Krieg ist frieden freiheit ist sklaverei unwissenheit ist stärke

Die Tageszeitung junge Welt und das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus veranstalten, mit Unterstützung der Gruppe Tendenzen Berlin, zum neunten Mal eine Kunstausstellung anlässlich der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. In diesem Jahr lautet der Titel:

Krieg ist Frieden,
Freiheit ist Sklaverei,
Unwissenheit ist Stärke

(Orwell »1984«)

Die Oberen bereiten wieder einen großen Krieg vor. Weil sie glauben, nur so sei kapitalistische Herrschaft noch zu retten. Weil aber die Unteren beides...

Bis vor Kurzem kannte man zwei Orte mit Namen „Abistan“: In der Region Lorestan im Iran und in der Provinz Herat in Afghanistan. Jetzt gibt es ein drittes Abistan: kein Dorf, keine Stadt, keine Region, kein Land, kein Kontinent. Die Welt. Die Globalisierung ist an ihr Ende gekommen: Auf der Erde gibt es nur noch Abistan – Schauplatz von „2084“, der neue Roman des algerischen Schriftstellers Boualem Sansal, der 2011 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt.

Abistan, das „Land der Gläubigen“, ist nach dem Propheten Abi genannt, dem Abgesandten Yölahs auf Erden. „Gkabul“ oder „Hinnahme“ heißt das heilige Buch, verfasst in „Abilang“, der einzigen Sprache, die in Abistan benutzt werden darf. „Die Unterwerfung ist der Glaube, und der Glaube ist die Wahrheit“ lautet einer der 99 Schlüsselsätze, die Abistans Jugend lernen muss. Die Herrschaft Abis beruht auf Unterwerfung, individuelle Gedanken sind verboten, ein System totaler Überwachung erlaubt es, aufrührerische Ideen und abweichende Handlungen zu entdecken: „Yölah gehören wir, Abi gehorchen wir.“ Das gigantische Porträt Abis findet sich auf allen Mauern, sein Gesicht ist nur schemenhaft zu erkennen. Die Regierung, der „Apparat“, besteht aus vierzig Würdenträgern, der „Gerechten Bruderschaft“.

Neunmal am Tag müssen die Gläubigen zu Yölah beten, einzige Abwechslung in ihrem Leben sind nicht enden wollende Pilgerfahrten und öffentliche Massenhinrichtungen. Pilgerfahrten sind eine Auszeichnung für Auserwählte. Bevorzugtes Ziel der Pilger ist das Haus aus Stein, in dem Abi geboren wurde. Alle elf Jahre wechselt auf Anordnung der Gerechten Bruderschaft das Heiligtum seinen Standort, um keine der 60 Provinzen Abistans zu bevorteilen.

Ati, Anfang Dreißig, ein kleiner Beamter, steht vor der Entlassung aus einem Sanatorium in den Bergen der Provinz Sîn, wo er seine Tuberkulose ausgeheilt hat. Sorgsam befolgt er alle Gebote und Riten, um nicht als Mitglied der Sekte der „Makoufs“ verdächtigt zu werden, den Propagandisten des „Großen Unglaubens“. Doch wachsen Zweifel in ihm: Vom Sanatorium führt eine verbotene Straße zur „Grenze“. Wenn es eine Grenze gibt, muss es auch ein Jenseits der Grenze geben. Wie ist dies möglich, wenn nichts existiert als Abistan? Ein Jahr dauert Atis Rückkehr in die Hauptstadt Qodsabad, vorbei an endlosen Pilgerzügen: „Auf der Erde laufen wir, in den Himmel wollen wir, lasst fahren dahin das Leben.“ Atis Zweifel an der Einzigartigkeit Abistans wachsen, als Pilger durch Zufall eine neue archäologische Fundstätte entdecken. Offiziell heißt es, Engel hätten den heiligen Ort offenbart, dem die „Gerechte Bruderschaft“ den Namen „Mab“ (Zuflucht Abis) gibt. Tatsächlich zeigt die Fundstätte, dass es eine Zeit vor Abistan gegeben haben muss, eine andere Welt, andere Menschen, einen anderen Glauben.

Um das Rätsel zu lösen, dringt Ati mit einem Freund in „Abigouv“ ein, das Zentrum des Regierungsbezirks, wo sich das riesige Heiligtum der „Kiïba“ befindet, die tagtäglich von Tausenden von Gläubigen umrundet wird. Die Ereignisse überschlagen sich, Ati entdeckt die Existenz konkurrierender Clans, die sich die Herrschaft in Abistan streitig machen. Offenbar wird, dass eine Clique, die „Botschafter-Brüder“, Abi und Yölah erfunden, das Gkabul geschrieben, die Kiïba gebaut und die Gerechte Bruderschaft gegründet hat.

