Haben eineiige zwillinge die gleiche dna

Epigenetik

Eineiige Zwillinge verbindet mehr als die gemeinsame DNA

Zwillinge aus derselben Eizelle teilen auch ein epigenetisches Profil. So lässt sich feststellen, ob jemand vor der Geburt einen Zwilling verloren hat

Eineiige Zwillinge haben nicht nur häufig unkonventionelle Lebenserfahrungen, sie stellen für Disziplinen wie die Molekularbiologie auch eine Quelle wichtiger wissenschaftlicher Erkenntnisse dar. Die Nasa setzte hier in der Vergangenheit etwa an, um zu vergleichen, was mit dem Erbgut eines Menschen passiert, der ins All geschickt wird – während sein eineiiger Zwilling auf der Erde bleibt. Und tatsächlich stellte sich heraus, dass sich sozusagen am Mischpult der Genregulierung etwas tut, am sogenannten Epigenom.

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Wissenschaft Zwillings-DNA

Der kleine Unterschied von eineiigen Zwillingen

Veröffentlicht am 22.12.2013 | Lesedauer: 5 Minuten

Haben eineiige zwillinge die gleiche dna
Haben eineiige zwillinge die gleiche dna

Eineiige Zwillinge sehen zwar gleich aus – sind es aber nicht

Quelle: picture alliance

Genetiker können mit einer neuen Methode eineiige Zwillinge an winzigen Mutationen in ihrem Erbgut unterscheiden. Dadurch könnten ungeklärte Kriminalfälle und Vaterschaftsfragen geklärt werden.

Schmuck im Wert von rund zwei Millionen Euro raubten Unbekannte im Januar 2009 aus dem Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe. Die einzige Spur war ein wenig DNA, die die Ermittler in einem verlorenen Handschuh am Tatort fanden. Doch dieses Erbgut-Schnipsel hatte es in sich: Es führte die Polizisten auf die Spur von Hassan und Abbas O. Einer der beiden Brüder musste in den Juwelenraub verwickelt gewesen sein. Doch welcher?

Die Ermittler standen vor einem scheinbar unlösbaren Rätsel. Denn beide Männer kamen gleichermaßen als Täter infrage: Sie sind eineiige Zwillinge. Ihr Erbgut ist identisch. In einer solchen Lage versagt die beste Waffe der Forensiker. Denn wie soll man einen Täter dingfest machen, wenn zwei Personen das vollkommen gleiche Erbmaterial haben? Die Ermittler mussten das Verfahren einstellen. Können Erbmaterial und Person nicht eindeutig einander zugeordnet werden, ist es kein Beweis.

Der Fall des KaDeWe-Raubs könnte nun allerdings wieder aufgerollt werden. Denn ein Team um Jacqueline Weber-Lehmann und Burkhard Rolf vom Unternehmen Eurofins Scientific in Ebersberg hat eine neue Methode entwickelt, mit der Forensiker den genetischen Vorsprung eineiiger Tatverdächtiger aufheben. Weber-Lehmann und Rolf beschreiben im Journal „Forensic Science International: Genetics“, dass es ihnen gelungen ist, auch genetisch gleiche Menschen auseinanderzuhalten.

Denn „gleich“ bedeutet in der Welt der Gene offenbar längst nicht „identisch“. Schon kurz nach der Befruchtung und der ersten Teilung der Zygote, also der befruchteten Eizelle, beginnt das Erbgut sich zu verändern. Das eröffnet Ermittlern und Forensikern neue Möglichkeiten, aber auch Vätern und Kindern, die Sicherheit über ihre Verwandtschaftsverhältnisse haben wollen.

Vaterschaft eindeutig geklärt

Die Wissenschaftler hatten das komplette Erbgut aus Spermaproben, Mundschleimhaut und Blut eines Bruderpaares analysiert und aus dem Blut des Kindes eines der beiden Männer und seiner Mutter. Im Erbgut von Vater und Kind fanden sie fünf Veränderungen, sogenannte Punktmutationen, die beim Zwillingsbruder des Vaters nicht zu finden waren.

Der Vater des Kindes konnte anhand dieser fünf Punktmutationen eindeutig bestimmt werden. Offenbar beginnt das Erbgut von eineiigen Zwillingen bereits kurz vor oder kurz nach der Teilung der beiden Embryonen im Mutterleib sich unterschiedlich zu entwickeln – und zwar so, dass das mit modernen Methoden nachweisbar ist.

