Wie viele Kernkraftwerke werden weltweit gebaut?

Die Katastrophe von Tschernobyl ereignete sich in einem Kernkraftwerk in der Ukraine, mehr als tausend Kilometer von Deutschland entfernt. Unter den Auswirkungen leiden die Menschen und die Natur noch Jahrzehnte danach – und zwar nicht nur vor Ort. Heute werden weltweit rund 450 Atomkraftwerke betrieben. In vielen von ihnen ereigneten sich in der Vergangenheit mehr oder weniger gravierende Störfälle – angeführt vom GAU in Fukushima 2011.

Auch Deutschland bezieht etwa ein Viertel seines Strombedarfs aus der Atomkraft, betreibt dazu an rund 10 Standorten Kernkraftwerke und lagert an rund 20 Orten den bei der Produktion angefallenen radioaktiven Müll. Einen Überblick über wichtige Themen rund um die Kernkraft vermitteln Texte, Karten und interaktive Simulationen.

Wie viele Kernkraftwerke werden weltweit gebaut?

Kernkraftwerk Gundremmingen in Bayern RWE Bild in Detailansicht öffnen

Tschernobyl SWR - Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Tschernobyl – Chronik einer Katastrophe

Der Super-GAU in Tschernobyl

Wie viele Kernkraftwerke werden weltweit gebaut?

Der zerstörte Reaktorblock 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl SWR – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Der Sarkophag um Block 4 www.colourbox.com Bild in Detailansicht öffnen

Als sich im Atomkraftwerk von Tschernobyl der weltweit gefürchtete Super-GAU (GAU = größter anzunehmender Unfall) ereignete, war der Reaktor des Blocks 4 gerade einmal zwei Jahre in Betrieb. In der damaligen Sowjetunion wurde er als Musteranlage gepriesen – obwohl Fachleuten etliche Mängel durchaus bewusst waren. Im Westen war über die Funktionsweise dieses graphitmoderierten Siedewasserreaktors nur wenig bekannt. Aus gutem Grund, denn die Atommeiler von Tschernobyl waren nicht nur für die Stromerzeugung, sondern für die Gewinnung von waffenfähigem Plutonium gebaut worden. Noch Jahre nach der Katastrophe wurden die Abläufe und die Fehler mühsam rekonstruiert. Vor dem Ende der Sowjetunion fehlten im Westen nicht nur die technischen Kenntnisse, sondern auch die Informationen, die seitens der UdSSR nur zögerlich flossen. Später stellte sich heraus, dass auch die Abläufe am 26. April nicht lückenlos dokumentiert worden waren. Manche Einzelheiten werden vermutlich nie geklärt werden.

Deutsche Politiker wurden in den Wochen nach der Katastrophe nicht müde zu erklären, dass sich bei uns ein Unfall in dieser Form nicht ereignen könne. Das kann er in der Tat nicht, denn auch wenn es in westlichen Staaten graphitmoderierte Reaktoren gab und gibt, sind diese anders konstruiert als die sowjetischen Reaktoren des Typs RBMK. Partielle Kernschmelzen gab es jedoch auch im Westen bei verschiedenen Reaktortypen. Überdeutlich wurde direkt nach Tschernobyl, dass alle betroffenen Staaten mit der Bewältigung der Folgen überfordert waren. In Deutschland gab es weder einheitliche Grenzwerte noch einen funktionierenden Datenaustausch oder einheitliche Empfehlungen für die Bevölkerung.

Die Tatsachen, dass der statistisch so unwahrscheinliche Fall eines GAUs eingetreten war, dass die Radioaktivität an Grenzen nicht halt macht und dass die Technik nicht zu 100 Prozent beherrschbar ist, entfachten weltweit eine neue Diskussion um die Atomkraft.

Die zeitliche Abfolge

Freitag, 25. April 1986 – die Testvorbereitung

In Block 4 soll getestet werden, ob bei einem Stromausfall und der Abschaltung des Reaktors die Rotationsenergie der Turbinen ausreicht, um Strom für die Kühlwasserpumpen zu liefern, bis die Notstromaggregate angelaufen sind. Testbeginn ist um 13 Uhr. Die Reaktorleistung wird reduziert, das Notkühlsystem wird entsprechend der Testprozedur ausgeschaltet.

Um 14 Uhr muss der Test unterbrochen werden, weil aus Kiew Strom angefordert wird. Die Notkühlsysteme bleiben ausgeschaltet.

Kurz nach 23 Uhr beginnt der Test erneut, allerdings nach dem Schichtwechsel mit ganz anderem Personal. Der Reaktor soll auf 25 Prozent seiner Leistung abgefahren werden.

Samstag, 26. April 1986 – der Unfall

Um 0.28 Uhr fällt die Leistung des Reaktors aus bis heute ungeklärten Gründen auf ein Prozent. Unterhalb von etwa 20 Prozent Leistung kann der Reaktor nicht mehr sicher gesteuert werden und müsste eigentlich abgeschaltet werden. Stattdessen fährt die Bedienmannschaft die Steuerstäbe (auch „Bremsstäbe“ genannt) aus dem Reaktorkern aus, um so die Leistung zu steigern.

Eine halbe Stunde später läuft der Reaktor wieder, jedoch nur bei rund sieben Prozent seiner Nennleistung. Für den Test werden etliche Sicherheitssysteme abgeschaltet, nur vier von acht Kühlpumpen sind eingeschaltet. Zu Beginn des Tests sind außerdem zu viele Steuerstäbe aus dem Reaktorkern ausgefahren.

Kurz nach Testbeginn um 1.23 Uhr steigt nach dem Schließen der Turbinenschnellschlussventile die Temperatur des Kühlmittels und damit der Druck. 36 Sekunden nach Testbeginn versucht der Schichtleiter eine Notabschaltung.

Diese besiegelt das Schicksal des Reaktors. Grund dafür ist ein Konstruktionsfehler: Beim Einfahren drücken die Steuerstäbe Graphitelemente durch den – ohnehin schon instabilen – Reaktorkern und verstärken so die Kettenreaktion. Innerhalb von Sekunden kommt es zu einem Leistungsanstieg auf das 100-Fache. Durch die enorme Hitze bersten die Druckröhren, ein Teil des Brennstoffs zerreißt in winzige Stücke. Das Kühlwasser im Reaktor verdampft schlagartig.

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Die erste Aufnahme des zerstörten und brennenden Reaktors SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Erst eineinhalb Tage nach dem Unglück werden die Bewohner von Pripjat evakuiert SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Sogenannte Liquidatoren werden zu Aufräumarbeiten auf das verstrahlte Gelände geschickt SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Im Abstand von wenigen Sekunden kommt es zu zwei Explosionen, wobei das Dach des Reaktorgebäudes weggesprengt wird. Durch das offene Dach gelangt Luft in den Reaktor und das heiße Grafit gerät in Brand. Rauch steigt kilometerhoch in die Atmosphäre und reißt große Mengen radioaktiven Staub mit sich.

Der Reaktorkern wird zerstört, was vermutlich die Ursache für die Beendigung der Kettenreaktion ist.

Ein Teil der zerstörten Graphitblöcke wird bei den Aufräumarbeiten außerhalb des Reaktorgebäudes gefunden. Dieses hochradioaktive Material wird später von den sogenannten Liquidatoren in den zerstörten Reaktor zurückgeworfen.

Um 5 Uhr sind die Brände außerhalb des Reaktorgebäudes gelöscht. Der Versuch, das Innere des brennenden Reaktors mit Wasser zu kühlen, schlägt fehl. Stattdessen läuft kontaminiertes Wasser aus dem Gebäude.

Inzwischen hat die Strahlung im drei Kilometer entfernten Pripjat das 600.000-fache des normalen Werts erreicht und steigt weiter an.

27. April 1986 - der Brand

Am Tag nach der Katastrophe sind die drei weiteren Tschernobyl-Blocks abgeschaltet. 2700 Busse evakuieren die Einwohner von Pripjat. Aus 80 Hubschraubern werden Blei, Sand, Lehm, Dolomit und Borkarbid in den Reaktor geworfen, um den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Ein gegenteiliger Effekt tritt ein: Die Temperatur steigt. Selbst in 200 Metern Höhe herrschen bis zu 180 Grad Celsius. Die radioaktive Strahlung dort ist so hoch, dass sie nicht mehr gemessen werden kann.

Noch während des Brands schickt die sowjetische Regierung sogenannte „Liquidatoren“ für Aufräumarbeiten auf das Gelände. Nach zehn Tagen gelingt es schließlich, Stickstoff in das Reaktorgebäude zu blasen. Erst am 6. Mai ist der Brand gelöscht und die Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Atmosphäre gestoppt.

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Die radioaktive Wolke breitet sich über ganz Westeuropa aus SWR - Screenshot aus der Sendung

28. April 1986 – Alarm in Schweden

Auch zwei Tage nach der Katastrophe wissen die westlichen Staaten Europas nichts von den Ereignissen. Erst als die radioaktive Wolke in Schweden ankommt und im Kernkraftwerk Forsmark, nördlich von Stockholm, Alarm ausgelöst wird, keimt der Verdacht, es könne einen Unfall gegeben haben. Noch am gleichen Tag verbreitet die staatliche sowjetische Nachrichtenagentur TASS eine Kurzmeldung zu einem Unfall in Tschernobyl. Einen Tag später erreicht die radioaktive Wolke Deutschland. In den folgenden Tagen fällt radioaktiver Regen auf Westeuropa.

