Geimpfte glauben sie seien sicher man hat sie falsch informiert

Alexander Kekulé bei ntv "2G ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung"

15.11.2021, 15:22 Uhr

2G oder ein Lockdown für Ungeimpfte gilt als besonders drastische Maßnahme im Kampf gegen die Pandemie. Virologe Alexander Kekulé hält davon nichts. Er ist sicher: Ein irgend gearteter Lockdown wird kommen: "Wir müssen die Kontakte reduzieren", sagt er im ntv-Interview.

ntv: Österreich macht ab heute Ernst. Alle, die weder geimpft noch genesen sind, müssen in den Lockdown. Glauben Sie, dass die Zahlen so wieder sinken werden?

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Alexander Kekulé: Nein, das wird nicht funktionieren. Dieses sogenannte 2G-Modell ist ja Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Die Menschen, die geimpft oder genesen sind, glauben, sie wären sicher, weil man ihnen das bis vor Kurzem auch gesagt hat. Sie gehen auf Partys, wo es keine Obergrenzen gibt. Sie treffen sich ohne Masken und Abstände. Es gibt keine Nachverfolgung und diese Menschen werden auch nicht mehr getestet. Das war ja Teil der Strategie, dass man ihnen versprochen hat, dass sie das bekommen, wenn sie sich impfen lassen. Das Problem ist nur, dass das Virus da nicht ganz mitspielt. Auch die Geimpften und die Genesenen infizieren sich natürlich zu einem erheblichen Teil. Dadurch haben wir eine unsichtbare Welle. Genauso ist es auch in Österreich und deshalb ist das der falsche Weg, dieses Konzept jetzt noch zu verstärken.

Auch in Deutschland ist nach den Plänen der Ampel-Parteien ein Lockdown für Ungeimpfte möglich. Sie halten davon also nichts?

Nein, denn 2G ist Teil des Problems. Wir haben aber noch ein zweites Problem: Dass in den Schulen einfach alles laufen gelassen wird. Da gibt es ja keine Maske mehr, keinen Abstand, keine Nachverfolgung, keine Quarantäne mehr. Dadurch haben wir so eine hohe Fallzahl. Und dann gibt es zwei Achillesfersen. Die eine sind die Menschen über 60, die noch ungeimpft sind. Das sind drei Millionen in Deutschland und das ist natürlich ein Problem. Und das andere Problem sind die vielen Durchbrüche bei den zweifach Geimpften. Die sterben nicht unbedingt daran, das ist klar. Aber sie kommen in die Krankenhäuser, sie liegen auf den Intensivstationen. Heute ist es schon so, dass etwa die Hälfte der Patienten in den Krankenhäusern und auch die Hälfte der Verstorbenen in Deutschland geimpft waren.

Die Ampel will auch die Homeoffice-Pflicht wieder einführen. Wäre das effektiv?

Wir haben viele Einzelinstrumente gehabt, die insgesamt bei uns Lockdown hießen. Interessanterweise wissen wir nicht, auch aus den Studien nicht genau, welche dieser einzelnen Instrumente am besten wirken. Aber klar ist, dass sie im Verbund sehr gut funktioniert haben. Wir werden in eine Situation kommen oder wir sind fast schon in der Situation, wo wir um die Kontaktbegrenzungen nicht mehr herumkommen. Das muss man ganz offen so sagen. Die Politik wird es wahrscheinlich nicht Lockdown nennen wollen, weil das L-Wort im Verruf ist und man auch versprochen hat, das nicht mehr zu machen. Aber de facto ist es so: Wir müssen die Kontakte reduzieren. Und dazu gehört unter anderem, dass die Betriebe möglichst viel im Homeoffice arbeiten.

Ziemlich genau einen Monat lang war das Testen in Deutschland kostenpflichtig. Das hat man jetzt wieder geändert. In welchem Ausmaß sollte getestet werden?

Wir testen zu wenig. Ich war absolut dagegen, das kostenpflichtig zu machen. Wir müssen in Altenheimen, wenn es um den Zutritt geht oder auch beim Personal und den Bewohnern PCR-Tests haben. Es hat keinen Sinn, sich in so einer kritischen Situation auf die Schnelltests zu verlassen. Zumindest das Personal und die Bewohner müssen in den Altenheimen regelmäßig mit PCR getestet werden, in relativ kurzen Abständen. Und das zweite Thema sind die Schulen. Da haben wir eine Welle, bei der man - ich versteh das gar nicht - einfach so zusieht. In einigen Bundesländern wurde die Testfrequenz schon reduziert, die Masken abgeschafft und so weiter. Da sollten wir auf jeden Fall mindestens dreimal die Woche testen.

Die Zahl der Geimpften in Deutschland, die sich mit dem Coronavirus infizieren, ist nicht unerheblich. Wäre da nicht sogar eine 1G-Regel nötig?

Das ist nicht praktikabel, wenn sie überall alle testen. Aber der Vorschlag, den ich habe, geht in eine ähnliche Richtung. Ich glaube, man braucht eine Obergrenze für 2G-Veranstaltungen. Man kann einfach nicht Veranstaltungen mit Tausenden von Personen machen und dann hinterher das Gesundheitsamt vor die Aufgabe stellen, einige Tausend Kontaktpersonen nachzuverfolgen. Das ist unmöglich. Wir brauchen eine Obergrenze. Das heißt also, dass wir zum Beispiel sagen, dass 50 oder 100 Personen die obere Grenze sind und sobald es mehr wären, müsste man entweder Masken aufsetzen oder alle vorher testen.

Mit Alexander Kekulé sprach Vivian Bahlmann