Das Sein und das Nichts online lesen


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Jean Paul Sartres Philosophie in
"Das Sein und das Nichts"

 

  ENGLISH VERSION

  Vorbemerkung (1999) 
 Zu diesem Text
 Zu Sartres Text
Die Transzendenz des Ego 
 Bewu�tseinsphilosophie und Naturwissenschaft
 Das formale Ich und das materiale Ich
 Das formale Ich ist nicht im Bewu�tsein
 Das materiale Ich ist nicht im Bewu�tsein
 Zust�nde, Handlungen und Qualit�ten
 Das Ego
 Konsequenzen
Das Sein und das Nichts 
Einleitung: Auf der Suche nach dem Sein 
 Dualismus Aussen / Innen
 Dualismus Potenz / Akt
 Dualismus Erscheinung / Wesen
 Aufl�sung der Dualit�ten in die Dualit�t Endlich / Unendlich
 Restauration der alten Dualismen aus diesem neuen Dualismus
 Exkurs: Sartres Seinsbegriff
 �bergang zur Seinsphilosophie
 Die Existenz geht der Essenz voraus
 Die Spontaneit�t des Bewu�tseins
 Das Sein des Bewu�tseins
 Das Sein-an-sich
 Merkmale des Seins-an-sich
 Die Problematik der zwei Seinsbereiche
Das Problem des Nichts 
 Der Schritt zum Konkreten
 Das Frageverhalten als Ausgangspunkt im Konkreten
 Erkl�rung der Negation aus den negativen Aussagen
 Das Nichts
 Jede Negation ist Bestimmung
 Das Nichts bei Heidegger
 Der Ursprung des Nichts
 Kausalit�t und Negativit�t
 Die Angst
 Die Flucht vor der Angst
 Unaufrichtigkeit / Schlechter Glaube
 Freud kann den Schlechten Glauben nicht erkl�ren
 Schlechter Glaube in der Praxis
 Nichtidentit�t des Bewu�tseins mit sich selbst im schw�cheren Sinne
 Der Mensch f�r Andere und f�r sich
 Ehrlichkeit gegen�ber sich selbst
 Der Glaube des Schlechten Glaubens
Das F�r-sich-Sein 
 Anwesenheit bei sich
 Faktizit�t: Existenz
 Die Kontingenz und Gott als notwendiges Wesen
 Faktizit�t: Umst�nde der Existenz
 Aus dem Cogito hinausgelangen
 Mangel und Begierde
 Der "Wert"
 Was dem F�r-sich mangelt
 Die M�glichkeit
 Vorbemerkung zur Diskussion der Zeit
 Die Zeit
 Die Vergangenheit
 Identit�t und Nicht-Identit�t des F�r-sich mit seiner Vergangenheit
 Die Gegenwart
 Die Zukunft
 Die Totalit�t der Zeit
 Nachbemerkung zur Diskussion der Zeit
 Die Reflexion und der "Wert"
 Unreine Reflexion
 Reine Reflexion
 Die Transzendenz
 Einige Aspekte der Transzendenz
 Sch�nheit und "Wert"
 Die allgemeine Zeit
 Begriff der "Ekstase"
Das F�r-Andere 
 Andere Bewu�tseine
 Die Beziehung zum anderen Bewu�tsein als interne Negation
 Hegel, Husserl, Heidegger
 Der "Blick"
 Ontologie des F�r-Andere
 Das Solipsismus-Problem
 Der Kampf der Bewu�tseine und ihre Totalit�t
 Der K�rper als F�r-sich-Sein
 Der K�rper als Objekt
 Sinnesorgane und Sinnesempfindungen
 Die K�rperempfindungen
 Der "Ekel"
 Exkurs: Theorie der Emotionen
 Die konkreten Beziehungen zu Anderen
 Das Ideal der Liebe und die Sprache
 Das Scheitern der Liebe, ihr Nutzen und ihre Gef�hrdung
 Masochismus
 Biologische vs. ontologische Sexualit�t
 Ontologie der sexuellen Begierde
 Sadismus
 Gleichg�ltigkeit und Hass
 Gemeinschaftsbewu�tsein
 Klassen- und Massenbewusstsein
Handeln, Haben und Sein 
 Handeln
 Motivdeterminismus
 Leidenschaften und Kausalit�t
 Wille und Antriebe
 Die Irrationalit�t der Freiheit
 Beispiel Minderwertigkeitskomplex
 Beispiel M�digkeit
 Revision der Urwahl
 Der Widrigkeitskoeffizient
 Lebendige und tote Vergangenheit
 Das Sein-f�r-Andere als �u�ere Grenze der Freiheit
 Die Sprache als "Technik"
 Der Tod
 Situation und Verantwortlichkeit
 Existentielle Psychoanalyse: Erkl�rung aus dem Grundentwurf
 Existentielle Psychoanalyse vs. klassische Psychoanalyse
 Praxis der existentiellen Psychoanalyse
 Begierde nach Besitz
 Seinsbegierde und Authentizit�t
 Psychoanalyse der Dinge
 Metaphysische Schlussfolgerungen
 Ethik


 Vorbemerkung (1999)


 Zu diesem Text

Eine sehr subjektive Bemerkung im Voraus: Obwohl ich in den folgenden Abschnitten die M�ngel meines Textes so ehrlich wie m�glich herauszustellen versuche, gehe ich davon aus, dass seine Lekt�re die Lekt�re einer der g�ngigen Einf�hrungen (mindestens) ersetzen kann, was Sartres Fr�hphilosophie betrifft. -

Ich habe versucht, aus meinem Exzerpt von Sartres Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" die grundlegenden Gedankeng�nge herauszuarbeiten, und zwar m�glichst klar und m�glichst ohne Sartres eigent�mliche Ausdrucksweise (die ich - hoffentlich - nur verwende, wenn ihre Bedeutung gekl�rt ist). Ich bin der Auffassung, dass das ideale Verst�ndnis eines philosophischen Textes dann erreicht ist, wenn man ihn seiner (nicht senilen, aber etwas langsamen und philosophisch ungebildeten) Grossmutter erkl�ren k�nnte, und nicht bereits in dem Moment, in dem sich der interne Zusammenhang der Lieblingsphrasen des Autors erhellt - auch dann nicht, wenn man dieses System korrekt mit den Systemen anderer Autoren in Verbindung setzen kann.

Es handelt sich hierbei um keine akademische Arbeit (und auch nicht um die Vorstufe einer solchen). Ich wollte ein bekanntes �lteres, nicht-analytisches, bewu�tseinsphilosophisches Werk wirklich lesen und verstehen. (Kontext ist das aus beruflichen Gr�nden jahrelang "eingeschlafene" Projekt einer Promotion �ber Bewu�tseinsphilosophie an der Universit�t D�sseldorf.) - Das Ergebnis dieser Lekt�re (die Ausformulierung meines Exzerptes, erg�nzt um eine Art Einleitung) mache ich zug�nglich, weil zur Zeit im Web eine detailliertere deutschsprachige Darstellung von Sartres Fr�hwerk zu fehlen scheint.

Wenn ich gegen Sartres Auffassungen Einw�nde vorbringe, was ich besonders dort tue, wo es um seine Ontologie im engeren Sinne geht, verfolge ich damit keinen destruktiven Zweck, sondern es geht - wenigstens in den meisten F�llen - lediglich darum, mein Verst�ndnis dieser Auffassungen besser zu konturieren. (Umgekehrt bedeutet das Fehlen kritischer Anmerkungen nicht, dass ich Sartres Ansichten teile, sondern in erster Linie, dass ich sie f�r ausreichend klar halte.) - Mein Verst�ndnis wiederum h�ngt nat�rlich in einem gewissen Grad von meiner pers�nlichen philosophischen Ausrichtung ab (die eher angels�chsisch beeinflusst ist). Es ist also nicht sehr originell.

Weil meine franz�sischen Sprachkenntnisse ungen�gend sind, leidet meine Sartre-Lekt�re unter dem Handicap, auf deutschen �bersetzungen zu basieren. (Zitate daraus sind nicht nur meist kurz, sondern, um Missbrauch zu erschweren auch ohne Nachweis - normalerweise stammen sie aus dem besprochenen Kapitel.) Wenn ich das Gef�hl habe, dass es interpretationsrelevante Unterschiede zwischen dem Gebrauch franz�sischer Ausdr�cke und dem Gebrauch der in der �bersetzung verwendeten deutschen geben k�nnte, merke ich das an.

Sartre macht es zwar schwer, sich zu konzentrieren - das werde ich gleich erl�utern -, ist aber kein hermetischer Autor: Wer Sartre verstehen will, soll ihn lesen. Obwohl ich diesem Grundsatz gefolgt bin, habe ich nat�rlich noch mehr gelesen. - Die von mir verwendete Literatur bildet eine sehr �bersichtliche Liste, die Sekund�rliteratur besteht aus drei Einf�hrungen, von denen sich die online verf�gbare von Paul Vincent Spade als die brauchbarste erwies. - Die Prim�rliteraturliste umfasst nur die Werke, auf die ich explizit eingehe.

1. Sekund�rliteratur

- J�rgen Hengelbrock: Jean Paul Sartre. Freiheit als Notwendigkeit ; Einf�hrung in das philosophische Werk. (Alber 2005)
- Dorothea Wildenburg: Jean Paul Sartre (Campus 2004)
- Paul Vincent Spade: Jean Paul Sartre�s Beeing And Notingness (Class Lecture Notes 1995) (Online-Quelle: http://www.pvspade.com/Sartre/sartre.html)

2. Prim�rliteratur

- Jean Paul Sartre: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931 - 1939. �bersetzt von Uli Aum�ller, Traugott K�nig und Bernd Schuppener. (Rowohlt 1982)
- Jean Paul Sartre : Das Sein und das Nichts. Versuch einer ph�nomenologischen Ontologie. Deutsch von Hans Sch�neberg und Traugott K�nig. (Rowohlt 1993)
- Jean Paul Sartre: Autobiographische Schriften. Briefe, Tageb�cher. Tageb�cher November 1939 - M�rz 1940. (Rowohlt 1988)
- Jean Paul Sartre: Drei Essays. Mit einem Nachwort von Walter Schmiele. (Ullstein 1981)

Alle Zitate sind diesen Ausgaben entnommen. - Zitate Sartres, die mindestens einen Satz umfassen, erscheinen in roter Farbe.

 Zu Sartres Text

Wer der �blichen Empfehlung folgt, und vor "Das Sein und das Nichts" die "Transzendenz des Ego" liest, wird eine �hnliche Erfahrung machen wie ein Restaurantbesucher, der das Men� bestellt hat, und dem nach einer leichten und bek�mmlichen Vorspeise �berraschend eine Badewanne gef�llt mit halbgarem, durchwachsenen Bauchspeck vorgesetzt wird. - W�hrend "Die Transzendenz des Ego" ein sachlich abgefa�ter, um Deutlichkeit bem�hter philosophischer Fachaufsatz ist, frei von literarischen Ornamenten, pr�sentiert sich "Das Sein und das Nichts" als das glatte Gegenteil davon. - Das macht das Werk nicht ungenie�bar, aber eben schwer verdaulich:

Mehr als tausend Seiten lang, wimmelt es darin von S�tzen wie "Die menschliche-Realit�t ist das Sein, insofern es in seinem Sein und f�r sein Sein einziger Grund des Nichts innerhalb des Seins ist." (Ein harmloses Exemplar.) - Gerne greift Sartre zu bildhaften Vergleichen, die seiner literarischen Begabung entsprechen, aber den ausgedr�ckten Gedanken nicht wirklich klarer werden lassen, wie z. B. das bekanntes Diktum, dass das Nichts im Kern des Seins steckt "wie ein Wurm". - Was muss noch erw�hnt werden? Passagen von zahllosen Seiten ohne einen einzigen Absatz, redundante Wiederholungen seiner ontologischer Lieblingsschlagw�rter, eine unbehebbare Zweideutigkeit seines Zentralbegriffes "Sein", sowie besonders in der zweiten H�lfte des Werkes die Absonderlichkeit der ge�u�erten Thesen (wenig bekannt z. B. die, dass nicht die Sexualorgane die Sexualit�t des Bewu�tseins hervorbringen, sondern die Sexualit�t des Bewu�tseins die Sexualorgane erzeugt).

Sartres zweites Hauptwerk, die "Kritik der dialektischen Vernunft", in dem er seine Philosophie durch marxistische Anbauten modernisieren wollte (bzw. den Marxismus durch existentialistische Anbauten) �bertrifft �brigens "Das Sein und das Nichts" noch an Leserunfreundlichkeit. (Zum Gl�ck hat das Werk keine gr��ere Popularit�t erlangt.) - Da die Lekt�re von "Die Transzendenz des Ego" der Lekt�re von "Das Sein und das Nichts" voranging (und das auch tun sollte), habe ich die Ausformulierung dieses Exzerptes vorangestellt.


Sartre:  Die Transzendenz des Ego. Skizze einer ph�nomenologischen Beschreibung


 Bewu�tseinsphilosophie und Naturwissenschaft

Wer das folgende liest und noch nie mit Bewu�tseinsphilosophie zu tun hatte, wird vielleicht erstaunt sein, hier auf Themen zu stossen (Bewu�tsein, Ich, Wahrnehmung, Entscheidungsfreiheit usw.), die er im Zusammenhang mit aktuellen Diskussionen um Gehirnforschung kennengelernt hat, ohne dass hier Erkenntnisse der Gehirnforschung vorausgesetzt oder diskutiert werden. - Im Gegenteil, wo das Gehirn von Sartre erw�hnt wird, geschieht es mit einer gewissen Absch�tzigkeit. Er unterstellt sowohl hier als auch in "Das Sein und das Nichts", dass Erkenntnisse �ber die Gehirnphysiologie nichts zur Kl�rung der von ihm behandelten Probleme beitragen k�nnen.

Man k�nnte annehmen, dass dieser Mangel dem Umstand geschuldet ist, dass zu Sartres Zeit die Wissenschaft vom Gehirn noch nicht weit genug war. Vor diesem Irrtum m�chte ich warnen. Tatsache ist, dass der Gesichtspunkt der Philosophie ein v�llig anderer ist als der Gesichtspunkt der Hirnforschung (oder Evolutionsforschung). Und das ist nicht deshalb so, weil man das Fehlen empirischer Kenntnisse �ber die menschliche Physiologie mit einem Hirngespinst kompensieren musste, als man in vorwissenschaftlichen Zeiten �ber das Bewu�tsein nachdachte, so wie man die reale Unwissenheit �ber Naturzusammenh�nge durch mythisch-magische Konstrukte bew�ltigte. - Dass die Philosophie ein Recht auf einen eigenen Gesichtspunkt in diesen Fragen hat, kann man sich mit einem kleinen Gedankenexperiment klar machen (das keinen Originalit�tsanspruch erhebt - �hnliche Denkspiele gibt es bei Wittgenstein und anderen):

Man nehme an, dass Erich von D�niken recht hat: In biblischen Zeiten landeten Ausserirdische auf der Erde und siedelten sich hier an. Diese Ausserirdischen bzw. ihre Nachfahren gibt es immer noch. Sie leben auf einer kleinen Insel im Meer, und sind dort k�rzlich von Geologen entdeckt worden, weil man auf der Insel Erd�lvorkommen vermutet. - Man schickt ein Team von Wissenschaftlern auf diese Insel, die folgendes feststellen: Die Ausserirdischen sind Menschen nicht nur optisch sehr �hnlich. Sie sprechen eine Sprache, sie bilden gesellige Kleingruppen, obwohl sie sich gelegentlich zu streiten scheinen, sind gastfreundlich gegen�ber dem Wissenschaftlerteam, sie �u�ern Gef�hle, sind zu beachtlichen geistigen Leistungen f�hig usw. Doch diese �hnlichkeit verschwindet, wo man zu einer medizinisch-biologischen Untersuchung schreitet: Das K�rperinnere der Ausserirdischen ist v�llig anders aufgebaut als das K�rperinnere der h�heren irdischen Lebewesen. Es gibt keine unterscheidbaren Organe, noch nicht einmal Zellen. Und in den K�pfen der Ausserirdischen befindet sich nicht etwa ein Gehirn, sondern lediglich eine wassergef�llte Blase.

Das alles ist Anlass f�r folgende S�tze im Abschlussbericht des leitenden Wissenschaftlers: "Da diese Wesen in Ermangelung eines Gehirns auch keine Grosshirnrinde, kein limbisches System usw. besitzen, und in diesen Regionen, wie man weiss, Gef�hle und Bewu�tsein angesiedelt sind, ist davon auszugehen, dass diese Wesen kein Bewu�tsein besitzen. Es besteht also kein Anlass, bei einer Ausbeutung der Erd�lvorkommen auf sie R�cksicht zu nehmen. Als unbewu�te Wesen haben die Ausserirdischen - so wie die Felsen auf der Inseloberfl�che - keinerlei Eigentumsrecht und keinerlei Anrecht auf schonende Behandlung. Falls sie sich st�rend auf die Produktion auswirken sollten, ist ihre Liquidierung die empfohlene Massnahme."

Warum wirkt dieser Passus verbrecherisch? Zieht der Wissenschaftler nicht dieselben Schlussfolgerungen, die es einem Schreberg�rtner erlauben, seine Schnecken auf jede Art zu t�ten (mit Schneckenkorn vergiften, in Bier ertr�nken, mit Salz �bersch�tten usw.)? - Nun, offenbar gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die Ausserirdischen verhalten sich auf eine bestimmte Weise, auf die sich Schnecken und andere niedere Tiere nicht verhalten. Und der Grund f�r die sich aufdr�ngende Annahme, dass sie Bewu�tsein haben, liegt nicht in ihrer Physiologie, sondern in diesem Verhalten, ganz gleichg�ltig, wie ihre Physiologie beschaffen ist.

Das wesentliche Resultat dieses Gedankenexperimentes ist also: Die Frage nach dem Bewu�tsein ist urspr�nglich keine Frage der Physiologie. Der gehirnphysiologische Gesichtspunkt, der einem Arzt z. B. erlaubt, die v�llige Bewu�tlosigkeit eines Patienten zu konstatieren, sobald bestimmte Gehirnfunktionen ausgefallen sind, ist ein abgeleiter Gesichtspunkt! Er ergibt sich z. B. aus der Beobachtung, dass Patienten, deren Gehirn in einen solchen Zustand ger�t, kein Verhalten mehr zeigen und sie, wenn es ihnen gelingt, daraus wieder zu erwachen, keine Erinnerungen an diese Zeit �u�ern.

Man schlie�t also in Wahrheit aus einem bestimmten Verhalten auf das Vorhandensein eines Bewu�tseins. In diesem Sinne verf�hrt auch der ber�hmte Turing-Test: Dieser Test soll nachweisen, dass ein Computer "denken kann" (also �ber Bewu�tsein verf�gt). Er besteht in einem Dialog, den ein Mensch mit einem Computer, der getestet werden soll, f�hrt. Falls der Mensch nach einer bestimmten Zeit keinen Unterschied zwischen den Antworten des Computers (und Antworten sind eine Art des Verhaltens) und den Antworten eines Menschen feststellt, ist davon auszugehen, dass der Computer denkt. - Aber was bringt Turing dazu, mit Selbstverst�ndlichkeit nur das Verhalten als Kriterium f�r das Vorhandensein von Bewu�tsein zu nehmen? Kann ein scheinbar bewu�tes Verhalten nicht auch unbewu�t erfolgen?

Die Frage, ob die Ausserirdischen Bewu�tsein haben, kann also von der Naturwissenschaft nicht beantwortet werden. Sie verweist auf eine philosophische Frage: Welche Kriterien wenden wir an, wenn wir Wesen ein Bewu�tsein unterstellen? - Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum eine Philosophie des Bewu�tseins ein sinnvolles Unternehmen ist. Dieser Grund liegt in dem, was man als die "subjektive Erlebnisqualit�t" bezeichnet. Wenn ich Schmerzen habe, kann man das naturwissenschaftlich auf bestimmte neuronale Vorg�nge zur�ckf�hren (genauer gesagt, es hat sich gezeigt, dass man bei Menschen, die Schmerzen �u�ern, h�ufig auf solche Vorg�nge st��t und dass die Menschen umgekehrt gew�hnlich keine Schmerzen �u�ern, wenn keine solchen Vorg�nge nachweisbar sind). Doch was hat eine solche Beschreibung mit den Schmerzen eines Menschen zu tun? Schmerzen sind z. B. unangenehm - doch wie soll sich dieser Aspekt in den neuronalen Vorg�ngen wiederfinden?

Anscheinend gibt es einen Aspekt des Schmerzes, der sich einer naturwissenschaftlichen Beschreibung von vorneherein entzieht: Das, was erlebt wird und was nur das Eigentum desjenigen zu sein scheint, der die Schmerzen hat (da andere Menschen diesen Aspekt nur an sich selbst wahrnehmen k�nnen). Aus einer reduktionistischen naturwissenschaftlichen Beschreibung kann man die Existenz dieses Aspektes nicht erschliessen. - Anders ausgedr�ckt, man kann sich den Menschen, so wie ihn die Wissenschaft �blicherweise betrachtet, n�mlich als physikalisch-chemischen Komplex, genauso gut auch unbewu�t denken.

Es war gerade diese subjektive Erlebnisqualit�t, die Philosophen der Neuzeit dazu brachte, einen besonderen Existenzbereich f�r das Bewu�tsein zu reservieren, der sich von der sonstigen Welt unterscheidet (der Standpunkt wurde sp�ter von vielen Philosophen wieder aufgegeben). Descartes formulierte eine solche Theorie, und l�ngere Zeit waren seine Nachfolger damit besch�ftigt, herauszufinden, wie eine Wechselwirkung des Bewu�tseins-Bereichs mit der Welt der Dinge m�glich ist: Denn im Bereich des Bewu�tseins gibt es offenbar keinen Raum (Gedanken, Schmerzen usw. haben keine Ausdehnung), so dass mechanische Ursache-Wirkung-Beziehungen, wie sie zwischen den Dingen im Raum bestehen, nicht herangezogen werden k�nnen, wenn z. B. erkl�rt werden soll, wie es m�glich ist, dass ein Willensakt bewirkt, dass ich meinen Arm hebe.

Ich m�chte betonen, dass Sartre in dieser Tradition verwurzelt ist. Die Losgel�stheit, die dem Bewu�tsein unterstellt wird, f�hrt dazu, dass die Introspektion wichtigste bewu�tseinsphilosophische Methode wird (nur ich selbst kann ermitteln, was in meinem Bewu�tsein vorgeht, indem ich "in mich hinein sehe"), wobei man allerdings f�r mehr oder weniger selbstverst�ndlich h�lt, dass die so gefundenen Erkenntniss verallgemeinerungsf�hig sind. - Fast alle Argumentationen Sartres, in der "Transzendenz des Ego" und in "Das Sein und das Nichts" berufen sich auf durch Introspektion festgestellte Sachverhalte. - In "Ist der Existentialismus ein Humanismus?", einer 1946 verfassten Vorlesung, die seinen philosophischen Standpunkt gegen Vorw�rfe von katholischer und marxistischer Seite verteidigt, bekennt sich Sartre zu dieser Erkenntnisquelle: "Unser Ausgangspunkt ist tats�chlich die Subjektivit�t des Individuums, und dies aus streng philosophischen Gr�nden. [...] Es kann dabei keine andere Wahrheit geben, von der man ausgehen kann, als diese: Ich denke, also bin ich. Es ist dies die absolute Wahrheit des Bewu�tseins, das zu sich selbst kommt. [...] Damit also eine ungef�hre Wahrheit sein kann, braucht es eine absolute Wahrheit, und diese ist einfach, leicht zu gewinnen, sie ist im Bereich eines jeden; sie besteht darin, sich selbst ohne Vermittlung zu erfassen."

Vielleicht sollte ich noch erw�hnen, dass Sartres Thema das Bewu�tsein des Menschen ist. Von Tieren (oder Ausserirdischen) ist niemals die Rede, das Kriterienproblem wird explizit nicht Thema. - Es ist eine interessante Frage, ob Sartres Philosophie auf h�here Tiere anwendbar w�re.

 Das formale Ich und das materiale Ich

"Die Transzendenz des Ego" erschien 1936/37 in einer philosophischen Zeitschrift und legt Sartres Bewu�tseinsphilosophie im Gegensatz zu anderen Auffassungen dar, insbesondere der seines Lehrers Husserl. Die dort vorgestellte Theorie ist eine wichtige Vorstufe zu derjenigen, die in "Das Sein und das Nichts" vertreten wird: Hauptthema ist das "Ich" und sein Verh�ltnis zum Bewu�tsein. Sartres Grundthese besagt, dass das Ich kein Teil des Bewu�tseins ist. Es werden zwei unterschiedliche Ich-Begriffe unterschieden, wobei die Behauptung auf beide zutreffen soll.

Was unterscheidet das, was in meinem Bewu�tsein vorhanden ist (meine Schmerzen, meine Gedanken usw.) von dem, was im Bewu�tsein eines Anderen vorhanden ist? Was sorgt daf�r, das es sich um unterschiedliche Bewu�tseine handelt? Der Bezug auf das Ich. Doch dieses Ich ist zun�chst einmal nur ein Bezugspunkt, der auf einer rein logischen Ebene sowohl die Einheit meines Bewu�tseins garantiert (alles in meinem Bewu�tsein ist auf dieses Ich bezogen) als auch die Individuierung meines Bewu�tseins (was in meinem Bewu�tsein ist, ist auf mein Ich bezogen, was im Bewu�tsein eines anderen Menschen ist, ist auf sein Ich bezogen). Aus diesem Grund kann man es als "formales Ich" bezeichnen.

Doch daraus, dass einen solchen logischen Bezugspunkt geben muss, folgt noch nicht, dass es ein real vorhandenes Ding gibt, das mit dem formalen Ich identifizierbar ist und f�r Einheit und Individuierung meines Bewu�tseins sorgt. Es ist m�glich, dass sich beides herstellt, ohne dass es einen Hersteller gibt und das ist genau die These, die Sartre vertritt. - Das materiale Ich ist leichter definierbar: Es handelt sich um das Ich, das Gegenstand der Psychologie ist, das psychische Ich. Das materiale Ich kann z. B. eifers�chtig oder �ngstlich sein oder etwas begehren.

 Das formale Ich ist nicht im Bewu�tsein

Ein Philosoph, der sich intensiv mit dem Problem der Bewu�tseinseinheit besch�ftigt hat, war Immanuel Kant. Er kam zu dem Schluss, dass ein formales Ich notwendig ist (die "synthetische Einheit der Apperzeption", Apperzeption meint die Aufnahme von Wahrgenommenem ins Bewu�tsein). - Doch Kant - so Sartre - behauptete nicht, dass das formale Ich eine Entsprechung in der Wirklichkeit habe. Es war f�r ihn nicht mehr als lediglich die Gesamtheit der logischen Bedingungen f�r die Einheit des Subjekts. - Doch Kants Nachfolger (Neukantianismus) sahen das anders. Einige vertraten die Auffassung, dass das formale Ich existiert, aber unbewu�t ist, da es das Bewu�tsein ja erst erm�glicht. Andere meinten, dass es tats�chlich alle unsere Vorstellungen begleitet, d. h. selber eine Bewu�tseinstatsache ist.

Auch der sp�tere Husserl schlie�t sich daran an: Das "transzendentale Bewu�tsein" (das dem formalen Ich entspricht) stellt die Einheit des "normalen" Bewu�tseins her und ist intuitiv zug�nglich. - Sartre behauptet demgegen�ber die Unn�tigkeit eines solchen "Herstellers der Bewu�tseinseinheit". Es reicht v�llig aus, wenn die Elemente eines Bewu�tseins einerseits auf Objekte und andererseits aufeinander bezogen sind, ein zus�tzlicher Bezug auf einen bestimmten realen Punkt er�brigt sich so. - Wie ist das zu verstehen? - Eine Grundthese der von Husserl begr�ndeten Ph�nomenologie besagt, dass jedes Bewu�tsein Bewu�tsein von etwas ist. Das Schlagwort daf�r heisst "Intentionalit�t". Bewu�tsein kann auf Objekte ausserhalb des Bewu�tseins oder auf Bewu�tseinselemente bezogen sein, doch ohne jeden Bezug auf etwas ist es nicht denkbar.

Sartre meint nun, dass diese Grundeigenschaft des Bewu�tseins ausreicht, um f�r seine Einheit und Individuierung zu sorgen. Wie spielt sich das konkret ab? Augenblicksbewu�tseine vereinigen sich in einem einzigen Bewu�tsein, wenn sie auf dasselbe Objekt bezogen sind. Dieses gegenw�rtige Bewu�tsein wiederum vereinigt sich mit dem vergangenen Bewu�tsein dadurch, dass es Bewu�tsein von dem vergangenen Bewu�tsein ist (auf dieses "intendiert"). - Die Augenblicksbewu�tseine leisten ihre Vereinigung also ohne Hilfe eines zus�tzlichen Bewu�tseinselementes "transzendentales Ich". - Doch was ist mit Husserls Behauptung, dass dieses "transzendentale Ich" intuitiv zug�nglich sei? Denn man kann nicht bestreiten, dass wir jedesmal, wenn wir unser Denken selbst "ins Auge fassen", auf ein denkendes Ich sto�en. In diesem Sinne hatte Descartes ("Ich denke, also bin ich") ja seine Existenz aus seinem Denken abgeleitet.

Um diesem Einwand zu begegnen, entwickelt Sartre eine f�r "Das Sein und das Nichts" sehr wichtige Unterscheidung von Bewu�tseinsebenen: Zun�chst stellt er fest, dass jedes Bewu�tsein nicht nur Bewu�tsein von etwas sondern auch Bewu�tsein von sich selbst ist, also Bewu�tsein von Bewu�tsein. Doch Bewu�tsein von Bewu�tsein kann es auf zwei Weisen geben: Das Bewu�tsein kann sich selbst zum Objekt nehmen, in diesem Falle spricht man von "Reflexion". Doch ich bin mir meines Bewu�tseins nicht nur in dann bewu�t, wenn ich darauf reflektiere, sondern immer. Auch wenn ich ganz in eine Wahrnehmung versunken bin, z. B. gebannt auf das sch�ne M�dchen starre, das pl�tzlich aus dem Fahrstuhl getreten ist, bin ich mir bewu�t, dass ich wahrnehme, obwohl nur das wahrgenommene Ding Objekt meines Bewu�tseins ist und nicht das Bewu�tsein. Es gibt also reflexives und nicht-reflexives Bewu�tsein von Bewu�tsein. - Diese Unterscheidung ist von gr��ter Bedeutung f�r Sartres Philosophie und kehrt in "Das Sein und das Nichts" an den unterschiedlichsten Orten wieder.

Sartre nennt die nicht-reflexive Ebene Bewu�tsein 1. Grades. Bewu�tsein ist hier Bewu�tsein eines Objektes und Bewu�tsein von sich selbst, wobei dieses "sich selbst" nicht als weiteres Bewu�tseinsobjekt verstanden werden darf. Die beiden "Bewu�tseine von" geh�ren nicht derselben Kategorie an: Das Bewu�tsein von Bewu�tsein ist im vorreflexiven Bewu�tseinszustand "nicht setzend" (der Ausdruck bezieht sich auf das "Setzen" von Objekten). - "Setzend" wird Bewu�tsein von Bewu�tsein erst dann, wenn ich das Bewu�tsein selbst zum Objekt mache, was auf der reflexiven Ebene (Bewu�tsein 2. Grades) geschieht. - Auf welcher Ebene haben wir nun die Intuition eines Ich? Mit Sicherheit auf der reflexiven Ebene, was Descartes gezeigt hat (denn sein Cogito-Experiment ist ein typischer Reflexionakt). Doch wie steht es in dieser Hinsicht um die vorreflexive Ebene? Sartre bestreitet, dass es dort gleichfalls ein Ich gibt, zun�chst einmal aus einem prinzipiellen Grund, f�r dessen Kl�rung ein neuer Begriff eingef�hrt werden muss.

Das Bewu�tsein - so Sartre - zeichnet sich durch seine "Transluzidit�t" aus. - Dieser Sartresche Begriff ist leider nicht so deutlich, wie es der Wortklang suggeriert. Einerseits soll er besagen, dass ich mir aller Bewu�tseinselemente vollst�ndig bewu�t bin, ihr Sein ist ihr Erscheinen. Andererseits wird sich besonders in "Das Sein und das Nichts" zeigen, dass ich mich �ber grundlegende Tatsachen meines Bewu�tseins t�uschen kann. Aus der Transluzidit�t folgt also nicht, dass ich ohne weiteres zu evidenten Aussagen �ber mein Bewu�tsein gelangen kann (sondern nur, dass es prinzipiell immer m�glich ist). Das Wort "transluzide" bedeutet lediglich "lichtdurchl�ssig" und nicht etwa "durchsichtig".

Sartres Behauptung ist nun, dass ein Ich, gleichg�ltig wie formal es aufgefasst wird, grunds�tzlich einen materialen Restbestand beh�lt und damit "opak" ist ("Opazit�t" - Undurchsichtigkeit - ist der Gegensatz zur Transluzidit�t). Wie kommt er zu dieser These? - Vielleicht kann man sagen, dass das Ich, da es ja alle Bewu�tseinsvorg�nge begleiten soll, mit diesen nicht identisch sein kann und daher das Bewu�tsein �berschreiten muss. Das formale Ich im Bewu�tsein zu lokalisieren bedeutet also, dass das Bewu�tsein eine unbewu�te Komponente hat, was undenkbar ist: "Wenn es existierte, w�rde es das Bewu�tsein von sich selbst losrei�en, es teilen, in jedes Bewu�tsein gleiten wie eine opake Klinge."

Doch wenn das Ich als Element des unmittelbaren, vorreflexiven Bewu�tseins unm�glich ist, warum sto�en wir dann immer darauf, wenn wir auf dieses vorreflexive Bewu�tsein reflektieren? Sartres Antwort lautet: Wenn ich auf eine einfache Wahrnehmung, die ich auf der vorreflexiven Ebene hatte, reflektiere, erscheint es mir so, als sei mein Ich nicht nur jetzt, w�hrend ich reflektiere, vorhanden, sondern w�re auch im Moment der Wahrnehmung dagewesen. - Die These ist hier, dass das Ich erst nachtr�glich, w�hrend der Reflexion hinzugef�gt wurde und im Moment der Wahrnehmung noch nicht im Bewu�tsein war. Das Ich ist das Ich des Bewu�tseins, insofern dieses zum Objekt eines anderen Bewu�tseins geworden ist.

Doch wie kann die Ich-losigkeit des Bewu�tseins 1. Grades durch Intuition nachgewiesen werden, wenn mir die Intuition, w�hrend ich auf das Bewu�tsein 1. Grades reflektiere, doch gerade das Vorhandensein eines Ich zeigt? Denn wenn dieser Nachweis durch Intuition scheitert, scheitert offenbar Sartres Theorie: Das formale Ich muss Teil des Bewu�tseins sein, wenn es mir in der Intuition so erscheint, da im Bewu�tsein ja Sein und Schein identisch sind. - Es muss also noch einen anderen Zugang zum vorreflexiven Bewu�tsein geben, der keine Reflexion ist, und der eine entgegengesetzte Intuition erlaubt. Sartre behauptet, dass es diesen Zugang in Gestalt der "nicht-reflektierten Erinnerung" gibt.

Die Erinnerung belehrt uns dar�ber, dass wir in dem Moment, als wir nur Bewu�tsein 1. Grades waren, kein Ich hatten. Wenn ich mich - so Sartres Beispiel - an einen Moment w�hrend der Lekt�re eines Buches erinnere (ohne auf diese Erinnerung zu reflektieren), wird mir intuitiv klar, dass es in diesem Moment lediglich die Inhalte des Buches f�r mich gab und kein Ich. - (Man beachte hier Sartres Auffassung, dass das pr�reflexive Bewu�tsein �ber die Gegenwart hinausreicht. In "Das Sein und das Nichts" wird aus diesem Ansatz eine ausgef�hrte Philosophie der Zeit.)

Das Ich erscheint also erst w�hrend der Reflexion als ein Bezugspunkt f�r das Bewu�tsein, auf das ich reflektiere (nicht f�r das Bewu�tsein, das reflektiert - als solches befindet es sich auf der vorreflexiven Stufe und hat kein Ich). Doch dieses Ich, das w�hrend der Reflexion erscheint, ist nur ein Gegenstand und kein Teil des Bewu�tseins - es ist "transzendent" ("�berschreitet" das Bewu�tsein). Ich erfasse es nicht mit Evidenz, sondern nur "als Abschattung".

Der Begriff der Abschattung stammt aus der Philosophie Husserls, die Sartres Auffassung in der "Transzendenz des Ego" noch deutlich pr�gt. Husserl hatte festgestellt, dass wir Objekte niemals ganz, sondern immer nur in Aspekten wahrnehmen, also z. B. maximal drei Seiten eines W�rfels gleichzeitig. Ein solcher Aspekt heisst "Abschattung". Da niemals gewiss ist, ob sich die Abschattungen des Objektes, die ich im Augenblick nicht wahrnehme, so pr�sentieren werden, wie ich es erwarte (der scheinbare W�rfel k�nnte z. B. eine Pyramide sein), ist die Wahrnehmung eines Objektes �ber Abschattungen prinzipiell unsicher. Husserl benutzt hierf�r den Begriff der "inad�quaten Evidenz". Die Wahrnehmung des W�rfels �ber die Seiten, die ich gerade sehe, erfolgt also mit inad�quater Evidenz. - Dasselbe trifft auf das Ich zu, wenn es lediglich ein Gegenstand f�r das Bewu�tsein ist.

 Das materiale Ich ist nicht im Bewu�tsein

Wie wir geh�rt haben, kann das materiale Ich schon aufgrund seiner Undurchsichtigkeit im eben erw�hnten Sinn kein Bewu�tseinsbestandteil sein. Opak sind lediglich die Objekte, die das Bewu�tsein wahrnimmt, aber niemals das Bewu�tsein selbst (das sich seiner selbst gerade in der Erfassung eines opaken Anderen bewu�t wird). - Sartre besch�ftigt sich hier mit einer Theorie der "franz�sischen Moralisten" (bekannter Vertreter La Rochefoucauld, 17. Jh.), die behauptet, dass jeder Bewu�tseinsakt (wenn ich begehre, wenn ich aktiv bin) aus Selbstliebe geschieht. Diese Theorie scheint eine Anwesenheit des materialen Ich im Bewu�tsein zu implizieren, da nur das materiale Ich Begierden (wie die Selbstliebe) haben kann.

Die Selbstliebe gibt s�mtlichen Bewu�tseinsvorg�ngen ihr Ziel: Ich begehre z. B. Objekte nur, um diese Selbstliebe (salopp meinen Egoismus oder Narzissmus) zu befriedigen. - Aber lehrt uns nicht die Erfahrung, dass wir Objekte zun�chst keineswegs aus Selbstliebe begehren, sondern einfach weil sie uns begehrenswert erscheinen? Die Selbstliebe ist - so die Moralisten - in diesen F�llen zwar unbewu�t, aber dennoch der eigentliche Antrieb des Begehrens. Das trifft selbst dann zu, wenn ich mich altruistisch verhalte: Ich helfe dem Hilfsbed�rftigen nicht aus Uneigenn�tzigkeit, sondern weil ich damit z. B. die unangenehmen Gef�hle beseitige, die mir der Anblick seines hilfsbed�rftigen Zustandes macht.

Konsequenz diese Theorie ist, dass das Bewu�tsein vom materialen Ich abh�ngig sein muss, da letzteres Tr�ger der Selbstliebe ist. - Ihr Fehler ist nach Sartre, dass sie die reflexive Ebene als einzige Bewu�tseinsebene anerkennt. Denn jemandem zu helfen, nicht, weil er hilfsbed�rftig ist, sondern weil ich, indem ich ihm helfe, meine Laune verbessere, ist ein Gedanke, der erst in der Reflexion auftauchen kann. Da nun Reflexionen dieser Art in vielen F�llen durch Intuition nicht nachweisbar sind, ist der Moralist gezwungen, sie ins Unbewu�te zu verlagern, was uns zu der Konsequenz f�hrt, dass es eine unbewu�te Reflexion gibt. Doch das Wesen von Reflexion besteht darin, dass Bewu�tsein zum Gegenstand f�r das Bewu�tsein wird - eine unbewu�te Reflexion ist also undenkbar, und die Theorie der Moralisten daher widerlegt.

Sartre erw�hnt noch eine g�ngige Unterscheidung zwischen dem Ich, das handelt, und dem Ich, das die Einheit der psychischen Zust�nde und Qualit�ten ist. Sartre h�lt sie f�r �berfl�ssig: Beide sind lediglich Aspekte ein und desselben materialen Ich. - Dieses Ich befindet sich nicht im unreflektierten Bewu�tsein und auch nicht (als Unbewu�tes im Sinne der Moralisten) "hinter" ihm als eine Art versteckter Motor. - Welche Rolle spielt es wirklich?

 Zust�nde, Handlungen und Qualit�ten

Sartre unterstellt - wie wir gesehen haben - eine Einheit des Bewu�tseins, die sich daraus ergibt, dass Bewu�tseinselemente und Augenblicksbewu�tseine aufeinander intendieren. Diese Einheit kommt zustande, ohne dass ein formales Ich bem�ht werden muss. Sie ist zwar nicht Teil des Bewu�tseins, befindet sich aber auf der Ebene des Bewu�tseins (ist bewu�tseinsimmanent). - Das materiale Ich hingegen ist gleichfalls eine Einheit des Bewu�tseins, jedoch eine, die sich nicht auf der Ebene des Bewu�tseins befindet, weder als Teil noch als immanente Einheit. Sie ist transzendent. - Wie stellt sich das konkret dar?

Man kann Bewu�tseinsvorg�nge auf verschiedene Art material vereinigen. Eine M�glichkeit besteht darin, zu behaupten, dass sich das Bewu�tsein in einem bestimmten Zustand befindet, wie z. B. im Zustand des Hasses. Eine andere besteht darin, verschiedene Bewu�tseinsvorg�nge unter dem Begriff einer Handlung zusammenzufassen. Und schlie�lich kann ich dem Bewu�tsein eine bestimmte Qualit�t zusprechen, z. B. die Qualit�t "eifers�chtig", die gleichfalls als Einheit fungiert. - Das Ich ergibt sich aus der Einheit dieser unterschiedlichen Einheiten, es ist die Einheit der Zust�nde, Qualit�ten und Handlungen eines Bewu�tseins. - Zust�nde, Handlungen und Qualit�ten erfasse ich in der Reflexion, ebenso daher das Ich als gesamtes. - Kann ich daraus ableiten, dass das Sein des Ich mit seinem Erscheinen identisch ist, d. h. dass ich aus der Reflexion evidente Erkenntnisse �ber das materiale Ich gewinnen kann?

Sartre leugnet das: Reflexion ist nur solange evident, wie sie sich auf wirkliche Bewu�tseinsvorg�nge bezieht. Wenn ich ein bestimmtes Gef�hl habe, z. B. ein Gef�hl starker Abneigung gegen einen Menschen, kann ich mich darin nicht t�uschen. Das Gef�hl ist Teil des Bewu�tseins und als solches transluzide. Wenn ich jedoch dieses Gef�hl der Abneigung auf den Hass als Einheit h�herer Stufe zur�ckf�hre, also z. B. sage "Ich habe jetzt dieses starke Gef�hl der Abneigung, weil ich ihn hasse", beziehe ich mich damit auf Sachverhalte, die nicht Teil des Bewu�tseins sind. Ich hasse jemanden auch dann, wenn ich gerade gar nicht an ihn denke, also gar kein Bezug des Hasses zu meinem Bewu�tsein besteht. - Der Hass ersch�pft sich nicht in dem Gef�hl der Abneigung, das ich gerade jetzt habe, sondern stellt eine Disposition dar, auch in Zukunft und auf l�ngere Sicht hin solche Gef�hle zu haben, wenn ich dem Menschen begegne, der Gegenstand meines Hasses ist.

Wir sehen hier, wie es m�glich ist, dass die Reflexion uns t�uscht. Die T�uschung entspringt einer Vermischung dessen, was ich wirklich durch Intuition erfahren kann, mit Annahmen, die den Geltungsbereich der Reflexion �berschreiten. Dieses Ph�nomen wird in "Das Sein und das Nichts" als "unreine Reflexion" eine wichtige Rolle spielen. - Dass ich jemanden hasse, kann mir die reine Reflexion nicht sagen. Ich kann mein Gef�hl der Abneigung gegen einen Menschen noch so genau untersuchen, es kann mich nicht dar�ber belehren, ob ich in zwei Wochen noch mit derselben Abneigung reagiere. Der Hass als Einheit meiner Abneigungen ist also transzendent und unterliegt denselben Unsicherheiten wie andere transzendente Objekte. - Er ist ein Gegenstand, den mir nicht vollst�ndig vorliegt, ganz �hnlich dem W�rfel, dessen Seiten ich wahrnehme. Das Gef�hl der Abneigung, das ich momentan habe, ist nichts als eine Abschattung, die auf einen vollst�ndigen Gegenstand verweist.

Die Abschattungen - die Gef�hle, die ich tats�chlich habe - sind also gegen�ber dem Hass prim�r. Doch auch wenn ich den Hass aus seinen �u�erungen erschlie�en muss, kann ich nicht trotzdem sagen, dass der Hass (vorausgesetzt, ich habe richtig geschlossen) diese �u�erungen verursacht? So, wie die elektrische Aufladung die Funken verursacht, auch wenn ich deren Anwesenheit erst aus dem Auftreten der Funken gefolgert habe? - Diese Auffassung liegt nahe, wird aber von Sartre abgelehnt.

Der Hass kann das Bewu�tsein nicht kausal beeinflussen, weil das Bewu�tsein �berhaupt nicht kausal beeinflusst werden kann. Wir sto�en hier auf die wichtigste Kernthese Sartres, die in "Das Sein und das Nichts" zu �berraschenden Konsequenzen f�hren wird (wie z. B. seiner totalen Ablehnung des psycho-physischen Parallelismus). Das Bewu�tsein ist "spontan", d. h. alle Bewu�tseinsvorg�nge und -zust�nde sind vollst�ndig unverursacht und alle Versuche, es einer Kausalit�t unterzuordnen sind f�r Sartre so irrational wie die Annahme einer Verbindung zwischen den Zeremonien des Regenmachers und dem darauf folgenden Regen.

Aus der Spontaneit�t des Bewu�tseins folgt, dass es keinen Hass als verursachende Kraft meiner Abneigung geben kann. Der Verursachungszusammenhang, den der gesunde Menschenverstand zwischen dem Hass und den Abneigungsgef�hlen konstatiert, ist ein "magisches" Verh�ltnis. (Sartre benutzt den Begriff des Magischen h�ufig, um F�lle zu beschreiben, in denen das Vorurteil Ursache-Wirkung-Beziehungen unterstellt, die in Wahrheit irrational sind.) - Der Hass ist nicht nur keine Kraft, sondern v�llig "passiv", weil er g�nzlich von seinen Abschattungen abh�ngt. Der von Sartre gew�hlte Begriff "Zustand" f�r den Hass und andere Dispositionen soll diese Passivit�t ausdr�cken. - Man kann allerdings sinnvoll sagen, dass der Hass k�rperliche Erscheinungen verursachen kann (wie z. B. ein hassverzerrtes Gesicht), insofern die vom Hass zusammengefassten Gef�hle solche Erscheinungen verursachen k�nnen. W�hrend Bewu�tseinsph�nomene f�r Sartre grunds�tzlich nicht verursacht werden k�nnen, stellt Sartre im konkreten Fall nie in Frage, dass sie physische Ph�nomene bewirken k�nnen. (In "Das Sein und das Nichts" wird er diese M�glichkeit allerdings theoretisch leugnen und eingestehen, dass es Kl�rungsbedarf gibt.)

Das Ich setzt sich nicht nur aus Zust�nden zusammen, sondern auch aus Handlungen. Sartre �u�ert sich nicht weiter zu ihnen, betont jedoch ihre Transzendenz. Aus ihr folgt, was gleich noch von Bedeutung sein wird, die Transzendenz des methodischen Zweifels von Descartes, da dieser eine Handlung ist. - Den Begriff der "Qualit�ten" kann man am besten mit "Charakterz�ge" �bersetzen. Qualit�ten sind z. B. Talente, Geschm�cker, Instinkte, Tendenzen (wie z. B. "nachtragend sein"). Aus einem Grund, der mir nicht klar ist, h�lt Sartre die Zuschreibung von Qualit�ten f�r willk�rlich ("fakultativ") und in starkem Masse sozial bestimmt. Er glaubt ausserdem, dass das Ego als Vereinigung von Zust�nden und Handlungen ausreicht, und keine weitere Vereinigung von Zust�nden und Handlungen zu Qualit�ten n�tig ist.

 Das Ego

Das Wort "Ego" ist ein anderer Ausdruck f�r das materiale Ich, was man im Hinterkopf haben sollte, wenn man die folgenden Ausf�hrungen verstehen will. - Sartre wehrt sich gegen ein naheliegendes Misverst�ndnis, nach dem die Vereinigung von Bewu�tseinsereignissen im Ego eine Gruppierung um ein Zentrum ist, wobei das eigentliche Ego dieses leere Zentrum sei. Die Elemente, die das Ego bilden, haben kein Zentrum, sondern bilden in dem Sinne eine Einheit wie eine Melodie eine Einheit aus T�nen bildet: Kein Ton ist f�r die Einheit "Melodie" wichtiger als ein anderer Ton, aber wenn sich nur ein Ton �ndert, �ndert sich die ganze Melodie. - Sartre bezeichnet eine solche Einheit als "synthetische Totalit�t". - Eine andere Einheit, die gleichfalls �ber eine solche Struktur verf�gt, ist die Welt: Das Ego ist die synthetische Totalit�t der Bewu�tseinszust�nde usw., w�hrend die Welt die synthetische Totalit�t der Objekte f�r das Bewu�tsein ist.

Was f�r Konsequenzen ergeben sich f�r das Ego aus einer solchen Struktur? - Da es sich aus Einheiten zusammensetzt, die selber transzendent sind, wie Zust�nde und Handlungen, teilt es deren Unsicherheit. Es kann z. B. bezweifelt werden, dass mein Ego den Hass auf eine bestimmte Person umfasst, da ja nicht sicher ist, ob meine Abneigungen so dauerhaft sind, dass man wirklich von Hass sprechen kann. Auch meine Erinnerungen, aus denen diese Dauerhaftigkeit hervorzugehen scheint, k�nnen falsch sein. - Die tats�chliche Zusammensetzung des Ego ist also hypothetisch. Dass ich �berhaupt ein Ego habe, ist jedoch nicht hypothetisch, da das Ego lediglich die h�chste Einheit meiner Bewu�tseinszust�nde ist, egal, welche Zust�nde es umfasst. Es teilt also die Evidenz des Bewu�tseins f�r sich selbst: Wenn ich bewu�t bin, habe ich auch ein Ego als die transzendente Einheit dieses Bewu�tseins (so wie ein Mensch eine Biographie hat, unabh�ngig davon, was oder wieviel er erlebt hat).

Das Vorurteil nimmt nun an, dass das Ego seine Zust�nde erzeugt, so wie es glaubt, dass der Hass die Abneigungen erzeugt. Wenn ich auf einen Bewu�tseinszustand reflektiere, interpretiere ich diesen Zustand gleichzeitig als von einem Ego hervorgebracht. Damit gehe ich nat�rlich �ber das hinaus, was mir die Reflexion als sicher garantiert: Ich leiste eine Interpretation, die von der blo�en Erfassung von Bewu�tsein durch sich selbst nicht gedeckt wird. Dass diese Interpretation unzutreffend ist, zeigt sich daran, dass das Ego von dem �berschritten werden kann, was es zu erzeugen scheint. Eine Handlung, die scheinbar aus meinem Ego hervorgeht, kann dieses Ego ver�ndern. Wenn ich mich z. B. pl�tzlich als Exhibitionist bet�tige, aber bis zu diesem Moment ein "moralischer Mensch" gewesen bin, ver�ndert diese Handlung mein Ego und kann in mir vielleicht sp�ter Entsetzen �ber dieses Ego, das ich so nicht kannte, hervorrufen.

W�hrend das Bewu�tsein wirklich spontan ist, d. h. tats�chlich etwas hervorbringt (siehe oben), ist die Spontaneit�t des Ego nur scheinbar. - Die scheinbare Reihe

Ego -> Zust�nde ->Bewu�tsein

verdeckt also die wirkliche Reihe

Bewu�tsein -> Zust�nde ->Ego

Im Bewu�tsein sind Sein und Sich-Erkennen identisch. Diese Transluzidit�t als solche kann von uns aber nicht wie ein Objekt wahrgenommen werden, da das Sein eines Objektes niemals mit seinem Erscheinen identisch ist: Ein Objekt ist immer mehr als die von ihm wahrgenommene Abschattung. (Das ist auch der Grund f�r die prinzipielle Unzug�nglichkeit des Bewu�tseins anderer Menschen.) - Sartre meint nun, dass der Ego-Begriff gerade den Versuch darstellt, die Transluzidit�t des Bewu�tseins als Objekt zu setzen. Das Ego scheint Bewu�tsein zu sein, ist aber in Wahrheit opak.

Aufgrund dieses Objekt-Charakters kann das Ego nicht nur von seinem Tr�ger, sondern auch von Anderen beurteilt werden. Andere sind f�r diese Beurteilung sogar geeigneter: Ich selbst habe zu wenig Abstand zu meinem Ich. Die richtige Illustration f�r diese Problematik der Selbsterkenntnis ist der Wald, den man - wenn man unmittelbar davor steht - vor lauter B�umen nicht mehr sieht. Z. B. ist Anderen meine Reaktion auf eine bestimmte Person �ber einen l�ngeren Zeitraum vielleicht deutlicher als mir selbst, so dass Andere mit mehr Recht als ich selbst feststellen k�nnten, dass ich diese Person hasse.

Da die Totalit�t des Ego auch meine zuk�nftigen Bewu�tseinszust�nde umfasst, ist es eine ideale und keine reale Totalit�t. Es hat das mit allen anderen Bewu�tseinsobjekten gemeinsam. Die Annahme, dass eine Wahrnehmung Abschattung eines Objektes ist, verweist auf unendlich viele Abschattungen, die ich in der Zukunft wahrnehmen k�nnte. Objekte sind also immer ideale Einheiten.

Sartre nimmt noch einen m�glichen Einwand vorweg: Wenn wir im pr�reflexiven Bewu�tseinsmodus z. B. eine Arbeit ausf�hren, kommt es vor, dass wir S�tze in der 1. Person �u�ern, wie z. B. "Ich tue gerade das-und-das." Folgt daraus nicht, dass das Ego schon auf der pr�reflexiven Ebene vorhanden sein muss? - Sartre leugnet das: Das "Ich" in solchen S�tzen entspricht keiner Bewu�tseinsintuition des Sprechenden, es ist nur eine Leerstelle.

Sartre kommt noch einmal auf das Ego in Descartes "Cogito ergo sum" zur�ck: Dass man w�hrend der Reflexion immer auf das Ich st��t, ist zwar eine Erfahrungstatsache, aber keine Notwendigkeit. Die Reflexion richtet sich ja lediglich auf das Bewu�tsein selbst, w�hrend das Ich transzendentes Objekt ist. In Descartes� Cogito stellt das Ego also eine Verunreinigung dar. Woher stammt es? - Sartre meint, dass es die Motivation des Reflektierenden ist, die das Ego in die Reflexion hineintr�gt. Descartes Motivation z. B. war der methodische Zweifel. - Da nun eine Reflexion ohne dahinterstehende Motivation kaum m�glich erscheint, ist das Erscheinen des Ich in der Reflexion eine praktische Notwendigkeit, obwohl eine Reflexion ohne Ego durchaus denkbar ist.

Wir bemerken hier eine Schwierigkeit, die uns noch h�ufiger begegnen wird: Der methodische Grundsatz, dass sich evidente philosophische Erkenntnisse durch Intuition / Introspektion gewinnen lassen, l�sst eigentlich nicht erwarten, dass es zu Uneinigkeiten �ber die Ergebnisse der Methode kommen kann. Dennoch zieht Descartes im vorliegenden Fall eine ganz andere Evidenz aus dem Cogito als Sartre.

 Konsequenzen

Nach Sartres Einsch�tzung l��t seine Theorie des Ego die Abgrenzung zwischen Ph�nomenologie und Psychologie klar hervortreten: Die Psychologie besch�ftigt sich mit Objekten, die intersubjektiv zug�nglich sind. Das Bewu�tsein ist - im Unterschied zum Ego - kein solches Objekt, da es nur in der Reflexion des Einzelnen erfasst werden kann. Seine Beschreibung ist daher nicht Aufgabe der Psychologie, sondern der Philosophie in Gestalt der von Husserl gepr�gten Ph�nomenologie - die als traditionelle Bewu�tseinsphilosophie, wie bereits erw�hnt, auf die Introspektion als Verfahren angewiesen ist.

Noch bleibt zu kl�ren, wie es zu dem Vorurteil kommt, dass das Ich die Zust�nde und die Zust�nde die Bewu�tseinsph�nomene hervorbringen, wenn es doch in Wahrheit genau umgekehrt ist. Der Grund daf�r liegt darin, dass die Spontaneit�t des Bewu�tseins f�r das Bewu�tsein selbst beunruhigend ist. Ich bin ihr in schicksalhafter Weise unterworfen. - Man beachte, dass Sartre hier die Spontaneit�t noch nicht mit der Freiheit gleichsetzt, wie er es sp�ter in "Das Sein und das Nichts" tun wird. - Sartre verweist auf psychiatrische Krankheitsbilder, die man heute mit dem Begriff "Zwangsgedanken" assoziieren w�rde: Menschen leiden unter der panischen Angst, sie k�nnten pl�tzlich etwas Absurdes oder Amoralisches tun (z. B. eine exhibitionistische Handlung ausf�hren), ohne dass es einen konkreten Anlass f�r diese Angst gibt. Sartres Erkl�rung f�r dieses Ph�nomen ist, dass diese Menschen sich dar�ber klar geworden sind, dass ihr Bewu�tsein spontan ist: "Das Bewu�tsein erschrickt vor seiner eigenen Spontaneit�t, weil es sie jenseits der Freiheit f�hlt."

Die T�uschung erkl�rt sich dann als eine Fluchtreaktion des Bewu�tseins vor dieser unertr�glichen Erkenntnis (die denjenigen, der sie hat, "in den Wahnsinn treiben" kann). Die beunruhigende Spontaneit�t des Bewu�tseins wird in das Ego projiziert, das durch seinen Objektcharakter in gr��erer Distanz zu mir ist als das Bewu�tsein, das ich bin. Das Ego kann ich f�r frei halten, w�hrend die Bewu�tseinsspontaneit�t jenseits von frei oder unfrei ist (man sollte im Kopf behalten, dass Sartre in "Das Sein und das Nichts" anders dar�ber denkt!) und mir als unentrinnbare Determination meiner selbst erscheint. - Da das Bewu�tsein sich jedoch in jeder Reflexion sofort als spontan und unabh�ngig vom Ich erkennt, kann diese Flucht niemals vollst�ndig und dauerhaft gl�cken. - Die Beschreibung solcher Fluchtman�ver wird in "Das Sein und das Nichts" einen grossen Raum einnehmen.

Zuletzt erkl�rt Sartre seine Theorie noch zur einzig m�glichen Widerlegung des Solipsismus. - Der Solipsist, so Sartre, konnte im Sinne von Descartes mit der Unbezweifelbarkeit seines Ich argumentieren: Zwar existiert mein Ich mit Evidenz, an die Existenz anderer Dinge (und Ichs) muss ich deswegen aber noch lange nicht glauben. - Sartres Wiederlegung setzt bei seiner These an, dass das Ich transzendentes Objekt ist: Es steht auf derselben Stufe wie die anderen Objekte der Welt und kann daher nicht mehr oder weniger bezweifelt werden als diese. - Die Argumentation wirkt nicht �berzeugend: Sartre hat selbst zuvor konstatiert, dass zwar die Zusammensetzung des Ego bezweifelbar ist, aber nicht das Ego selbst, da es als ideale Einheit des Bewu�tseins an dessen Unbezweifelbarkeit teil hat. - Es scheint also so, als k�nne der Solipsist immer noch mit der Unbezweifelbarkeit seines Ich argumentieren, wenn er nur darauf verzichtet, bestimmte Eigenschaften dieses Ich zu behaupten. - Sartre selbst wird sich in "Das Sein und das Nichts" von dem hier ge�u�erten Argument distanzieren.


Sartre:  Das Sein und das Nichts. Versuch einer ph�nomenologischen Ontologie.


 Einleitung: Auf der Suche nach dem Sein


"Das Sein und das Nichts" erschien 1943 in Paris unter deutscher Besatzung. Konzipiert wurde es von Sartre u. a. w�hrend seiner Milit�rdienstzeit und sp�ter in deutscher Kriegsgefangenschaft. (Bei vielen der Beispiele "aus dem Leben", die Sartre zur Untermauerung seiner Thesen anf�hrt, sollte man diesen Zeithorizont mitdenken.)

Zweck der Einleitung des Werkes ist es, von der ph�nomenologisch / husserlschen Grundlage, auf der Sartre argumentiert, zur Lehre vom Sein �berzuleiten, einem Konzept, dass Sartre von Husserls Sch�ler Heidegger als Erweiterung der Ph�nomenologie �bernimmt. - Was ist Ph�nomenologie? Der Begriff bezieht sich auf ein von Husserl entwickeltes und von Husserls Nachfolgern variiertes Konzept, nach dem die Aufgabe der Philosophie - grob gesagt - die Beschreibung dessen ist, was ohne die Beteiligung von Erfahrung evident erfassbar ist. Auf dieser Basis soll dann die Grundlegung der Einzelwissenschaften erfolgen. Da der Begriff h�ufig f�r ganz verschiedene philosophische Theorien verwendet wird, die auf einer ph�nomenologischen Basis entwickelt wurden, ist er nicht besonders eindeutig. Die Lehre von den Abschattungen als Ergebnis der Husserlschen Ph�nomenologie haben wir bereits kennengelernt.

Wer "Das Sein und das Nichts" liest, st��t auf zahlreiche Gedankeng�nge, die an Konzepte Heideggers aus "Sein und Zeit" erinnern. Ich m�chte hier auf die Hauptdifferenz der beiden Ans�tze hinweisen: Sartres Philosophie beh�lt den Charakter einer Bewu�tseinsphilosophie, und bleibt in dieser Hinsicht in der N�he Husserls, w�hrend Heidegger das Bewu�tsein aus seinen Untersuchungen v�llig ausklammert.

Der erste Satz von "Das Sein und das Nichts" konstatiert, dass "das moderne Denken" (Sartre meint damit nur die Ph�nomenologie Husserls - ich habe kein Indiz daf�r gefunden, dass er z. B. den Wiener Kreis zur Kenntnis genommen hat) eine Reihe von Dualismen, die in der Philosophiegeschichte eine Rolle spielten, auf einen einzigen Dualismus reduzieren konnte und so scheinbar den Vorteil theoretischer �konomie hat. Um dieser Argumentation folgen zu k�nnen, muss man sich die Rolle der Erscheinung in der Husserlschen Lehre vor Augen f�hren:

Wie bereits erw�hnt, wird ein Ding �ber seine Abschattungen (= Erscheinungen) wahrgenommen. Die Abschattung (die sichtbaren Seiten des W�rfels) ist das, was dem Bewu�tsein wirklich vorliegt, dem Ding (dem W�rfel), das von ihr angezeigt wird, kommt nur eine ideale Existenz zu. Was f�r eine Existenz ist das? - Das Ding steht einfach f�r die gesamte Reihe seiner m�glichen Abschattungen (also f�r alle Aspekte, die ich von einem W�rfel sehen k�nnte). - Nun weiss ich, wenn ich die Abschattung, die mir vorliegt, als Erscheinung eines bestimmten Dings identifiziere, mit welchen anderen Abschattungen ich zu rechnen habe, und welche ausgeschlossen sind. (Ich weiss, dass der wahrgenommene W�rfel auf der R�ckseite nicht halbkugelf�rmig ist, wenn ich ihn umdrehen sollte.) - Die Abschattungen eines bestimmten Dings folgen also einer bestimmten Regel. Von dieser Regel kann man sagen, dass sie das Wesen des Dings bildet.

 Dualismus Aussen / Innen

Nach einer weitverbreiteten Auffassung zeigen mir die Gegenst�nde lediglich eine Aussenseite, haben aber daneben noch eine Innenseite, die ich nur erschliessen kann. So nehme ich die Wirkungen des elektrischen Stromes wahr, z. B. Magnetismus, Lichterscheinungen usw. aber nicht diesen selbst: Der Strom selbst befindet sich "im Inneren" und die wahrnehmbaren Ph�nomene, die er hervorruft, spielen sich nur auf der Oberfl�che ab. - Dieses Beispiel Sartres ist insofern irref�hrend, als es sich bei naturwissenschaftlichen "Gegenst�nden" wie dem elektrischen Strom, um Gegenst�nde handelt, die von vorneherein als nicht-wahrnehmbar, als "innerlich" konzipiert werden, um das Verhalten wahrnehmbarer Gegenst�nde zu erkl�ren. Doch wie steht es um die Dinge, die ich wahrnehmen kann? Haben auch sie eine verborgene Innenseite?

Hier denkt Sartre an die Kantische Unterscheidung von Erscheinung und Ding-an-sich. Das Ding, dass mein Geist durch Anwendung der Denk- und Anschauungsformen auf das Datenmaterial der Sinne konstituiert hat, kann mit dem "eigentlichen Ding" nicht identisch sein, da ja alles, was ich �ber das Erscheinungs-Ding sagen kann, aus meinem eigenen Geist stammt. Hinter der Erscheinungswirklichkeit steht also eine andere Wirklichkeit, das "Ding-an-sich", das Innere des Seins im Unterschied zu der Aussenseite des Seins, die mir in der Erscheinung vorliegt. - Der Gegensatz "�u�eres / Inneres" umfasst also auch den Gegensatz "Erscheinung / Sein".

 Dualismus Potenz / Akt

"Potenz" kann man als M�glichkeit, "Akt" als verwirklichte M�glichkeit �bersetzen. Der Begriff "M�glichkeit" ist aber doppeldeutig: Gemeint ist hier die Realm�glichkeit, nicht die blo� logische M�glichkeit. Eine Marmorstatue "in Potenz" ist die reale M�glichkeit eines Marmorblocks, aber keine reale M�glichkeit einer Badewanne voll Wasser, da ich eine Statue zwar aus Marmor herausmeisseln kann, aber aus Wasser mit den bisher bekannten Methoden nicht. (Nat�rlich ist aber eine Welt denkbar, in der es solche Methoden gibt, so dass in dieser Welt die Statue reale M�glichkeit des Wassers w�re.) - Wenn eine Statue tats�chlich aus irgendetwas herausgemeisselt wurde, ist sie nicht mehr "in Potenz", sondern "in actu".

Dieser Dualismus wurde von Aristoteles eingef�hrt. Er hielt ihn f�r die notwendige Voraussetzung, um zu Begriffen wie Ver�nderung oder Werden zu gelangen. Problematisch daran ist, dass nicht ganz klar ist, in welchem Sinne das potenzielle Ding bereits existiert: Die Statue "in actu" existiert, nachdem ich sie aus dem Marmor gemeisselt habe. Doch die Statue "in Potenz", muss es sie nicht vorher auch schon irgendwie gegeben haben? (Hier ist die Statue ein schlechtes Beispiel, da sie ein "Ausschnitt" des Marmorblockes ist, der in einem ganz realen Sinne im Marmor schon enthalten war. Man denke stattdessen z. B. an eine Eichel, in der ein potentieller Baum steckt.)

 Dualismus Erscheinung / Wesen

Das "Wesen" meint hier nur das, was ein Ding wirklich ist und nicht das Wesen im Husserlschen Sinne. - Der wichtige Punkt hier ist einfach, dass wir nach der traditionellen Auffassung nie vollst�ndig wissen k�nnen, was ein Ding ist, da unsere Erkenntnis der Dinge begrenzt ist. Die Erscheinung der Dinge f�r uns steht also im Gegensatz zu ihrem Wesen, das uns gr�sstenteils verborgen ist, und bildet so mit ihm eine weitere Dualit�t. - In der Folge wird Sartre beschreiben, in welchem Sinne die Ph�nomenologie diese zahlreichen Dualit�ten auf eine einzige Dualit�t zur�ckf�hrt.

 Aufl�sung der Dualit�ten in die Dualit�t Endlich / Unendlich

Aussen und innen gibt es f�r die Ph�nomenologie nicht mehr, da die Erscheinungen nur noch auf andere Erscheinungen verweisen (die Aspekte, die ich wahrnehme, auf die Aspekte, die ich wahrnehmen k�nnte) und nicht mehr auf ein dahinterstehendes Ding-an-sich oder eine nicht-wahrnehmbare naturwissenschaftliche Entit�t. - Wie Sartre bezogen auf letzteres sagt: Der elektrische Strom ist nur die Gesamtheit seiner Wirkungen.

Potenz und Akt verschwinden ebenfalls: Die im Marmorblock steckende Statuenpotenz ist einfach die Gesamtheit der Statuen, die sich aus ihm herstellen lassen. Sartre erw�hnt als anderes Beispiel den jungen Marcel Proust, der nicht die Werke, die er mal schreiben wird, in Potenz enth�lt, sondern dessen Potenz sich ausschlie�lich in den Werken �u�ert, die er tats�chlich schreiben wird. - Ebenso l�st sich der Gegensatz Wesen / Erscheinung auf: Das Wesen ist die Regel, der die Reihe der Abschattungen eines Dings folgt. (Wenn es zum Wesen dieses Dings geh�rt, dass es ein W�rfel ist, �u�ert sich das darin, dass in der Reihe der Abschattungen des Dings keine Halbkugel vorkommen kann.)

Doch beinhaltet die Theorie der Abschattungen nicht ebenfalls eine Dualit�t? Es gibt doch offenbar einen Gegensatz zwischen den Abschattungen, die mir tats�chlich vorliegen, und den Abschattungen, die mir der Gegenstand darbieten k�nnte. Sartre bezeichnet diese Dualit�t als die Dualit�t Endlich / Unendlich, weil er die Gesamtmenge der Abschattungen eines Dings f�r unendlich gross h�lt. - Das ergibt sich aus zwei Gr�nden: Zum einen ist es denknotwendig, dass eine bestimmte Abschattung, die schon einmal da war, erneut auftreten k�nnen muss (die Seiten des W�rfels, die ich schon gesehen habe, muss ich beliebig oft sehen k�nnen). Zum anderen kann der Wahrnehmende selbst gegen�ber einer bestimmten Abschattung unendlich viele Gesichtspunkte einnehmen, was aus einer einzigen Abschattung allein bereits eine Unendlichkeit macht. - Das zweite Argument habe ich nicht verstanden: Was ist ein Gesichtspunkt, den man gegen�ber einer Abschattung einnehmen kann?

 Restauration der alten Dualismen aus diesem neuen Dualismus

Jedes Ding entspricht also einer Unendlichkeit m�glicher Erscheinungen. In diesem Gegensatz Erscheinung / Unendliche Reihe - und das heisst ideale, mir als endlichem Wesen nicht zug�ngliche - Reihe der Erscheinungen findet sich offensichtlich der alte Gegensatz Aussen / Innen wieder. Der Gegensatz Potenz / Akt ist gleichfalls noch unter den Lebenden, da eine Erscheinung offenbar die Potenz zu einer ganzen Erscheinungsreihe besitzt (eine m�gliche Abschattung ist in Potenz, wenn sie sich realisiert, ist sie in Actu). Und schlie�lich steht das Wesen, als Regel der m�glichen Reihe der Erscheinungen immer noch im Gegensatz zur einzelnen Erscheinung.

Es ergibt sich also, dass die theoretische �konomie der Ph�nomenologie, die sich aus der Beseitigung der Dualismen ergibt, nur scheinbar ist. - Doch Sartre bleibt bei dieser negativen Feststellung nicht stehen: Er sieht in der ph�nomenologischen Erscheinungslehre einen anderen Fortschritt verwirklicht, der ihm viel wesentlicher erscheint: W�hrend das Ding-an-sich Kants das eigentlich Existierende war, auf dem die Existenz der Erscheinung nur parasit�r aufsetzte, wird jetzt in Sartres Ausdrucksweise "das Sein der Erscheinung von keinem anderen Sein mehr getragen." Und hier erleben wir den �bergang von der Ph�nomenologie zur Ontologie, der Lehre vom Sein.