Die Wahrheit über Tschernobyl kommt scheibchenweise ans Licht. Während der Westen anhand von Satellitenaufnahmen rätselt, ob ein oder zwei Reaktoren brennen, erfahren die Bewohner des größeren Umkreises um Tschernobyl zunächst nichts. Lediglich die direkte Umgebung des Atomkraftwerks wird in einem 30-Kilometer-Radius nach und nach evakuiert. Eine Woche nach der Explosion erscheint eine kurze Meldung über den Unfall in der sowjetischen Prawda.

Von zwei Toten ist zunächst die Rede, dann von 154 Verletzten. Das wahre Ausmaß wird erst Jahre später klar.

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Grafik: Der geschmolzene Kernbrennstoff droht, sich durch den Boden zu fressen SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Grafik: Der geplante Tunnel unter den Reaktor SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Bergarbeiter graben einen Tunnel unter den Reaktor SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Mit primitivsten Mitteln räumen Männer hochradioaktives Material vom Dach SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

5. Mai

Die Stadt Tschernobyl und die umliegenden Ortschaften werden evakuiert. Das Gebiet im Umkreis von 30 Kilometern um das Kernkraftwerk wird zur Sperrzone erklärt. In Tschernobyl steigt die Radioaktivität weiter. 6000 Tonnen Sand und Borsäure haben den Reaktor zugeschüttet, doch auf dem Grund glüht weiterhin der Kernbrennstoff. Es besteht die Gefahr einer Kettenreaktion. Um den Reaktor abzudichten und die Temperatur zu senken, werden 2400 Tonnen Blei in den Reaktor geworfen. Der geschmolzene Kernbrennstoff droht durch den Boden des Kraftwerks ins Grundwasser zu sickern.

13. Mai

Einen Monat lang graben Tausende Bergleute einen Tunnel für ein Kühlsystem unter dem Reaktor, das jedoch nie eingebaut wird. Stattdessen wird der Raum mit Beton gefüllt, um das Gebäude zu stabilisieren.

14. Mai

Präsident Gorbatschow wendet sich über das Fernsehen an die Bevölkerung. Das ganze Land wird mobilisiert. Im Lauf des Jahres 1986 werden 100.000 Soldaten nach Tschernobyl geschickt. Zusammen mit den 400.000 – 900.000 Zivilisten (genaue Zahlen gibt es nicht) haben sie als sogenannte Liquidatoren die Aufgabe, die Radioaktivität zu beseitigen. Hubschrauber werfen eine klebrige Flüssigkeit ab, die den radioaktiven Staub binden soll. Liquidatoren-Brigaden entfernen die radioaktive Staubschicht, die alles bedeckt.

Juli 1986

Rund um das Reaktorgelände werden Trümmer und kontaminierte Erde vergraben. Ein enormer Sarkophag wird gebaut, der den Reaktor völlig ummanteln soll.

September 1986

Auf dem Dach des Kraftwerks werden die kontaminierten Grafikbrocken beseitigt. Aufgrund der hohen Radioaktivität versagen die ferngesteuerten Maschinen. Soldaten übernehmen ihre Arbeit: Maximal 45 Sekunden darf ein Einsatz dauern, bevor die zulässige Strahlendosis überschritten ist.

November 1986

Das Gelände ist gesäubert, der Sarkophag fertiggestellt. Die Reaktoren 1 bis 3 sind wieder in Betrieb.

Die gesundheitlichen Folgen

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Eine radioaktive Verbrennung an einem Bein wird behandelt SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Nach Tschernobyl kommt es zu mehr Missbildungen bei Kindern SWR –Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Bis heute ist nicht bekannt, wie viele der sogenannten Liquidatoren in Tschernobyl im Einsatz waren. Es kursieren Zahlen von 500.000 bis zu 1,2 Millionen. Diejenigen, die direkt nach dem Unglück im Einsatz waren, wurden den höchsten Strahlendosen ausgesetzt. Nach Angaben der ukrainischen Gesundheitsbehörde sind inzwischen etwa 15.000 Liquidatoren gestorben, nach Angaben der Armee sind es mehr als 20.000; über 90 Prozent sollen erkrankt sein. Da es zu den Männern und Frauen, die im Einsatz waren, zum Teil keinerlei Unterlagen gibt, wird es wohl auch künftig reine Spekulation bleiben, welche Folgen die Strahlenbelastung bei ihnen hatte und hat.

Aus der direkten Umgebung des Reaktors werden über 300.000 Menschen umgesiedelt. Sie sind in den ersten Tagen nach dem Unglück Strahlendosen ausgesetzt, die etwa über dem 150-fachen der natürlichen Strahlung liegen. Um das AKW wird eine 30 Kilometer breite Sperrzone gezogen, die aufgrund der Verstrahlung unbewohnbar ist. Insgesamt wurde eine Landfläche von schätzungsweise 200.000 Quadratkilometern verseucht, 70 Prozent davon in der Ukraine, in Weißrussland und Russland (zum Vergleich: Deutschland hat eine Fläche von ca. 350.000 Quadratkilometern).

Nach dem GAU von Tschernobyl stiegen vor allem bei Kindern und Jugendlichen die Fälle von Schilddrüsenkrebs – eine unbestrittene Folge des Reaktorunglücks. Deutlich zugenommen haben in den großflächig verstrahlten Regionen die Fälle von Leukämie, Brustkrebs und weiteren Krebserkrankungen. Zudem werden wesentlich mehr genetische Schädigungen und eine höhere Säuglingssterblichkeit festgestellt. Auch in Westeuropa stiegen die Zahlen, wenn auch nicht so stark wie in der ehemaligen Sowjetunion. Erkrankungen in Folge der Reaktorkatastrophe wird es vermutlich noch mehrere Generationen lang geben.

Auch bei den gesundheitlichen Folgen gehen die Zahlen weit auseinander: Das Tschernobyl-Forum von Internationaler Energieorganisation, Weltgesundheitsorganisation und UN rechnete 20 Jahre nach dem Unfall mit 4000 Todesfällen. Die Organisation „Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ geht davon aus, dass mindestens 50.000 Menschen allein an Schilddrüsenkrebs erkranken werden.

Wie viele Menschen als Folge der Tschernobyl-Katastrophe sterben und erkranken werden, wird mit Sicherheit nie geklärt: Es fehlen genaue Daten zur radioaktiven Belastung der Bevölkerung direkt nach dem Unglück ebenso wie Informationen zur Bevölkerung oder den eingesetzten Liquidatoren. Einige Zahlen aus der Ukraine lassen aber das wahre Ausmaß ahnen: 2005 waren dort bereits 17.500 Todesfälle als direkte Folge von Tschernobyl anerkannt worden. Erschreckend auch eine Zahl zur Immundefiziten bei Kindern: Vor Tschernobyl galten 20 Prozent der Kinder in den später verseuchten Regionen als krank, 80 Prozent als gesund. Heute ist das Verhältnis umgekehrt.

STAND7.12.2022, 11:29 UhrAutor/inMartina FrietschDaniela Hindemith

Risiko Atomkraft - Störfälle in aller Welt

Ereignet sich eine Störung, ein Störfall oder ein Unfall in einem Atomkraftwerk, werden solche Ereignisse von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) auf der sogenannten „INES“-Skala (International Nuclear and Radiological Event Scale) bewertet. Diese reicht von Stufe 0 – sehr gering bis zu Stufe 7 – katastrophaler Unfall. Ab INES 4 gelten Störungen als Unfälle. Die nachfolgend kurz beschriebenen Unfälle gehören zu den schwersten, die bekannt sind.

Fukushima, Japan

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Animation: Kernschmelze SWR – Screenshots aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Fukushima, Japan: Nach einem verheerenden Erdbeben geraten mehrere Akws außer Kontrolle, es droht der Super-GAU www.colourbox.com Bild in Detailansicht öffnen

Am 11. März 2011 ereignet sich eines der schwersten Erdbeben, die es je gab. Im Nordosten Japans wird die Stärke 9,0 gemessen. Dem Beben folgt eine rund zehn Meter hohe Tsunamiwelle, die ganze Landstriche völlig verwüstet und Tausende Menschenleben kostet. Der Naturkatastrophe folgt die nukleare Katastrophe: Mehrere Atomreaktoren des AKWs Fukushima I geraten außer Kontrolle – Japan steht kurz vor einem Super-GAU.

Nur wenige Minuten nach den Erdstößen schalten sich im AKW Fukushima I drei Reaktoren, die gerade in Betrieb sind, automatisch ab. Der Tsunami überspült jedoch auch das Gelände des Kraftwerks, das direkt am Pazifik liegt, und beschädigt das Kühlsystem. Einen Tag später zerstört eine Explosion das Reaktorgebäude von Block 1, die Sicherheitshülle des Reaktors scheint intakt geblieben zu sein. Der Reaktor, in dem die Kernschmelze bereits eingesetzt hat, wird mit Meerwasser geflutet, um zu verhindern, dass die Kettenreaktion außer Kontrolle gerät. Das radioaktiv verseuchte Wasser, das zur Kühlung eingesetzt wird, wird danach direkt ins Meer zurückgeleitet.

