Wer hat es erfunde was ist daran so schlimm

"Corona ist nur eine Grippe" und die Impfungen eine "Biowaffe, um die Menschheit auszurotten" – seit der Pandemie sind Verschwörungserzählungen in den öffentlichen Debatten so präsent wie nie zuvor. Doch wer sind die Leute, die immer wieder, immer neue Lügen in die Welt setzen? Und warum verfangen sie mit ihren Erzählungen auch immer öfter bei Menschen, die bislang davor gefeit waren? Kontraste-Reporter haben mit Verschwörungsgläubigen gesprochen, die tief in den Bann der Lügen geraten sind und deshalb sogar mit ihren Kindern gebrochen haben. Sie haben Akteure der Coronaleugner-Szene getroffen, die die Pandemie systematisch genutzt haben, um die Menschen mit Fake-Erzählungen zu verunsichern und Hass zu säen. Das Ziel der oft rechtsradikalen Hetzer ist, die Gesellschaft zu spalten und die Demokratie zu zerrütten.

Anmoderation: Ein Weltkrieg - so sehen Petra Stark und Uwe Fröhlich die Corona-Pandemie - geheime Mächte teilen die Erde neu unter sich auf - und die Bevölkerung gleich mit: Wer geimpft wird, ist todgeweiht, glauben sie. Deswegen protestieren die beiden regelmäßig, gegen die Maßnahmen, gegen die Impfungen. Denn: An diesem Tag, an wir so viele Neuinfektionen verzeichnen wie noch nie seit Beginn der Pandemie, müssen wir uns fragen: Warum ist immer noch etwa ein Drittel der Bevölkerung nicht bereit, sich impfen zu lassen. Und da landet man schnell bei den hochansteckenden Verschwörungsmythen rund um die Pandemie, mit Superspreadern, die Falschinformationen und Angstbotschaften immer weitertragen. Unseren Reportern ist es gelungen, die zu finden, die das Rad der Corona-Lügen immer weiterdrehen. Und die ein großes Interesse daran haben, dass die Verunsicherung wächst… Ein großes Thema, eine lange Geschichte. Und wir zeigen sie heute, wie sie gezeigt werden muss: Mit allen Sendeminuten, die wir haben.

Frau mit Megaphon

"Die öffentlich-rechtlichen Medien sagen uns nicht die Wahrheit, sprecht doch da drüber, wie viel Impfschäden schon gewesen sind. Sprecht doch mal da drüber!"

Demo Bautzen Aufmarsch der Impfgegner in Bautzen, im Osten Sachsens. Jeden Montag ziehen hier hunderte Corona-Skeptikerinnen und Verschwörungsideologen durch die Stadt.

Kontraste

"Sie denken, dass die Impfungen gefährlich sind?"

Frau mit Megaphon

"Natürlich sind die gefährlich. Das ist eine Biowaffe. Die Impfungen sind eine Biowaffe. Das ist die Biowaffe, nicht der Virus. Das ist nicht der Virus, das ist die Impfung, die Biowaffe!"

Kontraste

"Und wer setzt diese Biowaffe aus ihrer Sicht ein?"

Frau mit Megaphon

"Wer die einsetzt? Das kann ich ihnen sagen, das sind ein paar ganz Reiche, ein paar ganz Reiche, zum Beispiel Rothschild."

Kontraste

"Rothschild?"

Frau mit Megaphon

"Rothschild!"

Kontraste

"Sie glauben, Rothschild steht hinter den Impfungen?"

Frau mit Megaphon

"Ja sicherlich. Und einige andere Reiche, irgendwelche Banker, Reiche, die noch dazugehören zu der ganzen Linie Rothschild. Bill Gates, ja genau, Bill Gates, Pharmaindustrie. Bill Gates, Pharmaindustrie."

Es sind wüste Verschwörungserzählungen. Selbst der alte antisemitische Mythos vom jüdischen Bankhaus Rothschild, das die Welt ins Unglück stürzt, lebt wieder auf. Auch bei der anschließenden Kundgebung schüren die Redner Angst vor der Impfung.

Redner

"Stellt euch vor, ihr liegt im Krankenhaus bei der OP. Es ist eine Bluttransfusion für euch angedacht, und ihr kriegt Blut von einem Geimpften. In dem Moment habt ihr den ganzen Dreck selber in euch und seid ebenfalls Überträger dieser Spike-Proteine."

Medizinischer Unfug, der hier auf Applaus trifft. Nur eine zufällig vorbeikommende Touristin macht ihrem Ärger Luft.

