Muss man nach suizidversuch in die psychiatrie

Muss man nach suizidversuch in die psychiatrie
Muss man nach suizidversuch in die psychiatrie
Zusammenfassung
Bei circa 80 bis 90 Prozent aller Suizidhandlungen handelt es sich um Intoxikationen, die relativ h�ufig auf Intensivstationen behandelt werden m�ssen. Die Versorgung von Suizidpatienten mit Intoxikationen umfasst die somatische Behandlung, eine psychosoziale und psychiatrische Diagnostik und immer eine Krisenintervention. Die Krisenintervention hat alle relevanten Aspekte der Suizidalit�t sowie die speziellen Probleme der Kommunikation und Interaktion zwischen �rzten und Pflegepersonal mit den Suizidpatienten zu beachten. Ziel ist es, die Ursachen der suizidalen Krise m�glichst transparent werden zu lassen und gleichzeitig einen ersten Schritt des Patienten in Richtung Bew�ltigung der Krise zu erreichen.

Schl�sselw�rter: Suizid, Krisenintervention, Vergiftung, psychiatrisches Konsil

Summary
Intoxication and Suicide � Where and How Should Suicidal Patients be Treated?
In up to 90 per cent suicides are intoxications which have to be treated in intensive care units. The medical care of these patients consists of the physical treatment, psychosocial and psychiatric diagnosis and crisisintervention. Crisisintervention has to take all relevant aspects of the suicidality into account with special emphasis on communication and interaction between the patient with nurses and doctors. The objective is to clarify the reasons of the suicidal crisis and to achieve first step towards crisis management.