 Exkurs: Sartres mehrdeutiger Seinsbegriff

Dass das Sein der Erscheinung von keinem anderen Sein mehr getragen wird, scheint eine unproblematische Aussage zu sein. Es existieren prim�r Abschattungen, und die Dinge selbst, deren Erscheinungen sie sind, ergeben sich sekund�r als Begriffe, die sich auf Mengen von Abschattungen beziehen: Der Begriff "Sein" kann hier mit "Existenz" gleichgesetzt werden. - Doch nun spricht Sartre pl�tzlich vom "Seinsph�nomen". Es gibt ein Seinsph�nomen, dass uns unmittelbar zug�nglich werden kann (z. B. durch "Ekel" oder "Langeweile"). - Dinge, die existieren, k�nnen uns zug�nglich werden, aber die Existenz von Dingen als solchen?

Ich kann den Satz "Wenn es Dinge der Kategorie A gibt, folgt daraus, dass es auch Dinge der Kategorie B gibt" wie folgt ausdr�cken: "Aus der Existenz von Dingen der Kategorie A folgt die Existenz von Dingen der Kategorie B." Der zweite Satz ist offenbar v�llig bedeutungsgleich mit dem ersten und nichts berechtigt zu der Annahme, dass das Wort "Existenz" sich auf einen besonderen Gegenstand bezieht. Wenn dem so w�re, m�sste der zweite Satz die bessere Formulierung sein, und der Satz "es gibt Dinge" geschickt verschleiern, dass er in Wahrheit nicht nur von Dingen, sondern auch noch von einem Gegenstand "Existenz" handelt (geschickt deshalb, weil der Satz v�llig einfach zu sein scheint). - Das ist nicht sehr plausibel.

Die allt�gliche Verwendung des Wortes "Existenz" ist also kein Argument daf�r, dass es einen Gegenstand "Existenz" gibt. - Doch vielleicht gelangt man auf andere Weise dahin. Stellen wir uns einen beliebigen Gegenstand vor, z. B. ein Blatt Papier auf meinem Tisch. Dieser Gegenstand hat Eigenschaften. Das Blatt Papier ist z. B. weiss, leicht, flach usw. - Denken wir uns nun diese Eigenschaften weg, das weiss-sein, das leicht-sein, das flach-sein, das auf-dem-Tisch-liegen usw. - ist das, was �brigbleibt, nicht die blosse Existenz des Blatts Papier, sein Sein ?

Den Satz "Auf meinem Tisch liegt ein Blatt Papier" l��t sich relativ zwanglos umformen in den Satz "Es gibt ein Blatt Papier, dass auf meinem Tisch liegt." Noch etwas formaler kann man sich so ausdr�cken: "Es gibt einen Gegenstand, f�r den gilt: Er ist flach, weiss, leicht usw. und liegt auf meinem Tisch." Widerhole ich nun das Experiment von eben, und ziehe s�mtlich Eigenschaften des Blattes Papier ab, so gelange ich zu "Es gibt einen Gegenstand" - was offenbar gar nichts ist. Wenn "Es gibt ein X, f�r das gilt ..." sinnvoll ist, folgt daraus n�mlich nicht dass auch der Satz "Es gibt ein X" sinnvoll ist. Der Begriff Gegenstand als Tr�ger der Eigenschaften des Blattes Papier ist v�llig leer (so dass man ihn durch ein X ersetzen kann).

"Es gibt einen Gegenstand" ist also kein Satz, sondern lediglich das Fragment eines Satzes, dass erst durch Hinzuf�gung von einer oder mehreren "f�r den gilt ..."-Klauseln eine Aussage wird. Der Versuch, das Sein des Gegenstandes durch Abzug seiner Eigenschaften zu gewinnen, scheitert also: Es bleibt nicht das Sein des Gegenstandes �brig, sondern bestenfalls seine "X-heit". - Man k�nnte jetzt denken, dass der Fehler des Experimentes vielleicht darin lag, dass es zu weit ging. Vielleicht geh�rte die Existenz des Blattes ja zu den von uns weggedachten Eigenschaften! - Diese Auffassung, die das Sein als Eigenschaft erkl�rt, liegt bekanntlich dem ontologischen Gottesbeweis zugrunde. Akzeptieren wir sie, scheint es kein gr��eres Problem mehr zu sein, zu einem Gegenstand "Sein" zu kommen. Ich kann von dem Sein des Papiers genauso sprechen, wie von seiner Farbe. Alles, was ich jetzt noch brauche, ist etwas Universalienrealismus - das heisst, die Annahme, dass Eigenschaften auf existierende abstrakte Gegenst�nde verweisen, das Weiss des Papiers z. B. auf "die Weisse".

Doch leider verh�lt es sich so, dass die Interpretation der Existenz eines Dings als einer Eigenschaft dieses Dings seit Kants Auseinandersetzung mit dem "ontologischen Gottesbeweis" zu den am einhelligsten abgelehnten philosophischen Auffassungen �berhaupt geh�rt. - Ich m�chte dazu nur folgendes anf�hren: Obwohl die Aussage "die Rose ist existent" so �hnlich aussieht wie die Aussage "die Rose ist rot" ist diese �hnlichkeit nur scheinbar. "Die Rose ist existent" ist n�mlich unformbar in ein Konstrukt von der Art "Es gibt einen Gegenstand, der die Eigenschaften einer Rose hat." Die Umformung zeigt, dass das "Es gibt" nicht selber eine der Eigenschaften analog zur R�te der Rose ist.

G�be es �brigens einen Gegenstand "Sein", so w�rde die Schwierigkeit entstehen, dass man vom Sein dieses Gegenstandes reden k�nnte (worauf schon Husserls Lehrer Franz Brentano hingewiesen hatte). Es g�be das Sein des Seins des Seins usw., das heisst also nicht nur einen Gegenstand "Sein" sondern eine unendliche Zahl von Seinsgegenst�nden. Dieser infinite Regress ist eine weitere Widerlegung der Auffassung, dass Sein ein Gegenstand ist. - Es ist also unm�glich, Existenz wie einen Gegenstand zu behandeln. Sartre scheint aber genau das zu tun, wenn er davon spricht, dass es ein "Seinsph�nomen" und dar�ber hinaus ein transph�nomenales Sein gibt. - Wovon spricht er also wirklich?

Um vorzugreifen: Sartres Seinsbegriff schwankt zwischen zwei grundlegenden Bedeutungen. Wenn Sartre in "Das Sein und das Nichts" von "Sein" spricht, kann er damit meinen:

1. Die Existenz (im �blichen Sinne)

2. Eine Art Stoff der Existenz, an dem existierende Dinge teilhaben.

Was die Sache noch komplizierter machen wird, ist seine Unterscheidung zweier Unterarten des Seins (das Sein-an-sich und das Sein-f�r-sich). - Ich werde den Begriff "Sein" in meiner Darstellung nach M�glichkeit vermeiden (er kommt trotzdem noch h�ufig genug vor) und in den n�chsten Abschnitten anmerken, welche Bedeutung von "Sein" Sartre gerade im Sinne hat. - Die Mehrdeutigkeit des Begriffs stellt meines Erachtens eine zentrale Schw�che des Werkes dar. Trotzdem lassen sich Sartres Argumentationen recht klar herausarbeiten, wie sich hoffentlich zeigen wird.

 �bergang zur Seinsphilosophie

Sartre geht von der Feststellung, dass die Erscheinung eine eigene und nicht nur eine abgeleitete Existenz hat, zu der Frage nach dem Sein als Ph�nomen �ber. - Da die Erscheinung eines Tischs z. B. eine Menge von Abschattungen ist, die auf eine ideale unendliche Reihe von Abschattungen verweisen, die das Objekt "Tisch" bilden, m�sste es beim Sein so �hnlich sein, wenn das Sein ein Ph�nomen ist - so sollte man meinen. Doch diese Integration in das Abschattungen-System Husserls scheitert daran, dass mir lediglich existierende Abschattungen von ebenfalls (hypothetisch) existierenden Objekten vorliegen, aber keine Existenz-Abschattungen, die auf ein Objekt Existenz verweisen. - Im Husserlschen System kann es offenbar kein Seinsph�nomen geben.

Trotzdem beharrt Sartre darauf, dass es dieses Ph�nomen gibt und begr�ndet das mit der Tatsache, dass wir davon sprechen k�nnen, also ein Vorverst�ndnis davon haben m�ssen. Wir sollten davon ausgehen - und es gibt einige Stellen im Werk, an denen explizit so argumentiert wird - dass Sartre hier Heidegger folgt und weniger an die Verwendung der Substantive "Sein" oder "Existenz" denkt, sondern eher an die Verwendung des Hilfsverbes "sein", also z. B. an "ist"-S�tze wie "Hans ist doof". Heidegger geht davon aus, dass die Verwendung solcher S�tze immer ein Vorverst�ndnis des Seins als Gegenstand impliziert (und wurde deswegen heftig kritisiert, weil die tats�chliche Funktionsvielfalt des Wortes "ist" unter den Tisch f�llt).

Mit seiner Anspielung auf den "Ekel" deutet Sartre an, dass man der Erscheinung des Seins vielleicht nicht auf �bliche Weise �ber die Sinnesorgane nahekommt, sondern durch eine Art Grundstimmung, die auftreten kann, wenn man mit ganz normalen Objekten seiner Umgebung konfrontiert ist. Dem Helden von Sartres gleichnamigen Roman wiederf�hrt das (Sartre hat die "existentielle Erfahrung", die er dort beschreibt, �brigens nicht selbst erlebt, wie aus seinen Kriegstageb�chern hervorgeht). - Er erl�utert das aber an dieser Stelle nicht weiter (eine ausf�hrliche Betrachtung des "Ekels" findet sich in Sartres Diskussion des K�rpers).

Kann das Sein mit diesem Seinsph�nomen identisch sein? Offenbar nicht, da das Seinsph�nomen selber Existenz hat, die wiederum nicht mit dem Seinsph�nomen identisch sein kann. Sartre gelangt zu der Schlussfolgerung, dass das Sein selbst kein Ph�nomen ist (auch wenn es neben ihm noch ein Seinsph�nomen gibt). Da alle Erkenntnis �ber Ph�nomene erfolgt, muss das Sein also �ber die Erkenntnis hinausgehen. - (Was nat�rlich die Frage an Sartre hervorruft, wie etwas, das nicht erkannt werden kann, Gegenstand einer eigenen Wissenschaft - der Ontologie - sein kann.)

Aber zun�chst besch�ftigt sich Sartre mit der M�glichkeit, dass es gar kein Sein gibt, sondern nur Ph�nomene. Er identifiziert diese Auffassung mit der ur-idealistischen Theorie Berkeleys, dessen Schlagwort "esse est percipi" - also "Sein ist Wahrgenommenwerden" war. Das Sein ist nach dieser Theorie nichts als die Erkenntnis des Seins. Das l�uft darauf hinaus, dass gar nichts existiert, was sich nat�rlich selbst ad absurdum f�hrt: Wenn alle Existenz in Wahrheit Erkenntnis ist, ist auch die Erkenntnis in Wahrheit nur Erkenntnis von Erkenntnis, jedes Ph�nomen nur Ph�nomen eines Ph�nomens. Es gibt keinen fixen Punkt mehr, an dem man das System aufh�ngen kann: Wenn alles Illusion ist, so auch, dass alles Illusion ist. - Sartre kommt zu der Schlussfolgerung, dass man nicht vermeiden kann, die Existenz f�r "transph�nomenal" zu halten, also f�r etwas, das jenseits des Erscheinens ist.

Wir wissen also jetzt, dass es ein transph�nomenales Sein geben muss, wissen aber noch nicht, wo wir das Sein finden. - Das Problem kann vielleicht so �bersetzt werden (bis jetzt ist "Sein" immer noch als "Existenz" interpretierbar): Irgendetwas muss existieren. Findet sich dieses Existierende auf der Seite des Subjekts oder ausserhalb davon, in der Sph�re der Objekte? - Sartre diskutiert zuerst die subjektive L�sung, den Idealismus. - Aber wurde nicht soeben die Absurdit�t des Idealismus bewiesen? - Doch der fatale Einwand, der sich gegen dessen radikale Version, die sich in "esse est percipi" ausspricht, erheben l��t, trifft nicht alle Varianten des Idealismus. Die Position muss nur etwas eingeschr�nkt werden: Alles ist Ph�nomen, mit der Ausnahme des wahrnehmenden Subjektes, das wirklich existiert.

Dass das Subjekt wirklich existiert, scheint eine starke St�tze im "ich denke, also bin ich" von Descartes zu haben. Descartes f�hrte in seinem ber�hmten Gedankenexperiment sich selbst vor, dass er an allem zweifeln kann, nicht aber an sich selbst. - Wir erinnern uns, dass Sartre in der "Transzendenz des Ego" das "ich" in "ich denke, also bin ich" als das empirische Ich (das Ego) desjenigen, der das Experiment durchf�hrt, enth�llt. Dieses Ich erscheint erst durch eine Art Kontamination, w�hrend ich reflektiere, und ist im unreflektierten Bewu�tsein nicht vorhanden. Descartes liefert also keine St�tze daf�r, dass wir im Subjekt die Existenz finden, wenn wir diese Existenz mit der Existenz des Ich gleichsetzen.

An dieser Stelle nimmt Sartre die Unterscheidung der zwei Bewu�tseinsebenen wieder auf. - W�hrend das Bewu�tsein auf der ersten Ebene (Bewu�tsein 1. Grades, pr�reflexives Cogito) intentional "nach draussen" gerichtet ist, ist es gleichzeitig Bewu�tsein von sich. Das, was das Bewu�tsein in der Aussenwelt anvisiert, ist ein vom Bewu�tsein unabh�ngiges Objekt. Diese Unabh�ngigkeit des Objektes vom Bewu�tsein (seine "Transzendenz") h�lt Sartre f�r eine zwingende Annahme, weil das Objekt, wie erw�hnt, die ideale unendliche Reihe der Abschattungen ist. Sartre konstatiert, dass das Bewu�tsein sich anderenfalls "in einem unendlichen Prozess" verlieren w�rde. Was meint er damit? - Dass eine Unendlichkeit im Bewu�tsein auch eine unendliche Zahl von Bewu�tseinsvorg�ngen erfordern w�rde, so dass z. B. eine Wahrnehmung nicht mehr in endlicher Zeit ablaufen k�nnte.

Das Bewu�tsein von sich auf der pr�reflexiven Ebene kann aber keine Erkenntnis sein. Anderenfalls m�sste auch diese Erkenntnis (da Erkenntnis ja bewu�te Erkenntnis ist) wieder erkannt werden, usw., so dass sich auch hier eine Unendlichkeit von Bewu�tseinsvollz�gen ergeben w�rde. Der Bezug des Bewu�tseins zu sich selbst ist, so Sartre, nicht kognitiv, sondern unmittelbar. Da Erkenntnis einen Gegenstand "setzt", ist das Bewu�tsein von sich "nicht setzend". - Dass Bewu�tsein trotzdem immer Bewu�tsein von sich selbst ist, ergibt sich f�r Sartre schlicht aus der Transluzidit�t des Bewu�tseins. Ein Empfindung (z. B. eine Empfindung von rot) ist Teil meines Bewu�tseins, weil sie mir eben bewu�t ist. Wenn sie mir nicht bewu�t ist, ist sie kein Teil meines Bewu�tseins und auch keine Empfindung - was darauf hinausl�uft, dass es kein unbewu�tes Bewu�tsein geben kann. - Wie man sich denken kann, wird sich zeigen, dass Sartre kein Anh�nger Sigmund Freuds ist.

 Die Existenz geht der Essenz voraus

Man beachte, dass Sartre diejenigen Entit�ten, die man normalerweise als Bewu�tseinsph�nomene bezeichnet (wie Empfindungen oder Absichten) nicht f�r Eigenschaften des Bewu�tseins h�lt, die quasi nachtr�glich zu ihm hinzukommen, ohne sein Wesen zu betreffen (wie es z. B. f�r das ein-K�rper-sein eines physikalischen K�rpers belanglos ist, ob er 2 Kilogramm schwer ist). Sie bilden seiner Auffassung nach vielmehr das Wesen des Bewu�tseins selbst.

Was ist das Wesen eines Dings? Sein Was-Sein, dem man �blicherweise sein Dasein (seine Existenz) entgegenstellt. Es geh�rt z. B. zum Wesen eines (physikalischen) K�rpers, dass er ausgedehnt ist, v�llig gleichg�ltig, ob es wirklich einen K�rper gibt. Es geh�rt zu seinem Wesen heisst, dass ein K�rper genau so definiert ist. Es geh�rt zum Wesen einer gr�nen Giraffe, einen langen Hals zu haben (es ergibt sich aus dem Begriff "Giraffe"), auch wenn es nirgendwo auf der Welt eine gr�ne Giraffe gibt. - In der Husserlschen Philosophie der Abschattungen liess sich das Wesen, wie wir gesehen haben, mit der Regel identifizieren, der die m�glichen Abschattungen eines Dings folgen m�ssen.

Nach Sartres Auffassung geh�ren also, wenn ich gerade Kopfschmerzen habe, diese Schmerzen zum Wesen meines Bewu�tseins. Das scheint nicht sehr plausibel zu sein. Ich kann doch offenbar von einem Bewu�tsein reden, ohne zu wissen, ob dieses Bewu�tsein gerade im Zustand des Schmerzes ist oder nicht. Es w�re denkbar, dass es zum Wesen des Bewu�tseins geh�rt, im Zustand des Schmerzes sein zu k�nnen, aber wie sollen diese Schmerzen gerade jetzt zu seinem Wesen geh�ren? Und folgt daraus nicht, dass jedes Individual-Bewu�tsein sein eigenes Wesen hat (dass sich noch zudem dauernd �ndert), so dass ein Allgemeinbegriff "Bewu�tsein" sinnlos ist?

Sartre dr�ckt sich so aus: "Das Was-sein (essentia) dieses Seienden [des Bewu�tseins] muss, sofern �berhaupt davon gesprochen werden kann, aus seinem Sein (existentia) begriffen werden." Womit er sagen will, dass das Bewu�tsein zuerst existiert, und dann erst sein Wesen erh�lt (genauer gesagt, selbst erzeugt). - "Zuerst" und "dann" verweisen hier nicht auf eine zeitliche, sondern eine logische Ordnung.

Wenn man Sartres Argumentation verstehen will, sollte man an die Intentionalit�t des Bewu�tseins denken. Bewu�tsein ist immer Bewu�tsein von etwas, d. h. hat immer einen Inhalt. Ein leeres Bewu�tsein kann es nicht geben, ist gar nicht denkbar. Gleichzeitig ist Bewu�tsein f�r Sartre aber auch v�llig spontan, d. h. was die Inhalte des Bewu�tseins sind, ist nirgendwo festgelegt. Es gibt also nicht zuerst ein leeres Bewu�tsein als definierbares Ding, das sich dann mit Inhalten f�llt (wie z. B. ein Fernsehbildschirm bereits vor den Bildern existiert, die erscheinen, sobald man das Ger�t erstmalig einschaltet), sondern das Bewu�tsein taucht mit seinem ersten Inhalt zusammen auf und hat vorher nicht existiert. Dieser Inhalt ist aber aufgrund der Spontaneit�t sozusagen beliebig und kann daher auch nicht zu einer Definition benutzt werden, die der Existenz vorausginge (wie es z. B. m�glich sein w�rde, wenn Bewu�tsein notwendig Bewu�tsein von Schmerzen w�re). - Insofern gibt es also tats�chlich nur Individualbewu�tseine!

Ein weiterer Aspekt von Sartres Schlagwort wird deutlich, wenn wir einen Vorausblick auf den vierten Teil des Werkes werfen. Dort �u�ert Sartre �ber die Freiheit, dass sie kein Wesen haben kann, weil sie "nicht konstituiert" ist. - Was bedeutet "Konstitution"? Der Begriff meint die Erzeugung von Objektivit�t durch das Bewu�tsein, indem z. B. aus gegenw�rtigen Abschattungen und den Abschattungen, mit denen ich noch rechne, das Objekt W�rfel entsteht. Und warum kann etwas, das nicht konstituiert wurde, kein Wesen haben? Denken wir an Husserls Wesensdefinition: Das Wesen eines Objekts ist die Regel seiner Abschattungen. Da uns das Bewu�tsein aber nicht als Abschattungen vorliegt, die auf ein Objekt verweisen, sondern unmittelbar, kann Husserls Definition hier nicht angewandt werden!

Nun ist Sartres Werk aber Bewu�tseinsphilosophie und handelt nicht nur von Sartres Bewu�tsein im Moment des Schreibens, sondern erhebt den Anspruch, Thesen zu formulieren, die f�r alle Bewu�tseine g�ltig sind. Es muss in ihm also einen allgemeinen Bewu�tseinsbegriff geben (zu dem beispielsweise die Intentionalit�t und die Spontaneit�t des Bewu�tseins geh�rt). - Gibt es also doch ein Wesen des Bewu�tseins, das seiner Existenz vorausgeht? Die Einschr�nkung des Begriffs "Wesen" auf Husserls Defintion ist offenbar zu eng.

Im Zusammenhang mit seiner Freiheitsphilosophie erh�lt das Schlagwort noch einen anderen, atheistischen Akzent, den Sartre in der Vorlesung "Ist der Existentialismus ein Humanismus?" ausspricht: W�hrend einem Werkzeug (dem ber�hmten Papiermesser), das von einem Sch�pfer angefertigt wurde, sein Wesen insofern vorausgeht, als es zuerst geplant und dann hergestellt wurde (als das Papiermesser erfunden wurde, existierte das Wassein eines solchen Messers bereits im Kopf des Erfinders, bevor er seine Idee umsetzte), ist der Mensch nicht Produkt eines Sch�pfers, der vorgegeben hat, wie er sich verhalten wird, sondern erschafft sich in seinen freien Handlungen selbst - so wie sich das Bewu�tsein in seinen spontanen Erzeugungen selbst erschafft.

Man k�nnte gegen Sartre der Ansicht sein, dass das Wesen des Bewu�tseins in den Gesetzen des Bewu�tseins besteht. Sartres Antwort ist, dass es Gesetze des Bewu�tseins nicht geben kann. Warum? Da wir uns solcher Gesetze nicht bewu�t sind, k�nnen Sie nicht im Bewu�tsein liegen, da das Bewu�tsein sonst aus einem unbewu�ten Teil (den Gesetzen) und einem bewu�ten Teil (das, was diesen Gesetzen folgt) bestehen m�sste. Und - wie gesagt - es kann im Bewu�tsein nichts Unbewu�tes (nichts Opakes) geben, weil Bewu�tsein eben bewu�t ist!

Jetzt k�nnte man argumentieren, dass Gesetze des Bewu�tseins ja nicht im Bewu�tsein liegen m�ssten, es w�re ja ausreichend, wenn das Bewu�tsein sich ihnen gem�� verh�lt. Doch das w�rde bedeuten, dass Bewu�tseinsinhalte verursacht w�ren. Da das Bewu�tsein sich aber einer solchen Verursachung nicht bewu�t ist, kann es sie gleichfalls nicht geben. Eine unbewu�te Verursachung w�rde wieder darauf hinauslaufen, dass es im Bewu�tsein etwas Unbewu�tes g�be, n�mlich das Verursachtsein. - Auf das Bewu�tsein kann nichts einwirken, wie Sartre sagt. (Diese Argumentation ist von gr��ter Wichtigkeit, da sie der Behauptung Sartres, dass der Mensch v�llig frei ist, zugrundeliegt.) - In seinen eigenen Worten:

"Und es w�re m��ig, angebliche Gesetze des Bewu�tseins vorzuschieben, [...]: ein Gesetz ist ein transzendentes Erkenntnisobjekt; es kann Bewu�tsein von Gesetz geben, aber nicht Gesetz des Bewu�tseins. Aus denselben Gr�nden ist es unm�glich, einem Bewu�tsein eine andere Motivation zuzuschreiben als es selbst. Sonst m��te man annehmen, da� das Bewu�tsein, insofern es eine Wirkung ist, sich nicht bewu�t (von) sich ist. Es m��te in irgendeiner Weise sein, ohne da� es Bewu�tsein, (zu sein), w�re."

 Die Spontaneit�t des Bewu�tseins

Die Spontaneit�t des Bewu�tseins ergibt sich, wie wir aus dem eben Gesagten entnehmen k�nnen, f�r Sartre notwendig aus seiner Transluzidit�t. Sie entspricht der v�lligen Unverursachtheit aller Bewu�tseinsvorg�nge und -erscheinungen und ist letztlich auch Sartres Begr�ndung f�r die totale Freiheit, die er den menschlichen Entscheidungen unterstellt. - Man muss hier �brigens ber�cksichtigen, dass zu Sartres Zeit nicht nur die heute gel�ufigere Vorstellung einer Verursachung von Bewu�tseinsvorg�ngen durch physikalische Vorg�nge verbreitet war, sondern auch die ganz andere Vorstellung, dass sich Bewu�tseinsvorg�nge einer Regel folgend gegenseitig verursachen. Die Assoziationspychologie ermittelte Gesetze, nach denen Bewu�tseinsvorg�nge einander folgen (so z. B. dass auf die Wahrnehmung eines bestimmten Dings h�ufig die Erinnerung an �hnliches folgt).

F�r die Kl�rung von Sartres Argumentation reicht es jedoch aus, sich auf die physikalische Verursachung zu beziehen. Heute ist fast jeder damit einverstanden, dass ein Schlag auf den Daumen elektro-chemische Ver�nderungen in den Nerven des Daumens hervorruft, die wiederum zu anderen (ebenfalls physikalischen) Ver�nderungen im Gehirn f�hren, die schlie�lich das Bewu�tseinsph�nomen Schmerz verursachen. Doch Sartre w�rde diese Erkl�rung f�r absurd halten: Der Schmerz w�re nach dieser Erkl�rung erzwungen und dieses Zwangs m�ssten wir uns bewu�t sein.

Aber ist der Schmerz denn nicht wirklich erzwungen? N�mlich mittelbar durch den Schlag auf den Daumen (unmittelbar durch den Zustand meiner Hirnneuronen), und ist mir das nicht bewu�t? - Hier liegt ein Missverst�ndnis vor. Der Zusammenhang zwischen dem Schmerz und dem �u�eren Ereignis wird von uns erlernt (abgesehen davon, dass ich Schmerzen im Finger auch spontan bekommen kann), das Bewu�tsein des Erzwungenseins des Schmerzes ist also nicht unmittelbar, sondern beruht auf Erkenntnis, ist ein Wissen. Doch hier geht es um das Bewu�tsein auf der pr�reflexiven Stufe, um das unmittelbare Bewu�tsein von Schmerz, das vom Schmerz selbst nicht getrennt gedacht werden kann, wie Sartre meint. Und dieses unmittelbare Bewu�tsein ist kein Bewu�tsein von Erzwungensein, sondern ist einfach nur Bewu�tsein von Schmerz.

Die scheinbare Verursachung durch den Schlag auf den Daumen findet also keine St�tze in der Intuition (des pr�reflexiven Cogito). Doch die Intuition ist f�r Sartre das Entscheidende: Bewu�tsein schlie�t seinem Begriff nach alles Unbewu�te aus, so dass alles, was zum Bewu�tsein geh�rt, mir auch bewu�t sein bzw. intuitiv klar sein muss. Ein Verursachtsein des Schmerzes ist mir nicht bewu�t, folglich gibt es keine Ursache des Schmerzes. (Es geh�rt zweifellos zu den unplausibelsten Konsequenzen von Sartres Ansatz, dass Schmerzen Resultat der Bewu�tseinsspontaneit�t sind.)

Sartre dr�ckt diese Tatsache dadurch aus, dass er sagt: Das Bewu�tsein existiert durch sich. Das ist nicht als Verursachtsein des Bewu�tseins durch sich selbst gemeint: Eine Verursachung setzt eine Trennung von Ursache und Wirkung voraus, aber mein Schmerzbewu�tsein ist nur eines und teilt sich nicht in ein Ursachebewu�tsein und ein Wirkungsbewu�tsein auf (abgesehen davon, dass man so wieder zum Unbewu�ten im Bewu�tsein gelangen w�rde). Sartre sagt auch: Das Bewu�tsein ist Ursache seiner eigenen Seinsweise. (Der Schmerz ist eine der Seinsweisen des Bewu�tseins, die Lust eine andere.) "Ursache seiner eigenen Seinsweise" soll hier lediglich die Unverursachtheit der Seinsweisen bedeuten, die zusammen das Bewu�tsein bilden.

Zur weiteren Abgrenzung leugnet Sartre, dass die Hervorbringung der Bewu�tseinsph�nomene eine Handlung des Bewu�tseins sei. W�re es so, m�sste uns z. B. der Schmerz als Handlung bewu�t sein, was nicht der Fall ist. - Handlungen sind zwar frei, weil sie auf der Bewu�tseinsspontaneit�t basieren, doch der Begriff der Handlung entsteht erst auf einer sp�teren Stufe.

Sartre wendet sich nun gegen den Vorwurf, dass eine Existenz durch sich absurd sei und konstatiert, dass es im Gegenteil absurd sei, dass es nicht nur Existenzen durch sich gibt (also dass es nicht nur Unverursachtes gibt).- Diese Behauptung ist mir nicht ganz klar. Vielleicht kann man sie wie folgt interpretieren: Eine Verursachung des Bewu�tseins z. B. durch das Gehirn w�re die Verursachung durch etwas Existierendes, das selbst wiederum von einem anderen Existierenden abgeleitet werden m�sste, usw. - Die Kette dieser Ableitungen f�hrt schlie�lich zu einem "ersten Beweger", also zu etwas Unverursachtem. Dass es Unverursachtes gibt, ist also notwendig, wenn es �berhaupt etwas geben soll. Dass es Verursachtes gibt, erscheint dagegen quasi als �berfl�ssige Tatsache (und "absurd" meint bei Sartre u. a. soviel wie "�berfl�ssig").

 Das Sein des Bewu�tseins

Das Bewu�tsein ist also unverursacht und existiert als solches absolut. Und da es Grundlage aller Erkenntnis ist, �berschreitet es diese. Es stellt sich nun die Frage, ob diese Seinsquelle alleine ausreicht, um auch die Existenz von etwas ausserhalb des Bewu�tseins zu begr�nden. Gelingt das nicht, ist man auf eine idealistische L�sung beschr�nkt. - Sartres Auffassung ist demgegen�ber, dass es Existenz ausserhalb des Bewu�tseins geben muss, die wie die Existenz des Bewu�tseins selbst �ber die Erkenntnis hinausreicht. Er begr�ndet das zun�chst negativ mit der Feststellung, dass die Existenz von Dingen sich nicht in ihrem Wahrgenommenwerden ersch�pfen kann. Zu diesem Zweck greift er r�tselhafterweise auf das Begriffspaar Aktivit�t / Passivit�t zur�ck:

W�re die Existenz eines Dings mit seinem Wahrgenommenwerden identisch, so w�re diese Existenz eine passive Existenz. Doch Passivit�t ist ein Begriff, der lediglich in Bezug auf bereits existierende Dinge sinnvoll ist. Der Begriff wird auf ein Ding angewandt, um auszudr�cken, dass es in einer bestimmten Beziehung zu einem anderen Ding steht (n�mlich Ver�nderungen erleidet, die von diesem anderen Ding bewirkt werden). Von der Passivit�t der Existenz eines Dings gegen�ber dem Bewu�tsein zu sprechen, kann also nur ein verungl�ckter Versuch sein, auszudr�cken, dass das Ding noch Teil des Bewu�tseins ist und gar keine eigene Existenz hat.

Sartre verweist ausserdem darauf, dass die Passivit�t von etwas gegen�ber dem Bewu�tsein nat�rlich auf Seiten des Bewu�tseins Aktivit�t impliziert. Ist das Bewu�tsein aber aktiv, so muss es gleichzeitig auch passiv sein. - Warum? Sartre nimmt an, dass das aus einem allgemeing�ltiges Prinzip folgt, n�mlich dem Prinzip von Aktion und Reaktion. - Letzteres wurde vom Physiker Newton aufgestellt und besagt, dass eine Kraftwirkung immer die Existenz einer gegenwirkenden Kraft impliziert. Wenn Ding A auf Ding B Kraft aus�bt, �bt Ding B auf Ding A eine entgegengesetzte Kraft aus. Wenn der Hammer auf den Amboss schl�gt, schl�gt auch der Amboss auf den Hammer.

Man k�nnte nun fragen, ob Sartre dazu berechtigt ist, ein Prinzip aus der Mechanik auf das Bewu�tsein anzuwenden, oder ob Sartre das Newtonsche Prinzip allgemeiner interpretiert. - Doch zum Gl�ck ist der Hauptpunkt der Argumentation nicht dieser Grund, sondern ein anderer, positiver: Die Existenz von Dingen ergibt sich schlicht aus dem Begriff des Bewu�tseins. Sartre nennt das den "ontologischen Beweis", vermutlich weil wie beim ontologischen Gottesbeweis aus dem Begriff von etwas die Existenz von etwas abgeleitet wird (auch wenn hier die beiden "Etwasse" nicht zusammenfallen).

Man erinnere sich daran, dass Sartre schon die Unverursachtheit der Bewu�tseinsph�nomene aus dem Begriff des Bewu�tseins abgeleitet hat (alles Unbewu�te im Bewu�tsein ist kontradiktorisch, so wie alles Runde in einem Quadrat). Hier ergibt sich nun die Existenz von etwas, das nicht Bewu�tsein ist, daraus, dass Bewu�tsein intentional, also Bewu�tsein von etwas ist. Folglich muss es ein solches Etwas, also eine "Aussenwelt", geben wenn es Bewu�tsein gibt (und die Existenz des Bewu�tseins haben wir ja gesichert). - Mit Sartres Worten: "Wenn es n�mlich Bewu�tsein von etwas gibt, muss dieses "etwas" urspr�nglich ein reales, d. h. dem Bewu�tsein nicht relatives Sein haben."

Sartre wendet sich gegen den Einwand, dass das Etwas sich ja auch als Abwesenheit im Bewu�tsein definieren k�nnte: Das Ding als die ideale Reihe der Abschattungen eines Objektes ist zwar nicht im Bewu�tsein, aber das Bewu�tsein verweist darauf nicht als auf etwas Reales, sondern nur als auf eine Leerstelle (durch eine "Leerintention"), so dass es kein Ding ausserhalb des Bewu�tseins geben muss. - Sartres Antwort lautet: Ein Nicht-Sein kann nicht die Grundlage eines Seins sein. Wenn man den Abwesenheits-Einwand akzeptiert, kann man nicht mehr zur Aussenwelt, zum Transzendenten, durchdringen und muss im Idealismus bleiben.

Aber Sartre will doch gerade beweisen, dass es ein Sein gibt! Wie kann er da ein Argument gegen sein Beweis dadurch bek�mpfen wollen, dass er darauf hinweist, dass die Richtigkeit des Arguments den Beweis unm�glich machen w�rde? - L�uft das nicht auf das Eingest�ndnis hinaus, dass der Einwand berechtigt und der Beweis falsch ist? - (Die Passage ist ein Beispiel f�r die F�lle, in denen ich nicht weiss, ob ich Sartre falsch verstanden habe, oder seine Argumentation eine grobe Schw�che aufweist.)

Sartre fasst seinen ontologischen Beweis in dem Satz zusammen, dass die Transzendenz konstitutive Struktur des Bewu�tseins sei. Und hier bringt er eine Einschr�nkung, die Probleme aufwirft: Man befinde sich mit dem ontologischen Beweis nicht auf der Ebene der Erkenntnis, sondern auf der des Seins (das die Erkenntnis ja �bersteigt). Woraus folgt, dass man aus dem ontologischen Beweis nicht ableiten kann, dass eine bestimmte Erkenntnis �ber die Existenz eines Objektes in der Aussenwelt richtig ist, sondern lediglich, dass es �berhaupt Existenz ausserhalb des Bewu�tseins gibt. Die Existenz des Bewu�tseins impliziert die Existenz von Nicht-Bewu�tsein, das ist aber nicht mit der Aussage identisch, dass aus einer bestimmten Intention eines W�rfels die Existenz dieses W�rfels folgt.

Doch ist es dann nicht auch m�glich, dass alle Wahrnehmungen falsch sind, d. h. das keine konkrete Intention auf etwas real Existierendes verweist? Und doch soll die Existenz von Intentionen die Existenz von Dingen �berhaupt sicherstellen? - Diese Schwierigkeit wird sich kl�ren (bzw. durch andere Schwierigkeiten ersetzt werden), wenn Sartre den Begriff des Seins-an-sich einf�hrt, was zum Ende seiner Einleitung in "Das Sein und das Nichts" geschieht.

 Das Sein-an-sich

W�hrend bis jetzt der Begriff "Sein" im Gebrauch Sartres sich relativ zwanglos als "Existenz" �bersetzen liess, sind wir jetzt an dem Punkt angekommen, wo sich diese Deutung nicht mehr halten l��t. Der ontologische Beweis hat f�r Sartre bewiesen, dass es Sein gibt, aber offensichtlich nicht, dass es irgendwelche Dinge gibt (was der Fall sein m�sste, wenn mit "Sein" einfach nur Existenz gemeint w�re). Die Kennzeichen dieses Seins, die Sartre in seiner Charakteristik des Seins-an-sich anf�hrt, sind keine Kennzeichen der Existenz (was immer solche Kennzeichen sein sollten).

Das Sein-an-sich ist ausserdem nicht das einzige Sein. Es gibt ausserdem das "Sein-f�r-sich". Letzteres ist das Sein des Bewu�tseins, und darf mit dem nicht-bewu�ten Sein-an-sich nicht verwechselt werden. W�hrend das Sein-an-sich ist, was es ist, ist das Sein-f�r-sich nicht, was es ist. - Das Sein-an-sich ist also, wie es sich geh�rt, mit sich selbst identisch, das Sein-f�r-sich nicht! - Soll das heissen, dass sich das Sein des Bewu�tseins nur mit einer Kontradiktion beschreiben l��t? Genau das will Sartre damit sagen. - Wir kommen bald darauf zur�ck.

Sartre stellt zun�chst fest, dass sich das Sein der existierenden Dinge dem Bewu�tsein nicht leibhaftig zeigt, sondern nur als Sinn des Seins. - Was kann er damit meinen? Der Begriff "Sinn" taucht bei Sartre noch in einem anderen Bereich auf, wo er klarer ist: Das Objekt in der Aussenwelt ist nicht in der Abschattung, die mir vorliegt (da es die unendliche ideale Reihe der Abschattungen darstellt), aber es ist der Sinn dieser Abschattung. Der Sinn der drei Seiten, die mir der W�rfel zeigt, ist also der W�rfel selbst. - In diesem Sinne bin ich (auf h�herer Ebene) zwar mit existierenden Gegenst�nden konfrontiert, deren Sein nehme ich jedoch nicht mit diesen Gegenst�nden wahr, sondern er ist der Sinn der Existenz dieser Gegenst�nde. Ein einzelner existierender Gegenstand entspricht also einer "Abschattung des Seins", dem ich mich �ber viele Gegenst�nde lediglich n�hern kann, das mir aber genausowenig ganz gegeben sein wird, wie das Objekt als Reihe der Abschattungen. (So jedenfalls meine Interpretation.)

Der Sinn des Seins wird von Sartre mit dem Seinsph�nomen gleichgesetzt. Wenn Sartre jetzt von "Sein-an-sich" redet, ist also das Seinsph�nomen gemeint und damit der Sinn der Existenz der realen Dinge (in der gerade gezeigten Bedeutung von "Sinn"). Dieses Sein ist offenbar nicht die Existenz, sondern eine Art Stoff der Existenz - soviel als erste Ann�herung.

 Merkmale des Seins-an-sich

Alles, was existiert - und das meint f�r Sartre, alles was mit S�tzen beschrieben werden kann, in denen "ist" vorkommt - hat teil am Sein-an-sich (das Bewu�tsein ist hier ausgenommen!). �ber dieses Sein kann ich - v�llig unabh�ngig von existierenden Dingen - sprechen.

Da die Zuschreibung von Eigenschaften selber auf das Sein verweist (denn ich sage "Die Rose ist rot" und behaupte damit das Sein einer Verkn�pfung von Ding und Eigenschaft), kann das Sein selbst keine Eigenschaften im �blichen Sinne haben. Unterschiede aller Art verweisen auf Eigenschaften, also hat es keinen Sinn, davon zu reden, dass das Sein sich von etwas unterscheidet oder etwas nicht ist. Sartre bezeichnet das Sein-an-sich deshalb als "volle Positivit�t". - Das einzige, was sich unter diesen Umst�nden wirklich �ber das Sein-an-sich sagen l��t, ist, dass es ist, was es ist - also, dass es mit sich identisch ist.

Interessanterweise diskutiert Sartre die Frage, ob das Sein erschaffen worden ist. Die naheliegendste Antwort scheint zu sein, dass der Gedanke einer Erschaffung von vorneherein sinnlos ist, da er darauf hinausl�uft, dass ich ein Nichtsein des Seins - die Nichtexistenz der Existenz - f�r m�glich halte und mich so endg�ltig ins logische Nirvana begebe. - Doch Sartre argumentiert ganz anders: Das Sein kann nicht erschaffen worden sein, da eine Sch�pfung aus dem Nichts unm�glich ist. Warum? Wenn das Geschaffene wirklich unabh�ngig vom Sch�pfer existiert, ist unerkl�rbar, wie es sich nach der Sch�pfung im Sein erh�lt, wenn es das nicht durch eine Kraft tut, die vom Sch�pfer unabh�ngig ist - der Sch�pfer ist also nur scheinbar der Sch�pfer (oder der Sch�pfer nur f�r einen unendlich kleinen Moment). Wenn das Geschaffene aber in der totalen Abh�ngigkeit vom Sch�pfer bleibt, kann man �berhaupt nicht von einer Sch�pfung sprechen, das scheinbar Erschaffene ist in Wahrheit lediglich ein Gedanke des Sch�pfers, der dessen Bewu�tsein nicht verl��t.

Jedenfalls zeigt Sartre hier, dass er den Gedanken einer Erschaffung des Seins nicht f�r sinnlos h�lt. - Man sieht hier deutlich den �bergang zu einer stofflichen Auffassung des Seins, die von der des Seins als blosser Existenz abger�ckt ist: Das Sein-an-sich wird zu einer Art Grundstoff des Existierenden, der als solcher erschaffen worden sein k�nnte, wie ein existierendes Ding selbst (denn eine g�ttliche Sch�pfung ist die Erschaffung von Dingen!).

Das einzige Merkmal des Seins-an-sich ist also, dass es mit sich identisch ist. - Doch kann der Begriff "Merkmal" hier �berhaupt gebraucht werden? Schlie�lich ist Identit�t mit sich selbst doch offenbar nur eine Art logische Hohlform, in die alles f�llt, von dem ich �berhaupt sprechen kann! - Sartre ist anderer Meinung. Dass das Sein-an-sich mit sich identisch ist (ist, was es ist) ist keine analytische, also (nur) logisch wahre Aussage, sondern eine synthetische!

"Synthetisch" war der Ausdruck Kants f�r Urteile, die mehr aussprechen, als in den im Urteil verwendeten Begriffen bereits enthalten ist, und die daher erkenntniserweiternd sind. "Hans ist ein Junggeselle" ist ein synthetischer Satz, weil der Ausdruck "Hans" das Junggeselle-sein nicht bereits enth�lt, wohingegen der Satz "Junggesellen sind unverheiratet" analytisch ist, weil er lediglich ausspricht, was im Begriff "Junggeselle" bereits enthalten ist. Wir k�nnen aus dem Satz also nichts lernen (es sei denn, er wird als Erkl�rung des Wortes "Junggeselle" verwendet), und genau das scheint doch auf den Satz "Das Sein ist, was es ist" auch zuzutreffen!

Wenn der Satz "Das Sein-an-sich ist mit sich selbst identisch" nicht analytisch ist, folgt daraus, dass es - entgegen dem Vorurteil - nicht selbstverst�ndlich sein kann, mit sich selbst identisch zu sein, da analytische S�tze das Selbstverst�ndliche aussprechen. Und genau das ist Sartres These. Seiner Ansicht nach ist n�mlich das Bewu�tsein - als der zweite Bereich des Seins neben dem Sein-an-sich - nicht mit sich identisch! - Was Sartre damit meint, wird er sp�ter, wenn es um das Sein-f�r-sich geht, nachreichen. (Ich nehme verst�ndnisvoll an, dass sp�testens an diesem Punkt viele Leser die Lekt�re von "Das Sein und das Nichts" abgebrochen haben. Und in der Tat verliert Sartres Ontologie jede Relevanz, wenn man Kontradiktionen als Indiz f�r die Falschheit einer L�sung und nicht als die L�sung betrachtet. - Aber Sartres Philosophie enth�lt mehr als nur seine zentrale Ontologie.)

An dieser Stelle legt er zun�chst die Konsequenzen dar, die sich aus der Synthetizit�t des Identit�ts-Satzes ergeben: Wenn es m�glich ist, nicht mit sich identisch zu sein, dr�ckt die Selbstidentit�t eine Beziehung zu sich selbst aus, die mehr ist, als eine nur logische Beziehung. Um das zu kl�ren, m�ssen wir uns zun�chst dem entgegengesetzten Fall zuwenden. Etwas, das nicht ist, was es ist, steht offenbar in einer Beziehung zu sich selbst, die problematisch ist. Zwischen dem Etwas und sich selbst besteht eine Art Abstand. F�r den Fall der Identit�t mit sich selbst kann das nur heissen, dass dieser Abstand gleichfalls bestehen muss (sonst w�re die Feststellung der Identit�t nicht synthetisch), aber unendlich klein geworden ist! -

Versuchen wir eine etwas weniger metaphorische Ann�herung: Wenn ein analytischer Satz lediglich ausspricht, was in den Begriffen schon enthalten ist, spricht der synthetische Satz mehr aus. Die Identit�t eines Gegenstandes mit sich selbst ist eine Relation zwischen dem Gegenstand und sich selbst. Analytisch ist die Relation, wenn es tats�chlich keinen Unterschied zwischen dem Gegenstand und sich selbst gibt. In diesem Falle ist die Identit�t selbstverst�ndlich. Wenn ich den Satz f�r nicht-selbstverst�ndlich halte, muss ich also einen Unterschied annehmen! - Aber l�uft das nicht darauf hinaus, dass eben keine Identit�t besteht? - Ja, in gewisser Weise, w�rde Sartre darauf antworten. Der Gegenstand ist von sich selbst unterschieden, der Unterschied ist aber unendlich klein (vergleichbar dem Unterschied zwischen 0,9Periode und 1)! Die Identit�t mit sich selbst dr�ckt eine unendlich kleine Differenz zwischen dem Gegenstand und sich selbst aus, w�hrend die Nicht-Identit�t ausdr�ckt, dass diese Differenz mehr als nur unendlich klein ist. Die Identit�t mit sich selbst wird also zum Grenzfall der Nicht-Identit�t mit sich selbst: "Das An-sich hat kein Geheimnis: es ist massiv. In gewissem Sinn kann man es als eine Synthese bezeichnen. Aber es ist die unaufl�slichste von allen: die Synthese von sich mit sich."

Sartre f�gt noch einige Sekund�rmerkmale des Seins-an-sich hinzu, die aus dem eigentlichen Merkmal, der Selbstidentit�t, folgen sollen: Das Sein-an-sich kann nicht zu etwas anderem werden, weil das Sein auch das Sein des Werdens ist (wenn etwas wird, kann ich das leicht verkrampft mit einem "ist"-Satz aussagen: Werden ist). - Dann sagt Sartre etwas Merkw�rdiges �ber das Sein: "Es ist, und wenn es sich aufl�st, kann man nicht einmal sagen, es sei nicht mehr." Er f�gt hinzu: "Die volle Seinspositivit�t hat sich �ber seiner Aufl�sung wiederhergestellt. Es war, und jetzt sind andere Seiende: das ist alles."

Wenn wir hier das Seins als eine Art Grundstoff deuten, k�nnten wir versucht sein, den Satz so zu interpretieren: Die Menge des Seins bleibt gleich, auch wenn einzelne Dinge verschwinden und ihr Sein verlieren, denn deren Sein ging auf andere (neu existierende) Dinge �ber. - Das Ganze wird etwas klarer, wenn man auf eine Auffassung Sartres vorgreift, die in der Einf�hrung noch nicht erl�utert wird, in dieser Passage aber vorausgesetzt wird: Nur f�r ein Bewu�tsein kann etwas verschwinden, da das Sein selbst ja ohne Unterschiede ist und sich nicht in Dinge aufgliedert. - Dinge gibt es nach dieser Auffassung erst f�r das Bewu�tsein.

Und schlie�lich betont Sartre die Kontingenz des Seins-an-sich. Kontingenz steht im Gegensatz zur Notwendigkeit, was kontingent ist, k�nnte auch nicht existieren (das Sein als Stoff!). Sartre st�tzt diese Behauptung mit der Feststellung, dass nur Aussagenverkn�pfungen notwendig sein k�nnen. Der Satz "Wenn alle Griechen sterblich sind und Sokrates ein Grieche ist, ist Sokrates sterblich" ist notwendig wahr, aber dass es Sokrates gibt, ist eine kontingente Tatsache. "Das Sein ist" muss also gleichfalls eine kontingente Tatsache ausdr�cken: "Ungeschaffen, ohne Seinsgrund, ohne irgendeinen Bezug zu einem anderen Sein, ist das An-sich-sein zu viel f�r alle Ewigkeit."

 Die Problematik der zwei Seinsbereiche

In der Einf�hrung hat uns Sartre dar�ber belehrt, dass es zweierlei Sein gibt, das Sein des Bewu�tseins und das Sein der Dinge, das Sein-an-sich. Es stellen sich jetzt zwei Fragen, die Sartre im Rest des Buches zu beantworten verspricht: Was rechtfertigt es, beide Bereiche unter einen Begriff - den des Seins - zu stellen? Wie ist eine Verbindung zwischen beiden Bereichen m�glich?

Die zweite Frage l�sst zun�chst einmal nur die Antwort zu, dass gar keine Verbindung m�glich ist. Zum einen macht die Spontaneit�t des Bewu�tseins es unm�glich, dass etwas auf sie einwirken kann. Das Sein der Dinge kann also keine Bewu�tseinsph�nome verursachen, so dass zumindest eine kausale Verbindung in dieser Richtung ausgeschlossen werden kann. Andererseits kann auch das Bewu�tsein nicht auf das Sein-an-sich einwirken, da Bewu�tseinsph�nomene nichts Unbewu�tes enthalten, also auch keine Kraft, die nach aussen wirkt. Das Bewu�tsein bildet einen abgeschlossenen Bereich, auch in dieser Richtung ist also keine Kausalverbindung m�glich! - Nat�rlich will Sartre an diesem aussichtslosen Punkt, von dem aus ja Erkenntnis und Handeln gleichermassen unm�glich sind, nicht stehenbleiben.


 Das Problem des Nichts


 Der Schritt zum Konkreten

Sartre macht den Schuldigen f�r die aussichtslose Lage aus, in die er uns hineinman�vriert hat: Es handelt sich um die Abstraktion. Die beiden Seinsbereiche, deren Verbindung gesucht wird, wurden - so Sartre - durch Abstraktion gewonnen. Abstrahiert wurde von der konkreten Situation des Menschen als wahrnehmend, erkennend usw. - Die Verbindung zwischen Sein-an-sich und Bewu�tsein, die uns im konkreten Leben nicht weiter fraglich zu sein scheint, muss also w�hrend der Abstraktion verlorengegangen sein. Wiederfinden werden wir sie folglich, wenn wir uns direkt ans das Konkrete halten. Hier tun sich f�r mich einige Probleme auf, was Gegenstand der folgenden zwei Abs�tze sein soll:

Zun�chst einmal kann man fragen, warum man die Verbindung der Seinsbereiche nicht ebenfalls auf der abstrakten Ebene beschreiben kann. Ausserdem ist es ja nicht so, dass die abstrahierende Untersuchung Sartre nur zwei getrennte Bereiche, aber nicht deren Verbindung geliefert hat, sondern sie hat ausserdem zur Feststellung der Unm�glichkeit einer solchen Verbindung gef�hrt. Zu erwarten, dass sich eine solche Verbindung bei der Untersuchung des konkreten menschlichen Verhaltens finden l��t, scheint also zu implizieren, dass die Ergebnisse der abstrakten Untersuchung falsch waren. Und davon abgesehen muss die Beschreibung konkreten Verhaltens doch selbst zu Abstraktionen f�hren, wenn sie philosophisch fruchtbar sein soll?

Ein zweites Problem scheint sich mir aus seiner Definition des Abstrakten zu ergeben: Abstrakt ist, was nicht alleine existieren kann (die rote Rose kann allein existieren, das Rot der Rose aber nicht). Woraus folgt - wie Sartre ausdr�cklich sagt - dass auch das Sein-an-sich und das Bewu�tsein nicht allein existieren k�nnen! Doch wiederspricht das nicht wenigstens all dem, was gerade �ber das Sein-an-sich ermittelt wurde?

 Das Frageverhalten als Ausgangspunkt im Konkreten

Doch wenden wir uns dem weiteren Verlauf von Sartres Argumentation zu. Als konkreten Ausgangspunkt w�hlt er ein bestimmtes menschliches Verhalten, n�mlich das Frageverhalten (obwohl er konstatiert, dass ein beliebiges Verhalten Ausgangspunkt werden k�nnte, da jedes menschliche Verhalten das Verh�ltnis von Mensch und Welt exemplifiziert).

Ich m�chte hier darauf hinweisen, dass Sartre kein Sprachphilosoph ist. Menschliches Verhalten umfasst bei ihm immer sprachliches und anderes Verhalten, ohne dass zwischen beiden deutlich getrennt wird. Frageverhalten im Sinne Sartres beinhaltet sowohl das �u�ern einer Frage gegen�ber einem anderen Menschen als auch z. B. die nonverbale Untersuchung eines Automotors im Hinblick auf einen m�glichen Defekt (ich "befrage" den Motor, wenn ich ihn untersuche).

Der wesentliche Aspekt, auf den Sartre bei der Untersuchung des Frageverhaltens st��t, ist die Negation. Jede Frage l��t eine negative Antwort zu ("Nein!" oder "Nichts!"), und bei der Untersuchung des Motors kann ich feststellen, dass es keinen Defekt gibt. Das Frageverhalten impliziert also negative Sachverhalte: Das Nichtwissen im Fragenden, die (m�gliche) negative Antwort und, wenn die Antwort eine Feststellung ist, die Negation, die sich aus der Bestimmtheit ergibt ("es ist so und nicht anders"). - Es stellt sich nun f�r Sartre die Frage, wie sich solche Sachverhalte erkl�ren lassen.

Nun scheint auf den ersten Blick nichts selbstverst�ndlicher zu sein, als dass es negative Sachverhalte gibt. Was macht sie f�r Sartre zum Problem? Die Antwort liegt in den Merkmalen des Seins-an-sich. Das Sein-an-sich ist, wie beschrieben wurde, lediglich mit sich selbst identisch, es beinhaltet keine Unterschiede und keine Negativit�t. Aus der Natur des Seins-an-sich k�nnen die negativen Sachverhalte also nicht erkl�rt werden! - Sind die negativen Sachverhalte also nur subjektiv? Sartres Antwort darauf ist nicht ganz leicht zu verstehen: Einerseits ortet Sartre die Quelle der Negativit�t tats�chlich im Subjekt, im Bewu�tsein, andererseits besteht er aber auch auf der Objektivit�t negativer Sachverhalte.

 Erkl�rung der Negation aus den negativen Aussagen

Sartre besch�ftigt sich zun�chst mit einer Auffasung, die Negationen auf die Sprache zur�ckf�hrt und so eine scheinbare L�sung des Problems liefert. Nach dieser Auffassung kann es zwar negative Aussagen (Urteile) aber keine negativen Sachverhalte geben. Wer ein negatives Urteil formuliert, dr�ckt in Wahrheit einen positiven Sachverhalt aus: Wer sagt, dass die Erde nicht nass ist, sagt in Wahrheit, dass sie etwas anderes als nass ist, wobei dieses andere lediglich unbestimmt ist. Ursprung der Negation ist also einfach das Negationszeichen in der Aussage, dem in der Wirklichkeit nichts entspricht. - Diese Theorie wurde von Bergson vertreten.

Sartre k�nnte diese Theorie eigentlich durch Hinweis auf die Negation durch Bestimmtheit sofort erledigen (wer sagt, dass die Erde etwas anderes als nass ist, hat dieses andere implizit als "alles, aber nicht nass" definiert, die Negation wird durch die Formulierung also lediglich verschleiert). Jede positive Aussage impliziert negative Aussagen, wenn die Rose rot ist, impliziert das, dass sie nicht blau ist, usw., weswegen es nicht m�glich ist, negative Urteile in rein positive Urteile umzuformulieren. Wir werden auf dieses Thema noch eingehen. - Doch Sartre zieht ein anderes Argument vor: Das Frageverhalten selbst muss nicht mit Urteilen verbunden sein, die Untersuchung eines Motors im Hinblick auf einen Defekt beinhaltet z. B. keine Aussage und setzt trotzdem Negativit�t voraus. Die Theorie Bergsons k�nnte, wenn sie wahr w�re, lediglich F�lle erkl�ren, in denen wirklich Urteile gef�llt werden. Es gibt aber - so Sartre - abgesehen vom Frageverhalten noch viele andere F�lle menschlichen Verhaltens, die Negation ohne Urteil implizieren:

Die Erfassung von Dingen als zerst�rbar ist ein solches Verhalten. In diesem Zusammenhang behauptet Sartre, dass es in der unbeobachteten Natur gar keine Zerst�rung gibt: Schlie�lich gibt es in der Natur nur Sein-an-sich, so dass es z. B. nach einem Erdbeben nicht anderes geben kann als davor. (Diese Behauptung Sartres l�uft �brigens darauf hinaus, dass es in der Natur auch keine Pflanzen oder Steine gibt, solange ein Mensch sie nicht sieht, da ja jede Aussage �ber die Natur, die �ber "das Sein-an-sich ist, was es ist", hinausgeht, Bestimmtheit beinhaltet, und somit Negation.) - Trotz dieser Gebundenheit an den Beobachter besteht Sartre darauf, dass Zerst�rung ein objektives Faktum sein kann.

Sartre bringt ein weiteres Argument gegen die Auffassung Bergsons: Wenn die Negation nur sprachlich ist, kann es keine Intuition von Negativit�t geben. Eine solche Intuition l�sst sich aber - so Sartre - nachweisen:

Wenn ich mich z. B. mit jemandem in einem Caf� verabredet habe, das Caf� betrete und den Betreffenden nicht finde, f�lle ich kein Urteil, sondern nehme die Nicht-Anwesenheit des Betreffenden unmittelbar wahr, als die Nichtvorhandenheit eines Vordergrundes (der Gesuchte), der sich als fehlend herausstellt, nachdem ich zuvor das gesamte Caf� mit allen Anwesenden zum Hintergrund degradiert habe. Erst nach dieser unmittelbaren Wahrnehmung des negativen Sachverhaltes formuliere ich das negative Urteil ("er ist nicht da"). Das Urteil ist also nicht die Quelle der Negativit�t, sondern basiert seinerseits auf dem negativen Sachverhalt.

Doch wer die Objektivit�t der negativen Sachverhalte leugnet, muss sich daf�r nicht auf die Sprache berufen. Man kann auch - wie es Kant tut - die Negativit�t als eine Kategorie des Geistes auffassen, die als Form einen Stoff strukturiert und demnach ihre Quelle nicht im Stoff selbst haben kann. Die unmittelbare Intuition im Caf�, die dem Urteil vorangeht, l��t sich dann so erkl�ren, dass die Kategorie bereits im Prozess der Wahrnehmung zum Einsatz gekommen ist. Die Intuition kann in diesem Falle nicht als St�tze f�r die Objektivit�t der negativen Sachverhalte dienen.

Sartre argumentiert wie folgt dagegen: Eine Kategorie ist eine existierende Form, die �ber einen ebenfalls existierenden Stoff gest�lpt wird. An dem Prozess der Kategorisierung sind also nur existierende Gegenst�nde beteiligt, so dass nicht plausibel ist, wie man dadurch zur Nicht-Existenz gelangen kann. - K�nnte man darauf nicht erwidern, dass der Anh�nger der Kategorientheorie objektive Nicht-Existenz ja gerade leugnet, so dass er f�r seine Zwecke mit existierenden Gegenst�nden v�llig auskommt?

 Das Nichts

Ich habe Sartres Begriff "das Nichts" bis jetzt unterschlagen, und lediglich von "negativen Sachverhalten" gesprochen. Doch in Wahrheit hatte Sartre nicht nach negativen Sachverhalten gefragt, sondern nach der Quelle des Nichts: "Steht die Negation als Struktur des Urteilssatzes am Ursprung des Nichts - oder ist im Gegenteil das Nichts als Struktur des Realen Ursprung und Grundlage der Negation?"

Es handelt sich bei dem Begriff offenbar wieder um eine problematische Vergegenst�ndlichung. Man k�nnte in diesem Sinne annehmen, dass "das Nichts" einfach der Anti-Gegenstand zu "das Sein" ist, also sozusagen die personifizierte Nicht-Existenz im Unterschied zur personifizierten Existenz. Vorausgesetzt, dass es objektive Negativit�t gibt, k�nnte man dann folgern - wenn man an den Stoff-Charakter denkt, den das Sein f�r Sartre in einer Bedeutung hat -, dass Sartre die Realit�t aus der Mischung zweier Grundstoffe, des Seins und des Nichts erkl�ren will. - Es wird sich jedoch gl�cklicherweise zeigen, dass Sartre die Vergegenst�ndlichung der Negation nicht bis zu diesem Punkt treibt. - In der Folge wird sich Sartre mit dem auseinandersetzen, was Hegel und Heidegger �ber das Nichts gesagt haben.

 Jede Negation ist Bestimmung

Spinoza hatte festgestellt, dass jede Bestimmung Negation ist. Es ist naheliegend, das sprachlich logisch zu interpretieren: Jede positive Aussage erlaubt die Umformung in eine negative. Das ist unproblematisch, solange man eine Aussage, die eine doppelte Verneinung enth�lt, als ordentliche Aussage betrachtet. "Die Rose ist rot" kann dann in "Die Rose ist nicht nicht rot" umformuliert werden. Aber handelt es sich dabei nicht um einen Trick, d. h. ist die Aussage "Die Rose ist nicht nicht rot" nicht einfach mit dem positiven Satz "Die Rose ist rot" identisch und die doppelte Negation eine �berfl�ssige Zutat? - Wer die Negation der Negation in diesem Sinne f�r nicht koscher h�lt, kann eine andere Umformulierung versuchen: "Die Rose ist rot" wird dann zu "Die Rose ist nicht blau und nicht gr�n und nicht schwarz und nicht weiss usw." - Offenbar sto�en wir hier auf das Problem, dass eine solche Umformulierung nicht nur ziemlich lang wird, sondern es auch schwierig ist, den genauen Bedeutungsgehalt von "ist rot" durch eine solche Verkettung wiederzugeben (wieviele und welche Farben m�ssten denn negiert werden?).

Doch solchen Schwierigkeiten kann man aus dem Wege gehen, indem man Spinozas Satz abschw�cht: Jede positive Aussage impliziert mindestens eine negative Aussage. Wer behauptet, dass die Rose rot ist, behauptet damit gleichzeitig, dass sie nicht blau ist. In dieser Form scheint Spinozas Satz unangreifbar.

Doch zur�ck zu Sartre. - Sartre setzt sich mit Hegel auseinander, der seiner Ansicht nach Sein und Nichts f�lschlicherweise auf dieselbe Ebene stellt. Er setzt Hegel die Umkehrung von Spinozas Satz entgegen: Jede Negation ist Bestimmung. Gem�� dem eben Gesagten m�sste das heissen, dass jede negative Aussage in eine positive umformuliert werden kann. Hier sto�en wir wieder auf das eben erw�hnte Problem: Welche positive Aussage entspricht der Aussage "Die Rose ist nicht rot"? ("Die Rose ist blau oder gr�n oder weiss usw.") Oder, wenn wir auch hier eine abgeschw�chte Version verwenden: Welche positive Aussage wird von "die Rose ist nicht rot" impliziert?

Hier kann man zum Gl�ck innehalten, denn Sartre meint seine Umkehrung des Spinoza-Satzes in einem anderen Sinne. Sie bedeutet f�r Sartre nur, dass sich das "nicht" in einem Negationssatz auf irgendetwas Bestimmtes beziehen muss und nicht allein stehen kann. Weil das so ist, so Sartre, k�nnen Sein und Nichts nicht auf derselben Ebene stehen. Das Nichts ist das Nichts von etwas, es ist relativ zu einem Sein und kann nichts Absolutes sein. - Was meint er damit? Wenn ein Junge seiner Freundin die Briefmarkensammlung zeigt und "Aber bitte fass nichts an!" sagt, so bezieht sich das "nichts" auf die Briefmarkensammlung, aus der keine Marke ber�hrt werden soll. Und ein Metaphysiker, der behauptet, dass die Welt aus dem Nichts entstand, kann dieses Nichts nur bezogen auf die Welt meinen, von der er spricht und nicht als absolutes Nichts.

K�nnen wir daraus schlie�en, dass Sartre den Satz "Vor der Welt gab es das Nichts" einfach im Sinne von "Vor der Welt gab es keine Welt" interpretiert und so die Vergegenst�ndlichung des Nichts v�llig ablehnt? - Leider verh�lt es sich nicht so. Sartres fragt weiterhin nach dem Nichts als Quelle der Negationen und das ist nicht metaphorisch gemeint.

 Das Nichts bei Heidegger

Sartre unterstellt Heidegger, dass dieser das Nichts vor der Welt im absoluten Sinne interpretiert, als weltjenseitigen Bereich in dem die Welt "auftaucht" und von dem sie "umschlossen" bleibt. Sartre kritisiert an diesem Konzept vor allem, dass es die Ableitung der Negation aus dem Nichts unm�glich macht. Jede Negation m�sste in irgendeiner Weise auf dieses weltjenseitige Nichts referieren. Das - so Sartre - k�nnte man noch verstehen, wenn es um Aussagen wie "Es gibt keine Zentauren" geht. Das weltjenseitige Nichts w�re dann der Bereich, in dem sich die nicht vorhandenen Zentauren aufhalten und die Aussage w�rde sich auf diesen Bereich beziehen. Doch Sartre weist auf andere Aussagen hin, f�r die sich ein solcher Bezug nicht herstellen l��t, z. B. die Aussage, dass zwischen zwei Punkten A und B ein bestimmter Abstand besteht. (Diese Aussage impliziert, dass sich die beiden Punkte nicht auf der Strecke, die den Abstand definiert, befinden.) - Sartre gelangt zu der Schlussfolgerung, dass die Quelle der Negation sich nicht ausserhalb der Realit�t befinden kann, sondern in ihr zu finden sein muss.

Ich verzichte darauf, zu fragen, ob es nicht andere gute Gr�nde gegen den Versuch gibt, das Nichts f�r den Ort der nicht-existierenden Dinge zu halten oder ob, wenn diese Auffassung wahr w�re, das Nichts nicht auch der Ort der nicht-existierenden Sachverhalte sein m�sste (so dass schlie�lich doch jede Aussage, die Negationen impliziert, auf das weltjenseitige Nichts bezogen werden k�nnte). - Doch ich m�chte folgendes anmerken:

Spinozas Satz (dem Sartre sich in seiner urspr�nglichen Form implizit anschlie�t, wenn er in seiner Heidegger-Kritik darauf hinweist, dass auch die v�llig positiven Realit�ten die Negation "als Bedingung der Deutlichkeit ihrer Konturen" enthalten) behauptet keineswegs, dass es objektives Nichts gibt. Er betrifft in Wahrheit lediglich das logische Grundger�st der Sprache. Und dieses Ger�st verlangt, dass jede sinnvolle positive Aussage andere Aussagen impliziert, die Negationen enthalten: Wer behauptet, dass etwas der Fall ist, behauptet damit, dass etwas anderes nicht der Fall ist. Aussagen, auf die Spinozas Satz nicht zutrifft, sind nicht deshalb unm�glich, weil es allerorts objektives Nichts gibt, sondern weil sie gar keine Aussagen sind. "Die Rose ist rot, aber damit meine ich nicht, dass sie nicht blau ist" ist nicht falsch, weil die Realit�t von Nichts durchzogen ist (und w�re wahr, wenn es anders w�re), sondern ist schlicht sinnlos.

Ich will damit nicht sagen, dass die Negation eine Art Form ist, die von der Sprachlogik �ber eine negationslose Realit�t gest�lpt wird, sondern dass ich jemanden, der einen Satz wie "Die Rose ist rot, aber damit meine ich nicht, dass sie nicht blau ist" nicht verstehen w�rde. Es ist unm�glich, die Realit�t negativer Sachverhalte zu bestreiten - insofern hat Sartre recht - aber nur darum, weil kein Mensch auf der Welt eine Aussage machen kann, wenn er nicht einen negativen Sachverhalt mitbehauptet. "Es gibt keine negativen Sachverhalte" l�uft auf "Aussagen sind unm�glich" hinaus (und das kollidiert mit dem Umstand, dass ich mich in einer philosophischen Debatte befinde und daher Aussagen formuliere).

 Der Ursprung des Nichts

Wo befindet sich nun das Nichts, dessen Objektivit�t Sartre f�r sichergestellt h�lt, und das Grundlage f�r negative Aussagen ist? Es befindet sich - wie in der Heideggerkritik herausgestellt - nicht ausserhalb des Seins. Es kann sich aber auch nicht im Sein-an-sich befinden, da dieses frei von Negativit�t ist (man beachte �brigens, dass Sartres Charakterisierung des Seins-an-sich dem Satz Spinozas widerspricht). - Erinnern wir uns daran, dass Sartre neben dem Sein-an-sich noch eine andere Seinsgattung kennt, das Sein des Bewu�tseins und dass dieses Sein, im Unterschied zum Sein-an-sich, nicht mit sich identisch ist (was bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht richtig erkl�rt wurde).

(Bei dieser Gelegenheit m�chte ich darauf hinweisen, dass der Gegensatz bei Sartre nie als "Identit�t mit sich selbst / Nicht-Identit�t mit sich selbst" ausgedr�ckt wird, sondern immer als "ein Sein, das ist, was es ist / ein Sein, das nicht ist, was es ist (ist, was es nicht ist)".)

Und Nicht-Identit�t mit sich selbst, was kann das anderes heissen, als dass dieses Sein Nichts enth�lt? Sartre dr�ckt das so aus, dass ein Sein, das nicht mit sich identisch ist, das Nichts als "ontologisches Merkmal" besitzt. - Das Nichts kommt also durch das Bewu�tsein zur Welt. Aber l�uft das nicht auf die von Sartre zur�ckgewiesene Theorie hinaus, nach der das Bewu�tsein die Kategorie der Negation �ber das Sein-an-sich st�lpt, also darauf, dass es doch kein objektives Nichts gibt (ausser im Bewu�tsein selbst)?

Dass die Rose nicht rot ist, ist offenbar kein Bewu�tseinsfaktum. Wenn das Nichts, das am Ursprung der negativen Tatsache steht, aber aus dem Bewu�tsein stammt und nicht aus dem bewu�tseinsunabh�ngigen Sein, wie k�nnen wir die Konsequenz vermeiden, dass es eben "eigentlich" keine negativen Tatsachen gibt? - Sartres Antwort auf diesen Einwand besteht anscheinend in dem Hinweis, dass das Nichts im Bewu�tsein keine Illusion ist - das Nichts ist sein ontologisches Merkmal. Und wenn die Quelle der Negation objektiv ist, ist es auch das transzendente negative Faktum, das sich aus ihr speist (w�hrend bei der Kategorie ja seiner Argumentation nach nur eine positive Form auf einen positiven Stoff gest�lpt w�rde, was nat�rlich im Sinne Sartres nicht f�r eine Objektivit�t der negativen Tatsache sorgen k�nnte, da es in dem ganzen Vorgang ja nirgends ein wirkliches Nichts gibt).

Doch wie stellt sich diese "Einspeisung des Nichts" in einem konkreten Fall dar? Sartre beschreibt die Situation, dass ich in das Zimmer eines Freundes eintrete und seine Abwesenheit erfasse, d. h. die Intuition einer negativen Tatsache habe. Sartre konstatiert, dass die Gegenst�nde im Zimmer als solche keinen Verweis auf den Freund enthalten: Das Buch auf dem Tisch ist nur ein Buch, der Tisch nur ein Tisch usw. Die Wahrnehmung dieser Dinge kann also die Intuition von Abwesenheit nicht erzeugen. Aber k�nnte man die Intuition nicht dadurch erkl�ren, dass diese Gegenst�nde in mir ein Vorstellungsbild ihres Besitzers erzeugen? Nein, da das Vorstellungsbild impliziert, dass es nicht der Freund selbst ist (d. h. die Intuition der negativen Tatsache bereits voraussetzt). Die Intuition der Abwesenheit kann also nicht von den Gegenst�nden �ber deren Wahrnehmung verursacht werden. Woraus folgt - so Sartre - dass wir es hier mit einem Bruch der Kausalit�t zu tun haben, der sich im wahrnehmenden Subjekt abspielen muss:

"Indem ich den, der nicht mehr im Zimmer ist, von meinen Wahrnehmungen des von ihm bewohnten Zimmers aus erfasse, werde ich notwendig zu einem Denkakt gezwungen, den kein vorheriger Zustand bestimmen oder motivieren kann, kurz, zu einem Bruch mit dem Sein in mir selbst."

 Kausalit�t und Negativit�t

Sartre besteht darauf, dass ein kausal determinierter Vorgang niemals zu einem Nichts f�hren kann, sondern nur zu Sein. Hier erhebt sich sofort die Frage, ob denn nicht auch negative Sachverhalte kausal determiniert sein k�nnen: Der Zustand der H�lle einer Seifenblase im Zusammenhang mit den Molekularbewegungen der enthaltenen Luft usw. kann doch ihr Platzen (also ihre Nicht-Existenz) zu einem bestimmten Zeitpunkt bewirken? Doch das ist ein Misverst�ndnis. Das Platzen der Seifenblase ist f�r Sartre lediglich ein kausaler �bergang von einem positiven Zustand zu einem anderen positiven Zustand. Dass der sp�tere Zustand ein negatives Moment enth�lt (dass etwas fehlt, n�mlich die Seifenblase) kann daraus nicht abgeleitet werden. Das Fehlen der Seifenblase ergibt sich erst f�r einen Betrachter!

Aber ging es im Falle der Intuition von Abwesenheit nicht um etwas ganz anderes, n�mlich um die Verursachung einer Intuition von Nichts, und nicht um die Verursachung von Nichts? Steht die Intuition von Nichts nicht auf einer logisch anderen Ebene als das Nichts, von dem sie Intuition ist? Ich denke, Sartre meint, wenn es "eigentlich" nur Sein-an-sich gibt, das kein negatives Moment enth�lt, ist die Intuition eines negativen Sachverhaltes identisch mit der Erzeugung dieses negativen Sachverhaltes.

Sartre gelangt zu der Konsequenz, dass jede Art negativer Sachverhalte durch eine Abl�sung des Bewu�tseins von allen positiven Gegebenheiten zu erkl�ren ist. Diese Abl�sung erfolgt unverursacht und daher frei: "Und insofern ich fortw�hrend Negatit�ten [negative Sachverhalte] benutze, um die Existierenden zu isolieren oder zu bestimmen, das hei�t, um sie zu denken, ist die Sukzession meiner �Bewu�tseine' ein ununterbrochenes Abl�sen der Wirkung von der Ursache, da jeder nichtende Proze� verlangt, seinen Ursprung nur von sich selbst herzuleiten." - Da es sich dabei um eine Leistung des Bewu�tseins handelt, und im Bewu�tsein alles bewu�t ist, m�ssen wir uns dieses "nichtende Verm�gens" bewu�t sein und diese Bewu�theit muss aufweisbar sein. - Sartre identifiziert sie mit der Angst.

 Die Angst

Irgendwann in seiner Schulkarriere wird jeder deutsche Gymnasiast einmal darauf hingewiesen, dass Furcht und Angst nicht dasselbe seien: Furcht bezieht sich auf einen bestimmten, nicht allzu gro�en Gegenstand, w�hrend Angst entweder gar keinen oder einen irgendwie unfassbar gro�en und nicht recht bestimmbaren Gegenstand hat. Man f�rchtet sich vor einem Hund oder davor, sich mit AIDS zu infizieren, aber man �ngstigt sich vor Godzilla, dem Krieg oder dem Tod. - Bei Sartre finden wir die beiden Begriffe gleichfalls unterschieden, jedoch in einem anderen Sinne:

Furcht habe ich vor �u�eren Umst�nden, die der Kausalit�t unterstehen, sich aber unter Umst�nden f�r mich fatal auswirken k�nnen. Wenn ich (so Sartres ber�hmtes Beispiel) an einem Abgrund stehe, f�rchte ich mich z. B. davor, auf einem Stein auszurutschen und hinabzust�rzen. - Angst hingegen habe ich vor mir selbst, n�mlich davor, freiwillig und spontan in den Abgrund hineinzuspringen. Nach Sartre �u�ert sich diese Angst in der Beispielsituation als das charakteristische Gef�hl des Schwindels und beunruhigt uns tiefer als die blo�e Furcht vor dem Ausrutschen.

Doch was hat das alles mit der Negation zu tun? Nun, die Erkl�rung der negativen Sachverhalte hat uns auf die menschliche Freiheit verwiesen. Das Bewu�tsein l��t uns z. B. in einem leeren Raum die Abwesenheit seines Bewohners erfassen, ohne dass dieses Erfassen eines negativen Sachverhaltes durch die Wahrnehmung der im Raum vorhandenen Dinge verursacht worden w�re. Aber ist es gerechtfertigt, auch wenn wir Sartres Standpunkt �bernehmen, dieses Verm�gen, Negativit�t in die Welt zu tragen, mit der menschlichen Entscheidungsfreiheit zu identifizieren?

Negativit�t erzeugen wir ja bereits dann, wenn wir eine Welt aus Dingen wahrnehmen, da eine Aufteilung in Dinge (das ist eine Rose und kein Schmetterling) �ber die Konstatierung negativer Sachverhalte erfolgen muss. Erinnern wir uns daran, dass das Sein ausserhalb des Bewu�tseins ja ohne das Bewu�tsein frei von jeder Negativit�t und daher Aufteilung ist! - Das l�uft darauf hinaus, und Sartre ist wirklich dieser Auffassung, dass die Erfassung der Welt durch uns Resultat unserer Freiheit ist.

Sartre hat hier m�glicherweise Ph�nomene wie die sog. Vexierbilder vor Augen (diese Interpretation �bernehme ich von Paul Vincent Spade). Ein ber�hmtes Bild dieser Gattung ist so aufgebaut, dass es sowohl m�glich ist, es als menschlichen Kopfumriss oder als zwei Vasen zu sehen. Ob ich das Bild in der einen oder der anderen Weise sehe, ist offenbar nicht durch das Bild selbst bedingt: Es ist hier also durchaus gerechtfertigt, das Sehen der Gegenst�nde auf das Bewu�tsein zur�ckzuf�hren. Ich kann mich tats�chlich frei entscheiden, das Bild als menschlichen Kopf oder als zwei Vasen zu sehen.

Doch das Vexierbild zeigt uns auch, dass unsere Freiheit bei der Wahrnehmung offenbar beschr�nkt ist. Ich kann das Vexierbild als zwei Vasen oder als einen Kopf sehen, mit etwas �bung vielleicht auch noch als Ansammlung von Linien und Fl�chen, aber damit ersch�pfen sich meine M�glichkeiten. Es wird mir nicht gelingen, es als Pferd oder als Atomkraftwerk zu sehen. Und diese Beschr�nkung stellt selbst einen negativen Sachverhalt dar, der nicht auf mein Bewu�tsein r�ckf�hrbar ist.

Und wie gelangen wir von unserer "nichtenden Freiheit" zur Entscheidungsfreiheit? F�r Sartre handelt es sich hier prinzipiell um dasselbe. Wenn ich die Abwesenheit eines Menschen in einem Raum erfasse, besteht ein kausaler Bruch zwischen der zuerst erfolgten Erfassung der Gegenst�nde im Raum und der nachfolgenden Erfassung der Abwesenheit. Die Aufeinanderfolge der Bewu�tseinszust�nde ist also unverursacht. Genauso unverursacht w�re meine spontane Entscheidung, in den Abgrund zu springen, den ich vor mir sehe. Auch hier handelt es sich um einen Bewu�tseinszustand, der nicht kausal aus einem vorhergehenden Zustand erkl�rt werden kann.

Meine Angst beruht auf meinem Bewu�tsein, dass ich eine solche spontane Entscheidung tats�chlich treffen k�nnte und dass der Zustand meines Bewu�tseins jetzt (jetzt bin ich mir vielleicht bewu�t, dass ich keinesfalls in den Abgrund springen m�chte), da er kommende Zust�nde nicht kausal determinieren kann, mir keine Sicherheit gibt.

Sartres Beispiel des Schwindelns vor dem Abgrund ist gl�cklich gew�hlt. Es ist wahr (zumindest nach meiner pers�nlichen Erfahrung), dass in solchen Situationen Angst vor der eigenen Unkalkulierbarkeit auftreten kann. Doch da f�r Sartre ja nicht nur die menschlichen Entscheidungen, sondern die gesamte Erfassung der Welt undeterminiert und damit frei ist, warum haben wir nicht neben unserer Entscheidungsangst manchmal eine Art Wahrnehmungsangst (und ich w�sste nicht, was das sein sollte)?

Sartre nimmt zu einem anderen Einwand Stellung. Wenn wir in unseren Entscheidungen frei sind, also hinsichtlich jeder unserer Entscheidungen, warum empfinden wir nicht bei jeder Entscheidung Angst? Wenn die Angst das Bewu�tsein unserer Freiheit ist, sollte sie permanent sp�rbar sein, wenn wir permanent frei sind. - Sartres Antwort besteht in der Behauptung, dass Angst ein Ph�nomen der reflexiven Bewu�tseinsebene sei, w�hrend uns auf der unreflektierten Ebene lediglich Forderungen begegnen, die die Welt an uns richtet, und die wir unmittelbar zu erf�llen versuchen. Doch diese Forderungen (z. B. der Befehl des Weckers, aufzustehen) sind in Wahrheit selbstgesetzte Werte, die auf letzte Zwecke, einen grundlegenden Entwurf unserer selbst, verweisen. Reflektiere ich auf die Forderungen der Welt, so werden mir diese letzten Zwecke bewu�t und erst dann empfinde ich Angst.

Wie stellt sich in diesem Licht das Schwindeln vor dem Abgrund dar? Diese Situation zeigt uns nicht nur eine beliebige M�glichkeit, spontan zu handeln, sondern die M�glichkeit, unser ganzes Leben spontan zu beenden. Und eine Entscheidung dieser Tragweite verweist uns nat�rlich sofort auf unseren grundlegenden Entwurf.

Sartre beschreibt eine weitere typische Angstsituation: Ein s�chtiger Spieler stellt beim Anblick eines Spieltisches fest, dass sein vergangener Entschluss, nie mehr zu spielen, unwirksam ist. Dass vergangene Bewu�tseinszust�nde die gegenw�rtigen nicht determinieren k�nnen, gilt auch f�r vergangene Entschl�sse, gleichg�ltig, mit welchem Nachdruck sie getroffen wurden: "Was der Spieler in diesem Augenblick erfa�t, ist wieder der permanente Bruch des Determinismus, das Nichts, das ihn von sich selbst trennt: [...] Ich bin allein und nackt vor der Versuchung, wie am Tag vorher, [...] nachdem ich mich in den magischen Kreis eines Entschlusses eingeschlossen habe, merke ich mit Angst, das nichts mich hindert zu spielen."

Kann die unbezweifelbare Realit�t des Angstph�nomens als Beweis f�r unsere Freiheit dienen? Sartre gesteht, dass es nicht so ist. Wenn mein Handeln von Triebkr�ften determiniert w�re, k�nnte das Angstph�nomen sich dem Umstand verdanken, dass mir diese Triebkr�fte nicht bekannt sind. Die Angst vor dem Abgrund w�re dann nicht mehr die Angst vor meiner Freiheit, zu springen, sondern die Angst vor einem selbstdestruktiven Trieb, der pl�tzlich in mir hervorbrechen und einen selbstm�rderischen Entschluss bewirken k�nnte. Doch dann - so Sartre - w�re die Angst eben keine Angst mehr, sondern nur noch Furcht, so dass sich das Problem auch so ausdr�cken l��t: Gibt es Angst �berhaupt oder gibt es nur eine besondere Art von Furcht? - Da Sartre die Freiheit aus anderen Gr�nden f�r bewiesen h�lt, lautet seine Antwort nat�rlich: Ja, es gibt sie und sie ist das Bewu�tsein unserer Freiheit.

 Die Flucht vor der Angst

Wenn ich Angst vor etwas habe, geht das Bewu�tsein von diesem Etwas der Angst nicht voraus? Es leuchtet nicht ganz ein, dass die Angst das Bewu�tsein unserer Freiheit selbst und nicht lediglich eine aversive Reaktion darauf ist. - Wichtig f�r Sartres weitere Argumentation ist jedenfalls, dass Angst ein Moment der Unlust beinhaltet. Denn nach dem bisher Gesagten sollte die Angst immer dann auftauchen, wenn ich auf meine grundlegenden Entscheidungen reflektiere. Das tut sie jedoch h�ufig nicht - warum?

Wir erinnern uns daran, dass die Transluzidit�t des Bewu�tseins nicht meint, dass uns alle Bewu�tseinstatsachen in totaler Klarheit vor Augen stehen. Das gilt auch f�r die Angst als das Bewu�tsein der Freiheit: Wir k�nnen uns unserer Freiheit auch auf eine unklare, verzerrte Weise bewu�t sein. Eine Form des unklaren Bewu�tseins unserer Freiheit ist - so Sartre - die Flucht vor der Angst. Die Flucht vor der Angst muss ein Bewu�tsein der Angst implizieren (denn offenbar kann ich nur vor etwas fliehen, das mir bewu�t ist) und sie ist eher die Regel als die Ausnahme: "Alles geschieht ja so, als wenn unser wesentliches, unmittelbares Verhalten gegen�ber der Angst die Flucht w�re."

Die Sartres Theorie widersprechende Theorie des Bewu�tseins ist der psychologische Determinismus, d. h. die Auffassung, dass die Spontaneit�t des Bewu�tseins nur scheinbar ist und alle Bewu�tseinsvorg�nge in Wahrheit einer l�ckenlosen Kausalit�t folgen. Sartre argumentiert an dieser Stelle nicht gegen diese Theorie, sondern erkl�rt sie zur theoretischen Ausformulierung einer Flucht vor der Angst: Wer sich von seiner Freiheit ablenken will, kann versuchen, sich davon zu �berzeugen, dass die Intuition dieser Freiheit lediglich eine Illusion ist.

Von was genau will sich der Determinist, und jeder, der vor der Angst flieht, ablenken? Von den Handlungsm�glichkeiten, die er nicht ergriffen hat. Diese M�glichkeiten beunruhigen den Menschen, solange er sich bewu�t ist, dass er v�llig frei ist, sie anstelle der tats�chlich realisierten M�glichkeiten zu ergreifen. - Die Taktik der Flucht vor dieser Beunruhigung besteht darin, die nicht ergriffenen M�glichkeiten zu entwerten. Das kann �ber den Determinismus geschehen (der alle M�glichkeiten mit Ausnahme der tats�chlich realisierten zur Illusion erkl�rt) oder in schw�cherer Form dadurch, dass ich ihre Bedeutung verkleinere, indem ich sie so betrachte, als w�ren es nicht meine eigenen M�glichkeiten, sondern die M�glichkeiten eines anderen Menschen, der in derselben Situation ist wie ich. (Sartres Beispiel f�r dieses Verfahren ist die �u�erung "Ich werde dieses Buch schreiben, aber man k�nnte es auch nicht schreiben".)

Sartre beschreibt noch ein anderes Fluchtverfahren, das uns zum Begriff des Ich zur�ckbringt. In der "Transzendenz des Ego" hatte Sartre herausgestellt, dass das Ich nicht Teil des Bewu�tseins ist, sondern als ideales Gesamtobjekt meiner Zust�nde und Handlungen transzendent, wobei es nur f�lschlicherweise als deren Ursprung gilt. - Diese falsche Auffassung vom Ich erweist sich jetzt als eine weitere Form der Flucht vor der Angst: Wer das Ich f�r den freien Urheber seiner Handlungen h�lt, verlegt seine Freiheit damit in ein transzendentes Objekt. Er macht sie dadurch zur Freiheit eines Anderen und lenkt sich so davon ab, dass der ihr Sitz in Wahrheit das aktuelle Bewu�tsein ist.

 Die Unaufrichtigkeit / Der schlechte Glaube

Die w�rtliche �bersetzung "schlechter Glaube" entspricht Sartres Intention viel besser als der in der in der �bersetzung gew�hlte Ausdruck "Unaufrichtigkeit". Obwohl sich die Gr�nde daf�r erst sp�ter zeigen, werde ich in der Folge nur noch von Schlechtem Glauben sprechen.

Sartre hat darauf hingewiesen, dass wir uns unserer Freiheit h�ufig nur dadurch bewu�t sind, dass wir sie vor uns selbst verschleiern, bzw. uns von ihr ablenken (siehe den vorangegangenen Abschnitt). Wir sto�en hier offenbar auf ein allgemein bekanntes Ph�nomen, das �blicherweise als "Selbstbetrug" bezeichnet wird. Sartres Diskussion des Schlechten Glaubens setzt sich mit diesem Ph�nomen auseinander, mit der Zielsetzung, zu zeigen, dass eine Erkl�rung auf die Nicht-Identit�t des Bewu�tseins mit sich selbst in der Gegenwart zur�ckgreifen und damit in das Zentrum des Seins-f�r-sich, des Seins des Bewu�tseins f�hren muss.

Was ist so eigent�mlich an den Verfahren zur Flucht vor der Angst? Wer vor etwas flieht, weiss, dass er vor etwas flieht. Wer sich von seiner Angst ablenkt, muss sich dieser Angst also bewu�t sein (deshalb kann Sartre sagen, dass die Flucht vor der Angst eine Form der Angst ist). Aber Flucht ist in diesem Falle ja nur eine Metapher f�r "nicht wissen wollen". Wer vor der Angst flieht, versucht, sie zu leugnen, obwohl er sie schon allein, weil er sie leugnen m�chte, bereits als Realit�t akzeptiert haben muss. - Derselbe Widerspruch zeigt sich in dem Ausdruck "Selbstbetrug": Wer l�gt, ist �ber die fragliche Wahrheit im Bilde, wer belogen wird, nicht. Wenn L�gner und Belogener identisch sind, ist die L�ge (der Betrug) also logisch ausgeschlossen, da sie implizieren w�rde, dass jemand etwas gleichzeitig und in derselben Hinsicht weiss und nicht weiss!

Trotzdem lassen sich Ph�nomene dieser Art nicht leugnen. - Sartre schl�gt zun�chst vor, auf den Begriff "Selbstbetrug" zu verzichten. Der Begriff suggeriert eine bestimmte L�sung des Problems - n�mlich die Auffassung, dass unser Bewu�tsein in Wahrheit nicht einheitlich, sondern in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt ist, die dann als L�gner und Belogener fungieren k�nnen. - Und eine solche Theorie gibt es tats�chlich, n�mlich die Psychoanalyse Freuds.

Der L�gner in der Freudschen Theorie ist das Unbewu�te. Das Unbewu�te verschleiert die Triebe, die es befriedigen will, durch symbolischen Ausdruck vor dem bewu�ten Teil der Pers�nlichkeit, dem Ich. - Ein Beispiel f�r diese Art des Betrugs kann aus Arno Schmidts psychoanalytisch beeinflusster Karl-May-Interpretation entnommen werden ("Sitara und der Weg dorthin"). Karl May - so Arno Schmidts Unterstellung - habe w�hrend seines Gef�ngsnisaufenthaltes homosexuelle Antriebe entwickelt, die sich in seinen Landschaftsbeschreibungen symbolisch ausdr�cken: Die Landschaften in Karl Mays B�chern seien �berm��ig oft von Schluchten oder Hohlwegen bev�lkert, deren eigentliche Bedeutung der m�nnliche Anus sei.

Der von Schmidt angedeutete psychische Vorgang kann ungef�hr so beschrieben werden: Im Es Karl Mays (im unbewu�ten Bezirk der Triebe in der Psyche nach Freud) wohnt ein Verlangen nach homosexuellen Kontakten. Da ein solches Verlangen mit dem narzistisch grandiosen Selbstbild Karl Mays unvertr�glich ist, sorgt die Zensurinstanz in seinem psychischen System daf�r, dass es unbewu�t bleibt. Das Es verschafft sich jedoch unter der Maske harmloser Landschaftsschilderungen eine symbolische Befriedigung des unterdr�ckten Triebs, die von Karl Mays Ich (dem bewu�ten Teil seiner Psyche) nicht als solche erkannt werden kann.

Das psychoanalytische Verfahren �hnelt dann der Entlarvung eines L�gners: W�hrend das Es sozusagen behauptet, sich an der Beschreibung von Schluchten zu erfreuen, tr�gt der Analytiker Indizien zusammen und �berf�hrt es damit: "Von wegen! Ich weiss, woran du dich in Wahrheit erfreust, usw."

 Freud kann den schlechten Glauben nicht erkl�ren

Nichts liegt n�her, als die hier zugrundegelegte Theorie der Psyche auch f�r die Erkl�rung des Schlechten Glaubens zu benutzen: Es stellt kein Problem dar, sich selbst zu bel�gen, wenn L�gner und Belogener nur scheinbar dieselbe Person sind. Der Ausdruck "Selbstbetrug" w�re also angemessen. - Doch Sartre h�lt Freuds Auffassung f�r inkoh�rent:

Freud kennt nicht nur das Es und das Ich, sondern auch noch das �ber-Ich (eine Zensurinstanz, die verhindert, dass gewisse Triebe des Es bewu�t werden). Im Falle Karl Mays sorgt das �ber-Ich daf�r, dass Karl Mays restliches Ich nichts von seiner Homosexualit�t ahnt. Der wesentliche Punkt hier besteht darin, dass das �ber-Ich selbst jedoch von Karl Mays Homosexualit�t wissen muss, wenn es verhindern will, dass sie bewu�t wird! Und heisst das nicht, dass das �ber-Ich weiss, was es gleichzeitig verleugnet, dass es also im Zustande des Schlechten Glaubens ist? - Freuds Probleml�sung ist also in Wahrheit lediglich eine Problemverlagerung. Die F�higkeit des Bewu�tseins zum Schlechten Glauben wird in eines der Segmente verlagert, die nach Freud die Psyche zusammensetzen.

Man k�nnte jetzt einwenden, dass das �ber-Ich ja f�r Freud kein Bewu�tsein ist, sondern eine Art Mechanik innerhalb der Psyche. Doch Sartre verweist hier auf die sog. "Widerst�nde", die ein Patient den Bem�hungen des Psychoanalytikers zur Aufdeckung seiner Triebe entgegensetzt. Diese Widerst�nde sind kein Randph�nomen, sondern spielen in der psychoanalytischen Praxis eine wichtige Rolle: Sie liefern n�mlich die Indizien daf�r, dass der Analytiker seine Arbeit gut macht. So wie ein Verbrecher im altem Kriminalroman, dem der Detektiv die Indizien f�r seine T�terschaft aufz�hlt, vielleicht versuchen wird, die Szene unter einem Vorwand zu verlassen, sobald er davon �berzeugt ist, dass der Detektiv zwingende Indizien hat, verh�lt sich der Analysierte, wenn der Analytiker der Aufkl�rung dessen, was der Patient verdr�ngt, nahekommt: Er leistet gegen die weitere Analyse Widerstand, u. U. dadurch, dass er die Therapie abbricht und liefert dem Analytiker damit die letzte Best�tigung seiner Interpretation.

Doch wenn Widerstand geleistet wird, fragt es sich, welches psychische Segment den Widerstand leistet. Im Sinne Freuds muss es sich um das �ber-Ich handeln (das Es strebt eine Bewu�twerdung seiner Triebe gerade an und das Ich will dasselbe zum Zwecke seiner Heilung). Das �ber-Ich erbringt also folgende Leistungen, die f�r Sartre nur als Bewu�tseinsakte denkbar sind:

- Es kennt alle Triebe des Es.

- Es sortiert diese Triebe in die Kategorien "zul�ssig" und "unzul�ssig".

- Es handelt planvoll, indem es durch Widerstand die Aufdeckung der unzul�ssigen Triebe verhindert.

Sartre erg�nzt, dass sich �hnlich auch im Hinblick auf das Es argumentieren l�sst. Auch hier wird ein Katalog von Leistungen erbracht, die auf ein Bewu�tsein hindeuten (Wissen des Es �ber die Unterdr�ckung seiner Triebe, Symbolisierung dieser Triebe als planvoller Widerstand gegen die Unterdr�ckung). - Sartre weist ausserdem darauf hin, dass die symbolischen Ersatzbefriedigungen zu bewu�ter Lust f�hren k�nnen (Karl May hatte eben mehr Freude am Schildern dunkler Schluchten als am Schildern anderer Landschaftstypen). Es handelt sich dabei um die Lust beim Erreichen eines Ziels, gleichzeitig soll dieses Ziel aber ganz unbewu�t sein!

Sartre gelangt zu der Schlussfolgerung, dass die Psychoanalyse nicht nur den Schlechten Glauben nicht erkl�ren kann, sondern ihre Grundannahme unbewu�ter Teile der Psyche, die mit den bewu�ten interagieren, aufgegeben werden muss. Er beruft sich dabei auf einen Gegner Freuds, den Wiener Psychiater Stekel, der aus seinen Erfahrungen mit der Psychoanalyse folgerte, dass die aufgedeckten Komplexe in Wahrheit immer bewu�te Komplexe sind (woraus folgt, dass sich die Patienten vor der Analyse einfach in Schlechtem Glauben befunden haben).

Ich halte den Kernpunkt von Sartres Argumentation gegen Freud f�r anfechtbar: Wenn man annimmt, dass Bewu�tseinsvorg�nge kausal von ausserhalb des Bewu�tseins bestimmt werden k�nnen (wir wissen, dass Sartre das leugnet), besteht kein Grund, warum nicht Symbolisierungen, Widerst�nde usw. auf eine Art Mechanik hinter den Kulissen (oder im Gehirn) zur�ckgef�hrt werden k�nnen, deren Leistungen Bewu�tsein lediglich vort�uschen (wie ein Computer bewu�tes Verhalten vort�uschen kann). �ber-Ich und Es w�ren Blackbox-Instanzen, die wir postulieren m�ssen, weil sie uns erlauben, bestimmte menschliche Verhaltensweisen zu prognostizieren (z. B. die bevorzugte Beschreibung von Schluchten durch Ex-Str�flinge). - Ich denke aber, dass man nach besseren Argumenten gegen die Freudschen Thesen (und gegen Schmidts Karl-May-Buch) nicht lange suchen muss.

 Schlechter Glaube in der Praxis

Sartre gibt einige Beispiele f�r Menschen, die sich im Zustande des Schlechten Glaubens befinden. Ich verzichte darauf, sie hier auszubreiten, und komme gleich zum wesentlichen Punkt: Der Schlechte Glaube st�tzt sich wesentlich auf gewisse Zweideutigkeien des Menschen. Wir hatten mit einer dieser Zweideutigkeiten bereits zu tun: Es handelt sich um die Nicht-Identit�t des Bewu�tseins mit sich selbst. - Wir hatten gesehen, dass f�r Sartre das Wesen des Bewu�tseins von den tats�chlichen Inhalten / Akten des Bewu�tseins im Laufe der Zeit bestimmt wird. Da diese Inhalte weder von ausserhalb des Bewu�tseins kausal bestimmt werden, noch durch eine bewu�tseinsimmanente Kausalit�t, ist diese Wesensbestimmung niemals abgeschlossen. Was immer ich (als Bewu�tsein) bin, bin ich schon gewesen, wie Sartre meint (er zitiert dabei ein nicht nachweisbares Hegelzitat, "Wesen ist immer gewesen sein."). - Was soll das bedeuten?

 Nichtidentit�t des Bewu�tseins mit sich selbst im schw�cheren Sinne

Nun, es bedeutet einfach: Wenn ich �ber das Bewu�tsein sage, dass es so-und-so ist, kann eine solche Behauptung ihre St�tze immer nur in der Vergangenheit des Bewu�tseins finden. �ber diese Vergangenheit ist das Bewu�tsein aber in seiner aktuellen Gegenwart bereits hinaus. - Der Satz "Ich bin friedfertig" ist spekulativ (bezieht sich auf eine ideale Ich-Einheit), wenn ich ihn auch auf die Zukunft des Bewu�tseins beziehe. Was ich in Wahrheit sagen kann, ist z. B., dass ich bis jetzt nie mit destruktivem Zorn auf Provokationen reagiert habe. Da die bisherigen Bewu�tseinsakte aber zuk�nftige Bewu�tseinsakte (und damit vergangene menschliche Handlungsweisen zuk�nftige) nicht bestimmen k�nnen, ist es denkbar, dass ich unmittelbar nach der Behauptung "Ich bin friedfertig" einen Anfall von Aggressivit�t erleide (im Sinne Sartres: erzeuge), der die Wahrheit der Behauptung zerst�rt. Ich bin also nie, was ich bin - zumindest, solange ich lebe.

Sartre nimmt in diesem Zusammenhang zu einem m�glichen Gegenargument Stellung, nach dem ich, wenn ich z. B. traurig bin, doch sein muss, was ich bin, n�mlich traurig. Das Argument macht nur dann Sinn, wenn man annimmt, dass die Traurigkeit als Gef�hlszustand etwas ist, dem das Bewu�tsein passiv ausgeliefert ist. - Wie wir uns denken k�nnen, bestreitet Sartre das: Er behauptet, dass ich f�r meine Gef�hle verantwortlich bin, sie selbst hervorbringe und im Dasein erhalte. - Es muss darauf hingewiesen werden, dass Sartre in "Das Sein und das Nichts" keine Theorie der Gef�hle liefert. Er hat sie n�mlich schon vorher geliefert, n�mlich in seinem fr�hen Aufsatz "Skizze einer Theorie der Emotionen". Eine Zusammenfassung dieses Werkes werde ich sp�ter einf�gen.

Die angebliche Nicht-Identit�t des Bewu�tseins mit sich selbst scheint bis jetzt nicht sonderlich spektakul�r zu sein, da der Gegensatz Vergangenheit - Zukunft einen Unterschied der Hinsichten andeutet: In der einen Hinsicht ist das Bewu�tsein fixiert, in der anderen offen. Die kontradiktorische Wendung scheint also durch eine andere Beschreibung vermieden werden zu k�nnen (die Sartre aufgrund seiner individualisierten Auffassung vom Wesen des Bewu�tseins nicht m�glich ist). Sartre steht �brigens auf dem Standpunkt, dass das nicht der Fall ist, wie sich in seiner Diskussion der Zeit zeigen wird. - Doch wir werden gleich sehen, dass es f�r Sartre eine zweite, viel wichtigere Nicht-Identit�t des Bewu�tseins mit sich selbst gibt, die hier und jetzt besteht und weniger leicht eliminierbar ist.

 Ausbeutung dieser Nichtidentit�t durch den Schlechten Glauben

Der Schlechte Glaube in der Praxis benutzt die schw�chere Form der Nicht-Identit�t gewissermassen als Werkzeug, w�hrend er seine M�glichkeit der st�rkeren Nicht-Identit�t verdankt. - Letzteres wird Sartre uns im Anschluss erkl�ren.

Sartre konstatiert, dass Menschen gerne ihre Doppelnatur als Faktizit�t und Transzendenz dazu benutzen, um je nach Bedarf eine dieser Seiten zu verabsolutieren und die andere zu leugnen. Was sind Faktizit�t und Transzendenz des Menschen? Die Begriffe beziehen sich auf die eben erw�hnte Form der Nicht-Identit�t mit sich selbst: Faktizit�t meint die Vergangenheit des Bewu�tseins, oder - wenn wir vom Menschen sprechen - die bisherige Lebensgeschichte. Transzendenz meint hingegen die st�ndige M�glichkeit des Menschen, seine Faktizit�t frei zu �berschreiten (indem der Mensch / das Bewu�tsein durch neue Entscheidungen sein Wesen �ndert).

Sartres Kennzeichnung der entsprechenden Verhaltensweisen als Schlechter Glaube impliziert, dass er davon ausgeht, dass eine Reduktion des Menschen auf einen der beiden Aspekte Transzendenz oder Faktizit�t falsch ist. Der Mensch ist beides. - Wer seine Vergangenheit, weil man ihm z. B. deswegen Vorw�rfe macht, verleugnet mit dem Hinweis, dass er ja v�llig frei sei, sich sozusagen neu zu erfinden, fl�chtet sich aus dem Aspekt Faktizit�t in den Aspekt Transzendenz. Wer umgekehrt wie Popeye sagt "Ich bin, was ich bin" und damit meint, dass er sich nie �ndern wird, flieht vor seiner Freiheit (also vor seiner Transzendenz) in die Faktizit�t.

Dieses Verfahren benutzt auch der Kellner in Sartres bekanntestem Beispiel f�r Schlechten Glauben. Der Kellner ist Kellner aufgrund seiner Faktizit�t (seine Lebensumst�nde und seine vergangenen Entscheidungen haben ihn in diese soziale Rolle gebracht), aber als transzendentes Wesen ist er kein Kellner, da seine prinzipielle Freiheit im Hinblick auf sein Kellnersein (die permanente M�glichkeit, die Stelle zu k�ndigen, oder sich kontr�r zu den damit verbundenen Erwartungen von Kunden und Vorgesetzten zu verhalten) es unm�glich macht, ihn auf diese Faktizit�t zu reduzieren. Trotzdem genie�t es der Kellner, seine soziale Rolle mit den Gesten eines Roboters auszuf�llen und sich so einzureden, dass er eben Kellner und nur Kellner sei. Warum tut er das? Weil ihn die Vorstellung, dass sein Kellner-Sein frei gew�hlt ist, in Angst versetzen w�rde.

 Der Mensch f�r Andere und f�r sich

W�hrend jedes Bewu�tsein sich seiner prinzipiellen Offenheit / Uneindeutigkeit bewu�t ist, k�nnen uns andere Menschen als durchaus fixiert erscheinen - als das, was sie sind. Sartre wird diesem Ph�nomen, das er als "Sein f�r Andere" bezeichnet, sp�ter viel Raum widmen. Hier sei nur Folgendes vorweggenommen:

Andere sind f�r mich das, was sie sind, wenn meine Rolle ihnen gegen�ber die eines Beobachters oder eines Instrumentalisierers ist. Aus dieser Position heraus erscheinen mir Andere als Dinge mit bestimmten Eigenschaften, deren Verhalten ich prognostizieren und vielleicht ausnutzen kann. Doch diese Position kann nicht in allen F�llen eingenommen werden. Es kann z. B. geschehen, dass Andere mich beobachten und instrumentalisieren. In diesem Falle bin ich der Objektivierte, w�hrend mir die Freiheit des Anderen - auf eine unangenehme Art - evident wird.

Ein weiterer Ausgangspunkt f�r den Schlechten Glauben ist, dass ich auch mir selbst gegen�ber den Standpunkt des Anderen einnehmen kann: Ich kann so tun, als s�he ich mich mit den Augen des Anderen. Da eine solche Selbstobjektivierung meiner Freiheit widerspricht, f�hrt sie unmittelbar in den Schlechten Glauben. Ich �bernehme die Meinung der Anderen �ber mich als Selbstbild, um so der Angst auszuweichen. - Die Dualit�t Sein-f�r-mich / Sein-f�r-Andere ist also eine weitere Zweideutigkeit des Menschen, die f�r den Schlechten Glauben ausgenutzt werden kann.

 Ehrlichkeit gegen�ber sich selbst

Da der Schlechte Glaube eine Art Unehrlichkeit gegen�ber sich selbst impliziert, k�nnte man jetzt meinen, dass es darauf ank�me, sich selbst gegen�ber ehrlich zu werden. Doch Sartre h�lt Ehrlichkeit sich selbst gegen�ber f�r unm�glich! Was umso �berraschender ist, wenn man geh�rt hat, dass Sartre ein "Philosoph der Authentizit�t" sei. - Warum ist Sartre dieser Auffassung?

Sartre definiert Ehrlichkeit gegen�ber sich selbst zun�chst als Ideal, zu sein, was man ist (und weist darauf hin, dass dieses Ideal impliziert, dass man h�ufig nicht ist, was man ist). - Das wirkt merkw�rdig: Geht es dabei nicht eher darum, zu akzeptieren, was man ist? Doch f�r Sartres Argumentation ist das nicht von Belang. Wenn ich akzeptieren soll, was ich bin, muss ich zun�chst etwas Bestimmtes sein. Und hier liegt f�r Sartre der kritische Punkt: Ehrlichkeit gegen�ber sich selbst m�sste voraussetzen, dass man ist, was man ist. Doch genau das ist man ja nicht! - Die Nichtidentit�t des Bewu�tseins mit sich selbst heisst, dass es nicht ist, was es ist, woraus folgt, dass es unm�glich akzeptieren kann, was es ist.

Die Ehrlichkeit sich selbst gegen�ber ist also ein unerf�llbares Ideal. Als Beispiel f�r das Scheitern dieses Ideals f�hrt Sartre einen Menschen an, der "Ich bin b�se!" sagt, was auf den ersten Blick sehr ehrlich wirkt (vorausgesetzt, dass der Satz nicht von Mutter Theresa ge�u�ert wird - denn dann w�re er vielleicht eine L�ge). Doch was ist wirklich geschehen, als sich der Mensch als b�se definierte? Sartre sagt: Er hat sich selbst verobjektiviert und gegen�ber diesem Objekt einen Standpunkt eingenommen. Und in dieser Position ist er frei, auch seinem B�se-sein gegen�ber! Wer so spricht wie dieser Mensch m�chte damit gerade nicht die Fixiertheit seiner Eigenschaften betonen, sondern im Gegenteil seine Souver�nit�t gegen�ber dem, was er von sich aussagt. - Ich denke, dass Sartre hier eine alltagspsychologische Wahrheit ausspricht.

Die Ehrlichkeit sich selbst gegen�ber ist also lediglich eine weitere Variante des Schlechten Glaubens.

 Der Glaube des Schlechten Glaubens

Ich beginne diesen Abschnitt ausnahmsweise mit einem Zitat: "Die M�glichkeitsbedingung der Unaufrichtigkeit ist, dass die menschliche-Realit�t in ihrem unmittelbarsten Sein, in der Innenstruktur des pr�reflexiven Cogito das ist, was sie nicht ist, und nicht das ist, was sie ist." - Sartre verspricht uns hier, f�r die Erkl�rung des Schlechten Glaubens auf die st�rkere Form der Nicht-Identit�t des Bewu�tseins mit sich selbst zur�ckzugreifen und diese damit - endlich - n�her zu erkl�ren.

Das Problem, das eine Aufl�sung fordert, besteht darin, dass der Schlechte Glaube widerspr�chlich ist: Ein Mensch in diesem Zustand ist sich bewu�t, dass nicht zutrifft, was er glaubt. Sartre denkt, dass sich diese Konstruktion in der Form eines permanenten Hin- und Herpendelns zwischen dem naiven Glauben an das, was man sich einreden will, und dem zynischen Wissen um die Falschheit dieses Glaubens realisiert. Sie bildet mit seinen Worten ein "metastabiles System". - Warum f�hrt Sartre diese Dynamizit�t ein? Weil sie den Widerspruch zun�chst einmal beseitigt. Das Bewu�tsein befindet sich, wenn es in diesem Sinne metastabil ist, n�mlich nie zum selben Zeitpunkt im Zustand des naiven Glaubens und im Zustande des Zynismus. Der Widerspruch dr�ngt sich als Beschreibung nur dann auf, wenn wir das Bewu�tsein �ber einen l�ngeren Zeitraum betrachten. (Ich denke hier an den Zeichentrickfilm "Yellow Submarine". Durch einen Farbwechsel von Bild zu Bild hat der Zeichner einen W�rfel in den Film integriert, der sowohl rot als auch gr�n ist. Der Betrachter ist geneigt, diese Formulierung zu w�hlen, obwohl ihm der permanente Wechsel von rot und gr�n als Ursache des Effektes klar ist.) - Ich erw�hne das hier, um zu zeigen, dass Sartre gew�hnlich durchaus bestrebt ist, Widerspr�che aus seiner Philosophie zu entfernen. Doch dieses Bestreben endet, wie wir gleich sehen werden, wenn es um das pr�reflexive Bewu�tsein geht.

Was erkl�rt werden muss, ist also das "metastabile System". Wie ist es m�glich, dass das System nicht zur Ruhe kommen kann? Sartre h�lt es f�r n�tig, hier das Ph�nomen des Glaubens n�her ins Auge zu fassen, denn schlie�lich glaubt ein Mensch in Schlechtem Glauben an das, was er sich eingeredet hat. Sartre unterscheidet hier den naiven Glauben vom bewu�ten Glauben. Der naive Glaube ist sich nicht bewu�t, dass er glaubt, er beinhaltet sozusagen eine direkte und einfache Relation zum geglaubten Sachverhalt. Doch der naive Glaube ist im Bewu�tsein und damit bewu�t! Wer glaubt, muss sich also bewu�t sein, dass er glaubt. Doch wer sich bewu�t ist, dass er glaubt - so Sartre - ist sich auch bewu�t, dass er "nur" glaubt, d. h. dass er den geglaubten Sachverhalt willk�rlich und unbewiesen annimmt. Die einfache und direkte Verbindung zum Gegenstand des Glaubens ist damit zerst�rt und damit der Glaube selbst! - Glaube ist also eine widerspr�chliche Angelegenheit, da sich der Glaube durch sein Bewu�twerden selbst zerst�rt. Und diese Zerst�rung tritt nicht nachtr�glich auf (ich glaube eine Zeitlang naiv, werde mir dann bewu�t, dass ich glaube und glaube somit nicht mehr) sondern unmittelbar, da ein Glaube ohne Bewu�theit unm�glich ist.

Und schon sind mir mitten im pr�reflexiven Bewu�tsein gelandet, denn f�r den Glauben gilt lediglich, was f�r jedes Bewu�tseinsph�nomen gilt: Er ist bewu�t. Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem Sartre den Widerspruch f�r unaufhebbar h�lt. Worin besteht er? - Wir erinnern uns, dass auf der pr�reflexiven Ebene Bewu�tseinstatsachen nicht begriffen werden (das geschieht erst in der Reflexion), aber vorbegrifflich bewu�t sind. Nehmen wir den Glauben als Bewu�tseinsph�nomen, heisst das: Wer glaubt, ist sich bewu�t, dass er glaubt. Nun ist der Satz "ich glaube an etwas" mit dem Satz "ich bin mir bewu�t, dass ich an etwas glaube" nicht identisch. Beide S�tze haben eine unterschiedliche Bedeutung! Glaube ist nicht identisch mit Bewu�tsein von Glaube. Wenn mit der Wahrheit des einen Satzes dennoch die Wahrheit des anderen Satzes gegeben sein muss, wie es f�r Sartre aus der Natur des Bewu�tseins folgt, liegt ein Widerspruch vor: Glaube ist nicht Bewu�tsein von Glaube und ist Bewu�tsein von Glaube:

"Das ontologische Urteil 'Der Glaube ist Bewu�tsein (von) Glaube' kann daher keinesfalls als ein Identit�tsurteil genommen werden: Subjekt und Attribut sind radikal voneinander verschieden, jedoch in der unaufl�sbaren Einheit eines selben Seins." (Die Einklammerung des "von" symbolisiert die Untrennbarkeit.)

Wie bekannt, zieht Sartre daraus nicht etwa den Schluss, dass seine Analyse falsch sein muss, weil sie paradoxe Konsequenzen hat, sondern den ganz anderen, dass die Widerspr�chlichkeit ontologisches Kennzeichen des Bewu�tseins ist. - Wie gelangen wir von dieser Widerspr�chlichkeit zur Metastabilit�t? Dieses dynamische Ph�nomen tritt erst auf der reflexiven Ebene ein. Wenn ich auf das Bewu�tseinsph�nomen Glaube reflektiere, gelange ich von der Beschreibung "Ich glaube" automatisch auf die Beschreibung "Ich bin mir bewu�t, dass ich glaube" und von dieser Beschreibung wieder zur�ck auf die erste. Die Widerspr�chlichkeit auf der nicht-reflexiven Ebene kann sozusagen nicht verarbeitet werden, was zu einem permanenten �bergang f�hrt. - Die metastabilen Systeme Sartres erinnern an die H�lle in Thomas Manns Roman "Dr. Faustus", in der die Verdammten permanent vor unertr�glicher Hitze in unertr�gliche K�lte und aus dieser zur�ck in die Hitze fliehen.

Die Uneindeutigkeit aller Bewu�tseinsph�nomene hat, wie wir gesehen haben, f�r den Glauben eine besondere Konsequenz, n�mlich die, dass jeder Glaube unm�glicher Glaube ist. Und hier setzt die Unaufrichtigkeit ein: Wenn Glaube immer falsch ist, kann ich an alles glauben, was ich glauben will. Es spielt keine Rolle, dass der nur meinen W�nschen (z. B. nach Befreiung von Angst) folgende Glaube sich selbst zerst�rt, denn das w�rde ja jeder andere Glaube gleichfalls tun.

Der Schlechte Glaube ist - so Sartre - unvermeidlich: Was immer ich �ber mich selbst glaube, ist schlechter Glaube und wenn ich versuche, ehrlich gegen�ber mir selbst zu sein, ist das lediglich eine weitere Art von Schlechtem Glauben (da ich daf�r glauben muss, dass ich bin, was ich bin). Wenn Authentizit�t nur Ehrlichkeit gegen�ber mir selbst ist, heisst das, dass sie ein unm�gliches Ideal ist. - In einer Fussnote am Schluss des Kapitels bestreitet Sartre das und grenzt den Authentizit�tsbegriff damit ab, ohne allerdings n�here Erkl�rungen zu liefern: "Wenn es gleichg�ltig ist, ob man aufrichtig oder unaufrichtig ist [...], so soll das nicht hei�en, dass man der Unaufrichtigkeit nicht radikal entgehen k�nnte. Aber das setzt eine �bernahme des verdorbenen Seins durch sich selbst voraus, die wir Authentizit�t nennen werden und deren Beschreibung nicht hierhergeh�rt."

Man kann zu Sartres Theorie des Schlechten Glaubens - denke ich - eine Menge kritischer Fragen stellen, z. B.: Entspricht Sartres Beschreibung des Glaubens wirklich dem, was wir normalerweise als "Glauben" bezeichnen? Und wenn nicht, haben wir es hier m�glicherweise mit einem �bersetzungsproblem zu tun? Und kann man tats�chlich glauben, was man will? Kann ich mich z. B. daf�r entscheiden, daran zu glauben, dass ich Geld habe, wenn ich keines habe? Wenn das n�mlich nicht so ist, stellt sich die Frage, warum ich mich in bestimmten F�llen f�r einen Glauben entscheiden kann, und in anderen nicht (was wiederum darauf hindeuten w�rde, dass Sartres Erkl�rung des Glaubens nicht ausreichend ist). - Doch da Sartres Argumentation als solche klar genug ist, w�rde das zu weit f�hren.


 Das F�r-sich-Sein


Nachdem Sartre im Zusammenhang mit dem Schlechten Glauben die wesentliche Nicht-Identit�t des Bewu�tseins (= Sein-f�r-sich) mit sich selbst aufgedeckt hat, kann er nun zu einer ersch�pfenden Beschreibung ausholen. - Dabei wird er uns mit einer Reihe metaphorischer Begrifflichkeiten eindecken, deren Notwendigkeit sich offenbar ergibt, wenn man versucht, �ber ein in sich widerspr�chliches Ding zu sprechen.

 Anwesenheit bei sich

Insofern alles, was im Bewu�tsein vor sich geht, bewu�t ist, das Bewu�tsein aber auch nicht mehr ist, als das, was in ihm vorgeht, kann man sagen, dass es f�r einen Zeugen existiert, der es selbst ist. Zeuge und Bezeugtes befinden sich in einer seltsamen Art von Einheit, die gleichzeitig Dualit�t ist. - Anstatt von "Zeuge" und "Bezeugtes" kann man auch von Spiegelung und Gespiegeltem sprechen (Sartre zieht dieses Bild vor). Das Bewu�tsein ist eine Dualit�t, die Einheit ist, eine Spiegelung, die das Gespiegelte ist. - Versuchen wir (auf der Ebene des reflexiven Bewu�tseins) eine der beiden Komponenten der Dualit�t zu fokussieren, werden wir sofort auf die jeweils andere Komponente und damit auf ihre Einheit verwiesen. Versuchen wir dagegen, die Einheit beider als solche ins Auge zu fassen, finden wir nur die beiden Komponenten.

Es ist also unm�glich, durch Reflexion das Bewu�tsein als etwas zu erfassen, das mit sich identisch ist. Sartre w�rde vermutlich darauf bestehen, dass der Zugang durch Introspektion der einzige m�gliche Zugang zum Bewu�tsein ist, so dass das Ergebnis dieser Introspektion (die Nicht-Identit�t mit sich selbst) evident ist. - Gesetzt den Fall, dass Sartre hier Recht hat, stehen wir vor dem Problem zweier Evidenzen, die zueinander im Widerspruch stehen: Die Evidenz der Reflexion (die uns sagt, dass das Bewu�tsein nicht ist, was es ist) und die Evidenz der Logik, die uns versichert, dass ein Ding sein muss, was es ist.

Sartre erw�hnt die logische Evidenz �brigens mit keinem Wort. Ohne dar�ber zu diskutieren, hat er sich f�r die Evidenz der Reflexion entschieden: Wenn die Introspektion uns verr�t, dass es logisch widerspr�chliche Sachverhalte gibt, um so schlimmer f�r die Logik. - Nat�rlich h�tte er auch ganz anders vorgehen k�nnen: Er h�tte von der logischen Widerspr�chlichkeit ihres Ergebnisses auf die Untauglichkeit der Introspektion als Instrument zur Wahrheitsfindung schliessen k�nnen (oder darauf, dass sie irgendwie falsch durchgef�hrt wurde). - (Ich denke, dass diese Entscheidung Sartres seine Ontologie hinf�llig macht, vermute aber, dass sich andere Teile seiner Philosophie- insbesondere seine Philosophie der Freiheit - ohne Schaden davon abkoppeln lassen.)

Das Bewu�tsein ist Bewu�tsein von sich und dieses "sich" rechtfertigt es, es als Sein-f�r-sich zu bezeichnen. Da das An-sich keine Dualit�t aufweist (es sei denn als unendlich dichte Vereinigung), ist das "sich" in "Sein-an-sich" irref�hrend. - Sartre bezeichnet die Dualit�t des Bewu�tseins als Anwesenheit bei sich. Da es sich dabei nicht um eine echte Dualit�t handelt (sonst best�nde kein Widerspruch mit sich selbst) beschreibt Sartre die Anwesenheit bei sich als "instabiles Gleichgewicht zwischen Dualit�t und Identit�t".

Wir sollten uns an dieser Stelle klarmachen, dass der Begriff einer Nicht-Identit�t mit sich selbst Identit�t impliziert: Was nicht mit sich selbst identisch ist, muss gleichzeitig mit sich identisch sein, da sonst der Ausdruck "sich selbst" seinen Sinn verliert. - Wenn etwas nicht mit sich identisch ist, heisst das: Es ist mit sich identisch und ist nicht mit sich identisch (oder mit einer Wendung Sartres: Es ist mit sich identisch, aber "im Modus der Nicht-Identit�t"). - (Aus dieser Anmerkung soll man nicht folgern, dass ich den Ehrgeiz habe, Cheflogiker der H�lle zu werden. Der Hinweis wird seine Wichtigkeit offenbaren, wenn es um die Diskussion der Zeit geht.)

Die Nicht-Identit�t des Bewu�tseins mit sich selbst hat Sartre dazu gef�hrt, das Nichts als Quelle jeder Negation in ihm zu verorten. Sartre fragt nun, in welcher Form das Nichts im Bewu�tsein ist und kommt zu der Schlussfolgerung, dass es nicht in Form eines Abstandes vorliegen kann. Ein Abstand trennt zwei Dinge dadurch, dass ein Etwas zwischen sie geschoben wurde. Ein Etwas ist aber positiv und daher nicht das Nichts. Da das Nichts also kein Etwas sein kann, ist es unm�glich, es durch Introspektion aufzuweisen (in dem Sinne, dass ich auf mein Bewu�tsein reflektiere, und dann sage: "Aha, da ist es ja, das Nichts!"). Das Nichts ist zwar das, was Glaube und Bewu�tsein von Glaube voneinander trennt, ein "Riss" im Bewu�tsein, wie Sartre sagt, dieser Riss ist aber unendlich klein. - Man sieht, auf was diese Betrachtungen Sartres hinauslaufen: Auf eine ungl�ckliche Verbildlichung der logischen Nicht-Identit�t. Warum merkt er an dieser Stelle nicht, dass die Vergegenst�ndlichung des Nichts keine gute Idee war?

Sartre pr�sentiert seine Ontologie des F�r-sich in diesem Zusammenhang �brigens als L�sung f�r ein von Spinoza aufgeworfenes Problem, das man in diesem Kontext so beschreiben kann: Wenn ich mir bewu�t bin, dass ich glaube, bin ich mir auch bewu�t, dass ich mir bewu�t bin, dass ich glaube usw. Wir sto�en also auf einen Regress, der zu der unhaltbaren Konsequenz f�hrt, dass ich mir unendlich vieler Sachverhalte bewu�t sein muss, mein Bewu�tsein also �ber eine Art unendlicher Kapazit�t verf�gen muss. - In Sartres Theorie tritt das Problem nicht auf, da das Bewu�tsein von Glaube ja mit dem Glauben zusammenf�llt (und damit das Bewu�tsein des Bewu�tseins von Glaube mit dem Bewu�tsein von Glaube usw.) und sich eine Unendlichkeit lediglich in der Form der unendlichen Hin- und Herbewegung bei dem Versuch, den Glauben reflexiv begrifflich zu erfassen, ergeben kann: "Bewu�tsein (von) Glaube und Glaube sind also ein und dasselbe Sein, dessen Charakteristikum die absolute Immanenz ist. Sobald man aber dieses Sein erfassen will, entgleitet es zwischen den Fingern, [...]."

Ich m�chte hier kurz eine andere M�glichkeit ansprechen, das Problem zu l�sen, die von Wittgenstein angedeutet wurde: Dass ich mir bewu�t bin, dass ich glaube, dr�ckt kein Bewu�tseinsfaktum aus, sondern eine Disposition: Wenn man mich fragt, ob ich mir bewu�t bin, dass ich glaube, kann ich darauf z. B. mit Ja antworten. "Bewu�tsein von Glaube" besagt nicht mehr als nur das Bestehen dieser Disposition. Eine Unendlichkeit von Dispositionen wirft nun kein besonderes Problem auf: Sie besagt lediglich, dass ich auf unendlich viele Fragen (z. B. die Frage, ob ich mir bewu�t bin, dass ich mir bewu�t bin, zu glauben) mit Ja antworten k�nnte. (Sie besagt eben nicht, dass diese Unendlichkeit schon irgendwo existiert.) - Die scheinbare Widerspr�chlichkeit des Bewu�tseins bei Sartre ergibt sich, wie viele Probleme im Zusammenhang mit dem Bewu�tsein, daraus, dass man bewu�tseinsunabh�ngige Sachverhalte, die man nicht genau verorten kann, unrechtm��ig in das Bewu�tsein hineinprojiziert.

 Faktizit�t: Existenz

Wer sagt "Es gibt ein Ding, das nicht mit sich identisch ist" benutzt darin die Wendung "Es gibt". Er spricht also �ber etwas, das existiert, selbst wenn es "in seinem Sein von Nichts durchzogen" ist und "nicht ist, was es ist und ist, was es nicht ist" (oder umgekehrt). Als existierendes Etwas ist es, trotz seiner inneren Uneindeutigkeit, bestimmbar: Z. B. kann ich �ber einen Menschen (ein Bewu�tsein) sagen, dass er im 21. Jahrhundert in Deutschland lebt und in �rmliche Verh�ltnisse hineingeboren wurde. Selbst wenn das Bewu�tsein v�llig frei ist, befindet es sich in einem bestimmten zeitlichen Kontext, den es nicht gew�hlt hat. (Seinen r�umlichen Kontext kann es meistens ver�ndern, aber nur ausgehend von einem bestimmten r�umlichen Ausgangspunkt, der wiederum nicht frei gew�hlt wurde.)

Daraus ergibt sich nur scheinbar eine Beschr�nkung der Freiheit des Bewu�tseins: Sartre wird sp�ter darlegen, dass die Freiheit der Wahl zur Voraussetzung hat, dass es Wahlm�glichkeiten gibt, die ihrerseits nicht Gegenstand einer Wahl sind. (Die Menschen, die zu der Entscheidung gezwungen waren, entweder bei lebendigem Leib zu verbrennen oder sich aus den oberen Stockwerken des World Trade Centers zu Tode zu st�rzen, waren v�llig frei - auch wenn ihr Entscheidungsspielraum schmal war.)

Diese bestimmbare Seite des F�r-sich bezeichnet Sartre als seine Faktizit�t. An ihr kann man zwei Aspekte unterscheiden: Zu meiner Faktizit�t geh�ren die Umst�nde, unter denen ich existiere, und auch, dass ich �berhaupt existiere. Mit diesem Aspekt befasst sich Sartre zuerst.

Leider ist es hier notwendig, wieder auf das vergegenst�ndlichte Nichts zur�ckzugehen. Das Nichts existiert im Kern des F�r-sich als die L�cke, die die beiden Komponenten der Totalit�t des F�r-sich voneinander trennt. Erinnern wir uns, dass Sartre den parasit�ren Charakter des Nichts betont hatte: Ein Nichts ist immer relativ auf ein Sein. Aus dieser Feststellung (die sich bei n�chterner Betrachtung auf die Feststellung reduzieren l�sst, dass jede Negation etwas voraussetzt, das negiert wird) leitet Sartre seltsamerweise ab, dass das Nichts vom Sein erzeugt worden sein muss. Diesen metaphysischen Mythos bezeichnet er als das "absolute Ereignis". Er beginnt (wie alle Mythen, ausserhalb der Zeit) mit dem Versuch des Seins-an-sich, sich selbst zu begr�nden. - Um das zu verstehen, m�ssen wir den Begriff "Grund" ins Auge fassen.

Schopenhauer hatte als erster beschrieben, dass das Wort "Grund" in unterschiedlichen Bedeutungen benutzt wird: Er unterscheidet die Bedeutungen Motiv, Erkenntnisgrund, Ursache und Seinsgrund. Ein Erkenntnisgrund ist eine Aussage, aus deren Wahrheit die Wahrheit einer anderen Aussage abgeleitet werden kann. Seinsgrund und Ursache lassen sich nicht allzu deutlich auseinanderhalten: Der Seinsgrund eines Dings ist etwas, ohne dass dieses Ding nicht existieren w�rde, was nat�rlich auch auf eine Ursache bezogen werden kann (aber auch z. B. auf den Zweck eines Werkzeugs - ohne den im Kopf des Handwerkers gesetzten Zweck, zu schneiden, w�rde es das Papiermesser nicht geben). Wenn ich eine Ursache oder einen Seinsgrund f�r ein Ding oder einen Sachverhalt finde, finde ich damit gleichzeitig einen Erkenntnisgrund: Die Aussage, dass der Seinsgrund oder die Ursache gegeben sind (plus der Aussage, dass solche Ursachen / Seinsgr�nde immer zu solchen Wirkungen f�hren), impliziert die Aussage, dass das Begr�ndete existiert und ist daher ihr Erkenntnisgrund.

Wenn Sartre hier von Grund oder Begr�nden spricht, ist prim�r von Seinsgr�nden die Rede. - Weil das Sein-an-sich keinen Seinsgrund haben kann, da es nicht entstehen kann, ist es kontingent (nicht notwendig). Sartres Mythos behauptet nun, dass das grundlose Sein-an-sich das Bestreben entwickelt, sich einen Grund zu verschaffen. Damit ein Ding einen Seinsgrund haben kann, m�ssen das Ding und der Seinsgrund verschiedene Dinge sein. Das Vorhaben des Seins-an-sich beginnt also mit einer Aufspaltung seiner selbst. Diese Aufspaltung ist die einzige M�glichkeit des Seins-an-sich, da es kein Sein erzeugen kann, wohl aber Nichts (bitte, ich kann nichts daf�r)!

Die Aufspaltung geschieht in der Hoffnung, dass, da das Sein jetzt in Distanz zu sich selbst existiert, auch eine Selbstbegr�ndung m�glich ist. Doch der Plan scheitert: Das Sein hat nicht etwa sich selbst begr�ndet, sondern nur sein Nichts (der Grund des Nichts ist das Sein, aus dem es hervorging)! Die Dualit�t ist ja nicht vollst�ndig realisiert, das alte Sein-an-sich, aus dem sie hervorging, existiert noch als die Totalit�t seiner Komponenten, als Totalit�t des Systems Spiegelung / Spiegelndes (also als Aspekt der Faktizit�t) und als solches ist es nach wie vor kontingent, unbegr�ndet: "Doch dieses An-sich, versunken und genichtet in dem absoluten Ereignis, das das Erscheinen des Grundes oder das Auftauchen des F�r-sich ist, bleibt innerhalb des Bewu�tseins als dessen urspr�ngliche Kontingenz." - Das menschliche Leben ist f�r Sartre, wie wir sehen werden, nichts als die tragische Fortsetzung dieser Geschichte eines Scheiterns.

Ich werde das nicht kritisch kommentieren, m�chte aber erw�hnen, dass mich die von Sartre erz�hlte Geschichte an eine andere Geschichte erinnert, die Schopenhauer erz�hlt: Nach ihm entwickelt der Weltwille aus irgendeinem r�tselhaften Grund pl�tzlich das Bestreben, sich in Lebewesen zu individualisieren - ein Bestreben, dass zwar gl�ckt, aber negative Konsequenzen hat, insofern das Leben der Individuen wesentlich von Leid gepr�gt ist, so dass Schopenhauer den Abbruch des Versuches empfiehlt (nicht durch Selbstmord, sondern durch sexuelle Enthaltsamkeit).

 Die Kontingenz und Gott als notwendiges Wesen

Das Bewu�tsein ist kontingent, insofern es als Totalit�t an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit existiert. Sartre hatte einmal gesagt, dass das Nichts im Sein ist wie der Wurm im Apfel. Beziehen wir dieses Bild auf das Sein-f�r-sich als die Region des Seins, in der sich das Nichts aufh�lt, so k�nnen wir den Apfel, wie er sich von aussen pr�sentiert (man kann nicht sehen, dass ihn im Inneren ein Wurm ausgeh�lt hat) mit unserer faktischen Existenz identifizieren: Wir existieren faktisch, so wie ein Tisch existiert. Dass unser Seinsstoff im Unterschied zum Seinsstoff des Tischs das Nichts enth�lt, sieht man uns nicht an, denn was man sieht, ist die H�lle von Sein-an-sich, die das ausgeh�hlte Sein noch umgibt wie die Schale des Apfels sein marodes Inneres. (Ich bin �berzeugt, dass Bilder dieser Art Sartres Denken stark bestimmt haben.)

Da sich der Wurm jedoch aus dem Apfel entwickelt hat, teilt er dessen Kontingenz nicht. Das Nichts in uns ist nicht kontingent, sondern hat einen Seinsgrund, n�mlich das Sein-an-sich, aus dem es im absoluten Ereignis hervorging. Das F�r-sich hat sich (sein Nichts) insofern es An-sich ist, begr�ndet, aber dadurch noch nicht sein An-sich. - Aufgrund der Ambivalenz des Bewu�tseins, das sowohl sein Sein als auch sein Nichts ist, kann man nat�rlich dieses Begr�ndetsein des Nichts als ein Selbstbegr�ndetsein des Bewu�tseins beschreiben: Das Bewu�tsein ist in der Hinsicht, in der es nichts ist, begr�ndet.

Doch merkw�rdigerweise identifiziert Sartre diese Notwendigkeit mit der Notwendigkeit des "Ich denke, also bin ich" und bem�ht daf�r Husserls Ausdruck "Notwendigkeit eines Faktums". - Doch was hat Husserl mit diesem Ausdruck gemeint? In seiner "Ph�nomenologischen Fundamentalbetrachtung" spricht er davon, dass das aktuelle Erlebnis (der aktuelle Bewu�tseinsinhalt) notwendig existiert, weil ich darauf reflektiere, w�hrend es aber an sich ein kontingentes Faktum darstellt (die Existenz ist kein Wesensmerkmal des aktuellen Erlebnisses). Die "Notwendigkeit eines Faktums" ist also eine Notwendigkeit auf der Erkenntnisebene und besagt nichts �ber einen Seinsgrund des aktuellen Erlebnisses. - (Wer es besser weiss, soll mir eine Mail schicken!)

Nach Sartre ist uns unsere Kontingenz (also die Grundlosigkeit unserer Existenz) bewusst. Er verweist in diesem Zusammenhang auf Descartes, der dieses Bewu�tsein bereits in seinem Cogito-Experiment erfasst, aber missverstanden habe. Die Rede ist von Descartes Gottesbeweis (oder eigentlich: von einem seiner Gottesbeweise). - Wie hatte Descartes argumentiert? Descartes Beweis ging von der Feststellung aus, dass wir uns unserer Unvollkommenheit bewu�t sind, aber gleichzeitig den Begriff von Vollkommenheit besitzen. H�tten wir uns nun selbst erzeugt (w�ren wir unser eigener Seinsgrund), so h�tten wir uns nat�rlich als vollkommene Wesen erzeugt und nicht als unvollkommene.

F�r Sartre liegt der Fehler Descartes darin, dass er nicht an diesem Punkt stehenbleibt, sondern weiter argumentiert: Aus dem Begriff der Vollkommenheit, den wir in uns vorfinden, m�sse man schliessen, dass es ein vollkommenes Wesen gibt (da ein Konzept von Vollkommenheit in einem unvollkommenen Wesen nicht aus diesem selbst stammen k�nne). Descartes gelangt zu der Schlussfolgerung, dass dieses vollkommene Wesen der Grund f�r unsere Existenz als unvollkommene Wesen sein muss.

Dieser Beweis alleine konnte f�r Descartes nicht alles sein: Dass der Mensch seinen Seinsgrund in einem h�heren Wesen haben muss, ist lediglich ein befriedigendes Zwischenergebnis, da man ja immer noch nach dem Seinsgrund dieses vollkommenen Wesens fragen kann. - Die Antwort darauf liefert Descartes mit seiner �bernahme des ontologischen Gottesbeweises, die darauf hinausl�uft, dass ein vollkommenes Wesen zwingend existieren muss, da Nichtexistenz eine Form der Unvollkommenheit ist.

Descartes Bewu�tsein seiner Kontingenz hat ihn also gleich dazu gef�hrt, die Kontingenz durch R�ckgriff auf Gott abzuschw�chen: Zwar sind wir kontingent, aber immerhin ist unser Seinsgrund nicht kontingent. - Sartre lehnt diese Relativierung der Kontingenz strikt ab und leugnet, dass es nicht kontingente Wesen geben kann. Sein Standpunkt ist: Wir sind kontingent und wir wurden nicht erschaffen - und damit m�ssen wir leben!

Ein Wesen, dass existieren muss, da die Existenz zu seinem Begriff geh�rt, wird auch als notwendig existierendes Wesen bezeichnet und bildet den Gegenpol zu einem nur kontingent existierenden Wesen. - Sartre geht in seiner Kritik an diesem Beweis nicht den �blichen Weg, der darin besteht, zu zeigen, dass Existenz generell kein Pr�dikat sein kann und damit auch nicht das Pr�dikat eines vollkommenen Wesens. Sondern er betont zun�chst - wie eben bereits erw�hnt - die Notwendigkeit einer Dualit�t, die f�r jede Selbstbegr�ndung besteht: Wenn Gott sein eigener Seinsgrund ist, hat er vorher bereits existiert, und zwar unbegr�ndet, kontingent. - Doch trifft das den ontologischen Beweis wirklich? Behauptet der Beweis, wenn er behauptet, dass Gottes Existenz aus seinem Begriff folgt, dass Gott der Grund seiner Existenz ist? Behauptet der Beweis nicht eher, dass Gott gar keinen Seinsgrund ben�tigt, da seine Existenz aus logischen Gr�nden notwendig ist?

Sartre bringt dann eine zweites Argument gegen den ontologischen Beweis anhand seiner Leibnizschen Variante. Leibniz definiert das Notwendige als ein Sein, dessen M�glichkeit die Existenz impliziert. - Er meint damit folgendes: Wenn ich den Begriff eines Wesens besitze, dessen Pr�dikate sich nicht widersprechen, ist dieses Wesen m�glich (ein viereckiger Kreis ist nicht m�glich, ein gr�ner Schwan jedoch schon). Wenn dieser Begriff nun Existenz als Pr�dikat umfasst (wie der Begriff des vollkommensten Wesens) heisst das, dass aus der M�glichkeit eines solchen Wesens seine Existenz folgt: Das Wesen ist in diesem Falle notwendig. (Die Variante unterscheidet sich nicht wesentlich von der �lteren Version des Beweises.) - Leibniz meint mit M�glichkeit die logische M�glichkeit, und nicht die Realm�glichkeit (die Unterscheidung ist uns schon begegnet), f�r Sartres Argumentation ist das jedoch gleichg�ltig.

Wenn etwas nur m�glich ist, ist es nicht wirklich. M�glichkeit impliziert also Negation, woraus folgt, dass das Sein-an-sich, so wie Sartre es charakterisiert hat, keine M�glichkeiten haben kann: M�glichkeiten werden, wie alle negativen Sachverhalte, vom Bewu�tsein erzeugt. - Sartre illustriert das anhand einer Billiardkugel, deren Bahn durch eine Falte im Filz beeinflusst werden k�nnte. Diese M�glichkeit besteht - so Sartre - nicht f�r die Billiardkugel selbst, sonst ausschlie�lich f�r den Billiardspieler als Zeuge der Situation.

Nun ist die Existenz der Billiardkugel als von anderen Dingen unterschiedenes Ding im Sinne Sartres ebenfalls nur f�r das Bewu�tsein. Das Sein-an-sich ist ja frei von Negativit�t und daher nicht in Dinge unterteilt. (Die Dinge existieren zwar objektiv, aber lediglich deshalb, weil die auf das Sein-an-sich �bertragene Negativit�t des Bewu�tseins selbst objektiv ist - n�mlich als Nichts im F�r-sich.) - Wir sehen hier, wie an vielen anderen Stellen, dass Sartre das bereits zur Welt gewordene Sein-an-sich immer noch als Sein-an-sich anspricht: Wir sollten uns hier an die Grundstoff-Interpretation von Sartres Grundbegriff erinnern. Die Kugel wurde zwar vom Bewu�tsein aus dem Sein-an-sich quasi herausgeschnitten, beh�lt davon abgesehen jedoch die Charakteristiken des Seins-an-sich, das ihr Stoff ist.

Sartres Argument besagt dann, dass eine M�glichkeit, die dem Sein �u�erlich ist (wie die M�glichkeiten der Billiardkugel der Billiardkugel - insofern sie Sein-an-sich ist - �u�erlich sind) nicht in der Lage sein kann, ein Sein zu begr�nden. Aus einer M�glichkeit kann also keinesfalls die notwendige Existenz eines Dings abgeleitet werden. - Doch Sartre erw�hnt hier noch eine zweite Art von M�glichkeiten, die seiner Ansicht nach diesem Verbot nicht unterworfen sind, n�mlich die M�glichkeiten des F�r-sich (die sich aus der Spontaneit�t des Bewu�tseins ergeben). Diese M�glichkeiten sind dem Sein, das sie betreffen, nicht �u�erlich, sondern sein ontologisches Merkmal.

Stellen wir uns nun vor, dass Gott ein Sein-f�r-sich ist und nehmen wir weiterhin an, dass aus einer M�glichkeit dieses Seins-f�r-sich seine Existenz folgen w�rde. Doch das Sein-f�r-sich ist - wie uns erkl�rt wurde - ein Sein-an-sich, das sich selbst in einem absoluten Ereignis mit Nichts infiziert hat. Wenn Gott also als Sein-f�r-sich notwendiges Wesen w�re, m�sste er doch zuvor bereits als Sein-an-sich existiert haben, und dieses An-sich w�re, wie alles Sein-an-sich, kontingent. - Wie immer man es also anstellt, um zu einem notwendigen Wesen zu gelangen: Am Ende gelangt man doch immer zu einem kontingenten, unbegr�ndeten, "zuf�llig" existierenden Wesen.

Aber ist es nicht einfach denknotwendig, dass alles, was kontingent existiert, seinen Seinsgrund in einem notwendig Existierenden haben muss? Auf diesen m�glichen Einwand kontert Sartre mit zwei Argumenten. - Zum einen verweist er darauf, dass selbst die Wahrheit dieses Satzes den ontologischen Beweis nicht st�tzen k�nnte: Der Satz versichert uns zwar, dass das Kontingente aus einem Notwendigen hervorging, zeigt uns aber weder das Notwendige, noch wie man f�r ein bestimmtes Kontingentes beweisen kann, dass es daraus hervorging. - Der Satz k�nnte also auch dann wahr sein, wenn ein solcher Beweis unm�glich w�re (wobei im Falle seiner Wahrheit aber zumindest bewiesen w�re, dass es f�r jedes Kontingente irgendein Notwendiges gibt, aus dem es hervorging).