Atis Schicksal wird von Toz bestimmt, einem hohen Würdenträger und Renegaten, dem es gelungen ist, in einem abgelegenen Bezirk von Qodsabad ein Museum zu errichten, das dem Louvre nachempfunden ist. Darin wirft Toz den „Burni“ ab, den weiten Wollmantel, den alle Abistani tragen müssen, und legt Kleidungsstücke an, die er „Hose“ und „Jacke“ nennt. Seinen Besuchern offeriert er nicht „Hir“, die Pflanzenbouillon, die in Abistan Pflichtgetränk aller Gläubigen ist, sondern Weißbrot und Pâté, Käse, Schokolade und Kaffee. In seinem „Museum der Nostalgie“ will Toz die Welt des 20. Jahrhunderts rekonstruieren: Ein Ort der Revolte, der zeigt, dass es vor Abistan eine andere Welt gegeben hat. Ati durchschaut, dass die Verfälschung der Geschichte Grundlage des Herrschaftssystems in Abistan ist.

„2084“ ist eine Hommage an George Orwell. Auf jeder Seite wird man an „1984“ erinnert. Atis Wandlung zum Renegaten findet ihren Höhepunkt in einer direkten Anspielung an Orwells Roman. Am Portal des Sanatoriums findet sich in der Mauer eine Kartusche mit der Jahreszahl „1984“ und einer Legende in einer fremden, unbekannten Sprache. Sie verweist auf eine vergangene, von Abistan verschiedene Welt. Bevor Ati am Schluss wieder in die Berge aufbricht, erzählt ihm Toz, das einzige Land, das im „Großen Heiligen Krieg“ den Truppen von Abistan hartnäckigen Widerstand geleistet habe, sei „Angsoc“ gewesen, „das von einem verrückten Diktator namens Big Brother regiert wurde“. Das Manipulationsmedium „Novlangue“ habe zum Vorbild für Abilang gedient. In „1984“ sind drei Sprüche in die Front des Wahrheitsministeriums eingemeißelt: „Der Tod ist das Leben. Die Lüge ist die Wahrheit. Die Logik ist das Absurde.“ In „2084“ kommen drei Parolen hinzu: „Krieg bedeutet Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“

„2084“ versucht, „1984“ zu übertreffen. Daran scheitert Boualem Sansal. Ohne ihn zu nennen, handelte „1984“ vom Totalitarismus in Form des Stalinismus. Ohne ihn zu nennen, handelt „2084“ vom islamistischen Totalitarismus. Orwell konnte die Schrecken seiner Zeit im Roman noch steigern, Sansal kann die Grausamkeiten des IS nicht übertreffen. Die Nähe zu „1984“ lässt „2084“ blass erscheinen, so wie Ati eine Kunstfigur bleibt, während Orwell es verstanden hat, Winston Smith wie einen Nachbarn zu schildern, dessen Schicksal auch uns ereilen kann.

Sansal ist ein mutiger Mann. Der Ingenieur und Ökonom, der einen hohen Posten im algerischen Industrieministerium bekleidete, wurde 1999 entlassen. Er lebt in der Nähe von Algier, seine Bücher sind in Algerien verboten. Todesdrohungen gehören zu seinem Alltag. Früh hat er Gefahren aufgezeigt, die der Welt von „islamistischen Horden“ drohen. 2009 zog er im Roman „Das Dorf des Deutschen“ Parallelen zwischen Islamismus und Nationalsozialismus.

Sansal sieht das Ende des IS voraus, weil jede totalitäre Bewegung an ihren inneren Widersprüchen scheitern muss. Der Islam hat den Eintritt in die Moderne verpasst, am Ende aber, so fürchtet Sansal, wird der Islamismus siegen, weil er sich auf die Religion und eine todesverachtende Jugend stützt, während der Westen Geld und Komfort als seine obersten Werte kennt: „Es ist zu spät, Abistan ist schon auf euren Straßen …“ Zu den bewundernden Lesern des Romans gehört Michel Houellebecq. Aufschlussreich ist es, „2084“ mit „Unterwerfung“ zu vergleichen, dem 2022 spielenden Roman Houellebecqs, in dem ein geistig wie materiell erschöpftes Frankreich sich unter den Schutz einer islamischen Regierung begibt.

Houellebecq mischt Realität und Fiktion in einer Weise, die seiner Prophezeiung von der Machtübernahme des Islam eine irritierende Wahrscheinlichkeit verleiht. „Unterwerfung“ suggeriert, dass das Problem für den Westen nicht eine aggressive, islamistische Diktatur, sondern ein „sanfter Islamismus“ ist, der sich längst im Alltag ausgebreitet und die Ghettos der Städte verlassen hat. Der Islam wird die Herrschaft nicht im Großen Heiligen Krieg erobern, er wird sie sich erschleichen. Anders als „2084“ erinnert „Unterwerfung“ an die Schlusszeilen von T. S. Eliots Gedicht „The Hollow Men“: „This is the way the world ends / Not with a bang but a whimper.“

Boualem Sansal: „2084. La fin du monde“, Gallimard, Paris. 274 S., 19,50 €.

Was bedeutet Krieg ist Frieden?

Das einschlägige Wörterbuch definiert ihn zunächst konventionell als „Zustand in den Beziehungen zwischen Völkern, Nationen und Staaten, der den Krieg ausschließt.

War is Peace Freedom Is Slavery Ignorance Is Strength Deutsch?

War Is Peace, Freedom Is Slavery, Ignorance Is Strength. (George Orwell) - How to say in German - LearnWithOliver. German Translation: Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke.