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© Depositphotos / chaoss Henning Sonnenschein 09.04.2019 Es ist eine bedrohliche Nachricht: Setzt sich der aktuelle Trend fort, dürften die Alpen-Gletscher bis zum Ende dieses Jahrhunderts nahezu komplett weggeschmolzen sein. Und auch wenn ihre Masse allein zu gering ist, um großen Einfluss auf den Meeresspiegel zu haben, wären die Folgen für Natur und Mensch beträchtlich. Schweizer Forscher haben im Wissenschaftsmagazin The Cryosphere nicht sonderlich überraschende, aber umso düstere Prognosen veröffentlicht: Wenn sich das Klima auf der Erde weiter erwärmt, ist zu erwarten, dass die rund 5.000 Gletscher in den Alpen zu 90 Prozent verschwunden sein werden. Und selbst wenn es gelingen sollte, die Erderwärmung auf weniger als zwei Prozent gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, ist davon auszugehen, dass die Eismassen in dem höchsten europäischen Gebirgen zu zwei Dritteln abschmelzen werden. Außerdem gehen die Wissenschaftler davon aus, dass in den nächsten 30 Jahren unabhängig von der Entwicklung des Klimas 50 Prozent der Gletschermassen verschwinden werden.
Die Folgen in den Alpen sind gleichermaßen offensichtlich und einschneidend: Die Gletschertäler werden sich in öde Gesteinwüsten verwandeln, da kein Schmelzwasser mehr die Pflanzen nährt, die große Gebiete des Hochgebirges in eine vielfältig lebende Landschaft verwandeln. Auch für die dort heimische Tierwelt wird es ungemütlich: Viele Arten werden ihren Lebensraum verlieren, da ihnen schlicht und ergreifend die Nahrung fehlt. Alpen-Gletscher: Auch der Mensch profitiertUnd auch der Mensch wird die Änderung bemerken: Steigen die Temperaturen und verschwinden die Gletscher, tauen auch die sonst gefrorenen Böden auf, was gefährliche Erdrutsche und Gerölllawinen nach sich zieht. Und mindestens genauso gravierend: Die Gletscher in den Alpen stellen mit ihrem Schmelzwasser den Großteil des Trinkwassers in der Alpenregion zur Verfügung — fällt diese Quelle weg, droht akute Wasserknappheit. Alleine der Vernagtferner-Gletscher in Tirol hat in den letzten 20 Jahren 110 Millionen Kubikmeter Wasser eingebüßt — so viel, wie in München in einem Jahr verbraucht wird. Diese Prognosen beziehen sich zwar auf die Alpen-Gletscher. Aber das Problem der Klimaerwärmung und somit der Gletscherschmelze ist ein weltweites: Derzeit verlieren alle Gletscher auf der Erde pro Jahr 335 Milliarden Tonnen Eis — das Dreifache der Masse, die alle Alpen-Gletscher derzeit noch haben. Und in dieser Statistik geht es wohlgemerkt nur um die Gletscher: Die Schmelze der gigantischen Eisschilde auf Grönland und der Antarktis sind dabei noch gar nicht mit eingerechnet. Zum Anstieg des Meeresspiegels trägt außerdem bei, dass sich das Wasser der Ozeane mit steigenden Temperaturen ausdehnt. Der Anteil der Gletscher-Schmelze auf den Anstieg des Meeresspiegels wird auf 25 bis 30 Prozent geschätzt. Geht die Klimaerwärmung weiter wie momentan, wird in 5.000 Jahren die Durchschnittstemperatur auf der Erde von 15 auf 27 °C gestiegen, alles Eis der Erde geschmolzen und der globale Meeresspiegel um mehr als 65 Meter gestiegen sein. Wie sich die Erde dadurch verändern würde, siehst du in diesem Video:
Die FolgenWas bedeuten die Klimaänderung und das Abschmelzen der Gletscher für die Alpen?Im Alpenraum steigt das Gefahrenpotential mit den Temperaturen: Durch das schnelle Abschmelzen der Gletscher werden große Schuttareale, die sogenannten Gletschervorfelder, freigelegt. Das lockere Gestein kann bei Starkregen als Murgang oder Erdrutsch Täler und Siedlungen gefährden. Auch hier bilden neue und schnell ansteigende Gletscherseen eine zunehmende Gefährdung. Gletschersee am Triftgletscher, Schweiz, 2002 und 2006 © GöF Gletschersee oberhalb Macugnaga, Italien, 2002 © GöF Im Sommer 2006 kommt es zu einem Durchbruch eines