Das zweite Argument bestreitet den Satz, dass alles, was kontingent existiert, seinen Seinsgrund in einem notwendig Existierenden haben muss. - Hier sei der Wunsch Vater des Gedankens: Es ist f�r uns unbefriedigend, in unseren Begr�ndungen keinen definitiven Abschluss zu finden, also postulieren wir, dass es einen solchen Abschluss geben muss. Der Satz dr�ckt ein Vernunftideal aus, aus dem nicht folgt, dass das Ideal verwirklicht werden kann (vergleichbar der Weltformel der Physiker).

Was f�r Sartre letztlich von Descartes Gottesbeweis von Dauer ist, ist die darin ausgesprochene Gewissheit, dass wir kontingent sind. - Doch Sartre kennt bereits eine andere Form des Bewu�tseins unserer Kontingenz, n�mlich die Angst. In der Angst wird uns nicht nur unsere Freiheit bewu�t, sondern auch unsere Faktizit�t - genauer gesagt, f�r Sartre f�llt beides zusammen, da Freiheit und Faktizit�t korrespondieren (siehe voriger Abschnitt).

 Faktizit�t: Umst�nde der Existenz

Sartre verwendet die Begriffe "Faktizit�t" und "Situation" h�ufig in gleichen Kontexten. Die beiden Begriffe sind f�r Sartre aber nicht bedeutungsgleich und lassen sich wie folgt auseinanderhalten (wie erst im 4. Teil seines Werkes richtig deutlich wird): Die Faktizit�t ist das, was an einem Individuum von aussen erfassbar ist - die objektiven Fakten, die die Stellung des Individuums ausmachen, so wie sie von Anderen beschrieben werden k�nnen. Die Situation wiederum ist die Faktizit�t, so wie sie vom Bewu�tsein erfasst wird, also von der subjektiven Seite aus betrachtet. Die Situation ist das Verh�ltnis, in dem das Bewu�tsein zu seiner Faktizit�t steht.

Unsere Faktizit�t beschr�nkt sich nicht nur auf die Tatsache, dass wir ohne Seinsgrund existieren, sondern umfasst auch die Umst�nde dieser Existenz. Weil das F�r-sich als Totalit�t von Spiegelung / Spiegelndes existiert, existiert es auch zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Doch die Faktizit�t umfasst noch mehr: Auch die sozialen Rahmenfaktoren des Lebens geh�ren dazu. - Nun k�nnte man denken, dass sich die Faktizit�t doch im Laufe des Lebens reduzieren m�sste: Zwar habe ich den Ort meiner Geburt nicht gew�hlt, befinde mich aber als Erwachsener - zumindest als durchschnittlicher Mitteleurop�er der Jetztzeit - meist an Orten und unter Umst�nden, wohin ich wenigstens teilweise durch freie Entscheidungen gelangt bin, also durch die Spontaneit�t meines Bewu�tseins.

Sartre wird uns sp�ter erkl�ren, dass das keineswegs ein Schrumpfen der Faktizit�t bedeutet: Die Umst�nde, unter denen ich mich befinde, geh�ren immer zu meiner Faktizit�t, auch wenn ich f�r sie verantwortlich bin. Das F�r-sich, das ich war, als ich mich in Deutschland daf�r entschied, nach Australien auszuwandern, bin ich jetzt in Australien nicht mehr. Dass ich mich damals so und so verhielt, ist f�r mein gegenw�rtiges Bewu�tsein Aspekt seiner Faktizit�t, ebenso wie der Platz der Geburt.

In diesem Zusammenhang wird noch einmal der ber�hmte Kellner mit seinem Schlechten Glauben erw�hnt. - Sartre hatte aus der Tatsache, dass der Kellner nie Kellner sein kann, da er als F�r-sich immer mehr ist als die soziale Rolle, die er innehat, die Schlussfolgerung gezogen, dass er sein Kellnersein als eine Komm�die vor sich selbst auff�hrt, um sich so von seiner Freiheit abzulenken. Doch was ist der Unterschied zwischen einem Kellner, der so tut, als w�re er Diplomat und einem Kellner, der so tut, als w�re er Kellner? Denn beide spielen doch eine Komm�die, tun so, als w�ren sie, was sie nicht sind.

Die Differenz besteht darin, dass das Kellnersein zur Faktizit�t des Kellners geh�rt, das Diplomatsein nicht. Insofern der Kellner ist, was er ist (n�mlich als faktisch existierende Totalit�t des Bewu�tseins), kann man sagen, dass er Kellner ist (w�hrend man nicht sagen kann, dass er Diplomat ist). Doch insofern der Kellner nicht ist, was er ist, als Bewu�tsein in seiner Freiheit, kann er kein Kellner sein. Doch da er mit seiner Komm�die ja versucht, es zu sein (oder sich einzureden, er w�re es) nennt Sartre diese Komm�die "realisierende Komm�die".

 Aus dem Cogito hinausgelangen

Sartre beginnt den Abschnitt "Das F�r-sich und das Sein des Wertes" mit einer Erw�hnung von Descartes� Gedankenexperiment. - Das "Cogito ergo sum" als durch Introspektion erlangte einzige Gewissheit, an der sich nicht zweifeln l��t, wirft n�mlich das Problem auf, wie man ausgehend von dieser Gewissheit zu weiteren Erkenntnissen gelangen kann. Descartes und Sartre als sein methodischer Nachfolger, dessen philosophisches System gleichfalls von introspektiv erfassten Gewissheiten ausgeht, und der sich h�ufig und ausdr�cklich auf Descartes beruft, wollen sich keineswegs mit dem begn�gen, was das Cogito zun�chst enth�llt hat, sondern ben�tigen es als sicheres Fundament f�r den Bau ihrer philosophischen Geb�ude.

Die Frage ist also, ob das Cogito etwas ist, auf dem man bauen kann, oder ob man dazu verdammt ist, bei ihm als dem letzten Rest der Wissenschaft stehenzubleiben, da alles andere dem methodischen Zweifel zum Opfer gefallen ist. - Sartre formuliert diese Frage an anderer Stelle so: Wie ist es m�glich, aus dem Cogito hinauszugelangen? (Denken wir �brigens daran, dass Sartre zwei Cogitos kennt: Das pr�reflexive und das reflexive. Das eine meint die Introspektion, die nicht mit Reflexion verbunden ist, und die der nat�rliche und notwendige Zustand des Bewu�tseins ist, da ja alles im Bewu�tsein bewu�t ist, und das zweite meint das Fokussieren eines Bewu�tseinsfaktums durch Introspektion, was zu einer begrifflichen Erfassung dieses Faktums f�hrt.)

Diese Frage steht in Beziehung zu der Frage, mit der die "Einleitung" geendet hatte: Wie lassen sich die beiden getrennten Seinsbereiche Sein-an-sich und Sein-f�r-sich in Verbindung bringen? - Die Antwort Sartres war der "ontologische Beweis" (nicht zu verwechseln mit dem ontologischen Gottesbeweis!), der aus dem Begriff des Bewu�tseins (Bewu�tsein ist immer Bewu�tsein von etwas) das bewu�tseinsunabh�ngige Sein erschlie�t. - Da die Intentionalit�t des Bewu�tseins f�r Sartre eine Struktur ist, die sich im Cogito enth�llt, haben wir an dieser Stelle bereits erlebt, wie man, ohne das Cogito als Basis aufzugeben, aus ihm hinausgelangen kann.

Sartre hat seine Bewu�tseinsorientierung von Husserl geerbt, der seinerseits versucht hatte, durch Anwendung von Descartes Methode eine Grundlegung der Wissenschaften zu leisten. Husserl - zumindest interpretiert ihn Sartre so - hatte den Weg aus dem Cogito heraus nie gefunden (oder sp�ter wieder verloren), und so war seine sp�tere Philosophie zu einer Variante des Idealismus geworden. - Idealismus heisst hier, dass das transph�nomenale Sein ins Bewu�tsein verlegt wird, was darauf hinausl�uft, dass es nur noch den einen Seinsbereich gibt. Einen idealistischen Ansatz will Sartre unbedingt vermeiden!

Doch Husserl hatte bekanntlich noch einen weiteren ber�hmten Nachfolger, n�mlich Heidegger. Heidegger - so Sartre - lehnte die vom sp�ten Husserl praktizierte Beschr�nkung auf den Bereich des Bewu�tsein ebenfalls ab, und fand zu dem Ausweg, in seinem philosophischen Ansatz auf das Bewu�tsein v�llig zu verzichten. - Sartre h�lt das f�r einen Irrweg: Heideggers Philosophie benutzt Begriffe wie "Verstehen" (nicht mit dem Alltagsbegriff identisch!), die auf Bewu�tsein verweisen: "[...] man kann die Dimension 'Bewu�tsein' nicht zun�chst fortlassen, und sei es auch, um sie dann wiedereinzuf�hren. Das Verstehen hat nur Sinn, wenn es Bewu�tsein von Verstehen ist. [...] Andernfalls f�llt das ganze System des Seins und seiner M�glichkeiten ins Unbewu�te, das hei�t ins An-sich. Wir sind hier wieder auf das Cogito zur�ckgeworfen."

Sartre unterstellt also, dass Heideggers Verzicht darauf hinausl�uft, den Menschen zu einem unbewu�ten Ding zu machen. - Der Rekurs auf das Cogito an dieser Stelle will uns daran erinnern, worauf es bei der weiteren Diskussion des Seins-f�r-sich eigentlich ankommt: Sie soll uns zeigen, wie man, ohne die Evidenz der Introspektion zu verlieren, zu einer Philosophie gelangt, die sowohl das Bewu�tsein als auch das bewu�tseinsunabh�ngige Sein umfasst und zwischen beiden sinnvolle Verbindungen herstellt.

 Mangel und Begierde

Das Sein-f�r-sich ist das Resultat eines gescheiterten Versuches des An-sich, sich einen Seinsgrund zu verschaffen. Der Versuch - damit endete Sartres Geschichte vorl�ufig - f�hrte nicht zu einem begr�ndeten An-sich, sondern zur Hervorbringung des Nichts. Das Nichts besitzt nun zwar einen Seinsgrund - n�mlich das Sein, aus dem es hervorging - das Sein-f�r-sich als Totalit�t ist jedoch weiterhin kontingent. - Sein Zustand ist also in zweierlei Hinsicht unbefriedigend: Erstens ist es mit sich selbst nicht identisch, es ist von Nichts "durchzogen", existiert - wie Sartre sagt - nur "verst�mmelt". Zweitens fehlt ihm immer noch der Seinsgrund!

Jetzt deutet sich die Fortsetzung dieser Geschichte an: Das, was dem F�r-sich fehlt, versucht es sich zu verschaffen. Um vorzugreifen: Es wird ihm wieder nicht gelingen, jedoch ist dieser zweite verfehlte Versuch so etwas wie die Hauptbesch�ftigung des Bewu�tseins, der eigentliche Inhalt des menschlichen Lebens. - Das wird sich im folgenden Abschnitt kl�ren.

Sartre spricht in diesem Zusammenhang ein Problem an, das sich ergibt, wenn man den Menschen - wie es Biologie und Medizin tun - als physikalisch-chemischen Komplex betrachtet und alle Bewu�tseinsph�nomene auf physikalisch-chemische Ph�nomene zur�ckf�hrt. Das Problem besteht darin, dass es unm�glich ist, auf dieser Ebene zu erkl�ren, dass der Mensch Begierden hat:

Denn alles, was die naturwissenschaftliche Beschreibung erfasst, sind physiologische Zust�nde, die naturgesetzlich aufeinander folgen. Ein Zustand kann jedoch keine Begierde haben oder sein! Ein Zustand ist lediglich ein Zustand, der Begriff "Begierde" l��t sich daran nicht festmachen. - "Wie k�nnte man denn die Begierde erkl�ren, wenn man in ihr einen psychischen Zustand sehen wollte, das hei�t ein Sein, das seiner Natur nach das ist, was es ist?" - Sartre f�hrt folgendes Beispiel an: Nehmen wir an, ein Mensch der Durst hat, soll naturwissenschaftlich beschrieben werden. Die Beschreibung erfasst zun�chst gewisse physiologische Merkmale, die typischerweise auftreten, wenn ein Mensch Durst hat - z. B. verdickt sich das Blut, weil sich der Organismus der Austrocknung n�hert. Nehmen wir an, die Technik der beschreibenden Wissenschaftler sei sehr hoch entwickelt, so kann die Beschreibung mit neurologischen Tatsachen fortfahren. Es k�nnte z. B. beschrieben werden, wie die physiologischen Merkmale des Durstes Neuronalvorg�nge ausl�sen, die wiederum (in vielen F�llen) zu einem bestimmten Verhalten f�hren, zur Ausl�sung bestimmter Muskelreaktionen, die z. B. auch in einer Sprachreaktion bestehen k�nnen: "Ein Bier, sonst streik' ich hier!").

Ganz gleichg�ltig, wie pr�zise eine solche Erkl�rung ist, sie kann den Durst als Begierde nicht erfassen. Zum einen entgeht ihr der subjektive Erlebnischarakter des Durstes, doch das ist nicht der Aspekt, der f�r Sartre hier wichtig ist. Das Problem w�rde auch f�r eine deterministische Psychologie auftreten, die Gesetzm�ssigkeiten f�r Bewusstseinszust�nde aufstellt. - Der wesentliche Punkt ist der Verweischarakter, den Begriffe wie Begierde, Wunsch, Wille, Verlangen usw. haben: Zust�nde verweisen auf nichts oder nur auf sich selbst, w�hrend diese Begriffe einen Verweis auf zuk�nftige (begehrte) Zust�nde enthalten: "Ein Sein, das das ist, was es ist, verlangt nichts f�r sich, um sich zu vervollst�ndigen."

Der Zustand einer verdickten, hygroskopischen Kochsalzl�sung verweist nicht auf einen Zustand, in dem die L�sung mehr Wasser enth�lt als zum aktuellen Zeitpunkt. Die Kochsalzl�sung hat keine Begierde nach mehr Wasser, und daher kann auch der menschliche K�rper - physiologisch aufgefasst - mit allen Muskeln, Neuronen, Neurotransmittern usw. keine Begierde nach Wasser haben. Eine Begierde ist eine Begierde nach etwas und das heisst, dass der begehrte Zustand in der Begierde in einem gewissen Sinne bereits enthalten sein muss. - Sartre kommt zu der Schlussfolgerung, dass Begierden nicht durch R�ckf�hrung auf Zust�nde, sondern nur durch R�ckf�hrung auf andere Begierden erkl�rt werden k�nnen.

Bis hierhin kann man Sartre sehr gut folgen (vielleicht sogar beistimmen). Doch dann tut er etwas Merkw�rdiges: Er behauptet n�mlich, dass der Begriff der Begierde auf den Begriff des Mangels zur�ckgef�hrt werden kann: Ein Mangel ist die Erkl�rung f�r eine Begierde. Und f�hrt fort, dass alle Begierden auf eine grundlegende Begierde zur�ckgef�hrt werden k�nnen, die wiederum durch einen grundlegenden Mangel erkl�rt werden muss. Und dieser grundlegende Mangel ist - der Zustand des F�r-sich als unvollst�ndiges Sein.

Und hier sind wir wieder mitten in der von Sartre erz�hlten Geschichte: Das aus dem An-sich entstandene F�r-sich hat den Mangel, nicht zu sein, was es ist und den Mangel, keinen Seinsgrund zu haben. - Wenn ein Mangel vorliegt, m�ssen drei Aspekte gegeben sein, so erkl�rt uns Sartre, ein wenig scholastisch: das Existierende, dem etwas mangelt, das Mangelnde, das dem Existierenden fehlt und die verfehlte Totalit�t, die sich ergibt, wenn das Existierende mit dem Mangelnden vereinigt wird.

Nehmen wir die Mondsichel als Beispiel f�r etwas Existierendes, dem etwas mangelt, so ist das Mangelnde der Rest der Kreisfl�che und die verfehlte Totalit�t der Vollmond. Doch mangelt der Mondsichel wirklich etwas? Nat�rlich nicht, nur der Mensch, der sie beobachtet, kann auf diesen Gedanken kommen (z. B. dann, wenn er das Licht des Vollmonds braucht, um auf die Jagd gehen zu k�nnen). Denn auf der Ebene des An-sich kann es keinen Mangel geben. Das Mangelhafte der Mondsichel erkl�rt sich durch ein menschliches Begehren und das menschliche Begehren (z. B. das Begehren, nachts zu jagen) verweist auf den grundlegenden Seinsmangel, der das F�r-sich kennzeichnet. - Wie das zu verstehen ist, wird Gegenstand des folgenden Abschnitts sein.

(Hier war einer der Punkte, an denen ich nicht wusste, ob ich Sartre so schlecht verstehe, oder ob er so schlecht argumentiert: Denn wenn jede Begierde auf einen Mangel verweist, verweist auch jeder Mangel auf eine Begierde. Der Mangel kann nicht daf�r benutzt werden, die Begierde zu erkl�ren, es handelt sich offensichtlich um korrespondierende Begriffe. - Unterdessen glaube ich, dass Sartre tats�chlich nicht gut argumentiert, und zwar aus einem bestimmten Grund: Dem Sein Begierden zu unterstellen, wirkt erheblich befremdlicher als die Rede von einem Seinsmangel und h�tte die Rezeption seiner Philosophie vermutlich behindert.)

Und nehmen wir mit Sartre an, dass das F�r-sich in sich widerspr�chlich ist, so ist nicht ersichtlich, warum diese Widerspr�chlichkeit mit einem Begehren nach Widerspruchsfreiheit identisch sein soll. Warum besteht das Sein nicht ganz friedlich in der verminderten Form, die es angenommen hat? Sicher verweist das Sein, das nicht ist, was es ist, auf ein widerspruchsfreies Sein, das ist, was es ist, doch dieser Verweis liegt auf der logischen Ebene. Mit dem Begriff des Mangels / der Begierde kommt m. E. ein Aspekt in das F�r-sich, der durch seine bisherige Beschreibung nicht gedeckt ist.

 Der "Wert"

Der Begriff steht bei mir in Anf�hrungszeichen, da es sich dabei nicht um das handelt, was man gew�hnlich unter einem Wert versteht, sondern um etwas Grundlegenderes, eben um den "Wert". - Sartre hat uns erkl�rt, dass jeder Mangel drei Aspekte hat. F�r das F�r-sich bedeutet das, es gibt das F�r-sich selbst, dem etwas mangelt, es gibt das, was dem F�r-sich mangelt und es gibt eine ideale Einheit aus dem F�r-sich und dem ihm Mangelnden. Diese ideale Einheit ist der "Wert". - Worin besteht er?

Er besteht grob gesagt in dem Zustand, den das An-sich schon anstrebte, als es sich zu F�r-sich vermindert hat. Das An-sich wollte ja im ersten Teil von Sartres Mythos keineswegs F�r-sich werden, sondern begr�ndetes An-sich. In Gestalt des auf halbem Wege steckengebliebenen F�r-sich will es das immer noch! - Das F�r-sich ist in zweierlei Hinsicht mangelhaft, zum einen, weil es nicht mit sich identisch ist und zum anderen, weil es keinen Seinsgrund hat. Im idealen "Wert" sind beide M�ngel behoben! Der "Wert" ist also ein F�r-sich, das in seinem Sein begr�ndetes An-sich geworden ist.

Ohne den zus�tzlichen Mangel an Seinsbegr�ndung w�rde der "Wert" einfach in der R�ckkehr ins An-sich bestehen. Das w�rde darauf hinauslaufen, dass das F�r-sich seine Vernichtung als Bewu�tsein anstrebt. Doch das F�r-sich will Bewu�tsein bleiben, angestrebt wird ein Zustand, in dem es sowohl F�r-sich als auch An-sich ist. Denn - wie wir in der Diskussion der Notwendigkeit gesehen haben - ein Wesen, das sein eigenes Sein begr�ndet, wie Gott, muss von diesem Sein getrennt sein, ist daher mit Nichts infiziert und F�r-sich. Und hier ergibt sich eine Pointe: Das, was das F�r-sich anstrebt, ist genau der Zustand, den man traditionell Gott unterstellt!

Gott - so Sartre - ist seiner Idee nach Sein-An-sich, insofern er positiv ist und alles Sein umfasst oder hervorbringt und ist gleichzeitig Sein-F�r-sich, insofern er bewu�t ist. Der "Wert" des F�r-sich, das, was es werden will, ist Gott (allerdings nicht der Gott, sondern sozusagen sein eigener Gott). - Man beachte hier, dass der Gottesbegriff hier nicht die traditionellen Gottesattribute Allmacht und Allwissenheit umfasst. Wenn das Bewu�tsein Gott werden will, dann nicht aus Machtinteresse, sondern nur aus dem von Sartre genannten Grund. - Da die Gottesidee eine unm�gliche Idee ist, da sie in sich widerspr�chlich ist, kann der Wert nie verwirklicht werden. Das F�r-sich kann aufgrund seiner Unvollst�ndigkeit und Unbegr�ndetheit jedoch nicht anders, als vollst�ndig (mit sich identisch) und begr�ndet werden zu wollen. Die Begierde nach diesem Zustand ist also nicht aufzuheben (zumindest l��t Sartre hier eine solche M�glichkeit nicht zu), sie taucht automatisch mit dem F�r-sich zusammen auf, kann aber auch nicht erf�llt werden. Daher bezeichnet Sartre das Bewu�tsein und damit den Menschen als von Natur aus ungl�ckliches Bewu�tsein: "Die menschliche-Realit�t leidet in ihrem Sein, weil sie zum Sein auftaucht als dauernd heimgesucht von einer Totalit�t, die sie ist, ohne sie sein zu k�nnen, da sie gerade das An-sich nicht erreichen k�nnte, ohne sich als F�r-sich zu verlieren."

Das wirkt zun�chst nicht plausibel. Wenn ich doch von Sartre erfolgreich dar�ber belehrt worden bin, dass das, was ich begehre, nicht realisierbar ist, warum soll ich dieses Ziel nicht einfach aufgeben k�nnen? - Die Antwort darauf liefert der Umstand, dass der "Wert" nicht eines unter anderen menschlichen Zielen ist, sondern eine Grundstruktur, die s�mtlichen Zielen des Menschen zugrundeliegt. Jedes Begehren, nach was auch immer, ist auf einer bestimmten Ebene Begehren danach, Gott zu werden. - Wir erinnern uns, dass Sartre annimmt, dass Begierden nur durch R�ckf�hrung auf andere Begierden erkl�rt werden k�nnen. Die grundlegende Begierde hat er als die Begierde nach dem "Wert" identifiziert. Der n�chste Schritt ist nun die R�ckf�hrung der nicht grundlegenden Begierden auf sie.

Eine gew�hnliche menschliche Begierde ist der bereits erw�hnte Durst. Was sich hier sofort aufdr�ngt, ist die Tatsache, dass der Durst Begehren nach Fl�ssigkeit ist. Doch das ist lediglich die halbe Wahrheit: Was eigentlich angestrebt wird, ist die An-sich-Werdung des Durstes, das Trinken ist nur Mittel zum Zweck. - Erinnern wir uns daran, dass das Bewu�tsein f�r Sartre das ist, was gerade in ihm vorgeht. Ein Bewu�tsein, das Durst hat, ist dieser Durst. Der Durst existiert als Spiegelung / Spiegelndes, er ist nicht mit sich identisch - ist Bewu�tsein von Durst - , daher begehrt er, mit sich identisch zu werden. Der Durst verweist auf das Idealbild eines Durstes, der ist, was er ist. W�re dieses Ideal erreicht, so w�re das Bewu�tsein als Durst nicht nur mit sich selbst identisch, sondern h�tte auch einen Seinsgrund in sich selbst, da der Durst seine Verwirklichung sich selbst verdanken w�rde.

Gegen diese Erkl�rung der menschlichen Begierden kann man einiges einwenden: Zun�chst einmal erkl�rt der "Wert" nicht, warum der Durst seine Verwirklichung ausgerechnet im Trinken sucht. Zum anderen sind f�r Sartre auch andere Bewu�tseinsph�nomen, die man nicht direkt mit einer Begierde identifizieren kann, auf den "Wert" bezogen: So sagt er, dass ein Leidender unter anderen darunter leidet, dass er nicht genug leidet (der Leidende will ein Leiden, das ist, was es ist, w�hrend sein reales Leiden gleichzeitig Bewu�tsein von Leiden und deshalb nur nicht mit sich identisches Sein-f�r-sich ist). - Der "Wert" sucht das Bewu�tsein offenbar nicht nur dann heim, wenn es etwas begehrt, sondern ist vorhanden, was immer das Bewu�tsein ist. Wie kann das Begehren nach dem "Wert" dann die menschlichen Begierden erkl�ren, wenn es doch immer vorhanden ist, der Mensch aber nicht immer im Zustand der Begierde ist?

 Was dem F�r-sich mangelt

Von den drei Aspekten des Mangels haben wir, was das F�r-sich angeht, zwei identifiziert: Das Mangelhafte ist das F�r-sich selbst, das Verfehlte (die Einheit aus dem Mangelhaften und dem Mangelnden) ist der "Wert". - Doch es bleibt noch ein Aspekt ungekl�rt: Was mangelt dem F�r-sich, um den "Wert" zu verwirklichen?

Sartre konstatiert, dass das Mangelnde von derselben Natur sein muss wie das Ding, dem es mangelt (was der Mondsichel fehlt, um voller Mond zu sein, ist ein St�ck Mond). - Man kann an dieser Regel aus gutem Grund zweifeln, wenn man den Gebrauch des Wortes "Mangel" im Deutschen betrachtet. Was dem St�ck Kohle mangelt, um ein Diamant zu sein, ist eine bestimmte Molekularstruktur, eine Molekularstruktur ist aber nicht von derselben Natur wie ein St�ck Kohle. (Doch vielleicht ist die Verwendung des Wortes im Franz�sischen beschr�nkter als im Deutschen.) - Worauf Sartre mit seiner Regel hinauswill, ist die Feststellung, dass dem F�r-sich F�r-sich mangelt, um den "Wert" zu verwirklichen.

Das F�r-sich sucht also ein anderes F�r-sich, um die unm�gliche Totalit�t aus An-sich und F�r-sich zu werden. Damit ist nicht etwa ein anderer Mensch gemeint, sondern das F�r-sich selbst, aber in der Zukunft - als Verwirklichung einer seiner M�glichkeiten. Der Durstige entwirft sich auf die M�glichkeit hin, zu trinken. Wir erinnern uns, dass die eigentliche Begierde des Durstes darin besteht, mit sich identischer Durst zu werden (und da der Durst das Bewu�tsein selbst ist, ist diese Begierde das Bestreben des Bewu�tseins, mit sich selbst identisch zu werden). Sartre w�rde nun strikt leugnen, dass das, was dem Durst fehlt, um Durst als "Wert" zu werden, trinkbare Fl�ssigkeit ist. Was dem Durst mangelt, ist stattdessen ein F�r-sich, das trinkt.

Das zuk�nftige F�r-sich, das trinkt, ist eine M�glichkeit des gegenw�rtigen F�r-sich, das Durst hat. Da mit dem F�r-sich auch der "Wert" gegeben ist (die Nicht-Identit�t des F�r-sich mit sich selbst verweist automatisch auf ein mit sich identisches F�r-sich), also die Einheit bestehend aus dem mangelhaften F�r-sich und dem, was ihm mangelt, muss auch der dritte Aspekt - das, was mangelt, mitgegeben sein. Sobald es ein F�r-sich gibt, gibt es den "Wert" dieses F�r-sich und es gibt die M�glichkeiten dieses F�r-sich, die es zu verwirklichen versucht, um mit ihrer Hilfe den "Wert" zu verwirklichen. - Dieses Gegebensein der M�glichkeiten ist - so Sartre - nicht in dem Sinne zu verstehen, dass das Bewu�tsein zuerst den "Wert" hat, und dann begrifflich erfasst, dass es die M�glichkeiten als Mittel gibt, den "Wert" zu verwirklichen. Alle drei Aspekte des Mangels sind auf einmal gegeben, und zwar im pr�reflexiven Cogito als Teil seiner ontologischen Struktur.

Wir fassen den Fortgang der von Sartre erz�hlten Geschichte anhand des Durstes noch einmal zusammen: Wer Durst hat, will seinen Durst und damit sein Bewu�tsein als mit sich identisches, begr�ndetes Ding verwirklichen. Was ihm zu fehlen scheint, um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Bewu�tsein, das trinkt. Ein Bewu�tsein, das trinkt, ist aber eine M�glichkeit des Bewu�tseins, das Durst hat. Durch Verwirklichung dieser M�glichkeit strebt das durstige Bewu�tsein seine Vereinigung mit dem trinkenden Bewu�tsein an. Da das trinkende Bewu�tsein sein Dasein dem Entwurf des durstigen Bewu�tseins verdankt, ist diese Vereinigung eine Form der Selbstbegr�ndung.

"Im unreflektierten und naiven Zustand wollen der Durst, das sexuelle Verlangen sich selbst genie�en, sie suchen diese Koinzidenz mit sich, die die Befriedigung ist, wo der Durst sich genau in dem Moment als Durst erkennt, in dem das Trinken ihn stillt, wo er gerade durch dieses Stillen seinen Mangelcharakter verliert und sich zugleich in der Stillung und durch sie zu Durst macht."

Wie geht die Geschichte weiter? - Die angestrebte Vereinigung ist unm�glich. Der Durst wird nicht etwa mit sich identisch (oder - so deutet Sartre an - lediglich einen unendlich kleinen Augenblick lang), sondern verschwindet. Das F�r-sich ist immer noch nicht mit sich identisch und immer noch kontingent, es stellen sich andere Begierden und andere M�glichkeiten ein. - Sartre erkl�rt so das Gef�hl von Unbefriedigtsein, das Menschen oft erfasst, die sich einen heftigen Wunsch endlich erf�llt haben. Dieses Gef�hl verdankt sich nicht dem Umstand, dass die Lust bei der Erf�llung geringer war als erwartet, sondern dem ganz anderen Umstand, dass das eigentlich angestrebte Ziel nicht erreicht werden konnte. Das eigentliche Ziel unserer W�nsche ist nicht die Lust bei ihrer Erf�llung - diese ist eine Art Sekund�rph�nomen.

Hier �ffnet sich �brigens f�r Sartre der Ausweg aus dem Cogito (genauer gesagt, die M�glichkeit, aus dem Cogito mehr philosophische Gewissheiten zu gewinnen als nur das "ich denke, also bin ich"). Wenn mit dem Bewu�tsein automatisch die M�glichkeiten des Bewu�tseins gegeben sind, die ja in der Zukunft liegen, ist damit auch die Zukunft in irgendeinem Sinne im Cogito gegeben. - Nimmt man das Cogito im Sinne Descartes�, so beinhaltet es lediglich die unmittelbare Gegenwart, weiter reicht seine Gewissheit nicht und nichts scheint dar�ber hinauszuweisen. (Sartre nennt dieses Augenblicks-Cogito "instantanes Cogito".)

Sartre wirft Descartes vor, dass er den zuk�nftigen Aspekt des Cogitos bei seinem Experiment �bersehen hat: Woran, so fragte Descartes, kann ich nicht zweifeln? Daran, dass ich jetzt zweifle. - Ein Zweifel aber, so Sartre, ist nicht denkbar ohne die M�glichkeit seiner Aufhebung in der Zukunft. Und Sartre weist darauf hin, dass ein Bewu�tsein, das tats�chlich auf den Augenblick beschr�nkt w�re, nicht in der Lage w�re, ein Buch zu lesen, sondern nur einen Buchstaben nach dem anderen erfassen k�nnte. - Diese Bemerkungen sollen Sartres Leser auf seine Diskussion der Zeit vorbereiten.

 Die M�glichkeit

Das Bewu�tsein ist also wesentlich auf seine M�glichkeiten bezogen, weswegen Sartre den Begriff der M�glichkeit einer detaillierteren Untersuchung unterzieht. Seine Auffassung l�uft darauf hinaus, den Begriff auf die Realm�glichkeit einzuschr�nken, und die blosse Denkm�glichkeit nicht als M�glichkeit im eigentlichen Sinne zu akzeptieren: Nur weil sich ein Zentaur denken l�sst, ist er - in Sartres Sinne - noch nicht m�glich. Und weil wir S�tze wie "Es ist m�glich, dass er kommt" bilden, in denen das Wort "ist" vorkommt, muss der M�glichkeit irgendeine Art von Realit�t zukommen (das M�gliche muss "Sein haben").

Jetzt k�nnte man nat�rlich an die Auffassung des Aristoteles denken, der die Realm�glichkeiten durch eine den Dingen innewohnende Potenz erkl�ren wollte. Ist das Sein der M�glichkeit die Potenz? - Sartre lehnt das strikt ab: Da das Sein-an-sich aufgrund seiner totalen Positivit�t keine M�glichkeiten haben kann, w�re das eine magische Auffassung von M�glichkeit. (Hier wie oft spricht Sartre von "magisch" um damit anzudeuten, dass die von Auffassungen, die er nicht teilt, unterstellten Wirkzusammenh�nge v�llig irrational sind.)

Wir haben hier eine �hnliche Situation wie bei der Erkl�rung der negativen Tatsachen: Die Negativit�t konnte nicht im Sein-an-sich liegen und musste aus dem Subjekt stammen. Trotzdem wollte Sartre es strikt vermeiden, die Negativit�t zu etwas nur Subjektivem zu machen. Wir erinnern uns an die L�sung des Problems: Die Negativit�t ist auf das Nichts im Bewu�tsein zur�ckzuf�hren, und ist real, weil dieses Nichts real ist. - Seine Diskussion der M�glichkeit verl�uft analog:

"Die M�glichkeit, von einer Falte des Billiardtuchs aufgehalten zu werden, geh�rt weder der rollenden Kugel noch dem Tuch an: sie kann nur in der Anordnung der Kugel und des Tuchs zu einem System auftauchen, die durch ein Sein hergestellt wird, das ein Verst�ndnis der M�glichkeiten hat. Da aber dieses Verst�ndnis ihm weder von au�en kommen kann, das hei�t vom An-sich, noch sich darauf beschr�nken kann, nur ein Denken als subjektiver Modus des Bewu�tseins zu sein, mu� es mit der objektiven Struktur des Seins zusammenfallen, das das M�gliche versteht."

Die M�glichkeit ist real, aber nur darum, weil das Subjekt eigene M�glichkeiten hat. Die M�glichkeiten des Subjektes geh�ren mit zu seiner ontologischen Struktur, sind also nicht nur f�r einen Zeugen vorhanden, wie etwa die M�glichkeit der Billiardkugel, durch eine Falte im Filz aufgehalten zu werden. - Und M�glichkeiten ausserhalb des Subjektes, z. B. die M�glichkeit der Billiardkugel bekommen Realit�t, obwohl sie nicht wie die Aristotelische Potenz in den Dingen wohnen, weil sie auf M�glichkeiten des Bewu�tseins verweisen. - Sartre sagt: Die Wolke kann regnen (es ist eine Realm�glichkeit der Wolke, zu regnen), weil ich sie "auf den Regen hin �berschritten habe". - Vielleicht k�nnte man auch so sagen: Die M�glichkeit der Wolke, zu regnen, verdankt ihre Realit�t meiner M�glichkeit, pl�tzlich im Regen zu stehen, wenn ich nicht ins Haus gehe.

Bevor Sartre dazu kommt, auch die Zeit auf �hnliche Weise im Subjekt zu verorten, f�hrt er noch einen besonderen Begriff ein - den "Zirkel der Selbstheit". Was haben wir darunter zu verstehen? - Das Bewu�tsein ist von sich getrennt, insofern es nicht mit sich identisch ist. Es ist aber noch in einem anderen Sinne von sich getrennt, n�mlich insofern es von seinem "Wert" getrennt ist. Dadurch, dass es den "Wert" �ber seine M�glichkeiten zu erreichen versucht, diese M�glichkeiten aber zuk�nftige sind, ist das, was zwischen ihm und seinem (zuk�nftigen, begr�ndeten, mit-sich-identischen) Selbst steht, der Zustand der Welt, wie er jetzt ist. Das Bewu�tsein muss also die ganze Welt "�berschreiten", um zu sich selbst zu kommen, und das ist der Zirkel der Selbstheit.

Was Sartre mit diesem Begriff betonen m�chte, ist die Verbindung von Welt und Person: Mit der Struktur des Bewusstseins als einem unvollst�ndigen Sein, dass durch Verwirklichung seiner M�glichkeiten vollst�ndig werden will (von "Wille" kann auf dieser Ebene �brigens eigentlich noch nicht gesprochen werden, das mit seinem Mangel korrespondierende Begehren des Bewu�tseins liegt vielmehr dem Willen zugrunde) wird die Welt zu meiner Welt. Denn die Welt erh�lt ihre besondere Charakteristik lediglich im Hinblick auf meine M�glichkeiten, mich in ihr zu "verwirklichen". - Sartre wird auf diesen Aspekt zur�ckkommen.

 Vorbemerkung zur Diskussion der Zeit

Sartre versucht - so k�nnte man zusammenfassen - mit seiner Beschreibung des Seins-f�r-sich eine Reihe von Problemen zu l�sen, die das zuvor von ihm entwickelte Konzept des Seins-an-sich aufwirft: Warum gibt es negative Tatsachen, wenn das Sein-an-sich doch v�llig positiv ist? Weil es das Nichts im Sein-f�r-sich gibt. Warum gibt es reale M�glichkeiten, obwohl das Sein-an-sich keine M�glichkeiten haben kann? Weil das F�r-sich M�glichkeiten hat. - Ein weiteres Problem dieser Art ist, warum es Zeit gibt, da das Sein-an-sich nicht zeitlich ist. - Bevor wir dazu kommen, sollten wir einen Blick zur�ck werfen:

Was waren Sartres Gr�nde daf�r, das Sein-an-sich so zu konzipieren, dass Negativit�t und M�glichkeit davon sozusagen abgleiten m�ssen? Wenn man einmal wie Sartre aus der Existenz eine Art Ding macht, ist tats�chlich nicht mehr absehbar, wie man dieses Ding mit Negativit�t in Verbindung bringen kann. - Doch Sartre f�hrt noch ein besonderes Argument an: Wenn wir Dingen Eigenschaften zuschreiben, enthalten die Aussagen das Wort "ist" (wie in "Die Rose ist rot"). Also muss auch die Eigenschaft Sein haben und das Sein kann selbst keine Eigenschaften haben, da es das Sein der Eigenschaften mitumfasst. Wenn das Sein-an-sich aber keine Eigenschaften hat, gibt es darin auch keine Unterschiede, keine Aufteilung in Dinge.

Dieses Argument kann man nat�rlich im Hinblick auf andere Aussagen erweitern, wenn diese Aussagen das Wort "ist" enthalten: So konstatiert Sartre, dass die M�glichkeit Sein haben muss, weil man sagen kann, dass etwas m�glich ist. Woraus folgen muss, dass das Sein keine M�glichkeiten haben kann, da es ja auch das Sein der M�glichkeiten ist. - Sartres Theorie des Seins erinnert sehr stark an die Theorie des Vorsokratikers Parmenides, obwohl sich Sartre nirgendwo darauf beruft. Parmenides hatte argumentiert, dass es negative Tatsachen nicht geben kann, weil die Aussage "Das Nichtseiende ist" widerspr�chlich ist. Also gibt es nur ein einziges Ding, das keine Unterschiede und keine Ver�nderung kennt (da beides Negativit�t voraussetzt) und die Welt, wie wir sie wahrnehmen, ist Illusion. Man k�nnte Parmenides� Argument auch so ausdr�cken: Wer sagt, dass etwas nicht ist, verwendet das Wort "ist". Das Sein ist also auch das Sein des Nicht-Seienden, so dass es unm�glich ist, dass das Sein nicht ist.

Doch Sartre schreckt vor diesem Argument zur�ck, vielleicht weil man auf seiner Grundlage nicht mehr behaupten kann, dass das Sein-an-sich kontingent ist (wenn logisch ausgeschlossen ist, dass das Sein nicht existiert, existiert das Sein notwendig). Ausserdem unterstellt Sartre, dass es das Nichts gibt (im F�r-sich n�mlich). Doch wenn dieses Argument g�ltig w�re, m�sste man aus der M�glichkeit der Aussage "Das Nichts ist" darauf schliessen, dass das Sein auch das Sein des Nichts ist. - Ich h�re hier auf.

Warum ist das Sein-an-sich nicht zeitlich? Wir werden noch einiges dazu h�ren, aber vermutlich kann man den wesentlichen Punkt wieder in der Unm�glichkeit sehen, das Sein-an-sich mit Negativit�t in Verbindung zu bringen. Aufgrund dieser Unm�glichkeit kann es im Sein-an-sich weder Ver�nderungen noch M�glichkeiten geben, ausserdem erfordert die Rede von einer Vergangenheit oder Zukunft des An-sich negative, differenzierende Aussagen, da ich das vergangene F�r-sich vom gegenw�rtigen und zuk�nftigen unterscheiden kann.

 Die Zeit

Vielleicht sollte man zun�chst darauf hinweisen, dass es hier nicht um die Zeit der Physiker geht, die - wie Stephen Hawking behauptet - mit dem Urknall begann, und die z. B. langsamer verl�uft, wenn man sich sehr schnell durch das Weltall bewegt. Das Verh�ltnis dieses Zeitbegriffs zu dem der Umgangssprache ist nicht ganz klar (man m�ge einen Wissenschaftstheoretiker befragen), doch alles spricht daf�r, dass es sich dabei um einen theoretischen Begriff handelt, der seinen Sinn nur im Rahmen der Theorie hat, und mit dem man die umgangssprachliche "Zeit" in irref�hrender Weise identifiziert. - Die Funktion der physikalischen Theorie besteht in erster Linie darin, richtige Prognosen auszuwerfen. Doch auch wenn sie das leistet, und sich die Theorie als brauchbar erweist, besteht kein Grund, den physikalischen Zeitbegriff f�r einen verbesserten Ersatz des gew�hnlichen zu halten.

So l�sst z. B. die Relativit�tstheorie nicht zu, von Gleichzeitigkeit zu sprechen, wenn es um entfernte Weltraumobjekte geht. Der gew�hnliche Zeitbegriff hat diese Beschr�nkung nicht: Die h�ufig beim Anblick des n�chtlichen Himmels ge�u�erte Frage, ob auf einem Millionen Lichtjahre entfernten Planeten nicht gerade jetzt jemand in den Himmel starrt und dumme Fragen stellt, ist kein naives Gerede ("Ja weisst Du denn nicht, dass es im Weltraum gar keine Gleichzeitigkeit gibt?"). - Es geht hier also um die normalen, umgangssprachlichen Begriffe von Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und um die von diesen aufgeworfenen Probleme, obwohl Sartre am Ende vielleicht ohne Absicht zu einem eigenen Zeitbegriff gelangt.

Sartre beschreibt die Zeit als als vom Sein-f�r-sich abh�ngig, r�ckt sie also in jene Kategorie von Realit�ten, die mit der Natur des Sein-an-sich inkompatibel sind und ihren Ursprung im Bewu�tsein haben m�ssen. - Sartre meint, dass diese Argumentation den Nebeneffekt hat, einige der von der Zeit aufgeworfenen philosophischen Probleme zu l�sen.

Das erste Problem, das er benennt, k�nnte man das Paradox der Nicht-Existenz der Zeit nennen. Die Zeit hat bekanntlich die drei Aspekte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Betrachtet man diese drei Aspekte einzeln im Hinblick auf ihre Existenz, gelangt man zu folgenden Aussagen: Die Vergangenheit existiert nicht, weil sie existiert hat. Die Zukunft existiert nicht, weil sie existieren wird. Bleibt die Gegenwart �brig, k�nnte man meinen, aber was ist die Gegenwart? - Die Grenze von Vergangenheit und Zukunft. Wenn jene beiden nicht existieren, kann auch die Grenze zwischen ihnen nicht existieren, also existiert gar keine Zeit!

Das zweite Problem betrifft die Verbindung zwischen der Gegenwart und den beiden anderen Zeitaspekten. Es entsteht in Bezug auf die Vergangenheit, wenn man sich mit dem Ged�chtnis besch�ftigt: Wer sich an ein vergangenes Ereignis erinnert, bezieht sich auf die Vergangenheit. Doch worin besteht dieser Bezug? Nach der g�ngigen Auffassung in Gehirnmustern, die zwar in der Vergangenheit entstanden sind, aber ihre Wirkung im Moment der Erinnerung entfalten. Wir haben also - so Sartre - eine gegenw�rtige Ursache, die eine gegenw�rtige Wirkung hat, so dass nicht klar ist, wie dieser Vorgang f�r den Verweis des Bewu�tseins auf die Vergangenheit sorgen kann.

Doch Sartre ber�cksichtigt auch eine rein psychische Erkl�rung der Erinnerung: Nach dieser besteht die Erinnerung wesentlich in einem Erinnerungsbild. Aber wie soll man ein Erinnerungsbild von einem blo�en Tagtraum unterscheiden, wenn nicht dadurch, dass das Erinnerungsbild einen Bezug auf die Vergangenheit hat, der nicht in ihm selbst liegen kann? Und selbst wenn sich Erinnerungsbilder durch irgendwelche Eigenschaften von fiktiven Vorstellungen unterscheiden sollten, w�rde das das Problem nicht l�sen, da diese Eigenschaften gegenw�rtige Eigenschaften w�ren. Damit Gegenw�rtiges auf Vergangenes verweisen kann, muss der Bezug zur Vergangenheit bereits bestehen.

Ein analoges Problem sieht Sartre f�r die Zukunft: Eine Vorstellung, die sich auf die Zukunft bezieht, kann diesen Bezug nicht in sich tragen, ebensowenig wie etwaige Gehirnmuster, die parallel zu dieser Vorstellung auftreten.

Was kann man dazu sagen, ohne Sartres Ontologie zu bem�hen? Meines Erachtens zun�chst einmal, dass sich das Problem einer Existenz der Zeit (oder der Existenz einer Zeit) gar nicht stellen kann. "Existieren" ist ein Zeitwort: Etwas existiert, existierte oder wird existieren. Die Rede von der Existenz der Zeit w�rde also eine Metazeit voraussetzen, in der die Zeit existiert oder nicht existiert und deren Existenz man dann nat�rlich ebenfalls problematisieren m�sste. - Mit Wittgenstein gesprochen: Die Zeitlichkeit liegt in unserer Grammatik.

Sartres Kritik an der Auffassung, dass der Bezug der Gegenwart auf Zukunft und Vergangenheit in den Erinnerungs- bzw. Vorstellungsbildern gesucht werden muss, ist dagegen plausibel. Ein Vorstellungsbild oder eine vorgestellte Szene enth�lt keinen Zeit- oder Realit�tsbezug an sich. Das Bewu�tsein klassifiziert die Vorstellung als auf etwas Vergangenes oder Zuk�nftiges bezogen oder als Phantasievorstellung, und diese Klassifizierung liegt nicht in der Vorstellung selbst.

 Die Vergangenheit

Das erw�hnte Problem, wie wir uns aus der Gegenwart heraus auf die Vergangenheit beziehen k�nnen, verweist auf die Frage, inwieweit die Vergangenheit existiert. Denn wie soll man zu etwas einen Bezug herstellen, das nicht (mehr) existiert? Aus diesem Grunde - so Sartre - hatte Bergson die Auffassung vertreten, dass der Vergangenheit sehr wohl noch Existenz zukommt, und dass sie nur nicht mehr als Ursache fungieren kann. Der gegenw�rtige Hund kann jemanden mit seinem Bellen verjagen, der vergangene Hund (obwohl auf obskure Weise noch existent) kann das nicht mehr.

Sartre lehnt diese Auffassung mit dem Hinweis ab, dass eine unwirksame Vergangenheit ja auch unser Bewu�tsein nicht beeinflussen k�nnte, die Vergangenheit w�rde also f�r das Bewu�tsein nicht existieren (was soviel heisst, dass sich ein Bezug des Bewu�tseins auf die Vergangenheit so nicht erkl�ren liesse). Doch auch wenn die Vergangenheit wirksam w�re - so erg�nzt der aufmerksame Leser - k�nnte sie auf das Bewu�tsein nicht einwirken, weil das Bewu�tsein nicht der Kausalit�t unterworfen ist.

Und jetzt kommen wir zu dem f�r Sartre wesentlichen Punkt: Die Positivit�t des An-sich kann keine Spur der Vergangenheit enthalten, da die Vergangenheit nicht mehr ist und damit etwas Negatives in das An-sich k�me. - Woraus folgt, dass die Vergangenheit eine Angelegenheit des Seins-f�r-sich sein muss. Doch wie ist das m�glich, wenn das Bewu�tsein nur gegenw�rtig ist? In diesem Fall kann es lediglich eine Reihe aufeinanderfolgender Bewu�tseine geben, die nicht miteinander verbunden sind. Die Auffassung von der Instantaneit�t des Bewu�tseins muss also falsch sein: Die Vergangenheit des Bewu�tseins ist im Gegenwartsbewu�tsein auf irgendeine Art noch vorhanden!

Doch wenn die Vergangenheit im Bewu�tsein beheimatet ist, wie steht es dann um die allgemeine Vergangenheit (die wir doch normalerweise meinen, wenn wir von "Vergangenheit" sprechen)? Sartres Antwort lautet, dass es zun�chst nur einzelne Vergangenheiten gibt, die den Bewu�tseinen der Menschen entsprechen. Die allgemeine Vergangenheit ist ein sekund�res Konstrukt.

Wenn Vergangenheit an ein Bewu�tsein gebunden ist, stellt sich die Frage, was aus ihr wird, wenn das Bewu�tsein nicht mehr ist - was dann der Fall ist, wenn der Mensch das Zeitliche gesegnet hat. - Das vergangene Bewu�tsein dieses Menschen (oder dieser Mensch) existiert dann eben nur noch in der Vergangenheit der Menschen, die sich an ihn erinnern. Etwas kurzsichtig konstatiert Sartre daher: "Und die Toten, die nicht gerettet und an Bord der konkreten Vergangenheit eines �berlebenden transportiert werden konnten, sind nicht vergangen, sondern sie und ihre Vergangenheiten sind vernichtet." (Hier sollten wir an "�tzi" denken - der schon vor Jahrtausenden vergessen wurde, dessen Vergangenheit aber pl�tzlich doch wieder pr�sent ist).

Aus der Bewu�tseinsgebundenheit der Vergangenheit ergibt sich noch eine weitere Konsequenz, n�mlich die, dass unbewu�te Gegenst�nde keine Vergangenheit im eigentlichen Sinne haben k�nnen. - Stellen wir uns vor, dass jemand einen Nagel zuerst krumm und danach wieder gerade geh�mmert hat. Dieser Nagel sieht genauso aus wie ein neuer Nagel, der nicht mi�handelt wurde, verh�lt sich aber anders (verbiegt sich z. B. leichter). - Verweist dieses ge�nderte Verhalten nicht auf eine objektive Vergangenheit des Nagels als Ursache? Nein, sagt Sartre. Es verweist lediglich auf eine bestimmte gegenw�rtige Molek�lstruktur des Nagels, durch die er sich von einem neuen Nagel unterscheidet.

 Identit�t und Nicht-Identit�t des F�r-sich mit seiner Vergangenheit

Das Bewu�tsein ist etwas, was sich �ber die Zeit hinweg ver�ndert. Ver�nderung ist nun ohne Permanenz nicht denkbar: Bleibt es in dieser Ver�nderung also nicht dasselbe Bewu�tsein und kann der Bezug des Gegenwartsbewu�tseins auf seine Vergangenheit nicht dadurch erkl�rt werden, dass man annimmt, dass es jetzt noch dasselbe ist wie in seiner Vergangenheit (die Rose war gestern noch frisch und ist heute vertrocknet, aber es ist dieselbe Rose)? - Sartre reagiert auf diesen Einwand mit dem Hinweis, dass eine Permanenz des Bewu�tseins in der Ver�nderung nur m�glich ist, wenn es einen Vergangenheitsbezug bereits gibt, also das Bewu�tsein nicht instantan ist. An der blo�en Aufeinanderfolge von Augenblicksbewu�tseinen l��t sich n�mlich keine Permanenz festmachen, diese Augenblicksbewu�tseine w�ren nicht miteinander identisch.

Hier zeigt sich, wo Sartre den Vergangenheitsbezug des Bewu�tseins findet: In der Identit�t des gegenw�rtigen Bewu�tseins mit dem vergangenen Bewu�tsein. Mit seinen Worten: Nur Seiende, die ihre Vergangenheit sind, k�nnen eine Vergangenheit haben. - Doch im Bewu�tsein ist alles bewu�t. Wie ist daher diese Identit�t mit der Tatsache vertr�glich, dass wir uns h�ufig falsch erinnern? - Sartre wird darauf zur�ckkommen, wenn er die Reflexion diskutiert.

Insofern die Vergangenheit des Bewu�tseins von seiner Gegenwart abh�ngt (denn sie verschwindet mit dem Bewu�tsein, wenn dieses stirbt), kann Sartre konstatieren, dass das gegenw�rtige Sein-f�r-sich Grund seiner Vergangenheit ist: Wir sind f�r unsere Vergangenheit verantwortlich. Das Wort suggeriert hier f�lschlich einen von Sartre nicht gemeinten moralischen Kontext und meint nur diese Abh�ngigkeit. (Sp�ter wird er uns allerdings erkl�ren, dass wir auch insofern f�r unsere Vergangenheit verantwortlich sind, als wir ihr einen Sinn geben.) - Einen Beleg f�r die Identit�t meint Sartre in der Sprache zu finden, genauer gesagt in der Zugeh�rigkeit der Form "war" zum Infinitiv "Sein": "Ich sehe zun�chst, da� der Ausdruck 'war' ein Seinsmodus ist. In diesem Sinne bin ich meine Vergangenheit. Ich habe sie nicht, ich bin sie: [...]."

Nun sind wir jedoch bekanntlich Sein-f�r-sich, d. h. als System Spiegelung / Spiegelndes nicht mit uns selbst identisch. Trifft das auf unsere Vergangenheit auch zu? Offenbar nicht. Was ich gewesen bin, bin ich gewesen, ein vergangenes Gef�hl ist zwar immer noch ein Gef�hl, aber nicht mehr als Spiegelung / Spiegelndes, es hat seine Uneindeutigkeit verloren. Als Vergangenheit ist das metastabile System nicht mehr metastabil, sondern hat einen Ruhezustand erreicht. Die Vergangenheit des F�r-sich ist also, obwohl mit ihm identisch, An-sich. Da nun An-sich und F�r-sich nicht identisch sein k�nnen, sind wir zwar unsere Vergangenheit, aber "nicht nach dem Modus der Identit�t" (was eine verschwurbelte Weise ist, auszudr�cken, dass wir mit unserer Vergangenheit identisch und nicht-identisch sind ).

Wir waren auf die Nicht-Identit�t mit unserem vergangenen Selbst bereits gestossen, und hatten sie als die "schw�chere" Art der Nicht-Identit�t mit sich selbst bezeichnet, da es so schien, als liesse sich die Kontradiktion durch Umformulierung beseitigen, z. B. so: Ich bin mit meinem vergangenen Selbst identisch, insofern ich der Tr�ger meiner Ver�nderungen bin. Insofern ich mich aber mit meinem ver�nderten Zustand identifiziere, bin ich nicht mehr mit mir identisch. Die Rose von heute ist immer noch die Rose, obwohl sie gestern frisch war und heute vertrocknet ist (Identit�t), die vertrocknete Rose von heute ist aber nicht mehr die frische Rose von gestern (Nicht-Identit�t).

Jetzt sehen wir, dass Sartre es ernster meint: Weil es unm�glich ist, dass etwas eine Vergangenheit hat, was nicht mit ihr identisch ist, m�ssen wir mit unserer Vergangenheit identisch sein. Und weil es unm�glich ist, dass etwas zugleich An-sich und F�r-sich ist, k�nnen wir nicht mit ihr identisch sein. - Die Kontradiktion kann also nicht auf einfache Weise aus dem Weg ger�umt werden, diese Form der Nicht-Identit�t ist f�r Sartre nicht schw�cher als die erste, obwohl sie auf der ersten aufbaut.

Weil ich mit meiner Vergangenheit identisch bin, kann ich mich nicht von ihr distanzieren (nur in Einzelpunkten und nach l�ngerer Zeit, wie Sartre etwas inkonsequent hinzuf�gt). Ich bin daher betroffen, wenn mir andere meine Vergangenheit zum Vorwurf machen. Aber weil ich mit meiner Vergangenheit auch nicht identisch bin, da ich sie als freies F�r-sich "�berschreite", ist diese Betroffenheit h�ufig lediglich Emp�rung dar�ber, das man mich mit etwas identifiziert, was ich nicht mehr bin.

Wir hatten bereits gesehen, dass das Nichts im F�r-sich eine Art Umh�llung aus An-sich hat, die vom "absoluten Ereignis", der Entstehung des Nichts im An-sich, zur�ckblieb, weil das entstandene Nichts relativ zu dem An-sich-Sein ist, aus dem es entstand. Diese An-sich-Komponente des F�r-sich nennt Sartre die Faktizit�t des Bewu�tseins. - Nachdem sich jetzt herausgestellt hat, dass die Vergangenheit zwar mit uns identisch, aber an-sich ist, kann man den Schluss ziehen, dass sie Teil dieser Faktizit�t sein muss, und so ist es auch.

Doch das wirft folgende Frage auf: Muss das absolute Ereignis nicht vor meiner Geburt oder meiner Bewu�twerdung (falls diese nach der Geburt liegen sollte) stattgefunden haben? Warum geh�rt also nicht nur der Embryo oder S�ugling, aus dem ich mich entwickelte, zu meiner Faktizit�t, sondern alles, was mir danach geschehen ist, gleichfalls? - Nun, Sartre w�rde darauf antworten, dass das absolute Ereignis kein Ende hat, solange das Bewu�tsein existiert (es ist ein "fortdauernder Akt"). Das Nichts entsteht permanent neu aus dem An-sich, so dass sich die Faktizit�t im Laufe der Zeit quasi anh�uft (man f�hlt sich hier an Benjamins "Engel der Geschichte" erinnert, wenn man an den tragischen Charakter denkt, den das Leben f�r Sartre hat). Beendet ist es erst mit dem Tode, in dem das F�r-sich erlischt, das Nichts verschwindet. Wenn das passiert ist, bin ich mit meiner Vergangenheit identisch, und nur noch identisch. Ich bin dann, was ich bin und k�nnte von einem allwissenden Biographen vollst�ndig beschrieben werden: "Durch den Tod verwandelt sich das F�r-sich f�r immer in An-sich, insofern es v�llig in die Vergangenheit geglitten ist. So ist die Vergangenheit die immer wachsende Totalit�t des An-sich, das wir sind."

Sartre stellt noch einen Vergleich an zwischen der Vergangenheit und dem "Wert": Beide haben n�mlich die Gemeinsamkeit, dass sich An-sich und F�r-sich in ihnen treffen. Der "Wert" ist die unm�gliche Synthese von An-sich und F�r-sich, die Vergangenheit wiederum ist zu An-sich gewordenes F�r-sich. Diese �hnlichkeit sorgt daf�r, so Sartre, dass uns die Vergangenheit poetisch erscheinen kann: Ein vergangener Bewu�tseinsinhalt ist ein Bewu�tseinsinhalt, der mit sich identisch ist, und das ist ja genau das, was das Bewu�tsein anstrebt! - Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Der ideale "Wert" ist nicht nur eine Synthese aus An-sich und F�r-sich, sondern ist auch durch sich selbst begr�ndet, w�hrend die Vergangenheit kontingent ist. - Die Synthese aus An-sich und F�r-sich in der Vergangenheit ist sozusagen zu weit gegangen: Das F�r-sich ist zugunsten des An-sich verschwunden, so dass die f�r eine Selbstbegr�ndung n�tige Spaltung fehlt.

 Die Gegenwart

W�hrend die Vergangenheit des F�r-sich zu An-sich geworden ist, ist die Gegenwart F�r-sich. Sartre kommt hier auf das erw�hnte Problem zu sprechen, dass die Gegenwart als Grenze von Vergangenheit und Zukunft lediglich ein unendlich kleiner Augenblick ist. Vielsagend f�gt er hinzu, sie sei also eigentlich "ein Nichts". (Wer denkt da nicht gleich an das Nichts im F�r-sich?) - Sartre unternimmt dann den Versuch, den Begriff "gegenw�rtig" auf den Begriff "anwesend" zur�ckzuf�hren: Gegenwart sei die Anwesenheit von etwas bei etwas. - Anwesend ist das F�r-sich beim An-sich, und zwar dadurch, dass das F�r-sich das An-sich nicht ist. Sartre hebt hervor, dass sich diese Anwesenheit auf das gesamte Sein-an-sich bezieht und nicht nur auf die Dinge, die mich gerade umgeben, da das F�r-sich das gesamte An-sich nicht ist.

Man muss hier daran denken, dass das Sein-an-sich f�r Sartre nicht zeitlich ist, da seine reine Positivit�t eine Mehrzeitlichkeit ausschlie�t. Was also erkl�rt werden muss, ist, wie es trotzdem dazu kommen kann, dass Dinge gleichzeitig existieren (zwar gibt es eine Aufteilung in Dinge erst durch das Bewu�tsein, die Dinge sind aber, wie erw�hnt, auch nach dieser Aufteilung immer noch An-sich, so dass sich das Problem ihrer Zeitlichkeit trotzdem stellt). Diese Gleichzeitigkeit muss auf einem Zeugen basieren, der mit den Dingen gleichzeitig anwesend ist und verdankt sich nur diesem Zeugen. - Die Anwesenheit ist �brigens eine einseitige Angelegenheit: Das F�r-sich ist beim Sein-an-sich anwesend, das Sein-an-sich aber nicht beim F�r-sich (da sich das positive An-sich nicht als nicht das F�r-sich seiend definiert).

Der Zeuge ist nat�rlich das Bewu�tsein. Dessen Anwesenheit bei den Dingen ist in Wahrheit nur das nicht-die-Dinge-sein, durch das sich das F�r-sich definiert. Da das Bewu�tsein nun als Spiegelung/Spiegelndes immer sein eigener Zeuge ist, kann Sartre sagen, dass das F�r-sich sich selbst Zeuge ist als das An-sich nicht seiend. - Wir wissen ja, dass das F�r-sich als nicht mit sich selbst identisch eine Entit�t ist, die sich durch ihre Negativit�t, ihr "Nichts", bestimmt. Hier tritt nun ein weiterer negativer Aspekt hinzu. - Eine Auflistung der negativen Aspekte, in denen das "Nichts" des F�r-sich besteht, ist vielleicht hilfreich:

1. Das F�r-sich ist nicht es selbst, da jedes Bewu�tsein Bewu�tsein von Bewu�tsein ist.

2. Das F�r-sich ist nicht es selbst, insofern es nicht der "Wert" ist.

3. Das F�r-sich ist nicht seine Faktizit�t/Vergangenheit, da diese An-sich ist.

4. Das F�r-sich ist nicht die gegenw�rtig existierenden Dinge, bzw. definiert sich als nicht diese Dinge seiend.

Man beachte, dass 4. sich von den anderen Aspekten unterscheidet, da es keine parallellaufende Identit�t gibt: Ich bin ich selbst und nicht ich selbst, ich bin meine Vergangenheit und nicht meine Vergangenheit, aber die gegenw�rtig existierenden Dinge bin ich einfach nur nicht. - Sartre argumentiert nun �berraschenderweise, dass sich aus dem vierten Aspekt die oben erw�hnte Nicht-Existenz der Gegenwart ergibt: Da die Beziehung des Seins zum An-sich, die die Gegenwart ausmacht, rein negativ ist, ist die Gegenwart lediglich ein Nichts. - "[Das F�r-sich] entgeht dem Sein auf zweifache Weise, durch innere Aufl�sung und ausdr�ckliche Negation. Und die Gegenwart ist genau diese Negation des Seins, dieses Entweichen aus dem Sein, insofern das Sein da ist als das, aus dem man entweicht." - Diese Probleml�sung wirkt suspekt: Wie soll sich aus der logischen Negativit�t des F�r-sich gegen�ber dem gleichzeitig existierenden An-sich die Ausdehnungslosigkeit der Gegenwart ergeben?

 Die Zukunft

Das Sein-an-sich kann keine Zukunft haben, wie die �brigen Aspekte der Zeit kommt die Zukunft daher aus dem Bewu�tsein. Genauer gesagt, sie kommt aus dem "Wert", der daf�r sorgt, dass sich das F�r-sich eine Zukunft gibt, die in dem verwirklichten "Wert" besteht. - In diesem Zusammenhang m�chte ich die Rolle des "Wertes" mit einem praktischen Beispiel beleuchten, das Sartre in seinen Kriegstageb�chern gibt:

Ich stehe und beabsichtige, mich auf einen Sessel zu setzen (weil mich das Stehen erm�det hat, so scheint es mir jedenfalls). Doch was will ich in Wahrheit erreichen? Ich m�chte ich selbst auf dem Sessel sitzend sein. Was macht diesen Zustand begehrenswert? Nun, dadurch, dass ich mich selbst dazu bestimmt habe, auf dem Sessel zu sitzen, habe ich mir einen Seinsgrund gegeben. Ausserdem erscheine ich mir, wenn ich mir diesen zuk�nftigen Zustand meiner selbst vorstelle, als das, was ich bin (n�mlich auf dem Sessel sitzend), also als mit mir identisch und somit von der Zweideutigkeit des F�r-sich befreit. (Gleichzeitig erscheine ich mir aber als immer noch bewu�t - ich stelle mir nicht vor, dass ich als Leiche auf dem Sessel sitze) - Mit dem Entwurf meiner selbst als im Sessel sitzend versuche ich also, die zwei urspr�nglichen Begierden des Seins-f�r-sich zu befriedigen, die Begierde nach Selbstbegr�ndung und die Begierde nach An-sich-Sein.

Wie wir wissen, scheitert dieser Versuch, den "Wert" zu verwirklichen: Zwar sitze ich am Ende (vermutlich) in dem Sessel, doch das Bewu�tsein, das sich auf diesen Zustand hin entworfen hat, ist Vergangenheit, ins An-sich �bergegangen. Als solches kann es mir nicht mehr zur Selbstbegr�ndung dienen, es ist nur noch ein kontingenter Umstand unter anderen, der meine gegenw�rtige Situation bestimmt. - Dagegen bin ich selbst, auch wenn ich jetzt sitze, wieder zweideutiges F�r-sich und nicht etwa die angestrebte Synthese aus An-sich und F�r-sich. - Also stellt sich eine "ontologische Entt�uschung" ein, die dazu f�hrt, dass ich einen neuen Versuch starte, und mich z. B. daraufhin entwerfe, wieder aufzustehen.

Als mir vorgestellt habe, in dem Sessel zu sitzen, habe ich mir - abgesehen von mir selbst - auch einen bestimmten Zustand der Welt vorgestellt (z. B. dass der Sessel seinen Platz nicht ver�ndert hat oder verschwunden ist). Ausgehend von meiner M�glichkeit, in dem Sessel zu sitzen, war ich gezwungen, auch eine m�gliche Welt zu erfassen. - Das �bliche Vorurteil, wonach die Zukunft in erster Linie Zukunft der Welt ist, ist - so Sartre - also falsch. Die Zukunft ist in erster Linie meine Zukunft als Bewu�tsein, die Zukunft der Welt ist logisch nachgeordnet, insofern ich mir mich selbst in der Zukunft immer nur als anwesend bei einer Welt denken kann. Ausgehend von meinen M�glichkeiten, gebe ich der Welt eigene M�glichkeiten.

Vergangenheit und Zukunft haben das miteinander gemein, dass sie mit meinem Gegenwartsbewu�tsein identisch und nicht identisch sind. Die Zukunft ist mit mir identisch, da "ich werde sein" genau wie "ich war" Identit�t ausdr�ckt. So wie es einen Bezug zur Vergangenheit lediglich dadurch geben kann, dass ich meine Vergangenheit bin, kann es einen Bezug zur Zukunft nur geben, weil ich meine Zukunft bin. - Beide sind nat�rlich auch nicht identisch mit mir: Die Vergangenheit, weil sie An-sich ist, und die Zukunft, weil sie die unm�gliche Synthese von An-sich und F�r-sich ist, die der "Wert" bedeutet.

Worin besteht nun der wesentliche Unterschied, der es erlaubt, beide auseinanderzuhalten? Er besteht darin, dass meine Vergangenheit nicht meiner Freiheit unterworfen ist, meine Zukunft hingegen schon: "Ich bin meine Zukunft in der konstanten Perspektive der M�glichkeit, sie nicht zu sein." - Die Zukunft ist also offen, was es nicht erlaubt, von ihrer Existenz zu sprechen (abgesehen davon, dass sie in ihrer eigentlichen Form - dem "Wert" - nie verwirklicht werden kann). Die Vergangenheit hat wirkliche Existenz, sie ist Sein-an-sich, die Zukunft hat nur ideale Existenz.

Sartre weist zum Abschluss darauf hin, dass die Hierarchie meiner M�glichkeiten nicht der Chronologie entspricht: Ein nach der Zeitmessung weiter in der Zukunft liegender Punkt kann mein Handeln st�rker bestimmen als ein n�her in der Zukunft liegender. Der Entwurf, am soundsovielten bei einem Freund, der in einer fernen Stadt wohnt, einzutreffen, ist z. B. den der Chronologie nach n�herliegenden Entw�rfen im Hinblick auf die Art des Reisemittels oder dem Zeitpunkt meiner Abfahrt �bergeordnet. Es kann sogar sein, dass ich zu letzteren noch gar keine Entw�rfe habe.

 Die Totalit�t der Zeit

Sartres Kapitel "Die Zeitlichkeit" teilt sich in zwei Abschnitte ein, die "Ph�nomenologie der Zeit" und die "Ontologie der Zeit". Gegenstand der "Ph�nomenologie" war die getrennte Behandlung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Da die Argumentation, wie wir gesehen haben, stark von Sartres Ontologie bestimmt war, erscheint die Einteilung in "Ph�nomenologie" und "Ontologie" irref�hrend.

Am Beginn der "Ontologie der Zeit" k�ndigt Sartre an, dass in diesem Abschnitt die Zeit als Totalit�t behandelt werden soll. Man k�nnte nun annehmen, dass es jetzt um "die" Zeit im Unterschied zu den drei Zeiten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geht. In Wahrheit geht es prim�r um eine grundlegende Kritik aller Auffassungen, nach der sich die Zeit aus voneinander unabh�ngigen Elementen zusammensetzt. - Wir waren schon darauf gestossen, dass Sartre es f�r unm�glich h�lt, den Bezug des gegenw�rtigen Bewu�tseins zu seiner Vergangenheit oder seiner Zukunft zu erkl�ren, wenn Vergangenheit und Zukunft von der Gegenwart abgetrennt sind. Sartres Gegenvorschlag bestand darin, eine Identit�t des gegenw�rtigen mit dem vergangenen und zuk�nftigen Bewu�tseins anzunehmen. Wir haben gesehen, dass diese Identit�t mit mit paralleler Nicht-Identit�t einhergeht und auf das Nichts im Bewu�tsein verweist. - In der "Ontologie" wird Sartre diesen Ansatz vertiefen.

Sartre unterscheidet zun�chst eine statische und eine dynamische Betrachtungsweise der Zeit. Die statische Betrachtungsweise bezieht sich nur auf den Ordnungscharakter, den die Zeit hat, insofern man alle Zeitpunkte auf einer nicht umkehrbaren Linie nach "vorher" und "nachher" sortiert anordnen kann. Die dynamische Betrachtungsweise ber�cksichtigt das, was die statische ausklammert, n�mlich dass Zeit sukzessiv ist. - Was das heisst, werden wir sp�ter sehen.

Die statische Betrachtungsweise verf�hrt zu der Auffassung, dass sich die Zeit aus Augenblicken zusammensetzt, wenn man n�mlich annimmt, dass sich die "Vorher"-"Nachher"-Linie in kleinste Teile zerlegen l�sst. Hier stellt sich das Problem, welche Verbindung zwischen den Augenblicken existiert. Wird diese Verbindung von einem Zeugen hergestellt, der wahrnimmt, wie ein Augenblick vom n�chsten abgel�st wird? - Sartre h�lt das f�r eine nur scheinbare Probleml�sung, da die Wahrnehmung von Augenblicken selbst ein zeitlicher Vorgang ist, so dass sich das Problem lediglich auf den Zeugen verlagert.

Sartre erw�hnt zwei weitere Versuche, das Problem zu bew�ltigen. Descartes habe die Verbindung der Augenblicke, den �bergang von einem instantanen Bewu�tsein zu einem sp�teren, in der fortlaufenden Sch�pfung Gottes (creatio continua) gesucht, Kant in einer Form der Anschauung, mit der das Subjekt die Sinnesdaten ordnet. - Beide Standpunkte haben nicht viel miteinander gemein, abgesehen davon, dass sowohl Gott als auch das Kantische Subjekt als ausserhalb der Zeit stehend gedacht werden. Es handelt sich also beide Male um den Versuch, die Zeit aus etwas Zeitlosem abzuleiten. - Sartre h�lt das f�r widersinnig. (Die Argumentation ist hier �hnlich wie im Falle der Negation, die nach Sartre nicht aus nur positiven Elementen rekonstruiert werden kann.)

