautete 
die allgemeine Ansicht. Jedermann wußte, daß er 
ein Habenichts war, der wie ein indischer Büßer 
lebte, fast nur Gemüse und Kartoffeln aß und 
seine Wäsche selbst wusch. Unter diesen Umstän- 
den zu erklären, daß man genug habe, konnte nur 
als eine Herausforderung der Öffentlichkeit an- 
gesehen werden. 

Die ersten, welche die neue Inschrift erblickten, 
waren zwei Händler, die eben über die möglichst 
nutzbringende Verwertung Ihrer Gewinne spra- 
chen, Sie starrten die Worte zunächst völlig ver- 
ständnislos an, als wären sie Chinesisch. Dann 
trat auf ihren Mienen.ein Ausdruck von Ärger 
und Besorgnis hervor. 

„Das ist sicher irgendeine Gaunerei von einer 
neuen Sorte. 

„Natürlich, Niemand hat doch genug. Nicht ein- 
mal der Rockefeller.” 

„Das Ist Ja naturwidrig, Man soll den Kerl an- 
zeigen.” 

Schon am Nachmittage kam der Wachinspektor 
Herr Schebesta zu Herrn Wanka. = 
„Wovon leben Sie?" 

„Hauptsächlich von Salat und Kartoffeln.” 

„Nein, was für Einnahmen Sie haben.” 

„Ich habe eine Pension ‘von siebenundneunzig 
Mark.” 

„Und weiter?” 

„Weiter nichts.” 

„Davon können Sie doch nicht leben?” 

„Ich kann es, Herr Inspektor, ich versichere Ihnen, 
Ich kann es. Ich bin nicht so, daß ich die Ent- 
sagung immer nur von anderen verlange. Das 
Rechte muß man selber tun. Ich ernte auf meinem 
kleinen Grund so viel Korn, als ich auf Brot 
brauche, weil ich die chinesische Ackerbeetkultur 
anwende.” 

„Aber wenn Sie Fleisch kaufen?” 

„Ich esse kein Fleisch.” 

„Und das Rauchen kostet doeh Geld, das Bier, 
Kleider, Schuhe, Rundfunk, Postporto, Fahrtaus- 
lagen...” 

„Ich rauche und trinke nicht. Mit einem Anzug 
komme ich zehn Jahre aus. Ich gehe den größten 
Teil des Jahres barfuß. Rundfunk brauche ich nicht, 
ich schreibe niemandem und fahre nirgends hin.” 
„Hm. Haben Sie vielleicht einmal einen Treffer 
gemacht?” 

„Niemals." 

„Hm. Oder beziehen Sie irgend etwas? Eine In- 
validenrente?” 

„Nein, Ich bin zwar sechzig Prozent invalid, habe 
aber keine Unterstützung in Anspruch genommen, 
weil ich sie nicht brauche. Ich habe ja genug.” 
Jetzt fühlte Herr Schebesta, daß sich ihm die 
Haare unter der Kappe sträubten wie beim An- 
blick eines Gespenstes. Er suchte eine Weile 
nach einem Grund zur Verhaftung, fand aber kei- 
nen und entfernte sich schließlich sehr ernst. 
Abends kam der Gemeinderat Hintermuhrer, der drei 


Häuser hatte und eben einen Prozeß führte, um 
einer armen Verwandten das vierte abzuluchsen. 
Voll Biederkeit versuchte er Hermm Wanka zur 
Änderung der Aufschrift zu bewegen. Vor allem 
im Interesse des Fremdenverkehrs. Wie würde es 
einem Fremden je einfallen, sein Geld in ein 
Land zu tragen, wo ohnedies alle genug haben? 
Und wenn alle Leute genug hätten, wie könnte 
da noch jemand ein Geschäft machen? Er schlug 
harmlosere Aufschriften vor. Etwa: „Ich wünsche 
jedem, der mich kennt, zehnmal so viel, als er 


Die Weihnachtsüberraschung - La sorpresa di Natale 











mir gönnt”, oder „Grüß Gott, wenn's sein muß, 
tritt halt ein, doch mach dir erst die Füße rein.” 
Und so weiter. Aber Wanka war trotz seiner 
Sanftmut zu keinerlei Nachglebigkeit zu bewegen. 
Am nächsten Vormittag erschienen 24 Bettler, 
17 Musikanten und 11 Darlehenswerber. Denn 
jeder vermutete bei Herrn Wanka geheime Reich- 
tümer. Es kam ein Reklamechef zur Erforschung 
dieses neuartigen Reklametricks und ein Steuer- 
beamter wegen des Steuerbekenntnisses, Dann 
kam ein Herr in eigenem Auto. „Dozent Dr. Wal- 
rodt”, sagte er nachlässig, „Ich komme zufällig 
vorüber, weil ich einen Baugrund für ein Sana- 
torium suche. Übrigens setzen Sie sich, bitte. Füh- 
len Sie sich gesund? Puls normal? Pupillarreflex — 
gut. Haben Sie in der Jugend vielleicht 'n bißchen 
flott gelebt? Nichts mit dem Rückenmark, he? Vater 


(A. Pichel) 


„Ja, schau'n S’, Herr Hefenfinger, selbstgebastelte Geschenke sind halt immer die besten!" 


"Eh sl, vedele ün po', signor Ditolievito, regali aggeggiati da s& sono sempre i miglioril,, 


661 


(K. Heiligenstaodt) 


Das Geschenk 





„Heuer kann ich Fritzl nichts anderes zu Weihnachten geben, als einen Kußl" 
„Na ja, wenn du ihn ordentlich streckst, füllt er auch den Abend aus!“ 


Il regalo: "Quest" anno a Natale non posso dare a Federico che un bacio!,, 
“Ebbene, se glielo dal lungo lungo, anch’ esso puö colmare la seral,, 


662 


und Mutter gesund gewesen? Gut. Nirgends 
in der Familie ein Fall von Paranoia, Irrsinn oder 
Blödsinn? Nichts? Gut." Dann sprach er noch von 
Komplexen, Verdrängungen und dergleichen, bis 
Herr Wanka erklärte, daß auch die Psychoanalyse 
zu den vielen Dingen gehöre, die er nicht brauche. 
Der Dozent entfernte sich nachdenklich und machte 
sich unterwegs Notizen für eine neue Publikation. 
Am Ausgange der Au warteten der Bürgermeister 
und Gemeinderat Hintermuhrer. Sie zogen die 
Hüte und fragten mit besorgten Mienen: 
„Nichts?” 

„Nichts“, erwiderte der Dozent und fuhr davon. 
Die feindselige Stimmung gegen Herrn Wanka 
wuchs und die Gemeinde suchte schon nach einer 
Rechtsbasis zur Abschaffung dieses lästigen In- 
länders. Da begann sich die Sache aber noch von 
einer anderen Seite zu zeigen, Es kamen Journa- 
listen, Reporter und Photographen. Alle wollten 
einen Menschen sehen, der genug hatte. Es er- 
schienen Berichte und Bilder. Die Witzblätter 
brachten Herrn Wanka als Säulenheiligen und 
nannten Ihn „Nirwanka”, Bald kamen auch Fremde 
und Leute aus allen Staaten der Erde. Selbst In 
Australien brachten die Blätter das Bild Wankas 
mit der Erläuterung: „Mr. Wanka pfeift auf alles.” 
Für das Britische Museum wurde sogar ein voll- 
ständiger Gipsabguß Wankas hergestellt. Er hätte 
ein Krösus werden können, wenn er nicht sämt- 
liche Honorare, Tantiemen und Geschenke zum 
grenzenlosen Staunen der Welt abgelehnt hätte, 
Nicht so die Gemeinde. Denn das Gemeinwesen 
steht unter anderen Gesetzen als der einzelne. 
Es hat zwar das Recht, vom einzelnen alle Tugen- 
den zu verlangen, ist aber weder verpflichtet, 
noch befähigt, sie selbst zu haben. Auch der Arzt 
nimmt die Medizinen nicht selbst ein, die'er dem 
Kranken verordnet, Und Wankas Devise mag 
überall auf der Welt denkbar sein, niemals aber 
auf einem Steueramt, 7 