Touristin

"Daraus eine Verschwörungstheorie zu machen, dass irgendwie Versuchskaninchen oder Laborratten oder so was… Es ist völliger Schwachsinn. Ich kann es nicht nachvollziehen."

Ehe sie sich versieht, gilt auch sie selbst als Teil der großen Medienverschwörung.

Mann

"Wie lange wollen sie die Leute noch verarschen im Fernsehen? Ich dachte, wir leben in einer Demokratie, wo jeder seine Meinung sagen darf."

Touristin

"Kann er auch!"

Mann

"Ha, also das war jetzt der beste Witz, den ich heute gehört habe. Das war der beste Witz. Sie sind gestellt! Wie viel Geld bekommen sie von diesen…?"

Touristin

"Ich bekomme kein Geld, ich habe mich gerade dazu…"

Mann

"Sie sind die einzige, die hier mit einer Maske rumläuft. Wieso nehmen sie das nicht auf und stellen hier eine gestellte Person hin, ha ha ha."

Mit Argumenten ist kein Durchkommen. Wir treffen noch einmal auf die Frau mit dem Megaphon und ihren Lebensgefährten. Früher hätten sie sich nie für Politik interessiert, sagen sie. Seit der Pandemie ist das anders.

Uwe Fröhlich, Hausmeister

"Es gibt eine Elite in der Welt, die ist so organisiert, dass sie die Menschen der Welt kontrollieren wollen. Und zum Beispiel die Spritze ist ein Instrument. Mit dieser Spritze kann ich Menschen, ich sage es mal so, durch natürlichen Tod von der Welt verabschieden."

Petra Stark, Frührentnerin

"Ich muss die ganzen Menschen warnen, zumindest in meiner Ecke hier, dass die sich nicht impfen lassen, dass die nicht in den Tod rennen, in den sicheren Tod hier mittlerweile, wie es hier ist."

Wir wollen herausfinden: Was bringt Menschen dazu, diese Lügen zu glauben? Wieso können Verschwörungsideologien gerade während der Pandemie solch einen Sog entfalten?

Harald Lamprecht ist Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Sachsen. An ihn wenden sich Angehörige von Verschwörungsgläubigen. Seit Corona ist er gefragt wie nie.

Harald Lamprecht, Weltanschauungsbeauftragter Evangelische Landeskirche Sachsen

"So 'ne Pandemie ist natürlich eine Situation, die vielen den Boden unter den Füßen wegzieht, und die eine große Unsicherheit auslöst und eine großen Kontrollverlust mit sich bringt. Das sind alles Elemente, die grundsätzlich strukturell Verschwörungsdenken verstärken. Wenn man Schuldige benennen kann, die dafür angeblich verantwortlich sind, dann ist das Schicksal nicht mehr ganz so diffus. Und das macht es Menschen offenbar leichter, damit klarzukommen."

Wir kehren noch einmal zurück nach Bautzen. Das Paar, das wir auf der Montags-Demonstration kenngelernt haben, hat uns zu sich nach Hause eingeladen.

Uwe Fröhlich und Petra Stark leben in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Sie ist Frührentnerin, er bietet Hausmeisterdienste an. In ihrer Welt ist Donald Trump immer noch amtierender US-Präsident, Deutschland ein besetztes Land - und die Corona-Impfung der Versuch, Milliarden Menschen umzubringen.

Kontraste

"Ein staatlich geplanter, groß angelegter Massenmord, an dem wirklich viele Stellen auch beteiligt sind, warum sollten die das wollen? Es ist ja ein ungeheuerliches Verbrechen?"

Petra Stark, Frührentnerin

"Ja, es ist ein Riesenverbrechen, was hier stattfindet."

Kontraste

"Aber warum?"

Petra Stark, Frührentnerin

"Es ist ein großes Verbrechen, um die Menschheit zu reduzieren, um die Leute loszuwerden! Wir sind im Dritten Weltkrieg, wir sind in einem Dritten Weltkrieg!"

Uwe Fröhlich, Hausmeister

"Eine neue Weltordnung! Die Firmen sollen alle an die Wand gefahren werden, und dann soll ein Neustart beginnen. Das kann sozialistisch sein, ich stelle es mal in den Raum…"

Petra Stark, Frührentnerin

"Weltwirtschaftsforum!"

