Nikolaus heidelbach wenn ich groß bin werde ich seehund

Nikolaus heidelbach wenn ich groß bin werde ich seehund
„Das Meer, dessen sanften, furchtgebietenden Wogen von einer darunter verborgenen Seele künden, birgt ein Geheimnis – aber welches?“ schrieb Herman Melville, der Schöpfer des Moby Dick.

Auch Nikolaus Heidelbachs Geschichte „Wenn ich groß bin, werde ich Seehund“ birgt ein Geheimnis, das eng mit dem Meer verbunden ist.

Ein kleiner Junge lebt mit seinem Vater, einem Fischer und seiner Mutter am Meer. Obwohl er nie Schwimmen gelernt hat, gehört Schwimmen zu seiner großen Leidenschaft und so verbringt er jede mögliche Zeit im Meer. Immer wenn sein Vater auf hoher See verbringt, reden der Junge und seine Mutter vom Meer seinen Geheimnissen und seinen geheimnisvollen Bewohnern wie Meerjungfrauen, Krabbenmädchen, Hofdugongs, Tintenprinzen u.a.

Merkwürdig erscheint dem Jungen, dass seine Mutter so viel über das Meer zu erzählen weiß, obwohl sie selbst nicht mal mit den Füßen ins Wasser eintauchen wollte.

Einmal hatte ich sie gefragt und sie sagte, Fischersfrauen sollten nicht schwimmen.

Als sein Vater wieder einmal vom Fischfang nach Hause kommt, beobachtet ihn sein Sohn, wie er ein glänzendes Bündel ins Haus trägt. Als sein Vater wieder zur See fährt, macht sich der Junge auf die Suche nach dem glänzenden Ding, ohne zu ahnen, dass sich das Leben seiner Familie dadurch völlig verändern wird.

Nikolaus Heidelbach erzählt eine Geschichte voller Magie und Zauber, deren Grundlage ein großes Mysterium bildet. Dabei greift der Autor tief in die Sagenkiste und bringt die großen Geheimnisse des Meeres und des Lebens nach oben. Dabei stehen die klaren, bunten und scharf umrissenen Illustrationen in Gegensatz zu den märchenhaften Wesen und dem Geheimnis, das hinter dem Jungen und seiner Familie steht.

Ein Buch voller schöner rätselhafter Bilder in dem die Frage nach dem „Wer bin ich“, die am Ende mit einer überraschenden Wendung beantwortet wird, die jungen Leserinnen und Leser noch lange in seinem Bann hält.

Nikolaus Heidelbach, Wenn ich groß bin, werde ich Seehund. Bilderbuch, ab 4 Jahren
Weinheim: Verlag Beltz & Gelberg 2011, 32 Seiten, 15,40 €, ISBN 978-3-407-79443-7

Weiterführende Links:

  • Verlag Beltz & Gelberg: Nikolaus Heidelbach, Wenn ich groß bin, werde ich Seehund
  • Wikipedia: Nikolaus Heidelbach

Andreas Markt-Huter, 14-03-2012

Es gibt einen kurzen Satz in Nikolaus Heidelbachs neuem Bilderbuch „Wenn ich groß bin, werde ich Seehund“, der die entscheidende Verständnishilfe bereithält, um schon frühzeitig zu verstehen, worauf die Geschichte zusteuert. Im Grunde genommen ist es sogar nur eine Frage der Wortstellung. Der Satz lautet: „Das glänzende Ding habe aber ich gefunden.“ Und wenn Sie jetzt denken, dass es doch besser „habe ich aber gefunden“ heißen sollte, dann haben Sie den Schlüssel zur Geschichte schon in der Hand.

Nikolaus heidelbach wenn ich groß bin werde ich seehund

Texte zu Bilderbüchern werden gern vernachlässigt. Dabei ist auch das prächtigste Bilderbuch nur so gut wie seine Geschichte. Und wenn die mit einer solchen Ruhe und Knappheit erzählt wird, wie Heidelbach es zu tun pflegt, bleibt ein gewaltiger Imaginationsraum - nicht nur für den Künstler, der in diesem Fall mit dem Autor identisch ist, sondern auch für die Betrachter. Natürlich kommt es Heidelbach zugute, dass er sich als Illustrator am Besten geschult hat, was die Kinderliteratur bietet: an den Märchen der Grimms und Andersens oder an den Kürzestgeschichten von Josef Guggenmos. Alle diese Texte sind auch für erwachsene Leser von größtem Reiz, und so verhält es sich auch mit „Wenn ich groß bin, werde ich Seehund“.