Gletscherhochwassers mit Murgang im Vadret da l’Alp Ota. Eine Touristin kommt dabei ums Leben. Der Permafrost taut auf: „Vielerorts erreichten die mittlerweile 10–25-jährigen Messreihen neue Höchstwerte. Besonders markant ist die Erwärmung im kalten Permafrost. So ist zum Beispiel die Bodentemperatur am Gipfel des Stockhorns (3400 m) bei Zermatt (VS) von -2.6 im Oktober 2011 auf -2.0 °C im Oktober 2016 angestiegen. In derselben Zeitspanne hat sich der Boden am Nordhang der Pointe des Lapires (2500 m, Nendaz VS) lediglich von -0.15 auf -0.08 °C erwärmt. Dabei ist anzumerken, dass der Permafrost auch einen gewissen Anteil flüssigen Wassers enthalten kann. Als Folge der Erwärmung nimmt dieser Wasseranteil zu, speziell an wärmeren Standorten mit Bodentemperaturen nahe von 0 °C“((www.permos.ch)). Blockgletscher bewegen sich deutlich schneller als vor 20 Jahren Blockgletscher sind talwärts kriechende Schuttmassen, bestehend aus Gesteinsblöcken und Eis. Sie bewegen sich nach wie vor schnell. Die Rekordwerte von 2015 wurden zwar 2016 an vielen Standorten nicht erreicht. Dennoch bewegen sich die meisten Blockgletscher um ein Mehrfaches schneller als vor 20 Jahren, das heisst vielerorts mit mehreren Metern pro Jahr ((www.permos.ch)). Taut das Bodeneis, kommen die Berghänge in Bewegung. Manchmal gleiten sie im Zeitlupentempo zu Tal, aber es kann auch zu plötzlichen Hangrutschungen und Felsstürzen, zu Geröll- und Schlammlawinen kommen. Alle zehn großen Bergstürze der letzten zehn Jahre in der Schweiz haben sich in Permafrostzonen ereignet. ((Interview mit Felix Keller, in: Dolomiten Nr.67, 21.3.01)) Auftauender Permafrost war wahrscheinlich auch ein Auslöser für den katastrophalen Bergsturz im regenreichen Sommer 1987 im Veltlin in den Italienischen Alpen. Bergsturz Bormio, Veltlin, Italien, 1987 © GöF Der Permafrost am Schafberg über dem Ort Pontresina taut auf. Auffangdamm oberhalb Pontresina, Engadin, Schweiz, 2003 © GöF Häufigkeit und Stärke extremer Wettereignisse mit katastrophalen Folgen haben bereits zugenommen: Wurden die Stürme wie „Vivien“ und „Wiebke“ (1991) und , „Lothar“ (1999) noch als „Jahrhundert-Stürme“ bezeichnet, haben sich Sturmstärken in den vergangenen Jahren weltweit verstärkt. Wirbelstürme und orkanartigen Sturmböen mit ungewöhnlich hohen Windgeschwindigkeiten treffen auch den Alpenraum. Schnelle Wechsel zwischen warm und kalt, Winddrift von Schnee und ungewöhnlich starke Schneefälle können Riesenlawinen auslösen – wie 1999 in Galtür im Tiroler Paznauntal, wo 38 Menschen ums Leben kamen. Lawine Valzur, Paznauntal, Österreich, 1999 © GöF Die „Jahrhundert“-Hochwasser, Überschwemmungen und Muren der letzten Jahre Schlammlawine Aostatal, Italien, 2000 © GöF und die grosse Hitzewelle und Trockenheit im Jahr 2003 und im Juli 2006 haben deutlich gemacht, was noch uns bevorsteht. Die Klimaänderung beeinträchtigt das Wasserschloss Europas:
Rhone unterhalb Rhonegletscher bei Gletsch, Schweiz, 2003 © GöF
Die Klimaänderung führt zum Verlust der Artenvielfalt:Schon jetzt steigt die Alpenflora bergauf. Konkurrenzstarke Arten wandern nach oben, während die rare und hochangepasste Hochgebirgsflora in Bedrängnis gerät. Ist der Gipfel des Berges erreicht, gibt es kein weiteres Ausweichen: Pflanzenarten (und Tierarten) sterben aus. Schätzungen gehen davon aus, dass von 400 endemischen (nur hier vorkommenden) Pflanzenarten der Alpen ein Viertel vom Aussterben bedroht ist ((Grabherr, Georg: Klimawandel verändert die Gipfelflora, in: Alpenreport 2)). Alpenflora © GöF Destabilisierte WaldökosystemeHäufigere Wetterextreme destabilisieren Waldökosysteme und vergrößern bereits vorhandene Schäden.Die Bäume und Waldökosysteme sind durch die Luftverschmutzung – vor allem an der Alpennord- und -südkette und entlang der
Transitstrecken – erheblich belastet und geschädigt: siehe auch ((www.waldarchiv.de)).