Erklär-Einspieler

"Die Neue Weltordnung – ein Klassiker unter den Verschwörungsmythen. Angeblicher Plan einer kleinen Elite, ein globales Schreckensregime zu errichten. Oft verbunden mit dem sogenannten Great Reset: Ein Neustart hin zu einer ökosozialistischen Weltdiktatur. Warum jetzt ausgerechnet die Reichsten und Mächtigsten den Sozialismus einführen wollen? Unklar."

Verbreitet werden solche Mythen vor allem in den sozialen Medien, etwa bei Telegram. Hier, wo Desinformation und Lügen in ungezählten Kanälen gedeihen, verbringen Uwe Fröhlich und Petra Stark viele Stunden.

"Frankreich, kleiner Junge, nach zehn Tagen nach Erhalt von Pfizer-Covid-19-Impfstoff, hat sein Augenlicht verloren." – "In der Türkei wurden Babys geboren mit mehreren Beinen und Armen, auch mit – oh, das kann ich gar nicht sagen… Die Mütter waren mit Biontech und Moderna geimpft."

Zweifel wischen sie beiseite.

Kontraste

"Warum sind sie da so leichtgläubig und bei anderen Dingen sind sie superkritisch?"

Petra StarkPetra Stark, Frührentnerin

"Ich bin nicht leichtgläubig. Das sagt mir mein Bauchgefühl. Warum sollen die Leute lügen, warum sollen die lügen? Warum sollen die lügen? Weil das sagt mir mein Bauchgefühl, dass da was nicht stimmt in der Richtung."

Weil Uwe Fröhlich gelesen hat, dass in den Impfstoffen Metall sei, das Menschen durch Funkwellen steuerbar mache, hat er sich einen Metalldetektor gekauft. Im Internet war zu sehen: Der schlage bei Geimpften an der Einstichstelle an.

Kontraste "(Piep) Okay, wie am Flughafen. Und jetzt Oberarm, hier?"

Uwe Fröhlich "Ja, bitte freimachen."

Kontraste "Also das war ziemlich genau hier, würde ich sagen."

Uwe Fröhlich "Wir machen das schön vorsichtig und langsam. Nee, ist nichts."

Kontraste "Also ich sag ihnen, ich bin hier geimpft, weil ich bin Rechtshänder, man wird immer am linken Arm dann geimpft."

Uwe Fröhlich "Nee, nichts. Also das ist jetzt ne Lüge, muss ich doch zugestehen."

Kontraste "Fängt man da auch ein bisschen an zu zweifeln dann oder…"

Uwe Fröhlich "Ja da fange ich an zu zweifeln, das stimmt."

Petra Stark aber will das nicht akzeptieren.

Petra Stark "Kann ich das nochmal ausprobieren?"

Kontraste "Machen sie gerne."

Uwe Fröhlich "Nee ist nichts, würde ja reagieren."

Kontraste "Vielleicht doch Quatsch mit dem Graphen-Oxid und den metallischen Bestandteilen im Impfstoff?"

Petra Stark "Kein Quatsch, nee. Da ist es bei ihnen schon zu lange her wahrscheinlich."

Der Realitätsabgleich - bei Petra Stark verfehlt er seine Wirkung. So leicht entkommt man dem Netz der Verschwörungsideologien nicht – das sagt die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun, die seit Jahren zu dem Thema publiziert.

Katharina Nocun, Politikwissenschaftlerin

"Es ist naiv anzunehmen, dass man bei jemandem, der eine sehr starke verschwörungsideologische Überzeugung hat, dass da ein einfacher Faktencheck ausreicht, um denjenigen zu überzeugen, dass er falsch liegt. Weil es geht auch darum, dass diese Überzeugung natürlich auch irgendwo auf der emotionalen Ebene Bedürfnisse befriedigt, dieses Gefühl, besonders zu sein, dieses Gefühl, gebraucht zu werden, dieses Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein. Man muss auch bedenken, dass wenn jemand sich über Monate in so einer Überzeugung verrannt hat, was für eine innere Kraft das auch kosten muss, sich irgendwann an irgendeinem Punkt einzugestehen: Ich habe kolossale Fehlentscheidungen getroffen, ich habe Dinge verbreitet, die unwahr sind."

Von solcher Einsicht ist Petra Stark weit entfernt. In der Stadt verteilt sie handgeschriebene Flugblätter, um Menschen vor dem angeblich drohenden Massenmord durch Impfungen zu warnen. Petra Stark

"Bautzen ist eine Ecke, die aufgewacht sind, Sachsen ist sowieso eine Ecke, die aufgewacht ist, wo die wenigste Impfquote ist. Und ich bin so stolz hier auf die Ecke, dass die das wirklich sind. Und vielleicht habe ich was bewirkt mit diesen Zetteln. Vielleicht hab' ich was bewirkt."