Leibniz wiederum versuchte, das Problem aus der Welt zu schaffen, indem er darauf verwies, dass die Zeit nicht aus Augenblicken zusammengesetzt, sondern kontinuierlich sei. Doch der Begriff der Kontinuit�t ist selbst erkl�rungsbed�rftig. Sartre zitiert eine Definition des Physikers und Mathematikers Poincar�: Eine Reihe A, B, C ist kontinuierlich, wenn gilt: A gleich B, B gleich C, A ungleich C. - Sartre begr�sst sie mit offenen Armen: "Diese Definition ist ausgezeichnet, weil sie uns tats�chlich einen Seinstypus vermuten l��t, der das ist, was er nicht ist, und nicht das ist, was er ist: [...]." Offenbar haben wir hier einen Bruch der Logik, der nur durch Nicht-Identit�t mit sich selbst erkl�rbar ist!

Nicht-identisch mit sich selbst ist das F�r-sich, so dass eine kontinuierliche Zeit ihren Ursprung in diesem Seinsbereich haben muss, wie wir bereits gesehen haben. - Jetzt h�lt Sartre den Moment f�r passend, eine Gesamtbeschreibung der Zeit im Kontext des F�r-sich zu versuchen: Sie entsteht im Moment der Geburt, die ja das absolute Ereignis ist, in dem das An-sich sich selbst mit Nichts infiziert, um so seine Kontingenz zu beseitigen. Die erste Vergangenheit, die entsteht, ist der Embryo als das An-sich, mit dem die Geschichte beginnt (es ist nicht n�tig, sagt Sartre, dass das Vergangene des Bewu�tseins vergangenes Bewu�tsein ist, der Mensch befinde sich gleichfalls in Seinssolidarit�t mit dem unbewu�ten Embryo). Mit dieser Vergangenheit entsteht die Vergangenheit �berhaupt, da das An-sich ja keine Vergangenheit haben kann. (Ausserdem entsteht die Welt als die in Dinge aufgeteilte Totalit�t des An-sich.)

"Es gibt nicht zun�chst eine universelle Zeit, in der pl�tzlich ein F�r-sich erschiene, das noch keine Vergangenheit hat. Sondern von der Geburt aus, als urspr�ngliches, apriorisches Seinsgesetz des F�r-sich, enth�llt sich eine Welt mit einer universellen Zeit, in der man einen Moment bezeichnen kann, wo das F�r-sich noch nicht war, und einen Moment, wo es erscheint, [...]"

Die Vergangenheit des Bewu�tseins ist an-sich und daher nicht Teil des Bewu�tseins. Da sie aber dennoch mit dem Bewu�tsein identisch ist, unterscheidet sie sich von dem gegenw�rtigen An-sich, das wahrgenommen wird. (Erinnern wir uns daran, dass das Verh�ltnis der Dinge zum Bewu�tsein - ausnahmsweise - eines der absoluten Nicht-Identit�t ist: Das Bewu�tsein ist nicht die Dinge.) - Die Vergangenheit des Bewu�tseins ist also kein Erkenntnisgegenstand, sie bildet vielmehr einen Hintergrund des Bewu�tseins, der nicht begrifflich erfasst wird. - Diese "Heimsuchung" des Bewu�tseins durch seine Vergangenheit, die, wie Sartre sagt, "eine unab�nderliche und r�ckw�rtige Tiefe" der Gedanken und Gef�hle ist, kann die erste, unbewu�te Vergangenheit des Bewu�tseins (den Embryo) wohl kaum mitumfassen, m�chte man meinen: Schliesslich erinnert sich das (bewu�te) Kind nicht an seine (unbewu�te) Embryonalzeit.

Mit dem Bewu�tsein entsteht nicht nur die gegenw�rtige Welt und die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft: Das Bewu�tsein erfasst sich als Mangel, und - wie wir sahen - kann ein Mangel lediglich im Hinblick auf eine verfehlte Totalit�t existieren, in der das Mangelnde erg�nzt ist. Diese Totalit�t ist der in der Zukunft liegende "Wert". - Da Sartre nun alle drei Aspekte der Zeit erfolgreich im Bewu�tsein verortet hat, kann er die Zeitlichkeit als "Innenstruktur des Seins, das seine eigene Nichtung ist" bezeichnen.

Die statische Betrachtungsweise der Zeit (als eine Vorher-Nachher-Reihe) unterschl�gt den Aspekt, den man umgangssprachlich mit den Worten "die Zeit vergeht" auszudr�cken pflegt. Es gibt nicht nur eine Vergangenheit des F�r-sich, die vor seiner Gegenwart liegt, die wiederum vor seiner Zukunft liegt, es gibt auch einen permanenten Wechsel: Gegenw�rtiges F�r-sich wird vergangenes (an-sich-gewordenes) F�r-sich, und es entsteht ein neues gegenw�rtiges F�r-sich. Wer die Zeit lediglich als Ordnung auffasst, �bersieht vielleicht, dass dieser Wechsel erkl�rt werden muss. - Dazu kommt, dass der Wechsel nicht nur die Ver�nderung eines Aspektes an einem sich Gleichbleibenden darstellt, sondern absolut ist: Das alte F�r-sich verschwindet vollkommen, und wird v�llig neu hervorgebracht.

Sartres h�lt das Problem der Dynamizit�t der Zeit f�r ein Scheinproblem, das entsteht, wenn man die einander abwechselnden F�r-sich als An-sich-Entit�ten auffasst. Das F�r-sich tr�gt die Ver�nderung jedoch bereits in seiner labilen ontologischen Struktur, so dass keine besondere Erkl�rung mehr n�tig ist.

Das gegenw�rtige Bewu�tsein wird zu vergangenem Bewu�tsein. K�nnen wir analog dazu sagen, dass das zuk�nftige Bewu�tsein sich in gegenw�rtiges verwandelt? - Nein, so Sartre: Wer das behauptet, �bersieht, dass die Zukunft nicht fixiert ist: Sie ist immer nur m�gliche Zukunft. Die Zukunft wird daher nicht etwa Gegenwart, sondern Zukunft eines vergangenen Bewu�tseins.

 Nachbemerkung zu Diskussion der Zeit

Stephen Hawkins Behauptung, dass die Zeit mit dem Urknall begonnen habe, ist absurd, wenn man den Begriff "Zeit" im normalen, alltagssprachlichen Sinne versteht. Was war denn vor dem Urknall (Hawkins h�lt diese Frage nicht f�r sinnlos, soweit ich weiss)? Offenbar ist der Urknall ein Ereignis, das zu einer bestimmten Zeit geschehen ist. Wenn dieses Ereignis, unter anderem, darin bestand, dass die Zeit begann, muss es eine andere Zeit geben, n�mlich die Zeit des Ereignisses.

Das Problem stellt sich in Wahrheit nicht, weil Hawkins den Zeitbegriff der Physiker im Auge hat. Dieser Begriff spielt, wie erw�hnt, seine Rolle im Theoriesystem des aktuellen physikalischen Paradigmas und kann mit dem normalen Zeitbegriff nicht identisch sein (sonst w�re die physikalische Theorie aus rein logischen Gr�nden falsch). - Physiker sehen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, Laien mit Kurzversionen ihrer Theorien versorgen zu m�ssen und identifizieren bei dieser Gelegenheit ihre Fachbegriffe mit scheinbar bedeutungs�hnlichen umgangssprachlichen Ausdr�cken.

Wenn man Hawkins also (vermutlich) verzeihen kann, dass er der Zeit einen Anfang gibt, hat Sartre keine solche Entschuldigung. Wenn Sartre die Entstehung der Zeit in das absolute Ereignis verlegt, kann er noch so sehr darauf insistieren, dass dieses Ereignis "ausserzeitlich" sei - man versteht ihn nicht. - Ein Ereignis geschieht, und was immer geschieht, geschieht in der Zeit (und das heisst, man kann sinnvoll fragen, was vorher geschehen ist und was danach geschieht). - Ich hatte gesagt, dass Sartre m�glicherweise zu einem eigenen Zeitbegriff gelangt: Das geschieht zwangsl�ufig durch die Einf�hrung des absoluten Ereignisses. Es gab eine Zeit(2), in der es stattfand und diese Zeit kann offenbar nicht mit der Zeit(1) identisch sein, die mit dem Ereignis begann.

Man k�nnte jetzt nat�rlich annehmen, dass die Zeit(2) mit der normalen Zeit zu identifizieren ist und die Zeit(1) eine reine Angelegenheit der Subjektivit�t sei, ein pychisches Phantom. (So gehen Gehirnphysiologen davon aus, dass unser Gehirn die Aussenwelt neu konstruiert - es gibt also zwei Aussenwelten, die reale und die vom Gehirn rekonstruierte, die von der realen stark abweichen kann.) - Sartre w�rde sich strikt gegen eine solche Interpretation wehren. Die Zeit, die er zu erkl�ren beabsichtigt, ist keine Illusion, sondern "die" Zeit.

Er w�rde also leugnen, dass er Zeit(2) voraussetzen muss, um Zeit(1) zu erkl�ren und sich vielleicht darauf berufen, dass der Begriff eines zeitlosen Ereignisses nicht von ihm erfunden wurde: Schon Augustinus vertritt die Auffassung, dass die Zeit von Gott geschaffen wurde (so dass die Frage, was Gott vor der Sch�pfung tat, sinnlos ist). - Aber macht seine Altehrw�rdigkeit den Begriff brauchbar? Ereignisse finden statt, fanden statt oder werden stattfinden. Wie in vielen Streitf�llen, die den Bereich der Logik tangieren, ist es schwierig, sie argumentativ zu enscheiden. - Was stattdessen? Man sieht es oder man sieht es nicht (�hnlich verh�lt es sich, glaube ich, mit der Unm�glichkeit, Existenz als Pr�dikat zu setzen).

Ein anderer Kritikpunkt an Sartre betrifft die Fragen nach dem "Sein" von Vergangenheit und Zukunft. "Existieren" ist n�mlich ebenfalls ein Ausdruck, der in allen Zeitformen vorkommen kann. Etwas existiert, existierte oder wird existieren. Wer nach der Existenz der Vergangenheit fragt, was soll er meinen, wenn nicht die gegenw�rtige Existenz? Doch wenn der Vergangenheit eine gegenw�rtige Existenz zukommt, macht es auch Sinn, nach der vergangenen Existenz der Vergangenheit zu fragen, wir finden uns also wieder im logischen Nirvana wieder. - Doch Sartre k�nnte sich vielleicht darauf hinausreden, dass sein Begriff "Sein" mehr umfasst als lediglich Existenz, und vor allen Dingen zeitlos konzipiert ist - die Fortsetzung spare ich mir.

 Die Reflexion und der "Wert"

Am Ende des "Zeitlichkeit"-Kapitels sieht sich Sartres Leser pl�tzlich in die "Transzendenz des Ego" zur�ckversetzt, denn es geht um die Reflexion. - Die Reflexion hat f�r "Das Sein und das Nichts" ausschlaggebende Bedeutung. Warum? Sartre greift f�r seine Argumentationen als Grundlage auf das Cogito zur�ck. Und wer vermittelst des Cogito zu philosophischen Erkenntnissen gelangt, befindet sich w�hrend seiner introspektiven T�tigkeit auf der reflexiven Bewu�tseinsebene (auch Aussagen �ber das Bewu�tsein im pr�reflexiven Modus verdanken sich dem nachtr�glichen Schritt auf die reflexive Ebene).

Doch warum findet die Abhandlung dieses Themas gerade im Kontext der Zeit statt? - Wir haben gesehen, dass das Cogito f�r Sartre nicht instantan sein kann, kein Augenblicksbewu�tsein, sondern die Vergangenheit mitumfassen muss. Wenn dem aber so ist, heisst das, dass uns die Reflexion Erkenntnisse �ber unsere Vergangenheit liefern kann. - Dem scheint nun zu wiedersprechen, dass unsere Erinnerung keineswegs unfehlbar ist, wohingegen Reflexion, da sie das Bewu�tsein selbst (den transluziden Bereich) betrifft, prinzipiell irrtumsfrei ist. - Um diese Schwierigkeit aufzul�sen, ist eine Untersuchung der Reflexion n�tig.

Was geschieht, wenn das Bewu�tsein aus dem vorreflexiven in den reflexiven Zustand �bertritt? Der vorreflexive Zustand ist das metastabile System Spiegelung/Spiegelndes, eine Dualit�t, die gleichzeitig Einheit ist. Wenn das Bewu�tsein nun auf dieses System reflektiert, kommt es dabei zu einer Verdoppelung? Spaltet das vorreflexive Bewu�tsein w�hrend des �bergangs ein zweites Bewu�tsein von sich ab, das dann die Rolle des Beobachters �bernimmt? Die Hypothese w�re naheliegend, da das reflektierende Bewu�tsein ja selbst ein System Spiegelung/Spiegelndes bildet. - F�r Sartre kommt sie nicht in Frage. Sie w�rde der ganzen Bewu�tseinsph�nomenologie die Grundlage entziehen, da sie eine Distanz zwischen dem erkennenden Bewu�tsein (dem reflexiven Bewu�tsein) und seinem Gegenstand (dem Bewu�tsein, auf das reflektiert wird) annehmen m�sste. Die Reflexion w�rde sich nicht mehr wesentlich von einer Objekterkenntnis unterscheiden und k�nnte keinen Anspruch auf besondere Sicherheit erheben. Abgesehen davon bliebe die pl�tzliche Neusch�pfung eines Bewu�tseins und nat�rlich auch sein sp�teres Verschwinden r�tselhaft (wenigstens wenn man Sartres Ontologie voraussetzt).

Damit die Seinseinheit des F�r-sich und damit der Geltungsanspruch einer auf Reflexion basierenden Philosophie gewahrt bleibt, ist Sartre zu der These gezwungen, dass es bei der Reflexion nicht zu einer Verdoppelung des Bewu�tseins, sondern nur zu einer �nderung seiner Struktur kommt. Diese Modifikation, die sich das Bewu�tsein selbst gibt (da ja alles im Bewu�tsein spontan ist), l�uft auf eine unvollst�ndige bzw. scheinbare Verdoppelung des Bewu�tseins hinaus. Das reflektierte Bewu�tsein wird nicht zum Objekt f�r das reflektierende, sondern - so Sartre - nur "Quasi-Objekt". - Wie unterscheidet sich ein Objekt von einem Quasi-Objekt? - Dadurch, dass die normalerweise mit Abstand verbundene Distanz zwischen Bewu�tsein und Objekt im Falle des Quasi-Objektes unendlich klein, Nulldistanz ist.

Da diese Bewu�tseinsmodifikation aus der Spontaneit�t des Bewu�tseins hervorgeht, liegt der Verdacht nahe, dass sie ein Versuch des Bewu�tseins ist, den "Wert" zu realisieren (wie alle Besch�ftigungen des Bewu�tseins) und das heisst, sich selbst die ruhige Identit�t eines An-sich-existierenden Gegenstandes zu verleihen. - Das ist tats�chlich Sartres Ansicht: In der Reflexion versucht das F�r-sich, dem labilen System Spiegelung / Spiegelndes zu entkommen und "das zu sein, was es ist". W�rde der Versuch gl�cken, k�me es tats�chlich zu einer Spaltung in das F�r-sich-Bewu�tsein, das die Beobachterrolle einnimmt, und das an-sich gewordene Bewu�tsein, das "ist, was es ist" und auf das reflektiert wird. Da er aber aus bekannten Gr�nden nicht gl�cken kann, bleibt es bei einer halben Losl�sung des Bewu�tseins von sich selbst, was der Begriff "Quasi-Objekt" andeutet.

Aber w�re die Unm�glichkeit eines solchen Versuches nicht plausibler als die Annahme, dass er zwar nicht gelingt, aber einen neuen hybriden Zustand hinterl��t (und zwar einen, der das Bewu�tsein in seiner Instantaneit�t trifft, die an und f�r sich schon das hybride Ergebnis eines gescheiterten Versuches ist)? Die ontologische Beschreibung der Reflexion an dieser Stelle erweckt den Eindruck, als w�re ihr haupts�chlicher Daseinsgrund das Bed�rfnis Sartres, die G�ltigkeit der Reflexion aus der Gefahrenzone zu bringen: Die Bewu�tseinseinheit bleibt gewahrt und Reflektiertes und Reflektierendes befinden sich in Identit�t, so dass Sein und Erscheinen im Bewu�tsein weiterhin zusammenfallen.

 Unreine Reflexion

Wir hatten in der "Transzendenz des Ego" gesehen, dass die Reflexion verunreinigt sein kann. Das war der Fall, als Descartes in seinem Cogito das Ich wiederzufinden glaubte, das in Wahrheit ein transzendenter Gegenstand ist. Das Prinzip einer solchen Verunreinigung ist das scheinbare Erblicken von Objekten im Bewu�tsein (nicht zu verwechseln mit dem gerade erw�hnten "Quasi-Objekt" der Reflexion, das tats�chlich bewu�tseinsimmanent ist). Da es im Bewu�tsein keine Objekte geben kann, m�ssen die "Schattenobjekte" das Resultat einer Fehlinterpretation sein. - Sartre hatte ein Beispiel angef�hrt: Die Reflexion scheint mir zu verraten, dass ich jemanden hasse, eine Feststellung, die zu ihrer Begr�ndung l�ngere Beobachtungen erfordern w�rde, die noch dazu besser nicht von mir selbst ausgef�hrt werden. - Wie kommt es zu dem Fehler? Ich interpretiere eine momentane Abneigung als Wirkung des Hasses, und nehme mit Selbstverst�ndlichkeit an, dass der Verursacher sich im Bewu�tsein befindet. Diese Annahme wiederum verwechsle ich mit einem tats�chlichen Bewu�tsein von Hass.

Sartre hatte sich in der "Transzendenz des Ego" vorwiegend mit solchen Schattenobjekten besch�ftigt, deren Ursprung die Vereinheitlichung des Bewu�tseins ist. Dazu geh�rten das Ich, Zust�nde, Qualit�ten und Handlungen (siehe oben). Immer handelt es sich um Einheiten, die als wirkm�chtig interpretiert werden, in Wahrheit aber g�nzlich von ihren scheinbaren Wirkungen abh�ngen - von "Hass" kann ich sprechen, wenn ich �ber einen l�ngeren Zeitraum hinweg auf einen Menschen mit Gef�hlen der Abneigung reagiere. Doch �ber diese Abneigungen hinaus gibt es in Wahrheit nichts, da diese aus der Spontaneit�t meines Bewu�tseins hervorgehen und nicht verursacht sein k�nnen. - Jetzt erweitert Sartre den Kreis der Schattenobjekte auf den gesamten Bereich der Psyche, die er als "die Einheit der von der unreinen Reflexion produzierten Schattengegenst�nde" definiert. - Zur Psyche geh�rt auch die Zeit, wie wir sie zu erfahren scheinen, als Bewu�tseinsstrom: In Wahrheit gibt es die Zeit lediglich als ontologische Struktur des F�r-sich, w�hrend der (in Augenblicke teilbare) Erlebnisstrom ein Schattenobjekt ist.

Sartre m�chte �brigens keineswegs behaupten, dass die Psychologie, die sich mit der Psyche besch�ftigt, eine Art Astrologie ist, die einen nicht existierenden Gegenstand untersucht (die Astrologie besch�ftigt sich mit der nicht existierenden Einwirkung der Gestirne auf das Schicksal). Der Psyche und ihren Inhalten kommt eine gewisse Realit�t zu, die sich daraus ergibt, dass die unreine Reflexion der Normalfall ist, und die Schattengegenst�nde daher mit einem gewissen Automatismus erscheinen, wenn Menschen "in sich hineinblicken".

Da die unreine Reflexion einen Irrtum des F�r-sich �ber sich selbst involviert, solche Irrt�mer aber prinzipiell ausgeschlossen sind, liegt es nahe, die unreine Reflexion als Variante des Schlechten Glaubens (siehe dort) zu erkl�ren. Wie wir wissen, ist der Schlechte Glaube ein Versuch, sich von der Angst als Freiheitsbewu�tsein abzulenken. Und genau das erreicht das Bewu�tsein, wenn es z. B. den Hass als an-sich-bestehende Ursache seiner Abneigung interpretiert! Denn der Hass fungiert als Entschuldigung: Ich bin nicht daf�r verantwortlich, dass mir dieser Mensch zuwider ist, denn was kann ich f�r meinen Hass? - Sartre besteht demgegen�ber auf meiner totalen Verantwortlichkeit f�r die Abneigung, da diese weder durch den Hass noch durch irgendwelche negativen Erfahrungen mit dem betreffenden Menschen verursacht worden sein kann, sondern spontan ist.

Ebenfalls nur Schattengegenst�nde sind die Triebe und Gel�ste. - Sartre bezeichnet sie als Projektionen des Mangels: Dieser erscheint in der unreinen Reflexion als psychisches Objekt, eben als Trieb. - Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass der Mangels meines Erachtens als Erkl�rung f�r die Begierde ungeeignet ist, weil er eine korrespondierende Begierde voraussetzt.

Schattengegenst�nde der Psyche sind f�r Sartre auch die Handlungen ("Akte", als psychische Realit�t, nicht als ausgef�hrte Handlung). Eine Handlung bezieht Mittel auf einen bestimmten Zweck (der die Verwirklichung einer meiner M�glichkeiten ist), ist als solche aber lediglich ein Erzeugnis der Reflexion. Wenn ich mich auf der pr�reflektiven Bewu�tseinsebene befinde, erscheint mir meine M�glichkeit nicht als etwas, das von mir durch Ergreifen dieser oder jener Mittel verwirklicht werden muss, sondern als eine objektive Eigenschaft der Dinge. - Was Sartre damit meint, erkl�rt er mit einem Beispiel, an dem er offensichtlich Freude hat: Das Gesicht eines Menschen erscheint mir unreflektiert als "Fresse zum Reinschlagen". Das "Reinschlagen" ist auf dieser Ebene nicht eine M�glichkeit, die mir zu verwirklichen offensteht, und die dem Gesicht �u�erlich ist, sondern eine objektive Forderung, die so zum Gesicht geh�rt wie seine Augenfarbe oder Nasenform.

Aber widerspricht diese Objektivit�t der M�glichkeit nicht meiner Freiheit? Wie kann ich mich denn dagegen wehren, den Faustschlag tats�chlich auszuf�hren, wenn die Aufforderung dazu objektiv im Gesicht des Anderen steht? Wer diese Fragen stellt, hat vergessen, dass das Erscheinen der Forderung auf der pr�reflexiven Ebene selbst Resultat meiner Freiheit ist. Die Angst als spezifisches Freiheitsbewu�tsein erscheint erst in der Reflektion, die, wie Sartre uns erkl�rt hat, zeigt, dass jeder Zweck einer Handlung sich auf einen Grundentwurf bezieht, der frei gew�hlt wurde. - Jedoch wie vertr�gt sich das damit, dass Sartre die Handlung soeben als durch unreine Reflexion erzeugtes Schattenobjekt, also als Resultat Schlechten Glaubens hingestellt hat? - Man kann vermuten, dass uns die reine Reflexion anstelle der Handlung etwas anderes zeigen wird.

Ein anderes Problem ergibt sich aus der hier erfolgten Abwertung der Reflexion, die Sartre ja zum gescheiterten Versuch einer An-sich-Werdung erkl�rt hat. Wenn dieser Versuch sinnlos ist, ist es nicht richtig, auf Reflexion m�glichst zu verzichten und - wenn wir an Sartres Beispiel denken - ohne Nachdenken in aller Freiheit sofort zuzuschlagen? Dieser Verzicht h�tte noch den zus�tzlichen Vorteil, dass er uns von der Angst befreien w�rde, da diese ja erst auf der reflexiven Ebene erscheint.

 Reine Reflexion

Wenn es nur unreine Reflexion g�be, w�rde das die Selbstaufl�sung von Sartres Philosophie bedeuten, deren Grundlage die reflexive Analyse des Bewu�tseins ist. Reflexion h�tte ihren Wert als Methode, die evidente Wahrheiten auswirft, eingeb��t, da die unreine Reflexion ja zur Annahme von Scheinwirklichkeiten verf�hrt. Und wenn jede Reflexion unrein ist - wie k�nnte man zu dieser Erkenntnis gelangen, als nur durch unreine Reflexion? - Wir k�nnen daraus schliessen, dass Sartre reine Reflexion f�r m�glich h�lt und ausserdem davon �berzeugt ist, dass er sie praktiziert. Und in der Tat konstatiert er, dass sie durch eine "Katharsis" erreichbar ist. - Sartre hat hier offenbar etwas �hnliches wie die Husserlsche Epoch� (das Wort bedeutet ungef�hr "Enthaltung") im Auge: Husserl war der Ansicht, dass er durch "Einklammerung" all der Urteile, die wir in der "nat�rlichen Einstellung" f�r gewiss halten, in die Lage versetzt wird, z. B. die Wesensmerkmale des Bewu�tseins rein zu erfassen. - Die "Einklammerung" ersetzt den Cartesianischen Zweifel, weil Husserl davon �berzeugt war, dass wir zu einem radikalen Zweifel an Sachverhalten, von denen wir fest �berzeugt sind, gar nicht f�hig sind und uns demnach auf ein bewu�tes Absehen davon beschr�nken m�ssen.

Wodurch unterscheidet sich die reine von der unreinen Reflexion? Sartre konstatiert, dass Reflexion in der Reinform darin besteht, dass sich das eine System Spiegelung / Spiegelndes in zwei Systeme aufspaltet, die durch "ein Nichts" (eine Nulldistanz) getrennt sind, �hnlich wie im pr�reflexiven System Spiegelung und Spiegelndes getrennt sind (Bewu�tsein und Bewu�tsein von Bewu�tsein). Wir haben gesehen, dass diese Spaltung auf halbem Wege steckenbleibt: Das reflektierte Bewu�tsein kann kein wirkliches Erkenntnisobjekt (das an-sich existieren w�rde) sein, es ist f�r das reflektierende Bewu�tsein nur ein Quasi-Objekt. - Unrein wird die Reflexion dann, wenn das Quasi-Objekt zum Schattenobjekt bef�rdert wird, was durch seine Interpretation als An-sich geschieht.

Der grundlegende Bezug des Bewu�tseins zu den an-sich-existierenden Dingen ist, wie erw�hnt, die Nicht-Identit�t, so dass die unreine Reflexion darauf hinausl�uft, die Nicht-Identit�t des reflektierenden Bewu�tseins mit dem Reflektierten zu behaupten. - Wir haben das am Beispiels "Hass" verfolgen k�nnen: Wer unrein auf seine momentane Abneigung reflektiert, interpretiert sie als von Hass verursacht. Der Hass ist etwas �u�eres, von dem die momentane Abneigung ganz abh�ngt, die damit ebenfalls einen �u�erlichen Charakter gewinnt: Ich bin nicht f�r sie verantwortlich - ich bin nicht damit identisch. Doch parallel dazu akzeptiere ich nat�rlich, dass ich mit dem Hass / der Abneigung identisch bin, schlie�lich will ich ja meine Nichtverantwortlichkeit f�r mich selbst herausstellen und vielleicht noch meine Souver�nit�t als freies Individuum betonen, indem ich zu mir selbst einen Standpunkt einnehme.

W�hrend die unreine Reflexion das F�r-sich als An-sich interpretiert (Sartre definiert sie als "die Intuition des F�r-sich als An-sich"), erkennt die reine Reflexion, dass das Reflektierte F�r-sich ist, was das Verschwinden der Schattenobjekte zur Folge hat. Wir k�nnen annehmen, dass Sartre damit den Zustand zu beschreiben glaubt, in dem er sich selbst w�hrend des Philosophierens befindet.

Ein Vorteil der reinen Reflexion besteht also darin, Bewu�tseinsphilosophie auf evidenter Grundlage zu erm�glichen. Doch es gibt noch einen zweiten Vorteil: Sie ist n�mlich unser Ausweg aus dem Schlechten Glauben. - Sartre hatte in einer Fu�note am Ende dieses Themas angedeutet, dass es einen solchen Ausweg gibt, der in einer "�bernahme des verdorbenen Seins durch sich selbst" bestehe. - Wir k�nnen jetzt verstehen, was er damit meint: Das "verdorbene Sein" ist das Sein-f�r-sich im Schlechten Glauben, das sich seine Freiheit zu verheimlichen sucht, indem es sich zu An-sich macht. Die �bernahme dieses Seins durch sich selbst geschieht in der reinen Reflexion, die zu dem Eingest�ndnis f�hrt, dass es im Bewu�tsein nur nicht mit sich identisches F�r-sich gibt. - Das Bewu�tsein akzeptiert sich also als das, was es ist.

Aber hatte Sartre nicht erkl�rt, dass Ehrlichkeit sich selbst gegen�ber lediglich eine weitere Variante des Schlechten Glaubens ist? Wie unterscheidet sich denn der Zustand, den man mit der reinen Reflexion erreicht, von Ehrlichkeit gegen�ber sich selbst? - Nun, Ehrlichkeit gegen�ber sich selbst heisst f�r Sartre, anerkennen, dass man ist, was man ist. Genau das tut man nach der reinen Reflexion zwar auch, das "sein, was man ist" hat aber hier nicht dieselbe Bedeutung: Im Falle des Ehrlichkeitsideal besagt es, das man an-sich ist, was man ist, im Sinne eines mit sich selbst identischen Dings. Im Falle der reinen Reflexion besagt es aber, das man als nicht mit sich selbst identisches F�r-sich ist, was man ist. - Der merkw�rdige Umstand, dass Nichtidentit�t mit sich selbst Identit�t mit sich selbst impliziert (siehe Abschnitt "Anwesenheit bei sich") kann beim Leser Sartres f�r Verwirrung sorgen.

Wir hatten gesagt, dass der Sinn einer Abhandlung der Reflexion im Kontext des Themas Zeit darin besteht, zu kl�ren, warum das Cogito in Bezug auf seine Vergangenheit unfehlbar ist, obwohl uns die Erinnerung t�uschen kann. - Leider ist die Antwort Sartres nicht sehr ausf�hrlich: Die reine Reflexion ist bez�glich der Vergangenheit evident, weil sie die Vergangenheit als das erfasst, von dem die Gegenwart "in nicht thematischer Form heimgesucht wird". - Als Beispiel kann vielleicht Descartes "Ich zweifle, also bin ich" dienen, auf das Sartre hier noch einmal zur�ckkommt. Wer reflexiv erfasst, dass er zweifelt, erfasst damit auch die Motivation dieses Zweifels (in der Vergangenheit), da ein Zweifel ohne Motivation keiner ist. (Ich kann mich nicht hinsetzen und beschliessen: "Ich bezweifle jetzt mal eben, dass ich ... heisse". Der Zweifel ist nicht meinem Willen unterworfen, sondern stellt sich unwillk�rlich ein, wenn ein Motiv daf�r erscheint.) - Und dieses Miterfassen des Motivs ist keine Erinnerung an das Motiv: Das Motiv ist im Zweifel unmittelbar gegeben.

Denselben G�ltigkeitsanspruch der reinen Reflexion erhebt Sartre f�r die Zukunft. Wer jetzt vermutet, dass Sartre auf eine nat�rliche F�higkeit zur Weissagung anspielt, liegt falsch: Die "Zukunft" des Bewu�tseins ist nicht das, was letztlich mit ihm passieren wird, sondern meint nur seine M�glichkeiten zur Realisierung des "Werts". - Der Begriff einer fixen Zukunft macht f�r Sartre keinen Sinn, da er einen l�ckenlosen Determinismus voraussetzt. - Und insofern ein Bewu�tseinszustand einen Zweck impliziert, bezieht er seine Zukunft mit ein:

"Was bliebe aber vom methodischen Zweifel, wenn man ihn auf den Augenblick beschr�nken k�nnte? Ein Aussetzen des Urteils vielleicht. Aber ein Aussetzen des Urteils ist kein Zweifel, es ist lediglich eine notwendige Struktur davon. Zum Zweifel geh�rt, da� dieses Aussetzen durch das Ungen�gen der Gr�nde f�r eine Affirmation oder Negation motiviert ist - was auf die Vergangenheit verweist - und da� es absichtlich bis zum Auftreten neuer Elemente aufrechterhalten wird, was schon Entwurf der Zukunft ist."

 Die Transzendenz

Der sog. "ontologische Beweis", den Sartre ganz zu Beginn seines Werkes pr�sentierte, besagte, wie wir gesehen haben, dass mit dem Bewu�tsein auch das bewu�tseinsunabh�ngige Sein gegeben sein muss, das daher (und aus anderen Gr�nden) kein Produkt oder Teil des Bewu�tseins sein kann. Bewu�tsein ist Intentionalit�t, das heisst, immer auf etwas gerichtet, was selbst nicht Bewu�tsein ist. - Nachdem Sartre seine Ontologie des An-sich und des F�r-sich entwickelt hat, kann er die Beziehung des Bewu�tseins zu dem, was nicht Bewu�tsein ist, pr�zisieren und in ihren unterschiedlichen Aspekten beschreiben. Das geschieht in den Passagen �ber "Transzendenz", wobei der Begriff hier das �berschreiten des Bewu�tseins nach "ausserhalb" meint.

Sartre ist der �berzeugung, dass er mit seiner Auffassung eine L�sung des Problems der Beziehung von Subjekt und Aussenwelt liefert, die weder Realismus noch Idealismus ist. Den Realismus - also die Theorie, dass das Bewu�tsein von Dingen dadurch entsteht, dass die Dinge auf das Bewu�tsein einwirken - h�lt Sartre f�r unhaltbar, da das Bewu�tsein akausal ist. Den Idealismus lehnt er gleichfalls ab: Die Erzeugung transzendenter Objekte durch das Bewu�tsein ist unm�glich, da vom Bewu�tsein Erzeugtes nicht aus diesem heraustreten kann, sondern selbst Bewu�tsein ist. - Wir erinnern uns: Das am Ende der "Einleitung" herausgestellte Ziel von "Das Sein und das Nichts" ist die Erkl�rung, wie es trotzdem einen Bezug zwischen beiden Seinsbereichen geben kann.

Es ist ziemlich einleuchtend, dass das System Spiegelung/Spiegelndes in sich zusammenf�llt, wenn es nicht ein urspr�ngliches Etwas gibt, das gespiegelt wird, und das nicht das Bewu�tsein selbst ist. Bewu�tsein ist Bewu�tsein von sich als Bewu�tsein von etwas. Gibt es dieses Etwas nicht, so ist das pr�reflexive Bewu�tsein unm�glich (und damit nat�rlich auch die Reflexion auf dieses Bewu�tsein). - Aus diesem Grunde kann Sartre sagen, dass sich das F�r-sich auf der Grundlage seiner Beziehung zum Sein-an-sich hervorbringt. Das F�r-sich ist ja nicht nur Negation des An-sich, aus dem es entstand, sondern erzeugt sich durch permanente Negation dessen, was es nicht ist, immer wieder neu. - Diese Beziehung zeichnet sich allerdings durch eine gewisse Einseitigkeit aus: W�hrend das Sein-an-sich auch ohne das Sein-f�r-sich existieren kann, ist das Sein-f�r-sich ohne Sein-an-sich nicht denkbar.

Sartre zieht daraus die Schlussfolgerung, dass die Husserlsche Beschreibung der unmittelbaren Erkenntnis (der Intuition) als "leibhaftige Anwesenheit der Sache beim Bewu�tsein" umgedreht werden muss: Nicht die Sache ist beim Bewu�tsein anwesend, sondern das Bewu�tsein bei der Sache. - Sodann charakterisiert er die "Anwesenheit bei der Sache" als interne Negation. - Was ist eine interne Negation, und gibt es daneben eine externe? Eine interne Negation bestimmt das Wesen eines der beiden Elemente, die von der "ist nicht"-Relation verbunden werden, w�hrend eine externe Negation die Wesen unber�hrt l��t. - Sartre gibt folgendes Beispiel: Ein Vogel ist kein Tintenfass. Weder Vogel noch Tintenfass sind von der Negations-Relation in ihrem Wesen betroffen, die Negation ist extern, die Relation wird von einem Zeugen hergestellt. - Die Feststellung, dass ein Junggeselle kein Ehemann ist, l�uft dagegen (wenn wir die Bestimmung des Wesens als logische Bestimmung interpretieren) auf eine interne Negation hinaus, da es zum Wesen eines Junggesellen geh�rt, kein Ehemann zu sein. Die negative Beziehung muss nicht erst von einem Zeugen gesetzt werden, sondern ist mit dem Junggesellen automatisch gegeben.

Doch wenn diese Interpretation der Unterscheidung richtig ist, wirft sie Probleme auf: Denken wir an Spinozas "Omnis determinatio est negatio". Unsere Begriffe k�nnten ein geschlossenes System bilden, dessen Elemente durch wechselseitige Negationen miteinander verbunden sind: "ist ein Vogel" impliziert z. B. "ist kein unbelebter Gegenstand" usw. - in diesem Falle geh�rt es zum Wesen des Vogels, kein Tintenfass zu sein. - Ein anderes Problem ist die Notwendigkeit eines Zeugen: Wie m�ssen wir sie verstehen? Die Aussage, dass ein Vogel kein Tintenfass ist, beansprucht objektive Wahrheit: Meint das nicht Wahrheit, die unabh�ngig von einem Beobachter ist? - Nun sind f�r Sartre alle negativen Sachverhalte, die das An-sich betreffen, vom Bewu�tsein abh�ngig und ihre Objektivit�t ergibt sich nicht aus ihrem bewu�tseinsunabh�ngigen Bestehen, sondern aus der Objektivit�t des Nichts im Bewu�tsein. - Ich glaube, wir m�ssen Sartre anders interpretieren. Die interne Negation "bestimmt das Wesen" eines ihrer Glieder, aber nicht logisch, sondern in dem Sinn, dass sie das Wesen ver�ndert. Das Beispiel Junggeselle war also nicht korrekt. - Sartre gibt ein anderes Beispiel f�r eine interne Negation, das vor Augen f�hrt, dass die Unterscheidung nur auf der Basis von Sartres Ontologie Sinn macht:

Wenn ein Mensch sagt, dass er nicht rothaarig ist, ist die Negation extern. Wenn er aber sagt, dass er nicht sch�n ist, handelt es sich um eine interne Negation. - Woraus ergibt sich der Unterschied (denn die beiden Aussagen sehen ganz �hnlich aus)? - Ich nehme an, dass sich Sartre folgendes gedacht hat: Das Wesen des Bewu�tseins ist individuell, es ergibt sich aus seiner Spontaneit�t, solange das Bewu�tsein existiert, und ist erst mit dem Tod abgeschlossen. Nun ist das Nicht-rothaarig-sein zumindest unter Franzosen der Normalfall. Das Nicht-rothaarig-sein beeinflusst die M�glichkeiten eines Franzosen nicht und hat dadurch mittelbar keinen Einfluss auf das Bewu�tsein. Doch wer nicht sch�n ist (und davon weiss, deshalb unterstellt das Beispiel, dass der Mensch den Satz �u�ert) sp�rt eine deutliche Beeintr�chtigung. Das Nicht-Sch�n-sein ist ein wichtiger Teil der Situation des nicht-sch�nen Menschen, der seine M�glichkeiten merklich bestimmt. Das Nicht-sch�n-sein ist (um vorzugreifen) ein Aspekt seines Seins-f�r-Andere, seines Bildes, wie es ihm von den Anderen zur�ckgeworfen wird und mit dem er sich gezwungenermassen auseinandersetzen muss, das er akzeptieren oder ablehnen kann. Obwohl der Mensch gegen�ber seinem Nicht-sch�n-sein frei ist, es kompensieren oder bewu�t ignorieren kann, ist sein Bewu�tsein in bestimmten Hinsichten mit Sicherheit nicht dasselbe wie das eines (normal) sch�nen Menschen. (Wie sich den Kriegstageb�chern entnehmen l��t, weiss Sartre, wovon er hier spricht.)

Sartres w�rtliche Definition der internen Negation lautet: "Unter interner Negation verstehen wir eine solche Beziehung zwischen zwei Seinsweisen [sollte besser mit "Seienden" �bersetzt werden], bei der das, was von der anderen verneint wird, die andere durch eben ihre Abwesenheit innerhalb ihres Wesens qualifiziert. Die Negation wird dann eine wesenhafte Seinsverbindung, [...]."

Das Bewu�tsein bestimmt sich im Sinne einer internen Negation allein dadurch, die Sache nicht zu sein - das kann zu einem Mi�verst�ndnis f�hren. Ein Verfahren der Meditation besteht z. B. darin, sich v�llig auf einen bestimmten Gegenstand zu konzentrieren. Wenn das pr�reflexive Bewu�tsein es schafft, in dieser Wahrnehmung aufzugehen, entsteht im Nachhinein auf der reflexiven Ebene die Versuchung, das Erlebnis als mystischen Erleuchtungszustand zu interpretieren: Scheinbar gab es nur noch den Gegenstand. Da man aber in dieser Zeit nicht bewu�tlos war, erkl�rt man sich den Zustand durch eine Verschmelzung von Subjekt und Objekt, Bewu�tsein und Welt (die das Ziel mystischer Religi�sit�t darstellt).

 Einige Aspekte der Transzendenz

Kant vertrat die Theorie, dass die r�umlich-zeitliche Welt durch eine T�tigkeit des Subjektes aus einem unstrukturierten Stoff entsteht. Dieser Stoff war bei Kant der Strom der Sinnesdaten (der wiederum in unklarer Weise von einem Etwas ausserhalb des Subjektes bestimmt oder verursacht wurde, vom Ding-an-sich). - Dieser Strom wird durch Formen (Raum und Zeit) und durch (ebenfalls als Form fungierende) Kategorien (wie z. B. Negation, Ursache / Wirkung, Qualit�t, Quantit�t) zu der Welt gemacht, die wir wahrnehmen. - Woraus erstens folgt, dass sich Erkenntnisse, die nur auf diese Formen bezogen sind, wie z. B. der Satz, dass jede Ver�nderung eine Ursache hat, ohne Betrachtung der Welt aus dem Subjekt sch�pfen lassen und zweitens, dass den Formen keine echte Realit�t zukommt.

Wie wir gesehen haben, ist Sartres Auffassung der von Kant bemerkenswert �hnlich, mit einigen wichtigen Unterschieden: Der unstrukturierte Stoff ist bei Sartre das Sein-an-sich (der Zwischenschritt �ber die Sinnesdaten entf�llt). Die Formen Kants werden bei Sartre g�nzlich auf den Kernbegriff Negation bezogen und diese wiederum von der in sich widerspr�chlichen ontologischen Struktur des Bewu�tseins abgeleitet. - Ausserdem unterstellt Sartre den Formen Objektivit�t (im Sinne von Wirklichkeit): Negative Weltsachverhalte sind real, aber nur dadurch, dass die ontologische Struktur des F�r-sich, von der sie abh�ngen, real ist. - Im Kapitel �ber Transzendenz versucht Sartre unter anderem, einige der Kantischen Formen/Kategorien in sein System einzubeziehen und das heisst, sie auf Negativit�t zur�ckzuf�hren, so zun�chst den Raum:

Das F�r-sich definiert sich zwar dadurch, dass es alles An-sich-Sein (die ganze Welt) nicht ist, de-facto bezieht sich Wahrnehmung aber immer auf etwas Bestimmtes (ein "Dieses"). Das ergibt sich aus dem Zerfallen des F�r-sich in Einzeldinge: Von diesen bildet immer nur eines den Vordergrund (das "Dieses") und alles andere verschwindet in einem undifferenzierten Hintergrund. - Sartre identifiziert das Zerfallen in Einzeldinge mit dem Raum. (Wie bei der Zeit handelt es sich hier nicht um den Begriff der Physiker, sondern um den gew�hnlichen.) - Der Raum ist bekanntlich (prinzipiell) unendlich teilbar, weswegen ihn Sarte als "die Instabilit�t der als Totalit�t erfassten Welt" definiert, "insofern sie sich stets in externe Vielheit aufl�sen kann". - Extern ist die Vielheit, da sich das Wesen der r�umlich zerfallenen An-sich-Fragmente nicht durch die negativen Relationen bestimmt, die zwischen ihnen bestehen, diese Relationen also extern sind. - (Dass der Stuhl zwei Meter vom Bett entfernt steht, definiert weder Bett noch Stuhl.)

Zur Qualit�t (eine oder die Beschaffenheit eines Dings), einer der Kantischen Kategorien, sagt Sartre, dass sie in der Wahrnehmung eines "Dieses" nicht getrennt wahrgenommen wird. Das "Dieses" ist undifferenzierte Einheit seiner Qualit�ten. - Wie hat man das zu verstehen? Wenn das "Dieses" meiner Wahrnehmung z. B. eine Zitrone ist, setzt sich diese Wahrnehmung nicht aus der Wahrnehmung der Form der Zitrone (einer Qualit�t) und ihrer gelben Farbe (einer anderen Qualit�t) zusammen, sondern ist einfach die Wahrnehmung einer Zitrone. Nat�rlich kann ich mich auf das Gelb der Zitrone konzentrieren, aber in diesem Falle wird die Zitrone Hintergrund, w�hrend die Qualit�t "Gelb" in den Vordergrund r�ckt. Ich unterteile das "Dieses" also durch eine neue Negation und bef�rdere so das Gelb der Zitrone zum neuen "Dieses".

Ich muss der Ehrlichkeit halber anf�hren, dass Sarte auch das Saure der Zitrone zu den Qualit�ten rechnet, die in der Zitrone als undifferenzierter Einheit aufgehen. Entweder schwebte Sartre die Wahrnehmung der Zitrone z. B. durch Hineinbeissen vor, oder man liegt richtiger, wenn man hier nicht von Wahrnehmung, sondern von "Erfassung" einer Zitrone spricht. In diesem Falle sind mir auch die Qualit�ten der Zitrone, die nicht Gegenstand meiner momentanen Wahrnehmung sind, pr�sent, insofern ich die Zitrone als Objekt wahrnehme, dessen Wesen (die Regel seiner Abschattungen) mit seinen verborgenen Qualit�ten mir bekannt ist.

Die Quantit�t (schwerer zu definieren als die Qualit�t, meint so etwas wie die numerische Bestimmbarkeit) integriert Sartre in seine Philosophie, indem er sie mit dem Raum gleichsetzt (insofern die Teilbarkeit des Raumes auch eine numerische Teilbarkeit ist). - �ber die M�glichkeit (gleichfalls in Kants Kategorientafel enthalten) hat Sartre ja bereits viel gesagt: Das Subjekt ist das, was eigentlich M�glichkeiten hat und davon ausgehend den Dingen M�glichkeiten (Potentialit�ten) verleiht. - Insofern ich etwas als Objekt mit einem Wesen wahrnehme (d. h. als etwas, dessen Abschattungen einer bestimmten Regel folgen), erwarte ich von ihm Permanenz seiner Eigenschaften. Permanenz ist also ein zukunftsbezogener Begriff und muss daher ebenfalls als Potentialit�t des Objektes gewertet werden. - Wer einen W�rfel sieht, erwartet, seine restlichen Seiten zu sehen, wenn er um ihn herumgeht, was impliziert, dass sich die R�ckseite des W�rfels nicht pl�tzlich verwandeln haben wird.

Wenn das Bewu�tsein ein Ding wahrnimmt, geschieht das nicht kontemplativ, d. h. als reine, zweckfreie Wahrnehmung. Eine solche ist f�r Sartre gar nicht denkbar. - Das Bewu�tsein erfasst die Dinge auf der pr�reflexiven Ebene vielmehr unmittelbar als Forderungen (z. B. das Gesicht als "Fresse zum Reinschlagen") und ebenso unmittelbar als m�gliche Mittel zum Zweck, als Utensilien. - Ein Utensil verweist auf einen Zweck, der wiederum ein anderes Utensil ist usw, wobei auch Menschen in diese Utensilit�tsordnung eingebunden sind. - Der Sinn des Ganzen, die Verwirklichung des "Wertes", kann lediglich auf der reflexiven Ebene erfasst werden. - Dieser Aspekt der Transzendenz wird in Sartres Theorie der menschlichen Freiheit eine wichtige Rolle spielen.

 Sch�nheit und "Wert"

Im Kontext der Transzendenz wird von Sartre auch die Sch�nheit abgehandelt. Leider muss ich sagen, dass mein Verst�ndnis seiner Theorie ungen�gend ist. - Ich versuche trotzdem eine Skizze:

F�r Aristoteles ist das Sch�ne eine in sich geschlossene Einheit, an der kein Teil ver�ndert werden kann, ohne dass sich das Ganze ver�ndert (entnommen aus Kutscheras "�sthetik"). - Sartre schlie�t sich (jedenfalls meiner Interpretation nach) dieser Definition an, indem er das sch�ne Ding als etwas beschreibt, das sein Wesen in "vollkommener Reinheit" zeigt. - Inwiefern passt beides unter einen Hut? Ich denke, ungef�hr so:

Normalerweise m�ssen Ver�nderungen von Dingen nicht ihr Wesen betreffen: Der W�rfel kann seine Farbe �ndern, und bleibt trotzdem W�rfel, vorausgesetzt, dass ich den W�rfel lediglich als W�rfel, und nicht z. B. als "roten W�rfel" erfasse. Und auch, wenn ich ihn als "roten W�rfel" erfasse, wird es optische Details geben, die sich �ndern k�nnen, ohne dass der W�rfel seinen Charakter als "roten W�rfel" dadurch einb��t. - Aber nehmen wir an, ich sehe einen W�rfel als sch�nen W�rfel. In diesem Falle sehe ich eine Einheit aller optischen Merkmale des W�rfels, und jedes dieser Merkmale hat seinen Platz und kann nicht ver�ndert werden, ohne den Eindruck der Sch�nheit zu ver�ndern (in diesem Falle entst�nde ein anderer sch�ner W�rfel mit einem anderen Wesen) oder zu zerst�ren.

Bis hierhin gut - doch jetzt wird es haarig: Das Bewu�tsein zeichnet sich dadurch aus, dass es, solange es existiert, kein Wesen hat (seine Existenz geht seiner Essenz voraus). Indem das Bewu�tsein sich als Mangel erfasst und danach strebt, den "Wert" zu verwirklichen - also die Einheit aus An-sich und F�r-sich -, versucht es gleichzeitig, sich ein Wesen zu verleihen. Diesem Mangel eines Wesens auf der Seite des Subjektes korrespondiert ein Wesensmangel auf der Seite des Objekts. Das Konkrete, das wir wahrnehmen ist zusammengesetzt: Wir sehen kein reines Gr�n, sondern gr�ne Gegenst�nde, in deren "Dieses" das Gr�n nur eine Qualit�t ist. Doch die Abstraktion des Gr�n verweist auf einen Zustand, in dem ich ausschlie�lich Gr�n wahrnehme. Das in diesem Zustand wahrgenommene Gr�ne w�re seinem Wesen vollkommen gem��. (Oder: Der Gegenstand, den ich sehe, ist ein W�rfel, aber er ist noch mehr, z. B. gef�rbt. Doch sein W�rfel-sein verweist auf einen wahrgenommenen idealen W�rfel, der nur W�rfel ist und nichts sonst.)

Die Wahrnehmung von Dingen verweist also auf eine ideale Wahrnehmung als M�glichkeit. Diese ideale Wahrnehmung wird von Sartre aus einem von mir nicht verstandenen Grund mit dem "Wert" in Beziehung gesetzt: Das Ideal einer Wesenskonformit�t der Dinge ist die Art, in der auf der pr�reflexiven Ebene der "Wert" erscheint. Das Erfassen des Mangels an Wesenskonformit�t bei den Dingen ist in Wahrheit das Erfassen meiner eigenen ontologischen Mangelstruktur. - Insofern sch�ne Dinge den Eindruck von Wesenkonformit�t erwecken (siehe oben), sind sie mein eigenes Seinsideal (der "Wert"), aber als Gegenstand realisiert (in der Transzendenz).

Aus diesem Grunde strebt der Mensch nach Sch�nheit. Doch die Sch�nheit l��t sich - so Sartre - nur imagin�r verwirklichen. (Ich nehme an, dass Sartre hier nicht an abstrakte Kunst denkt, sondern an Statuen, realistische Gem�lde usw. - Aber vielleicht meint er auch, dass der Eindruck der Vollkommenheit, die das gelungene Kunstwerk erweckt, in jedem Fall eine Illusion ist.) - W�re die Welt wirklich sch�n, d. h. w�ren Wesen und Existenz der Dinge identisch, w�rde das die Verschmelzung des F�r-sich mit sich selbst, also die Realisierung des "Wertes" bedeuten - was ich gleichfalls nicht verstehe:

"Die Sch�nheit stellt somit einen idealen Zustand der Welt dar, als Korrelat einer idealen Realisierung des F�r-sich, wo sich das Wesen und die Existenz der Dinge einem Sein als Identit�t enth�llen w�rden, das, in eben dieser Enth�llung, mit ihm selbst in der absoluten Einheit des An-sich verschmelzen w�rde."

 Die allgemeine Zeit

Die allgemeine Zeit ("Weltzeit") ist die Zeit der Dinge, sie entsteht dadurch, dass das Sein-f�r-sich die eigentliche Zeit, die zu seiner ontologischen Struktur geh�rt, in den Dingen wiederfindet. (Insofern das Sein-f�r-sich eine Vergangenheit hat, ist es �brigens selbst in die allgemeine Zeit integriert.) - Da die allgemeine Zeit auf die Seite der Objekte geh�rt, wird sie von Sartre im Kapitel �ber Transzendenz abgehandelt.

Wir hatten erw�hnt, dass Sartre mit seiner Zeittheorie ein Problem l�sen wollte, das man als Problem der Nicht-Existenz der Zeit bezeichnen kann: Die Gegenwart ist lediglich der ausdehnungslose Punkt zwischen der nicht mehr existierenden Vergangenheit und der noch nicht existierenden Zukunft. Wie kommt es dazu? Die hier gegebene Antwort ist eine andere als die im Kapitel �ber "Gegenwart". - Sartres Erkl�rung verweist hier auf die Nicht-Zeitlichkeit des Seins-an-sich. Die Zeit wird zwar vom F�r-sich darauf projiziert, bleibt ihm aber �u�erlich. Das f�hrt zu dem Eindruck der totalen Fl�chtigkeit des Augenblicks gegen�ber der Permanenz der Dinge. Das Paradox entsteht also, weil sich An-sich und F�r-sich �berlagern. - Die Argumentation leidet darunter, dass die Permanenz der Dinge gleichfalls zeitlich ist (wie Sartre selbst dargelegt hat). Sie kann also keine Angelegenheit des An-sich sein, sondern basiert gleichfalls auf Zeitlichkeit des Bewu�tseins und kann die Fl�chtigkeit des Augenblicks nicht erkl�ren.

Sartre besch�ftigt sich dann mit der Tatsache, dass Dinge manchmal verschwinden oder auftauchen, was sich aus der Aufgliederung des Seins-an-sich in Dinge nicht ableiten l��t. Sartre deutet an, dass es sich dabei um ein kontingentes Faktum handelt, dass vermutlich vom An-sich selbst kommt. - Die Bemerkung erstaunt, wenn man daran denkt, dass das Sein-an-sich ohne Negativit�t ist. Entstehen und Vergehen involvieren aber zweifellos Negativit�t, wie soll ihr Grund also in einem rein positiven Sein liegen?

Wenn sich die Dinge nicht bewegen w�rden, w�re das Bewu�tsein nicht f�hig, die (allgemeine) Gegenwart zu erfassen - so Sartre. Wie muss man ihn hier verstehen? Nur wenn wir etwas Bewegtes wahrnehmen, kommt uns die Gegenwart als unendlich kleiner Augenblick zu Bewu�tsein, weil sie dem unendlich kleinen Moment entspricht, in dem der bewegte Gegenstand einen bestimmten Ort passiert. - In diesem Zusammenhang spricht Sartre die Paradoxe Zenons an: Zenon war ein Sch�ler des Parmenides, der - wie erw�hnt - Negativit�t und damit Bewegung und Ver�nderung f�r illusorisch hielt. Zenon bem�hte sich, Parmenides� Theorie zu beweisen, indem er an Beispielen zeigte, dass die Annahme einer Realit�t der Bewegung zu Widerspr�chen f�hrt. Das bekannteste Paradox ist das von Achilles und der Schildkr�te, brauchbarer f�r die Diskussion hier ist aber das Paradox des fliegenden Pfeils. Ein abgeschossener Pfeil, der ja einer bestimmten Flugbahn folgt, befindet sich - so Zenon - zu jedem Zeitpunkt seines Fluges an einem bestimmten Raumpunkt der Bahn. Was sich aber an einer bestimmten Stelle befindet, bewegt sich nicht. Wenn der Pfeil sich aber w�hrend keines Augenblickes seines Fluges in Bewegung befindet, heisst das, dass sich der fliegende Pfeil �berhaupt nicht bewegt - was paradox ist. - Reale Bewegung ist also undenkbar, und der Flug des Pfeils ist Illusion.

Sartre identifiziert die Annahme Zenons, dass sich der Pfeil immer an einem bestimmten Ort befindet, mit der Annahme, dass der Pfeil w�hrend der Bewegung mit sich selbst identisch bleibt. Wie nicht anders zu erwarten, lehnt er diese Annahme ab: Die Bewegung ist nur so erkl�rbar, dass der Pfeil sich w�hrenddessen im Zustande der Nicht-Identit�t mit sich selbst befinden muss. Der Pfeil ist an dem einen Punkt seiner Bahn und gleichzeitig bereits an dem n�chsten Punkt - er ist weder an dem einen noch an dem anderen Punkt und doch an beiden. Der fliegende Pfeil hat sich also gegen�ber dem unbewegten Pfeil (vor seinem Abschuss) ver�ndert, da der unbewegte Pfeil noch mit sich identisch war! - Sartre erw�hnt �brigens die Auffassung Einsteins, dass Bewegung relativ sei, ohne darauf hinzuweisen, dass seine Interpretation der Bewegung als Ver�nderung des Bewegten damit nicht vertr�glich ist: Denn wenn nicht zu entscheiden ist, ob sich der Pfeil oder sein Hintergrund bewegt, ist auch nicht entscheidbar, ob sich der Pfeil oder sein Hintergrund ver�ndert haben.

Es scheint mir, dass Sartre das Paradox aufl�st, indem er eine ebenso widerspr�chliche Annahme an seine Stelle setzt (Nicht-Identit�t mit sich selbst ist kaum weniger paradox als die Unbewegtheit des bewegten Pfeils). - Der naheliegende Gedanke, dass der Zustand der Bewegung, weil er dem Zustand des F�r-sich gleicht, vielleicht ebenfalls ein verungl�ckter Versuch des An-sich ist, findet sich hier �brigens nicht. - Sartre wird ihn jedoch an sp�terer Stelle nachtragen.

 Begriff der "Ekstase"

Wir haben die Ekstasen des F�r-sich der Sache nach bereits kennengelernt, aber den Sartreschen Begriff bis jetzt nicht eingef�hrt. - Der griechische Ausdruck Ekstase bedeutet ungef�hr "ausser-sich-sein" und wird in diesem Sinne als Alltagsfremdwort benutzt. - F�r Sartre besteht sein Zweck darin, die Aspekte der Nicht-Identit�t des Bewu�tseins mit sich zu bezeichnen. - Warum? Wenn ein Etwas nicht mit sich identisch ist, involviert das eine Zweiheit - das Etwas ist es selbst und ist gleichzeitig etwas anderes. Wir haben gesehen, dass es ausserdem Einheit involviert - da es sich ja um dasselbe Etwas handelt. Das andere, mit dem das Etwas nicht identisch ist (und identisch ist) ist also es selbst, aber in einer (wenigstens logischen) Entfernung von sich selbst. - Der Ausdruck Ekstase, "ausser-sich-sein" dr�ckt genau das aus.

Wer im Alltag "ich war ausser mir" sagt, meint damit �brigens keine echte Nicht-Identit�t mit sich selbst, sondern verwendet das Bild lediglich, um z. B. folgendes auszudr�cken: Mein Verhalten war so untypisch f�r mich, als w�re ich ein Anderer gewesen. - Eine Ekstase des F�r-sich ist aber ein Aspekt, unter dem es tats�chlich nicht mit sich identisch ist und daher "aus sich heraustritt". - Wegen seiner ekstatischen Struktur nennt Sartre das Bewu�tsein auch diasporisch, in Anspielung auf die j�dische Geschichte: Das Judentum existierte sp�testens nach dem Scheitern der Aufst�nde gegen Rom nur noch verstreut an vielen Orten (Diaspora=Verstreutheit) und bildete dennoch eine Einheit. - Die Ausserhalb-seiner-selbst-Existenz des Bewu�tseins schafft �brigens die Voraussetzungen daf�r, dass das Cogito bzw. die reine Reflexion evidente Erkenntnisse �ber Tatsachen liefern kann, die nicht das Bewu�tsein im engeren Sinne betreffen. - Sartre charakterisiert das F�r-sich in seiner ekstatischen Natur:

"Im Auftauchen des F�r-sich als Anwesenheit beim Sein gibt es eine urspr�ngliche Zersplitterung: das F�r-sich verliert sich drau�en, beim An-sich und in den drei zeitlichen Ek-stasen. Es ist au�erhalb seiner selbst, und in seinem Innersten ist dieses F�r-sich-sein ek-statisch, da es sein Sein woanders suchen mu�, im Spiegelnden, wenn es sich zur Spiegelung macht, in der Spiegelung, wenn es sich als Spiegelndes setzt."

Das F�r-sich ist ekstatisch als System Spiegelung / Spiegelndes, doch auch, wenn es sich in der Reflexion dadurch von sich selbst entfernt, dass es sich zum Quasi-Objekt macht. Das F�r-sich ist in anderer Hinsicht ekstatisch, insofern es seine Vergangenheit und seine Zukunft ist. Es ist weiterhin ekstatisch, insofern es seine Gegenwart ist - und die ist es als Anwesenheit beim Sein-an-sich, d. h. durch sein Erfassen der transzendenten Welt als das, was nicht das Bewu�tsein ist. Diese Ekstase scheint von dem Schema der �brigen Ekstasen abzuweichen, da die transzendenten Objekte in keiner Weise mit dem F�r-sich identisch sind, sondern das F�r-sich nur sozusagen negativ definieren. Aber insofern ich bei den Objekten anwesend bin, bin ich in einem anderen Sinn "ausserhalb meiner selbst". - Als letzte Ekstase des F�r-sich wird uns jetzt das Sein-f�r-Andere vorgestellt werden.


 Das F�r-Andere


 Andere Bewu�tseine

Mit dem "ontologischen Beweis" hatte Sartre sichergestellt, dass es nicht nur Bewu�tsein, sondern dar�ber hinaus etwas Bewu�tseinsunabh�ngiges gibt. In der Ontologie des F�r-sich erg�nzte er diesen Befund durch die Feststellung, dass das Bewu�tsein ohne ein An-sich, von dem es sich als Negation abhebt, gar nicht denkbar ist. Die reine Reflexion erlaubt es uns also, aus dem Bewu�tsein herauszukommen, n�mlich zu den Dingen. - Nun sind wir uns aber nicht nur bewu�t, dass es eine Welt aus Dingen gibt, sondern ausserdem davon �berzeugt, dass es andere Menschen gibt mit Bewu�tseinen, die unserem �hnlich sind. - Aus dem "ontologischen Beweis" und der nachfolgenden Argumentation kann das nicht abgeleitet werden. Sartre muss also eine weitere Untersuchung durchf�hren, deren Ziel darin besteht, aus dem Cogito (durch reine Reflexion) auch die Existenz anderer Bewu�tseine sicherzustellen.

Sartre besch�ftigt sich zun�chst mit konkurrierenden philosophischen Standpunkten, und befragt sie zu dem Problem. Er kommt zu dem Resultat, dass es - falls es nicht g�nzlich ignoriert wird - von diesen Auffassungen nicht gel�st werden kann. - Die erste Auffassung, die er bespricht, ist der Realismus. Ein Realist im hier gemeinten Sinne ist jemand, der annimmt, dass als Ursache der Intuitionen, die Grundlage der Erkenntnis sind, nur die real existierenden Dinge in Frage kommen: Sie wirken auf das Bewu�tsein ein. - Wir wissen, dass Sartre so etwas f�r unm�glich h�lt, aber es geht jetzt lediglich um die Frage, ob eine realistische Auffassung, wenn sie wahr sein sollte, geeignet ist, die Existenz anderer Bewu�tseine zu beweisen.

Das Bewu�tsein des Anderen ist mir nicht per Intuition zug�nglich. Was mir zug�nglich ist, ist sein K�rper. Der Realist w�rde nun annehmen, dass der K�rper eines anderen Menschen wie andere Dinge durch Einwirkung auf mein Bewu�tsein zu einer Intuition dieses K�rpers f�hrt. Was aber f�hrt uns von dieser Intuition zum Bewu�tsein des Anderen? Dem Realisten bleibt nichts anderes �brig, als zuzugeben, dass hier eine zus�tzliche Hypothese n�tig ist: Ich schlie�e daraus, dass den Bewegungen meines eigenen K�rpers Bewu�tseinsph�nomene entsprechen, dass die K�rper der anderen Menschen gleichfalls mit solchen verkn�pft sind. - Diese Argumentation ist sehr naheliegend. Warum ist sie nicht �berzeugend? Zun�chst einmal ist klar, dass die Hypothese auf ewig Hypothese bleiben muss, da ihr Beweis ja nur in der unm�glichen Intuition eines fremden Bewu�tseins bestehen k�nnte. Das veranlasst Sartre dazu, dem Realismus hier eine idealistische Verunreinigung zu unterstellen: Das Bewu�tsein der Anderen existiert nur hypothetisch, also nur als Vorstellung im erkennenden Bewu�tsein.

Der wesentliche Punkt ist aber ein anderer: Ich schlie�e aus einem einzigen Fall auf sehr viele andere F�lle. - Es ist plausibel, aus zahlreichen Autopsien menschlicher Leichen zu schlie�en, dass die meisten Menschen ein Grosshirn haben. Aus einer einzigen Autopsie k�nnte ich das nicht schlie�en: Es k�nnte sich um eine zuf�llige Mi�bildung handeln, die sich nur in diesem K�rper und keiner anderen findet. Der Schluss, dass lebende menschliche K�rper mit einem Bewu�tsein versehen sind, ist - nicht nur Sartres Meinung nach - irrational, wenn seine einzige Erfahrungsgrundlage der Schlie�ende selbst ist.

Sartre wendet sich sodann dem idealistischen Standpunkt zu, genauer gesagt, dem transzendentalen Idealismus Kants (und des sp�ten Husserl, der einer �hnlichen Doktrin anhing). Der Grundgedanke dieser Auffassung ist - wie wir geh�rt haben - dass der Geist einen, irgendwie von der bewu�tseinsunabh�ngigen Wirklichkeit verursachten, unstrukturierten Stoff von Sinnesdaten durch Anwendung seiner Formen zur raumzeitlichen, naturgesetzlich geordneten Welt werden l�sst. Die Welt, wie wir sie kennen, hat ihre Existenz also lediglich im Bewu�tsein, was ihr im Ding-an-sich (der eigentlichen Realit�t, nicht zu verwechseln mit dem Sein-an-sich bei Sartre!) entspricht, k�nnen wir nicht wissen. - Sartre stellt zun�chst fest, dass Kant sich mit dem Problem der Existenz anderer Bewu�tseine nicht besch�ftigt hat, und f�hrt dann Gr�nde daf�r an, dass eine L�sung im Rahmen des Kantischen Ansatzes unm�glich ist.

Das meiner Erfahrung zug�ngliche Verhalten eines anderen Menschen (z. B. seine Mimik) verweist auf sein Bewu�tsein und dessen Wahrnehmungen und Erfahrungen. Im Sinne Kants verweisen aber alle Merkmale der von mir wahrgenommenen Welt nur auf mein eigenes Bewu�tsein, durch dessen Formen sie geschaffen wurden. Der Geist eines Anderen als Konstrukteur seiner eigenen Welt kann in meine Welt nicht integriert werden. Wenn ich eine solche Integration z. B. dadurch versuche, dass ich die Mimik des Anderen als von dessen Bewu�tsein (z. B. seiner Wut) verursacht interpretiere, stosse ich sofort auf das Problem, dass die Kausalit�t als Form meines eigenen Geistes lediglich Elemente meiner Erfahrung verkn�pfen kann. Eine Verkn�pfung von Elementen meiner Erfahrung mit den Elementen der Erfahrung eines Anderen ist unm�glich. (F�r den Anderen ist die Sache leicht: Sowohl seine Wut als auch seine Mimik - wenn er sie z. B. im Spiegel wahrnimmt - geh�ren zu seiner Welt und k�nnen daher unter die Form der Kausalit�t gebracht werden, die sein Geist bereitstellt.)

Diese Schwierigkeit des transzendentalen Idealismus (ich nehme an, dass es sich wirklich um eine handelt) hat �hnlichkeit mit dem bekannten "Ding-an-sich"-Problem, das eine wichtige Rolle f�r das Aufkommen des nach-Kantischen Idealismus spielte: Das Ding-an-sich bewirkt meine Sinnesdaten und ist damit eine Ursache f�r die Welt, wie sie sich meinem Geist pr�sentiert. Das Ding-an-sich befindet sich aber seiner Definition nach ausserhalb jeder Erfahrung: Wie kann es also im System meiner Erfahrung als Wirkursache auftauchen? Ja, wie kann ich auch nur davon sprechen?- Die Idealisten nach Kant zogen die Konsequenz, auf das Ding-an-sich und damit auf eine eigentliche Wirklichkeit ausserhalb des Geistes zu verzichten. - War der Geist bei Kant noch der Geist eines einzelnen Menschen, verwandelte er sich jetzt in einen weltumfassenden Geist.

Sartre diskutiert einen m�glichen Ausweg f�r den transzendentalen Idealismus: K�nnte der Begriff eines anderen Bewu�tseins nicht ein regulativer Begriff sein? Ein regulativer Begriff im Sinne Kants ist z. B. der Begriff des Unendlichen: Dieser Begriff wird zwar wie die Formen / Kategorien vom Geist bereitgestellt, soll sich auf nichts Reales beziehen (und f�hrt in Widerspr�che, wenn man ihn so interpretiert), sondern dient der Organisation meiner Erfahrungen als sozusagen idealer Abschluss: Die Unendlichkeit ist der ideale Begriff einer Ganzheit, die uns niemals gegeben sein kann (es gibt nur die unbegrenzte M�glichkeit des Fortschreitens in der Erkenntnis). - Sartres wesentliches Argument gegen diesen Ausweg ist der Hinweis darauf, dass der Begriff des Anderen, wenn er regulative Idee w�re, meine Erfahrung organisieren m�sste. Der Begriff bezieht sich aber auf die Erfahrung eines Anderen, und gerade nicht auf meine.

Ist der Idealismus damit erledigt, was das Problem der anderen Bewu�tseine angeht? - Nein, denn es besteht noch die M�glichkeit, das Bewu�tsein des Anderen f�r einen Scheinbegriff zu halten, der nichts zu meiner Erfahrung beitr�gt und daher eliminiert werden kann. Der Behaviourismus (nicht gerade eine idealistische Position im Sinne Kants, aber der Ausweg existiert auch f�r den Realismus) versucht eine solche Ausklammerung des Bewu�tseins und beschr�nkt sich auf die Beschreibung von Verhalten (und geht davon aus, dass die Wissenschaft nicht mehr ben�tigt). - Gegen eine solche Position l�sst sich schwer argumentieren, doch das Problem l�st sie nat�rlich nicht.

 Die Beziehung zum anderen Bewu�tsein als interne Negation

Was ist so grundlegend falsch an den bisher untersuchten Auffassungen? - Nach Sartres Ansicht sind sich Idealismus und Realismus darin einig, dass die Beziehung des Bewu�tseins zum Bewu�tsein des Anderen eine externe Negation ist. - Wir erinnern uns: Externe Negationen verbinden die beiden Glieder einer "ist nicht"-Relation �u�erlich, ohne dass die Glieder selbst davon betroffen sind. Interne Negationen legen dagegen das Wesen eines der beiden verbundenen Glieder fest, nicht im Sinne einer statischen logischen Abh�ngigkeit, sondern als dynamische Festlegung (siehe unter "Transzendenz"). Externe Negationen k�nnen lediglich von einem Zeugen festgestellt werden:

Der negative Sachverhalt, dass ein Tintenfass kein Vogel ist, existiert dank eines Beobachters (und nicht f�r Tintenfass und Vogel), aber dass das Bewu�tsein nicht die Sachen ist, die es erkennt, bestimmt sein Wesen und ben�tigt daher keinen Zeugen, der von einem Standpunkt ausserhalb die Beziehung beider herstellen m�sste. - Sartre h�lt die externe Negation auch f�r dadurch gekennzeichnet, dass etwas Trennendes zwischen den Gliedern vorhanden ist (eine reale Distanz), die bei der internen Negation fehlt. (Zur Verdeutlichung dieses Bildes: Es gibt keine Distanz zwischen F�r-sich und An-sich, da das F�r-sich nur als Negation des An-sich �berhaupt existiert. F�r-sich und An-sich "ber�hren sich", das An-sich ist im F�r-sich unmittelbar gegeben - was die Konsequenz hat, dass ich aus dem Cogito alleine die Existenz einer Aussenwelt erschliessen kann. Der Vogel und das Tintenfass ber�hren sich - in diesem Sinne - nicht.)