Die .Gemeinde Hinterpetzluckau hatte sehr bald 
ihre Segel nach dem Wind gestellt. Da sie Herm 
Wanka nicht zwingen konnte, Geld zu nehmen, 
und so ein Steuerobjekt zu werden, ließ sie den 
ganzen Bezirk umzäunen und erhob bei der ein- 
zigen Zufahrtsstelle eine Eintrittsgebühr nebst 
Lustbarkeits: und Warenumsatzsteuer. In den Pro- 
spekten wurde Herr Wanka unter den Sehenswür- 
digkelten an erster Stelle noch vor der Burgruine, 
dem Strandbad und dem Galgenberg angeführt. 
Er wurde überdies auf Gemeindekosten für den 
Ablebensfall hoch versichert, 

Alles wäre in schönster Ordnung gewesen. Aber 
die Kräfte Herrn Wankas waren dem ruhelosen 
Leben eines Weltstars nicht gewachsen. Er starb 
eines Tages in aller Stille ohne Angabe von 
Gründen. Die Gemeinde war sehr bestürzt. Um 
den Betrieb aufrechtzuerhalten, veranstaltete sie 
sofort eine geheime Ausschreibung zur Neuhbeset- 
zung dieser wichtigen Stelle. Es meldeten sich 
mehrere hundert Bewerber, die alle behaupteten, 
es dem Verewigten gleichtun zu können. Aber 
jeder begann nach kurzer Tätigkeit so schamlos 
Geld einzusacken, daß er wieder entlassen, wenn 
nicht eingesperrt werden mußte, Das in- und aus- 
ländische Publikum erkannte sofort die Pseudo- 
Wankas und blieb aus. Das Geschäft war nicht 
zu halten. 

Es zeigte sich in der Folge, daß es in keinem 
Falle zu halten gewesen wäre. Denn die sugge- 
stive Wirkung Wankas und seiner Devise beruhte 
auf ihrer Seltenheit. Die Wirtschaft, und Insbeson- 
dere die Steuerpolitik der Gemeinde brachte es 
nach kurzer Zeit dahin, daß jedermann bei jeder 
Gelegenheit sagte: Ich hab genug! 

Doch dies hatte keinen Wert mehr, wie alles, was 
in zu großen Mengen vorkommt. Jetzt hätte die 
Gemeinde gerne jeden belohnt, der sich dieser 
Devise nicht bediente. Es war aber weit und breit 
keiner zu finden, 


Verlag und Druck: Knorr & Hirth Kom: 





tgosollse 


Verantwortl, Schriftlelter: Walter Foitzick, München, — Der Simplicissimus erscheint wöchentlich 
anstalten enigegen. — Bezugsprelse: Einzelnummer 30 Pf.; Abonnement im Monat RM. 1.20. 


WETTEN WIR, ONKEL 


VON HANS KARL BRESLAUER 


„Na und —“, sagte Herr Greileder, der mit seinen 


‚Gedanken überall, nur nicht bei dieser geschäft- 


lichen Unterredung war, „— und was willst du 
von mir, Schachinger?” 

Schachinger sah von seinem Notizbuch auf: 

„Seit einer Viertelstunde erkläre ich dir, was ich 
brauche und wann ich die Ware brauche und du 
fragst, was ich von dir will?" 

„Wunder wär's keines, wenn man zerstreut ist. 
Man stößt ja überall auf Verdrießlichkeiten.” 
„Greileder, Greileder”, sagte Schachinger, der 
seinen Freund kannte, „mir scheint, heute hat's 
dich wieder!” A 

„Du hast eine Ahnung von einer Idee!” Greileder 
zog die Weste über dem Bäuchlein glatt, „Aber 
wenn du glaubst, daß ich übertreibe, dann laß 
dir erzählen... Gestern, kaum bin ich zu Hause, 
kommt meine Nichte Anneliese — du kennst ja 
das Lausdirnd! —* 

„Und obl... Das Mädi wird von Tag zu Tag hüb- 
scher und ist immer quieischvergnügt —” 

„Die hat leicht quietschvergnügt sein... ‚Tant- 
chen‘, sagte sie zu meinerFrau, ‚wenn Onkel nichts 
dagegen hat, bleibe ich zum Abendessen bel 
euch. Die Eltern machen nämlich irgendwo Besuch, 
äber ich bin nicht mitgegangen; ich quatsche 
nicht gern über das, was bei Besuchen hinter 
dem Rücken der lieben Nächsten erzählt wird..." 
Sie blieb also bei uns und nach dem Essen sagte 
sie zu mir: ‚Wetten wir um zwanzig Mark, Onkel, 
daß ich weiß, was du heute um sechzehn Uhr zwo- 
undzwanzig in deinem Büro gemacht hast!?' 
‚Um sechzehn Uhr zwoundzwanzig?' sagte Ich, 
‚Mädl, wie willst du das auf die Minute wissen, 
was ich selbst nicht weiß?‘ 

‚Oh‘, sie kramte lachend ein Blatt Papier aus 
ihrem Handtäschchen, ‚ich weiß alles und schreibe 
mir auch alles auf. Besonders dann, wenn Ich 
zwanzig Mark gewinnen kann! Bitte: Sechzehn Uhr 
zwoundzwanzig: Onkel Balduin sitzt In Hemd- 
ärmeln an seinem Schreibtisch und spitzt einen 
Bleistift. Sechzehn Uhr fünfundzwanzig: Onkel 
Balduin trompetet in sein Taschentuch, Sechzehn 
Uhr dreißig: Onkel Balduin spricht mit seinem 
Kassier, schlägt auf den Tisch und ist ganz Auto- 
nat. Der Kassier verläßt bedrückt das Chefzim- 
mer. Sechzehn Uhr fünfunddreißig: Onkel Balduin 
schabt mit der rechten Hand an seinem Kinn her- 
um. Er scheint zu überprüfen, ob er gut rasiert ist. 
Sechzehn Uhr vierzig: Onkel Balduin mustert Im 
Taschenspiegel seinen äußeren Adam, ordnet ein 
vereinzeltes Haar seiner Glatze und zieht den 
Knoten seiner Krawatte fester — 

‚Balduin‘, sagte meine Frau, ‚wenn das stimmt, 
was Anneliese da vorliest, dann hast du dich 
heute nicht überanstrengt, Jetzt will ich"aber nach- 
sehen, ob der Tee schon gezogen hat.’ 

Sie verließ das Zimmer und Anneliese rief ihr 
nach: 

‚Es stimmt, Tantchen, es stimmt... 
Onkel?‘ 

‚Jetzt erkläre mir aber, Arheliese‘, sagte ich, un- 
geduldig werdend, ‚woher du das alles wissen 
willst?" 

‚Noch einen Augenblick, Onkel’, winkte Anneliese 
ab. ‚Sechzehn Uhr fünfundvierzig: Onkel Balduin 
zieht seinen’ Rock an, legt Briefe zurecht, drückt 
auf den Klingeltaster und beginnt, seiner Sekre- 
tärin die Post zu diktieren... Das stimmt doch 
auch, Onkel?’ 

‚Anneliese‘, unferbrach ich sie, ‚jetzt mach Schluß 
mit dem Unsinn... Woher willst du das Übrigens 
alles wissen — 

‚Woher, Onkel? Abeı das ist doch ganz einfach. 
Ich habe einen Fernsehapparat — 





Nicht wahr, 








‚cher 





linger $: 





inmal, 


In diesem Augenblick kam meine Frau mit der 
Teekanne zurück, und Anneliese rief vergnügt: 
‚Tante, der Onkel ist neugierig! Und wie neugierig 
er ist! Aber ich will ihn nicht länger quälen, denn 
weiter reichen meine Aufzeichnungen nicht. Ich 
hatte höchste Eisenbahn und mußte meinen Fern- 
sehapparat abschalten.‘ Sie blinzeite mir fröhlich 
schmunzelnd zu. ‚Du mußt nämlich wissen, Onkel, 
daß man vom Zimmer meiner neuen Freundin Erni 
aus deln Chefzimmer übersehen kann — und mit 
einem Opernglas entgeht einem nichts!... So, 
Onkelchen, und nun rück heraus mit dem Geld! 
Die fünfzig Mark habe ich ehrlich gewonnen. Wir 
haben doch um fünfzig Mark gewettet, nicht 
wahr?” 

Greileder schwieg verärgert 
sagte kopfschüttelnd: 

„Aber, Greileder, du wirst doch nicht so kleinlich 
sein und dich deswegen ärgern? Das Geld hat 
dem Mädel sicherlich Spaß gemacht!” 

