Weinen wenn andere weinen

Emotional

Heul doch!

Tränen haben viele Quellen: Trauer, Wut, Enttäuschung und Mitgefühl. Sie sind ein lebensnotwendiges Gefühlsventil. Ein Plädoyer fürs Heulen, Plärren und Flennen

Weinen wenn andere weinen

Ich beginne mit einem Bekenntnis und gebe unumwunden zu: Ich bin sehr nahe am Wasser gebaut, wie man so schön sagt. Das heißt: Ich weine oft und bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen. Ich weine aus Rührung, ich weine, wenn ich oder andere Menschen schlecht behandelt werden, ich heule im Kino, schluchze bei der Lektüre trauriger Bücher, es gibt Musik, die bei mir auf die Tränendrüse drückt. Unlängst schaffte das auch ein rührseliger Werbespot. Kurzum: Ich bin eine richtige Heulsuse.

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Daniela weint nur selten und wenn, dann für sich allein. Doch warum verstecken wir so oft unsere Tränen und schämen uns dafür? Daniela will lernen, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und fordert: Mehr Mut zum Weinen!

Frauen weinen schneller, häufiger und intensiver als Männer: Laut der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft (DOG) weinen Männer bis zu 17-mal im Jahr, Frauen hingegen bis zu 64-mal. Diese Unterschiede entstehen aber erst mit dem Älterwerden, denn ungefähr bis zum 13. Lebensjahr weinen Jungen und Mädchen gleich viel und auch aus den gleichen Gründen. Die Übersichtsarbeit zu emotionalen Tränen findet ihr hier.

Während manche Menschen nah an Wasser gebaut sind, weinen andere so gut wie nie. Wieso ist das so? Wann und in welchen Situationen vergießen wir Tränen? Und warum weint der Mensch überhaupt? Die US-amerikanische Psychologin Lauren Bylsma von der University of Pittsburgh und ihre Mitforschenden aus den Niederlanden und Kroatien haben in einer Metaanalyse die zentralen Faktoren zusammengetragen, die Einfluss darauf nehmen, wer, wann und warum in Tränen ausbricht. Die Studie findet ihr hier.

Unsere Gefühle können wie Quälgeister sein: Wir sind süchtig nach den schönen, wie Freude und Ausgelassenheit, und drücken die unangenehmen - Traurigkeit oder Angst - am liebsten weg. Doch weder das Wegdrücken noch das Rauslassen bringen Erlösung. Einzig hilfreich ist ein anderer Weg: der Weg der Achtsamkeit. Das Buch "Ruhe, ihr Quälgeister. Wie wir den Kampf gegen unsere Gefühle beenden können" (Arkana Verlag, 2013) des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten Andreas Knuf zeigt auf, wie das gelingen kann.

  1. 03.10.2017
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Wie geht man damit um? Überfordern uns doch die eigenen Gefühle schon allzu oft.

Weinen wenn andere weinen

Illustration: jetzt

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie "Hilfe, Menschen!" berichten wir ab sofort von unseren Sozialphobien. Heute: die Tränen fremder Menschen in der S-Bahn.

Die Zivilisation hat viel Gutes mit sich gebracht. Zum Beispiel haben wir gelernt, Konflikte mit Worten statt mit Steinäxten zu lösen. Überhaupt haben wir unsere Emotionen halbwegs unter Kontrolle. Wenn wir entgleisen, dann allein. Maximal noch in Anwesenheit eines echten Vertrauten, der uns selbst dann noch achtet, wenn er einen zähen Brei aus Tränen und Liebesbrief-Fetzen von unserem zuckenden Körper kratzen muss.

Mir gegenüber zuckte kürzlich auch jemand. Eine junge Frau im roten Kleid. Es war schön. Das Kleid jedenfalls. Das andere war schrecklich. Denn ich war weder eine Vertraute noch sonst irgendwer. Ich hatte einfach nur das Pech, in der selben S-Bahn wie sie nach Hause zu fahren. Absolut nichts hatte ich mit der Sache zu tun. Also guckte ich weg, als ob nichts wäre. Und fühlte mich trotzdem irgendwie verantwortlich. Wie jedes Mal, wenn ich mit überbordender Traurigkeit von völlig Fremden konfrontiert bin. Denn muss man nicht eigentlich eingreifen, wenn jemand leidet? Trost spenden, Händchen halten, Taschentuch zücken? „Es wird alles wieder gut“, will ich dann immer rufen. Aber woher soll ich das schon wissen? Vielleicht wird im Leben dieses Menschen absolut nichts mehr gut werden. Zumindest nicht so bald. Darum halte ich meine Klappe. In Wirklichkeit will ich die Situation in diesem Augenblick nur halbwegs erträglich machen. Auch für mich selbst.