Die Relation zwischen meinem Bewu�tsein und dem Bewu�tsein des Anderen ist - so Sartre - im (transzendentalen) Idealismus auf jeden Fall extern, da ja prinzipiell keine M�glichkeit f�r einen Geist besteht, einen anderen Geist in sein Erfahrungssystem zu integrieren. - Doch w�re es nicht treffender, zu sagen, dass f�r diesen Standpunkt gar keine Beziehung - weder extern noch intern - existiert, da der Begriff eines anderen Bewu�tseins in einem Kantischen Bewu�tsein nicht gebildet werden kann? - Der Realismus hat dieses Problem nicht: Als realistisches Bewu�tsein kann ich mir vorstellen, dass andere Menschen ein Bewu�tsein haben, jedoch kommt diese Vorstellung nie �ber den Status einer willk�rlichen Hypothese hinaus. Und diese k�nnte - so Sartre - nur durch Gott best�tigt werden. Die Beziehung Gottes zu meinem Bewu�tsein und dem des Anderen m�sste dabei in beiden F�llen eine interne Negation sein (anderenfalls w�re ein weiterer Zeuge n�tig, um die Zeugenschaft Gottes abzusichern usw.). - Sartre ist anscheinend der Ansicht, dass auch die Beziehung zweier Kantischer Geister durch Gott best�tigt werden k�nnte, was allerdings der eben erw�hnten Unm�glichkeit dieser Beziehung widerspricht: Ein idealistisches Bewu�tsein k�nnte an andere Bewu�tseine noch nicht einmal glauben, sie w�ren v�llig ausserhalb seines Gesichtskreises.

Das Argument, das Sartre gegen die Heranziehung Gottes anf�hrt, haben wir bei der Diskussion der M�glichkeit einer Sch�pfung schon kennengelernt: Gott ist entweder mit den beiden Bewu�tseinen identisch (dann handelt es sich bei ihnen gar nicht um Bewu�tseine, sondern lediglich um Gedanken Gottes) oder er ist es nicht, und in diesem Falle ist seine Beziehung zu ihnen nur extern. - Sartre gelangt zu dem Resultat, dass ausschlie�lich die Annahme einer Verbindung durch interne Negation die Existenz des anderen Bewu�tseins garantieren und so den Solipsismus vermeiden kann. - In der Folge besch�ftigt er sich mit drei neueren Theorien, die (jedenfalls seiner Interpretation nach) von dieser Voraussetzung ausgehen und stellt fest, dass sie zwar einen echten Fortschritt, aber immer noch nicht die L�sung des Problems bringen.

 Husserl, Hegel, Heidegger

Husserls Theorie vom Fremdseelischen, die Sartre hier diskutiert, kann in seinen Werken nicht nachgewiesen werden, was aber wohl nicht heissen muss, dass Husserl sie nie vertreten hat (so Paul Vincent Spade). - Sie besagt ungef�hr folgendes: Ich nehme die Welt als objektiv wahr, und objektiv ist ein Ding dann, wenn es von Anderen gleichfalls wahrgenommen werden kann. Also impliziert mein grundlegendes Verh�ltnis zur Welt, dass es eine Pluralit�t von Bewu�tseinen gibt. Nun ist das materiale Ich Teil der Welt, so dass mein Bild von mir selbst gleichfalls andere Bewu�tseine voraussetzt, wenn ich es f�r objektiv halte. - Ist die Beziehung zwischen den Bewu�tseinen nach dieser Theorie eine interne Negation? Eine interne Negation liegt vor, wenn sich die beiden Glieder der Beziehung "durcheinander bestimmen", wie Sartre sagt. Ist das hier der Fall? - Eine interne Negation liegt jedenfalls insofern vor, als meine Erkenntnis meines materialen Ich einen bestimmten Begriff von den Anderen voraussetzt, die mein Selbstbild best�tigen k�nnen sollen. Mein Begriff von mir selbst h�ngt also von dem Begriff ab, den ich von den Anderen habe.

Die Theorie scheint sich nicht besonders gut mit Husserls Erkenntnistheorie zu vertragen: Denn dort meint die "Objektivit�t" des Objektes, dass es f�r eine unendliche Reihe m�glicher Abschattungen steht und von Intersubjektivit�t ist nicht die Rede. - Aber Sartre muss solche �berlegungen nicht anstellen, da Husserls Argumentation schon aus einem prinzipiellen Grund durch sein Raster f�llt: Sie kann n�mlich nur das materiale Ich betreffen, und keineswegs das Bewu�tsein als solches (das "transzendentale Ego" bei Husserl). Letzteres kann Husserl als Transzendentalphilosoph aus den gerade erl�uterten Gr�nden nicht mit anderen Bewu�tseinen in Beziehung setzen (weswegen Husserl - so Sartre - die Intention des Bewu�tseins auf ein anderes Bewu�tsein unter die nicht erf�llbaren "Leerintentionen" einordnete). Die interne Negation ist zwar vorhanden, verbindet aber die falschen Glieder.

Sodann besch�ftigt sich Sartre mit Hegel und bezieht sich dabei auf die bekannte "Herr-Knecht-Dialektik" aus der "Ph�nomenologie des Geistes", die eine Theorie der Beziehung zwischen den Bewu�tseinen pr�sentiert. Ich werde darauf nicht n�her eingehen, und mich auf die Kernthese Hegels beschr�nken, so wie Sartre sie verstanden hat: Das Bewu�tsein ist im Urzustand einfach nur mit sich selbst identisch und hat keinen Begriff von sich selbst. Diesen erh�lt es erst durch die Begegnung mit einem Anderen: "Der Andere ist das, was mich ausschlie�t, indem er Er ist, das was ich ausschlie�e, indem ich Ich bin." - Die interne Negation ist offensichtlich. - Das "Ich denke" des Cogito konnte es im Urzustand nicht geben und danach besagt es soviel wie "Ich - und nicht er - denke." Das andere Bewu�tsein ist daher im Cogito gegeben.

Sartres Einwand gegen Hegels Standpunkt lautet: Hegel definiert das Bewu�tsein in Erkenntnisbegriffen, das Bewu�tsein ist aber wesentlich ein Sein. Und die Beziehung zwischen zwei Bewu�tseinen ist keine Erkenntnis-, sondern eine Seinsbeziehung. - Was meint Sartre damit? - Denken wir daran, dass Bewu�tsein immer Bewu�tsein von Bewu�tsein ist. F�r Sartre kann es also keinen Urzustand des Bewu�tseins als unbewu�tes Bewu�tsein geben. Das System Spiegelung/Spiegelndes existiert auch auch ohne die Begegnung mit einem anderen Bewu�tsein, und nicht erst, wie Hegel suggeriert, ab einer durch die Begegnung vermittelten begrifflichen Erkenntnis von sich selbst. - Ausserdem beschreibt Hegel den unbewu�ten Urzustand als blo�e Identit�t mit sich selbst, aber in diesem Zustand kann sich ein Sartresches Bewu�tsein, wie wir wissen, niemals befinden.

Das Bewu�tsein existiert im Sinne Sartres als Sein und nicht als Erkenntnis, da es bereits vor der begrifflichen Erkenntnis seiner selbst existiert (Bewu�tsein von Bewu�tsein ist nicht Erkenntnis von Bewu�tsein). Und diese Seinsebene, auf die es f�r Sartre gerade ankommt, wenn von einer Beziehung zwischen Bewu�tseinen die Rede ist, hat Hegel in seiner Argumentation ignoriert. - Damit verbunden ist, dass der Zustand der Erkenntnis meiner selbst nach Erkenntnis des Anderen ein Zustand ist, in dem ich sowohl mich selbst als auch den Anderen als Erkenntnisgegenstand erfasse - also als An-sich. Ein Bewu�tsein, dass mir als An-sich gegeben ist, ist mir aber eigentlich gar nicht oder lediglich als Zerrbild gegeben, da das Bewu�tsein wesentlich F�r-sich ist. Die Beziehung zu einem anderen Bewu�tsein muss also - wenn es sie geben soll - mehr sein als begriffliche Erkenntnis, der sich das andere Bewu�tsein prinzipiell entzieht: Diese k�nnte sich nur auf das materiale Ego beziehen.

Heidegger erfasst das Mit-Sein als ontologisches Merkmal des "Daseins" (des menschlichen Seins, das individuell verstanden wird - das Dasein ist "je meines"). Ich erfasse mich in meinem Sein immer als mit-Anderen-seiend und nie als isoliertes Subjekt, insbesondere im Umgang mit den Dingen der Welt, die sich mir als Utensilien f�r mich und f�r andere pr�sentieren. Heidegger behauptet damit - so Sartre - zwar l�blicherweise eine Seinsbeziehung zwischen mir und den Anderen, ist aber nicht f�hig, sie zu beweisen, so dass es bei der Behauptung bleibt. - Wir sollten hier daran denken, dass Sartre eine solide Evidenz-Grundlage f�r seine Ontologie zu haben glaubt, n�mlich das Cogito oder die reine Reflexion. - Da Heidegger es ablehnt, das "Dasein" als Bewu�tsein zu erfassen, fehlt ihm diese Grundlage und seine Ontologie bleibt - im Sinne Sartres - spekulativ.

Sartre argumentiert weiter, dass ein allgemeines Gesetz, das eine Seinsbeziehung der "Daseine" zu anderen Bewu�tseinen behauptet, keine M�glichkeit f�r die Ableitung von Einzelf�llen bieten w�rde. Denn dieses allgemeine Gesetz k�nnte nicht aus der Struktur meines Geistes abgeleitet werden, sonst w�re man wieder beim transzendentalen Idealismus. (Z. B. ist der Satz "Der Raum ist unendlich" f�r Kant unabh�ngig von aller Erfahrung wahr, weil er sich auf die Raumform bezieht, die Teil der Struktur meines Geistes ist.) - Es handelt sich auch nicht um ein durch Induktion, also Verallgemeinerung vieler Einzelf�lle, gewonnenes Gesetz, denn es ist apriorisch (d . h. kein Erfahrungssatz). - Sartre meint also, dass lediglich zwei Gesetzestypen (induktive Gesetze und apriorische Gesetze im Sinne Kants) eine Ableitung von Einzelf�llen zulassen: Heideggers Behauptung ist weder das eine noch das andere und daher unbrauchbar, selbst wenn sie bewiesen ist.

Das kann missverstanden werden. Ein apriorisches Gesetz, dass sich auf Einzelf�lle bezieht, kann ich - sofern es wahr ist - immer dazu verwenden, Einzelf�lle daraus zu folgern: Aus dem Satz "Alle Menschen sind sterblich" w�rde auch dann folgen, dass Sokrates sterblich ist, wenn der Satz kein Erfahrungssatz, sondern apriorisch w�re. Ebenso folgt aus dem Satz "Das Dasein steht in einer Seinsbeziehung zu anderen Bewu�tseinen", dass auch Sokrates (insofern er ein "Dasein" ist) in einer Seinsbeziehung zu anderen Bewu�tseinen steht. - Sartre meint etwas anderes: Ein Satz wie "Sokrates steht in einer Seinsbeziehung zu anderen Bewu�tseinen" w�re ihm immer noch zu abstrakt. Was er sucht, ist eine M�glichkeit, die ontologische Struktur des Mit-Seins in Sokrates konkreter Beziehung zu einem bestimmten anderen Menschen wiederzufinden. Denn die blosse Behauptung, dass Sokrates �ber eine bestimmte ontologische Struktur verf�gt, l�sst keine R�ckschl�sse darauf zu, dass der bestimmte konkrete Fall eine Exemplifizierung dieser Struktur ist und nicht etwas anderes.

Wie steht es um Sartres eigene Behauptungen? Sind sie nicht auch apriorisch im nicht-Kantischen Sinne? Ja, aber sie st�tzen sich im Unterschied zu Heideggers Behauptungen auf das Cogito / die reine Reflexion, und dieses zeigt uns unmittelbar das Konkrete (z. B. meine Erfassung des Blicks dieses bestimmten Menschen). Die Anbindung an das Konkrete ist daher bei Erkenntnissen, die aus dem Cogito gewonnen sind, immer bereits gegeben und muss nicht noch zus�tzlich hergestellt werden.

 Der "Blick"

Sartre formuliert einige Bedingungen f�r (gegl�ckte) Theorien des anderen Bewu�tseins, von denen er glaubt, dass seine eigene Theorie ihnen gen�gt: Die Existenz des Anderen darf nicht nur wahrscheinlich sein (sonst ist sie nur eine unbeweisbare Hypothese) und das Cogito muss mich unmittelbar durch interne Negation zum Anderen bringen, so wie es mich unmittelbar zum An-sich bringt. Ausserdem darf der Andere f�r das Bewu�tsein kein Erkenntnisobjekt sein, da Erkenntnisobjekte immer nur wahrscheinlich sind. - Erinnern wir uns, in welchem Sinne uns das Cogito zum An-sich bringt: Zwar enth�llt mir das Cogito, dass es An-sich (also bewu�tseinsunabh�ngiges Sein) gibt, aber es enth�llt mir nicht, dass dieses oder jenes Objekt meiner Wahrnehmung tats�chlich existiert. Vor dem Hintergrund von Sartres Definition des Seins-an-sich ist das akzeptabel. Ob wir das andere Bewu�tsein auf �hnlich elegante Weise erreichen k�nnen, wird sich zeigen.

Was ist nun eine konkrete Situation, in der sich das andere Bewu�tsein im Cogito zeigt? - Sie kann ganz einfach und allt�glich sein: Ich befinde mich alleine in einem Park und betrachte die Landschaft. Ein Mensch taucht in meinem Blickfeld auf. Ich beschaue ihn eine Weile, doch pl�tzlich wird der Mensch auf mich aufmerksam und blickt seinerseits mich an. (Letzteres ist f�r Sartre die ontologisch entscheidende Wendung.) - Die Situation entwickelt sich �ber drei Stadien:

1. Ohne Anwesenheit eines anderen Menschen nehme ich eine Reihe unbelebter Dinge wahr (z. B. die B�ume des Parks).

2. Ich nehme neben diesen Dingen auch einen Menschen wahr, ohne dass dieser mich wahrnimmt.

3. Der Mensch nimmt mich wahr und ich bin mir dessen bewu�t, weil er mich anblickt.

In Stadium 1. befinde ich mich in einer Welt, deren Bestandteile allein auf mich ausgerichtet sind. Ich bin das Zentrum dieser Welt, nicht nur insofern ich der r�umliche Mittelpunkt bin, um den sich die Dinge herumgruppieren, sondern auch, insofern die Qualit�ten der Dinge (z. B. das Gr�n des Rasens) einfach so sind, wie sie mir erscheinen. - In Stadium 2. taucht jedoch ein Mensch in meinem Wahrnehmungsfeld auf und das hat eine v�llig andere Wirkung als das Erscheinen eines unbelebten Gegenstandes (z. B. der Sonne, die zwischen den Wolken hervorkommt). Was ist der Unterschied? - Nun, dieser Mensch ist selber ein Wahrnehmender und damit Zentrum einer Welt, zu der jetzt Dinge geh�ren, die auch zu meiner Welt geh�ren. Unsere Wahrnehmungsfelder haben eine Schnittmenge und die zu dieser Schnittmenge geh�rigen Dinge haben jetzt pl�tzlich neben ihrem Bezug zu mir einen Bezug zu ihm. Sartre bezeichnet diesen Zustand als "Desintegration", also Aufl�sung meiner Welt. Doch diese Aufl�sung ist selbst noch Teil meiner Welt und auf mich bezogen. Warum? - Nun, die vom Anderen wahrgenommenen Dinge stehen zwar jetzt in einer Beziehung zu ihm, aber diese Beziehung ist selbst ein Objekt meiner Welt. - Ich bin also nur m��ig beunruhigt.

Was geschieht in Stadium 3? In Stadium 2 war der andere Mensch Objekt meiner Wahrnehmung, aber jetzt bin ich das Objekt seiner Wahrnehmung (und mir dessen bewu�t, es geht nicht um Situationen, in denen ich ohne mein Wissen beobachtet werde). Und diese Objektwerdung meiner selbst ist nicht nur eine Angelegenheit des Anderen, sondern sie betrifft mich in fataler Weise, wie uns die allt�gliche Erfahrung lehrt: Ich sp�re den "brennenden Blick des Anderen", ohne dass ich diesen Blick im �blichen Sinne wahrnehme. Ich erfahre vielmehr die Anwesenheit des Anderen schockartig als eine unbezweifelbare Realit�t. Und parallel dazu entwickeln sich bei mir Furcht, Scham oder Stolz (der - wie wir erfahren werden - lediglich eine Variante der Scham ist).

Gleichzeitig verschwindet der Andere als Objekt f�r mich - er ist f�r mich "als Freiheit" anwesend und nicht mehr als Gegenstand meiner Wahrnehmung (womit Sartre nicht meint, dass mich das Erblicktwerden blind macht, sondern dass meine F�higkeit zur Objektwahrnehmung gegen�ber dem neuen Bewu�tsein vom Anderen v�llig in den Hintergrund tritt): "Wenn dieser dicke und h��liche Passant, der sich h�pfend auf mich zubewegt, mich pl�tzlich ansieht, ist es mit seiner H��lichkeit, seiner Dicke und seinem Geh�pfe vorbei; solange ich mich erblickt f�hle, ist er zwischen mir selbst [als F�r-sich] und mir [als Objekt f�r den Anderen] vermittelnde reine Freiheit."

Aber lassen wir uns nicht jeden Tag von Anderen anblicken, ohne dass wir uns besonders betroffen f�hlen? Sartre w�rde das vermutlich zugeben, und darauf verweisen, dass das Erlebnis des "Blicks" eben h�ufig unter �berm�chtigen Begleitumst�nden untergeht und sich lediglich in Ausnahmef�llen (wie dem pl�tzlichen Angeblicktwerden durch einen einzelnen Menschen im Park) in seiner ganzen Relevanz zeigt. (Ob die M�glichkeit eines solchen Untergehens nicht daf�r spricht, dass Sartres Beschreibung des F�r-sich zu eindimensional ist, sei dahingestellt.)

Da Sartre uns versprochen hat, dass es sich hier nicht nur um ein bemerkenswertes psychologisches Ph�nomen handelt, sondern um etwas viel Wesentlicheres, n�mlich den vom Cogito erfassbaren Bezug zwischen meinem Bewu�tsein und dem eines Anderen, stellt sich nun die Frage nach der ontologischen Bedeutung des Ganzen. Was entspricht der Wendung der Situation, die sich im Erfassen des fremden Blicks vollzieht, auf der Seinsebene?

 Ontologie des F�r-Andere

Auf der Seinsebene pr�sentiert sich die so einfach zu beschreibende Situation in ihrer ganzen Komplexit�t. - Zun�chst einmal ist das Erlebnis des "Blicks" das Erlebnis der Anwesenheit des Anderen bei meinem Bewu�tsein. Diese Anwesenheit muss - gem�� der von Sartre formulierten Voraussetzung - die Form einer internen Negation haben. Da wir einen analogen Fall - die Anwesenheit des An-sich beim Bewu�tsein - bereits kennen, liegt es nahe, das dort benutzte Schema auf die Anwesenheit des fremden F�r-sich zu �bertragen: Ich erfasse das andere Bewu�tsein demnach dadurch, dass ich negiere, es zu sein. - Doch leider sind die Verh�ltnisse hier komplizierter. Warum? - Zum einen ist die Beziehung des Bewu�tseins zum An-sich keine wechselseitige Beziehung. Das Bewu�tsein definiert sich dar�ber, das An-sich zu sein, das An-sich definiert sich aber nicht dar�ber, das Bewu�tsein nicht zu sein. Im jetzigen Fall liegt aber Wechselseitigkeit vor: Der Andere und ich selbst geh�ren beide zur Seinskategorie des F�r-sich. Es ist also davon auszugehen, dass nicht nur ich leugne, der Andere zu sein, sondern auch der Andere leugnet, ich zu sein.

Zum anderen ist aufgrund der Angeh�rigkeit beider Glieder der Beziehung zur selben Seinskategorie eine direkte Negation nicht m�glich. Denn ich bin zwar nicht An-sich, aber ich bin nicht nicht F�r-sich. Als F�r-sich kann ich den Anderen nicht negieren. Sartre folgert daraus, dass die Gefahr einer m�glichen Assimilation durch das fremde Bewu�tsein besteht: Denn wenn F�r-sich bei F�r-sich anwesend ist, warum handelt es sich dann nicht um dasselbe F�r-sich? - Hier dr�ngt sich der naheliegende Einwand auf, dass es hier zwar nur F�r-sich, aber doch immerhin dieses und ein anderes F�r-sich gibt, also eben zwei und nicht nur eins. Es m�sste also v�llig ausreichend sein, wenn ich darauf bestehe eines dieser F�r-sich zu sein und das andere eben nicht zu sein. - Doch Sartre weist darauf hin, dass die numerische Verschiedenheit, von der hier die Rede ist, eine externe Negation ist: Sie ben�tigt einen Zeugen, um hergestellt zu werden. In der unmittelbaren Anwesenheit des anderen Bewu�tseins ber�hren sich die beiden F�r-sichs und ein Zeuge, der f�r ihre Unterscheidung sorgen k�nnte, fehlt.

Es gibt allerdings eine M�glichkeit, den Anderen zu negieren, ohne dass Verschmelzungsgefahr besteht. Wir haben das im 2. Stadium der von Sartre geschilderten Situation gesehen: Der Andere wird f�r mich ein Objekt meiner Wahrnehmung, und die Objekte meiner Wahrnehmung bin ich ja bekanntlich nicht. Aber habe ich in dieser Verobjektivierung das andere Bewu�tsein negiert? Nat�rlich nicht, denn das andere Bewu�tsein ist F�r-sich. In dem ich es zum Gegenstand meiner Welt gemacht habe, habe ich es gleichzeitig als An-sich erfasst, und nur dieses An-sich habe ich negiert - es war bei mir anwesend, so wie die unbelebten Dinge meiner Wahrnehmung.

Es besteht also - so Sartre - prinzipiell keine M�glichkeit, mich gegen�ber einem F�r-sich als dieses F�r-sich nicht seiend zu definieren. Aber was geschieht w�hrend des Angeblicktwerdens, wenn das Erlebnis doch offenbar nicht zu einer Verschmelzung der Bewu�tseine f�hrt und ausserdem interne Negation beinhalten soll? - Um diese Frage zu beantworten, m�ssen wir uns mit dem Gef�hl der Scham besch�ftigen. Dieses Gef�hl entsteht - so Sartre - automatisch, wenn ich mich erblickt f�hle (unabh�ngig davon, ob ich tats�chlich ohne Hosen dastehe oder ganz respektabel aussehe). - Wie man ohne Weiteres erkennt, hat die Scham etwas damit zu tun, wie wir von Anderen gesehen werden. Wir sch�men uns nicht f�r unsere Eigenschaften als solche, sondern daf�r, wie diese Eigenschaften bei Anderen "ankommen". Nicht das Fehlen der Hose ist Ursache der Scham, sondern dass uns die Anderen im hosenlosen Zustand sehen k�nnen. Die Scham verweist uns auf einen weiteren Aspekt des Angeblicktwerdens: Der Andere ist nicht nur bei mir anwesend, sondern er macht mich zum Objekt. Wir hatten gesehen, wie in Stadium 2 der Andere f�r mich zum Objekt wurde: Ich unterschied den Anderen zwar von den unbelebten Objekten, weil der Andere wie ich ein Zentrum der Dinge ist, integrierte ihn aber dann inklusive seiner Beziehungen zu den Dingen in meine Welt.

Dieses Objekt, das ich f�r den Anderen bin, nennt Sartre mein "Sein-f�r-Andere". Wie Sartre glaubt, verhindert es nicht nur die Verschmelzung mit dem Anderen, sondern erm�glicht mir auch, den Anderen indirekt zu negieren und mich so durch mein Nicht-der-Andere-Sein zu bestimmen. Und das geschieht merkw�rdigerweise dadurch, dass ich das Objekt, das ich f�r den Anderen bin, akzeptiere: Denn nur so erreiche ich die n�tige Trennung vom anderen Bewu�tsein (der Andere ist nicht mein Objekt-Ich). Das Objekt-Ich bildet meine Aussengrenze gegen�ber dem anderen Bewu�tsein und h�lt es dadurch fern. - Diese unvermeidliche Akzeptanz dessen, was ich f�r den Anderen bin, f�hrt - so Sartre - dazu, dass das Angeblicktwerden immer Scham erregt, auch in F�llen, in denen ich mir nichts vorzuwerfen habe. Die Scham ist das Gef�hl meiner Wehrlosigkeit gegen�ber dem Anderen, da ich das Objekt-Ich, zu dem er mich gemacht hat, nicht kontrollieren kann: Es untersteht seiner Freiheit.

Aber wie steht es denn um die F�lle, in denen ich die Blicke Anderer gerade suche, weil sie mich stolz machen? - Sartre h�lt den Stolz f�r ein Ph�nomen des Schlechten Glaubens. Es handelt sich dabei um den Versuch, der Scham dadurch zu entkommen, dass ich glaube, den Anderen durch mein Objekt-Ich zu manipulieren. Schlechter Glaube - und das heisst, in sich widerspr�chlich - ist der Versuch, weil ich den Anderen einerseits f�r ein Subjekt halten muss, um mir das Objekt-Ich zu erhalten und ihn andererseits durch die Vorstellung, dass ich Macht �ber ihn aus�be, zum Objekt mache. - Der Stolz ist also lediglich eine unkenntlich gemachte Variante der Scham.

Doch es gibt neben der Scham zwei weitere aufrichtige Gef�hle, die aus dem Erlebnis des Angeblicktwerdens erwachsen k�nnen, n�mlich Furcht und Hochmut. Die Furcht l��t sich leicht erkl�ren, sie ergibt sich daraus, dass ich als Objekt Teil der M�glichkeiten des Anderen bin (er kann z. B. beabsichtigen, mich zu ermorden). Der Hochmut kann aus der Scham erwachsen: Die Scham bedeutet, dass ich Objekt f�r den Anderen bin, der Hochmut besteht in Reaktion auf die Scham darin, dass ich den Anderen meinerseits zum Objekt mache: Seine M�glichkeiten verlieren so an Bedrohlichkeit, weil ich sie durch meine M�glichkeiten �berschreiten kann (ich kann z. B. seine Mordabsicht durchkreuzen, indem ich prophylaktisch ihn ermorde). - Man k�nnte hier nat�rlich fragen, ob man den Stolz nicht sinnvoller als Variante der Hochmut interpretiert.

 Das Solipsismus-Problem

Sartre hatte uns versprochen, dass seine Theorie geeignet w�re, den Solipsismus in seiner eingeschr�nkten Variante zu widerlegen. Bedingung daf�r ist, dass das Bewu�tsein des Anderen nicht nur wahrscheinlich, sondern evident sein muss. Erf�llt Sartres Ontologie des F�r-Andere dieses Versprechen? - Zwar hat Sartre recht, wenn er erkl�rt, dass die Anwesenheit des Anderen in der von ihm beschriebenen Situation des schamvollen Angeblicktwerdens unbezweifelbar ist. Doch aus meiner Unf�higkeit, in diesem Moment zu zweifeln, folgt keineswegs, dass ich tats�chlich mit einem anderen Bewu�tsein konfrontiert bin. - Sartre ist sich dieser Schwierigkeit bewu�t. Er gibt zu, dass es immer denkbar ist, dass die Augen, die mich anzublicken scheinen, lediglich Imitationen von Augen sind. Das Problem wird noch deutlicher, wenn man daran denkt, wie wenig n�tig ist, damit man sich erblickt f�hlt. Sartre gibt Beispiele: Ein Rascheln im Geb�sch, das Ger�usch von Schritten k�nnen ausreichend sein um mich in tiefe Scham zu versetzen. Und die Erfahrung lehrt uns, dass Irrt�mer hier nicht nur m�glich, sondern sogar ziemlich h�ufig sind. - Heisst das nicht, dass das Bewu�tsein des Anderen nach wie nur wahrscheinlich ist und der Solipsismus immer noch m�glich?

Zur Rettung seiner Theorie vor diesem Einwand versucht Sartre ein eigent�mliches Man�ver: Das Bewu�tsein, das im Moment des Erblicktwerdens in meinem Cogito pr�sent ist, ist nicht etwa das Bewu�tsein eines einzelnen Menschen, sondern vielmehr das Bewu�tsein aller anderen Menschen. Der Blick eines besonderen Menschen ist lediglich der Anlass, dass mir diese Anwesenheit bewu�t wird: "Jeder Blick l��t uns konkret - und in der unbezweifelbaren Gewi�heit des Cogito - erfahren, da� wir f�r alle lebenden Menschen existieren, das hei�t, da� es (mehrere) Bewu�tseine gibt, f�r die ich existiere." - Wenn diese Permanenz der Anwesenheit erkannt ist, kann �brigens die Versuchung entstehen, das allgemeine Bewu�tsein, das anwesend ist, als einzelnes Subjekt zu denken: Man gelangt so zum Begriff des Gottes, der mich jederzeit sieht.

Sartre begegnet mit diesem Man�ver einer Gefahr, das sich aus der Analyse des Blicks ergeben hat: Offenbar kann uns das Cogito t�uschen! Diese f�r Sartres Ansatz fatale Konsequenz kann er nur mit der Annahme umgehen, dass nicht die Evidenz falsch war, sondern lediglich unsere Interpretation, was ihren Gegenstand angeht (was �brigens von der Ph�nomenologie des Erlebnisses nicht gedeckt wird). - Folgen wir Sartre, dann liegen die Dinge jetzt so �hnlich wie beim Sein-an-sich: Ich bin alles Sein-an-sich nicht, also bin ich bei allem Sein-an-sich anwesend. Der Unterschied besteht darin, dass T�uschungen �ber die Existenz irgendwelcher Dinge die Existenz des globalen An-sich nicht gef�hrden k�nnen (die ergibt sich f�r Sartre n�mlich schon aus dem "ontologischen Beweis" - ich kann falsch auf die Aussenwelt intendieren, intendiere aber jedenfalls auf die Aussenwelt). Ein �hnlich globales Sein-f�r-sich kann es im Sinne Sartres aber nicht geben, denn Bewu�tsein ist immer einzelnes Bewu�tsein.

Nehmen wir nun an, dass ich - ohne es zu wissen - der einzige echte Mensch bin und alle Anderen lediglich bewu�tlose Imitationen sind (und dass es nicht so ist, ist eine nur wahrscheinliche Hypothese): In diesem Fall gibt es mein Bewu�tsein, und keine anderen Bewu�tseine, die mir im "Blick" evident werden k�nnten. Sartre m�sste f�r diesen Fall unterstellen, dass ich, wenn ich von einer der Imitationen angeblickt werde, keine Scham erlebe. Nehmen wir weiter an, dass es bis gestern irgendwo auf der Welt noch einen zweiten echten Menschen gab, der aber leider in der Nacht verstorben ist, so heisst das, dass ich gestern beim Angeblicktwerden durch die Imitationen noch Scham empfand, die Scham aber heute (f�r mich ganz r�tselhafterweise) ausbleibt. - Das ist eine merkw�rdige, aber notwendige Konsequenz aus Sartres Auffassung.

Ich m�chte abschlie�end eine Feststellung Wittgensteins �ber den gew�hnlichen Sprachgebrauch erw�hnen: Man unterscheidet zwischen Irrtum und Verblendung, und letztere betrifft jene F�lle, in denen kein Zweifel m�glich ist. Ich kann z. B. nicht daran zweifeln, dass der Mensch, der mich anblickt, Bewu�tsein hat. - Sollte es sich trotzdem als falsch herausstellen, habe ich mich nicht geirrt, sondern war verblendet.

Man kann noch einen weiteren, vergleichsweise marginalen Einwand gegen Sartres Ontologie des F�r-Andere �u�ern, der auf den zweifelhaften ontologischen Status des F�r-Andere hinweist: Sartre behauptet, dass das Sein-f�r-Andere (mein Objekt-Ich) weder An-sich, noch F�r-sich ist. An-sich kann es nicht sein, weil es auf die Freiheit des Anderen verweist, und F�r-sich ist es gleichfalls nicht, da es Objektcharakter hat. - Wie ist dieser Zwittercharakter mit Sartres scharfer Unterscheidung der Seinsarten vertr�glich?

 Der Kampf der Bewu�tseine und ihre Totalit�t

Wir haben es implizit bereits erw�hnt, m�ssen aber noch einmal darauf hinweisen, weil diese Argumentation die Grundstruktur f�r Sartres sp�tere Betrachtungen �ber die Ph�nomene des menschlichen Zusammenlebens liefert: Das Verh�ltnis der Bewu�tseine zueinander hat den Charakter eines Kampfes. Solange ich den "Blick" erfahre, f�hle ich mich bedroht und bin im Zustand der Angst oder Scham. Andererseits kann ich Hochmut empfinden, wenn es mir gelingt, den Anderen als Objekt zu sehen und seinen Blick zu vermeiden. - Das zeigt, dass es hier um eine Art Machtspiel geht: Der Erblickende hat Macht �ber den Erblickten. Jedoch nicht etwa durch das Risiko meiner Verschmelzung mit ihm, denn dieser Drohung wurde mit der Schaffung des Objekt-Ichs ja erfolgreich begegnet - warum also dann?

Solange ich erblickt bin, bin ich - so Sartre - Teil der M�glichkeiten eines Anderen, und zwar ohne, dass ich diese M�glichkeiten in mein M�glichkeitensystem integrieren konnte (denn das kann ich erst, wenn ich den Anderen meinerseits als Objekt sehe). Ich bin diesen M�glichkeiten also ausgeliefert. Sie betreffen zwar lediglich mein An-sich, insofern der Andere ja nur meine Objektheit, also nur den Apfel und nicht den Wurm darin wahrnimmt und sein m�gliches Handeln mein freies F�r-sich nicht beeinflussen kann. Der Andere kann aber mein An-sich aus der Welt schaffen, n�mlich indem er mich t�tet, und da ich mit meinem An-sich auch identisch bin, w�re das auch meine Vernichtung als F�r-sich. - Der Zustand ist f�r mich also �u�erst ung�nstig und der Vorteil liegt auf der Seite des Anderen (die ganze Schilderung wirkt ein wenig Kriminalfilm-inspiriert). - Das Objekt-Ich, das in mir durch den Blick entsteht (das Sein-f�r-Andere) ist unter seiner Kontrolle: Ich kann nicht wissen, wie er mich sieht und was er daraus machen will - das ist Sache seiner Freiheit - ich kann das Objekt-Ich aber auch nicht ablehnen, da es erforderlich ist, um mich vom Anderen zu unterscheiden.

Mein Bestreben muss es also sein, dieser Situation zu entkommen. Grundlage daf�r ist meine Identifikation mit dem Objekt-Ich: Indem ich es anerkenne, bemerke ich gleichzeitig, dass ich es schon �berschritten habe, da ich als freies F�r-sich niemals Objekt bin. Als F�r-sich befinde ich mich aber in der Position, meinerseits den Anderen zu verobjektivieren und seine f�r mich bedrohlichen M�glichkeiten in mein eigenes System zu integrieren. Das Sein-f�r-Andere l�st sich auf, an seine Stelle treten Hypothesen �ber die m�glichen Absichten des Anderen und sein Bild von mir ist nur noch ein Bild, das ich vielleicht manipulieren kann.

Wenn es mir dergestalt gelungen ist, den Anderen als Objekt zu sehen, verschwindet nat�rlich sein Bewu�tsein aus meinem Cogito. Dieses verwandelt sich in ein "Innenleben", das mir zwar nicht direkt zug�nglich ist, das sich aber - wie das Innenleben einer Maschine, deren Funktionsweise ich nicht genau kenne - in Verhaltensweisen �u�ert: Vom F�r-sich-Charakter des Anderen bleibt nur, dass ich sein Verhalten auf Zwecke beziehe, was ich bei der Maschine nicht tue. Wenn ich dann Hypothesen �ber den Anderen aufstelle (z. B. seinen Gesichtsausdruck als Zeichen der Wut interpretiere), beziehen sich diese - so Sartre - nicht etwa auf eine verborgene subjektive Wut, sondern lediglich auf die M�glichkeit, dass der Andere z. B. zuschlagen k�nnte. Die Wut des Anderen ist f�r mich nur eine Disposition f�r bestimmte Handlungen.

Man kann also sagen, dass sich der verobjektivierte Mensch in seiner Wahrnehmung durch uns nicht prinzipiell von einer Maschine unterscheidet. Es handelt sich aber um eine Maschine, die mit weniger Unbedenklichkeit gehandhabt werden kann als z. B. ein Taschenrechner (und das nicht nur, weil ich die Funktionsweise des Taschenrechners genau kenne). Denn jeder Mensch kann mir gegen�ber in die Rolle des Erblickenden fallen, und seinerseits mich verobjektivieren. Das Werkzeug Mensch ist - so Sartre - ein "explosives" Instrument. Das Risiko, Opfer des "Blicks" zu werden, �u�ert sich in einer prinzipiellen Gehemmtheit im Umgang mit Anderen. - Mit Sartres Worten: "Meine st�ndige Sorge ist es also, den Anderen in seiner Objektivit�t zusammenzuhalten, und meine Bez�ge zum Objekt-Anderen bestehen wesentlich aus Tricks, die ihn Objekt bleiben lassen sollen. Aber ein Blick des Anderen gen�gt, damit alle diese Tricks scheitern und ich von neuem die Verwandlung des Anderen erfahre."

Am Ende seiner ontologischen Betrachtung �ber das Sein-f�r-Andere fragt Sartre, warum es andere Bewu�tseine gibt und erkl�rt die Frage f�r unbeantwortbar. - Er stellt aber noch eine zweite Frage, deren Antwort auch eine m�gliche Antwort auf die erste andeutet: Weist die M�glichkeit eines Kontaktes der Bewu�tseine trotz ihrer Trennung, wie sie im "Blick" realisiert ist, nicht darauf hin, dass es eine urspr�ngliche Totalit�t der Bewu�tseine gibt? - Wir erinnern uns, dass die Reflexion den Versuch einer Spaltung des Bewu�tseins darstellt: Das System Spiegelung / Spiegelndes wird Quasi-Objekt f�r ein zweites System Spiegelung / Spiegelndes. Der Versuch scheitert allerdings, und es kommt zu keiner wirklichen Trennung. - Sartre spekuliert nun, dass die Existenz mehrerer Bewu�tseine auf einen gegl�ckten Versuch dieser Art zur�ckgehen k�nnte.

 Der K�rper als F�r-sich-Sein

Der K�rper als materielles Ding geh�rt zwar der Seinssph�re des An-sich an, doch erst nach dem Tod des Bewu�tseins ist das die ganze Wahrheit, denn solange der Mensch lebt, hat sein K�rper mehrere Aspekte, die Sartre getrennt bespricht. - F�r das Bewu�tsein, dem er "geh�rt" ist der K�rper durchaus eine Angelegenheit des F�r-sich, wie Sartre uns erkl�ren wird. Daneben wird der K�rper eines lebenden Menschen aber von anderen Menschen auf eine bestimmte Weise wahrgenommen, die nicht mit der Weise identisch ist, in der unbelebte Gegenst�nde wahrgenommen werden (der K�rper als "K�rper-f�r-Andere"). Und schlie�lich ist es noch eine Tatsache, dass ich unter bestimmten Umst�nden meinen K�rper ohne Beteiligung eines Anderen als Objekt (also als An-sich) wahrnehmen kann, einen Aspekt, den Sartre am Ende seiner Diskussion des K�rpers kurz behandelt.

Wir sind seit unserer Schulzeit an die Auffassung gew�hnt, dass unser K�rper ein Komplex aus Knochen, Blut, Muskeln, Nerven usw. ist, die alle eindeutig materieller Natur - d. h. mit sich identisch - sind und sich z. B. per Operation, Blutabnahme usw. isolieren und sogar unter besonderen Umst�nden von einem Menschen zu einem anderen �bertragen lassen. Inwiefern macht es also Sinn, von einem "K�rper als F�r-sich-Sein" zu sprechen? - Um das zu verstehen, m�ssen wir uns an Sartres Begriff der Faktizit�t erinnern. Zur Faktizit�t geh�rt die kontingente Tatsache, dass ich �berhaupt existiere und ausserdem die Umst�nde meiner Existenz (der Platz, an dem ich mich befinde, die soziale Stellung, die ich einnehme, ob ich ein Mann oder eine Frau bin usw.). Um welche Umst�nde es sich dabei handelt, ist gleichfalls kontingent, notwendig ist aber, dass ich mich �berhaupt in einer bestimmten Situation befinde. Wie Sartre sagt: Ich muss nicht Lehrer oder Arbeiter sein, aber irgendetwas muss ich sein. - Warum ist das so?

Die Welt, die das Bewu�tsein erfasst ist nicht einfach eine Gesamtheit der Dinge und ihrer Beziehungen zueinander, die Gegenstand unserer wertfreien Erkenntnis sind. Die traditionelle Wissenschaft hatte einen solchen Weltbegriff (Sartre weiss, dass sich moderne Paradigmen wie Relativit�ts- oder Quantentheorie davon distanzieren), doch es handelte sich dabei nur um eine problematische Ableitung von der eigentlichen, wesentlich subjektbezogenen Welt: Die wirkliche Welt ist eine Welt, die erlebt wird und dieses Erleben ist nur von einem Zentrum aus m�glich, das eine Perspektive definiert. Eine Wahrnehmung ohne r�umliche Perspektive ist nicht denkbar (Sartre h�lt das f�r logisch wahr, wor�ber man streiten k�nnte), folglich ist auch ein wahrnehmendes Bewu�tsein ohne die Faktizit�t eines Ortes, an dem es sich befindet, undenkbar. - Doch dieser Ort, an dem ich mich befinde, ist der Ort, an dem mein K�rper ist:

"Es w�re mir unm�glich, eine Welt zu realisieren, in der ich nicht w�re und die blo�es Objekt dar�berschwebender Kontemplation w�re. Sondern im Gegenteil, ich mu� mich in der Welt verlieren, damit die Welt existiert und ich sie transzendieren kann. So ist es ein und dasselbe, ob ich sage, da� ich in die Welt eingetreten, 'zur Welt gekommen' bin oder da� es eine Welt gibt oder da� ich einen K�rper habe."

Meine Faktizit�t ist also sehr wesentlich die Faktizit�t meines K�rpers. Die Faktizit�t geh�rt zur Sph�re des An-sich, jedoch wir erinnern uns, dass sie nicht nur irgendein An-sich ist, sondern in einer besonderen Beziehung zu meinem F�r-sich steht: Mein F�r-sich ist mit seiner Faktizit�t identisch und nicht identisch, da es sie immer bereits "�berschritten" hat. Diese Eigent�mlichkeit �bertr�gt sich auf das Verh�ltnis von Bewu�tsein und K�rper: Das Bewu�tsein ist mit dem K�rper identisch und nicht identisch. - Insofern es mit dem K�rper identisch ist, sind f�r Sartre alle Theorien falsch, die eine radikale Trennung von K�rper und Seele behaupten. Das Bewu�tsein kann keine Seele sein, die aus dem Himmel in eine Art materiellen Kerker verbannt wurde, von dem sie sich irgendwann wieder befreien wird - denn ohne K�rper kann es eine Seele (wenn wir den Begriff hier mit Bewu�tsein gleichsetzen) nicht geben. Auch die Cartesianische Auffassung, die den Menschen f�r eine Entit�t h�lt, in der sich die denkende und die ausgedehnte Substanz auf r�tselhafte Weise treffen, muss - so Sartre - auf der Grundlage dieser Einsicht abgelehnt werden.

Sartre k�nnte zur St�tze f�r seinen Ansatz �brigens darauf verweisen, dass Geisterseher wie Swedenborg oder auch Esoteriker der Gegenwart gew�hnlich davon ausgehen, dass die vom K�rper aus Fleisch und Blut getrennte Seele immer noch in irgendeiner Art K�rper steckt (z. B. dem "astralen K�rper"). Diese Tatsache deutet darauf hin, dass sich ein k�rperloses menschliches Bewu�tsein schwer vorstellen l��t. - Auf den Einwand, dass doch immerhin Gott traditionell von der Theologie als k�rperloser Geist betrachtet wird, w�rde Sartre entgegnen, dass Gott eben in mehrfacher Hinsicht ein in sich widerspr�chliches Konzept ist. Vielleicht w�rde er auch darauf hinweisen, dass die Ikonographie, in der Gott als Mensch Jesus oder als Greis dargestellt wird, st�rker den tats�chlichen Glauben der Menschen wiedergibt. - Und im bilderlosen sunnitischen Islam, der keine Gottesdarstellungen zul�sst, deutet die starke Bedeutung der Gestalt Mohammeds darauf hin, dass der betont abstrakte Gott als Kondensationspunkt f�r religi�se Gef�hle mit einem besser vorstellbaren Menschen erg�nzt werden musste. (Auf m�gliche Beleidigungen des Propheten reagiert die islamische Welt ungleich st�rker als auf die im Westen allt�glichen Verh�hnungen Gottes).

Die Identit�t des Bewu�tseins mit dem K�rper impliziert, dass uns der K�rper urspr�nglich nicht als Objekt erscheint, sondern in der Rolle eines nicht wahrnehmbaren Zentrums der Weltordnung: Mein K�rper ist in den r�umlichen Beziehungen der wahrgenommenen Dinge indirekt pr�sent (z. B. in der Tatsache, dass sich ein bestimmtes Objekt rechts befindet). - Diese Funktion des K�rpers als Zentrum kann sich aber - so Sartre - nicht lediglich auf die Raumordnung beziehen, denn das w�rde auf das Konzept einer kontemplativen (beschaulichen, nicht handlungsbezogenen) Welterfassung zur�ckf�hren. In Wahrheit sind die Dinge f�r uns nicht einfach nur Dinge, sondern in erster Linie Utensilien (da wir sie als M�glichkeiten, den "Wert" zu realisieren, wahrnehmen). Der K�rper ist nicht nur Zentrum der r�umlichen Ordnung, sondern auch Zentrum der Utensilienordnung. - Sartre illustriert das mit zwei einfachen Beispielen: Dass das Glas auf dem Tischchen steht, bedeutet, dass man das Tischchen mit Vorsicht verschieben muss, wenn man das Glas nicht umwerfen will, und dass der Tabak auf dem Kamin liegt, heisst, dass man drei Meter laufen muss, um sich eine Pfeife stopfen zu k�nnen.

In diesem Zusammenhang konstatiert Sartre, dass der urspr�ngliche Raum nicht der geometrische, sondern der hodologische ist. - Was ist der hodologische Raum? Der Begriff wurde von dem Sozialpsychologen Kurt Lewin erfunden und meint den Raum der praktikablen Wege im Kontrast zum geometrischen Raum. Als Beispiel f�r die Abbildung eines hodologischen Raums k�nnen Landkarten aus dem r�mischen Reich dienen (wie die ber�hmte Tabula Peutingeriana): Eine solche Karte zeigt das System der Landstrassen mit ihren Kreuzungen und die Namen der Orte, an denen die Strassen vorbeilaufen, aber ohne die L�nge der Wege oder ihre genaue Lage zu ber�cksichtigen. Die Karte beantwortet also eine einzige praktische Frage: Wie gelange ich zu Ort X? Eine Strasse pr�sentiert sich auf ihr nicht als ein mit Steinen gepflasterter Weg, der sich �ber soundsoviel Kilometer erstreckt, und dabei durch W�lder und bergige Landschaften usw. f�hrt, sondern ausschlie�lich im Hinblick auf den Zweck, �ber sie einen bestimmten Ort zu erreichen. Die tats�chliche geometrische Entfernung zweier Orte war f�r diesen Zweck nicht von Belang, da das Netz der R�merstrassen f�r einen Reichsbewohner die einzige praktische M�glichkeit darstellte, von einem Ort zum anderen zu gelangen, und auch der tats�chliche Strassenverlauf war ohne Bedeutung (wichtig war z. B., an der wievielten Kreuzung der Landstrasse mit einer anderen Landstrasse der Reisende abbiegen musste).

Wenn der Mensch die Dinge in einem hodologischen Raum wahrnimmt, heisst das, er nimmt sie im Hinblick auf ihre Bedeutung f�r das Erreichen bestimmter Zwecke bzw. das Ausf�hren bestimmter Handlungen wahr. Ich sehe einen Hammer nicht als h�lzernen Stiel, an dem ein St�ck Eisen h�ngt, sondern als etwas, mit dem ich N�gel einschlagen kann. Der Hammer ist Zeichen f�r eine Handlung, die ich ausf�hren k�nnte. (Der hodologische Raum kann sich je nach den Umst�nden ver�ndern - f�r jemanden, der einen Nagel einschlagen m�chte, aber keinen Hammer hat, pr�sentieren sich die Dinge, die ihm zur Verf�gung stehen, als mehr oder weniger brauchbare Schlagwerkzeuge. Vertraute Dinge k�nnen uns so �berraschende Seiten offenbaren.) - Jedes Utensil verweist - so Sartre - auf andere Utensilien, ein Hammer z. B. auf N�gel und die N�gel wiederum auf ein zu befestigendes Brett. In diesem Sinne verweisen die Dinge auch immer auf die Zukunft (die ja die M�glichkeit der Ausf�hrung der betreffenden Handlungen ist).

Nun hat die Reihe der aufeinander verweisenden Utensilien einen abstrakten Endpunkt, der ebenfalls der K�rper ist. Denn der Hammer verweist auf meine Hand, die ihn benutzt und diese Hand ist kein weiteres Utensil, sondern mit mir identisch. Wer N�gel einschl�gt, benutzt daf�r einen Hammer, aber nicht seine Hand (womit sich Sartre im Widerspruch zum Alltagssprachgebrauch befindet). - Der Endpunkt der Reihe ist kein wahrgenommenes Ding mehr, ebensowenig wie das r�umliche Zentrum der Dinge ein wahrgenommenes Ding ist. Der K�rper wird vom Bewu�tsein also (in seinem unverf�lschten Bezug zu ihm) nicht erkannt, sondern ist immer nur ein etwas, auf das die Dinge durch die Art der Organisation, in der sie sich mir pr�sentieren, verweisen. Sartre findet f�r diesen Umstand noch eine weitere Formulierung: Der K�rper ist f�r das Bewu�tsein ein Gesichtspunkt, demgegen�ber es keinen anderen Gesichtspunkt mehr einnehmen kann.

 Der K�rper als Objekt

Der K�rper ist also auf einer Seite mit der Faktizit�t des F�r-sich identisch, so wie diese Faktizit�t vom F�r-sich gelebt wird. Auf dieser Ebene gibt es keine Physiologie des K�rpers und auch keine Sinnesorgane, meine Augen z. B. sind mit dem Sehen identisch (Sartres Diskussion der Sinneswahrnehmung verschiebe ich in den n�chsten Abschnitt). Solche Aspekte des K�rpers zeigen sich erst, wenn der K�rper als Objekt f�r einen anderen Menschen erscheint. - W�hrend ich gegen�ber meinem eigenen K�rper grunds�tzlich keinen Gesichtspunkt einnehmen kann, ist die Einnahme eines Gesichtspunktes gegen�ber einem anderen K�rper nach dem eben Gesagten notwendig. - W�hrend mein eigener K�rper Endpunkt in einer Reihe aufeinander verweisender Instrumente ist, und kein Werkzeug f�r mich, kann ich den K�rper des Anderen als das Werkzeug des Anderen wahrnehmen: Der Andere sieht nicht einfach, sondern sieht mit seinen Augen. Der Andere ist aber kein Endpunkt der Utensilit�t, sondern wiederum Werkzeug f�r mich.

Wenn ich mit einem Menschen angeregt spreche, geh�rt sein K�rper vielleicht nur in den Bereich meiner Hintergrundwahrnehmung. Werde ich auf den K�rper des Anderen pl�tzlich aufmerksam, erscheint er mir auf eine eigent�mliche Weise, was Sartre so ausdr�ckt: Er erscheint mir als "Fleisch". - Wof�r ben�tigen wir diesen neuen Begriff? Reicht es nicht, zu sagen, dass ich den K�rper des Anderen sehen kann wie irgendein anderes Ding? - Doch Sartre meint, dass mir die Betrachtung eines menschlichen K�rpers als Ding lediglich in einem Fall m�glich ist, n�mlich wenn es sich um eine Leiche handelt. Lebende menschliche K�rper nehme ich auf eine ganz andere Weise wahr, n�mlich bezogen auf das Handeln des Menschen. Letzteres ist das Prim�re, z. B. sehe ich nicht etwa einen bewegten Arm, der an einem Torso befestigt ist, sondern einen Menschen, der die Hand hebt. Alle Teile eines anderen menschlichen K�rpers nehme ich im Kontext einer handelnden Totalit�t wahr.

Die Wut eines anderen Menschen ist - so Sartre in der Diskussion des Seins-f�r-Andere - nur eine Disposition f�r bestimmte Handlungen dieses Menschen. Im gegenw�rtigen Kapitel f�gt er hinzu: Wir schliessen nicht aus der Mimik des Anderen auf seine (innerliche) Wut, sondern wir sehen die Wut unmittelbar in seiner Mimik, die die Wut nicht etwa ausdr�ckt, sondern ist. - Sind diese beiden Behauptungen miteinander vertr�glich? Ich m�chte das bezweifeln: Selbst wenn Sartre damit richtig liegen sollte, dass in unserem Erfassen fremder Wut ein "Innenleben" des Anderen keine Rolle spielt, kann eine besondere Mimik nicht mit einer Disposition f�r Handlungen identisch sein, sondern sie nur andeuten. Sartre denkt hier offenbar nicht an die M�glichkeit der Verstellung, also einer Wut-Mimik ohne Verbindung mit einer Wut-Disposition. - Doch Sartre besteht auf der zweiten Behauptung und verallgemeinert sie: Der K�rper des anderen Menschen ist f�r mich mit seiner Psyche identisch, der Andere ist uns grunds�tzlich "ohne Geheimnis" gegeben.

Analog zu meinem Sein-f�r-Andere, das ja - wie wir uns erinnern - als tempor�re Grenze meines F�r-sich entsteht, wenn ich angeblickt werde und das Objekt, das ich f�r den Anderen bin, akzeptiere, kann im Erblicktwerden auch mein K�rper K�rper-f�r-Andere werden. So wie sich mir mein F�r-sich im Sein-f�r-Andere zu einem Objekt entfremdet, entfremdet sich mir auch mein K�rper-f�r-Andere. Der Zustand der Sch�chternheit - so Sartre - geht wesentlich mit einem solchen entfremdeten K�rpergef�hl einher. - Der wesentliche Unterschied zwischen einem anderen Menschen oder K�rper, der f�r mich Objekt wird, und dem Sein-f�r-Andere oder K�rper-f�r-Andere, das sich in mir ausbildet, wenn ich mir bewu�t bin, f�r einen anderen Menschen Objekt zu sein, besteht in der Unzug�nglichkeit dieser Objekte f�r mich. W�hrend ich nat�rlich weiss, welche Art Objekt der Andere f�r mich ist, weiss ich nicht, welche Art Objekt ich f�r den Anderen bin ("Oh Gott, ich bin sicher knallrot geworden und die Leute sehen das!").

Etwas kurz angebunden ist Sartre, wo es um die M�glichkeit gibt, dass ich meinen eigenen K�rper (ohne Vermittlung eines Anderen) als Objekt erfasse. Dieser Fall liegt vor, wenn ich z. B. mit meiner einen Hand auf die andere Hand dr�cke, um mehr Druck auszu�ben. Meine eine Hand verwendet also die andere als Werkzeug, und das setzt voraus, dass ich sie als Objekt erfasst habe. - Sartre konstatiert, dass es sich hierbei um ein kontingentes Randph�nomen handelt, das keine besondere Erw�hnung verdient, da sich K�rper denken lassen, denen eine Sicht auf sich selbst unm�glich ist.

 Sinnesorgane und Sinnesempfindungen

Wir hatten gesehen, dass mein K�rper als unsichtbarer Endpunkt von Utensilit�tsbeziehungen f�r mich kein Werkzeug sein kann. Und Sartre unterscheidet in dieser Hinsicht nicht zwischen dem K�rper und seinen Teilen: Auch das Auge ist f�r mich kein Utensil, mit dem ich sehe, wie z. B. eine Brille oder ein Fernglas. Trotzdem ist es ziemlich verbreitet, die Sinnesorgane als Werkzeuge zur Erfassung der Welt zu interpretieren, die ihren Dienst mehr oder weniger gut verrichten, gelegentlich ausfallen und die man z. B. mit einer Brille oder einem H�rger�t "einstellen" oder "aufr�sten" kann. - Sartre h�lt diese Sichtweise f�r in Ordnung, so lange man weiss, dass sie einseitig ist, n�mlich ausschlie�lich den K�rper der Anderen betreffen kann, und nicht meinen eigenen. Probleme treten dann auf, wenn man sie f�r die einzige m�gliche Sicht auf den K�rper h�lt!

Ein erstes Problem ergibt sich aus der Interpretation meines eigenen K�rpers (bzw. seiner Teile und Organe) als Werkzeug, wenn ich mich n�mlich frage, wer dieses Werkzeug wohl bedient. Sartre glaubt, dass man so automatisch auf das irrationale Konzept einer nicht-materiellen Seele kommt, die ein materielles Werkzeug benutzt. Ein weiteres Problem ist wissenschaftstheoretischer Natur, da die Wissenschaft den K�rper-f�r-Andere verabsolutiert hat:

Denn sie unterstellt, dass es eine objektive Welt gibt, die (durch Lichtwellen o. �.) in den menschlichen Sinnesorganen Ver�nderungen provoziert, die wiederum Empfindungen hervorrufen. Da der Kontakt zur Welt durch die Sinnesorgane als Werkzeuge vermittelt wird, und diese Werkzeuge fehlerhaft und unzuverl�ssig sind, sind unsere Empfindungen gleichfalls unsicher, und das heisst, nur subjektiv, wie man in Laborexperimenten leicht zeigen kann: Z. B. hat sich herausgestellt, das Versuchspersonen ein und dieselbe objektive Lichtst�rke als ganz unterschiedlich hell wahrnehmen k�nnen. - Was ist problematisch an dieser Auffassung?

Zun�chst einmal - so Sartre - ist der scheinbar klare Unterschied, der zwischen der Subjektivit�t der Empfindungen und der objektiven Weltbeschreibung durch die Wissenschaften besteht, nur Schein. Denn auch Wissenschaftler, die ihre Messskalen ablesen, benutzen daf�r ihre Sinnesorgane. Woraus folgt, dass auch die wissenschaftliche Wahrheit auf Empfindungen basiert! Die Dualit�t subjektiv/objektiv ergibt sich erst dann, wenn Widerspr�che auftreten. In diesem Falle m�ssen wir zwischen zwei unterschiedlichen Weltbeschreibungen, die beide auf Empfindungen basieren, w�hlen und degradieren die von uns abgelehnte Beschreibung zu der, die nur subjektiv ist, w�hrend wir die andere zur objektiven Wahrheit ernennen. - Wenn ich diese Sicht verabsolutiere (also den K�rper ausschlie�lich als K�rper-f�r-Andere betrachte) entsteht ein schwerwiegendes Problem: Die Objektivit�t der Wissenschaft basiert dann n�mlich auf der von ihr beschriebenen Subjektivit�t der Empfindungen, was - wie Sartre meint - ihre Selbstaufhebung zur Folge haben muss. Der K�rper-f�r-mich ist also unverzichtbar, und er muss im Begr�ndungssystem der Wissenschaft an irgendeiner Stelle auftauchen.

Sartre konstatiert ausserdem, dass sich Empfindungen im Cogito nicht aufweisen lassen: Ich habe keine Empfindung von "rot", wenn ich etwas Rotes sehe, sondern nehme einfach einen roten Gegenstand wahr. Der Begriff der Empfindung ist lediglich ein Konstrukt, dessen Erfordernis sich aus der Widerspr�chlichkeit der Weltbeschreibungen ergibt. Aus diesem Grunde bezeichnet ihn Sartre als "blo�e Psychologentr�umerei". - Die Konsequenz aus der Leugnung der subjektiven Empfindungsebene ist �brigens, dass alle Wahrnehmungen gleichermassen objektiv sind, und Sartre ist wirklich dieser Auffassung: Der Kurzsichtige oder Farbenblinde nimmt die Welt nicht falsch war, sondern lebt in einer anderen Welt als der Normalsichtige.

Nun ist der Begriff "Empfindung" in seiner allt�glichen Verwendung aber nicht auf den Bereich der sinnlichen Empfindungen (z. B. Farbempfindungen, Geruchsempfindungen, taktile Empfindungen usw.) eingeschr�nkt, sondern umfasst auch z. B. Schmerzen, die sich durchaus im Cogito aufweisen lassen. Diese Klasse, die Klasse der K�rperempfindungen muss daher besonders behandelt werden.

 Die K�rperempfindungen

Der K�rper ist meine Faktizit�t, d. h. er ist zwar an-sich, aber in einer Identit�tsbeziehung mit dem Bewu�tsein. Als solcher ist er mir nur implizit - als Gesichtspunkt oder Zentrum meiner Wahrnehmungen - gegeben, und nicht als Objekt der Welt. Erkennen und wahrnehmen kann ich lediglich den K�rper der Anderen. Eine Verobjektivierung meines eigenen K�rpers f�r mich ist zwar prinzipiell m�glich, aber nur dadurch, dass ich ihn so betrachte, als w�re er der K�rper eines Anderen. Einem Menschen, der noch nie einen anderen Menschen getroffen hat, w�re - so darf man aus Sartres Argumentation folgern - diese Betrachtungsweise unm�glich. Auf keinen Fall handelt es sich bei ihr um die urspr�ngliche und eigentliche Art, in der mir mein K�rper gegeben ist.

Aus der schon erfolgten Beschreibung des unmittelbaren Verh�ltnisses zu meinem K�rper (des K�rpers-f�r-mich) l��t sich allerdings nicht entnehmen, dass es spezielle k�rperliche Empfindungen gibt, wie z. B. Schmerzen. Und stellt diese Tatsache Sartres Auffassung nicht in Frage - denn wird mir durch einen Schmerz nicht das schmerzende K�rperteil als Objekt bewu�t? Ist Schmerz nicht eine Art Wahrnehmung des K�rpers durch mich? Unterscheiden sich z. B. Augenschmerzen und Magenschmerzen nicht gerade durch ihr Objekt?

Sartre leugnet das. Wenn ich beim Lesen Augenschmerzen habe, nehme ich �ber diese Schmerzen nicht mein Auge wahr, sondern die Schmerzen sind der "Stoff meines Bewu�tseins", w�hrend ich lese. Und er f�gt hinzu: Sie sind jenseits aller Erkenntnis, weil sie der Erkenntnisakt selbst sind. - Wie m�ssen wir das verstehen? - W�hrend ich lese, sind mir meine Augen lediglich indirekt als der r�umliche Bezugspunkt meiner Wahrnehmung der Buchstaben gegeben. Ebenso indirekt sind mir - so Sartre - die schmerzhaften Augen gegeben, n�mlich dadurch, das das Buch jetzt etwas ist, das m�glichst schnell gelesen werden muss. - Ich versuche ein anderes Beispiel. Man stelle sich vor, dass jemand seit Stunden unter einem bew�lkten Himmel durch unwegsames Gel�nde wandert. Da geschehen (nur aus Zufall zur selben Zeit) zwei Dinge: Zum einen reisst die Wolkendecke auf, und die Sonne kommt zum Vorschein. Zum Anderen merkt der Wanderer, dass seine Beine schmerzen. - Es ist nun naheliegend, das zweite Ereignis nach dem Muster des ersten zu interpretieren: So wie der Wanderer pl�tzlich die Sonne wahrnimmt, die f�r ihn bislang unsichtbar gewesen ist, nimmt er auch die Muskeln seiner Beine wahr.

Sartre w�rde behaupten, dass das zweite Ereignis mit dem ersten nicht vergleichbar ist: Die Muskeln kommen dem Wanderer nicht deshalb ins Bewu�tsein, weil er sie wahrnimmt, sondern weil ihm der Weg auf einmal l�nger oder schwieriger vorkommt. Die Schmerzen in den Beinen sind also der Stoff des Bewu�tseins, das der Wanderer vom Weg hat! - Man k�nnte hier einwenden, dass es erfahrungsgem�� ziemlich h�ufig vorkommt, dass Schmerzen oder schmerzende K�rperteile thematisiert werden. Der Wanderer k�nnte z. B. ausrufen: "Oh, diese schmerzenden Beine!" oder "Oh, was f�r ein schrecklicher Schmerz!" - W�re es nach Sartres Auffassung nicht plausibler, dass man in solchen F�llen lediglich S�tze wie "Ach, was f�r ein anstrengender Weg!" �u�ert?

Man vergisst bei diesem Einwand Sartres Unterscheidung der zwei Bewu�tseinsebenen. Auf der unreflektierten Ebene gibt es f�r den Wanderer nur den Weg, der schwieriger zu laufen ist als vor einigen Stunden. Erst durch Reflexion auf das Bewu�tsein vom Weg tritt ein psychisches Objekt Schmerz in Erscheinung, und diese Reflexion ist - wie Sartre meint - unrein, da im Cogito in Wahrheit lediglich eine besondere Qualit�t des Bewu�tseins vom Weg (sein "Stoff") aufweisbar ist. Und erst wenn der Wanderer dann noch seinen K�rper als K�rper-f�r-Andere betrachtet, verweist das Objekt Schmerz auf weitere Objekte wie z. B. die Muskeln des Oberschenkels. - Die Ausrufe des Wanderers setzen also eine vorangegangene unreine Reflexion voraus. - Und die unreine Reflexion kann noch weitergehen und ein momentanes Objekt Schmerz als Erscheinung eines zeit�bergreifenden Schmerzobjektes interpretieren, dass ich - wie die Sonne - manchmal wahrnehmen kann und manchmal nicht: "Da sind sie wieder, die verdammten Beinschmerzen!"

Sartre besch�ftigt sich mit einem weiteren Einwand: Kommt es nicht h�ufig vor, dass ich Schmerzen habe, die nichts mit meinem momentanen Handeln oder Wahrnehmen zu tun haben? W�hrend ich lese, kann ich nicht nur Augenschmerzen sondern z. B. auch Fingerschmerzen haben. - Sartre glaubt den Einwand dadurch beiseite schieben zu k�nnen, dass er an die Unterscheidung von Wahrnehmungsvordergrund und -hintergrund erinnert, der seiner Ansicht nach eine Unterscheidung zwischen K�rperlichkeitsvordergrund und -hintergrund korrespondiert. - Sartre meint damit ungef�hr folgendes: Im Wahrnehmungsvordergrund befindet sich die Seite des Buches, das ich lese, im Wahrnehmungshintergrund befindet sich z. B. die Oberfl�che des Schreibtisches, auf der meine Hand liegt. Diese Hintergrundwahrnehmung kann nun genauso eine Schmerzqualit�t haben wie die Vordergrundwahrnehmung.

Man kann sich �brigens fragen, ob Sartres Standpunkt noch plausibel ist, wenn Schmerzen sehr stark und unbeeinflussbar sind und das Bewu�tsein sozusagen ganz in Anspruch nehmen: Verschwindet in solchen F�llen die Welt nicht v�llig hinter dem Schmerz? - Trotz solcher mit Sartres Auffassung verbundener Probleme glaube ich, dass die Diskussion des K�rpers und der Empfindungen eine der interessantesten Passagen von "Das Sein und das Nichts" ist.

 Der "Ekel"

In der "Einleitung" hatte Sartre angemerkt, dass es einen unmittelbaren Zugang zum Sein (zum Sein-an-sich) gibt, der z. B. in Langeweile oder Ekel bestehen kann. In der Diskussion des K�rpers liefert Sartre die Erkl�rung nach: Wenn ich gerade keine Schmerzen oder andere explizite K�rperempfindungen habe, bleibt, wie Sartre meint, immer noch eine Art "fader Beigeschmack" als die Grundqualit�t eines Bewu�tseins, das keine besonderen Qualit�ten hat (aus keinem besonderen "Stoff" besteht) und diese Empfindung ist der "Ekel". - Dieser Ekel ist nicht mit dem gew�hnlichen Ekel vor absto�enden Dingen zu verwechseln, obwohl Sartre meint, dass er ihm zugrundeliegt.

Aber inwiefern liefert mir der "Ekel" als eine Art allgemeines K�rpergef�hl einen unmittelbaren Zugang zum Sein-an-sich? (Dass der Zugang unmittelbar ist, heisst, dass er nicht �ber die Wahrnehmung von Dingen f�hrt.) Wir m�ssen hier wieder daran denken, dass der K�rper mit unserer Faktizit�t identisch, und das heisst, Sein-an-sich ist. - Trotzdem macht sich Sartre eines Selbstwiderspruchs schuldig: Die k�rperlichen Empfindungen sind n�mlich gerade keine Wahrnehmungen, wie er betont. Der "Ekel" kann daher auch keine unmittelbare Wahrnehmung des Seins-an-sich sein. Wenn es sich aber nicht um eine Wahrnehmung handelt, ist nicht klar, inwieweit dadurch ein "Zugang" zu etwas geschaffen werden kann. - Dieser Zugang muss also mystischer Art sein.

 Exkurs: Theorie der Emotionen

Die "Skizze einer Theorie der Emotionen" entstand vor "Das Sein und das Nichts", steht dem Werk aber so nahe, als w�re es ein Teil davon. Die darin vorgestellte Theorie wird von Sartre vorausgesetzt. - Aufgrund der Bedeutung des Themas f�r Sartres Behandlung der zwischenmenschlichen Beziehungen liefere ich hier eine kurze Zusammenfassung. Die Diskussion des Entsetzens (beim pl�tzlichen Anblick eines Gesichtes an der Fensterscheibe) lasse ich aus, da es sich dabei lediglich um eine Vorstufe zum Konzept des "Blicks" zu handeln scheint. - Als Vorbemerkung: Emotionen/Gef�hle unterscheiden sich von Empfindungen dadurch, dass sie in ihrer Erlebnisqualit�t keinen Bezug zum K�rper haben. Schmerzen sitzen z. B. im Bein, �belkeit sp�rt man im Bauch oder auch im ganzen K�rper, und Sehempfindungen (wir wissen unterdessen, dass es sie nicht gibt) sind Empfindungen des Auges. Wut oder Depression, Eifersucht oder Freude sind subjektiv hingegen weder mit einem K�rperteil verkn�pft noch mit dem ganzen K�rper (obwohl sie mit k�rperlichen Begleiterscheinungen einhergehen k�nnen, wie z. B. mit Zittern und Gesichtsr�te im Falle der Wut).

Sartre sieht den Hauptfehler der meisten Theorien �ber Emotionen in dem Umstand, dass sie das Bewu�tsein von Gef�hlen auf der reflexiven Ebene ansiedeln. Wir erinnern uns, dass psychische Gegenst�nde �berhaupt erst auf dieser Ebene durch unreine Reflexion entstehen - ein �hnlicher Prozess f�hrt nach Sartres Einsch�tzung dazu, dass wir von unserer Wut oder unseren Depressionen sprechen k�nnen. - Die Emotion als psychischer Gegenstand erscheint uns so (und wird von den fraglichen Theorien so vorausgesetzt), als w�re sie ein zwar durch Weltereignisse ausgel�ster, aber prinzipiell autonomer Zustand. In Wahrheit - so Sartre - existiert die Emotion jedoch keineswegs unabh�ngig von der Welt. Auf der unreflektierten Ebene habe ich n�mlich keinen Hass auf eine bestimmte Person, sondern nehme eine Person als hassenswert dar, eine Situation als be�ngstigend oder deprimierend: Die Emotion betrifft das Erscheinen der Dinge.

Sartre sagt noch weiteres �ber die pr�reflexive Bewu�tseinsebene, was wir so �hnlich bereits kennen: Es gibt auf ihr weder Handlungen noch ein handelndes Ich. Stattdessen gibt es objektive Forderungen und objektive Hindernisse, diese Forderungen zu verwirklichen. Selbst wenn ich zwischen Handlungsm�glichkeiten zu w�hlen gezwungen bin, ist das auf der pr�reflexiven Ebene keine von mir ausgef�hrte Wahl, sondern nur ein Kampf zwischen meinen M�glichkeiten (den objektiven Forderungen) selbst, wobei sich die von mir sp�ter realisierte als die st�rkere erweist. - Doch was geschieht auf der pr�reflexiven Ebene in dem ung�nstigen Fall, wenn ich pl�tzlich nur noch Hindernisse um mich sehe, und die Forderungen der Welt unerf�llbar zu sein scheinen? An dieser Stelle - so Sartre - entsteht die Emotion.