Diese Differenzierung findet sehr früh in der Embryonalentwicklung statt, spätestens dann, wenn beide Embryonen aus nicht mehr als 150 Zellen bestehen. In dieser Phase sind die verschiedenen Gewebearten, aus denen der Mensch später besteht, noch nicht vollständig angelegt. Das bedeutet, dass diese Veränderungen theoretisch in allen späteren Geweben auftreten können. Mit jeder Haarwurzel, jedem Bluts- oder Speicheltropfen müssten sich die anscheinend gleichen Zwillinge also eindeutig unterscheiden lassen. Die Forscher betonen, dass ihre Methode nicht auf Spermaproben begrenzt ist.

Zahl der Zwillinge steigt

Zwillinge sind eine Spielart der Natur. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau bei einer Geburt zwei Kinder zur Welt bringt, ist in den vergangenen Jahren wegen der häufiger angewandten In-vitro-Fertilisationen gestiegen: Heute liegt sie etwa bei eins zu 300, vor fünfzehn Jahren war sie nur halb so groß. Etwa ein Drittel aller Zwillinge in Deutschland ist eineiig. Bei ihnen hat sich die Eizelle nach der Befruchtung durch ein Spermium in zwei Embryonalanlagen geteilt. Bei zweieiigen Zwillingen hingegen werden zwei verschiedene Eizellen von zwei verschiedenen Spermien befruchtet – deshalb können auch ein Mädchen und ein Junge Zwillinge sein. Ihr Erbgut ist so unterschiedlich wie das von zwei Nicht-Zwillings-Geschwistern.

Die genetischen Rätsel von eineiigen Zwillingen versuchen Wissenschaftler seit Jahren zu entschlüsseln. So konnte bereits mehrfach gezeigt werden, dass, obwohl ihr Erbgut ja so gut wie identisch ist, sich ihre Lebensläufe keineswegs ähneln. Lange Zeit ging man davon aus, dass eineiige Zwillinge auch ähnliche epigenetische Veränderungen haben. Viele Erbanlagen werden durch Umwelteinflüsse schon früh in der Entwicklungsphase ein- oder ausgeschaltet. Da Zwillinge in derselben Gebärmutter heranreifen, also denselben Einflüssen ausgesetzt sind, müssten sie sich somit auch epigenetisch sehr stark ähneln. Doch vor knapp einem Jahr widerlegten Jeff Craig und Richard Saffery vom Murdoch Childrens Research Institute in Melbourne diese Theorie.

Die Forscher konnten mithilfe von Nabelschnurblut und -gewebe von eineiigen und zweieiigen Zwillingspaaren ein epigenetisches Profil erstellen, das Auskunft über die Aktivität verschiedener Gene gibt. Erwartet hatten die Forscher, dass das der zweieiigen Zwillinge sich stark unterscheidet, das von eineiigen aber nicht. Doch dem war nicht so. Eine genaue Erklärung für diese Unterschiede gibt es bislang aber nicht.

Wie entscheidend solche frühen epigenetischen Veränderungen aber sein können, konnten bereits andere Wissenschaftler nachweisen. So können epigenetische Veränderungen, die mit dem Geburtsgewicht in Verbindung gebracht werden können, Wachstum, Stoffwechsel und das Risiko für spätere Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen. Craig und Saffery gehen davon aus, dass die epigenetische Prägung sogar erklären kann, warum Kinder mit einem niedrigen Geburtsgewicht ein höheres Risiko für Diabetes Typ 2 und Herzerkrankungen haben. Die epigenetischen Profile könnten möglicherweise sogar genutzt werden, um die Anfälligkeit gegenüber bestimmten Krankheiten zu untersuchen.

Für Forensiker aber sind diese Profile kaum eine Hilfe. Welche Gene durch Umwelteinflüsse ein oder ausgeschaltet wurden, lässt sich in den meist spärlichen DNA-Funden von Tatorten nicht nachvollziehen. Somit sind die Mutationen, die die Forscher von Eurofins Scientific nun als eindeutige Marker beschrieben haben, eine bessere – wenn auch bislang sehr kostspielige Methode. Nun will das Unternehmen einen Test für die schnellere Identifizierung entwickeln. Dann könnten ungeklärte Fälle wie der KaDeWe-Raub wieder aufgenommen und gelöst werden.