Dieser fremde Elendshaufen im roten Kleid könnte auch ich sein

Denn mal ehrlich: Ich bin schon von meinen eigenen Gefühlen allzu oft überfordert. Weiß nicht wohin mit mir, wenn die Tränen kommen. Würde mich am liebsten vor mir selbst verstecken, denn dieses Herumgeleide, das passt kein bisschen in mein Selbstbild. Erst recht nicht in das, was ich der Welt von mir zeigen will. Und so erinnert mich die zur Schau gestellte Trauer der anderen an diesen leisen Horror, der ganz tief in meinem unberechenbaren Herzen sitzt: Dieser fremde Elendshaufen im roten Kleid, der könnte auch ich sein. Da würde ich doch lieber besoffen in die S-Bahn kotzen. Mein saugeiles, weil exzessives Leben zur Schau stellen halt. Statt rumzuheulen, weil Peter oder Paul oder sonst irgendein Arsch gemein zu mir war.

Es muss schlecht um jemanden stehen, der in öffentlichen Verkehrsmitteln Mascara an der Fensterscheibe verschmiert. Der nicht nur die Kontrolle über sein Make-up, sondern auch sein Gesicht verliert. So gehen meine Gedanken. Zugegeben, sie sind kleingeistig und unfrei und ängstlich. Und auch das passt nicht in mein Selbstbild, denn, hey, ich geb' ja wohl einen Scheiß auf das, was die anderen denken.

Schließlich wagte ich einen unauffälligen Blick aus dem Augenwinkel. So einen, von dem meine Mutter bestimmt wieder sagen würde: „Pass auf, sonst bleiben deine Augen für immer so!“ Die Frau zuckte noch immer lautlos vor sich hin, den Kopf in Richtung Fenster abgewandt. Die anderen Fahrgäste schienen nichts zu bemerken. Vielleicht wollten sie auch nicht. Aber ich, ich wollte. Und war noch immer ratlos. Sollte ich fragen, ob alles in Ordnung ist? Und was für eine dämliche, weil absolut rhetorische Frage wäre das eigentlich? Sollte ich sie ermuntern, mir zu erzählen, was passiert war? Und warum sollte sie das tun, wo wir uns doch gar nicht kannten? Sollte ich sie einfach in Ruhe lassen, so wie ich das bisher immer, wenn auch mit unterirdisch schlechtem Gewissen, gemacht habe? Es schien keine richtige Entscheidung zu geben.

Was würde ich wollen, säße ich heulend in der Bahn (ich meine, außer die Fähigkeit, mich dematerialisieren zu können)? Was weiß ich. Im Gegensatz dazu, kotzend in der Bahn zu sitzen, ist mir das nämlich noch nicht passiert. Vielleicht würde ich angesprochen werden wollen, vielleicht auch nicht. Doch: Höchstwahrscheinlich würde ich es selbst entscheiden wollen. Wie das ginge? Indem der andere weder wegguckt noch starrt. Indem er oder sie abwartet, ob ich den Blick erwidere. Indem man achtsam mit mir ist. Dann würde man schon sehen, was ich brauche.

Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, in so einem Moment irgendetwas richtig gemacht zu haben

Die Frau im roten Kleid hörte übrigens nicht auf, leise schniefend aus dem Fenster zu starren, bis ich aussteigen musste. Sie wollte meinen Blick nicht, den ich vorsichtig auf ihr abgelegt hatte. Ich hatte sie weder beruhigt noch ihren Schmerz gelindert. Peter oder Paul oder dieser andere wüteten wohl weiter in ihrem Inneren. Aber es war mir auch nicht mehr so wichtig. Weil ich zum ersten Mal in so einem Moment das Gefühl hatte, irgendetwas richtig gemacht zu haben.

Ihr Menschen da draußen, können wir uns vielleicht darauf verständigen, dass ihr das ab jetzt auch so macht? Ich meine, wer weiß, was die Zukunft bringt. Nächste Woche sitze vielleicht ich an dieser Stelle im roten Kleid und mit verschmierter Wimperntusche. Selbst wenn ich euren Blick nicht erwidern, sondern lieber allein mit meinem Scheiß bleiben wollte, könnt ihr euch sicher sein, dass ich mich freuen werde. Darüber, dass die Zivilisation nicht nur Steinäxte obsolet gemacht, sondern auch das Internet erfunden hat. Damit ihr nachlesen könnt, was ich brauche, wenn ich die Fremde bin, die in der Öffentlichkeit weint.

Andere Sozialphobien: 

Wie kann ich aufhören bei jeder Kleinigkeit zu weinen?

Und das kam dabei heraus..
Schau nach oben. Das habe ich bis jetzt immer gemacht. ... .
Blinzel. Wenn du blinzelst, verteilst du die Tränen über das Auge, wodurch sie schneller wieder vom Tränenkanal aufgenommen werden können..
Massiere deine Stirn. ... .
Lenk dich ab. ... .
Atme tief durch. ... .
Mach' dich nicht fertig..

Ist es schlimm wenn man zu viel weint?

Weinen Sie häufiger ohne Grund, kann dies auch ein Anzeichen einer Depression sein. In einem solchen Fall sollten Sie unbedingt einen Arzt aufsuchen und mit diesem das weitere Vorgehen besprechen. Auch unser Selbsttest kann Ihnen helfen, herauszufinden, ob Sie eventuell an einer Depression leiden.