Und doch zahlt sie einen hohen Preis. Petra Starks Söhne haben wegen ihrer Ansichten den Kontakt zu ihr abgebrochen, die Enkelkinder darf sie nicht mehr sehen.

Petra Stark, Frührentnerin

"Ich muss das in Kauf nehmen. Ich muss es einfach in Kauf nehmen. Das sagt mir mein Herz, mein Gefühl. Ich muss das in Kauf nehmen, ich muss das machen, was ich jetzt mache, und Leute aufklären."

Harald Lamprecht, Weltanschauungs-beauftragter Evangelische Landeskirche Sachsen

"Leider kann man das immer wieder sehen, dass Familien daran zerbrechen, dass auch Ehen auseinandergehen, weil einfach die gemeinsame Basis, die Grundlage verloren geht, auf der man eigentlich mal zusammengekommen ist. Was halten wir für wahr? Was stimmt überhaupt? Und je länger Menschen sich da hineinbegeben, desto mehr kann man es sehen, dass ganz vieles wegbricht und plötzlich nichts mehr sicher ist."

Der Einstieg in die Welt der Verschwörungsmythen sind meist die sogenannten alternativen Medien. Was macht sie so verführerisch? Wie schnell gerät man hier in einen Sog, der zu immer radikaleren Thesen führt?

Um Antworten zu finden, treffen wir Hans Demmel. In einer Art Selbst-Experiment tauchte er in die Parallelwelt der Verschwörungs-Medien ein. Ein halbes Jahr lang informierte er sich ausschließlich dort.

Hans Demmel, Medienmanager

"Es ist eine extrem dunkle Welt. Es ist eine Welt, in der es kaum Hoffnung gibt, in der die Medien, die etablierten Medien nur Lügen verbreiten. Und es ist eine Phase, oder für mich war es eine Phase, die mich am Ende tief deprimiert zurückgelassen hat."

Demmel ist Medienprofi. Ein erfahrener Journalist und Fernseh-Manager. Verführerisch war für ihn weniger der Unsinn in den Tiefen des Internets. Sondern jene Medien, die auch am Bahnhofskiosk ausliegen, die er als "Einstiegsdroge" bezeichnet.

Hans Demmel, Medienmanager

"Diese Medien, die, wenn man so will, noch am bürgerlichen Rand sind oder die anschlussfähig sind für konservativ bürgerliches Denken, fangen schon an, mit Begriffen wie Staats-Verwahrlosung beispielsweise demokratisches Gedankengut zu unterminieren. Wenn man dann dem ein oder anderen Autor folgt oder wenn man dann auf YouTube geht, zieht es einen mit sehr, sehr, sehr, sehr hohem Tempo immer weiter nach rechts, zu immer wilderen Theorien."

Hier erfährt Demmel, dass Donald Trump vom "Deep State" um den Wahlsieg betrogen wurde, dass es in Wirklichkeit gar keine Pandemie gebe. Ein Sog von Halbwahrheiten und Falschnachrichten, der vor allem eines hinterlässt: tiefe Verunsicherung.

Hans Demmel, Medienmanager

"Ich habe mir schwergetan, da wieder rauszukommen. Und es gibt heute, jetzt fast ein Jahr, oder mehr als ein Jahr nach dem Beginn dieses Versuches immer noch an der einen oder anderen Stelle Zweifel. Es gibt bei mir ein immenses Misstrauen gegen jede Art von Veröffentlichung, selbst gegenüber Medien, für die ich auch gearbeitet habe."

Über seine Erfahrungen hat Demmel ein Buch geschrieben, gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Friedrich Küppersbusch. An diesem Abend lesen sie in Berlin, sie wollen warnen vor den Parolen dieser "Anderswelt", wie der Titel ihres Buches lautet.

Veranstaltung

"Merkel muss weg. Massenmigration. Flüchtlinge werden grundsätzlich als potenzielle Vergewaltiger gesehen. Corona ist nur eine harmlose Grippe und ist erfunden worden. Und wenn sie Tag für Tag nichts anderes lesen, dann macht es einfach Angst, dann macht es einfach wirklich, wirklich, wirklich Angst."

Die große Gefahr, die sie sehen: Am Ende verwischt die Grenze zwischen Journalismus und Propaganda, zwischen Wahrheit und Lüge.