Da schnauzte Greileder seinen Freund Schachin- 
ger an: 

„Was? Ich soll mich: nicht ärgern?!... Mensch, 
Schachinger, dann sag du mir gefälligst, wo ich 
jetzt meiner Sekretärin die Post diktieren soll!” 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


(0. Nückel) 


und Schachinger 





Zacharias hat einen guten Zug. Wenn er am 

Abend ausgeht, trinkt er seine guten sechzehn 

Halbe wie nichts. Zacharias schob der Kellnerin 

das Glas zu. 

„Noch ein Bier! Aber dasselbe Glasl" 

„Ihr Glas verwechsle ich niel" 

„Nein?“ 

„Das erkenne ich sofort!” 

„Woran?" 

Die Kellnerin lachte: 

„An Ihrem Glas ist immer der Henkel warm.” 
I.H.R. 


Er 
Ich ging auf der Straße so für mich hin, 
Kam der Antiquitätenhändler Neu des Weges. 
Er blieb stehen und starrte mir lange ins Gesicht, 
„Sie haben Ja eine tolle Weinnase, mein Lieberl” 
„Erlauben Siel Was geht Sie das an?” 
Er winkte ab: 


„Nur gemütlich! Man wird Sie doch noch beneiden 
dürfen!” J,H.R. 


* 


Frau Mitterlein ist eine sehr lebhafte Dame. Wenn 
sie redet, spricht alles an ihr mit. Ihre Frisur, ihre 
Figur, nicht zuletzt ihre Arme und Hände, So leb- 
haft, so plastisch erzählt Frau Milterlein, Sie redet, 
wie man sagt, mit den Händen. 

Eines Tages sah sie bei einem Kunsthändler in 
der Auslage die Venus von Milo, jene bekannte 
Figur ohne Hände und Arme. Sie trat in den La- 
den und fragte: 


„Was kostet die Stumme von Portici?" 3.H.R. 


(Fernruf 1296). Briefanschrift: München 2 BZ, Brieffach. 


Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeitungsgeschäfte und Post- 
— Unverlangte Einsendungen werden nur zurückgesandt, wenn Porto beillegt. — 


Nachdruck verboten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllurgsort München. 


England, der Weihnachtstruthahn een 








„Ich weiß nicht, so sehr die zwei sich auch um mich bemühen, die richtige frohe Weihnachtsstimmung habe ich doch nicht!'* 
L’Inghilterra, tacchino di Natale: “Eh non so, per quanto i due s’ affannino con me, pure il vero buon umore di Natale io non I’ ho!,, 


664 


München, 29.Dezember 1943 Fl 
48. Jahrgang / Nummer 52 30 Pfennig 


SiMPLICISSIMUS 


VERLAG KNORR & HIRTH KOMMANDITGESELLSCHAFT, MÜNCHEN 


Der Konferenzsieger (eich Schifing) 





„Meine Freunde habe ich jetzt: besiegt, nun brauche ich nur noch meine Feinde zu besiegen!‘ 


Il vincitore della Conferenza: ''Adesso ho vinto | miel amici; ora occorre soltanto ch’io vinca anche I miel nemici!,, 


SBIEISZEUG 


VON WALTER FOITZICK 


Auf einem kleinen Sockel steht ein bunter Herr 
und um ihn herum läuft an einem Draht ein Pferd. 
Wenn das Pferd läuft, gibt es ein knarrendes Ge- 
täusch und der Herr zuckt ununterbrochen mit 
allen Muskeln, als habe er ein schweres Nerven- 
leiden. 

Herr und Pferd und Muskeln’ sind aus Blech ge- 
bogen und im Sockel ist ein Uhrwerk. Das ist ein 
Spielzeug, ein älteres Spielzeug. Die Erwachsenen 
haben es sich so ausgedacht, daß solches Kin- 
dern eine besondere Freude macht. Es macht 
auch Kindern Freude, namentlich im Anfang, weil 
Kindern fast alles Freude macht, z. B. mit einer 
Zahnbürste Butter In ein leeres Portemonnaie zu 
füllen. So ein Spielzeug mit Zahnbürste und But- 
ter aber kann man nicht kaufen. Jeder reifere 





Der Sportfischer - II pescatore per sport 


— 























Knabe im Alter von zwei bis drei Jahren wird mir 
zugeben, daß das ein ganz besonders schönes 
und reizvolles Spiel ist, weil es allerlei Variatio- 
nen und Kombinationen zuläßt. 

Der Clown mit dem Pferd kann nur laufen, schnur- 
ten und zucken, wenn man ihn aber rückwärts 
dreht beim Aufziehen, geht er kaputt. Dies macht 
ihn zur weiteren Verwendung höchst brauch- 
bar. Man kann beispielsweise mit den Zahnrädern 
auf eine polierte Tischplatte Figuren kratzen oder 
sie zusammen mit Nägeln und kleineren Gegen- 
ständen aus dem Nähkorb sowie toten Fliegen in 
eine leere Bierflasche füllen. Erwachsene haben 
hierfür keinen Sinn, deshalb kann man auch Bier- 
flaschen, leicht gefüllt mit diesen Materialien, in 
keinem Spielwarengeschäft kaufen. 

Womit Kinder zu spielen haben, damit beschäftl- 
gen sich die Pädagogen und Psychologen und 
sie leiten das Spiel in Bahnen, von denen sie be- 
haupten, daß sie vernünftig seien. Kinder haben 
manchmal andere Ansichten. 


(A. Pichel) 





GGG SSH 
= 








„Ist mir ganz wurscht, und wenn Ich bis nächstes Silvester sitze — anbeißen muß er!" 


"Per me & affatto lo stesso anche se restassi qui fino al prossimo San Silvestro”. .. esso dovrä pure abboccare all’ amo . 


666 





Vor einigen Jahren haben sich auch die Kunst- 
gewerbler der armen Kinder angenommen, und 
sie beschlossen, daß die Kinder einfache Formen 
wünschten, well sle sonst nicht wüßten, wo sie 
mit ihrer Phantasie hinsollten. Das nannten sie 
künstlerisches Spielzeug und die Erwachsenen 
hatten einen Heidenspaß daran. Auch die Kinder 
dachten sich ihren Teil, aber vermutlich einen 
anderen als die Kunstgewerbler, 

Sorgenvoll sehen geschmackvolle Eltern auf den 
kitschigen Geschmack ihrer Kinder, aber die un- 
geratenen Kleinen wollen sich absolut nicht den 
Gesetzen der Aesthetik beugen. Ihnen gefällt halt 
der Kitsch und diese Glücklichen dürfen’s auch 
noch sagen. 

Ein kleines Mödchen, das Vertrauen in meine 
Kenntnisse hatte, fragte mich einmal, welche 
Farbe der liebe Gott habe. Ohne meine Antwort 
abzuwarten, sagte sie, sie werde ihn hellblau 
malen, hellblau sei die schönste Farbe. Ich glaube, 
sie hat Ihn gut getroffen, 


- DIE LIEBE 


Man sagt es von der George Sand, sagt es von 
der göttlichen Ninon de Lenclos und wahrschein- 
lich noch von vielen anderen Damen bis zurück 
ins graue Altertum, daß sie sämtlich auf eine ge- 
wisse Frage der Neugier die gleiche Antwort 
gaben, . 

Alle diese Vertreterinnen des schönen Geschlech- 
tes wurden In einem Alter, wo Ihre Urenkelinnen 
sich bereits weigerten, an das Märchen vom 
Storch zu glauben, von naiven Bewunderinnen 
bestürmt, wann denn im Leben einer Frau eigent- 
lich die Sache mit der Liebe ende? 

Und jede antwortete darauf, sich dabei kokett 
die Wangen pudernd und ein vlelsagendes Feuer 
in die Augen legend, mit einem bezaubernden 
Lächeln: „Ja, mein Kind, da müssen Sie ‚schon 
eine Ältere fragen.” 

So Ist das also mit den Frauen, 

Und wie steht es wohl mit den Männern? 

Für das starke Geschlecht mag der alte Grieche 
Monopulos Zeugnis ablegen. 

Monopulos, unter den athenischen Opapas sicher 
nicht der allerjüngste, wurde von einem Jüngling 
Interviewt, wie lange denn die Liebe Im Leben 
des Manı eine Rolle spiele? 

„Warte, mein Sohn“, sagte Monopulos, „ich will 
meinen alten Herrn fragen, der kann da sicher 
Antwort geben.” 

Monopulos begab sich hinaus in den Garten, 
kehrte aber gleich wieder zurück. 