Drei Tage nach dem Erdbeben kommt es auch in Block 3 zu einer Explosion, einen Tag später in Block 2. Da weder die reguläre Kühlung noch die Notkühlung funktionieren, wird bei allen sechs Blöcken des AKW Fukushima I eine Kernschmelze befürchtet. Wie stark die einzelnen Reaktorblöcke wirklich beschädigt sind, lässt sich nicht mehr feststellen. Sicher ist jedoch: Die Radioaktivität in der Umgebung des Reaktors ist sehr stark erhöht. Fast das gesamte Personal muss aus Fukushima abgezogen werden, die Situation am AKW gerät völlig außer Kontrolle. Fünf Tage nach dem Unfall werfen Hubschrauber Wasser ab, um die überhitzten Reaktoren von oben zu kühlen. Zur gleichen Zeit werden am Boden Wasserwerfer eingesetzt.

Erst sieben Tage nach dem Erdbeben zeigen sich erste Erfolge. Zu diesem Zeitpunkt sind die Gebäude der Blöcke 1-4 bereits völlig zerstört. Die Menschen im Umkreis von 20 Kilometern sind evakuiert worden. Eine sehr stark erhöhte Radioaktivität wird jedoch bereits in einem viel weiteren Radius gemessen. Auch im über 200 Kilometer südlich gelegenen Tokio werden erhöhte Werte registriert. Genau einen Monat nach Erdbeben und Tsunami erklärt die japanische Regierung die Katastrophe von Fukushima zum nuklearen Unfall auf Stufe 7 der INES-Skala – exakt 25 Jahre nach Tschernobyl ist dies der zweite katastrophale Unfall, der sich weltweit in einem Atomkraftwerk ereignet.

Japan hat insgesamt 55 Atomkraftwerke. Auch in weiteren Anlagen kam es in Folge des Erdbebens zu erheblichen Problemen mit den Kühlsystemen, in einem AKW brach ein Brand aus. Angesichts der Dramatik in Fukushima I gerieten diese Fälle jedoch völlig in den Hintergrund.

Die Ereignisse von Japan lösten weltweit eine neue Debatte um die Sicherheit der Kernkraft aus. In mehreren Ländern wird seither über die Abschaltung bestehender Anlagen oder den Stopp für neu geplante AKWs diskutiert.

Stufe 7 – katastrophaler Unfall

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Der Sarkophag um Block 4 www.colourbox.com

Tschernobyl, Ukraine

Der bis 2011 einzige Unfall, der als katastrophal eingestuft wurde und allgemein als Super-GAU bezeichnet wird, ereignete sich am 26. April 1986 in Tschernobyl. Bei dem Unfall kam es zur Kernschmelze und zu mehreren Explosionen, durch die große Mengen Radioaktivität in die Atmosphäre gelangten. Die direkte Umgebung des AKWs wurde sehr stark verstrahlt, eine radioaktive Wolke breitete sich über mehrere tausend Kilometer aus und sorgte auch in Westeuropa für eine erhöhte Strahlenbelastung. Wie viele Menschenleben die Katastrophe von Tschernobyl gekostet hat und wie viele sie über die Generationen, die an den Spätfolgen leiden, noch kosten wird, kann allenfalls grob geschätzt werden. Bereits 1982 war es im benachbarten Block 1 des Atomkraftwerks zu einem schweren Unfall der Stufe 5 gekommen.

Stufe 6 – schwerer Unfall

Majak, UdSSR

Ein Unfall, der erst nach dem Ende des Kalten Krieges bekannt wurde, war der Unfall in der Wiederaufbereitungsanlage von Majak. Rund 1700 Kilometer östlich von Moskau, im Ural, wurde waffenfähiges Plutonium produziert. Am 29. September 1957 explodierte in der Anlage ein Tank mit 80 Tonnen heißer und hoch radioaktiver Flüssigkeit. Die freigesetzte Strahlung soll zwei- bis sechsmal so hoch gewesen sein wie nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Die Sowjetunion hielt den Unfall in der hermetisch abgeriegelten Stadt Tscheljabinsk über Jahrzehnte streng geheim. Heute ist die Gegend rund um Tscheljabinsk so stark verseucht, dass 150 Quadratkilometer als Sperrgebiet gelten.

Stufe 5 – ernster Unfall

Chalk River, Kanada

Am 12. Dezember 1952 kam es im kanadischen Forschungsreaktor der Chalk River Laboratories zum ersten als „ernst“ eingestuften Unfall. Eine Verkettung von Fehlbedienungen, falschen Anzeigen und Irrtümern führte zu einer partiellen Kernschmelze. Mehrere Millionen Liter Kühlwasser liefen in das Reaktorgebäude.

Windscale/Sellafield, Großbritannien

Der Brand im britischen Kernkraftwerk Windscale (später umbenannt in Sellafield) gehört zu den bekanntesten Unfällen weltweit. Am 7. Oktober 1957 geriet einer der beiden Reaktoren außer Kontrolle, das Grafit des Reaktorkerns begann zu brennen, Radioaktivität gelangte ungehindert nach außen und verseuchte mehrere Hundert Quadratkilometer Land. Es dauerte mehrere Tage, bis das Feuer schließlich mit Wasser gelöscht werden konnte. Glück im Unglück, denn der Löschversuch mit Wasser hätte ebenso gut zur Explosion führen können. Nach dem Unfall wurden beide Reaktoren stillgelegt. Am Rückbau wird noch heute gearbeitet.

In Sellafield befindet sich heute eine Wiederaufbereitungsanlage, in der es 1973 zu einem Unfall kam, bei dem 35 Arbeiter radioaktiv verstrahlt wurden.

Simi Valley, Kalifornien, USA

Der Unfall im natriumgekühlten Schnellen Brüter des Santa Susana Field Laboratory am 26. Juli 1959 zählt zu den weniger bekannten Zwischenfällen. Durch verstopfte Kühlkanäle kam es zur Schmelze von 13 der insgesamt 43 Brennelemente. Der Reaktorkern selbst blieb intakt; die radioaktiven Gase wurden in die Luft abgegeben.

Lucens, Schweiz

Beim Versuchsreaktor in Lucens, der im Jahr 1968 nur einmal kurzzeitig in Betrieb genommen worden war, kam es am 21. Januar 1969 beim Wiederanschalten zu einer teilweisen Kernschmelze. Grund dafür waren eine defekte Gebläse-Dichtung und Korrosionen durch austretendes Kühlmittel. Durch Überhitzung gerieten mehrere Brennstäbe in Brand, es trat Schweres Wasser aus. Die verstrahlten Trümmerteile des Reaktors wurden 2003 ins Zwischenlager Würenlingen gebracht.

Leningrad, Sowjetunion

Im Jahr 1974 ereigneten sich gleich zwei schwere Unfälle: Am 6. Februar brach in Block 1 ein Wärmetauscher. Drei Arbeiter starben. Im Oktober wurde bei einem weiteren Unfall der Reaktorkern teilweise zerstört. Beide Male wurden große Mengen radioaktiver Substanzen an die Umwelt abgegeben.

Belojarsk, Sowjetunion

Auch in Block 2 des Druckröhrenreaktors kam es in kurzer Folge zu zwei schweren Unfällen: 1977 schmolz die Hälfte der Brennstoffkanäle; Mitarbeiter des AKWs wurden hohen Strahlungen ausgesetzt. Ein Jahr später verursachte eine heruntergestürzte Deckenplatte einen Großbrand. Bei den Löscharbeiten wurden acht Arbeiter verstrahlt.

Three Mile Island, Pennsylvania, USA

Am 28. März 1979 kam es zum bislang schwersten Unfall bei einem kommerziellen Reaktor in den USA. Das Versagen von zwei Hauptspeisepumpen, ein nicht funktionierendes Sicherheitsventil im Primärkreislauf, fehlerhafte Kontrollanzeigen sowie zahlreiche Bedienungsfehler sorgten für den Ausfall der Reaktorkühlung und führten zur teilweisen Kernschmelze. Nach dem Unfall wurden große Mengen radioaktiver Gase in die Luft abgelassen.

Tōkai-mura, Japan

Um die Bewertung der Schwere des Unfalls in der Brennelemente-Fabrik von Tōkai-mura am 30. September 1999 wird bis heute gestritten. Durch das Überfüllen eines Vorbereitungstanks mit Urangemisch kam es zu einer unkontrollierten Kettenreaktion, der Tank blieb jedoch intakt. Drei Arbeiter wurden schwer verstrahlt, ein vor ihnen starb. Weitere Mitarbeiter der Brennelemente-Fabrik waren ebenfalls einer erhöhten Strahlung ausgesetzt. Die Bevölkerung von Tōkai-mura, rund 130 Kilometer nördlich von Tokio, durfte die Häuser nicht verlassen.

Störfälle in Deutschland

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Greifswald 1975: der schwerste Unfall in einem Atomreaktor auf deutschem Boden BMU/Brigitte Haas

Stufe 4: Greifswald

Der schwerste Unfall, der sich je in einem deutschen Atomreaktor ereignete und wurde von der Internationalen Energie-Organisation mit INES-Stufe 4 bewertet: Am 7. Dezember 1975 brach in Block 1 des AKWs Greifswald ein Kabelbrand aus, der Reaktor konnte nicht mehr richtig gekühlt werden. Da der Brand schnell unter Kontrolle gebracht wurde, konnte ein schlimmerer Unfall verhindert werden.