Friedrich Küppersbusch

"Jeder, der möchte, kann sich heute die Meinung, die er haben möchte, googeln, also sozusagen Rektal-Journalismus betreiben: Ich erfinde mal eine Schlagzeile und die google ich so lange, bis irgendjemand sagt, es sei so. Heute leben wir im Zeitalter, wo das geht, wo ich ins Netz gehe und sage: Ich werde die Plattform bevorzugt bedienen, die mir erzählt, der Führer sitze in der Reichsflugscheibe Haunebu unterm Südpol und warte auf seine Stunde. Und dann findet sich auch ein Irrer, der das schreibt und – Match - haben wir eine neue Wahrheit erfunden."

Hans Demmel, Medienmanager

"Wenn sie ausschließlich diesen Medien folgen und das ausschließlich glauben, was dort steht. Dann sind sie eigentlich verpflichtet, Widerstand gegen diesen Staat zu leisten."

Wer aber sind die Akteure, die den Hass verbreiten? Einer der bekanntesten Hetzer betritt mit Beginn der Pandemie die Bühne der Verschwörungsideologen.

Attila Hildmann, Verschwörungsideologe

"Hitler war ein Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel. Denn Sie plant mit Gates einen globalen Völkermord von sieben Milliarden Menschen. In diesem links-faschistischen Staat bin ich stolzer Ultra-Rechter!"

Einspieler

"Attila Hildmann - mit vollem Namen Attila Klaus Peter Hildmann. Im früheren Leben erfolgreich als Autor von Kochbüchern für vegane Gerichte. Seit Pandemiebeginn hauptberuflich Verschwörungsideologe und rechtsradikaler Antisemit."

"Attila! Attila!”

Hildmann schart schnell Anhängerinnen um sich, auf Telegram hat er zeitweise mehr als 100.000 Abonnenten. Wir treffen den Mann, der Hildmann ab Sommer 2020 unterstützt, zahlreiche seiner Social-Media-Kanäle und Websites verwaltet: Kai Enderes. Der IT-Experte wohnt zeitweise sogar bei Hildmann. Vor kurzem hat Enderes mit ihm gebrochen, jetzt packt er gegenüber Kontraste und dem Rechercheformat strg_f aus über seine Zeit mit Hildmann.

Kai Enderes, ehem. Vertrauter Hildmanns

"Er hat sich immer mehr radikalisiert und sein Ziel war letztendlich nicht irgendwie das, was er jetzt öffentlich äußert, eine tolle Sache zu erwirken und irgendwas Schlimmes zu bekämpfen, sondern es ging immer nur um Eigennutz. Es ist Eigennutz, es ist narzisstisch und es ist Eigennutz."

Zwar setzt die Polizei Hildmann einige Male kurzzeitig fest. Über Monate kann er aber nahezu unbehelligt weiterhetzen, sogar öffentlich zum Mord an Politikern aufrufen. Erst im Februar dieses Jahres beantragt die Berliner Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl, unter anderem wegen Volksverhetzung.

Enderes und Hildmann sind da längst über alle Berge. Sie haben sich in die Türkei abgesetzt.

Kai Enderes, ehem. Vertrauter Hildmanns

"Wir wollten nicht in Deutschland sein. Er hatte Angst, dass die Deutschen ihn verhaften könnten. Er war eh schon die ganze Zeit paranoid und wollte nicht mehr und wollte raus und so weiter. Und dann ist er raus oder wir sind raus."

Katharina Nocun, Politikwissenschaftlerin

"Der Fall Attila Hildmann zeugt von einem unglaublichen Behördenversagen. Es kann nicht sein, dass jemand derart radikale Dinge verbreitet, auch Hassparolen verbreitet, Menschen konkret bedroht und beleidigt und sich dann einfach ins Ausland absetzen kann. Das zeugt davon, dass anscheinend die Gefahr unterschätzt wurde und vor allem auch unterschätzt wurde, was für eine Signalwirkung von so einem Fall ausgeht."

Und Enderes erhebt schwere Vorwürfe. Eine Mitarbeiterin der Berliner Generalstaatsanwaltschaft soll Hildmann mit internen Informationen versorgt haben. Es geht um diese Frau, eine junge IT-Expertin der Behörde. Offenbar kommt sie aus dem Querdenker-Milieu, dieses Foto zeigt sie bei Corona-Protesten vor dem Bundestag. Sie soll Hildmann frühzeitig vor dem bevorstehenden Haftbefehl gewarnt haben. Offenbar war es ihm gelungen, die 32-Jährige mit in seinen Verschwörungswahn zu ziehen.