Freund”, sprach er zu dem Jüngling, „ich kann 
Ihn augenblicklich nicht stören. Er sitzt draußen 
in der Rosenlaube und schäkert mit einem Mäd- 
chen" — , 

Demnach scheint es sich bel dem Glauben, daß 
die Liebe aufhöre, lediglich um eine Alterserschel- 
nung der Jugend zu handeln, Heinz Scharpf 








UNTERWEGS 


Still faßen wir beifammen - fehmiegen - fehnten 
uns nach der fernen Jugend goldnem Grün. 
Wir alten Toren rechnen nach Jahrzehnten. 
Das Welken geht uns näher als das Blüh’n. 


War’s nicht, als ob er taufend Jahre währte, 
der Tag von damals - bie zur Mitternacht? 

So haben wir die Zeit auf Gottes Fährte 

- mir mußten’s nicht, rwir träumten - hingebracht. 


Und gingen fehl und wurden müd und gähnten. 
Heut gilt uns gleich, was morgen kommen mag. 
Wir find fo weit: wir rechnen nach Jahrzehnten... 
Vor Gott find taufend Jahre wie ein Tag. 

Dr. Omlglaß 


Was man schwarz auf weiß besitzt — 


(0. Gulbransson) 








Bun oyıprmansom 43 





„So, Mandschukuo hätten wir wieder. Gib aber auf deine Aktenmappe acht, daß wir es nicht wieder verlieren!“ 
Ciö che sta scritto si ha in pugno ...: “Cosi riavremmo Mandschukuo. Ma fa attenzione alla tua busta, che non lo perdiamo di nuovol,, 


667 


ER, SIE UND DIE BEIDEN WINDHUNDE 


Herr Anselmo Zavetta begegnete jeden Tag im 
Städtischen Park dem Fräulein Hortensia Pagani. 
Herr Zavetta war ein Mann von noch nicht ganz 
fünfzig Jahren, Er war durchaus kein Adonis, aber 
auch nicht gerade häßlich. Vor allem war er ele- 
gant, sehr elegant, denn er wechselte häufig die 
Anzüge, trug leuchtende Krawatten, eiercognac- 
farbene Schuhe, weiße Gamaschen, einen Stock 
mit goldenem Knauf und einen goldenen Klem- 
mer. Unschön an ihm war nur der kleine Spitz- 
bauch und der dicke Schnurrbart. Anselmo Za- 
vetta war Junggeselle geblieben, denn schon seit 
frühester Jugend hatte er keine besonders gute 
Meinung von den Frauen. „Wenn eine Frau zu mir 
sagt: ‚Ich liebe dich‘," meinte der gute Zavetta, 
„hat sie bestimmt stets irgendeine böse Ab- 
sicht.” — Im schönsten Teil der Stadt besaß er 
ein entzückendes Häuschen, wo er den angeneh- 
men Beruf des Rentners ausübte und mit einer 
treuen, liebevollen, aber bissigen Freundin zusam- 
menlebte: einer rassereinen, edlen Windhündin. 
Jeden Tag begegnete Herr Anselmo Zavetta, wie 
gesagt, im Städtischen Park dem Fräulein Hor- 
tensia Pagani, die ihrerseits ebenfalls weder 
schön noch häßlich war: mit einem leichten An- 
flug von Eleganz, Geist und Temperament, Fräu- 
lein Hortensia steuerte mit vollen Segeln den Vier- 
zig zu, Sie hatte weder einen Verlobten, noch 
einen Geliebten, denn seit früher Jugend hatte 
sie eine Art Abscheu vor den Männern. Im Zen- 
trum der Stadt hatte sle eine hübsche Wohnung, 
wo sie mit einem Kanarienvogel, vielen Blumı 
einem Grammophon mit schönem, messinge: 
Trichter und einem liebevollen, stolzen Freunde 
zusammenlebte: einem rassereinen, edlen Wind- 
hund, , 

Fräulein Hortensia und Herr Anselmo vertrauten 
einander — auf einer Bank im Städtischen Park 
— die Melancholie ihres einsamen Daseins an 
und tauschten ihre Meinungen über liebe und 
Ehe aus. Jeden Tag führten sie,das gleiche Ge- 
spräch über Junggesellen, alte Jungfern, unglück- 
liche Ehen und Liebesverhältnisse, Unterdessen 
Jagten Mauro, der rassige Windhund Fräulein 
Hortensias, und die edie Windhündin 
Herrn Anselmos, mit Namen Pola, durch 
den Park. 

„Meine Pola Ist ganz toll nach Ihrem 
Mauro.” 

„Und mein Mauro kann nicht ohne Ihre 
Pola sein.” ‚ 
„Abends, wenn wir uns verabschieden, 
werden die beiden Tiere ganz traurig.” 
„Das habe Ich auch schon gemerkt; sie 
leiden unter der Trennung. Wo stecken 
sie nur?” 

„Dort Im Gebüsch kriechen sie herum.” 
„Meinen Sie nicht auch, Herr Anselmo, daß 
die Tiere glücklicher sind als wir?” 
„Zweltellos sind sie glücklicher, well sie 
nalver sind.“ 

„Demnach wird mein Mauro wohl nie so 
leichtsinnig und treulos werden wie ein 
Mann?” 

„Ich glaube nicht. Ebensowenig wie 
meine Pola je so launenhaft und kokett 
wie eine Frau sein wird.” 

„Ich bin weder launenhaft noch kokett. 
Ich ‚hätte gute Partien machen können, 
öber ich habe sie ‚alle abgewiesen, Jetzt 
bereue Ich es mitunter...“ 

„Wieso?” 

„Nur so...” 

Da kamen Pola und Mauro mit glänzen- 
den Augen und offenen Mäulern daher- 
gejagt, zähnefletschend und japsend. 
Einer an den andern gedrängt, schauten 
sie die beiden an, die In Gedanken über 
das Problem der Liebe versunken waren. 
Dann begannen sie von neuem ihren Wett- 








VON NARCISO QUINTAVALLE 


lauf schwänzelnd, hetzend, die buschigen Ruten 
wie Fragezeichen. 

„Hierher, Polal” 

„Mauro!“ 

Ach was! Pola und Mauro hörten nicht, sie ließen 
nicht ab, ihre Freiheit zu genießen, 

„Sehen Sie”, stellie Herr Anselmo fest, „wenn 
man verliebt ist, hört und sieht man nichts mehr. 
Wir — Fräulein Hortensia — —" 

„Reden Sie ruhig weiter.” 

Anselmo Zavetta rückte den Klemmer zurecht, sah 
auf seine elercognacfarbenen Schuhe, zupfte an 
den Manschetten und befühlte den Knoten seiner 
leuchtenden Krawatte. 

„Wir, Fräulein Hortensla, wollte Ich sagen, wir 
zwei scheinen doch für einander geschaffen zu 
sein.” 

„Meinen Sie?” 

„Zwelfellos.” 

Er rückte ein wenig näher, streichelte über den 
goldenen Stockknauf und sagte: 

„Draußen an der Porta Nuova besitze ich ein klei- 
‚nes Häuschen, ein wahres Schmuckkästchen. Allein 
darin zu wohnen, ist traurig. Warum weihen wir 
es eigentlich nicht zusammen ein?...” 

Hortensia senkte den Kopf, betrachtete erst ihre 
Hände, danı: die Spitzen ihrer kleinen Schuhe und 
antworlete beinshe gekränkt: 

„Ihre frivole Art, eine Dame wie mich in Ihre ein- 
same Villa einzuladen, wirkt nicht gerade takt- 
voll...” 

„Verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe 
treten, aber Ich weiß, Sie sind einsam, Sie sind 
frei, und darum...“ ” 
„Mir scheint, Sie sind etwas voreilig... Wir ken- 
nen uns kaum vier Wochen, und schon fordern 
Sie mich ganz unumwunden auf, Ihre Geliebte zu 
werden...” 
„Sie müssen bedenken, Fräulein Hortensia, ich 
bin auch nur ein Mann.’ 

„Das merke ich, und vielleicht auch nur einer wie 
alle anderen...” 

„Jetzt beleidigen Sie mich. Sie müssen verstehen, 
daß ich mich zu diesem Vorschlag nur durch Sie 








RUSSISCHER MOND 


Von Rudolf Seebacher 


Kameraden schlafen alle wie gewohnt, 

* Durdı die Scheiben füllt ein Fetzen blasser Mond. 
Sieben Ratten husdıen schleifend über Dielen — — 
Eine Nadıt in Rußland, gleidı den andern vielen, 


Irgendwo im Dorfe geift ein Hund, 

meil er beißend nidıt den Mond erreichen kunnt, 
Auf der Rollbahn rumpelt dumpf ein sdiwerer Karren, 
daß im Haus erscıreckte Giebelhölzer knarren. 