Stufe 2: KKU Unterweser

6. Juni 1998: Eine Störung in einer Dampfturbine löst die Schnellabschaltung des Reaktors aus. Der Vorfall wurde „Aufgrund der Nichtverfügbarkeit einer Sicherheitsteileinrichtung, wegen offensichtlicher Mängel in den administrativen Regelungen und in der Kontrolle des Anlagenzustandes“ (Jahresbericht des BMU) in INES-Stufe 2 eingeordnet.

Stufe 2: KKP2 Philippsburg

10. August 2001 und 27. August 2001: Gleich zweimal geriet Block2 des Kernkraftwerks Philippsburg in kürzester Zeit mit Störungen in INES-Meldestufe 2. Beim Anfahren des Reaktors nach der Jahresrevision war in allen vier Flutbehältern der Füllstand unterschritten – um bis zu 3,30 Meter. Diese Abweichung von den Betriebsvorschriften war kein Einzelfall, sondern über Jahre hinweg so gehandhabt worden.

Beim Auffüllen der Flutbehälter wurde dann die nötige Borkonzentration unterschritten, was zum nächsten Ereignis der INES-Stufe 2 führte. Drei der vier Flutbehälter waren davon betroffen, sie galten beim Wiederanfahren der Anlage als ausgefallen.

INES-Skala der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO)

Wenn es um die Bewertung eines Stör- oder Unfalls geht, ist die Einstufung auf der INES-Skala zwischen IAEO und Wissenschaftlern oft umstritten. Die INES-Skala ist außerdem kein Indikator für den Zustand oder Sicherheitsstandards von AKWs, ermöglicht also keinen Vergleich.

Die meisten Störungen, die von deutschen AKWs gemeldet werden, bewegen sich auf der Skala auf Stufe 0 oder Stufe 1 – also maximal „Abweichung vom normalen Betrieb“. Dabei kann es sich durchaus um Störungen wie Brände (Krümmel 2007) oder Lecks im Kühlmittelkreislauf (Biblis 1987, Brunsbüttel 2001) handeln.


Stufe 7
Katastrophaler Unfall - schwerste Freisetzung von Radioaktivität; großflächige Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit

Stufe 6
Schwerer Unfall – erhebliche Freisetzung von Radioaktivität; voller Katastrophenschutz im Einsatz

Stufe 5
Ernster Unfall – begrenzte Freisetzung von Radioaktivität; schwere Schäden am Reaktorkern

Stufe 4
Unfall - geringe Freisetzung von Radioaktivität; schwere Verstrahlung des Personals

Stufe 3
Ernster Störfall – sehr geringe Freisetzung von Radioaktivität; gesundheitliche Schädigung des Personals

Stufe 2
Störfall – keine Freisetzung von Radioaktivität außerhalb, aber: Personal ist Strahlung ausgesetzt; Ausfall von Sicherheitsvorkehrungen

Stufe 1
Störung – Abweichung vom Normalbetrieb

Stufe 0
Ereignis mit geringer/null sicherheitstechnischer Bedeutung

STAND7.12.2022, 11:29 UhrAutor/inMartina Frietsch

Deutsche Reaktionen auf Tschernobyl

Bundesrepublik

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Die radioaktive Wolke breitet sich über ganz Westeuropa aus SWR - Screenshot aus der Sendung

Als am 26. April 1986 im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl ein Reaktor explodierte, herrschte seitens der UdSSR zunächst Stillschweigen. Als die radioaktive Wolke zwei Tage später Finnland und Schweden erreichte, hatten schwedische Wissenschaftler zunächst einen ihrer eigenen Atommeiler, Forsmarck, in Verdacht, bis klar wurde, dass die Ursache in der Ukraine liegen musste. Erst als schwedische Regierungsstellen bei der Sowjetunion auf Auskunft drängten, kam von dort die erste zögerliche Meldung. In einem Kernkraftwerk nahe Kiew habe es eine Havarie gegeben, so die dürre Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur "TASS". Zu Ursache und Zeitpunkt war nichts zu erfahren.

„Eine Gefährdung ist absolut auszuschließen“

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Der zerstörte Reaktorblock 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl SWR – Screenshot aus der Sendung

Auch als die Explosion des Reaktors in der Bundesrepublik bekannt wurde, rechneten offizielle Stellen nicht damit, dass sich die radioaktive Wolke so weit ausbreiten würde. Der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, zuständig für Umweltfragen, betonte noch am 29. April in einem Interview der Tagesschau, eine Gefährdung sei "absolut auszuschließen, denn Gefährdung besteht nur in einem Umkreis von 30 bis 50 Kilometern um den Reaktor herum. Dort ist sie hoch. Wir sind 2000 Kilometer weit weg." Einen Tag später ließ auch die baden-württembergische Landesregierung verlauten, es bestehe keine Gefahr (Stuttgarter Zeitung, 10. Mai 1986). Zu diesem Zeitpunkt hatte die radioaktive Wolke Deutschland bereits erreicht.

Warnung vor Gemüse, Milch und Regen

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Nach Tschernobyl radioaktiv belastet und nicht essbar: Salat colourbox (1); Public Domain (1); Montage: Frietsch Bild in Detailansicht öffnen

Je nach Region bis heute belastet: Pilze colourbox (1); Public Domain (1); Montage: Frietsch Bild in Detailansicht öffnen

Auch Wildschweine sind noch heute zu hoch belastet www.colourbox.com (1); Public Domain (1); Montage: Frietsch Bild in Detailansicht öffnen

Die folgenden Wochen waren von Hilflosigkeit auf Seiten der Politik und Verunsicherung seitens der Bevölkerung geprägt. Auf ein Szenario wie nach Tschernobyl war keiner vorbereitet, der Regierung fehlte jegliches Instrumentarium.

In der Bundesrepublik gab es 1986 weder einheitliche Richtlinien für die Grenzwerte, beispielsweise bei Lebensmitteln, noch eine Struktur für den Informationsaustausch, um mit den Folgen eines derartigen Unglücks umgehen zu können.

Erste Warnungen betrafen Milch vom Bauern und Blattgemüse. Während beispielsweise in Bayern gewarnt wurde, beruhigte das Sozialministerium in Baden-Württemberg: Hausfrauen sollten Blattgemüse nur "etwas gründlicher waschen als sonst" (Stuttgarter Zeitung, 3.5.96). In Berlin riet die BZ ihren Lesern, Obst und Gemüse lauwarm zu waschen. Zur gleichen Zeit wollte die Berliner Ausgabe der „Bild“ gar erste Atomflüchtlinge ausgemacht haben. Wenige Tage später wurde tonnenweise Gemüse beschlagnahmt und vernichtet.

Kinder durften nicht mehr in Sandkästen spielen, Hautkontakt mit dem Boden sollte vermieden werden. Klassenfahrten in die DDR und andere Ostblock-Staaten wurden abgesagt. In Hessen wurden teilweise Spielplätze, Sport- und Freizeitanlagen geschlossen. Hamburg riet seinen Bürgern, bei Regen nicht nach draußen zu gehen. Nordrhein-Westfalen gab eine Empfehlung, nach der Schwangere und Kleinkinder auf Frischmilch und Frischmilchprodukte verzichten sollen. Niedersachsen erklärte, die Bauern sollten Blattgemüse einfach unterpflügen. Kleingärtnern wurde geraten, die oberste Bodenschicht einige Zentimeter abzutragen. Bauern mussten ihr Milchvieh von der Weide holen.

Am 23. Mai gaben etliche Landesregierungen wieder Entwarnung - Gemüse könne jetzt wieder bedenkenlos gegessen werden. Krisenstäbe wurden gebildet und wieder aufgelöst. Die radioaktive Wolke hatte vor allem Jod 131 nach Deutschland getragen, das eine Halbwertszeit von rund 8 Tagen hat und somit nach einigen Wochen vollständig verschwunden war.

Binnen kurzer Zeit nach Eintreffen der radioaktiven Wolke über Deutschland gab es einen Ansturm auf Jod-Tabletten als Mittel gegen die Einlagerung von radioaktivem Jod in der Schilddrüse. Noch im Juni warnten Wissenschaftler vor Wild-, Schaf- und Ziegenfleisch, ebenso vor freilaufendem Geflügel und Milch. Durch das Unterpflügen, so eine der Begründungen, sei Cäsium 137 in den Boden geraten und von dort gerate es über Futterpflanzen wieder in den Nahrungskreislauf. Für Lebensmittel wie Milch, Obst Fleisch und Gemüse aus Polen und der Sowjetunion gab es Einfuhrbeschränkungen.

Radioaktive Molke

Noch zwei Jahre nach Tschernobyl saß die Bundesrepublik auf 5000 Tonnen verstrahltem Molkepulver. Das Pulver stammte aus Bayern, das von der radioaktiven Wolke besonders stark betroffen war. Anstatt wie in einigen anderen Bundesländern nicht-belastetes Futter zu importieren und an das Vieh zu verfüttern, waren in Bayern die Milchkühe zum Weiden auf die Wiesen gelassen worden. Die Folge war verstrahlte Milch, die auf Anraten des bayerischen Landwirtschaftsministeriums zu Käse verarbeitet werden sollte. Übrig blieben 5000 Tonnen mit Cäsium 137 kontaminiertes Molkepulver, das der Bund aufkaufte und dessen Entsorgung über Jahre diskutiert wurde. Die Vorschläge reichten vom Verfüttern an Vieh über das Verbrennen in einer Müllverbrennungsanlage über den Export, beispielsweise nach Afrika, bis zur Einlagerung in einem ehemaligen Bergwerk oder im leerstehenden Komplex des Schnellen Brüters in Kalkar. Unterdessen waren die Säcke mit der radioaktiven Molke in 242 Güterbahnwaggons verladen worden, die an wechselnden Standorten unter Obhut der Bundeswehr parkten.