Kai Enderes, ehem. Vertrauter Hildmanns

"Der hat ihr von Anfang an verkauft: Wenn du das alles hier für mich machst, dann hol ich dich dort raus. Sie ist ja total in der Angst: Die Juden regieren Deutschland, es sind alles Satanisten, Pandemie, bla bla bla alles. Die Welt geht unter. Wir werden jetzt alle tot gespritzt, so. Das ist ihre Ansicht. Und er sagt ihr: Ich hol dich aus dem Land raus, wenn du mir hilfst."

Kontraste

"Es war eine Art Liebesbeziehung?"

Kai Enderes, ehem. Vertrauter Hildmanns

"Ich denke, dass er ihr das auf jeden Fall vorgetäuscht hat und dass das von ihrer Seite das war, was sie sich gewünscht hat, ja."

Auf unsere Recherchen hin bestätigt die Berliner Staatsanwaltschaft, dass sie in dem Fall ermittelt - wegen Geheimnisverrats und versuchter Strafvereitelung.

Martin Steltner, Generalstaatsanwaltschaft Berlin

"Wir müssen derzeit leider davon ausgehen, dass wir einen Maulwurf in den eigenen Reihen hatten, dass die Mitarbeiterin nicht nur Daten abgefragt hat illegal, sondern möglicherweise diese Daten auch an Attila Hildmann weitergegeben hat."

Der Frau wurde im Mai fristlos gekündigt, ihre Wohnung durchsucht. Wir finden sie und können kurz mit ihr sprechen. Sie bestätigt Enderes zu kennen, den Kontakt zu Hildmann bestreitet sie. Es gelingt uns auch, den Rechtsextremisten in seinem Versteck zu erreichen.

Attila Hildmann, Verschwörungsideologe

"Zum Glück gibt es in BRD-Behörden einige Menschen, die ganz sicher nicht, ganz sicher nicht mit dieser Impf-Apartheid mitgehen, mit diesen ganzen überzogenen Maßnahmen, dass sie natürlich mir auch Informationen schicken zu meiner Sicherheit."

Kontraste

"Hat Frau M. diesen Haftbefehl an Sie weitergegeben?

Attila Hildmann, Verschwörungsideologe

"Ich werde dazu nichts sagen, denn ich bin kein Verräter und ich werde zu niemanden Auskunft geben."

Kai Enderes nennt weitere Details: So soll die Frau im Februar sogar zu Hildmanns Versteck in die Türkei gereist sein. Mit ihrem Dienst-Notebook habe sie ihm direkten Zugang zu den Behörden-Servern verschaffen wollen.

Kai Enderes, ehem. Vertrauter Hildmanns

"Die wollten letztendlich, dass wir die gesamte Datenbank von der Generalstaatsanwaltschaft leer machen. Also einmal mitnehmen alles und – und das sagte sie - am besten auch alles zerstören, weil sie sagte wortwörtlich, so wie die da aufgestellt sind, sind die dann erstmal für Monate lahm gelegt."

Enderes behauptet, er habe diesen Plan vereitelt. Seine Rolle bleibt undurchsichtig. Ein Jahr lang hat er Hildmann geholfen, seinen Verschwörungswahn und Hass in die Welt zu tragen. Heute gibt er vor, es sei ihm nur darum gegangen, Belastendes über Hildmann zu sammeln.

"Der sitzt jetzt im Ausland und fabuliert weiter über die große Verschwörung von Politik und Medien."

Attila Hildmann, Verschwörungsideologe

"… und sie stellen sich auf die Seite der Lüge, des Kommunismus und der Versklavung aller Völker."

Nur hören Attila Hildmann nicht mehr so viele zu. Mit seinem IT-Manager hat er auch die Passwörter zu seinen Accounts verloren – und damit einen großen Teil seiner Abonnenten. Währenddessen fluten andere das Netz weiter mit Lügen und Verschwörungsmythen. Besonders aktiv: Der Internet-Sender Klagemauer-TV, auch Kla.Tv genannt. Manche der Videos dort kommen auf mehrere Millionen Abrufe.

Ausschitte Kla.TV

"Die Rothschild-Kontrolle. Wer kontrolliert diese Ein-Prozent-Elite? Ist es eine bloße Verschwörungstheorie? - "Wurde die Zerstörung des World Trade Center nicht durch den Einschlag von 2 Flugzeugen verursacht, sondern durch nukleare Sprengsätze?" – "Kann es sein, dass hinter der Klimabewegung nach wie vor der perfide Plan von Eugenikern steckt, das Ziel, die Menschheit zu reduzieren?" – "Corona-Kinder-Impfung: Es ist Mord."