Zeitungüberklebte Wände knistern: 

Wanzen, die Befehl zum Angriff Nlüstern. 

Gleich wird sidı die Meute plalter Käfer 
. slürzen auf die ruhbedürft'gen Scläfer. 


Dunkler Himmel sdwwingt in wehendem Gebrumm: 
Flieger sudıt und kreist ums Dorf herum. — — 

Dürre Bäume spreizen breit sid vor dem Fenster. 
Nadıtwind tutet, scieucht die drohenden Gespenster, 


..„ und der Mond schickt einen Strahl mir ins Gesicht, 
tastend, fragend: Lieber Freund, du schläfst nodı nidıt? 


668 


hinreißen ließ, von Ihrer offenkundigen Sympathie 
ermutigt...” 
„Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr...” 
„Mitunter habe ich Ihre Stimme zittern gehört, 
wenn wir uns abends verabschiedeten...” 
„Das bilden Sie sich ein — Sie lügen.” 
„Hören Sie?... Auch Jetzt zittert Ihre Stimme. 
Ihre Augen glänzen. Ihr Mund dürstet nach Küs- 
sen...“ 
Und da niemand durch die Allee kam, umarmte 
er sie und küßte sie auf den Mund... 
Als sie sich verwirrt erhoben, standen Mauro und 
Pola vor ihnen und zeigten die Zähne, als ob sie 
lachten, 
* 

Hortensia zog in das Häuschen Anselmo Zavettas 
und brachte den getreuen Mauro, den Kanarlen- 
vogel und das Grammophon mit dem schönen, 
messingnen Trichter mit, 
Das kleine Haus war jetzt voll Glanz und Fröh- 
lichkeit. Der Vogel sang, das Grammophon war 
schon ganz heiser und spielte immer die Platte 
aus Traviatar „Lieb mich, Alfredol”; wozu Hor- 
tensia „Lieb mich, Anselmol‘ sang. Auch Pola und 
Mauro waren glücklich. Sie verbrachten ihre Nächte 
gemeinsam auf Polas Lager und fraßen aus einer 
Schüssel. Anselmo und Hortensia, Pola und Mauro 
wären im ersten Viertel Ihres Honigmondes. 
Im zweiten Viertel Jedoch schien die Glut schon 
am Verglimmen. Eines Abends stellte der ziemlich 
kritische Anselmo fest, daß Hortensia ein wenig 
zu dick sei. Und während er im Nachtkästchen 
nach seinem Zigarettenetui suchte, dachte er, daß 
es sich eigentlich nicht gelohnt hatte, sich mit 
fünfzig Jahren einer alternden Frau zu nähern. 
Gab es nicht genug Junge ....? 
Wenn sie sich abends zur Ruhe begaben, ba- 
merkte er, daß sie immer die erste war, die ein- 
schlief, und wenn er das Licht brennen ließ, 
drehte sich Hortensia brummend auf die Seite. 
„Sie brummt”, dachte Anselmo, „aber das Licht 
bezahle Ja Ich.” 
Zuwellen betrachtete er sie, wenn sie schlief, mit 
stiller Wut, zählte die dünnen Falten, die um 
ihren Hals liefen, die silbernen Fäden an 
ihren Schlöfen. 
Eines Nachts, es war im letzten Viertel 
des Honigmonds, hörte Anselmo, wie 
Hortensia schnarchte. Er drehte das Licht 
an und‘rief sie mit schneidender Stimme. 
Die Frau erwachte und sah ihn böse an. 
„Da hast du nöch den traurigen Mut, mich 
wütend anzusehen?” 
„Was ist denn in dich gefahren?” 
„Du hast geschnarcht, meine Liebe, ge- 
schnarchtl” 
„Ich, geschnarcht? Ich schnarche? Da hört 
sich doch alles aufl So was nennt man 
einen Flegel, jawohl, Flegell Ich und 
schnarchen!” 
Damit warf sie die Decke zurück, sprang 
aus dem Bett, schlüpfte in die Pantoffeln 
und legte sich Im Nebenzimmer schlafen, 
Auch Hortensia war enttäuscht, aber sie 
enrug es resigniert, gleichsam als Strafe. 
Auch sie dachte, daß es sich nicht ver- 
lohnt hatte, so lange gewartet zu haben, 
um schließlich bei einem Fünfziger zu 
landen, der elegant und stattlich aussah, 
wenn or angezogen war, aber bestimmt 
nicht begehrenswert erschien in seinem 
über dem Bauch zu knappen Pyjama. Und 
mit diesem gefärbten Schnurrbart, der mit 
den grauen Schläfenhaaren in Blutrache 
zu liegen schien! — Sie hatte festgestellt, 
daß er nervös, träge, kleinlich und geizig 
war. Der Honigmond war um. 

* 
Eines Tages — Anselmo war entschlossen, 
Schluß zu machen — begann er, auf das 


La forza del male 





Dem Menschen traut man selten zu, daß er im Schlafe Übles tu. 
Jedoch der Teufel mit Bedacht. versucht per Traum des Bösen Macht. 





Das Gute siegt. und mit Gezisch entflieht der Teufel. Auf dem Tisch 
jedoch bleibt des Versuchers Gabe: 





kreischende Grammophon zu schimpfen, auf Mauro, 
der ein Dreckfink, auf die Suppe, die versalzen, 
den Braten, der zäh, den Wein, der sauer sei. 
„Man kann in diesem Hause nichts mehr ge- 
nießen... Du hast mir den Magen ruiniert... Du 
wirst mich noch umbringen mit diesem Fraß...” 
Hortensia erhob sich so stürmisch, daß die Gläser 
klirrten, ging hinaus und schlug die Tür zu. Im 
nächsten Augenblick kam sie zurück, den Hut in 
der Hand, und blieb zitternd vor Wut auf der 
Schwelle stehen. 

„Ich gehe, mein Lieber... Ich gehe... Leb wohll“ 
Anselmo sah sle zwelfelnd an, dann aß er weiter, 
ohne zu antworten. 

Als Hortensia Im Garten war, kam ihr der traue 


ie Flasche Schnaps zur Morgenlabe. 


Die Macht des Bösen 


Mauro in den Sinn. Sie kehrte um, ging ein paar 
Stufen die Hintertreppe hinauf und rief: 
„Maurol,. Mauro...” 

Tänzelnd, wie immer, kam das Tier und hinter ihm 
Pola, erstaunt über das programmwidrige Rufen. 
Hortensia erinnerte sich, daß sie ja noch den 
Meulkorb und die Leine brauche. Sie eilte, von 
den beiden Hunden gefolgt, in die Küche. 
„Mauro, schnell — — wir gehen!” 

Aber das Tier rührte sich nicht vom Fleck und 
sträubte sich, von Pola unterstützt, sich den Maul- 
korb umlegen zu lassen. 

„Wir wollen gehen, verwünschter Kerll” 

Und sie zerrte ihn am Halsband. Aber das Tier 
war nicht zu bewegen und begann, aufgeregt zu 


669 


(U. v. Horväth) 





Erbittert und in heil'gem Zorn packt ihn der Engel gleich beim Horn 
und kämpft, des Lämmleins guter Schäfer erbittert um den stillen Schläfer 


Der Engel. noch vom Sieg ermüdet. schreit auf. wie der. den er behütet 


behaglich schlürft den Alkohol: „Wie wird dir Mensch!” Der brummt: „Sauwohll” 
. 


eff 


werden. Pola, angesteckt von Mauros Nervosität, 
haschte nach Hortensias Kleid und zerrie nach 
der anderen Seite. Die arme Frau wußte in ihrer 
Not nicht mehr, was sie mit den beiden Tleren 
beginnen sollte, die sie knurrend und kläffend 
nach dem Eßzimmer jagten. Verzweifelt warf sie 
sich dort in einen Klubsessel und brach in er- 
schütterndes Schluchzen aus. Pola und Mauro 
aber stürzten sich auf Anselmo und leckten ihm 
von beiden Seiten das Gesicht. 

Und in schöner Einmütigkeit heulten sie zwischen 
ihren heftigen Zärtlichkeitsausbrüchen den heillos 
verfeindeten Menschenkindern vor, daß die vier- 
beinigen Bestien doch besser seien als die zwei- 
beinigen. (Übersetzung von Thea Weide.) 