Schließlich fiel die Entscheidung für die Dekontaminierung mittels eines sogenannten Ionenaustauscherverfahrens. In einem Betriebsgebäude des stillgelegten AKWs Lingen wurde der Molke das Cäsium entzogen. Übrig blieben fast saubere Molke und rund 100 Kilogramm radioaktives Material zu Endlagerung.

Grenzwert-Chaos

Jedes Bundesland gab nach der Katastrophe seine eigenen Empfehlungen heraus, auch die Grenzwerte für die Strahlenbelastung von Lebensmitteln unterschieden sich erheblich. Warnungen und Entwarnungen wechselten sich ständig ab, dazu kam eine komplette Begriffsverwirrung durch die verschiedenen Maßeinheiten Bequerel, Rem, Curie, Sievert. Dies ging so weit, dass Bundesgesundheitsministerin Rita Süßmuth Sofortmaßnahmen für eine einheitliche Beurteilung und Sprachregelung forderte. Mit Blick auf die unterschiedlichen Maßnahmen der Bundesländer sagte sie: "Wir machen ja die Eltern schier verrückt, wenn wir heute Empfehlungen aussprechen und sie am Tag darauf wieder zurücknehmen." (Frankfurter Rundschau, 7.5.1986). In der Bundesrepublik gab es 1986 weder einheitliche Richtlinien für die Grenzwerte, beispielsweise bei Lebensmitteln, noch eine Struktur für den Informationsaustausch, um mit den Folgen eines derartigen Unglücks umgehen zu können.

Wie viele Kernkraftwerke werden weltweit gebaut?

Verwirrende Meldungen: Reaktionen auf Tschernobyl Montage: Frietsch

Gründung des Umweltministeriums

Eine der direkten Folgen des Chaos nach Tschernobyl war die Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Juni 1986. Noch im gleichen Jahr beschloss der Bundestag das "Strahlenschutzvorsorgegesetz", das die gesetzliche Grundlage für ein "Integriertes Mess- und Informationssystem" war. Mit IMIS sollen Fehler wie nach Tschernobyl vermieden werden, denn 1986 gab es zwar Messungen, doch die waren weder systematisch noch aufeinander abgestimmt. Mangelhaft war auch der Datenaustausch. Diese Situation war eine der Hauptursachen für die höchst unterschiedlichen Meldungen und Empfehlungen der Bundesländer. Heute werden durch IMIS jährlich rund 10.000 Messungen in Luft, Wasser und Boden, bei Nahrung und bei Futtermitteln vorgenommen. Die Ergebnisse werden im Bericht "Radioaktivität und Strahlenbelastung" veröffentlicht.

Nach Tschernobyl setzte erneut eine heftig geführte Diskussion um die Nutzung der Kernenergie ein. Die umstrittenen Projekte Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf und Schneller Brüter Kalkar wurden wenige Jahre später aufgegeben. Nach Tschernobyl wurde in der Bundesrepublik kein Atomkraftwerk mehr gebaut.

DDR

Die Bevölkerung der DDR wurde über die Katastrophe von Tschernobyl eher spärlich informiert. Zum Unfall selbst wurde am 30. April 1986 eine Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS veröffentlicht. Darin ist die Rede vom "Entweichen einer gewissen Menge radioaktiver Stoffe", von einer stabilisierten Strahlungssituation und davon, dass die Radioaktivität im KKW Tschernobyl und Umgebung ständig kontrolliert werde. Zwei Tage später meldete das Neue Deutschland, durch die Sofortmaßnahmen habe sich die Radioaktivität auf dem Kraftwerksgelände und in der Umgebung bereits 30 bis 50 Prozent verringert. Für die Bewohner der DDR bestehe keine Gefahr, da bei Messungen die zulässigen Grenzwerte nicht erreicht wurden. Am 8. Mai teilte das staatliche Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz mit, dass "keinerlei gesundheitliche Gefährdungen für die Bevölkerung der DDR bestanden haben oder bestehen". Ergebnisse von Strahlungsmessungen wurden nicht veröffentlicht, Warnungen vor belasteten Lebensmitteln gab es nicht. Die Schutzmaßnahmen des Westens wurden als Panikmache verurteilt und als Versuch, die Sowjetunion zu diskreditieren.

Tatsächlich war die DDR laut Bundesamt für Strahlenschutz ebenso wie beispielsweise Norddeutschland, von der radioaktiven Wolke weniger betroffen als der Süden der Bundesrepublik. Dennoch gab es im Bereich der Elbe zwischen Magdeburg und Schwerin mehrere Flächen, auf denen die Strahlenwerte ähnlich hoch waren wie die durchschnittliche Verstrahlung in Bayern.

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Tschernobyl sorgt für deutsch-deutsche Probleme Montage: Frietsch

Strahlenbelastung heute

Während Obst und Gemüse nach der Tschernobyl-Katastrophe schnell wieder genießbar waren, sind Pilze und Wild bis heute teilweise über die Grenzwerte hinaus belastet. Cäsium 137, das nach dem Unfall in die Böden gelangt war, reichert sich besonders in Pilzen an, von denen sich wiederum Reh- und Schwarzwild ernähren. Insbesondere in Süddeutschland werden noch heute alle erlegten Wildschweine auf ihre Belastung kontrolliert werden. Die Grenzwerte werden teilweise um ein Vielfaches überschritten.

STAND7.12.2022, 11:29 UhrAutor/inMartina Frietsch

Atomkraftwerke weltweit

Der Anteil der Kernenergie weltweit

In Deutschland ist der Anteil der Kernenergie an der Bruttostromerzeugung im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich gesunken. 1999 lag er noch bei 30,6 Prozent. 2010 waren es rund 23 Prozent (17 Atomkraftwerke). 2011 beschloss Deutschland nach der Havarie der Reaktoren im japanischen Fukushima, den Ausstieg aus der Atomenergie zu beschleunigen. 2016 waren noch acht Kernkraftwerke am Netz; ihr Anteil an der deutschen Stromproduktion beträgt rund 14 Prozent. Bis Ende 2022 sollen alle abgeschaltet sein.

Weltweit haben bisher nur zwei Länder den Ausstieg aus der Atomenergie vollzogen: Italien (1990) und Litauen (2009). Geplant haben dies neben Deutschland auch Belgien, die Schweiz und Spanien. In der Europäischen Union erzeugten im Jahr 2015 alle 129 Kernkraftwerke insgesamt 27,4 Prozent des Stroms.
Weltweit sind 2016 insgesamt 442 Atomkraftwerke in Betrieb – diese Zahl in ist in den vergangenen Jahren fast unverändert geblieben. Der Anteil an der weltweiten Stromerzeugung lag 2013 bei 10,6 Prozent. Schätzungen zufolge hat sich dieser Anteil in den folgenden Jahren kaum verändert.

2016 waren weltweit 66 Atomkraftwerke im Bau. Davon werden allein 24 in China stehen, 8 in Russland, 6 in Indien und 5 in den USA. Zum ersten Mal bauen auch die Vereinigten Arabischen Emirate eigene Atommeiler (4), ebenso Weißrussland (2).

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Infoblatt: Atomkraftwerke weltweit

Infoblatt zu den Atomkraftwerken weltweit: AKWs in Betrieb/AKWs im Bau.

  • Infoblatt: Atomkraftwerke weltweit (DOC)
  • Infoblatt: Atomkraftwerke weltweit (PDF)

LandAKWs in Betrieb
(Stand: 02/2016)AKWs im Bau
(Stand 02/2916)Argentinien31Armenien1Belgien7Brasilien21Bulgarien2China3124Deutschland8Finnland41Frankreich581Großbritannien15Indien216Iran1Japan432Kanada19Mexiko2Niederlande1Pakistan32Rumänien2Russland358Slowakei42Slowenien1Spanien7Schweden10Schweiz5Südafrika2Südkorea25Taiwan62Tschechische Republik6Ukraine152Ungarn4USA995Vereinigte Arabische Emirate4Weißrussland2
weltweit
442
66

Quelle: IAEA

STAND7.12.2022, 11:30 UhrAutor/inMartina Frietsch

Uran – ein knapper Rohstoff

Weltweit waren Anfang 2011 insgesamt 443 Kernkraftwerke in Betrieb, 62 weitere im Bau. Doch das Uran reicht schon lange nicht mehr aus, um den derzeitigen Bedarf zu decken. Wie lange kann es die Atomkraft überhaupt noch geben?