Wenn die Forderungen, mit denen ich konfrontiert bin, nicht erf�llen kann, bleibt mir - so Sartre - nur noch ein Ausweg (der etwas sch�big ist): Ich ver�ndere die so unfreundliche Welt in eine, in der die Forderungen nicht mehr erf�llt werden m�ssen. Die Emotion ist nichts anderes als der Aufenthalt in einer so ver�nderten Welt. - Wie man sich das vorzustellen hat, ergibt sich aus Sartres Beschreibung einiger Einzelgef�hle.

Was geschieht z. B., wenn ich Furcht habe? Ich bringe die Welt, deren Gefahr ich nicht entkommen kann, zum Verschwinden indem ich fliehe oder ohnm�chtig werde. - Hingegen ver�ndere ich, wenn ich depressiv bin, die Welt in eine, in der alles gleichg�ltig ist. Das klingt einleuchtender, wenn man ber�cksichtigt, was Sartre f�r den Anlass einer Depression h�lt: Depressiv werde ich, wenn (z. B. aufgrund eines Todesfalles) alte und vertraute Handlungsm�glichkeiten wegfallen und ich gezwungen bin, nach neuen Ausschau zu halten. Dieser unangenehmen Aufgabe gehe ich aus dem Weg, indem ich mich in eine Welt zur�ckziehe, in der alles Handeln gleichermassen absurd ist (es handelt sich hier offenbar um eine Flucht vor der "Angst").

Die Erkl�rung der Wut h�lt Sartre f�r so naheliegend, dass er sie dem Leser �berl��t. Ich halte diesen Optimismus f�r ungerechtfertigt und stelle zwei M�glichkeiten zur Auswahl, wobei die erste den aggressiven Aspekt der Wut betont und die zweite die darin implizierte Abneigung: Entweder meint Sartre, dass die Wut in einer gewissen �hnlichkeit zum Furchtverhalten z. B. darin besteht, dass ich meine Probleme im Umgang mit dem Computer (die auf meine fehlenden Kenntnisse zur�ckgehen) dadurch zu beseitigen glaube, dass ich mein Ger�t aus dem Fenster werfe. Die andere M�glichkeit w�re, dass die Wut analog zur Depression auf Angstvermeidung hinausl�uft: Meine Probleme liegen ausserhalb meiner Verantwortung, da die magisch gewordene Welt von b�sartigen Objekten wie diesem Rechner bev�lkert ist, die alle Schuld tragen und deren Charakter man nicht �ndern kann.

Noch schwieriger ist Sartres Erkl�rung der Freude, denn scheinbar unterscheidet sie sich dadurch von den drei schon erw�hnten Gef�hlen, dass sie keine Abwehrreakton gegen eine Bedrohung ist. - Sartres Erkl�rung l�uft darauf hinaus, dass er doch eine Bedrohung feststellt. Zun�chst unterscheidet er zwei Arten von Freude: Zum einen gibt es die "stille" Freude an der Gegenwart. Diese hat - so Sartre - keinen emotionalen Charakter, sondern stellt lediglich eine Art Gleichgewicht dar (an grundlos euphorische Zust�nde denkt Sartre offenbar nicht). Zum anderen gibt es die Freude, die entsteht, wenn ich dar�ber in Kenntnis gesetzt werde, dass ich einen begehrten Gegenstand wirklich bekommen werde, und bei dieser Freude (die man als "Vorfreude" bezeichnen k�nnte) handelt es sich tats�chlich um ein Gef�hl.

Gegen welche Bedrohung stellt die Vorfreude eine Gegenwehr dar? - Erinnern wir uns an die "ontologische Entt�uschung", die uns - so Sartre - �berf�llt, wenn wir eine Begierde gestillt haben. Ursprung dieser Frustration ist, dass der "Wert", der das eigentliche Ziel der Begierde war, nicht erreicht wird. Woraus folgt, dass kein begehrter Gegenstand uns jemals wirklich zufriedenstellen kann. Zu dieser prinzipiellen Aussichtslosigkeit treten die praktischen Probleme, die der Besitz des Gegenstandes evt. stellt, bevor er seine eigentlichen Fr�chte tr�gt: Geld, dass ich bekomme, muss ich anlegen oder ausgeben, mit einer geliebten Frau, die mich erh�rt hat, muss ich zusammenleben, usw. - Und genau gegen diese Einsichten wehre ich mich durch meine Vorfreude! Die Vorfreude l�sst die Welt so erscheinen, als h�tte ich den begehrten Gegenstand bereits in Besitz und zwar ohne Verz�gerung und ohne ontologische Entt�uschung, sondern als das, was er f�r mich sein sollte.

Die Welten des depressiven, �ngstlichen, sich freuenden und des zornigen Menschen unterscheiden sich zwar deutlich voneinander, haben aber auch eine wesentliche Gemeinsamkeit: Diese besteht - so Sartre - darin, dass die gew�hnliche Kausalit�t aufgehoben ist. Die spiegelt sich normalerweise in dem Umstand, dass mir Welt als aus Utensilien bestehend erscheint, die von mir benutzt werden k�nnen, weil sie eine Einwirkung zulassen und sich auf eine bestimmte vorhersehbare Weise verhalten. Eine solche Ordnung existiert in den emotionalen Welten nicht mehr, weswegen Sartre sie als "magische" Welten bezeichnet. - Im Falle der Furcht besteht der magische Charakter der Welt darin, dass man in ihr einen bedrohlichen Gegenstand durch Nicht-Wahrnehmung zum Verschwinden bringen kann (durch Ohnmacht, oder indem ich mir durch Flucht oder Schliessen der Augen die Sicht darauf entziehe). - In der Welt der Wut, wenn wir von meiner ersten Interpretation ausgehen, ist die magische Beseitigung von Problemen durch Beseitigung von Gegenst�nden, die mit dem Problem im Zusammenhang stehen, m�glich. - In der Depression wurde die Welt auf magische Weise ihres Forderungscharakters entkleidet und die Welt des Freudigen ist schliesslich eine, in der der begehrte und angek�ndigte Gegenstand auf magische Weise bereits da ist.

Da das Bewu�tsein nach Sartres Ansicht die Emotionen hervorbringt - sie erf�llen ja eine bestimmte Funktion - stellen sich zwei Fragen: Warum sind Gef�hle h�ufig qu�lend, wenn sie doch eine beabsichtigte Funktion erf�llen, und warum k�nnen Gef�hle von uns nicht ohne weiteres beseitigt werden? Die Antwort auf die erste Frage lautet, dass die Welt des Emotionalen zwar die Funktion erf�llt, die sie erf�llen soll, aber das Leben in einer solchen Welt unangenehme Nebenwirkungen haben kann. So befreit die Welt des Depressiven diesen zwar von seiner Verantwortung im Hinblick auf die Probleme, die Ausl�ser der Depression waren, l�sst aber auch keine Hoffnung mehr zu, da in ihr alle Entscheidungen und alle Handlungen sinnlos sind. - Was die scheinbare Unbeeinflussbarkeit unserer Gef�hle durch uns angeht, ist Sartres Antwort komplizierter:

Zwar habe ich selbst meine Welt ge�ndert, lebe aber tats�chlich in ihr - ich glaube an ihre Existenz. Ich bin - so Sartre - in diesem Glauben gefangen, wie in einem Traum und das ist, wie er meint, nicht weiter verwunderlich, weil ich mich ja auf der pr�reflexiven Ebene befinde und das Bewu�tsein "ohne Reflexionsakt nicht dasjenige verneinen kann, was es gleichzeitig setzt". (wobei Sartre zu �bersehen scheint, dass auch die normale Welt eine Setzung des Bewu�tseins ist, die ja mit der Schaffung der neuen Welt verneint wurde) - Woraus folgt, dass die Reflexion (abgesehen von einer totalen �nderung der Situation) das einzige Mittel sein kann, um die Emotion zu bek�mpfen. Doch die normale, unreine Reflexion kann dazu nicht verwendet werden, da sie die Emotion als eigenst�ndige Entit�t missversteht und so gerade ihre Unbeeinflussbarkeit zementiert. Die Reflexion muss also reine Reflexion sein, und dass heisst z. B., dass sich der Depressive klarmachen muss, dass er sich in einer von ihm selbst funktional ver�nderten Welt befindet. (Was darauf hinausl�uft, dass es h�chst unwahrscheinlich ist, dass vor Sartre jemand beispielsweise seine Furcht besiegen konnte: Denn seine Erkl�rung der Furcht ist neu und Sartre daher vermutlich der Erste, der seine Reflexion so weit reinigen konnte, um auf sie zu sto�en.)

Man kann an Sartre die Frage stellen, wie sich die Angst (in seinem Sinne) in seiner Theorie verorten l�sst. Gef�hle haben gem�� der Theorie einen wesentlich unauthentischen Charakter, sie sind realit�tsverleugnend. Die Angst (wenn sie denn ein Gef�hl ist) m�sste dann das einzige authentische Gef�hl sein, da sich z. B. die Depression im Rahmen der Argumentation als Flucht vor der Angst darstellt. Oder sind die Welten der Emotionalen gleichwertig mit den normalen Welten (denn wir d�rfen nicht vergessen, dass auch die gew�hnliche Welt im Sinne Sartres letztlich durch Injektion seines Nichts vom Subjekt gemacht wird)? - Es dr�ngen sich noch mehr Einw�nde auf, die ich hier nicht erw�hne: Die Argumentation Sartres in der "Skizze einer Theorie der Emotionen" scheint insgesamt eine seiner schw�cheren zu sein. - Man muss sich klar machen, welche Funktion die Theorie im Rahmen von Sartres Gesamtargumentation hat: Emotionen (die uns "�berfallen", denen wir "ausgeliefert" sind) scheinen ein starkes Gegenargument gegen Sartres Behauptung der totalen Spontaneit�t des Bewu�tseins zu liefern. Die Theorie versucht das Argument zu entkr�ften, indem sie Emotionen als Erzeugnis der Bewu�tseinsspontaneit�t erkl�rt.

 Die konkreten Beziehungen zu Anderen

Die Analyse des "Blicks" hatte gezeigt, dass ich in der direkten Konfontation mit einem anderen Menschen nur zwei Haltungen einnehmen kann, die sich gegenseitig ausschliessen: Entweder ich sehe ihn als Objekt, das Teil meiner Utensilienwelt ist, oder ich bin seinem "Blick" unterworfen und das heisst, werde selber zum Objekt f�r den Anderen und bin ihm ausgeliefert. In letzterem Falle bildet mein F�r-sich als Grenze zu der anderen Freiheit das Sein-f�r-Andere aus - das Objekt, das ich f�r den Anderen bin, aber in mir als entfremdetes Selbst. - Dieses dichotomische Schema ist die Grundlage f�r die konkreten Beziehungen zu anderen Menschen (unter welchen Begriff f�r Sartre z. B. die sexuelle Begierde nebst Varianten, die Liebe oder die Gleichg�ltigkeit fallen).

Bislang war der einzige von Sartre erw�hnte Ausweg aus der gef�hrlichen Situation des Angeblicktwerdens der Wechsel zur zweiten Haltung, d. h. die Degradierung des Anderen zum Objekt f�r mich, erreicht dadurch, dass ich ihn meinerseits anblicke. Hier f�hrt er eine zweite M�glichkeit ein, mit dem "Blick" umzugehen: W�hrend ich beim Wechsel mein Sein-f�r-Andere verschwinden lasse, geht es hier darum, es f�r meine eigenen Zwecke zu verwenden. Doch welchen Nutzen k�nnte mein entfremdetes Selbst f�r mich haben? - Nun, wir wissen, dass das F�r-sich mit allem, was es tut, letztlich versucht, den "Wert" zu verwirklichen, also ein durch sich selbst begr�ndeter und damit gottgleicher Bastard aus An-sich und F�r-sich zu werden. Das Sein-f�r-Andere liefert dem F�r-sich den Anlass zu einem weiteren (gleichfalls scheiternden) Versuch, dieses Ziel zu erreichen:

Das Sein-f�r-Andere - so denkt es -, obwohl entfremdet, ist ja immerhin ich. Warum versuche ich nicht, dieses Objekt meiner Freiheit zu unterwerfen und mich auf diese Weise selbst zu begr�nden? Doch es ist klar, dass das nur m�glich ist, wenn das Objekt dabei erhalten bleibt. Der Andere darf f�r mich also keineswegs selbst Objekt werden (denn sonst l�st sich mein Objekt-Ich auf), sondern ich muss weiterhin der Angeblickte bleiben. Gleichzeitig aber muss die Freiheit des Anderen, vor der ich mich verobjektiviert habe, meiner Freiheit unterworfen werden, so dass ich �ber einen Umweg mein Sein-f�r-Andere selbst bestimmen (und damit begr�nden) kann! - Sartre bezeichnet das als Versuch einer Assimilation der Freiheit des Anderen. - Wie werden sehen, wie sich dieser Versuch in der Praxis darstellt, und warum er scheitert.

 Das Ideal der Liebe und die Sprache

Im Deutschen unterscheidet man zwischen Liebe und Verliebtheit (obwohl "Liebe" im Alltag h�ufig im Sinne von "Verliebtheit" verwendet wird - das Gest�ndnis "ich liebe dich" m�sste in den meisten F�llen korrekter "ich bin verliebt in dich" lauten). Liebe hat einen langfristigen Charakter, sie stellt wesentlich eine Disposition f�r bestimmte Handlungsweisen dar: Deshalb ist es m�glich, dass ich selbst f�lschlich annehme, jemanden zu lieben, w�hrend Andere erkennen, dass es nicht so ist (weil sie z. B. einen genaueren �berblick dar�ber haben, wie oft ich mich gegen�ber dem angeblich geliebten Menschen unsolidarisch verhalte), w�hrend ich �ber meine Verliebtheit besser orientiert bin als die Anderen. Liebe ist daher - worauf Wittgenstein hinwies - objektiv testbar im Sinne der Liebesproben in den St�cken Shakespeares. - Aus Sartres Text geht hervor, dass er, wenn er hier von Liebe spricht, eher die akute Verliebtheit mit ihrem Ideal und ihren Handlungsweisen meint und nicht z. B. die Liebe eines �lteren Ehepaars.

Das Ideal der Liebe - so Sartre - ist die eben beschriebene Assimilation der Freiheit des Anderen. (Dieser Begriff ist nicht zu verwechseln mit der Assimilation durch Verschmelzung zweier Bewu�tseine, die mir zu drohen scheint, wenn ich "angeblickt" werde.) - Was meint das genau? Wir haben gesehen, dass der Versuch darauf abzielt, die Freiheit des Anderen von meiner Freiheit abh�ngig zu machen, ohne sie zu zerst�ren. Wie Sartre sagt: Ich will den Anderen nicht einfach beherrschen (das k�nnte ich auch, wenn ich von ihm gehasst werde), indem ich seine Freiheit beschr�nke, sondern will, dass der Andere seine Freiheit selbst beschr�nkt, und zwar in meinem Sinne. Nur so kann ich mir das Erblicktwerden durch ihn erhalten und damit mein Sein-f�r-ihn, das ich ja nicht vernichten, sondern lediglich kontrollieren will. - In diesem Zusammenhang legt Sartre Wert auf die Feststellung, dass Liebe �ber den blossen Wunsch nach sexuellem Verkehr hinausgeht: Letzteren k�nnte ich z. B. auf irgendeine Art zu erkaufen versuchen, eine Vorstellung, die dem Liebenden v�llig fernliegt.

Nun k�nnte man meinen, dass der Liebende mit einer freien Entscheidung des Geliebten, ihn zu lieben, v�llig zufrieden sein m�sste (es ist hier nicht von Belang, ob eine solche Entscheidung �berhaupt m�glich ist). Warum wirkt dieser Gedanke befremdlich? Offenbar ist die Freiheit des Geliebten im Falle einer solchen Entscheidung noch zu frei f�r die Zwecke des Liebenden. Sartre dr�ckt das so aus: Der Liebende will zwar von einer Freiheit geliebt werden, aber von einer Freiheit, die nicht mehr frei ist. Der Geliebte soll sich seiner Leidenschaft f�r den Liebenden unterwerfen, die dann sein Bild von ihm bestimmt (worauf es dem Liebenden ja ankommt), und frei soll er nur insofern bleiben, als seine Unterwerfung freiwillig ist. - (Wir k�nnen hier schon ahnen, warum der Versuch des Liebenden zum Scheitern verurteilt ist.)

Da der Liebende einerseits f�r den Geliebten Objekt bleiben will (der Geliebte soll ihn weiterhin anblicken), muss, wenn sich andererseits der Geliebte einer Leidenschaft f�r dieses Objekt unterwerfen soll, das Objekt f�r den Geliebten vollkommen faszinierend, letzter Zweck f�r den Geliebten sein. Die Taktiken des Liebenden laufen demgem�� darauf hinaus, sich zu einem solchen absoluten Objekt zu machen. Der Liebende will f�r den Geliebten "ein und alles" werden - das heisst, er will die Welt als die Gesamtheit der Objekte durch sich ersetzen, so dass es f�r den Geliebten kein anderes Objekt als ihn mehr geben kann. Wenn das gelungen ist, hat er sein Ziel erreicht: Als h�chster Zweck f�r den Anderen schwebt er nicht mehr in der Gefahr, von ihm als Instrument f�r unbekannte Zwecke benutzt zu werden - der "Blick" hat seine Bedrohlichkeit verloren. Gleichzeitig hat der Liebende eine Begr�ndung bekommen, seine Faktizit�t ist jetzt durch einen Zweck gerechtfertigt. Und diese Begr�ndung ist - da der Liebende sich ja selbst so faszinierend gemacht hat - letztlich eine Begr�ndung durch sich selbst!

Bevor wir zu den Faktoren kommen, die daf�r sorgen, dass dieser sch�ne Zustand doch nicht erreicht werden kann, muss noch kurz dargelegt werden, welche Rolle im Spiel nach Sartres Auffassung der Sprache zukommt. Er definiert sie als die Gesamtheit der menschlichen Ausdrucksm�glichkeiten, sowohl der sprachlichen im engeren Sinne als auch der k�rperlichen. Als solche ist sie - so Sartre - mit meinem Sein-f�r-Andere identisch. Der Ausdruck ist also zun�chst unwillk�rlich (alle meine Handlungen sind in diesem Sinne Ausdruckshandlungen), und wird erst sekund�r von mir als Instrument verwendet - im Falle der Liebe dadurch, dass ich mich der Sprache der Verf�hrung bediene, deren Zweck es ist, Faszination hervorzurufen. Zu Beginn meines Vorhabens verfahre ich dabei blind, da der Andere aus meinen Geb�rden und Worten ja frei sein Bild von mir zusammensetzt. - Es ist interessant, dass Sartre hier die Sprache der Verf�hrung (also die bewu�te, planvolle Verf�hrung) erw�hnt, aber nicht den h�ufigen Fall, dass ich den Anderen schon durch meine blosse �u�ere Erscheinung hinreichend fasziniere. (Vielleicht w�rde er das als "kontingentes Randph�nomen" bezeichnen.) Die Gr�nde daf�r scheinen biographischer Natur: Sartre war - wie er in den Kriegstageb�chern selbst beschreibt - darauf beschr�nkt, Frauen durch Sprechen f�r sich einzunehmen und scheiterte, wenn ihm (wie w�hrend seines Deutschland-Aufenthaltes Anfang der 30er Jahre) die n�tige Sprachgewandheit fehlte.

Wie verh�lt sich die Liebe zum Stolz? Der Stolz war f�r Sartre ein unaufrichtiger Umgang mit der durch den "Blick" hervorgerufenen Scham, unaufrichtig deshalb, weil man sich unterstellt, den Anderen durch sein Objekt-Ich zu manipulieren - was unm�glich ist, da man den Anderen zum Objekt machen muss, um ihn zu manipulieren, und er Subjekt bleiben muss, damit mein Objekt-Ich (mein Sein-f�r-Andere) erhalten bleibt (wir haben gesehen, dass sich "Angeblicktwerden" und "Anblicken" gegenseitig ausschliessen). - Aber trifft diese Kennzeichnung nicht genau auf die Liebe zu? Versucht der Liebende, der die Sprache der Verf�hrung verwendet, nicht genau die Manipulation desjenigen, der ihn anblickt? - Offenbar ist es im Rahmen von Sartres Argumentation nicht leicht, die beiden Ph�nomene voneinander abzugrenzen. Und w�hrend der Stolz von vorneherein unm�glich ist (die Annahme, dass ich den Anderen manipuliere, ist nur Schlechter Glaube und lenkt mich von meiner Unf�higkeit ab, das Objekt-Ich zu kontrollieren), scheint die Manipulation im Falle der Liebe m�glich zu sein.

 Das Scheitern der Liebe, ihr Nutzen und ihre Gef�hrdung

Wer liebt, will die Freiheit des Anderen zum Zwecke der indirekten Selbstbegr�ndung f�r sich erobern. Worauf l�uft das hinaus? Es l�uft darauf hinaus, den Anderen dazu zu verf�hren, ihn zu lieben. Und was heisst das, dass der Andere mich liebt? Es heisst, dass er versuchen wird, wiederum meine Liebe zu erregen (bzw. zu erhalten). Wie Sartre sagt: "Lieben ist der Entwurf, zu machen, dass man geliebt wird." - Man beachte, dass es sich dabei um einen freien Entwurf handelt: Ohne den Entschluss des Anderen bleibt die von der Verf�hrung hervorgerufene Faszination nur Faszination (wie z. B. die Faszination durch einen K�nstler). - Die Manipulation kann sozusagen die richtige Atmosph�re f�r den Liebesentwurf erzeugen, aber nicht seine Ursache sein. Sie kann den Liebenden als absolutes Objekt empfehlen, aber es keineswegs erzwingen, dass der Geliebte auf diese Empfehlung h�rt.

Wie man leicht sieht, hat das so entstandene Liebespaar (Sartres Argumentation vorausgesetzt) ein Problem: Jeder Liebende will den Geliebten als Freiheit erhalten und selbst faszinierendes Objekt f�r diese Freiheit sein. Wenn der Geliebte aber im Gegenzug versucht, f�r den Liebenden angeblicktes faszinierendes Objekt zu sein, verzichtet er in dieser Hinsicht auf seine Freiheit. Er kann also nicht mehr f�r die Selbstbegr�ndung des Liebenden sorgen, da die Freiheit, f�r die der Liebende h�chster Zweck sein will, pl�tzlich Objekt geworden ist! - Die voneinander faszinierten Liebenden gehen also, was das ontologische Ziel der Liebe angeht, leer aus. Die Verwirklichung des "Wertes" durch das Liebesprojekt scheitert. Gerade wenn die Manipulation gegl�ckt ist, und der Andere mich endlich liebt, erlebe ich die Entt�uschung, dass damit auch seine Souver�nit�t schwindet.

Sollte man daraus schliessen, dass es besser ist, Liebes�rger und -arbeit aus dem Weg zu gehen, und die Entw�rfe auf die Verwirklichung sexueller W�nsche zu beschr�nken? Sartre ist gl�cklicherweise nicht dieser Meinung. Trotz ihres ontologischen Scheiterns und der mit diesem einhergehenden grunds�tzlichen Unbefriedigung hat die Liebe einen Mehrwert f�r das Liebespaar: Beide sind vor dem "Blick" des jeweils Anderen gesch�tzt. Solange beide Teile f�reinander der h�chste Zweck sind, ist ihre Instrumentalisierung f�r andere Zwecke des jeweils Anderen ausgeschlossen. - Aber die Stabilit�t dieses Zustandes ist mehreren Bedrohungen ausgesetzt:

Zum einen sind die Liebenden auch in ihrer Faszination durch den jeweils Anderen immer noch freie Bewu�tseine. Jederzeit kann es also geschehen, dass einer der beiden zum gew�hnlichen, verobjektivierenden "Blick" auf den Partner zur�ckkehrt (seine Liebe verliert) und den Anderen zum Utensil degradiert. - Zum anderen kann das labile System durch das Hinzutreten eines weiteren Menschen gef�hrdet sein: Wenn dieser das Liebespaar "anblickt", werden nicht nur beide Partner f�r ihn Objekte, sondern auch ihre Liebesbeziehung. Und abgesehen von der M�glichkeit, dass der dritte Mensch versuchen k�nnte, das Paar auseinanderzumanipulieren, hat seine Anwesenheit die Konsequenz, dass sich die Liebenden von ihm angeblickt f�hlen und sich in ihnen daher ein Objekt-Ich f�r ihn (ein Sein-f�r-ihn) herausbildet. Die entstehende Unsicherheit - "Wie sieht der Betreffende mich und meine Liebe?" - stellt eine weitere Bedrohung dar.

 Masochismus

Es gibt, so Sartre, neben der Liebe noch ein zweites Ph�nomen der Zwischenmenschlichkeit, in dem versucht wird, das Objekt-Sein f�r den Anderen auszubeuten. W�hrend der Liebende bem�ht ist, �ber sein Sein-f�r-den-Anderen dessen Freiheit unter Kontrolle zu bringen, wobei nat�rlich die eigene Freiheit noch im Spiel ist, versucht der Masochist, sich seiner Freiheit g�nzlich zu entkleiden und sich auf das Objekt-f�r-den-Anderen zu reduzieren. Dieses Objekt soll den Anderen nicht faszinieren bzw. in ihm Liebe erregen, sondern ist instrumentell: Der Andere soll den Masochisten wie ein Werkzeug benutzen. - Worauf zielt diese maximale Unterordnung ab? Indem der Masochist seine eigene Freiheit v�llig verleugnet, identifiziert er sich mit der Freiheit des Anderen. Die Freiheit des Anderen f�llt also mit der eigenen Freiheit zusammen: Dadurch, dass der Masochist Werkzeug f�r eine Freiheit ist, die mit seiner (scheinbar) identisch geworden ist, erh�lt er also einen Seinsgrund! - Wie jedes menschliche Verhalten zielt auch der Masochismus auf die Selbstbegr�ndung ab.

Wir k�nnen erwarten, dass Sartre den Masochismus gleichfalls f�r ein aussichtsloses Unternehmen h�lt. Und in der Tat: Es ist mir unm�glich, mich g�nzlich mit meinem Objekt-f�r-den-Anderen und damit mit der Freiheit des Anderen zu identifizieren. Ich bleibe freies F�r-sich und �berschreite dieses Objekt mit meiner eigenen Freiheit. Das zeigt sich in der Absurdit�t der Tatsache, dass der Masochist den Anderen manipulieren und dass heisst ihn selbst als instrumentelles Objekt behandeln muss, damit dieser ihn als instrumentelles Objekt behandelt. (Ein Vorgang, der sich z. B. abspielt, wenn ein Freier die Dienste einer Domina erwirbt.)

Nach dieser Erkl�rung k�nnte man vermuten, dass Sartre die sexuelle Komponente des Masochismus ignoriert, da er sie nicht erw�hnt: Bei der nachfolgenden Diskussion des sexuellen Begehrens wird Sartre darauf zur�ckkommen. - Was haben Liebe und Masochismus miteinander gemein? Dass der Ausgangspunkt der Versuche das Objekt-Ich f�r den Anderen ist, das Bewu�tsein sich aber im Scheitern der Versuche als freies Ich - also als Subjekt - wiederfindet. Sartre behandelt nun eine Reihe weiterer Versuche, die Selbstbegr�ndung durch Kontakt mit dem Anderen zu erreichen, deren Ausgangsposition das freie Subjekt ist.

 Biologische vs. ontologische Sexualit�t

Sartre versucht zun�chst, einen Einwand gegen eine ontologische Erkl�rung der Sexualit�t zu entkr�ften, der auf der Hand liegt: Ist die Sexualit�t des Menschen nicht ganz offensichtlich von seiner Biologie abh�ngig? Macht nicht z. B. die f�r M�nner und Frauen unterschiedliche Art des sexuellen Begehrens eine Erkl�rung aus der kontingenten biologischen Geschlechtszugeh�rigkeit unausweichlich? Handelt es sich daher bei der Libido nicht um eine Komponente des Psychischen, die aus einer ontologischen Beschreibung des Menschen ausgeklammert werden muss? (Sartre meint, dass Heidegger aus diesem Grund den Menschen so beschreibt, als w�re er geschlechtslos.)

Man sieht sofort, dass der Einwand f�r Sartres Auffassung des Bewu�tseins kritisch ist. Die totale Spontaneit�t des Bewu�tseins ist mit einer biologischen Natur der Libido nicht vertr�glich: Die Sexualit�t w�re ein fremdverursachter und damit opaker Fremdk�rper in der Transluzidit�t des Bewu�tseins, was nach Sartres Auffassung schon prinzipiell unm�glich ist, da es im Bewu�tsein nichts Unbewu�tes geben kann. - Sartres Gegenthese zeigt, wie weit seine Auffassung vom �blichen naturwissenschaftlichen Weltbild entfernt liegt und r�ckt sie in die N�he idealistischer Naturphilosophie:

Wir haben - so sagt er - nicht zuerst Sinnesorgane, die uns dann den Kontakt zur Welt erm�glichen, sondern das Bewu�tseins ist (man erinnere sich an den "ontologischen Beweis") unmittelbar auf das An-sich bezogen und ohne diesen Bezug gar nicht denkbar. Die Sinnesorgane sind daher Produkt der ontologischen Grundbeziehung von F�r-sich und An-sich! - Das Bewu�tsein steht wesentlich in Kontakt mit dem bewu�tseinsunabh�ngigen Sein, und es ist genauso wesentlich K�rper (da ein Bewu�tsein von der Welt ohne Gesichtspunkt unm�glich ist). Woraus sich - das ist Sartres Ansicht - das Vorhandensein von Sinnesorganen zwingend ergibt. - F�r die Geschlechtsorgane gilt nun genau dasselbe: Die Sexualit�t als zwischenmenschliche Haltung ergibt sich notwendig aus der Ontologie des Bewu�tseins (was das heisst, werden wir gleich erfahren), so dass mit der gleichen Notwendigkeit auch Sexualorgane vorhanden sein m�ssen. Es geh�rt zur Natur des Bewu�tseins, einen K�rper zu haben (oder: ein K�rper zu sein), der nicht nur �ber Sinnesorgane, sondern auch �ber Sexualorgane verf�gt!

Woraus folgt, dass ein Fehlen oder Versagen der Sexualorgane die Sexualit�t des Bewu�tseins nicht zum Verschwinden bringen kann. Und Sartre ist dieser Ansicht: Kinder, Alte und Eunuchen seien genauso sexuell wie erwachsene Menschen mit voll funktionsf�higen Sexualorganen. - Ob das mit der Empirie vertr�glich ist, sei dahingestellt, man mache sich aber klar, dass Sartres These die Implikation hat, dass der Zustand der Sexualorgane die Sexualit�t des Bewu�tseins nicht nur nicht bedingen, sondern auch nicht beeinflussen kann. Die Ver�nderung der Libido w�hrend der Pubert�t d�rfte also, wenn wir Sartre ernstnehmen, gleichfalls nicht auf die Biologie zur�ckgef�hrt werden! - Ich m�chte noch darauf hinweisen, dass Sartre konsequenterweise den Fortpflanzungszweck der Sexualit�t mit keinem Wort erw�hnt.

 Ontologie der sexuellen Begierde

Was meint Sartre, wenn er die von ihm beschriebenen zwischenmenschlichen Ph�nomene zur ontologischen Struktur des Bewu�tseins rechnet? Nun, es entspricht unserer ontologischen Natur, den "Wert" anzustreben und es entspricht ausserdem unserer ontologischen Natur, dass uns grunds�tzlich nur zwei Grundhaltungen gegen�ber anderen Menschen m�glich sind - der "Blick" oder das "Angeblicktwerden". Doch diese Struktur hat f�r Sartre keineswegs einen starr determinierenden Charakter. Es ist z. B. nicht so, dass wir notwendigerweise in bestimmten F�llen die Liebe als Mittel zur Verwirklichung des "Wertes" einsetzen und in anderen den Masochismus, sondern im Rahmen der Struktur, die uns dazu zwingt, �berhaupt eine Haltung gegen�ber dem Anderen einzunehmen, sind wir frei, die Haltung zu w�hlen. - Sartre nimmt an, dass uns die ontologische Entt�uschung �ber das Scheitern einer Haltung dazu veranlassen kann, eine andere auszuprobieren.

Neben der Verwirklichung des "Wertes" gibt es einen zweiten ontologischen Sinn zwischenmenschlicher Verhaltensweisen. Wir wissen, dass das "Angeblicktwerden" f�r uns eine Gefahrenquelle darstellt: Die Freiheit des Anderen bedroht uns, weil sie uns einen f�r uns selbst nicht kontrollierbaren Objektcharakter verleiht. Unser Verhalten gegen�ber dem Anderen ist demnach immer auch vom dem Zweck bestimmt, diese Freiheit des Anderen f�r uns unsch�dlich zu machen, auch wenn es nicht gelingt, sie f�r die Selbstbegr�ndung auszunutzen (wir erinnern uns, dass die Liebe diese Unsch�dlichmachung wenigstens vorl�ufig erreicht). - Wie steht es in dieser Hinsicht um den ontologischen Sinn der sexuellen Begierde? Wir werden sehen, dass es hier haupts�chlich um den zweiten Aspekt geht.

Der gemeinsame Ausgangspunkt f�r die Versuche Liebe und Masochismus ist, wie erw�hnt, das Objekt-sein f�r den Anderen. Die sexuelle Begierde geh�rt dagegen wie Sadismus, Gleichg�ltigkeit und Hass zu den zwischenmenschlichen Haltungen, die den alternativen Ausgangspunkt des freien Subjektes einnehmen. (Es kann lediglich diese zwei Ausgangspunkte geben, sie entsprechen der Dichotomie "Angeblicktwerden" und "Anblicken".) - Doch warum ergeben sich aus diesem Ausgangspunkt verschiedene menschliche Haltungen? Kontrolliere ich den Anderen denn nicht bereits hinreichend, wenn ich ihn einfach anblicke, also verobjektiviere? Warum ihn also noch begehren, qu�len oder hassen? - Sartre meint, dass das blosse Anblicken des Anderen nicht ausreicht, um die Beunruhigung durch seine Freiheit zu beseitigen. Wenn ich den Anderen zum Objekt f�r mich mache, l�st sich zwar seine Freiheit - oberfl�chlich betrachtet - f�r mich auf, in Wahrheit ist sie aber immer noch vorhanden. Was ich kontrolliere, ist n�mlich nur seine Faktizit�t, also den Apfel und nicht den darin enthaltenen Wurm! Denn es besteht immer noch das Risiko, dass mich der von mir angeblickte Andere seinerseits anblickt und mich zum Objekt macht. Solange ich die Freiheit des Anderen nicht als solche kontrolliere, bleibt er f�r mich beunruhigend.

Die sexuelle Begierde ist eben der Versuch, eine solche Kontrolle zu erlangen. Um das zu verstehen, ist es n�tig, einen Blick auf die mit der Begierde verbundenen Ph�nomene zu werfen. Was geschieht, wenn ich jemanden sexuell begehre? Zun�chst einmal begehrt man - so Sartre - nicht etwa die sexuelle Befriedigung, also den Orgasmus, sondern einen Menschen. Nur so ist erkl�rbar, dass bereits Kinder, die weder die Praxis des Geschlechtsaktes noch die M�glichkeit des Orgasmus kennen, zu sexuellem Begehren f�hig sind. Und begehrt wird der Mensch nicht etwa nur als K�rper, der mit ausreichend vielen sexuellen Ausl�sern versehen ist, sondern als Mensch mit Bewu�tsein. - Wer jetzt die Stirn runzelt, weil er an die bekannten Aufblaspuppen denkt, vergisst, dass es sich dabei um Hilfen zur Selbstbefriedigung handelt, und die Selbstbefriedigung wesentlich Ersatzcharakter hat - die Gummipuppe dient als Ausl�ser f�r die Vorstellung eines Menschen mit Bewu�tsein, der das eigentliche Objekt des Begehrens ist.

Doch wenn das so ist, wie kommt es zu der verbreiteten Auffassung, dass der Geschlechtsakt mit anschliessendem Orgasmus Ziel des Begehrens ist? Der Irrtum ergibt sich auf der reflexiven Bewu�tseinsebene als falscher Schluss aus der Erfahrungstatsache, dass der Orgasmus das Begehren zum Stillstand bringt. Sartre gesteht im �brigen zu, dass es Ausnahmef�lle gibt, in denen tats�chlich der Entschluss gefasst wird, das Begehren durch den Akt zu beseitigen. Doch ein solcher Entschluss setzt die Reflexion auf ein unertr�glich gewordenes Begehren voraus, das auf der unreflektierten Ebene immer noch Begehren nach einer Person und nicht nach der Lust bei seiner Aufhebung ist. - Analog dazu ist Hunger nicht die Begierde nach dem Aufh�ren des Hungers oder der mit dem Essakt verbundenen Lust, sondern einfach die Begierde nach Essen, obwohl ich beschliessen kann, zum Zwecke der Gewichtsreduktion den Hunger lieber durch Einnahme eines appetitz�gelnden Medikamentes oder das Rauchen von Zigaretten zu beseitigen.

Die sexuelle Begierde unterscheidet sich von anderen Arten der Begierde durch ihren - so Sartre - "aufw�hlenden" Charakter. Er meint damit die Tatsache, dass die sexuelle Begierde auf denjenigen, der sie hat, �berw�ltigend und "hypnotisierend" wirkt. W�hrend sich das Bewu�tsein eines Menschen, der Hunger hat, durch den Hunger nicht wesentlich ver�ndert, ist das Bewu�tsein des sexuell Begierigen ein anderes geworden - weil sich die dem Bewu�tsein gegen�berstehende Welt ge�ndert hat. Der Fall liegt hier �hnlich wie bei den Emotionen, die ja gleichfalls mit einer Ver�nderung der Welt zusammenfallen. In was f�r einer Welt lebt der Mensch im Zustand der Begierde? Es handelt sich um eine Welt, die nicht mehr wie die normale Welt aus Utensilien besteht, sondern aus Materie. Die Dinge werden nicht mehr als Werkzeuge wahrgenommen, sondern als sinnliches Sein, ihre haptischen, �sthetischen usw. Qualit�ten treten in den Vordergrund.

Das Ph�nomen ist offenbar eines der sexuellen Erregtheit und deutet daraufhin, dass Sartre zwischen Begierde und Erregtheit keinen Unterschied macht. Es f�hrt uns unmittelbar zur ontologischen Funktion der Begierde. Das Versinken in der Sinnlichkeit der Dinge ist in Wahrheit ein Versinken in meinem K�rper: Die Dinge enth�llen mit ihrer eigenen sinnlichen Natur meinen K�rper, und zwar nicht als Bezugszentrum, sondern als "Fleisch". Die gesteigerte Sinnlichkeit der Dinge ist in Wahrheit ein gesteigertes K�rpergef�hl! - Nun hatte Sartre das allgemeine K�rpergef�hl als "Ekel" bezeichnet und es damit implizit in die Kategorie der eher unangenehmen Empfindungen ger�ckt. Bei dem hier beschriebenen Ph�nomen scheint es sich jedoch um lustvolles Erleben zu handeln. Wie erkl�rt sich dieser Widerspruch? - Normalerweise befinde ich mich als F�r-sich in einer gewissen Distanz zu meiner Faktizit�t, die ich st�ndig �berschreite. In der Begierde jedoch will ich gerade Faktizit�t, dass heisst als K�rper Teil der Welt sein! - Nun l�sst sich sofort fragen, ob diese Aussage mit der Behauptung vertr�glich ist, dass der Ausgangspunkt der Begierde das freie Subjekt ist. Wenn ich mich mit meiner Faktizit�t identifiziere, ist das nicht gerade der Versuch, meinen Subjekt-Charakter zu leugnen?

Dieser Einwand �bersieht - so w�rde Sartre antworten -, dass meine Fleischwerdung hier kein Selbstzweck ist, sondern eine Ausrichtung auf einen anderen Menschen (den ich begehre) hat. Sie dient meiner Freiheit als Instrument, um mir den begehrten Menschen anzueignen. Und diese Aneignung erreiche ich dadurch, dass der Andere, durch meine Begierde angeregt, ebenfalls in seinem Fleisch versinkt. Was habe ich dadurch gewonnen? - Wir hatten gesehen, dass die blosse Verobjektivierung des Anderen durch den "Blick" f�r den Anblickenden nicht restlos beruhigend ist: Zwar hat er die Kontrolle �ber das Objekt, das andere Bewu�tsein entzieht sich aber, da das Objekt sozusagen lediglich seine Aussenseite ist, so dass die Situation jederzeit umschlagen und der Anblickende zum Angeblickten werden kann. Und genau dieses Risiko f�llt weg, wenn der Angeblickte in seinem Fleisch versunken ist. In diesem Falle ist seine Freiheit - wie Sartre es ausdr�ckt - in seiner Faktizit�t "verklebt" und daher unsch�dlich gemacht. Die Freiheit des Anderen ist jetzt nicht mehr jenseits seines K�rpers, sondern f�llt diesen aus und indem ich seinen K�rper besitze, besitze ich seine Freiheit.

Doch da das Spiel hier zwei Mitspieler hat, besitze nicht nur ich die Freiheit des Anderen, sondern auch der Andere meine Freiheit. Es ist so ein gegenseitiger Kontakt zwischen den Bewu�tseinen erreicht worden, der f�r beide Partner nichts Bedrohliches mehr hat, da jeder die Freiheit des Anderen kontrolliert, indem er den Anderen "streichelt" (das Wort steht bei Sartre f�r jedes sexuelle Handeln, dass zur Erregung des Partners f�hrt): "Durch jedes Streicheln sp�re ich mein eigenes Fleisch und �ber mein eigenes Fleisch das Fleisch des anderen, und ich bin mir bewu�t, da� dieses Fleisch, das ich sp�re und mir durch mein Fleisch aneigne, durch-den-anderen-gesp�rtes-Fleisch ist." Es handelt sich hier also um eine "Win-Win-Situation", die im zwischenmenschlichen Verhalten, wie Sartre es beschreibt, sonst selten ist.

Und welche Rolle im Spiel kommt nun dem Orgasmus zu? Wenn er nicht das Ziel der Begierde ist, was ist er dann? Sartres Antwort lautet: Der Orgasmus ist das Scheitern der Begierde, da er eine pl�tzliche Konzentration auf das eigene Fleisch und damit den Abbruch des Kontaktes bedeutet. Der eigentliche Zweck der Begierde ger�t durch die Lust beim Orgasmus sozusagen in Vergessenheit. - Eine weitere Form des Scheiterns der Begierde ergibt sich dann, wenn die Lust, gestreichelt zu werden die Oberhand �ber die Lust zu streicheln gewinnt. In diesem Falle tritt das ein, was ich eben erw�hnt habe: Der instrumentelle Charakter meiner Fleischwerdung f�r mich verschwindet und sie wird Selbstzweck. Ich identifiziere mich mit meinem K�rper-f�r-den-Anderen, der mich jetzt aus der Position des "Blicks" heraus als Werkzeug benutzen soll. - Wir erinnern uns, dass diese Haltung schon beschrieben wurde, es handelt sich um den Masochismus, der in diesem Zusammenhang sexueller Masochismus ist. - Und schlie�lich beschreibt Sartre eine dritte Form des Scheiterns der Begierde, die offenbar nur M�nnern m�glich ist: Wenn ich - so Sartre - in den Partner eindringe, und ihn mir so aktiv aneignen will, heisst das, dass ich t�tig werde. Wer t�tig ist, ist aber nicht mehr in seinem Fleisch versunken (das Versunkensein hat kontemplative Z�ge), und kann daher auch die Freiheit des Partners nicht mehr �ber dessen Fleisch erreichen. Der Partner reduziert sich daher wieder zum blossen Objekt.

Wenn die sexuelle Begierde ein Versuch des F�r-sich ist, die Bedrohung durch den Blick des Anderen zu entsch�rfen, stellt sich die Frage, warum sie nicht willentlich herbeigef�hrt werden kann (jedenfalls nicht auf direktem Wege). Die Geschlechtsorgane sind durch ihren Besitzer nicht kontrollierbar. - Sartre konstatiert, dass diese Tatsache nicht etwa ein Indiz gegen, sondern eines f�r seine Auffassung ist: Schliesslich handelt es sich bei meiner Fleischwerdung ja um ein Versinken in der Faktizit�t des K�rpers, die als solche kontingent und meinem Willen nicht unterworfen ist. Woraus folgt, dass die Unkontrollierbarkeit der Geschlechtsorgane kein Zufall, sondern ontologische Notwendigkeit ist! (Was aber die Frage aufwirft, wie ein nicht durch meine Freiheit kontrolliertes Geschehen noch auf einen bestimmten Zweck bezogen werden kann.)

Ich erspare mir, auf die Ontologie der sexuellen Begierde kritisch einzugehen. Bemerken m�chte ich lediglich, dass Sartre den Unterschied zwischen den Geschlechtern nicht mehr erw�hnt hat - und auch eine Theorie der Homosexualit�t vermissen l�sst. Es ist allerdings nicht schwierig, beides zu erg�nzen: Da die sexuellen Verhaltensweisen frei gew�hlt werden, kann es keine angeborenen geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Sexualit�t des Bewu�tseins geben (woraus sich auch ergibt, dass Homosexualit�t keine besondere Erkl�rung mehr ben�tigt). - Leider stellt sich dann aber wieder die Frage nach der Faktizit�t der Geschlechtsorgane. Im Sinne Sartres m�sste man annehmen, dass der Embryo durch freie Wahl der sexuellen Haltung, die mit seinem Grundentwurf am besten vertr�glich ist, deren Ausbildung bestimmt. (Die Ontologie der Sexualit�t ist kein H�hepunkt von Sartres Schaffen.)

 Sadismus

Der Sadist unterscheidet sich vom Begehrenden dadurch, dass ihm die "Aufgew�hltheit" fehlt. Er ist also nicht in seinem Fleisch versunken, sondern befindet sich im Zustande eines Menschen, der einen Anderen "anblickt", er ist "kalt", wie Sartre sagt (er ist also sexuell nicht erregt oder die Erregung wird von ihm auf Distanz gehalten). - Wir hatten gesehen, dass dieser Zustand im Normalfall zwar eine gewisse Kontrolle �ber den Anderen verschafft, aber immer noch das Risiko in sich birgt, dass der angeblickte, verobjektivierte Mensch "zur�ckblickt". Der Sadismus stellt wie die Begierde einen Versuch dar, diese latente Gef�hrlichkeit des Mitmenschen zu bew�ltigen. Zu diesem Zweck bedient sich der Sadist der Fleischwerdung seines Opfers, die er durch sein Handeln erzwingt (denn ein solches Versinken kann nicht nur durch Begierde bewirkt werden, sondern auch durch k�rperliche Qual). - Der Sadist als kalter Beobachter und in der Rolle dessen, der einen Mitmenschen als Utensil behandelt, steht also einem Anderen gegen�ber, dessen Freiheit in seinem Fleisch "verklebt" und daher weniger bedrohlich ist: Sie scheint von ihm kontrolliert zu werden, aber ohne dass im Gegenzug seine Freiheit auch f�r den Anderen entsch�rft ist (wie es bei der gegenseitigen Begierde der Fall ist).

Sartre konstatiert nun, dass das Opfer des Sadisten nicht nur Fleisch, sondern obsz�nes Fleisch geworden ist. - Sartre greift hier auf eine von Bergson entlehnte Definition des Obsz�nen als Unterkategorie des Nicht-Anmutigen zur�ck. Anmutig ist ein K�rper, wenn er als K�rper eines handelnden Menschen erscheint. Der K�rper selbst und seine Bewegungen sind durch den Bezug auf dieses Handeln bzw. den Zweck des Handelns "gerechtfertigt", was ungef�hr meint, dass an beidem nichts �berfl�ssig erscheint. Der K�rper des anmutigen Menschen wird, selbst wenn er nackt ist, nicht als Fleisch, sondern als Ausdruck einer Freiheit wahrgenommen. - Das Nicht-Anmutige ergibt sich umgekehrt, wenn Momenten der Bewegung oder des K�rpers diese Rechtfertigung fehlt. Nicht-anmutig ist beispielsweise ein Mensch, der hinkt, weil das Hinken als �berfl�ssige Zutat der Bewegung des Gehens erscheint. Wenn das Nicht-Anmutige sich nicht in der Bewegung eines Menschen, sondern in seinem K�rper findet, handelt es sich um Obsz�nit�t. Obsz�n ist ein nackter K�rper, wenn er - wie in gewissen Aktbildern - schlaff auf einem Bett liegt. Obsz�n ist auch das Schwabbeln eines Bauches, weil sowohl der Bauch als auch seine Bewegung �berfl�ssig wirkt.

In der Obsz�nit�t zeigt sich der K�rper nicht als Ausdruck einer Freiheit, sondern als Fleisch. Aus diesem Grunde kann sein Anblick u. U. Begierde ausl�sen, wenn er n�mlich die erotische Fleischwerdung des Anderen signalisiert. Man k�nnte erg�nzen, dass sich sein obsz�ner Charakter in diesem Falle dadurch reduziert, dass das Fleisch immerhin auf den sexuellen Akt bezogen werden kann. Umgekehrt erreicht die Obsz�nit�t ihren H�hepunkt, wenn das Moment der Begierde beim Betrachter fehlt. Und genau dieses Maximum an Obsz�nit�t ist der Zustand, in den der Sadist sein Opfer versetzen m�chte. Warum? Weil die Freiheit seines Opfers in diesem Zustand praktisch unsichtbar geworden ist, das Opfer ist nur noch Fleisch. - (Man sollte hier an die Menschenhaufen von Abu Ghuraib denken.)

Auch das Foltern, mit dem eine Aussage erpresst werden soll, will totale Identifikation des Opfers mit seinem Fleisch erreichen. Wenn die Qual des Opfers zu gross wird, und das Opfer zusammenbricht, ist das jedoch im Sinne Sartres immer die Wahl des Opfers (das Bewu�tsein kann ja von nichts gezwungen werden), auch dann, wenn der Zusammenbruch erfahrungsgem�� zwangsl�ufig eintritt: "[...] wie auch der Widerstand des Opfers gewesen ist und solange es auch gewartet hat, bevor es um Gnade flehte, es h�tte trotz allem zehn Minuten, eine Minute, eine Sekunde l�nger warten k�nnen. Es hat �ber den Moment entschieden, wo der Schmerz unertr�glich wurde." Das Opfer hat sich also, wenn es aussagt um die Qualen zu beenden, frei mit seinem K�rper identifiziert, obwohl der Sadist die Aussage erzwungen hat, so dass der Sadist in diesem Augenblick nicht einfach nur die Unsichtbarkeit der Freiheit des Anderen geniesst, sondern sogar die Kontrolle seiner Freiheit �ber die Freiheit des Anderen.

Da die Haltung des Sadisten f�r Sartre sexuelle Erregung ausschliesst oder stark begrenzt, sind seine Bemerkungen offenbar auf den sexuellen Sadismus nicht anwendbar. Die sexuelle Begierde kommt f�r Sartre im Gegenteil erst dann ins Spiel, wenn der Sadismus als Haltung scheitert. Das ist der Fall, wenn der Sadist die totale Fleischwerdung des Opfers (scheinbar) erreicht hat, und nun nicht mehr weiss, was er weiter damit anfangen soll. In diesem Moment erst kann sich - so Sartre - die Begierde als Ausweichhaltung einstellen. - Abgesehen von dieser M�glichkeit scheitert der Sadismus - wie auch die sexuelle Begierde - prinzipiell an dem Umstand, dass der Andere als F�r-sich seine Freiheit niemals wirklich verlieren kann. Auch die Kontrolle seiner Freiheit durch den Folterer ist lediglich Schein: Der Gefolterte kann jederzeit den Folterer "anblicken" und ihm so seine Freiheit ins Bewu�tsein rufen (vorausgesetzt, er tr�gt keine geschlossene Kapuze wie die Gefangenen von Guant�namo).

In seiner Abschlussbemerkung zur Bedeutung der Geschlechtlichkeit subsumiert Sartre trotz des fehlenden oder nicht notwendigen Bezuges seines Sadismus-Begriffs auf sexuelle Erregung den Sadismus unter die Sexualit�t. Er unterscheidet generell zwei sexuelle Grundhaltungen, Liebe und Begierde einerseits und Sadismus-Masochismus andererseits. Vermutlich kann man sagen, dass die erste Grundhaltung Gegenseitigkeit impliziert, w�hrend die zweite durch Einseitigkeit gekennzeichnet ist. - Sartre konstatiert ausserdem, dass diese Grundhaltungen f�r alle komplexen menschlichen Verhaltensweisen das Skelett bilden, sie sind z. B. auch in Mitleid, Bewunderung, Abneigung, und Neid enthalten. Mit dieser Behauptung ger�t Sartre in die N�he der Freudschen Libido-Theorie, die Abgrenzung geschieht dadurch, dass er die Bewu�theit der sexuellen Komponente betont. Diese sei in den komplexen Haltungen nicht aufgrund ihrer Unbewu�theit schwer zu erkennen, sondern nur aufgrund ihrer Implizitheit, ihrer bruchlosen Verschmelzung mit anderen Haltungen. - Sartre stellt �brigens fest, dass die sexuellen Grundhaltungen versuchen, entweder den Subjekt- oder den Objekt-Aspekt f�r einen Anderen zu verabsolutieren (wir erinnern uns an die unterschiedlichen "Ausgangspunkte" dieser Haltungen), und in ihrem Scheitern auf den jeweils anderen Aspekt verwiesen werden.

 Gleichg�ltigkeit und Hass

Die Gleichg�ltigkeit ist einfach die Haltung, in der ich mich auf den "Blick" und die damit verbundene Verobjektivierung und Instrumentalisierung des Anderen beschr�nke, und ihn auf alle Menschen ausdehne. Wie Sartre sagt, verdanken sich die im 18. Jahrhundert h�ufigen Ratgeber zur Manipulation von Anderen dieser Haltung. (Den Boom, den B�cher dieser Art in der zweiten H�lfte des 20. Jahrhunderts haben w�rden, konnte er nicht voraussehen - ein lesenswertes Beispiel ist Rupert Lays "Dialektik f�r Manager".) - Die Gleichg�ltigkeit l�uft zwar darauf hinaus, das Angeblicktwerden durch die Anderen zu ignorieren, kann aber nicht verhindern, dass ich weiter angeblickt werde. Das bringt den Nachteil mit sich, dass es meine Objektivit�t f�r Andere durchaus gibt, ich aber nichts dar�ber weiss und mich nicht dagegen wehren kann, da ich ihre unmittelbare Erfahrung im Angeblicktwerden ja vermeide. - Ich befinde mich daher in einem Zustand vager Beunruhigung durch die Freiheit der Anderen, den ich wiederum durch ihre Manipulation zu bek�mpfen versuche. - Doch die Manipulation krankt daran, dass sie die Freiheit des Anderen letztlich nicht tangieren kann und verschafft mir daher keine Beruhigung.

Sartre nimmt hier offenbar an, dass es m�glich ist, dem "Blick" der Anderen durch Ignoranz seine Sch�rfe zu nehmen, was etwas verwunderlich wirkt, wenn wir daran denken, mit welcher Drastik der "Blick" von ihm beschrieben wurde. - Ausserdem unterstellt er, dass ich mich gegen die Anderen besser wehren kann, wenn ich den "Blick" als solchen erfahre. Daran kann man zweifeln: Wenn ich kein Objekt-Ich in mir ausbilde, sondern stattdessen nur eine begr�ndete Meinung �ber das Bild der Anderen von mir habe, mit dem ich mich nicht identifiziere und das ich evt. manipulieren kann, scheint das eine bessere Grundlage f�r eine Gegenwehr zu sein als die tiefe Ersch�tterung durch Erfahrung des "Blicks" und der Herausbildung eines von mir nicht kontrollierbaren Seins-f�r-Andere (das mich ja keineswegs �ber das wahre Bild der Anderen von mir in Kenntnis setzt). - Wogegen ich mich wehren will, ist meine Manipulation durch Andere, warum also sollte hier Angriff nicht die beste Verteidigung sein? - Vielleicht kommt Sartre unbewu�t die von Kant gepr�gte Moral, nach der man andere nicht als Mittel benutzen darf, in die Quere. - Oder es vermengen sich hier zwei unterschiedliche Begriffe von Gleichg�ltigkeit: Eine Gleichg�ltigkeit, die echte Ignoranz f�r die Mitmenschen ist ("was schert mich, was die Idioten �ber mich denken") und die Gleichg�ltigkeit, die den Manipulationsratgebern zugrundeliegt und nat�rlich ein waches Auge f�r die Meinung der Anderen voraussetzt, da diese ja gerade manipuliert werden soll.

Wir haben gesehen, dass Sartre alle von ihm beschriebenen Haltungen gegen�ber dem Mitmenschen f�r zum Scheitern verurteilt h�lt. Ein Mensch, der zu dieser desillusionierenden Einsicht gekommen ist, k�nnte nun, so Sartre, den Wunsch entwickeln, sich seiner Objektivit�t f�r Andere dadurch zu entledigen, dass er die Anderen t�tet. Diese Haltung ist der Hass. - Wer tats�chlich aus Hass mordet, t�tet nat�rlich nur einen oder wenige Menschen, durch die er seine Objektivierung erfahren musste (man denke hier z. B. an einen Sch�ler, der die Mitsch�ler, die ihn gemobbt haben, in einem Amoklauf erschie�t). Doch das, so behauptet Sartre aus einem f�r mich nicht nachvollziehbaren Grund, ist nicht die ganze Wahrheit: Die tats�chlichen Opfer oder Gehassten stehen symbolisch f�r alle anderen Menschen, weswegen Hass auch bei denen auf Missfallen st��t, die pers�nlich von ihm nicht betroffen sind.

Da der Hass ebenfalls eine Haltung gegen�ber den Mitmenschen ist, k�nnen wir vermuten, dass er das Schicksal der anderen Haltungen teilt: Er scheitert. Warum? Wer jemanden hasst, will mit seiner Vernichtung die Vernichtung des Objektes, das er f�r den Gehassten ist. Doch auch wenn der Gehasste tot ist, besteht dieses Objekt als vergangenes weiter, n�mlich als das Bild, das der Get�tete vom Hassenden hatte. Und schlimmer noch: W�hrend sich das Objekt, das ich f�r einen Lebenden bin, ver�ndern kann, ist das Objekt, das ich f�r den Toten war, unver�nderlich. Der Mord des Gehassten hat dem Hassenden also nichts gen�tzt.

Wenn alle menschlichen Haltungen scheitern (der Mensch ist ja wesentlich ungl�ckliches Bewu�tsein), stellt sich die Frage, ob das auch das Ende aller Heilsbem�hungen bedeutet. - Sartre leugnet das und macht eine r�tselhafte Andeutung, die sich (vielleicht) auf das Erreichen von Authentizit�t durch reine Reflexion bezieht: "Diese �berlegungen schliessen nicht die M�glichkeit einer Moral der Befreiung und des Heils aus. Aber diese mu� am Ende einer radikalen Konversion erreicht werden, von der wir hier nicht sprechen k�nnen."

 Gemeinschaftsbewusstsein

Da wir andere Menschen lediglich als Subjekt oder als Objekt wahrnehmen k�nnen, aber nicht als beides zugleich, sind die Beziehungen zwischen Menschen - wie wir gesehen haben - notwendig instabil und haben Kampfcharakter. Es stellt sich nun die Frage, ob diesem Befund nicht die Tatsache widerspricht, dass wir h�ufig die Erfahrung eines Gemeinschafts- oder Wir-Bewu�tseins machen. Schon das Wort "wir" scheint eine stabile Beziehung zwischen Menschen auszudr�cken, die sich gegenseitig als Subjekte akzeptieren. Eine solche gegenseitige Akzeptanz ist nach dem bisher Gesagten unm�glich, da die Anerkennung eines Anderen als Subjekt nowendig impliziert, dass ich selber f�r den Anderen Objekt bin.

Sartre stellt zuerst fest, dass es zwei Arten von Wir-Bewu�tsein gibt, die er als Objekt-Wir und Subjekt-Wir bezeichnet. Das Objekt-Wir entwickelt sich aus der gemeinsamen Erfahrung des "Angeblicktwerdens", das Subjekt-Wir aus der gemeinsamen Erfahrung des "Anblickens". Das Objekt-Wir hat zur Voraussetzung - so Sartre - dass sich zwei Menschen (deren Beziehung ja notwendig ein Konflikt ist) pl�tzlich von einem Dritten "angeblickt" f�hlen: In diesem Falle entsteht - analog zum Sein-f�r-Andere - in beiden Menschen ein Objekt-Wir. Und so wie der Einzelne auf sein Objekt-Ich mit Scham reagiert, kommt es in diesem Fall zu einer gemeinschaftlichen Scham gegen�ber dem Dritten. - Die Analogie des Objekt-Wir zum Objekt-Ich reicht noch weiter: Ein Mensch reagiert auf die Bedrohung durch das Angeblicktwerden, indem er "zur�ckblickt" und so den Anblickenden verobjektiviert und seine Subjektivit�t zur�ckerh�lt, eine Gruppe von Menschen, die sich angeblickt f�hlen, reagiert mit der Herausbildung eines Subjekt-Wir.

Das Objekt-Wir ist f�r Sartres Ontologie der Zwischenmenschlichkeit unproblematisch, denn es impliziert nicht, dass sich das Verh�ltnis der Angeblickten zueinander in gegenseitige Anerkennung wandelt. Zwar sind beide gleichermassen Objekte, aber nur f�r den Dritten, w�hrend sich ihr Konflikt miteinander dadurch nicht ver�ndert hat. Ein Subjekt-Wir als ontologisches Faktum w�rde dagegen mindestens die wechselseitige Anerkennung der Subjektivit�t implizieren. Sartre leugnet deshalb seinen ontologischen Charakter und reduziert es auf das psychologische Ph�nomen eines Gemeinschaftsgef�hls, es handelt sich nur um ein "subjektives Erlebnis". - Die Behauptung wird nicht weiter begr�ndet, sie folgt einfach aus der Unm�glichkeit eines echten Gemeinschafts-Subjektes im Rahmen seiner Ontologie.

 Klassen- und Massenbewusstsein

Sartre wendet seine Unterscheidung zweier unterschiedlicher Wir-Bewu�tseine auf Ph�nomene der Gesellschaft an, wobei er das marxistische Modell einer Klassengesellschaft voraussetzt. - Das Klassenbewu�tsein einer unterdr�ckten Klasse enth�llt sich als Objekt-Wir: Die Ausgebeuteten f�hlen sich von den Angeh�rigen der Ausbeuterklasse "angeblickt" (z. B. die Arbeiter in einer Werkshalle durch den Meister) und reagieren darauf mit gemeinsamer Scham. Und so wie man sich auch "angeblickt" f�hlen kann, wenn man allein ist, sich aber bewu�t ist, dass es den Anderen gibt, der einem jederzeit wirklich als "Blick" begegnen kann, bleibt dieses Objekt-Wir auch dann bestehen, wenn kein Mitglied der Ausbeuterklasse konkret anwesend ist.

Aus dieser Erfahrung kann sich wiederum ein Subjekt-Wir der Ausgebeuteten entwickeln, womit Sartre andeutet, dass es f�r die Unterdr�ckten zwei Arten von Klassenbewu�tsein gibt - ein passives, schamvolles und ein selbstbewu�tes, das - wie wir vermuten k�nnen - Grundlage des aktiven Klassenkampfes "von unten" ist. - Sartre h�lt das "Angeblicktwerden" f�r den notwendigen Ausl�ser der Herausbildung eines Klassenbewu�tseins und bestreitet, dass das Elend der Unterdr�ckten allein daf�r sorgen kann.

Haben die Unterdr�cker (Sartre meint die Bourgeoisie) ebenfalls ein Klassenbewu�tsein? Sartre ist der Ansicht, dass sie kein Subjekt-Wir haben k�nnen, da die b�rgerliche Ideologie das Bestehen von Klassen gerade leugnet, aber ein Objekt-Wir entwickeln, sobald sie sich dem Subjekt-Wir der Proletarier gegen�bersehen und sich von diesen "angeblickt" f�hlen. (Man sollte meinen, dass sich sp�testens in diesem Augenblick ein b�rgerliches Subjekt-Wir bilden m�sste, da die Verobjektivierung des Anblickenden ja die zwangsl�ufige Reaktion auf das Angeblicktwerden ist.)

Es gibt - so Sartre - ein allgemeineres Subjekt-Wir, das sich schlicht aus der Benutzung der Waren ergibt, die f�r alle produziert wurden. Dieses Subjekt-Wir entspricht dem Heideggerschen "Man" und steht auf derselben Stufe wie das Subjekt-Wir von Menschen, die gemeinsam ein Ziel erreichen wollen (z. B. einer Gruppe marschierender Soldaten). Es handelt sich dabei nicht etwa - wie Heidegger meint - um eine ontologische Struktur des Menschen (Heidegger nennt diese Struktur das "Mit-Sein"), sondern um ein psychologisches Ph�nomen, das die echte ontologische Beziehung der Bewu�tseine zueinander voraussetzt.

Sartre macht noch eine Bemerkung zur Massenpsychologie (die hier eher Massenontologie ist): Insofern eine Masse von Menschen ein gemeinsames Objekt-Wir entwickeln kann, kann sie auch eine gemeinsame Haltung gegen�ber einem anblickenden Subjekt einnehmen. Wir hatten gesehen, dass Liebe und Masochismus Haltungen sind, die von einem Objekt-Ich ausgehen: In der Liebe versucht das Bewu�tsein, einen Anderen durch seine Objektheit zu faszinieren, und im Masochismus versucht es, seine Subjektivit�t v�llig zu verleugnen, indem es sich zum Instrument f�r den Anderen macht. - Beide Haltungen k�nnen die Haltung einer Masse gegen�ber einem F�hrer sein, im Falle des Masochismus will die Masse Instrument in der Hand des F�hrers sein. Funktion des Masochismus der Masse f�r den Einzelnen ist Flucht vor der Angst. (Man fragt sich, wie es diese Aussagen im besetzten Frankreich durch die Zensur geschafft haben.)


 Handeln, Haben und Sein


Aufh�nger des vierten Teils von "Das Sein und das Nichts" ist die Behauptung, dass sich alle menschlichen Verhaltensweisen unter die Begriffe Handeln, Haben und Sein subsumieren lassen. Das Erkenntnisverhalten, dessen Einordnung in das Schema nicht unmittelbar auf der Hand liegt, wird von Sartre dabei als Variante des Habens aufgefasst. - De facto behandelt der Werkteil die Themenkomplexe Handeln, Freiheit, Ethik und Besitz, sowie die "existentielle Psychoanalyse", Sartres Gegenentwurf zur Psychoanalyse Freuds. Abgesehen davon bietet er zahlreiche Wiederholungen fr�her Thesen und Argumentationen.

Viele der in diesem Teil ge�u�erten Auffassungen k�nnen unabh�ngig von Sartres ontologischen Grundannahmen gew�rdigt werden. Die hier ausgebaute Freiheitstheorie setzt wesentlich nur das Bestehen von Wahlfreiheit voraus - eine Annahme, die man unabh�ngig von Sartres Ontologie f�r richtig halten kann. - Ein versteckter Sinn der folgenden Passagen �ber Freiheit und Aspekte der Situation besteht in der Auseinandersetzung mit mehreren m�glichen oder wirklich von Denkern vorgebrachten Argumenten gegen das Bestehen totaler Wahlfreiheit.

 Handeln

Bevor man sich mit der Frage nach der Freiheit unseres Handelns besch�ftigen kann, muss man sich dar�ber klarwerden, was Handeln eigentlich ist. Sartre stellt fest, dass nur intentionales Verhalten als Handlung gelten kann, dass also immer eine Absicht vorhanden sein muss. Das unwillk�rliche Umstossen des Glases beim Verr�cken des Tischchens ist keine Handlung, wohl aber das Verr�cken des Tischchens. - Des weiteren kann man als Momente des Handelns Motive, Antriebe und Zwecke unterscheiden. Das Wort "Motiv", das sich im deutschen Sprachraum auf alles beziehen kann, was im Hintergrund einer Handlung steht (also auch auf Zwecke, Antriebe oder Charakterz�ge des Handelnden) benutzt Sartre in einem eingeschr�nkteren Sinne: Das Motiv ist die Sachlage, die durch das Handeln ver�ndert werden soll. Beispielsweise kann das Faktum, dass lediglich 60 Prozent der erwarteten Steuern eingehen, Motiv f�r eine Verwaltungsreform sein.

Wie verhalten sich Motive und Zwecke zueinander? Ergeben sich die Zwecke aus den Motiven? Nach Sartre verh�lt es sich umgekehrt: Das Motiv kann mit dem Bestehen eines Mangels gleichgesetzt werden. Der Begriff des Mangels gewinnt seinen Sinn aber - wie wir im Zusammenhang mit der Diskussion des "Wertes" gesehen haben - aus einen zuk�nftigen Zustand, in dem der Mangel beseitigt ist (dem "Verfehlten"). Auf das Handeln bezogen ist dieser Zustand der Zweck der Handlung, dieser muss also fr�her da sein als das Motiv. Dass 60 Prozent der Steuern eingehen, ist zun�chst nur ein beliebiges Faktum, das keineswegs zum Handeln f�hren muss. Erst, wenn dieser Zustand als Mangel erfasst wird, und dass heisst im Hinblick auf einen m�glichen, zuk�nftigen Zustand, in dem die Steuern zu 100 Prozent eingehen, wird er Motiv f�r die Verwaltungsreform.

Ein Zustand des Leids oder Elends kann also von sich aus kein Handeln veranlassen, das auf eine �nderung dieses Zustands abzielt. Daf�r ist der Begriff eines zuk�nftigen Zustandes ohne Leid und Elend erforderlich, der dann als Zweck des Handelns den gegenw�rtigen Zustand zum Mangelzustand macht. - Denken wir jetzt zur�ck an den Gegensatz F�r-sich / An-sich. Das vollst�ndige Sein-An-sich ist frei von Negativit�t, die ihre Quelle im unvollst�ndigem Sein des Bewu�tseins hat und von dort aus f�r die Aufgliederung des An-sich in eine Welt aus Dingen sorgt. Da das Bewu�tsein vollst�ndig spontan ist, und alle Negativit�t aus ihm stammt, heisst das, dass das Erfassen negativer Sachverhalte durch das Bewu�tsein unverursacht ist.

Was bedeutet das f�r den Beispielfall der Verwaltungsreform? Die Tatsache, dass 60 Prozent der Steuern eingehen, ist - so Sartre - einfach eine positive Tatsache. Wenn sie jedoch als Mangel erfasst wird (was sich daran zeigt, dass das W�rtchen "nur" hinzutritt - es gehen nur 60 Prozent der Steuern ein), heisst das, dass dieselbe Tatsache jetzt als negativ erfasst wird. Dieses Erfassen wird von der Tatsache selbst - die an-sich ist - nicht motiviert, sondern verdankt sich allein der Spontaneit�t des Bewu�tseins. Woraus f�r Sartre folgt, dass das Setzen von Zwecken und damit das menschliche Handeln frei sein muss.

 Motivdeterminismus

Sartre bezieht sich hier nicht auf den naturwissenschaftlichen Determinismus, der die Handlungen eines Menschen beispielsweise aus bestimmten Gehirnvorg�ngen und diese wiederum aus einer Kombination von genetischen und Situationsfaktoren erkl�rt. Hier geht es um eine �ltere philosophische Diskussion des Themas.

Wenn man annimmt, dass Handlungen durch Motive determiniert werden, ergibt sich ein Problem, das sich mit der Geschichte von "Buridans Esel" illustrieren l��t (Buridan war ein Philosoph des Mittelalters, der in eine solche Debatte involviert war): Ein hungriger Esel sieht sich zwei genau gleichen Heuballen gegen�ber. Da beide Heuballen f�r den Esel ein Motiv f�r ihren Verzehr sind, heisst das, dass der Esel mit zwei gleich starken Motiven konfrontiert ist. Wenn Motive das Handeln determinieren, folgt daraus, dass der Esel zwischen den Ballen verhungern muss, da sich beide Motive gegenseitig blockieren und so keine Handlung mehr m�glich ist.

Aus dem Umstand, dass der Esel in Wirklichkeit einen der Heuballen zu fressen beginnen w�rde, schliessen die Anh�nger der Handlungsfreiheit, dass Handlungen in solchen F�llen nicht durch das Motiv allein verursacht sein k�nnen. (Man k�nnte m. E. auch daraus schliessen, dass genau gleich starke Motive ein faktisch unm�glicher Grenzfall sind, �hnlich wie die absolute Gleichheit aller Eigenschaften zweier komplexer Gegenst�nde.) - Dass sich die Motive des fressenden Esels gegenseitig aufheben, l�uft darauf hinaus, dass sein Fressen kein Motiv hat. Die Anh�nger der Freiheit m�ssen also behaupten, dass Handlungen ohne Motiv m�glich sind.