DEZEMBERLICH 


Dezembernacht voll schwarzer Pracht 
Zieht wie ein Zauber durch die Welt 
Und wer sich ihr entgegenstellt, 

. Den fängt sie ein mit aller Macht. 


Wo ist der Sonne Feuerherz 

Am Himmel, wo? Da ist nur Nacht. 
Was schlafen soll, ist aufgewacht 
Beim Hammerschlag aus Glockeneız 


Hılft da die Flucht zum Weihnachtsbaum? 
Vielleicht! Ja, wer das Licht verspürt, 
Wem Kerzenschein das Herz anrührt. 
Den packt der alteKindertraum. 


Das Rauschgold schimmert sonnengleich, 
Das Engelilinar wie Silberllachs 

Es weint für dich das Kerzenwachs .-» 
O Tannengeün im Weihnachtseeicht 


Die Sonne bleibt nicht lange tot, 
Glaub mir, sobald sie aufersteht, 

Wie schnell die längste Nacht vergeht, 
Wenn feuerrot der Morgen loht! 


Zu Ende dreht das alte Jahr 

Sıch leis. Das Neujahr steht bereit, . 
Noch sieben Tage hat es Zeit, 

Doch dann marschiert der Januar. 


Es kommt wohl Lust, es gibt Verdruf,, 
Das schafft der Tage Hin und Her, 
Ob gut, ob schlecht, was willst du mehr. 


Murenichneimelio warkommenmupl 


Hinweg, die Zukunft hat nicht recht 
Am Lichterbaum! Im Weihnachtsraum 
Ist Gegenwart ein süher Traum 

Und Grübeln macht nur Sorgen echt. 


ZeebriehldieNühundib den Kern 
Und Icer das Glas voll Heiterkeit 
Sieh, heute nacht hat es geschneir, 
Ins Fenster schaut der Morgenstern. 


Die Atempause, himmlisch leicht, 
Schuf diese Nacht, das danke du, 
Gehst du jetzt deinem Bette zu, 

Der Dunkelheit, ch sie entweicht. 


Hermann Seyboth 


GESELLIGKEIT 


VON SCHLEHDORN 


„Vizepräsident Pingelquis und Frau. geben sich 
die Ehre...“ 

Vizepräsident Pingelquis — die Älteren werden 
sich seiner noch erinnern — war eine Säule des 
Amis (mit kräftiger Basis und schlichtem, würdi- 
gem Kapitäl), während sich Regierungsrat Julius, 
ärchitektonisch gesprochen, als Teil eines Bündel- 
pfeilers empfand und Regierungsrat Krause einen 
Strebepfeller darstellte, 

Es Ist übrigens nicht wahr, daß Vizepräsident 
Pingelquis eine Reinschrift hätte abschreiben 
lassen, weil ein Komma fehlte; wahr ist vielmehr, 
daß er eine Sache zur Rücksprache schrieb, weil 
ein Semikolon angebracht erschien, Sein Dienst 
war sein Leben, und Gesellschaften waren für ihn 
der Teil außeramtlichen Dienstes, an dem seine 
Gattin repräsentativen Anteilnahm und die Damen 
der Kollegen bel Tisch in die gewohnte Platz- 
ordnung der Sitzungen eingeschaltet wurden, 
Von diesen Gesellschaften und ihrem ordnungs- 
gemäßen Verlauf soll hier nicht erzählt werden. 
Diesmal hatten Regierungsrat Jullus und Frau 
Dorette zum Donnerstag Abend gebeten. 

„Wir werden demnach bei Ihnen, lieber Kollege”, 
meinte Vizepräsident Pingelquis, nachdem er zu- 
vor den dienstlichen Teil der Besprechung zum 
Abschluß gebracht hatte, „wir werden bei Ihnen, 
schätze ich, wieder die vertraute Gesellschaft 
antreffen, Franckes, Müllers und v. Plessings, den 
Kollegen Krause und aus der Gruppe der Ruhe- 
standsbeamten den*verehrten Gehelmrat Trüffel.” 
„Obwohl wir keine Gesellschaft so schätzen wie 
Kollegen und Kolleaenfrauen“, erwiderte Jullus, 
„dachten wir eigentlich, diesmal einige Freunde 
aus anderen Kreisen zu bitten.” 

„Gar Künstler?“, fragte Pingelauis, „vom Theater?” 
„Welßt du, Dorette”, sante Regierungsrat Julius, 
als seine Frau ihn abholte, „am liebsten hätte 
ich ihm erzählt, wir hätten einige bekannte Paare 
da: Philemon und Baucis hätten zwar wegen Ihres 
Alters abaesagt. Ahäilard und Heloise weaen 
Ihrer Heiligkeit. Kloß & Förster seien zu beschäf- 
tiat.” 

„Ja“, fiel Dorette ein, „Balazzo und Cavalleria 
sind wie stets am selben Abend zusammen in 
der Oner. Zar und Zimmermann sind Überhaupt 
identisch.’ 

„Und“, fuhr er fort, „Theorie und Praxis sind, wie 
häufig, getrennt verreist. — Nun stell dir vor: als 
erste kommen am Donnerstan — Adam und Eva 
Sie, in großer Tollette, hat dem Gewohnten nur 


ein Weniges zugelegt, besonders unten, Übrigens 
ist Eva auf Jeder Gesellschaft zu treffen, wo es 
nett werden soll,“ A 

„Und auch der alte Adam ist immer da“, meinte 
Dorette. „Ich hätte ihn aber für Interessanter ge- 
halten” 

„Dann erscheinen gleichzeitig 'zur festgesetzten 
Zeit Pingelquis und Frau Gemahlin, Leda und der 
Schwan...” 

„Und“, jubelte sie, „der Gott und die BajJadere.“ 
„Nun wie geht's, Herr Kollege?‘ wird Pingelquis 
mich begrüßen. ‚Nun, wie geht's, Herr Kollege‘, 
fragt Mahadöh den Schwan, ‚in diesem Kostüm?’ 
‚Es ist mein kleiner Dienstanzug‘, erwidert Zeus, 
‚ich hätte auch als Stier kommen können, mit 
Europa. Aber Europa Ist etwas stark in Anspruch 
genommen.’ — Inzwischen werden die Paare be- 
kannt gemacht und Frau Pingelquis, die sehr ge- 
wandt ist, spricht mit Eva vom Wetter und: ‚Sie 
ahnen nicht, wie beschäftigt mein Mann Ist‘, und 
wendet sich dann an Leda mit der Frage, ob sie 
dem Leonardo gesessen hätte, oder ob der sich 
das Bild so ausgedacht hätte — denn sie ist 
auch sehr kunstverständig. Und Pingelquis richtet 
derweil freundlich das Wort an die Bajadere: 
‚Nun, sind Sie auch berufstätig, meln Fräulein?’” 
„Da wird ihm“, unterbrach Dorette, „Eva 'ant- 


worten: ‚berufstätig sind wir alle‘, Aber vielleicht _ 





wird sie nicht verstanden werde: 
„VÜbrigens”, fuhr Julius fort, „soll der Schwan 
nicht außer dem Vizepräsidenten das einzige 
große Tier am Tische bleiben. Denn jetzt öffnet 
sich die Tür und herein treten Androklus und 
der Löwe.” 

„Herrlich“, Frau Dorette ließ im Eifer seinen Arm 
los, „und während mich Heinz Androklus bearüßt, 
guckt sich der Löwe bewundernd unsern marmor- 
nen Dornauszieher an und sagt neldvoll: ‚Selbst- 
versoraerl’” 

„Eva aber“, meint Jullus. „areift ihm aleich In die 
Mähne. Sie ist das aus dem Paradies so gewöhnt. 
Und einer Eva. weißt du, widersteht auch der 
stärkste Löwe nicht.” 

„Halt mal”, fragte Dorette, „wer kommt denn 
noch? Nofretete, nein, die mußte sich erst aus 
Ihrer endlosen Wickelaamasche herzuseirahen las- 
sen. Sonst könnte Krause sie als Tischdame ha- 
ben. Oder Kleonatra? Lieber nicht. da weiß man 
nie. welchen Herm sie gerade mithrinat.” 

„Ich denve. als Letzte”. schlun Tullus vor, „er- 
scheinen Hermann und Dorothea, Etwas verspä- 


670 


tet, nachklassisch sozusagen, Hermann erbittet 
Vergebung, doch hat Dorothea Im Aufzug bei- 
nah soeben den Knöchel, den klassischen, neu 
sich verknaxet, Was er sonst spricht, ist mehr all- 
gemein, aber voller Bedeutung. Auch strengt's 
die übrigen an, in Hexametern dauernd zu plau- 
dern!” 