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Ohne Uran gibt es keine Kernenergie, hier: Kernkraftwerk Biblis in Hessen H.-G. Oed Bild in Detailansicht öffnen

Uranabbau – das Schwermetall kommt natürlich im Boden vor SWR – Screenshot aus der Sendung "total phänomenal – Kernkraft" Bild in Detailansicht öffnen

Große Uranvorkommen gibt es nur in wenigen Ländern SWR – Screenshot aus der Sendung "total phänomenal – Kernkraft" Bild in Detailansicht öffnen

Mit großem Gerät wird das Schwermetall abgebaut SWR – Screenshot aus der Sendung "total phänomenal – Kernkraft" Bild in Detailansicht öffnen

Nach der Verarbeitung: Die Yellow Cakes enthalten rund 90 Prozent Uran SWR – Screenshot aus der Sendung "total phänomenal – Kernkraft" Bild in Detailansicht öffnen

Ohne Uran keine Kernspaltung. Uran ist das einzige natürlich vorkommende Schwermetall, das eine Kernspaltungs-Kettenreaktion ermöglicht. Doch wie viel Uran gibt es überhaupt? 200 Jahre, so das deutsche Atomforum, reiche das Uran noch aus. Dem widerspricht der Weltverband der Reaktorbetreiber: Selbst wenn keine neuen Atomkraftwerke gebaut würden, reichten die weltweiten Vorkommen noch für 80 Jahre. Kernkraft-Kritiker gehen sogar von weniger aus.

Grund für die äußerst unterschiedlichen Zahlen sind der Preis für die Förderung, aber auch die Einbeziehung vermuteter Uranvorkommen: Uran, das für einen Kilopreis von unter 80 Dollar gefördert werden kann, steht laut Internationaler Energieagentur und Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nur noch bis etwa 2020 zur Verfügung. Bei einem Förderpreis von 80 bis 130 Dollar reichen die bekannten Uranvorkommen bis 2076. Geht man von einem noch höheren Förderpreis aus und bezieht mögliche künftige Funde mit ein, sind es rund 100 Jahre mehr.

Nur die Kernenergie-Organisation (NEA) der OECD hebt sich deutlich ab. Sie setzt auf die Schnellen Brüter. Damit, so die NEA in ihrem „Kernenergieausblick 2008“, könnten die derzeit gesicherten Uranvorkommen „ausreichend sein, um ein deutlich ausgebautes globales Kernenergieprogramm über Jahrtausende mit Brennstoff zu versorgen.“

Schon heute weltweit Mangelware

Sicher ist: Die Uranförderung kann schon seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr den Bedarf der inzwischen 443 Atomkraftwerke decken. 2011 soll die Fördermenge rund 50.000 Tonnen Uran betragen, benötigt werden jedoch 69.000 Tonnen. Gehen alle 62 derzeit in Bau befindlichen Atommeiler in Betrieb, wird die Diskrepanz noch größer. Zusätzlich sind weltweit über 150 weitere AKWs in Planung. Bisher wurde die Lücke zwischen Verbrauch und Bedarf durch zivile und militärische Reserven ausgeglichen. Doch auch diese Vorräte neigen sich dem Ende zu. Die Verknappung schlägt sich auch im Preis nieder: Allein von 2003 bis 2007 stieg der Preis für Uran um 1300 Prozent. Als Preistreiber wirkt unter anderem die Ankündigung Chinas, seine Kernenergie-Kapazitäten versechsfachen zu wollen: Zu den bestehenden 13 Anlagen kommen dort 27 hinzu, die bereits gebaut werden. In Planung sind 50 weitere. Neu entwickelte Kernkraftwerke in aller Welt werden den Uran-Verbrauch enorm erhöhen.

Dass der explodierende Uranpreis sich bisher kaum auf die Stromkosten auswirkt, erklärt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit der Tatsache, dass die reinen Brennstoffkosten bei der Atomkraft nur etwa fünf Prozent des Preises ausmachen. In den nächsten Jahren werden weitere Preissteigerungen erwartet. „Praktisch unbegrenzt“ wäre die Reichweite des Urans nach Meinung des Ministeriums, würden neue Reaktorgenerationen entwickelt, würde Kernbrennstoff gespart, die Brüter-Technologie eingesetzt und die Wiederaufarbeitung berücksichtigt. Allerdings hat Deutschland schon lange die Brüter-Technologie aufgegeben, die Wiederaufarbeitung ebenso. In beiden Fällen spielten Sicherheitserwägungen eine große Rolle, aber auch der erhebliche Widerstand der Bevölkerung.

Importartikel Uran

Deutschland ist – wie die anderen westeuropäischen Staaten und die USA – fast komplett von Uranimporten abhängig. Bis Anfang der 1990er Jahre wurde in Deutschland in der SDAG Wismut Uran gefördert. Heute werden nur noch im Rahmen der Stilllegung kleinere Mengen Uran gewonnen. Ähnlich sieht es beispielsweise in Frankreich aus, das den weltweit zweithöchsten Verbrauch an Uran hat – mit über 10.000 Tonnen pro Jahr rund dreimal so viel wie Deutschland. Die USA gehören zwar zu den Förderländern, doch verbraucht das Land mit den meisten AKWs der Welt weit mehr Uran, als es selbst besitzt. 2008 wurden in den USA knapp 1500 Tonnen gefördert, im gleichen Zeitraum jedoch fast 19.000 Tonnen verbraucht.

Uran wird heute hauptsächlich in Kasachstan, Kanada, Australien, Namibia, Russland, Niger, Usbekistan, den USA, der Ukraine, China und Südafrika gefördert. Insbesondere in den afrikanischen Ländern sorgt der Uranabbau für große Probleme durch radioaktive Verstrahlung der Minenarbeiter und der Umwelt. Woher das Uran stammt, das in deutschen Atomkraftwerken verbraucht wird, gibt die Regierung nicht preis. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erklärt dazu auf seiner Website lediglich: „Kernenergie ist deshalb quasi einheimische Energie, weil die Veredelung des Urans in Deutschland erfolgt.“ Auch die Versorgungssicherheit sei gegeben, „da die Uranreserven in überwiegend politisch stabilen Regionen (z.B. Kanada, Australien, Südafrika) liegen.“

STAND7.12.2022, 11:30 UhrAutor/inMartina Frietsch

Atomkraftwerke in Deutschland

Bis März 2011 waren in Deutschland 17 Atomkraftwerke in Betrieb. 15 AKWs, darunter drei Versuchs- und Forschungsreaktoren, wurden seit 1971 stillgelegt. Lediglich ein Reaktor, der Schnelle Brüter Kalkar, wurde fertiggestellt, jedoch nie in Betrieb genommen. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima beschleunigte die Bundesrepublik den Atomausstieg: Für acht ältere Atomkraftwerke kam kurz darauf das Aus. Alle anderen werden nach und nach bis 2022 stillgelegt.

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Kernkraftwerk Gundremmingen in Bayern RWE Bild in Detailansicht öffnen

Eines der beiden Reaktorgebäude des Kernkraftwerks Gundremmingen RWE Bild in Detailansicht öffnen

Der geplante Ausstieg

Nach der Katastrophe von Tschernobyl war in Deutschland kein AKW mehr in Betrieb gegangen. Im Juni 2000 beschloss die damalige rot-grüne Bundesregierung den Ausstieg aus der Kernenergie. Sie hatte sich mit den Energieversorgungsunternehmen auf Restlaufzeiten für die damals 19 in Betrieb befindlichen Atommeiler geeinigt. Für alle AKWs wurde eine Regellaufzeit von 32 Kalenderjahren zugrunde gelegt. Für jedes einzelne Kraftwerk wurde festgelegt, welche Strommenge es ab Januar 2000 bis zur Stilllegung maximal produzieren durfte. Auf Basis dieses Atomkonsenses wäre 2020 der letzte Meiler stillgelegt worden.

Die Laufzeitverlängerung

2010 beschloss die christlich-liberale Bundesregierung, die Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland zu verlängern. Kraftwerke, die vor 1980 gebaut worden waren, sollten acht Jahre länger produzieren dürfen. AKWs, die nach 1980 in Betrieb gegangen waren, erhielten eine Laufzeitverlängerung um 14 Jahre. Im Oktober 2010 beschloss der Bundestag die entsprechende Änderung des Atomgesetzes. Da das Gesetz ohne Beteiligung des Bundesrates geändert wurde, reichten fünf Bundesländer Verfassungsklage ein.

Das Moratorium

Ein verheerendes Erdbeben in Japan am 11. März 2011 richtete schwere Schäden an mehreren japanischen Atomkraftwerken an. Besonders in den sechs Reaktorblöcken des AKWs Fukushima I kam es wegen der fehlenden Kühlung der Brennstäbe zu einer unkontrollierbaren Situation. Es ereigneten sich mehrere Explosionen, bei drei Reaktoren wurde eine Kernschmelze befürchtet. In der direkten Umgebung des Atomkraftwerks trat Radioaktivität aus.

Die Atomkatastrophe von Japan löste weltweit eine neue Diskussion um die Sicherheit der Kernkraft aus. In Deutschland führte sie nach wenigen Tagen zu einer zumindest vorläufigen politischen Kehrtwende: Über die sechs Monate zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung wurde für drei Monate ein Moratorium verhängt. Für diese Zeit werden acht der älteren deutschen AKWs vom Netz genommen und einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Das Moratorium bedeutet zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht das Rückgängigmachen der Laufzeitverlängerung. Lediglich für das Atomkraftwerk Neckarwestheim I kam das sofortige Aus – die nötige Nachrüstung hätte den Altmeiler nach Angaben des Betreibers EnBW unrentabel gemacht.