Key words: suicide, crisisintervention, intoxication, psychiatric consultation

Suizidpatienten f�hren oft zu besonderen Belastungen des �rztlichen und pflegerischen Personals auf der Intensivstation. Diese Patienten suchen nicht prim�r �rztliche Hilfe, sondern bringen durch die Suizidhandlung zum Ausdruck, dass sie nicht mehr weiterleben wollen, jedenfalls nicht unter den gegebenen Umst�nden. Suizidpatienten werden nicht selten als �Fremdk�rper� (2) erlebt. Im Umgang mit ihnen zeigen sich h�ufig Unsicherheiten und �ngste.
Es ist leider ein immer noch zu beklagendes Defizit, dass Suizidpatienten einerseits eine hochdifferenzierte intensiv medizinische Behandlung erhalten, andererseits ihnen jedoch oft keine ausreichende menschliche Zuwendung, psychosoziale Diagnostik und Therapie zuteil wird (4).
Suizidpatienten distanzieren sich oft auffallend schnell von weiteren Suizidabsichten. Die hohe Rezidivquote macht jedoch den Ernst der
Situation deutlich. Deshalb wird mit Recht gefordert, dass im Rahmen
einer Krisenintervention immer eine psychiatrisch-psychotherapeutische Exploration zu erfolgen hat, eine zumindest vorl�ufige Diagnose gestellt wird und weitere Versorgungsangebote besprochen und vermittelt werden. Dieser Auftrag wird an konsiliarisch t�tige Psychiater delegiert.
H�ufigkeit von Suizidhandlungen
Von 100 000 Einwohnern in der Bundesrepublik Deutschland sterben j�hrlich 16 bis 19 Menschen durch Suizid (3, 5). �ber 100 000 Suizidpatienten werden j�hrlich in Deutschland in Kliniken versorgt. Bei ungef�hr 80 bis 90 Prozent aller Suizidhandlungen handelt es sich um Intoxikationen. Diese Intoxikationen m�ssen relativ h�ufig auf Intensivstationen behandelt werden (4).
Modelle der Versorgung im Krankenhaus
Die Trennung in eine somatische Behandlung durch den Intensivmediziner und eine psychiatrisch-psychotherapeutische Betreuung durch den psychiatrischen Konsiliararzt ist auch heute noch die h�ufigste Vorgehensweise. Dieses Modell l�sst M�ngel erkennen, die aus der strikten Trennung der �rztlichen Verantwortung resultieren (4). Ung�nstig wirkt sich aus, dass sich das auf der Intensivstation t�tige Personal durch die Delegation an den Psychiater nicht mehr in ausreichendem Ma�e verantwortlich f�hlt und sich deshalb nicht auf die eigentlich notwendige Kommunikation mit dem Patienten einl�sst. Das ist f�r den Suizidpatienten entt�uschend und impliziert die Gefahr, dass er sich nur begrenzt motivieren l�sst, mit dem konsiliarisch t�tigen Psychiater ein offenes Gespr�ch zu f�hren, das nicht nur Alibicharakter (4) hat.
Zu einer deutlichen Verbesserung der Versorgung von Suizidpatienten ist es durch die Liaison-Psychiatrie auf internistischen Intensivstationen gekommen. Bei diesem Modell wird das gesamte medizinische Team durch den hinzugezogenen Psychiater beraten und erh�lt eine Supervision. Der Liaison-Psychiater arbeitet eng mit den �rzten und dem Pflegepersonal der Intensivstation zusammen und ist relativ leicht erreichbar, wenn seine Mitarbeit bei besonderen Problemen gew�nscht wird.
Einige Krankenh�user haben ein multiprofessionelles, kooperatives Modell im Sinne eines multidisziplin�ren Teams entwickelt, bei dem Internisten psychosoziale Versorgungsaufgaben mit �bernehmen (4). Suizidpatienten werden von der Intensiv- auf eine internistische Allgemeinstation verlegt, die die Betreuung �bernimmt. Sozialarbeiter unterst�tzen das Team. Bei besonderen Problemen und diagnostisch unklaren F�llen wird ein Psychiater und Psychotherapeut konsiliarisch hinzugezogen.
Nur in wenigen Kliniken sind Kriseninterventionseinheiten beziehungsweise -zentren eingerichtet worden. Sie lassen sich aus �konomischen Gr�nden nur in gro�en Kliniken mit einer sehr hohen Zahl von Suizidpatienten verwirklichen.
�rztlich-pflegerische Zusammenarbeit
Die Bedeutung der beginnenden Kommunikation des �rztlichen und pflegerischen Personals schon auf der Intensivstation kann kaum �bersch�tzt werden. Die durch den Psychiater erfolgende qualifizierte Diagnostik ist eingebunden in den gesam-
ten Kontext der Kommunikation auf der Intensivstation. Es kommt stets zu einer Beziehung, auch wenn unmittelbare Kontakte �ber die somatische Behandlung hinaus vermieden und von vornherein weitere Gespr�che an den konsiliarisch hinzugezogenen Psychiater delegiert werden. Suizidpatienten sind sehr sensibel und nehmen genau wahr, was um sie herum geschieht, insbesondere zu welchen Reaktionen es beim Personal kommt.
Die Frage ist nicht, ob das Personal ausreichend ausgebildet ist f�r diese Aufgaben. Da eine Kommunikation mit dem Suizidpatienten immer stattfindet, lautet die Frage vielmehr, wie sie sich vollzieht. Es geht also weniger um Spezialwissen als um Menschlichkeit (4).
Probleme der Interaktion
W�hrend von Personen in helfenden Berufen eigentlich positive Gef�hle, Verst�ndnis, W�rme und Akzeptanz erwartet werden, tauchen vor allem gegen�ber Suizidpatienten auch ganz andere Gef�hle auf wie Angst, Aggression, �rger, Ablehnung und Wut.
Befragungen von �rzten und Krankenpflegepersonal verschiedener Disziplinen veranschaulichten deutlich, dass sie gegen�ber Suizidpatienten oft weniger Mitgef�hl und Wohlwollen zeigen als beispielsweise gegen�ber internistischen Patienten (zum Beispiel nach Herzinfarkt). Tablettenintoxikationen in suizidaler Absicht wurden als unbeliebteste Diagnose beurteilt und l�sten besonders negative emotionale Reaktionen aus.