„Die sind also nicht so Interessant, wie auf der 
Schule”, meinte Dorette und hing sich wieder an 
seinen Arm: „Erzähl mal, wie sie sich nun bel 
Tisch unterhalten.” 

„Pingelquis wird seiner Tischdame Leda vermut- 
lich die Verwaltungsbeschwerde erklären, Und 
dann sagt sie: ‚Ach, wir riefen in solchen Fäl- 
len einfach mit erhobenen Armen die Götter an. 
‚Also eine vereinfachte Form der Dienstaufsichts- 
beschworde‘, wird er feststellen, Vielleicht fragt 
er auch den Schwan, ob er vorgestern im Lohen- 
grin nebenberuflich tätig gewesen sel, Oder den 
Maradöh, ob er noch im Amt wäre, d. h. ob noch 
an ihn geglaubt würde. ‚Erfahrungsgemäß verlie- 
ten wir im Ruhestande doch sehr an Bedeutung.’ 
Und Frau Pingelquis hört aufmerksam zu, wie sich 
Eva und Leda unterhält, der verehelichten Tyn: 
dareos, bekanntlich der Mutter von Helena, der 
griechischen Eva, die lebensklüger war und mehr 
wegen ihrer Schönheit beneidet, als wegen ihrer 
Sünde verurtellt wird. Frau Pingelquis wirft ge- 
legentlich ein Wort über ihre Tochter, Inge Pin- 
gelquis, ein (ein etwas sommersprossiges, aber 
sehr häusliches Mädchen), die im nächsten Monat 
den Assessor Schultze heiratet, ‚Die müssen gut 
zueinander passen, Frau Präsident‘, lächelt Leda, 
‚aber wer paßt so leicht zu meiner Helena?‘ — 
‚Freilich, freilich, Frau Halbgott, mit Faust ist es 
Ja leider auch nichts fürs Leben geworden.’“ 
„Und um #12”, sagt Dorette, „will sich Frau Pin- 
gelquls erheben: ‚Horch, die Uhr, ich glaube, 
Hugo, wir sind die Ältesten‘, und er will gerade 
sagen: ‚Richtig, mein Schatz, ich glaube, wir müs- 
sen: wohl...‘, doch dann fällt ihnen rechtzeitig 
ein, daß Eva und leda klassisch sind und die 
zwei Götter sogar höher Im Range. Also wird es 
diesmal ein langer, reizender Abend... Aber was 
werden Pingelquissens von dieser Gesellschaft 
denken?” 

„Das ist doch klar”, sagte Julius, „Sie sagt: ‚Ei- 
gentlich recht Interessant, Hugo, und wie mensch- 
lich die Götter und Halbgötter sich benehmen, 
als ob es keine Dienstaltersunterschiede gäbe.’ 
Und Er: ‚Grundsätzlich trete Ich deiner Beurtel- 
lung bei. Aber unsere gewohnte Geselligkeit, bei 
der Fachsimpeln verpönt ist, und man über Be- 


„förderungen und Pensionierungen sowie über an- 


dere Behörden und Urlaubsreisen redet, Ist mir 
dech lieber'.“ 


LIEBER SIMPLICISSIMUS 


© Nickel) 





Ich züchte Bienen. Seitdem sich das herumgespro- 

chen hat, gelte ich unter meinen Freunden als 

Immenkönig, und jeden Tag kommt ein "nderer 

mit einem süßen Anliegen. Doch ein Narr gibt 

mehr her, als vier Völker eintragen. Die kleine 

Beute ist bald verschenkt. 

Und wieder kam eines Tages einer: 

„Honig, Meister, Honig!" 

„Ich habe keinen. Aber ein naher Verwandter von 

mir hat Honig. Wenn Sie zu ihm fahren wollen — 

eln Pfund wird es schon geben —" 

Er ließ sich die Adresse von mir aufschreiben und 

fuhr ab. 

Wochenlang hörte ich nichts mehr von ihm, 

Eines Tages traf ich ihn wieder. Er grüßte mich 

„Was Ist geschehen?” fragte ich, 

„Sie mit Ihren albernen Späßen!” beschimpfte er 

mich, „zu einem nahen Verwandten haben Sie 

mich geschickt dabei bin Ich zehn Stunden hin 

und zehn Stunden zurück gefahren und vom Bahn- 

hof mußte Ich noch acht Stunden zu Fuß gehen — 

das nennen Sie dann einen nahen Verwandten!“ 
I.H.R. 


Sicherung 


R Kriesch), 








„Am liebsten würde ich einen alten Mann heiraten, der bliebe wenigstens treu!“ 
„Kann schon sein, aber die Hundertjährigen sind halt selten!* 


Sicurezza: ““Amerei plö che tutto di sposare un vecchio, ch® almeno mi resterebbe fedelel,, 
“Pu essere, ma | vecchi di cent’ anni sono ben rarl!,, 


671 


APOLL UND DAPHNE 








Auch bei berühmten Liebesleuten 
gab's gute, dann mal fchlechte Zeiten: 
mal lebten frei die zwei Gefchlechter, 
dann wieder gab es Koftverächter. 


So hatte Pech auch einft Apoll 


(er trieb’s - man muß fchon fagen - toll!) 


bei Daphne, die zudem fogar 
als Nymphe unbehleidet war. 






Sie mußt" von Ihm und mwollte nicht 
und rannte, als er fie errifcht, 

im allerlegten Augenblick 

zu Proteus an das Meer zurück, 


der des Verfolgers heiß Begehren 
gefchichlich mußte abzuwehren, 

indem er - ch’ Apoll gehandelt - 

in Lorbeer Daphne fchnell verwandelt, - 


DER WIRT UND SEIN KNECHT 


In Arling war ein Postwirt Angermaler, der war so 
dick, daß er, wenn er stand oder. ging, die Arme 
vom Leib halten mußte, um seinem Bauch Raum 
zu schaffen, und seln Gesicht war ein weißwurst- 
farbener, rosig angehauchter Mond. Dieser Anger- 
maier hatte einen überaus fleißigen Knecht, der 
die Arbeit fraß wie ein ausgehungerter Ochse 
sein Heu. Hatte er einen Auftrag erledigt, so kam 
er gleich wieder und fragte: „Herr Angermaier, 
was soll | jetz doa?“ 

Als er eines Vormittags schon zum drittenmal zu 
seinem Herm kam und so fragte, war der Wirt 
schlechter Laune, Darum fuhr er den braven 
Knecht grob an: „Herrgottsakrament, Sepp, Jetzt 
loß mir amol mei Rua. Meinetwegn reckst dein.. 
zum Fenster außil“ 

Das war sehr ungerecht und sehr undankbar von 


dem Wirt, aber grantige Leute sind eben weder 
gerecht noch dankbar. - 

Am Abend war Herr Angermaler wieder gutge- 
launt und saß bei seinen Gästen in der Stube. 
Da sprachen sie auch von den Diensiboten. „Mei 
Sepp“, sagte der Wirt, „frißt d’ Arbat wlar a 
Dreschmaschin ‘s Troad. Aber er is holt a bisserl 
dumm.“ Darauf berichtete er, was er Ihm heute 
für einen Auftrag habe geben müssen, um ihn 
loszukriegen. 

Da kam der Sepp in die Stube, 

„No, Sepp“, rief der Wirt ihn an, „host as nacha 
do, was I dir heit o’gschafft hob?’ 

„Jawol, Herr, freilil” 

„So so, Sakra”, lachte der Wirt, „wos ham nacha 
d' Leit g’sogt?“ D 

Der Knecht machte sich an einer Lampe zu schaf- 


672 


(fr. Bllok) 














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Wär jedes Mädchen heutzutage 
mie Daphne einftens in der Lage, 
zum Schute vor Apollons Händen 
an Proteus rettend fich zu wenden? 


Und wenn: würd’ Proteus fich bequemen, 
in jedem Falle Lorbeer nehmen? - 

Wie gut könnt’ er die Straßen fiumen 
mit Apfel» und mit Pflaumenbäumen! 


Willi Sahler 


fen und schien nicht gehört zu haben. 

„Hörst, Sepp, wos d’ Leit g’sogt ham?‘ wieder- 
holte der Wirt, 

Da zuckte der Sepp mit der Achsel und sagte 
milde: „Grüaß God, Herr Angermaler, grüaß God, 
Herr Angermaier, ham's g’sogt und ham an Huad 
owa do"... Hans Weind! 


MEIN FREUND JOHANNES 


Johannes war ein wenig mißmutig. Wir bemühten 
uns, Ihn aufzuheitern. 
„Ach, manchmal kann man eben doch nicht Immer 
nur vergnügt und zuversichtlich sein”, wehrte er ab. 
„Das sagst du”, widersprach Marlin „der du uns 
stets gelehrt hası, man könne an allem etwas 
Schönes finden?“ 
„Daß ich dir so schmeicheln mochte”, wunderte 
sich Johannes nachdem et Martın ein Wellchen 
prüfend von oben bis unten gemustert hatte 

). Bieger 


Der Adler und Kolumbien ren. 








„Unerhört, er nimmt von meiner Kriegserklärung keine Notiz!“ 


L’aquila e la Colombia: “Incredibile! Non prende nemmeno nota della mia dichiarazlone di querral,, 


673 


Der kritische Punkt 


„Hast du eigentlich noch nie bereut, mit mir verheiratet zu sein, Alfons?‘ 
„Doch, jedesmal wenn du meinen Füllhalter benutzt hast!" 


II punto critico: “In realtä, Alfonso, non ti sel mica mal ancora pentito d’ esseril 
ammogllato con me?,, — "Eh sl; ogni volta che hal adoperato la mia penna stilografical,, 


674 


(K. Heiligenstadt) 





VOR 50000 JAHREN 


VON KARL LEMKE 


Der Vulkan brach aus. Lava floß als verderb- 
licher Strom zu Tal, Die Menschen flüchteten In die 
Wälder. Großauge, in der Höhle im Berg, konnte 
nicht fliehen. Die Lava versperrte den Ausgang. 
Er zog sich zurück in die Tiefe der Höhle, wohin 
die tödliche Hitze nicht drang, und dachte zu 
sterben. Aber das Feuer im Berg, der große Gott, 
hatte es anders beschlossen. Die Lava umfloß die 
Höhle, verschonte Großauge. 

Als alles vorüber war, der furchtbare Gott be- 
sänftigt, kehrten die Menschen zurück In Ihre Höh- 
len am Fuße des Feuerberges. Sieh da, Großauge 
trat aus einer großen Höhle oben, von der das 
Feuer gekommen! Er lebte, er lächelte! Es war 
ein Wunder, Unten ging der Alltag hin, man ging 
auf die Jagd, sammelte Früchte, — oben lebte 
Großauge. Neben seiner Höhle klaffte der Fels, 
bıannte das ewige Feuer des Vulkans, der Gott. 





Schlefnase sagte zu Schönohr, dem Mädchen: 
„Komm in meine Höhlel' 

Sie schüttelte den Kopf und sah in die Weite. Er 
zeigte auf seine Jagdbeute. „Ich bin stark. Ich 
habe immer viel Fleisch. Komm in meine Höhle.” 
Kopfschütteln. 

„Du bist Schlefnase.” 

Er wußte, daß er häßlich war; er senkte betrübt 
den Kopf, 

Schönohr zeigte nach oben. Vor seiner Höhle 
stand lachend Großauge, 

„Er lebt mit dem Gott”, sagte Schönohr, „er 
spricht mit ihm. Er ist groß und klug.” 
Schiefnase ging grollend. Großauge, ja, Groß- 
auge... Er lebte mit dem Gott. Das Fleisch der 
Tiere veränderte der Gott seltsam, daß es köst- 
lich duftete, Sie brachten ihm das Fleisch der 
erlegten Tiere, daß der Gott es verändere. Groß- 
auge sorgte dafür. Niemand durfte dabei sein. 
Aber sie mußten dafür einen Teil des Fleisches 
dem Gott opfern. Der Gott war gewaltig und 
gütig. Großauge lebte mit Ihm; auch er war 
mächtig. Alle ehrten ihn. Schönohr lächelte ihm 
zu, wenn er vorüberging, 

Schiefnase hielt sich abselts, voll Groll und 
Trauer, Und grübelte. Großauge, dachte er, Groß- 
auge... Er lebt mit dem Gott. Er verändert mit 
ihm das Fleisch der Tiere, daß es köstlich duftet, 
Aber das übrige, das wir opfern müssen, — gibt 
er es wirklich dem Goti? Wie ist dieser Gott? 


u. 


Einmal war Großauge in den Wäldern, obwohl 
"er nicht mehr jagte. Da schlich Schiefnase hin- 
‚auf in die große Höhle, Der Gott, der Gott, — er 
wollte ihn sehen, von fern wenigstens. 
Er sah Ihn, Es war schrecklich. Neben der Höhle 
klaffte der Fels. In dem Spalt saß furchtbar glü- 
hend der Gott, Er grollte dumpf. Schiefnase er- 
bebte in Uberwältigung und Angst. Den Stecken, 
mit dem er aufgestiegen war, warf er dem Gott 
hin. „Da —!” Der Stecken lag zur Hälfte in der 
‚Glut, das Ende flammte weiß flackernd auf, Schief- 
nase starte darauf hin, voll Trauer und bohren- 
der Gedanken. Dann stieg er ab, 
„Komm in meine Höhle”, bat er Schönohr zum 
hundertsten Male. Das Mädchen wandte sich 
achselzuckend ab und lächelte Großauge zu, der 
vorüberging. Schlefnase schlich davon. In seinen 
Augen glomm Haß. Er grübelte, grübelte... 


IV. 


Eines Tages — Großauge war wieder in die 
Wälder gegangen — stieg Schlefnase empor zur 
großen Gott-Höhle. Auf einen langen Stecken 
stützte er sich. 


In der Felsspalte grollte dumpf der Gott. Schief- 
nase aber näherte sich, neugierig und angstvoll, 
Den Stecken streckte er, dem gluthauchenden 
Gott entgegen. Eine weiße Flammenzunge leckte 
an dem Holz empor, das knisterte. 

„Ja, ja“, flüsterte Schiefnase. „Komm in meine 
Höhlel” 

Die Flamme blieb. Schiefnase trug sie an dem 
langen Stecken sorgsam zu Tal. Man floh. Scheue 
Blicke streiften ihn von fern. „Schiefnase trägt 
den Gott!” 


Das alte Lied - La vecchia canzone 





Bald darauf kam der köstliche Duft des göttlich 
veränderten Tierfleisches aus Schiefnases Höhle. 
Die Menschen kamen schnuppernd näher, neu- 
glerig, angstvoll und begehrlich. Schiefnase trat 
stolz lächelnd vor seine Höhle. 

Auch Schönohr kam. Bei den anderen blieb sie 
zögernd stehen. Schiefnase trat zu ihr. 

‘omm in meine Höhle, Der Gott ist in meiner 
hie, Er ist gut. Er'verändert das Fleisch der 
Tiere, Komm In meine Höhlel” 

Ja”, nickte sie und lachte Ihn an. „Ja, ich komme." 
Er schlang den Arm um ihre Schulter, 

„Du bist nicht Schiefnase”, sagte sie zärtlich. „Du 
bist der Kluge.” 

Sie ging mit ihm seiner Höhle zu, Großauge, der 
finsteren Gesichts vorüberging, gab sie keinen 
Blick. 








H. Hövker) 


„Wie wär's, wenn wir auch einmal die Wilsonplatte auflegten? 


=E non vogliamo anche noi far girare una yolta II disco di Wilson?,, 








Verlag und Druck: Knorr & Hirih 


‚mmanditges, 
Vorantwortl, Schriftleiter: Walter Feitzick. München. — Dar Simplicissimus erscheint wöchentlich olnmal. 
anstalten entgogen. — Bozugzpreise: Einzelnummer 30 PI.; Abonn 

Nachdruck ver 





Ischaft, München, Sendlinger Strat 








im Monat RM. 1.20, 


8 (Farnraf 1296). Brlefanschrifi, München 2 BZ, Brieffach. 

Bostollungen nehmen alle Buchhandlungen, Zeilungsgeschäfte und Post- 
=. Unverlangte Einsendungen wor 

boten. — Postscheckkonto München 5920. Erfüllungsort Münchs 





jen nur zurückgesandl, wenn Porto beillogt. — 





Peter von Jugoslawien 


(E. Thöny) 





„Einst spielt" ich mit Zepter, mit Krone und Stern! 


Pietro di Jugoslavia: ''Una volta mi dilettavo con sceitro, corona e stellal,,