Der Ausstieg

Als erste führende Industrienation beschloss Deutschland am 30. Juni 2011 den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2022. Die Novelle des Atomgesetzes war eine direkte Folge von Fukushima und der folgenden Sicherheitsüberprüfung der deutschen Akws. Beschlossen wurde die Novellierung mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen. Die Atomkraftwerke, die bereits während des Moratoriums abgeschaltet worden waren, wurden daraufhin endgültig vom Netz genommen. Für die verbleibenden neun Akws legt das Atomgesetz feste Abschalttermine fest. Als letzte Anlagen sollen 2022 Isar 2, Emsland und Neckarwestheim für immer abgeschaltet werden. Mit der Änderung des Atomgesetzes strich die Regierung die zusätzlichen Elektrizitätsmengen, die sie den Betreibern 2010 noch zugesprochen hatte. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, hat die Bundesnetzagentur die Erlaubnis, eines der sieben ältesten Kraftwerke als Reserve festzulegen, dies aber nur für maximal zwei Jahre. Diese Reserve, stellte die Bundesnetzagentur inzwischen fest, wird nicht mehr benötigt.

Die Klage der Konzerne

Nach dem Moratorium verklagten die Energiekonzerne die entsprechenden Bundesländer sowie die Bundesrepublik. Sie pochten auf Schadensersatz wegen entgangener Umsätze. Zwei Klagen wurden abgewiesen, bei einem weiteren Verfahren die Summe schon vorher stark nach unten korrigiert.

Seit Ende 2015 befasst sich die eigens eingerichtete Atomkommission mit den Fragen nach der Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke sowie den Kosten von Zwischen- und Endlagerung.

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Infoblatt: Deutsche Atomkraftwerke

Infoblatt mit Eckdaten zu allen deutschen Atomkraftwerken.

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STAND7.12.2022, 11:29 UhrAutor/inMartina Frietsch

Zwischen- und Endlager

Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle

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Zwischenlager des Kernkraftwerks Lingen/Emsland RWE Bild in Detailansicht öffnen

Abfertigung eines beladenen Castorbehälters im Zwischenlager Nord des stillgelegten AKWs Greifswald EWN GmbH Bild in Detailansicht öffnen

Zwischenlager

Deutschland verfügt derzeit (2016) über kein Endlager für radioaktive Abfälle. Die Einlagerung in der Schachtanlage Asse II wurde gestoppt, da der ehemalige Salzstock instabil ist. Bis das geplante Endlager Schacht Konrad 2022 fertiggestellt ist, müssen entsprechend dem deutschen Atomgesetz alle Atomkraftwerke eigene Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente haben. In diesen sogenannten Standort-Zwischenlagern dürfen die abgebrannten Brennelemente maximal 40 Jahre lang aufbewahrt werden.

Darüber hinaus gibt es Zwischenlager stillgelegter AKWs wie Würgassen und Obrigheim, wobei in Obrigheim bereits Castor-Behälter eingelagert wurden, obwohl die Genehmigung noch nicht vorliegt. Dezentrale Zwischenlager werden an den Standorten Jülich und Greifswald betrieben. Für den Standort Jülich gibt es seit Juli 2014 eine Räumungsanordnung des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums. Verantwortliche Besitzerin der Brennelemente ist die neu gegründete Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN). Mitte 2016 erteilte das Bundesamt für Strahlenschutz dem Betreiber des Zwischenlager Ahaus, die 152 Castorbehälter aus Jülich einzulagern. Parallel zum Transport nach Ahaus werden zwei weitere Möglichkeiten geprüft: der Neubau eines neuen, sicheren Zwischenlagers oder der Rücktransport der Brennelemente in die USA.

Weitere zentrale Zwischenlager befinden sich in Ahaus (Brennelemente aus Leistungs-, Prototyp- und Forschungsreaktoren) und Gorleben (Brennelemente aus Leistungsreaktoren und verglaste hochradioaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitung).

In den deutschen Zwischenlagern werden sowohl abgebrannte Brennelemente als auch verglaste hochradioaktive Abfälle eingelagert. Sie befinden sich in dickwandigen, dichten Behältern, die so konzipiert sind, dass sie auch Erdbeben, Flugzeugabstürzen oder Explosionen standhalten. Bis in Deutschland die Nutzung der Kernenergie beendet wird, werden schätzungsweise 290.000 Kubikmeter schwach- und mittelaktive Abfälle anfallen. Dazu kommen laut Bundesumweltministerium 30.000 bis 40.000 Kubikmeter mittel- und hochradioaktive Abfälle mit relevanter Wärmeentwicklung.

Radioaktive Abfälle entstehen jedoch nicht nur durch den Betrieb von Atomkraftwerken, sondern beispielsweise auch in Forschung, Industrie und Medizin. Für diese Abfälle stehen elf Landessammelstellen zur Verfügung. Ein Teil dieser radioaktiven Abfallstoffe wird auch von privaten Firmen abgeholt und zum Teil von ihnen gelagert.

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Castorbehälter im Zwischenlager Nord des stillgelegten Akw Greifswald BMU / Brigitte Hiss

Castorbehälter

Speziell für den Transport und die Zwischenlagerung von hoch radioaktiven Abfällen wurden die sogenannten Castorbehälter entwickelt. Die zylindrischen Behälter sind etwa sechs mal 2,5 Meter groß, bestehen aus Gusseisen mit kugelförmigem Graphit und wiegen über 100 Tonnen. Castoren müssen entsprechend den Empfehlungen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) extremen Belastungen standhalten, beispielsweise einem Fall aus neun Metern Höhe, einem bis zu 30-minütigen Feuer bis 800 Grad oder acht Stunden im Wasser in einer Tiefe von 20 Metern. Castoren sind für die Zwischenlagerung konzipiert und für maximal 40 Jahre zugelassen.

Nachzerfallswärme

Werden verbrauchte Brennelemente aus einem Reaktor entfernt, ist zwar die Kettenreaktion unterbunden, durch den Zerfall der Spaltprodukte entsteht jedoch auch weiter Energie in Form von Wärme. Die abgebrannten Brennstäbe müssen daher ständig gekühlt werden und kommen zunächst in ein wassergefülltes Becken. Das Wasser selbst muss ebenfalls ständig gekühlt werden, damit es nicht verdampft und die heißen Brennstäbe freiliegen. Andernfalls würde es zur Schmelze der Brennstäbe kommen. Das gleiche gilt für einen Reaktor im abgeschalteten Zustand.

Die Nachzerfallswärme ist noch Jahre nach der Abschaltung eines Reaktors oder nach der Entnahme der Brennstäbe vorhanden. Die Brennelemente lagern daher mehrere Jahre in den sogenannten Abklingbecken der jeweiligen AKWs, bevor sie in Zwischenlager gebracht werden.

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Infoblatt: Zwischenlager in Deutschland

Infoblatt zu atomaren Zwischenlagern in Deutschland.

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  • Infoblatt: Zwischenlager in Deutschland (PDF)

Problem Endlagerung

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Schacht Konrad: Ein Fahrzeugteil wird unter Tage angeliefert Bundesamt für Strahlenschutz Bild in Detailansicht öffnen

Schacht Konrad: Blick in den Schachtsumpf Bundesamt für Strahlenschutz Bild in Detailansicht öffnen

Infrastrukturstrecke im Schacht Konrad Bundesamt für Strahlenschutz Bild in Detailansicht öffnen

Unter Tage: Ausbau einer Strecke im Spritzbetonverfahren Bundesamt für Strahlenschutz Bild in Detailansicht öffnen

Bisher gibt es weltweit keine Möglichkeit, hoch- und mittelradioaktiven Atommüll sicher endzulagern. Für den geologischen Einschluss, der in vielen Ländern untersucht wird, müssten Lagerorte gefunden werden, in denen hoch radioaktives Material über viele Tausend Jahre sicher eingelagert werden kann. In Deutschland wird der Zeitraum mit einer Million Jahre angenommen, andere Länder gehen von einem kürzeren Zeitraum aus.

Dafür wären Gesteinsformationen nötig, bei denen weder nach Erdbeben noch durch Gebirgsklüfte Radioaktivität entweicht und bei denen kein Kontakt zum Grundwasser entsteht. Dazu kommt das Problem der Lagerbehälter: Sie bestehen aus Edelstahl. Und wie lange sie sich halten werden, kann niemand voraussehen. Auch ob die Verglasung der Abfälle langfristig eine Lösung ist, ist bisher unbekannt. Vieles hängt davon ab, ob die Behälter im Lauf der Jahrtausende mit Wasser in Berührung kommen, das zur Korrosion des Metalls oder zum Zerfall des Glases führen könnte.

In Deutschland werden seit Jahrzehnten Standorte diskutiert und auf ihre Sicherheit überprüft. 2009 wurden neue Sicherheitsanforderungen festgelegt. Dazu gehören unter anderem:
● der sichere Einschluss für mindestens eine Million Jahre
● Kontrollen, die auch nach Stilllegung eines Endlagers vorgenommen werden müssen
● die Möglichkeit, die eingelagerten radioaktiven Abfälle bis zum Verschluss des Endlagers jederzeit zu bergen.

Im Juli 2013 trat das Standortauswahlgesetz in Kraft. In ihm ist geregelt, wie in Deutschland nach einem Standort gesucht werden soll. Dies betrifft nicht nur den wissenschaftlichen Teil, eine sichere Lagerstätte für die nächste Million Jahre zu finden, sondern auch die Informationspolitik. Die Suche soll transparent, glaubwürdig und möglichst von einer breiten gesellschaftlichen Basis gestützt sein. Ebenso ist die Beteiligung der Öffentlichkeit in den verschiedenen Phasen der Suche geregelt.