Katharina Nocun, Politikwissenschaftlerin

"Kla.TV spielt natürlich auch eine Rolle in der verschwörungsideologischen Szene in Deutschland, weil sie natürlich auch am laufenden Band neue Videos produzieren. Hinzu kommt, dass dort dann eben auch Inhalte verfügbar sind auf der Plattform, die beispielsweise bei YouTube gesperrt werden würden."

Das Mastermind hinter Klagemauer TV ist dieser Mann: Ivo Sasek, Gründer und Führer der OCG.

Erklär-Einspieler

"OCG – das ist die Organische Christus Generation, eine fundamentalistische Sekte aus der Schweiz. Sie lehrt zum Beispiel, Kinder zu schlagen, um deren Willen zu brechen. Die OCG lehnt die Demokratie ab und verbreitet systematisch Desinformation und Verschwörungsmythen."

Damit versucht Sekten-Chef Sasek seine Gefolgschaft um sich zu sammeln. Per Kla.TV ruft er sie immer wieder dazu auf, bis zum Äußersten gegen die angebliche Weltverschwörung anzugehen:

Ivo Sasek

"Eine Unterwerfung unter diese faschistischen Diktatoren und dergleichen wäre weit schlimmer als jede andere Form des Martyriums. Es gibt Schlimmeres als den Tod, versteht ihr?"

Unsere Interviewanfrage lehnt Sasek ab. Stattdessen droht er uns, wir sollten umkehren und unsere Köpfe …

Zitat

"… noch rechtzeitig aus der Schlinge ziehen, um sich vor einer mit Sicherheit kommenden Abrechnung durch einen bereinigten Weltgerichtshof zu schützen. Ich sage dies aber nicht aus Hass, sondern in Liebe."

Nicht nur im Netz, auch auf der Straße bei Corona-Protesten mischt die OCG mit. Sie ist mit Propaganda präsent, Musiker der Sekte nutzen Querdenken-Demonstrationen als Bühne für ihre Videos.

Auch er ist mittendrin: Matthäus Westfal. Als "Aktivist Mann" streamt er regelmäßig von den Protesten. Er gibt sich als Journalist aus, seine Videos zeigen: In Wahrheit ist er ein lautstarker Einheizer:

"Die Menschen marschieren jetzt durch die Stadt. Das Volk geht weiter, das Volk geht weiter. Du musst an die Front, Mann, du musst an die Front, geht weiter. Hör auf zu filmen, geh nach vorne Mann!"

Auch den Sturm auf die Reichstagstreppen streamt Westfal life ins Netz:

"Das ist der Wahnsinn!"

Und für die ganze Welt zu sehen: die freundschaftliche Begrüßung mit dem bekannten Rechtsextremisten Nicolai Nerling:

"Nicolai, was geht hier ab! Was geht hier ab, was geht hier ab, Mann. Ja Mann!"

Westfal ist kein einsamer Streamer, sondern kommt aus der OCG. Das legen interne Datensätze der Sekte nahe, die uns von Hacker-Kollektiv Anonymous zugespielt wurden.

Wir entdecken ein internes Video mit dem Titel "Medienschlacht" aus dem Jahr 2020. Darin Westfal, zu sehen am Hauptsitz der Sekte in der Schweiz. Hinzu kommt ein Organigramm des OCG-Medien-Teams: Im Bereich IT ist ein Matthäus eingetragen – Westfals Vorname.

Ist er im Auftrag der Sekte aktiv? Im Interview mit uns sagt Westfal, er handele aus eigenem Antrieb, gibt aber keine eindeutige Antwort.

Matthäus Westfal, Videoblogger "Aktivist Mann"

"Ich kann nur sagen, ich bin nach wie vor ein Fan von Klagemauer-TV. Die Leute sollten mal gucken, was da alles zu finden ist. Wunderbare Information!"

Nebenbei wärmt er einen hundertfach als Fälschung enttarnten Klassiker antisemitischer Verschwörungs-Mythen auf.

Matthäus Westfal, Videoblogger "Aktivist Mann"

"Diese Protokolle der Weisen von Zion erfüllen sich genau so. Man kann die einfach nehmen, lesen und da wundert man sich: Was, das 150 Jahre alt, circa. Es erfüllt sich ja genau so. Also gibt es irgendwelche Machthaber auf der Welt, die sich als Juden oder Zionisten tarnen, und in Wirklichkeit sehr, sehr böse Sachen tun."