Besonders Bergwälder sind
gefährdet Bergwald im Dauerstress: Waldschäden und Sturmwurf, Allgäu, Bayern © GöF Waldbrände drohen in den Hitzejahren: 2003 brannten 450 Hektar Berg- und Schutzwald im Wallis Abgebrannter Schutzwald oberhalb Leuk, Wallis, Schweiz, 2003 © GöF Der November 2011 war der trockenste und wärmste seit Beginn der Klimaaufzeichnungen. In der Folge brannten 14 Hektar Bergwald oberhalb des Sylvensteinspeichers bei Bad Tölz. Auch im Winter 2016 brannte wieder Wald –
oberhalb des Walchensees. Diesmal war es Brandstiftung, wobei sich der Waldbrand nur aufgrund der Trockenheit im Winter großflächig ausbreiten konnte. Schutzwald oberhalb Andermatt, Uri, Schweiz, 1998 © GöF Lawinenverbau, St. Anton, 5.1.1998 © GöF Gefährdung des AlpentourismusDie Klimaänderung gefährdet wichtige Grundlagen des Alpentourismus:
Schneekanonen: Bau am Patscherkofel, Betrieb oberhalb Kitzbühl © GöF Madonna di Campiglio, 1997 © GöF Für Skigebiete, die unterhalb 1500 Meter liegen, wird dieser Ausbau außer Schulden und ökologischen Schäden wenig bringen. Die Temperaturen für die künstliche Beschneiung sind schon heute immer häufiger zu hoch. Durch den hohen Wasserverbrauch der Anlagen wird in manchen Gebieten zudem das Trinkwasser im Winter knapp. Für den Bau großflächiger Beschneibecken werden sogar wertvolle Bergwälder gerodet und Moore entwässert. Um den hohen Wasserbedarf zu decken, wird auch Trinkwasser aus dem Tal nachgepumpt. Garmisch, Kreuzwankl, Bau eines Beschneibeckens 2006, 2007 und 2013 © GöF In den höher gelegenen Gebieten sind die ökologischen Folgen von Bauarbeiten und Planierungen für Beschneiung und Pisten noch weit kritischer zu beurteilen ((http://www.goef.de/_media/der_gekaufte_winter_20151212.pdf)). Verlegungsarbeiten für Schneekanonen und Pistenplanierung, Kitzsteinhorn © GöF Sogar Gletscherskigebiete werden künstlich beschneit. Gletscherskigebiet mit Schneekanonen, Hintertux, Tirol, Österreich © GöF Betroffen sind vor allem nahezu unberührte Hochgebirgsregionen. Auch Gletscher werden nicht verschont. Gletscherskigebiete bieten – besonders im Sommer – ein sehr trostloses Bild. Gletscherskigebiet Schneeferner, Zugspitze, Bayern im Sommer 2003 … und im Winter davor. © GöF Neue Gletscher-Eingriffe mit „Zusatz“-Erschließungen und Liftüberbauungen sind geplant. Der bestehende Gletscherschutz wird mit diesen Vorhaben außer Kraft gesetzt s. „Einzelbilder: Weißseeferner“ Kletterrouten Auch das Bergsteigen im Hochgebirge wird gefährlicher. Berühmte Eiswände tauen ab. Nordflanke Jamspitze, Silvretta, Österreich 1929 und 2001 © GöF Hochtouren sind zunehmend durch Steinschlag bedroht und Hütten mussten evakuiert werden, wie die Lobbia-Hütte in der Adamello-Gruppe im Sommer 2003. Gletscherübergänge sind oft nicht mehr möglich. Im Sommer 2003 mussten Bergsteiger am Matterhorn nach einem Bergsturz mit Hubschraubern ausgeflogen werden, und der Mont Blanc war für Bergsteiger wegen akuter Gefährdung gesperrt. Page load linkWarum sind Gletscher so wichtig für die Erde?Insgesamt sind Gletscher (wenn die Eisschilde dazugezählt werden) die größten Süßwasserspeicher der Welt und nach den Ozeanen die größten Wasserspeicher überhaupt. Dadurch ist das Schmelzwasser der Gletscher natürlich ein bedeutender Wasser-Lieferant für viele Flusssysteme und Trinkwasserquellen.
Was passiert wenn Gletscher weg sind?Verschwinden die Gletscher, verschwindet auch ein Teil der Arten. Die steigenden Temperaturen wirken sich aber auch fatal auf die Geologie der Alpen aus. Denn der dauerhaft gefrorene Boden der Alpen wird instabil. Erdrutsche und Bergabgänge sind die Folge.
Ist es schlimm wenn die Gletscher auf der ganzen Welt weiter abschmelzen?Wenn die Gletscher schmelzen, verlieren sie mehr Wasser. Das tun sie aber nur vorübergehend. Langfristig fließt immer weniger Wasser von ihnen ab. Das wird besonders die Bewohner der Anden und des Himalaja sowie angrenzender Regionen in Schwierigkeiten bringen.
Können Gletscher wieder wachsen?Tatsächlich ist an einigen Gletschern ein Massenzuwachs zu beobachten – doch das sind Einzelfälle. Insgesamt betrachtet zieht sich die große Mehrzahl der weltweit rund 200.000 Gletscher zurück, und seit Mitte der 1970er Jahre beschleunigt sich diese Entwicklung.
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