Am 30. Juli 2016 trat das „Gesetz zur Neuordung der Organisationsstruktur im Bereich des Strahlenschutzes und der Endlagerung“ in Kraft. Kern des Ganzen: Eine neue Behörde entsteht. Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) wird ab sofort für Genehmigungen im Bereich der Kerntechnik, für Zwischen- und Endlager zuständig sein.

Doch wohin nun mit dem strahlenden Müll? Sowohl in der Schachtanlage Morsleben als auch im Salzbergwerk Asse befinden sich radioaktive Abfälle. Morsleben wird verfüllt; der strahlende Atommüll aus der Asse muss aufwändig wieder zurückgeholt werden. Der Standort Gorleben wurde 2013 endgültig aufgegeben. Bleibt Deutschland bislang ein Standort als Endlager für radioaktive Abfälle: der Schacht Konrad in Niedersachsen.

Schacht Konrad

Bei Schacht Konrad handelt es sich um ein stillgelegtes Erzbergwerk in der Nähe von Salzgitter in Niedersachsen. 1982 beantragte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt das Planfeststellungsverfahren für ein Endlager. Gegen das Vorhaben gab es massiven Widerstand von Kommunen, Verbänden, Bürgerinitiativen. Rund 30 Jahre nach den ersten Erkundungen begann 2007 die Umrüstung der Schachtanlage. Das künftige Endlager soll laut Bundesamt für Strahlenschutz über 90 Prozent aller radioaktiven Abfälle Deutschlands aufnehmen können. Platz ist für bis zu 303.000 Kubikmeter radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung vorhanden.

Die Kosten bis zur Inbetriebnahme werden derzeit (2016) auf 3,4 Milliarden Euro geschätzt. Die ursprünglich veranschlagte Summe von unter einer Milliarde musste bereits stark nach oben korrigiert werden. Wie viel die Errichtung des Endlagers bis zur geplanten Fertigstellung im Jahr 2022 tatsächlich kosten wird, ist jedoch völlig unsicher. Etwa zwei Drittel der Kosten sollen von den Energieversorgern übernommen werden, ein Drittel wird aus Steuern finanziert.

Morsleben

Die DDR baute die ehemalige Schachtanlage bei Morsleben in Sachsen-Anhalt nach dem Ende der Steinsalz- und Kaligewinnung zum atomaren Endlagerstätte um. 1971 wurde das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) in Betrieb genommen. Die Abfälle stammten bis 1991 vor allem aus den Atomkraftwerken Greifswald und Rheinsberg. Von 1994 bis 1998 wurden auch radioaktive Abfälle aus den alten Bundesländern eingelagert – über 22.000 Kubikmeter und damit gut ein Drittel mehr als zu DDR-Zeiten. 1998 wurde die Einlagerung gestoppt. Seit 2003 wird der ehemalige Salzstock mit Salzbeton verfüllt und auf diese Weise stabilisiert, da das Bergwerk teilweise einsturzgefährdet ist. Bei einem sogenannten Löserfall war eine 5000 Tonnen schwere Salzsteinplatte von einer Decke gefallen. Weitere Einstürze werden befürchtet. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat die atomrechtliche Stilllegung des Endlagers Morsleben beantragt.

Gorleben

Neben dem Zwischenlager Gorleben im niedersächsischen Wendland soll in dem ehemaligen Salzstock eine Endlagerstätte entstehen. Die Entscheidung, den Standort zu untersuchen, fiel bereits 1977. Die 1979 gestarteten Erkundungsarbeiten wurden im Jahr 2000 durch ein Moratorium der rot-grünen Bundesregierung unterbrochen. Gegen das Endlager Gorleben gab es immer wieder heftige Proteste. Erneute Erkundungsarbeiten gab es zwischen 2010 und 2013. Mit dem Inkrafttreten des Standortauswahlgesetzes wurden die Arbeiten beendet.

Asse II

Im ehemaligen Salzbergwerk Asse im Landkreis Wolfenbüttel wurden von 1967 bis 1978 rund 125.000 Fässer mit schwach- bis mittelradioaktivem Müll eingelagert. 1988 wurde festgestellt, dass jeden Tag kubikmeterweise Wasser in den Salzstock eindringt, zehn Jahre später war eine der Kammern mit radioaktivem Abfall einsturzgefährdet. Inzwischen wurde die Stilllegung der Asse beschlossen. Da sich der vermeintlich sichere Salzstock aber als höchst instabil erwiesen hat, sprach sich der heutige Betreiber, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), im Jahr 2010 dafür aus, die eingelagerten radioaktiven Abfälle wieder aus dem Salzstock zurückzuholen.

Die Rückholung der Abfälle ist weltweit einmalig. Auf Erfahrungen kann das BfS nicht zurückgreifen. Dafür gibt es neben der Einsturzgefahr weitere Probleme: Karten zum Bergwerk haben sich, ebenso wie Angaben zum Untergrund, als nicht zutreffend erwiesen. Neben der Rückholung müssen so auch erhöhte Sicherheitsvorkehrungen für die Mitarbeiter getroffen werden. Ebenso arbeitet das BfS an Plänen für den Fall dass die Anlage „absäuft“ (Zitat BfS), bevor der radioaktive Müll geborgen werden kann.

STAND7.12.2022, 11:28 UhrAutor/inMartina Frietsch

Nadeshda - Erholung für Tschernobyl-Kinder

Wie viele Kernkraftwerke werden weltweit gebaut?

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Kinder aus Tschernobyl SWR - Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

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Das erste Erholungs- und Bildungszentrum, das speziell für Tschernobyl-Kinder errichtet wurde, bekam den Namen "Nadeshda", auf Deutsch: Hoffnung. Es liegt rund 100 Kilometer vom weißrussischen Minsk entfernt in einer nicht-verstrahlten Zone. 1994 wurde es vom Frankfurter Verein "Leben nach Tschernobyl e.V." eröffnet, der den Kindern aus den verstrahlten Gebieten im eigenen Land helfen will.

In den Anfangsjahren kamen etwa 1800 Kinder jährlich für zwei Monate nach Nadeshda. Der Aufenthalt in der besonders strahlungsarmen Umgebung sowie gesunde, vitaminreiche Kost sollten ihnen helfen, Strahlenbelastung abzubauen. Die Ernährung war besonders wichtig, da ein Großteil der Strahlung über Nahrungsmittel aufgenommen wird. Zu den typischen Krankheitsbildern der Kinder aus der Region um Tschernobyl zählten Schilddrüsenkrebs, Kreislauferkrankungen, Tumore, Störungen der Nervensystems und der Sinnesorgane.

Bis 2011 wurden in Nadeshda über 42.000 Kinder und Jugendliche aufgenommen, pro Jahr verzeichnet das Zentrum rund 100.000 Übernachtungen. Die Kinder, die heute dort von Sozialpädagogen, Psychologen, Lehrern und Ärzten betreut werden, wurden lange nach der Katastrophe von Tschernobyl geboren. Doch auch sie leiden unter den gesundheitlichen Folgen der Strahlenbelastung. Hauptsächliche Erkrankungen betreffen die Atemwege, den Nasen-Rachen-Raum, den Blutkreislauf, das Endokrine System und das Muskelsystem. In Nadeshda werden sie medizinisch untersucht und erhalten Reha-Maßnahmen und psychologische Betreuung. Außerdem stehen für sie Freizeit-, Kultur- und Bildungsangebote auf dem Programm.

Der Bau des Zentrums Nadeshda wurde durch Spendenmittel des Vereins "Leben nach Tschernobyl e.V." finanziert. Dazu kamen Fördergelder des Landes Hessen und des Staates Belarus. Weitere Mittel stammten vom Wohltätigkeitsfonds "Leben nach Tschernobyl-Republik Belarus"; von der Männerarbeit der evangelischen Kirche und vom Sozialdienst Evangelischer Männer. Vieles wurde in ehrenamtlicher Arbeit geleistet, unter anderem von Helfern aus Deutschland. Die erste Ausbaustufe des Heims kostete fünf Millionen Mark.

Nadeshda wurde im Lauf der Jahre immer wieder vergrößert und ist heute zu einem großen Dorf geworden. Das Zentrum ist frei von staatlicher Einflussnahme und wird von Stiftungen, kirchlichen Organisationen und anderen Tschernobyl-Initiativen unterstützt. Einen Teil der Kosten erwirtschaftet das Zentrum selbst durch Bildungs- und Tourismusangebote.

Wie viele Kernkraftwerke werden gebaut?

Im Jahr 2020 gingen zuletzt vier Atomreaktoren weltweit in den Bau.

Wie viele aktive Kernkraftwerke gibt es weltweit?

In den letzten 10 Jahren stieg die installierte Leistung um 5 Prozent. In 30 Ländern weltweit sind aktuell rund 440 Atomkraftwerke in Betrieb und tragen zirka 11 Prozent zur weltweiten Stromerzeugung bei. Davon liegen 185 Atomkraftwerke in Europa.

Wie viele aktive Kernkraftwerke gibt es?

Aktuell sind in Deutschland noch drei AKW am Netz. Gemäß Atomgesetz werden die drei jüngsten Reaktoren spätestens Ende 2022 abgeschaltet.

Wie viele Kernkraftwerke werden in Europa gebaut?

In nur drei Mitgliedstaaten sind Kernkraftwerke tatsächlich in Bau (Mochovce in der Slowakei, Olkiluoto in Finnland und Flamanville in Frankreich).