Mit dem Sänger und Verschwörungsideologen Xavier Naidoo hat Westfal einen prominenten Verbündeten gefunden. Gemeinsam nehmen sie ein millionenfach geklicktes Musikvideo auf, in dem zahlreiche bekannte Rechtsradikale und Querdenker auftreten. Ein bemerkenswerter Brückenschlag.

Katharina Nocun, Politikwissenschaftlerin

"Der Kitt der Esoterik, Rechtsextremismus und Verschwörungs-ideologisches Milieu zusammenhält sind ganz klar die Feindbilder: Medien, Wissenschaft und Politik belügen uns, es gibt eine Verschwörung, es gibt eine verborgene Wahrheit hinter den Dingen. Und dahinter verschwinden dann eben auch die Unterschiede, und, ja, man tut sich zusammen und mobilisiert beispielsweise für Proteste, für Demonstrationen, oder nimmt gemeinsam Videos auf."

Westfal und die OCG treiben diese Vernetzung gezielt voran. Nicht nur zu Attila Hildmann suchten sie Kontakt. Westfal streamte von den Corona-Protesten auch zusammen mit Jürgen Elsässer, Chefredakteur des Magazins Compact.

Erklär-Einspieler

"Das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer gehört zu den einflussreichsten Publikationen am rechten Rand. Angebliche monatliche Auflage: 40.000 Hefte. Inhaltlich steht das Blatt dem völkischen Flügel der AfD nahe, und der Verfassungsschutz stuft es als rechtsextremen Verdachtsfall ein."

Elässer ist ein alter Bekannter im OCG-Kosmos. Er trat dort auch schon als Redner bei einem Kongress der Sekte in der Schweiz auf:

"Ja, vielen Dank für die Einladung, ich bin immer gerne in der Schweiz, einem freien Staat innerhalb eines unfreien Imperiums."

Video Kla.TV

Im Gegenzug bewirbt die Sekte auf Kla.TV sein Compact-Magazin:

"Ihr macht eine tolle Arbeit! Angefangen hier bei diesen originellen Titelbildern."

Immer wieder greift auch Compact verschwörungsideologische Darstellungen auf, raunt regelmäßig von geheimen dunklen Mächten. Verantwortlich dafür: Chefredakteur Jürgen Elsässer. Im Interview lässt er durchblicken, dass er viele der gängigen Mythen selbst nicht glaubt. Etwa die angeblich geplante Reduzierung der Menschheit. Aber: Er hält sie für politisch nützlich.

Jürgen Elsässer, Chefredakteur Compact

"Es werden Erzählungen gemacht, es werden Märchen und Allegorien formuliert, die dann wabern. Es ist nicht die Wahrheit. Aber es hält sozusagen die Volksseele, den Volksdiskurs am Laufen. Und das ist sozusagen die Hefe, aus der ein politischer Widerstand im rationalen Sinn erst entstehen muss."

Elsässer fordert den Sturz des "Regimes", wie er die demokratisch gewählte Regierung nennt. Lügen, die den Volkszorn schüren, scheinen da ein willkommenes Mittel zum Zweck.

Katharina Nocun, Politikwissenschaftlerin

"In der rechtsextremen Szene werden Verschwörungs-Erzählungen schon immer dazu benutzt, auch um Menschen zu radikalisieren. Diese Überzeugung, man lebe in einer Diktatur, die lädt ja auch geradezu dazu ein, dass man dann sagt: Na ja, wenn wir in einer Diktatur leben, dann müssen wir uns eben wehren. Und Misstrauen zu säen gegenüber Medien, Politik, aber auch Wissenschaft spielt natürlich auch Rechtsextremisten in die Hände."

Diese Saat des Misstrauens – sie ist längst aufgegangen, etwa bei Menschen wie Petra Stark. Auch nach unseren Dreharbeiten schickt sie uns nahezu täglich Nachrichten: ein unablässiger Strom an Verschwörungs-Geschichten. Wir antworten ihr: Sie habe sich verrannt, sie solle bitte nicht den Scharlatanen und Lügnern aus dem Netz glauben, und sich impfen lassen. Petra Stark bedankt sich freundlich für unsere ehrliche Meinung. Kurz darauf schickt sie uns die nächsten Neuigkeiten aus der Welt der Verschwörungserzählungen.