Das �rztliche und pflegerische Personal ist in den Beziehungen zu Patienten von sehr unterschiedlichen Gef�hlen bestimmt. Suizidpatienten erwarten viel Zeit und Geduld. Sie verhalten sich oft provozierend und neigen zu auff�lligen Reaktionen. Dadurch f�hlen sich �rzte, Schwestern und Pfleger �berfordert und werden mit den in ihnen selbst ausgel�sten �ngsten und Aggressionen nicht fertig. Es ist deshalb notwendig, dass sie sich �ber ihre Gef�hle im Umgang mit Suizidpatienten Klarheit verschaffen und ihre eigene Einstellung zu Tod und Suizid reflektieren. Nur dann lassen sich ein konstruktiver Umgang mit diesen Gef�hlen und Sicherheit in der Beziehung zu Suizidpatienten gewinnen (1, 2).
Praktisches Vorgehen
Bei vielen Suizidpatienten sind gravierende Kr�nkungen und Krisenanl�sse nachzuweisen. Nicht selten zeigt sich eine H�ufung von vielf�ltigen Belastungen, die zu Suizidhandlungen gef�hrt haben wie Untreue, Trennung, Krankheit, Verlust einer nahestehenden Bezugsperson, sozialer Abstieg.
Ziel ist es, die Ursachen und Anl�sse der suizidalen Krise, soweit es m�glich ist, transparent werden zu lassen und gleichzeitig den ersten Schritt zur Bew�ltigung der Krise zu tun, das hei�t sich von weiterer Suizidalit�t zu distanzieren und Angebote einer weiteren Behandlung zu akzeptieren.
Die im Textkasten genannten Leitlinien scheinen im Umgang mit Suizidpatienten besonders wichtig.
Die Krisenintervention hat sofort zu erfolgen, und es muss ausreichend Zeit zur Verf�gung stehen.
Schon der Erstkontakt f�hrt zu einer menschlichen und therapeutischen Begegnung und hat oft eine entscheidende Bedeutung f�r die weitere Entwicklung, insbesondere die Compliance.
Die suizidale Vorgeschichte ist genau zu explorieren. Fr�here und jetzige Konflikte, die in die Suizidalit�t gef�hrt haben, m�ssen deutlich werden.
In der Regel hat eine zumindest vorl�ufige diagnostische Zuordnung zu erfolgen (zum Beispiel Anpassungsst�rung, Depression, Psychose, Abh�ngigkeitserkrankung, Pers�nlichkeitsst�rung).
Jeder Suizidversuch ist ernst zu nehmen. Deshalb ist die Einteilung in demonstrative beziehungsweise appellative und ernstgemeinte Suizidversuche immer kritisch zu hinterfragen.
Wenn ein empathischer Zugang zum Patienten gefunden ist, l�st sich in der Regel die aktuelle innere Spannung, und es kommt zur Befreiung aus der affektiven Isolierung. Die Krise ist so lange mit dem Patienten durchzustehen, bis die Angst ertr�glich geworden ist und sich eine Neuorientierung abzeichnet.
Zu beachten sind Bagatellisierungstendenzen des Patienten im Sinne einer zu schnellen Abwehr des Konflikts, auf die sich Therapeuten oft zu fr�h einlassen. Das Gespr�ch �ber den suizidausl�senden Konflikt wird dann ausgeblendet (2).
Das labile Selbstwertgef�hl des Suizidpatienten und die oft als kr�nkend erlebte Situation der Behandlungsbed�rftigkeit sind genau zu beachten und haben Konsequenzen f�r den therapeutischen Umgang im Sinne einer St�rkung des Selbstwertgef�hls durch ermutigende und st�tzende Worte.
Der Therapeut darf provokative Aussagen und aggressives Verhalten des Suizidpatienten nicht pers�nlich nehmen. Der Suizidpatient muss schon in den anf�nglichen Gespr�chen ausreichenden Raum finden, seine Gef�hle der Entt�uschung, des �rgers und der Wut zum Ausdruck zu bringen, seine Aggressionen wieder nach au�en richten zu k�nnen und er muss sich in seinem Gekr�nktsein und seiner tiefen Verzweiflung verstanden und angenommen wissen.
Das offene Gespr�ch �ber den aktuellen Krisenanlass l�sst oft Zusammenh�nge mit relevanten biografischen Erlebnissen und seit vielen Jahren bestehenden Konflikten offenbar werden. Die Erinnerung an fr�here Probleml�sungsm�glichkeiten in Krisensituationen kann bei der �berwindung der aktuellen Krise hilfreich sein.
Suizidpakte sind unterschiedlich zu beurteilen. Die Zusage, sich in der n�chsten Zeit nicht zu suizidieren, sondern das Therapieangebot anzunehmen, kann f�r den Suizidpatienten eine wichtige Hilfe sein.
Alle relevanten Aspekte der suizidalen Krise m�ssen beachtet werden. Dazu geh�ren alle Probleme und Bed�rfnisse somatischer, psychischer beziehungsweise psychosozialer und auch finanzieller Art.
Wichtig ist, den Patienten zur Nachsorge und zu einer m�glicherweise notwendig erscheinenden weiteren Behandlung zu motivieren und schon Terminabsprachen zu vereinbaren.
Die Notwendigkeit einer station�ren Behandlung h�ngt von dem Grad der weiteren Suizidgef�hrdung und ambulanten Behandlungsalternativen ab. In diese Beurteilung flie�en unterschiedliche Faktoren ein wie Alter und Familienstand des Patienten, das Fehlen von Kontakten und Vereinsamung, weiterbestehende ausgepr�gte Angstgef�hle, die Ersch�tterung des Selbstwertgef�hls.
Behandlungen von Suizidpatienten gegen ihren Willen auf der Basis eines richterlichen Beschlusses (Psych-KG oder Betreuungsgesetz) sind bei zu hoher Selbstgef�hrdung und fehlender Behandlungsbereitschaft nicht zu umgehen (1). Sie sollten allerdings nur so lange in Distanz zur allt�glichen Realit�t des Patienten durchgef�hrt werden, wie es unbedingt notwendig erscheint und teilstation�re beziehungsweise ambulante Behandlungsm�glichkeiten noch nicht ausreichen.