Wundersames Panorama

Es geht um einen Jungen, der mit seinen Eltern am Meer wohnt. Der Vater ist Fischer und kennt die Gefahren der See, die Mutter versorgt den Haushalt und steckt keinen Fuß ins Wasser. Doch ihr Sohn schwimmt und taucht - eben wie ein Seehund, wenn es nach ihm ginge, den lieben langen Tag. Wo er das wohl her habenmag? Das ist die zentrale Frage der Geschichte, und mehr darf nicht vorweggenommen werden. Außer, dass sich jeder, der das Buch in die Hand bekommen sollte, freuen darf auf Heidelbachs Zeichnermagie. Im Regelfall weist jede Seite ein Bild auf, aber einige kommunizieren über den Falz hinaus miteinander, und wer sich ansieht, was auf welcher Hälfte zu sehen ist, wird schon wieder ein bisschen mehr von der Geschichte verstehen. Und dann kommt ein Bild, das den Höhepunkt von Nikolaus Heidelbachs fabelhafter und gerechterweise schon längst mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis für ein Lebenswerk (bei einem heute gerade mal Fünfundfünfzigjährigen!) geehrter Aquarellkunst darstellt. Es ist die Illustration zu den Geschichten, die die Mutter ihrem Sohn vom Meer erzählt: von den Kreaturen, die es darin gibt, also von Meerjungfrauen, Todesquallen, Wasserbischöfen, Palastlurchen, Seeponys und Walen mit ganzen Dörfern auf dem Rücken, wie wir sie aus den alten Mythen kennen.

Jeder Name dieser Fabelwesen ruft eine Vorstellung herauf, bei uns als Lesern und vor allem bei dem kleinen Jungen, der des Nachts von diesen sagenhaften Tieren träumt. Doch wie Heidelbach seine Träume zeichnet, das übersteigt jede Phantasie: Ein Bild mit dem gewaltigen Zug all der maritimen Lebewesen erstreckt sich über sieben ganze Buchseiten. Es fängt mit der Flossenspitze einer Meerjungfrau an und hört mit der Nasenspitze eines Seeponys auf. Der Wal aber ist so groß, dass er nicht nur Dörfer auf dem Rücken hat, sondern sein Körper sich über alle sieben Seiten verteilt, und der grandioseste Einfall des Zeichners ist ein Ungeheuer namens Plumeauktopode, dessen Leib sich in die Steppdecke verwandelt, die den träumenden Jungen bedeckt. Was für ein wundersames Panorama!

Welch eine Wendung!

Natürlich hatte Heidelbach sich diese auch in seinem immens weitgefächerten Werk noch nie gesehene Komposition auf einer Ausklappseite vorgestellt. Aber so, wie er selbst das Bild auf mehreren Blättern angelegt hat (diese Originalzeichnungen werden vom 4. Dezember an im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover als Teil einer großen Heidelbach-Restrospektive zu sehen sein), weil er mit dem Überquerformat anders gar nicht zu Rande gekommen wäre, so musste auch der Verlag Beltz & Gelberg, der seit 1982 die künstlerische Heimat dieses Ausnahmeillustrators ist, Kompromisse eingehen. Egal, die sieben Einzelseiten, von denen sich immerhin sechs zu drei großartigen Doppelseiten addieren, sind immer noch der reinste Augenschmaus.

Dieses Sehvergnügen findet sich früh im Buch, jedoch muss der Höhepunkt bereits hier gesetzt werden, um visuell den Zauber des Meeres zu beschwören, der sich zuvor noch in einer eher zurückhaltenden Strandlandschaft erschöpfte. Das wahre Geheimnis wartet unter der Oberfläche - wie der Schrecken, den die See bereithält. Aus dieser Spannung entsteht das weitere Geschehen, und dass es am Ende eine Wendung nimmt, die alles erklärt, ohne dass es ausgesprochen werden müsste, ist der letzte Geniestreich in diesem Bilderbuch. Und nun staunen Sie selbst.