zZitierweise dieses Beitrags:
Dt �rztebl 2000; 97: A 3027�3029 [Heft 45]

Literatur
1. Bron B: Ethische und juristische Aspekte des Suizidproblems. Fortschritte der Neurologie � Psychiatrie 1986; 54: 232�239.
2. Reimer C: Pr�vention und Therapie der Suizidalit�t. In: Kisker KP, Lauter H, Meyer JE, M�ller C, Str�mgren E, (eds.): Psychiatrie der Gegenwart Band 2. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer 1986; 133�173.
3. Schmidtke A: Suizid- und Suizidversuchsraten in Deutschland. In: Wolfersdorf M, Kaschka KP, (eds.): Suizidalit�t. Die biologische Dimension. Berlin, Heidelberg: Springer 1995; 17�32.
4. Wedler H: Internistische Intensivmedizin und Betreuung von Suizidpatienten. Konzepte und Probleme. In: Wolfersdorf M, Kaschka KP, (eds.): Suizidalit�t. Die biologische Dimension. Berlin, Heidelberg: Springer 1995; 201�211.
5. Wedler H, Reimer Ch, Wolfersdorf M: Suizidalit�t. In: Faust V, (ed.): Psychiatrie. Stuttgart, Jena, New York: Gustav Fischer 1995; 397�416.

Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Dr. theol. Bernhard Bron
Klinik f�r Psychiatrie und Psychotherapie
Kreiskrankenhaus Siegen
Haus H�ttental
Weidenauer Sta�e 76
57076 Siegen

Klinik f�r Psychiatrie und Psychotherapie (Chefarzt: Prof. Dr. med. Dr. theol. Bernhard Bron) des Kreiskrankenhauses Siegen

Krisenintervention
- Sofortiger Beginn, ausreichend Zeit
- Erstkontakt: Menschliche und therapeutische Begegnung
- Exploration der suizidalen Vorgeschichte
- Vorl�ufige diagnostische Zuordnung
- Jeder Suizidversuch ist ernst zu nehmen
- Gemeinsames Durchstehen der suizidalen Krise
- Bagatellisierungstendenzen beachten
- Wahrnehmen der leichten Kr�nkbarkeit
- Konstruktiver Umgang mit Aggression
- Zusammenh�nge zwischen aktuellem Krisenanlass und Lebensgeschichte
- Eventuell Suizidpakt
- Ber�cksichtigung aller relevanten Probleme und Bed�rfnisse
- Nachsorge, weitere ambulante Behandlung, Terminabsprache
- Kl�rung der Indikation zur weiteren station�ren Behandlung
- Kl�rung der Frage der Zwangsbehandlung

Was bedeutet akut Suizidal?

Akute Suizidalität besteht, wenn sich aufdrängende Suizidgedanken mit konkreten Suizidabsichten vorliegen und eine akute Suizidhandlung droht. Akute Suizidalität besteht, wenn sich aufdrängende Suizidgedanken mit konkreten Suizidabsichten vorliegen und eine akute Suizidhandlung droht!

Wie viele Depressive bringen sich um?

Zahlen zur Depression Depressionen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. An Depression sind derzeit in Deutschland 11,3% der Frauen und 5,1% der Männer erkrankt.