An dieser Stelle k�nnen die Motiv-Deterministen darauf verweisen, dass eine Handlung ohne Motiv ein Unding ist: Handeln ist immer auf einen Zweck (einen zuk�nftigen Zustand) und damit auch auf ein Motiv (einen gegenw�rtigen Zustand, der durch den k�nftigen ersetzt werden soll) bezogen. Wenn freie Handlungen Handlungen ohne Motiv sind, kann man also eigentlich nicht mehr von Handlungen sprechen, es handelt sich dabei dann eher um sinnlose Bewegungen (der deutsche Romantiker Achim von Arnim �u�erte einmal, dass er sich einen nicht-determinierten Menschen nur als komplett Verr�ckten vorstellen k�nne). - Sartre gibt den Deterministen Recht: Wenn Handeln frei ist, darf diese Freiheit nicht in dem Fehlen von Motiven gesucht werden.

Doch Sartre h�lt beide Auffassungen f�r falsch. Seinen Alternativvorschlag k�nnte man so wiedergeben: Zwar sind unsere Handlungen auf Motive bezogen, aber das macht uns nicht unfrei, da die den Motiven vorangehenden Zwecke frei gew�hlt werden. Das Motiv ist nicht an sich Motiv, sondern wird es erst durch seine Erfassung als Mangel. Der Bef�rworter der Freiheit im gerade erw�hnten Sinne hatte den Punkt, an dem die Nichtdeterminiertheit ins Spiel kommt, falsch bestimmt.

 Leidenschaften und Kausalit�t

Die Handlung, ihr Zweck und ihr Motiv bilden also eine Totalit�t, die als ganze lediglich von der Spontaneit�t des Bewu�tseins abh�ngt. - Sp�testens jetzt dr�ngt sich die Frage auf, warum Wille, Antriebe und Leidenschaften (= Emotionen) bisher noch nicht erw�hnt wurden. Ist es denn nicht gerade der Wille, der frei ist - schlie�lich spricht man ja von "Willensfreiheit"? Und sind die Motive nicht nur dadurch wirksam, dass sie einen Antrieb in uns verursachen? Und muss sich der Wille gegen die Leidenschaften nicht h�ufig mit Anstrengung durchsetzen oder wird von ihnen sogar durchkreuzt? - Sartre bestreitet demgegen�ber nicht nur die Bedeutung des Willens und die Existenz von Antrieben, sondern h�lt es auch f�r unm�glich, dass die Leidenschaften meiner Freiheit zuwiderlaufen k�nnen.

Eine Auffassung, die dem gesunden Menschenverstand entspricht (der gesunde Menschenverstand ist bekanntlich die Summe der verbreitetsten Vorurteile), besagt, dass mein Wille zwar frei ist, die Leidenschaften als determinierte Faktoren ihm aber Widerstand entgegensetzen oder ihn sogar l�hmen k�nnen. - Sartre muss diese Auffassung schon deshalb ablehnen, weil sie der Transluzidit�t des Bewu�tseins widerspricht: Wenn es Determiniertes im Bewu�tsein g�be, g�be es im Bewu�tsein etwas, das nicht bewu�t w�re (etwas Opakes) und etwas Unbewu�tes im Bewu�tsein ist kontradiktorisch. - Woraus folgt, dass die Leidenschaften entweder nicht zum Bewu�tsein geh�ren (und dann k�nnen sie seine Freiheit nicht einschr�nken, sondern sind Teil der Welt), oder frei sind. Sartre vertritt letztere Ansicht: Alles, was Bewu�tsein ist, ist v�llig spontan, also auch die Leidenschaften. - Wir haben diese Auffassung in der Theorie der Emotionen schon kennengelernt, hier wird sie mit dem Begriff der Handlung in Verbindung gebracht.

Sartre konstatiert weiterhin, dass das Zusammensein von Determiniertheit und Freiheit im selben Bewu�tsein undenkbar ist, weil nicht m�glich ist, dass eine Spontaneit�t auf einen "bereits konstituierten" Determinismus einwirken kann. Spielt das "bereits konstituiert" auf die M�glichkeit an, dass eine Spontaneit�t eine Ursachenreihe beginnen k�nnte? - Nein. Der Begriff Konstitution ist hier im Sinne des Idealismus gemeint: Es ist m�glich, dass ein spontanes Bewu�tsein ein ganzes System kausaler Verbindungen aus sich hervorgehen l�sst (so wie die Kausalit�t bei Kant durch Anwendung einer Kategorie auf die raum-zeitlich geformten Sinnesdaten zustandekommt: Der Geist konstituiert die kausale Welt als solche).

Sartre h�lt es vielmehr f�r undenkbar, dass sich innerhalb eines kausalen Systems Bestandteile akausal verhalten k�nnen. Er besteht stattdessen darauf, dass das Bewu�tsein der Kausalit�t g�nzlich entzogen ist, weil nichts auf das Bewu�tsein einwirken und das Bewu�tsein auf nichts einwirken kann und spielt dabei auf das in der Diskussion des Sein-f�r-sich bereits erw�hnte Prinzip von Aktion und Gegenaktion an. - Wie wir damals schon gesehen haben, ergibt sich aus der Behauptung das Problem, dass es in diesem Falle unm�glich wird, dass freie Entscheidungen zu Wirkungen in der Welt f�hren k�nnen (z. B. dazu, dass eine Hand einen Gegenstand hochhebt). - Sartre kommt jedenfalls zu der Schlussfolgerung: "Diese Er�rterung zeigt, da� zwei und nur zwei L�sungen m�glich sind: entweder ist der Mensch v�llig determiniert (was unannehmbar ist, zumal weil ein v�llig determiniertes, [...] Bewu�tsein [...] aufh�rt, Bewu�tsein zu sein), oder der Mensch ist v�llig frei."

Insgesamt lassen Sartres Bemerkungen zur Kausalit�t W�nsche offen. Da Sartres Freiheitsphilosophie die Freiheit ausdr�cklich als ausserhalb der Kausalit�t befindlich betrachtet, h�tte man eine detailliertere Diskussion erwartet. (Man kann sich Handlungs- oder Willensfreiheit auch ohne Widerspruch zur Kausalit�t vorstellen, wenn man n�mlich annimmt, dass der kontr�re Standpunkt den Gebrauch des Wortes "Freiheit" missversteht.) - Paul Vincent Spade interpretiert Sartre so, als lehne er das Kausalit�tsprinzip generell ab. Ich sehe mehr Indizien f�r die Annahme, dass Sartre die Kausalit�t im Bereich von allem, das er an-sich nennt, f�r l�ckenlos h�lt. So ist der Mensch als Objekt f�r andere Menschen ein Instrument, und Utensilit�t setzt Kausalit�t voraus. In der "normalen" (d. h. nicht im Sinne seiner Theorie der Emotionen umgestalten) Welt hat jede Ver�nderung eine Ursache.

Werfen wir einen vergleichenden Blick auf Kants Umgang mit dem Thema: Die konkreten Handlungen eines Menschen sind verursacht, da die Kategorie der Kausalit�t bei der Konstitution der Welt durchg�ngig angewandt wird (so wie alle Dinge r�umlich und zeitlich sein m�ssen, m�ssen alle Ver�nderungen an ihnen verursacht sein). - Frei kann der Mensch nicht auf dieser Ebene, auf der Ebene der konstituierten Welt sein, sondern nur, insofern er auch ein Ding-an-sich ist. - Sartres Argumentation scheint auf etwas �hnliches hinauszulaufen, doch eine analoge Klarheit vermisst man. Und Sartre besteht auf der Freiheit einzelner Handlungen!

Da Sartre den Emotionen eine Funktion zuspricht (sie beseitigen das Bedrohliche bestimmter Situationen dadurch, dass sie die Struktur der Welt �ndern), m�ssen sie auf einen Zweck bezogen sein. Und daraus ergibt sich auch schon die Rolle, die sie spielen: Sie sind nichts weiter als besondere Mittel zu einem frei gesetzten Zweck. Und insofern wir die Mittel zur Verwirklichung der Zwecke gleichfalls frei w�hlen, sind die Leidenschaften Resultat einer freien Entscheidung. - Ich entscheide mich daf�r, einen Zweck emotional oder durch kalte �berlegung zu erreichen, so wie ich mich daf�r entscheide, mit dem Auto oder mit dem Flugzeug an einen bestimmten Ort zu reisen.

 Wille und Antriebe

Man spricht von "blinder" Leidenschaft, w�hrend man den Willen in dem hier gemeinten Sinne eher mit kalter und klarer �berlegtheit assoziiert. (Das Wort "Wille" in der deutschen Umgangssprache hat mehr Verwendungen und kann sich auch auf starke unreflektierte W�nsche beziehen.) Der Unterschied zwischen einer willentlichen und einer nicht-willentlichen Handlung bezieht sich - so Sartre - schlicht auf die Reflexionsstufe. Wenn ich auf der pr�reflexiven Bewu�tseinsebene jemanden schlage, weil er eine "Fresse zum Reinschlagen" hat (das drastische Beispiel stammt von Sartre selbst), handelt es sich um eine unwillentliche Handlung. Der Wille tritt auf der unreflektierten Ebene nicht in Erscheinung, der Zweck stellt sich einfach nur als Forderung in der Welt dar - trotzdem ist er Produkt der Spontaneit�t des Bewu�tseins und daher frei gew�hlt.

Wenn ich mir dagegen �berlege, dass es nicht g�nstig ist, hier und jetzt zuzuschlagen, da sich der Betreffende im Kreis seiner Freunde befindet, und dass ich besser abwarte, bis ich mit ihm in einer dunklen Ecke allein bin, befinde ich mich auf der reflektiven Ebene und verhalte mich willentlich. - Der Wille hat - wie Sartre meint - im Hinblick auf die Freiheit der Handlung keine Bedeutung, da er Motiv und Zweck nicht �ndert. - Der Unterschied der Bewu�tseinsebenen erlaubt es Sartre auch, die sog. "Antriebe" zu erkl�ren: Diese sind nicht etwa ein irrationaler Faktor - die subjektiven Begierden - der zur Erkl�rung einer Tat herangezogen werden muss, wenn die objektiven Motive nicht ausreichen, und der zu den Motiven u. U. im Gegensatz stehen kann. Der Antrieb ist einfach das Motiv, wie es auf der pr�reflexiven Ebene erscheint. - Das Gesicht des potentiellen Angriffsopfers, die Forderung, die die Welt in diesem Augenblick an mich stellt, ist gleichbedeutend mit meinem Antrieb, hineinzuschlagen. Als Motiv, d. h. als Grund der Handlung erscheint das Gesicht erst, wenn ich reflektiere. - Es kann also keinen Konflikt zwischen Motiven und Antrieben geben.

Reflektiere ich nachtr�glich auf mein vergangenes, pr�reflexives Handeln, so kann ich - so Sartre - den Antrieb als psychisches Quasi-Objekt erfassen und dann wom�glich zu dem schlechten Glauben kommen, dass der Antrieb eine besondere Kraft besessen hatte, die mich von der Verantwortung befreit ("mein Drang, zuzuschlagen, war so stark - ich konnte mich einfach nicht wehren"). In Wahrheit sind Antriebe und Motive zwei Erfassungen desselben Gegenstands, und da ich meine Motive frei w�hle, k�nnen die Antriebe keine eigene Kraft besitzen.

Wenn wir bei dem Beispiel bleiben, stellt sich die Frage, ob diese Behauptung hier wirklich zutrifft. Immerhin verhalte ich mich, wenn ich mich willentlich verhalte, anders (indem ich die Ausf�hrung der Verwirklichung des Zwecks aufschiebe, und das heisst, andere Mittel w�hle). Da die Mittel aber selber Resultat einer freien Zwecksetzung sind, heisst das, dass in der willentlichen Erw�gung Motive hinzugetreten sein m�ssen, die auf der pr�reflexiven Ebene nicht da waren (z. B. das Motiv, selbst unbeschadet zu bleiben). Hat hier also nicht doch eine Modifikation von Motiv und Zweck stattgefunden? - Ich werde Sartres vermutliche Antwort darauf skizzieren, wenn ich zu seiner Diskussion der grundlegenden Entw�rfe komme.

 Die Irrationalit�t der Freiheit

Wenn unsere Entscheidungen unverursacht sind, impliziert das die Irrationalit�t unserer Freiheit? Sartre erw�hnt zur Illustration dessen, was hier gemeint ist, den Begriff des Clinamens. Epikur hatte behauptet, dass das Verhalten der kleinsten Weltbestandteile eine gewisse Indeterminiertheit aufweist: Sie bewegen sich nicht auf einer hundertprozentig vorhersehbaren Bahn, sondern es kommt gelegentlich zu kleinen Abweichungen (Clinamen = Abweichung), so dass die Welt zwar im Gro�en und Ganzen Naturgesetzen folgt, es aber dennoch ein Moment der Zuf�lligkeit gibt. - Wenn unsere Entscheidungen frei sind, bedeutet das in einem �hnlichen Sinne nicht einfach eine Einschr�nkung der Vorhersehbarkeit meines Handelns? Und ist nicht Unvorhersehbarkeit gerade ein Kennzeichen irrationalen Verhaltens?

Man kann hier an eine Theorie erinnern, die vor einigen Jahrzehnten durch die popul�rwissenschaftliche Presse geisterte. - Gem�� der modernen Physik gibt es bekanntlich nicht-determinierte Vorg�nge auf der subatomaren Ebene, die an Epikurs Clinamen erinnern, und die ebenfalls f�r ein gewisses Zufallselement im Weltverlauf sorgen. Als Beispiel f�r die durchaus praktische Auswirkung dieser Nicht-Determiniertheit kann der Zerfall eines radioaktiven Atoms dienen, der lediglich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit stattfindet, aber dar�ber entscheiden kann, ob ich jung an Lungenkrebs sterbe oder nicht (wenn sich n�mlich das Atom in meiner Lunge befindet). - Verteidiger der Willensfreiheit bem�hten sich nun, diese Nicht-Determiniertheit mit der menschlichen Freiheit in Verbindung zu bringen. Sie postulierten, dass freie Entscheidungen dadurch zustandekommen, dass das Gehirn eine Art echten Zufallsgenerator enth�lt: Ein nicht-determinierter subatomarer Vorgang wird durch irgendeinen Verst�rkermechanismus Ausl�ser f�r eine freie Entscheidung.

Betrachtet man diese Theorie, dr�ngt sich sofort der Eindruck auf, dass ein Mensch, dessen Entscheidungen von einem solchen Mechanismus abh�ngig gemacht werden, deshalb nicht freier, sondern h�chstens unberechenbarer wird. - Man k�nnte nun vermuten, dass es sinnvoll sein k�nnte, den Gegensatz Freiheit / Determiniertheit in Frage zu stellen. Sartres Argumentation geht aber in eine ganz andere Richtung: Die Rationalit�t meiner Handlungen ergibt sich aus ihrem Bezug auf einen grunds�tzlichen Entwurf, der eine Art Vereinigungspunkt meiner Einzelentw�rfe ist. Der Vorwurf der Irrationalit�t kann daher nicht jede einzelne Entscheidung treffen, sondern nur diesen Grundentwurf selbst, der nicht begr�ndbar ist.

Wir werden allerdings sehen, dass f�r Sartre jede Entscheidung in der Lage ist, den Grundentwurf umzusto�en und durch einen anderen zu ersetzen. Woraus f�r mich zu folgen scheint, dass auch der Vorwurf der Irrationalit�t nach wie vor f�r jede einzelne Entscheidung erhoben werden kann, da nicht vorhersehbar ist, ob sie eine �nderung des Grundentwurfs bedeutet. Ein Mensch, der seinen grunds�tzlichen Entwurf alle f�nf Minuten wechselt, w�re vorstellbar - die M�glichkeit ergibt sich aus der Spontaneit�t des Bewu�tseins. - Sartre m�sste hier auf den Erfahrungssatz verweisen, dass solche Konversionen selten sind. Doch die Langfristigkeit der Grundentw�rfe ist lediglich ein "kontingentes Faktum": Der W�rfel kann auch mal zehn Sechsen hintereinander werfen, ohne dass seine W�rfe dadurch vorhersehbarer werden.

 Beispiel Minderwertigkeitskomplex

Die Urwahl ist die Wahl des grundlegenden Entwurfs, die eine Entscheidung, auf die alle meine konkreten Entscheidungen verweisen. Diese Entscheidung betrifft mein Verh�ltnis zur Welt insgesamt. - Hier ist einer der Punkte bei der philosophischen Lekt�re, an denen man sich ein illustrierendes Beispiel w�nscht, und Sartre ist so freundlich, zwei zu liefern. - Man stelle sich zun�chst einen Mann vor, dem im Leben nichts von dem gelingt, was er sich vornimmt. F�r die Arbeitsstellen, auf die er sich bewirbt, ist er nicht ausreichend qualifiziert, so dass jedes wirklich zustandegekommene Besch�ftigungsverh�ltnis in einer Katastrophe endet, die Frauen die er kennenlernen m�chte, sind niemals an ihm interessiert, usw. - Das alles aber nicht deshalb, weil der Mann besonders unbegabt oder h�sslich w�re, der Grund f�r sein dauerndes Versagen liegt vielmehr darin, dass seine Entw�rfe immer so beschaffen sind, dass sie mehr anstreben, als f�r ihn zu erreichen ist, und daher scheitern m�ssen.

Man k�nnte nun annehmen, dass der Mann irrt�mlich eine zu positive Meinung von sich selbst hat. Die Interpretation seines Verhaltens, von der Sartre ausgeht, ist eine andere: Der Mann hat einen Minderwertigkeitskomplex. Der Begriff wird umgangssprachlich meist auf Menschen angewandt, die sich minderwertig f�hlen, geht in der Verwendung durch Sartre aber dar�ber hinaus. Ein Minderwertigkeitskomplex ist nicht nur eine (wom�glich objektiv begr�ndbare) negative Selbsteinsch�tzung, sondern ein Entwurf, der darauf abzielt, die eigene Minderwertigkeit zu beweisen und sicherzustellen. Die Handlungen des Mannes scheitern nicht deswegen, weil er zuviel Optimismus in Bezug auf seine F�higkeiten hat, sondern scheitern, weil sie scheitern sollen! In seiner Urwahl hat sich der Mann als minderwertig im Vergleich zu anderen Menschen gew�hlt, und seine Handlungen zielen darauf ab, diesen Grundentwurf zu realisieren.

Sartre ist hier von der Psychoanalyse beeinflusst (im Beispiel mehr von Adler als von Freud), zu deren Grundthesen ja geh�rt, dass scheinbar irrationale, pathologische Verhaltensweisen einen verborgenen Sinn aufweisen, der vom Analytiker aufgekl�rt werden muss. - Aber bestreitet Sartre nicht vehement, dass es so etwas wie das Freudsche Unbewu�te geben kann? Wir k�nnen daher vermuten, dass Sartres Interpretation des Minderwertigkeitskomplexes von der psychoanalytischen abweicht. - W�hrend letztere n�mlich behauptet, dass der Mann von seinem Minderwertigkeitskomplex nichts wissen kann, und durch den Analytiker dar�ber informiert werden muss, h�lt Sartre den Komplex f�r bewu�t: Er besteht in einer Entscheidung, und alle Entscheidungen des Menschen sind bewu�t.

Aber wie kann man sich denn bewu�t daf�r entscheiden, die permanenten Dem�tigungen auf sich zu nehmen, die das Verhalten des Mannes zwangsl�ufig mit sich bringen muss? - Hier zeigt sich, dass der Minderwertigkeitskomplex in Wahrheit noch nicht der Grundentwurf selbst ist, sondern einen tieferen Sinn hat (Sartre hat den Leser hier etwas in die Irre gef�hrt). - Wie wir wissen, sind alle menschlichen Handlungen letztlich aus dem Bed�rfnis, sich einen Grund zu geben und dem Bed�rfnis, der Angst zu entgehen, erkl�rbar. Die Erkl�rung hier l�uft darauf hinaus, dass der Mann versucht, seine Freiheit loszuwerden, indem er sich durch sein Versagen einem passiven Ding �hnlich macht (indem er immer so handelt, dass der Zweck nicht erreicht werden kann, hebt sich sein Handeln auf und er handelt eigentlich gar nicht). Als passives Ding - so k�nnen wir erg�nzen - w�re er nat�rlich selbstgew�hltes An-sich und h�tte damit auch die Selbstbegr�ndung erreicht.

Das dauernde Gef�hl von Dem�tigung, dass der Mann bei der Realisierung seines Grundentwurfs erf�hrt, stellt sich vor diesem Hintergrund als eine Art Nebenwirkung heraus (wir sind schon mehrmals darauf gesto�en, dass f�r Sartre der eigentliche Zweck unseres Handelns nie im Erwerb von Lust besteht): Es ist notwendig, dass der Mann auf der reflexiven Ebene seine Handlungen f�r erfolgversprechend h�lt, und demgem�� entt�uscht ist, wenn die Handlung trotzdem scheitert. Der Irrtum �ber den tats�chlichen Zweck der Handlung f�gt sich - wie Sartre sagt - diesem Zweck also ein. - Die Argumentation ist hier nicht ganz konsequent, wenn sie die Minderwertigkeitsgef�hle als notwendige Begleiterscheinung des angestrebten Scheiterns hinstellt. Minderwertigkeitsgef�hle sind der Bewu�tseinsspontaneit�t unterworfen, man kann sich leicht jemanden vorstellen, der freudig scheitert: "Ich kann�s halt einfach nicht, hurra!" - Aber vielleicht kommen solche Gef�hle nicht in Frage, weil sie bei dem Mann Verdacht gegen die Ehrlichkeit seines Strebens wecken k�nnten. (Und aufrichtig das Scheitern seines Handelns anstreben kann er nicht, da sich das Scheitern dann in einen Erfolg verwandeln und so dem Grundentwurf wirklich widersprechen w�rde.)

Noch einmal im �berblick: Der Mann verfolgt willentlich den Zweck, erfolgreich zu sein. Sein �bergeordnetes Ziel, das ihm unreflektiert bewu�t ist, das sich auf der reflexiven Ebene aber verbirgt, ist es, zu versagen. - Das Setzen eines nicht-realisierbaren Zwecks und der Schritt auf die reflexive Ebene ist in die Handlung des Versagens, die den Grundentwurf realisieren soll, integriert. - Die unreine Reflexion, in der das momentane Ziel f�lschlicherweise als erreichbar erscheint, ist Teil der eigentlichen Handlung. - Sartre hatte gesagt, dass der Wille die Zwecke nicht ver�ndern kann und wir sehen jetzt, weshalb: Das willentliche Erw�gen kann den eigentlichen Zweck deshalb nicht ver�ndern, da es selber Mittel zu diesem Zweck ist. - Wir hatten gesagt, dass sich die Handlung aus dem Bauch heraus, was Zweck und Motive angeht, von der �berlegten Handlung unterscheiden kann, und hatten gefragt, ob das mit dieser Behauptung vertr�glich ist. Die Antwort ist, dass die Handlung aus dem Bauch heraus einem anderen Grundentwurf entspricht und damit einen anderen �bergeordneten Zweck verfolgt als das willentliche Handeln. Das willentliche Verfolgen eines Zwecks �ndert den eigentlichen Zweck der Handlung nicht, heisst aber, dass ein anderer Zweck verfolgt wird als beim unwillentlichen Handeln.

 Beispiel M�digkeit

Insofern das Subjekt sich nach Durchlaufen des Zirkels der Selbstheit in der Welt wiederfindet (die Welt wird als M�glichkeit zur Selbstbegr�ndung wahrgenommen, und deutet damit auf das Subjekt als zuk�nftiges selbstbegr�ndetes An-sich-f�r-sich, als realisierter "Wert"), und insofern der Grundentwurf ein Entwurf zur Selbstbegr�ndung ist, korreliert er mit einer bestimmten Art von Welt. Es w�re aber falsch, das so zu interpretieren, als s�he ich die Welt durch die Brille meines Grundentwurfs verzerrt, und als g�be es daneben noch eine subjekt-unabh�ngige Welt, die von dem Zerrbild abweicht: Die Welt als aus Forderungen bestehend existiert nur in Bezug auf den Grundentwurf. - Unabh�ngig vom Subjekt gibt es f�r Sartre lediglich amorphes Sein-an-sich, und keine dinglich gegliederte Welt.

Es h�ngt von meinem Grundentwurf ab, ob ich auf einer Wanderung eine pl�tzliche Steigung als Forderung, sie zu �berwinden, oder als Forderung, mich auszuruhen und umzukehren wahrnehme. Und damit sind wir bei Sartres zweitem Beispiel f�r die Abh�ngigkeit der konkreten Handlungen vom Grundentwurf. - Nehmen wir an, dass ich nicht allein wandere. F�r mich ist die Steigung das Zeichen zum Aufgeben, f�r meine Freunde hingegen nicht, so dass sie mir Vorw�rfe machen. Und gegen diese Vorw�rfe kann ich mich nicht mit meiner M�digkeit verteidigen. Warum nicht?

Meine M�digkeit ist wertneutral, sie ist nur die Art, in der ich meinen K�rper unter bestimmten Umst�nden f�hle. Ich kann sie erst dann zur Begr�ndung f�r mein Aufgeben machen, wenn ich sie auf sie reflektiere und ihr einen Wert verleihe. Und diese Bewertung erfolgt im Rahmen meines Grundentwurfs! Durch schlechte Reflexion erscheint sie mir jedoch nicht als Resultat meiner Freiheit, sondern als objektive Eigenschaft der M�digkeit als psychischem Quasi-Objekt, die eben "unertr�glich" ist. - Warum nehme ich eine solche Bewertung vor, w�hrend meine Freunde ihre M�digkeit nicht als unertr�glich empfinden?

Sartre bem�ht f�r die Erkl�rung zwei unterschiedliche Grundentw�rfe. Der eine - der meiner Freunde - besteht darin, sich zu An-sich werden zu lassen, indem man in seinem K�rpergef�hl versinkt (man denke an das sexuelle Begehren). Auf dem Hintergrund dieses Entwurfs erscheint die M�digkeit daher positiv, als eine spezielle Art Fleischwerdung. Mein Entwurf ist jedoch ein anderer: Ich will nicht unmittelbar an-sich werden, sondern indem ich Objekt f�r den Blick anderer werde. Ich bin daher ein Kommunikationsmensch und halte von K�rpereinsatz unter freiem Himmel eher wenig. - W�hrend meine Handlung des Aufgebens insofern rational ist, als sie vor dem Hintergrund meines Grundentwurfes erfolgt, fehlt dem Grundentwurf selbst ein solcher Hintergrund - er ist v�llig irrational. (Da unterschiedliche Grundentw�rfe aus diesem Grunde nicht diskutierbar sind bedeutet die Abweichung meines Grundentwurfs von dem meiner Freunde eine unaufhebbare Differenz.)

 Revision der Urwahl

W�hrend es nicht m�glich ist, dass Handlungen dem Grundentwurf wirklich widersprechen, kann es - so Sartre - Handlungsaspekte geben, die indifferent dazu sind. Es ist z. B. nicht von Belang, ob ich meine Wanderung an diesem Punkt des Weges aufgebe oder hundert Meter weiter vorn. Eine Handlung kann zwar erkl�rt werden, indem man von dem unmittelbaren Zweck Schritt f�r Schritt zum h�chsten Zweck - dem Grundentwurf - aufsteigt. Umgekehrt ist es aber aufgrund dieser Freiheit in den Details nicht m�glich, aus dem Grundentwurf die Handlungen des Menschen abzuleiten. Ich kann aus dem Minderwertigkeitskomplex vielleicht folgern, dass sich der Mann wieder eine Arbeit suchen wird, der er nicht gewachsen ist, aber nicht, um welche Arbeit es sich handeln wird.

Da die Urwahl (die Wahl des Grundentwurfs) frei erfolgt ist, kann sie auch frei ge�ndert werden (in einer "Konversion"). Ein Mensch kann - so Sartre - jederzeit seinen grundlegenden Weltbezug wechseln, eine einzige konkrete Handlung, die dem bisherigen Urentwurf tats�chlich widerspricht, reicht daf�r aus (ich kann mich z. B. pl�tzlich daf�r entscheiden, mit meinen Freunden weiterzuwandern). - F�r die Probleme des Mannes mit dem Minderwertigkeitskomplex heisst das, dass seine einzige Chance auf Erl�sung darin besteht, seine Urwahl zu revidieren, da jedes Handeln auf Basis des Grundentwurfs - auch die Handlung, sich therapieren zu lassen - Misserfolg und Dem�tigung zur Folge haben wird. - Dummerweise verh�lt es sich nun so, dass sich der Wechsel des Grundentwurfs sich aus dem alten Grundentwurf heraus nicht begr�nden l�sst. Die Handlung, die dem Grundentwurf widerspricht, ist nicht mehr auf ihn bezogen, sondern bereits auf den neuen Grundentwurf. - Es ist also unm�glich, eine erneute Urwahl auf dem Boden des bisherigen Grundentwurfs anzustreben (es sei denn z. B. mit dem verborgenen Ziel, wiederum zu versagen). Die totale Irrationalit�t, die man dem nicht determinierten Handeln vorgeworfen hat, ist bei der Handlung, die eine neue Urwahl bedeutet, wirklich gegeben.

Trotz dieser Irrationalit�t, und trotz des Umstandes, dass ein Wechsel der Urwahl keineswegs ein leichteres Leben bedeuten muss (die Urwahl kann nicht im Hinblick auf das Ziel leichteren Lebens getroffen werden, da es sonst einen noch h�heren Zweck als den von ihr gesetzten g�be), verirrt sich Sartre in lyrische H�hen, wenn er von der neuen Urwahl spricht: "Diese aussergew�hnlichen und wunderbaren Augenblicke, wo der fr�here Entwurf sich in der Vergangenheit aufl�st im Licht eines neuen Entwurfs, der auf dessen Tr�mmern auftaucht und sich vorl�ufig nur andeutet, wo Dem�tigung, Angst, Freude, Hoffnung sich eng verm�hlen, wo wir loslassen, um zuzugreifen, und wo wir zugreifen, um loszulassen ..."

Die Konversion ist - so Sartre - der "befreiende Augenblick". Hier muss man an die Diskussion der Zeit zur�ckdenken, in der Sartre - wie wir uns erinnern - eine Aufteilbarkeit der Zeit in Augenblicke strikt ablehnte. Warum taucht der Begriff hier auf einmal auf? - Mit dem Bewu�tsein entsteht die gegenw�rtige Welt und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Totalit�t. In der neuen Urwahl - so Sartre - ver�ndert sich nun meine Welt und die zeitliche Totalit�t erscheint erneut! Jedem Grundentwurf entspricht eine Zeittotalit�t, so dass der Moment des Wechsels als Punkt zwischen den Zeittotalit�ten der einzige Augenblick ist, der nicht unzul�ssig aus einer Totalit�t abstrahiert wurde. (Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dieser Gedanke mit Sartres Ontologie der Zeitlichkeit vertr�glich ist.)

Wir hatten gesehen, dass meine Vergangenheit zwar Faktizit�t, aber - und das unterscheidet sie von anderen Aspekten der Faktizit�t - mit mir identisch ist. Eine grundlegende Distanzierung von meiner Vergangenheit ist mir also nicht m�glich (oder erfolgt im Schlechten Glauben). - Durch den Wechsel der Urwahl �ndert sich diese Sachlage: Die Vergangenheit wird jetzt - insofern sie auf den alten Entwurf bezogen war - wirklich Vergangenheit, die mich nicht mehr auf der unreflektierten Ebene "heimsucht" und zu der ich mich in echter Distanz befinde. - Und da die Zukunft wesentlich durch meine Zwecke bestimmt ist - sie besteht nur in meinen zuk�nftigen M�glichkeiten - wird sie durch die neue Urwahl gleichfalls zu einer anderen.

Man sollte nicht annehmen, dass die Urwahl nur in den befreienden Augenblick zwischen den Zeiten erfolgt. Jede einzelne Entscheidung kann die freie Entscheidung f�r eine neue Urwahl sein, was umgekehrt bedeutet, dass jede freie Entscheidung im Rahmen des alten Entwurfs eine Wiederholung der urspr�nglichen Urwahl bedeutet. Die Urwahl wird mit jeder Einzelentscheidung, die in ihrem Sinne erfolgt, erneuert.

 Der Widrigkeitskoeffizient

Es gibt einen umgangssprachlichen Begriff von "Freiheit", der sich von dem hier vorausgesetzten unterscheidet: Ein Mensch ist umso freier, je eher er dazu f�hig ist, die von ihm gesetzten Zwecke zu erreichen. Ein in Ketten gelegter Gefangener ist daher weniger frei als sein W�chter. - Sartres Freiheitsbegriff (er nennt ihn den "philosophischen Freiheitsbegriff") l�uft dagegen auf die Konsequenz heraus, dass jeder Mensch genauso frei ist wie jeder andere Mensch, ja dass es gar keine unterschiedlichen Grade an Freiheit geben kann: Der Mensch ist frei und diese Freiheit ist lediglich "durch sich selbst beschr�nkt", womit Sartre meint, dass wir nicht w�hlen k�nnen, nicht frei zu sein. Die hier gemeinte Freiheit ist allein die Freiheit, zu w�hlen, d. h. sich Zwecke zu setzen und impliziert nicht die Erreichbarkeit dieser Zwecke. Der Begriff der Wahl setzt allerdings - so Sartre - voraus, dass wenigstens ein Versuch unternommen wird, den Zweck zu realisieren, da die Wahl anderenfalls nicht von einem blossen Wunsch abgrenzbar w�re. - Daher konstatiert Sartre, dass der Gefangene genauso frei ist wie sein W�chter, insofern er alles m�gliche versuchen kann (z. B. zu entkommen).

Aber ist es wahr, dass - wenn wir Freiheit in Sartres Sinn als Wahlfreiheit verstehen - tats�chlich jeder Mensch frei ist? Man kann sich einen vollst�ndig gel�hmten, aber hellwachen Menschen (oder ein k�rperloses, lebendes Gehirn) vorstellen. Kann man ohne die M�glichkeit, eine Bewegung auszuf�hren, noch davon sprechen, dass der Mensch versuchen kann, einen Zweck zu realisieren? - Sartre w�rde vermutlich antworten, dass sich dieser Mensch zwar keine durch Mithilfe seines K�rpers realisierbaren Zwecke mehr setzen kann, aber immerhin noch solche mentaler Art: Er kann z. B. versuchen, ein ehemals auswendig gelerntes, aber jetzt halb vergessenes Gedicht "im Geiste" zu rekonstruieren. - Hier wie an anderer Stelle vermi�t man bei Sartre eine ausf�hrlichere Erw�hnung denkbarer Grenzf�lle des Menschlichen, wozu z. B. das Bewu�tsein kleiner Kinder, hochentwickelter Tiere, Traum, Drogenrausch oder Geisteskrankheit geh�ren. (�ber Geisteskranke �u�ert Sartre immerhin in einer Fu�note, dass auch sie die Conditio Humana auf ihre Weise realisieren. - Die "Conditio Humana" ist die Natur des Menschen: Sartre nimmt also an, dass sich Geisteskrankheiten z. B. als Resultate bestimmter Urwahlen erkl�ren lassen und nicht etwa auf eine andere Art von Bewu�tsein - und damit Menschsein - zur�ckgef�hrt werden m�ssen.)

Es scheint zwischen dem Gel�hmten und anderen Menschen, die im Vollbesitz ihrer k�rperlichen F�higkeiten sind, doch wenigstens den Unterschied zu geben, dass ein ganzer Bereich m�glicher Zwecke f�r den Gel�hmten weggefallen ist. Die Zahl der Wahlm�glichkeiten, die der Gel�hmte hat, ist offensichtlich geringer. Ein analoger Fall w�re ein Mensch, der weiss, dass er nur noch 10 Minuten zu leben hat, und f�r den daher z. B. der Entwurf, am folgenden Tag eine Stunde fr�her aufzustehen, sinnlos ist. - Selbst wenn man Sartre zustimmt, dass es Wahlm�glichkeiten geben muss, damit es Wahlfreiheit geben kann, scheint die Zahl der Wahlm�glichkeiten grosse Unterschiede zuzulassen, die man vielleicht doch zur Definition unterschiedlicher Freiheitsgrade verwenden k�nnte.

F�r die Wahlfreiheit ist es - so Sartre - nicht nur n�tig, dass es Wahlm�glichkeiten gibt, sondern auch dass deren Realisierung nicht unmittelbar erfolgen kann. Anderenfalls w�re man auf einer traumhaften Ebene - das Setzen eines Zwecks kann mit der Realisierung des Zwecks nicht identisch sein, sonst verliert der Begriff "Zweck" seinen Sinn: "[...] denn wenn die Zwecke, die ich verfolge, durch rein willk�rliches W�nschen erreicht werden k�nnten, wenn es gen�gte, zu w�nschen, um zu erhalten, und wenn keine definierten Regeln den Gebrauch der Utensilien bestimmten, k�nnte ich nie in mir den Wunsch vom Willen, das Ertr�umen vom Handeln, das M�gliche vom Wirklichen unterscheiden."

Sartre pr�gt f�r den notwendigen "Bruch zwischen der blo�en Konzeption und der Realisation" den Begriff "Widrigkeitskoeffizient": "Ein freies F�r-sich kann es nur als engagiert in eine Widerstand leistende Welt geben." - "Ohne Hindernisse keine Freiheit."

Der Widrigkeitskoeffizient f�hrt nun zu einer besonderen Schwierigkeit: Ob mir ein Ding als Hindernis oder als Hilfe erscheint, h�ngt von meiner Zwecksetzung ab. Der Felsblock, der den Weg versperrt, tut das nur, wenn ich die Absicht habe, auf die andere Seite zu gelangen. Falls meine Absicht dagegen darin besteht, mir einen m�glichst guten �berblick �ber die Landschaft zu verschaffen, ist der Felsblock nicht nur kein Hindernis, sondern sogar eine Hilfe, da ich mein Ziel realisieren kann, indem ich ihn besteige. - Trotzdem kann ich auch in letzterem Fall den Plan aufgeben und sagen, dass der Felsblock "zu schwierig zu besteigen" ist. Ist dieses "zu schwierig zu besteigen" eine Eigenschaft des Felsblocks an-sich oder lediglich ein Resultat meiner Zwecksetzung (in diesem Falle des Umstandes, dass mir das Ziel nicht wichtig genug ist - wobei seine Wichtigkeit nat�rlich von meinem Grundentwurf abh�ngt)?

Sartre glaubt, dass beides der Fall ist, dass es mir aber unm�glich ist, die beiden Komponenten des Widrigkeitskoeffizienten zu unterscheiden. Die Widrigkeit des Felsblockes hat eine Wurzel im Sein-an-sich, ich bin aber prinzipiell nicht f�hig, sie isoliert zu erfassen. Warum? - Die Zwecke, die ich mir gesetzt habe, enth�llen sich mir erst in der Art, wie mir die Dinge der Welt erscheinen. Wenn die Besteigung des Felsblocks mir zu schwer ist, sagt mir das etwas �ber den Wert, den ich der Besteigung beimesse - und auf andere Weise kann ich diesen Wert gar nicht erfassen! - Sartre h�lt es f�r notwendig, die An-sich-Komponente der Widrigkeit anzunehmen, weil es mehrere M�glichkeiten geben kann, ein und denselben Zweck zu verwirklichen (z. B. zwei Felsen, auf die ich steigen k�nnte, um die Landschaft zu �berblicken). Wenn diese Mittel unterschiedliche Widrigkeitskoeffizienten aufweisen (der eine Fels z. B. schwerer zu besteigen ist als der andere) - kann das - da der Zweck ja identisch ist - nicht auf meinen Entwurf zur�ckgehen.

Stellen wir uns folgenden einfachen Fall vor: Ich plane einen l�ngeren Spaziergang, aber ein Blick aus dem Fenster belehrt mich, dass ein Unwetter bevorsteht. Achselzuckend gebe den Plan auf. - Zeigt dieses Beispiel nicht, dass mich Widrigkeiten zur Aufgabe meiner Entw�rfe zwingen k�nnen, und heisst das nicht, dass sie eine Einschr�nkung meiner Freiheit bedeuten? - Sartre bestreitet das: Zum einen weist er darauf hin, dass ausschlie�lich untergeordnete Entw�rfe der Widrigkeit der Umst�nde zum Opfer fallen k�nnen, aber nicht der in der Urwahl festgelegte Grundentwurf. Warum ist das so? Weil die Art, in der ich Widrigkeiten bewerte, selber vom Grundentwurf bestimmt wird. Sartres zweites Argument besagt, dass mich die Widrigkeiten nicht wirklich zur Aufgabe von Entw�rfen zwingen k�nnen. Es ist nicht wahr, dass ich nicht auch spazierengehen kann, wenn es st�rmt und regnet, und jemand mit einem von dem meinen abweichenden Grundentwurf k�nnte sich durch das schlechte Wetter sogar besonders motiviert f�hlen (z. B. aufgrund eines gewissen Masochismus).

 Lebendige und tote Vergangenheit

Das unentwirrbare Zusammenwirken von An-sich und Subjekt, das sich im Falle der Widrigkeit zeigt, weist - so Sartre - auf ein Paradox der Freiheit hin: Unsere Freiheit gibt es lediglich in einer bestimmten Situation, diese gibt es jedoch nur durch die Freiheit (weil unsere Zwecke bestimmen, wie uns die Welt erscheint). - Das Paradox existiert auch f�r die Vergangenheit als einem Aspekt unserer Situation: Nur wenn ich alles von der Vergangenheit abziehen k�nnte, was von meinen Entw�rfen abh�ngt, k�nnte ich zu einer reinen Vergangenheit an-sich gelangen. Diese stellt also ein unrealisierbares Ideal dar.

Sartre gibt ein Beispiel f�r die Art, wie uns die Vergangenheit immer interpretiert durch den gegenw�rtigen Entwurf erscheint: Jemand hat mit 30 Jahren ein Erweckungserlebnis, das ihn zu irgendeiner Variante strengen Glaubens f�hrt. Wenn dieser Mensch in seiner Pubert�t bereits eine religi�se Krise hatte, muss er diese jetzt als Vorspiel der Bekehrung wahrnehmen, und kann sie nicht z. B. als vor�bergehende Verwirrung aufgrund sexueller �ngste sehen. - Man k�nnte versucht sein, zu glauben, dass die Abstraktion einer reinen Vergangenheit leichter sein m�sste als die Abstraktion einer reinen Widrigkeit: Der Begriff der Widrigkeit setzt n�mlich Wertung voraus, und ist ohne einen Bedeutung verleihenden Entwurf schlicht sinnlos. Der Begriff einer "objektiven" Widrigkeit l�sst sich nur gewinnen, wenn man eine bestimmte Bewertung zur Norm macht. (So ist die Charakterisierung von Wanderwegen als "schwierig", wie man sie in Reisef�hrern antreffen kann, offenbar von einer bestimmten Annahme �ber die durchschnittliche Motiviertheit von Touristen abh�ngig, die als Norm fungiert.)

Meine Vergangenheit erh�lt durch meinen Entwurf ihren Sinn, aber kann ich diesen Sinn von den objektiven Ereignissen nicht relativ leicht abtrennen? Vermutlich w�rde Sartre sich hier auf den Unterschied der Bewu�tseinsebenen beziehen. Eine "objektive" Vergangenheit kann mir lediglich auf der reflexiven Ebene erscheinen, w�hrend meine Vergangenheit auf der pr�reflexiven Ebene v�llig von meinen Entw�rfen abh�ngt. Auf dieser Ebene "sucht" mich die Vergangenheit "heim", ohne dass sie thematisiert wird (sie bildet den "Hintergrund" meines Bewu�tseins und motiviert mich beispielsweise). - Und Sartre glaubt, dass die objektive, allgemeine Vergangenheit nur eine sekund�re Ableitung von der unreflektiert gegebenen darstellt (siehe Diskussion der Zeit).

Sartre unterscheidet im Hinblick auf ihre Einordnung in meinen aktuellen Grundentwurf tote und lebendige Vergangenheit: Lebend ist die Vergangenheit, wenn sie vom aktuellen Grundentwurf getragen und durch diesen permanent neu best�tigt wird (Beispiel: Eheschlie�ung). Tot ist sie, so k�nnen wir erg�nzen, wenn sie auf einen vergangenen Grundentwurf verweist, den ich in einer neuen Urwahl abgelegt habe. Ich nehme an, dass man Sartre korrekt interpretiert, wenn man die Heimsuchung durch die Vergangenheit auf der unreflektierten Ebene allein auf die lebendige Vergangenheit bezieht. - Bei einem erneuten Wechsel des Grundentwurfs k�nnen tote Bestandteile der Vergangenheit pl�tzlich wieder lebendig werden, so dass der Sinn der Vergangenheit niemals endg�ltig festgelegt ist (auch nicht mit meinem Tode, da meine Vergangenheit ihren Sinn dann aus den Entw�rfen der Anderen bezieht).

Sartre konstatiert, dass sich dieses Ph�nomen auch f�r die kollektive Vergangenheit zeigen l�sst. So wurde die Unterst�tzung, die Frankreich den USA w�hrend des Unabh�ngigkeitskrieges gew�hrte, durch den Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg auf Seiten der Entente wieder lebendig, w�hrend sich dieselbe historische Tatsache im Falle eines Eintritts auf Seite der Mittelm�chte zum toten Fragment gewandelt h�tte. Analoges findet man in der deutschen Nachkriegsgeschichte: So mutierten die Bauernkriege f�r die DDR-Ideologie zu einem Vorspiel des Sozialismus, w�hrend andererseits grosse Teile der deutschen Geschichte f�r das kollektive gesamtdeutsche Bewu�tsein mit dem Ende des 2. Weltkrieges pl�tzlich tot waren. Nur von der lebendigen Vergangenheit kann man sagen, dass sie sich in Kontinuit�t zur Gegenwart befindet. - Herausragende Ereignisse der lebendigen Vergangenheit bezeichnet Sartre als "Monumente".

 Das Sein-f�r-Andere als �u�ere Grenze der Freiheit

Sartre besch�ftigt sich nun mit den scheinbaren Begrenzungen meiner Freiheit, die sich aus der Tatsache ergeben, dass ich in einer von Mitmenschen bev�lkerten Welt lebe. Wir erinnern uns an die Situation des "Blicks", die mit dem Erscheinen meines Seins-f�r-Andere einhergeht, und daran, dass dieses Sein-f�r-Andere von mir nicht kontrolliert werden kann (allerdings eliminiert, indem ich den Anderen meinerseits verobjektiviere). - Obwohl Sartre darauf insistiert, dass die Freiheit lediglich durch sich selbst begrenzt werden kann, behauptet er, dass das Sein-f�r-Andere eine "faktische, reale" Begrenzung meiner Freiheit darstellt. - Wie l�sst sich beides miteinander vereinbaren? - Der wesentliche Punkt ist hier, dass das, was meine Freiheit begrenzt, eine andere Freiheit ist: Die Freiheit wird also immer noch nur durch sich selbst begrenzt.

Aber war die nur durch sich selbst begrenzbare Freiheit, von der Sartre bislang sprach, nicht die Freiheit eines Einzelnen, w�hrend der Begriff hier offensichtlich sowohl meine Freiheit als auch die des Anderen umfasst? Sartres Ausdrucksweise ist hier etwas irref�hrend. - Die Sache wird klarer, wenn wir h�ren, dass es sich bei der Wahrnehmung durch Andere lediglich um eine �u�ere Grenze meiner Freiheit handelt, die meine eigentliche Freiheit nicht tangiert, da ich auch dieser �u�eren Grenze gegen�ber noch v�llig frei bin. Ich kann mich n�mlich entscheiden, ob ich in der Situation des "Angeblicktwerdens" verbleibe, oder durch meinerseitiges "Anblicken" des Anderen daraus ausbreche.

Und auch wenn ich mein Sein-f�r-Andere �bernehme, bin immer noch ich es, der dar�ber entscheidet, in welcher Form das geschieht. Die �u�ere Grenze meiner Freiheit setzt sich meine Freiheit also selbst. - Die �bernahme des Seins-f�r-Andere kann �brigens - so Sartre - auch durch Ablehnung geschehen: Wenn ich als Jude das mir vom Antisemiten verliehene Jude-Sein w�tend leugne, habe ich es noch nicht zum Verschwinden gebracht, sondern erkenne es dadurch an, dass ich eine Stellung zu ihm beziehe. Erst, wenn ich den Antisemiten zum Gegenstand meines "Blicks" mache, l�st es sich auf (so dass in diesem Falle auch mein Zorn verschwindet). - Man denke hier daran, wie leicht man eine Beleidung nimmt, wenn man den �u�ernden als determiniert wahrnimmt, z. B. als psychisch krank oder als Opfer einer ung�nstigen famili�ren Pr�gung. (Umgekehrt sollte man beunruhigt sein, wenn eigenes Fehlverhalten von Anderen nicht mehr saktioniert wird. Die Gleichg�ltigkeit weist darauf hin, dass man f�r sie nur noch Objekt ist.)

In diesem Zusammenhang f�hrt Sartre den Begriff der "Unrealisierbaren" ein. Unrealisierbar ist mein Sein-f�r-Andere, da ich es nicht intuitiv erfahren kann. Ich kann mich nicht als Jude f�hlen, in dem Sinne wie der Antisemit mich "als Juden" sieht, obwohl ich die Merkmale dieses Seins erschlie�en kann. Auch die eigene Schuld ist ein Unrealisierbares, was Sartre zu einer interessanten Interpretation des schlechten Gewissens f�hrt: Es entsteht nicht etwa durch meine Schuld als solche, sondern dann, wenn ich mich f�r schuldig halten will (weil ich die g�ngige Moral akzeptiere), es aber nicht kann. Die wirkliche Identifikation mit meinem Sein-f�r-Andere kann nicht gelingen und das schlechte Gewissen ist das Bewu�tsein dieses Scheiterns.

 Die Sprache als "Technik"

Es scheint meine Freiheit zu beeintr�chtigen, dass ich in einer Welt lebe, in der es zahlreiche Utensilien gibt, die nicht nur Utensilien f�r mich sind, sondern f�r eine gr��ere Anzahl von Menschen und deren Utensil-Charakter nicht von mir festgelegt wurde: Ihre Bedeutung steht bereits fest, ist objektive Eigenschaft dieser Dinge, bevor ich sie selbst verwende. So muss ein Auto auf bestimmte Weise bedient werden, um damit fahren zu k�nnen, es gibt eine Gebrauchsanweisung daf�r. Analoges gilt f�r das Strassennetz, das ich mit dem Auto befahre, f�r die gesamte gesellschaftliche Organisation, die dahintersteht und auch f�r die Sprache, die ich spreche.

Wenn ich mich �ber die f�r diese allgemeinen Utensilien geltenden Vorschriften hinwegsetze, kann ich sie nicht mehr nutzen und schr�nke meinen Handlungsspielraum stark ein. (Es wird mir nicht gelingen, mit einem Auto an einen bestimmten Ort zu gelangen, wenn ich Steuer und Pedale "kreativ" bediene oder die Strassenverkehrsordnung ignoriere.) - Sartre bezeichnet diese allgemeinen Utensilien als "Techniken". - Meine Zugeh�rigkeit zu den Kollektiven definiert sich �ber die Art der Techniken, die ich verwende. So bin ich z. B. Franzose, weil ich franz�sisch spreche und auf franz�sische Art Ski fahre (was immer das ist), w�hrend ich zur Menschheit geh�re, weil ich �berhaupt eine Sprache spreche und Dinge als Werkzeuge verwende. Ich werde in solche Kollektive hineingeboren, und das heisst, in den Bereich bestimmer Vorschriften, wie "man" etwas macht.

Das Nichtbefolgen der Vorschriften reduziert meinen Handlungsspielraum, das Befolgen der Vorschriften jedoch auch: Zwar kann ich viele Zwecke leichter verwirklichen, wenn ich mich in die gesellschaftliche Organisation einf�ge, doch dieser Vorteil kann sich in bestimmten F�llen in einen Nachteil verwandeln, n�mlich z. B. wenn ich eingezogen und in den Krieg geschickt werde (eine Erfahrung, die Sartre mit weiten Teilen seiner damaligen Leserschaft teilte). - Sind die gemeinsamen Utensilien und ihre Gebrauchsanweisungen also in beiden F�llen fatal f�r meine Freiheit? - Sartre ist nat�rlich nicht dieser Ansicht. Er versucht eine Kl�rung, indem er sich einer bestimmten Technik zuwendet, n�mlich der Sprache.

Ich hatte zu Beginn gesagt, dass Sartre kein Sprachphilosoph ist: Sartre lehnt es ab, der Sprache eine besondere philosophische Bedeutung zu geben. In seiner Analyse der menschlichen Verhaltensweisen unterscheidet er die Sprache nicht von anderen Formen des menschlichen Ausdrucks. Hier wiederum betrachtet er die Sprache als eine menschliche Technik unter anderen, f�r die philosophisch nur das gilt, was f�r alle Techniken gilt. (Philosophische Theorien, die Sprache ernster nehmen sind z. B. die Auffassung, dass die Sprache unsere Wahrnehmung der Realit�t bestimmt, oder die Auffassung, dass philosophische Probleme aller Art auf ein Missverstehen des Sprachgebrauchs zur�ckgehen.) �brigens scheint Sartre von den Funktionen der Sprache lediglich Ausdruck und Bezeichnung zu kennen.

Sartre wendet sich gegen die These, dass es objektive Sprachgesetze gibt, denen der Mensch sich wie Naturgesetzen unterordnen muss. - Die Linguistik unterscheidet zwei Arten von Sprachgesetzen, n�mlich die Gesetze eines Sprachsystems zu einem bestimmten Zeitpunkt, aus denen sich z. B. ergibt, dass "Milch mir Zucker!" in der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts keine Verwendung hatte, obwohl der Ausdruck aus damals gebr�uchlichen deutschen W�rtern besteht, und die Gesetze der Sprachentwicklung, aufgrund derer man z. B. prognostizieren kann, dass der Genitiv aus dem Deutschen verschwinden wird, falls es die Sprachpuristen nicht verhindern. - Sartre h�lt es f�r falsch, die Gesetze beider Kategorien so zu interpretieren, als determinierten sie unser sprachliches Verhalten: Denn was liegt sprachlichen Gesetzen wirklich zugrunde?

Sartres Antwort lautet: Der Mensch, der spricht. Die Sprechhandlung ist das Prim�rph�nomen der Sprache, und sie geht auf Wahlfreiheit zur�ck. Da nun - so Sartres Argumentation - sich die Gesetze der Sprache erst aus dem freien Handeln der Sprecher ergeben, k�nnen sie die Handlungen der Sprecher nicht determinieren. - Das Verh�ltnis sprachlicher Gesetze zum Sprechen kann also nicht mit z. B. dem Verh�ltnis des Gravitationsgesetzes zur menschlichen Fortbewegung verglichen werden: Die Fortbewegung wird in bestimmter Weise durch die Gesetze der Schwerkraft determiniert (ein Mensch, der spazierengeht, muss sich diesen Gesetzen unterordnen, kann sie dadurch allerdings auch instrumentalisieren), aber Menschen, die sich bewegen, bringen diese Gesetze dadurch nicht hervor. Genau das ist aber der Fall, wenn Menschen sprechen!

Doch Sartre f�hrt uns offenbar irre, wenn er suggeriert, dass anderenfalls eine Einschr�nkung meiner Freiheit vorliegen w�rde - sonst w�re n�mlich auch die Gravitation eine Einschr�nkung meiner Wahlfreiheit. Man kann sich vorstellen, dass Menschen ausschliesslich eine angeborene Sprache mit strenger und unver�nderlicher Syntax sprechen: Heisst das, dass die Sprechakte dieser Menschen, weil hier ein Satz nicht "die freie Erfindung seiner Gesetze" ist, auch nicht auf freie Wahl zur�ckgehen w�rden? Ich glaube kaum. Ich kann Gesetze (wie die Sprachgesetze) in meinen freien Handlungen instrumentalisieren, gleichg�ltig, ob diese Gesetze wie Naturgesetze �u�erlich fixiert sind oder durch mein freies Handeln m�glicherweise eine �nderung erfahren. - Wirklich im Gegensatz zu Sartre steht dagegen eine Auffassung, nach der alles Verhalten eines Menschen durch sprach�hnliche Strukturen determiniert ist, deren Gesetze beschrieben werden k�nnen und die dem Verhaltenden nicht bewu�t sind. (Solche Thesen werden von Denkern "neostrukturalistischer" Ausrichtung vertreten.)

Sartre erw�hnt noch ein Problem, das sich aus dem Verh�ltnis von Denken und Sprechen ergibt: Wenn ich spreche, muss ich meine Gedanken kennen, damit ich sie ausdr�cken kann. Aber wie soll ich meine Gedanken anders kennenlernen, als dadurch, dass ich sie ausspreche? Die Sprache f�hrt also auf das Denken zur�ck, das Denken aber wiederum auf die Sprache, was auf einen Zirkel hinausl�uft. - Sartre erhebt nicht den Anspruch, diesen Zirkel aufzul�sen, sondern erkl�rt ihn zu einer besonderen Form des Paradoxes der Freiheit: Dieses besteht - wie wir uns erinnern - darin, dass mir die Situation als durch meine Zwecke gepr�gt erscheint, die Situation aber der Ausgangspunkt f�r die freie Wahl meiner Zwecke ist. Situation und Wahl verweisen in ihrer Beziehung auf das jeweils andere Glied. - Sartre dr�ckt das hier so aus: Ich bestimmte das Existierende (die Situation) durch das Nicht-Existierende (den Zweck) und das Nicht-Existierende wiederum durch das Existierende. - Wo liegt nun die Analogie zum Zirkel Sprache/Denken? - Ich vermute, dass Sartre folgendes im Auge hat: Der vorsprachliche Gedanke ist Teil der Situation, der Zweck wiederum entspricht dem zu �u�ernden Satz (vor seiner �u�erung).

Wie erw�hnt, betrachtet Sartre die Sprache hier nur als Beispiel f�r alle menschlichen Techniken. F�r sie alle gilt, dass eine Technik erst im konkreten Handeln der Einzelnen entsteht und schon deswegen unsere Freiheit nicht beeintr�chtigen kann. Er verweist ausserdem darauf, dass das Anwenden einer Technik in der konkreten Situation vom Anwender nicht als solches erfasst werden muss, sondern im Regelfall f�r ihn einfach Handeln in Bezug auf einen bestimmten Zweck ist. (Ich erfasse mich nicht als "die Technik des H�mmerns anwendend", sondern schlage einfach einen Nagel ein.) Die Technik als ein Objekt erscheint erst, wenn ich w�hrend meines Tuns "angeblickt" werde und existiert dann lediglich f�r den Anderen. Wenn das der Fall ist, kann sich der Beobachter frei entscheiden, ob und f�r welche Zwecke er eine Technik �bernimmt. - Sartre zieht das Res�mee, dass die Techniken keine Selbst�ndigkeit gegen�ber dem Menschen haben, gleichg�ltig ob ich sie als Objekte erfasse oder unreflektiert aus�be.

Man k�nnte auf den Gedanken kommen, dass ein Mensch der Steinzeit weniger frei war als ein Mensch des 20. Jahrhunderts, weil die Zahl der ihm zur Verf�gung stehenden Techniken vergleichsweise klein war. Sartre bestreitet das: Welche Techniken es gibt, ist Eigenschaft der Welt, in der ich lebe, und diese ist der notwendige Ausgangspunkt meiner freien Wahlen. Ob es viele oder wenige Techniken gibt, ist f�r meine Freiheit ihnen gegen�ber gleichg�ltig: Die Welt eines Steinzeitmenschen war genauso vollst�ndig wie die Welt eines modernen Menschen und erscheint erst in der R�ckschau als mangelhaft.

 Der Tod

Man sollte meinen, dass zumindest der Tod doch eine unbestreitbare Grenze meiner Freiheit darstellt. - Doch bevor Sartre zu diesem Thema kommt, setzt er sich zun�chst mit Heideggers Auffassung vom Tod auseinander. In Heideggers Philosophie spielt der Tod eine entscheidende Rolle, da er es dem Menschen erm�glicht, zur "Eigentlichkeit" (Heideggers Version des Authentizit�ts-Ideals) zu gelangen: Die totale Individualit�t ("Jemeinigkeit") meines Todes, die ich �ber die Angst erfahre, kann mich dazu bringen, mein ganzes Leben als individuell zu erkennen und mich so dem "Man" zu entziehen (der Existenz als Jedermann). - Die Individualit�t meines Todes dr�ckt sich f�r Heidegger darin aus, dass niemand mir mein Sterben abnehmen kann.

An diesem Punkt setzt Sartres Gegenargumentation an: Er verweist auf den Umstand, dass es in einem bestimmten Sinne durchaus m�glich ist, f�r einen anderen Menschen zu sterben (wenn sich z. B. ein Leibw�chter in die Schussbahn einer Kugel wirft, die f�r seinen Klienten bestimmt war, und so diesem sein Sterben abnimmt), w�hrend es in einem anderen Sinne zwar wirklich unm�glich ist, dass ein Anderer meinen Tod hat, aber nur in dem banalen logischen Sinne, in dem es auch unm�glich ist, dass ein Anderer meine Emotionen hat. - Sartre schlussfolgert daraus, dass der Tod gleichrangig mit anderen Ph�nomenen des menschlichen Lebens ist, und zu meiner Individualisierung genauso viel oder wenig beitragen kann, wie diese. Wenn ich die Individualit�t meines Todes angstvoll erfahre, setzt das bereits voraus, dass ich mich als Individuum erfasst habe.

Heideggers Auffassung geht weiter: Meine Eigentlichkeit (wenn ich zu selbiger gelangt bin) besteht wesentlich darin, dass ich mich auf den Tod hin entwerfe und das l�uft - so Sartre - darauf hinaus, dass ich den Tod in meine Pl�ne integriere und ihn erwarte. Aber kann der Tod �berhaupt erwartet werden? Sartre leugnet das f�r den Normalfall. Nur f�r besondere Situationen, in denen der Zeitpunkt meines Todes klar absehbar ist (z. B. vor meiner Hinrichtung) kann von einer Erwartung des Todes gesprochen werden, in allen anderen F�llen ist der Tod etwas, auf das ich nur gefa�t sein kann. - Sartre illustriert den Unterschied zwischen Erwartung und Gefa�tsein mit dem Beispiel Bahnfahren: Ich kann auf einen Zug warten, aber nicht auf die unvorhergesehene Versp�tung des Zuges (auf diese kann ich lediglich gefa�t sein).

Sartre ist sich bewu�t, dass diese Charakteristik des Todes nur in Abh�ngigkeit von den jeweiligen Zeitumst�nden gilt: Die Dinge l�gen anders, wenn Menschen nur an Altersschw�che oder durch Hinrichtung sterben w�rden. - F�r Sartre, der "Das Sein und das Nichts" als Soldat und im Kriegsgefangenenlager konzipierte, war die Unvorhersehbarkeit des Todes ein dominanterer Aspekt als f�r seinen europ�ischen Leser zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Der Tod kann also nicht daf�r verwendet werden, dem Leben einen Sinn zu verleihen. Er ist nach Sartres Auffassung nur das Ende meiner M�glichkeiten und als solches absurd. Er durchkreuzt meine Pl�ne und kann nicht in sie einbezogen werden, wie Heidegger es suggeriert. - Doch dies gilt wieder nur im Regelfall, da es nat�rlich m�glich ist, dass ich mich auf einen bestimmten Tod hin entwerfe, wie es z. B. ein M�rtyrer tut oder ein Selbstm�rder. - Kann der Tod wenigstens in diesen F�llen dazu beitragen, meinem Leben einen Sinn zu geben? Leider gleichfalls nicht, da ein Selbstmord (oder ein freiwillig auf sich genommenes Martyrium, das man als eine Art Quasi-Selbstmord auffassen kann) eine Handlung ist. Der Sinn einer Handlung bestimmt sich aber - wie wir gesehen haben - aus der R�ckschau und ist selbst dann nur provisorisch, da er sich durch �nderung meiner Urwahl pl�tzlich ver�ndern kann. - Mein Selbstmord k�nnte einen solchen vorl�ufigen Sinn f�r mich folglich nur dann gewinnen, wenn ich ihn �berleben w�rde, ansonsten bleibt ihm lediglich der Sinn, der ihm von Anderen verliehen wird (und der nat�rlich genauso provisorisch ist). - Und wenn die Handlung des Selbstmordes keinen Sinn f�r mich haben kann, kann sie auch meinem Leben keinen Sinn verleihen.

In diesem Zusammenhang charakterisiert Sartre das Verh�ltnis der Lebenden zu den Toten: Da der Sinn des Lebens der Verstorbenen nur noch ein Sinn f�r die Lebenden ist, konstatiert Sartre eine Verantwortung der Lebenden f�r die Toten (was nicht moralisch gemeint ist). Durch Vergessen kann die pers�nliche Existenz der Toten verschwinden - sie l�st sich in Kollektiven auf ("die grossen Feudalherren des 13. Jahrhunderts"). - Wir hatten gesehen, dass der "Blick" eine momentane Entfremdung meiner Person bewirkt, da diese pl�tzlich zum Objekt f�r Andere wird. Der Tod treibt diese Entfremdung auf die Spitze, da der Tote nicht mehr die M�glichkeit hat, "zur�ckzublicken". Sein Objekt-Sein f�r die Anderen ist alles, was von ihm bleibt.

Sartre bestreitet, dass der Tod - wie Heidegger meint - ontologische Relevanz hat: Es handelt sich bei ihm um ein kontingentes Faktum (ich k�nnte in eine Welt geworfen sein, in der niemand stirbt ohne dass das die ontologische Natur meines F�r-sich �ndern w�rde). Heideggers Irrtum ergibt sich seiner Meinung nach aus der Verwechslung von Tod und Endlichkeit: Endlich ist der Mensch nicht, weil er sterblich ist, sondern weil er in seinen Entw�rfen eine M�glichkeit aus vielen herausgreifen muss und diese Entscheidung nicht r�ckg�ngig gemacht werden kann (ob das Heideggers Auffassung gerecht wird, lasse ich dahingestellt).

Sartre nimmt zu der Frage eines m�glichen Lebens nach dem Tode nicht Stellung, sondern verweist nur darauf, dass die Philosophiegeschichte von einer Sichtweise, die den Tod von seiner anderen Seite aus betrachtete (vom Todeszustand aus) zu einer Sichtweise �bergegangen ist, die den Tod ausschlie�lich von der Seite des Lebens aus, als dessen Grenze erfasst. - Man kann hier Sartre vielleicht insofern erg�nzen, als die Frage eines Lebens nach dem Tod f�r seine Auffassung keine Rolle spielen kann, da ein Leben nach dem Tod einfach bedeuten w�rde, dass der Tod als Ende der M�glichkeiten noch nicht eingetreten ist. Der Ausdruck "Leben nach dem Tod" ist eine Metapher und bezieht sich auf die M�glichkeit, dass die Vernichtung unseres K�rpers nicht mit dem Tode des Bewu�tseins zusammenf�llt (und der Tod bei Sartre ist nat�rlich der Tod des Bewu�tseins).

Wir haben bis jetzt die Frage noch nicht beantwortet, ob der Tod eine Beschr�nkung meiner Freiheit darstellt. Sartre konstatiert, dass der Tod zwar eine faktische Grenze f�r mich bildet, dass diese Grenze aber von mir nicht realisiert werden kann - ich kann ihr n�mlich nie begegnen: "Da er das ist, was immer jenseits meiner Subjektivit�t ist, gibt es keinen Platz f�r ihn in meiner Subjektivit�t." Folglich handelt es sich dabei nicht um eine Grenze meiner Freiheit. - Diese Bemerkung Sartres l�uft in dieselbe Richtung wie andere klassische Ausspr�che zum Tod: Am bekanntesten ist das Diktum Epikurs, nach dem wir uns �ber unseren Tod nicht beunruhigen m�ssen, da er nicht da ist, solange wir da sind, und da wir nicht mehr da sind, wenn er da ist. Dasselbe dr�ckt Wittgenstein im "Tractatus" aus: Unser Leben ist so unendlich, wie unser Gesichtskreis ist (denn unser Blickfeld verliert sich an den R�ndern nur im Unscharfen, endet aber nicht). Und der sp�te Brecht beruhigte sich �ber seinen absehbaren Tod mit der Feststellung, dass ihm ja nichts fehlen k�nne, vorausgesetzt, er selber fehle.

 Situation und Verantwortlichkeit

Die Situation ist meine Faktizit�t, so wie sie sich f�r mich darstellt und das heisst, im Hinblick auf meine Zwecke. Die Situation ist also die durch mich bewertete Faktizit�t, wobei ich aufgrund des Paradoxes der Freiheit die Wertungskomponente nicht von der reinen Faktizit�t trennen kann (wir k�nnen erg�nzen, dass der Begriff einer "objektiven" Faktizit�t f�r Sartre eine sekund�re Ableitung darstellt - vergleichbar mit dem wissenschaftlichen Weltbegriff, der nicht auf einen Standpunkt bezogen ist -, w�hrend die Situationen der Individuen das Prim�re sind). Im Hinblick auf diese Untrennbarkeit kann Sartre davon sprechen, dass die Situation "weder objektiv noch subjektiv" ist, sondern eine Synthese aus beidem darstellt.

Im strengen Sinne ist es nicht m�glich, mir eine Verantwortung f�r meine Faktizit�t zu unterstellen: Ich bin z. B. nicht daf�r verantwortlich, als Deutscher geboren zu sein. (Die Einschr�nkung "im strengen Sinne" ber�cksichtigt den Umstand, dass sich Sartre aus Gr�nden der Pointierung gelegentlich anders ausdr�ckt.) Im Gegensatz dazu ist meine Verantwortung f�r die Situation total: Ich bin allein verantwortlich f�r das, was ich aus meinem "In-Deutschland-geboren-sein" mache. (Ich weise noch einmal darauf hin, dass "Verantwortung" nicht "moralische Verantwortung" meint. Sartre definiert die Verantwortlichkeit hier als "sich bewu�t sein, dass man der Urheber ist".)

Aus dieser Verantwortlichkeit f�r die Situation zieht Sartre eine radikale Konsequenz: Er spricht dem Menschen das Recht ab, sich �ber eine Situation zu beklagen, gleichg�ltig, wie fatal sie ist. Wie kommt er dazu? Die Antwort lautet, dass alles, was an einer Situation zum Sich-Beklagen anregen kann, auf einer vorangegangenen Wertung unsererseits basieren muss und das heisst (da unsere Wertungen ja mit unseren Zwecken korrelieren) auf unserer freien Wahl. - Sartre illustriert das mit einem Beispiel, das auf reale Diskussionen mit seinen Armee-Kameraden zur�ckgeht: Ich bin eingezogen worden und befinde mich aufgrund dessen als aktiver Kriegsteilnehmer in Lebensgefahr. Ich klage daher das Schicksal an, dass es mich in diese Situation gebracht hat. - Doch warum ist es schrecklich f�r mich, in Lebensgefahr zu sein? Weil ich meinem Leben einen h�heren Wert erteilt habe als dem Zweck meines Kriegseinsatzes. Ich h�tte mich auch daf�r entscheiden k�nnen, den Sieg h�her zu sch�tzen als mein Leben. In diesem Falle w�re die Lebensgefahr eine Widrigkeit, die mit der Realisierung eines bestimmten Zwecks verbunden ist. - Man kann noch weiter gehen: Ich k�nnte meinem Leben sogar jeden Wert absprechen und daher den Krieg willkommen heissen, da er mir erlaubt, mich seiner zu entledigen, ohne zum Mittel des Selbstmordes greifen zu m�ssen (das ich vielleicht aus moralischen Gr�nden ablehne). Die Lebensgefahr w�re in diesem Fall noch nicht einmal mehr widrig, sie w�re im Gegenteil ein Hilfmittel f�r das Erreichen meines Zwecks.

Sartre charakterisiert die ad�quate Haltung eines Menschen, der diese Wahrheit verinnerlicht hat: "Wer in der Angst seine Lage realisiert, in eine Verantwortlichkeit geworfen zu sein, die sich bis zu seiner Geworfenheit zur�ckwendet, kennt weder Gewissensbisse noch Bedauern, noch Entschuldigungen mehr; er ist nur noch eine Freiheit, die sich als v�llig sie selbst entdeckt und deren Sein auf eben dieser Entdeckung beruht. Aber, wir haben zu Beginn dieses Buchs darauf hingewiesen, die meiste Zeit fliehen wir vor der Angst in die Unaufrichtigkeit." - Dass sich die Verantwortlichkeit auch auf die "Geworfenheit" erstreckt, spielt auf das Faktum meiner Geburt an, insofern meine Geburt Teil meiner Situation ist (wie erw�hnt, bin ich f�r das Faktum der Geburt nicht verantwortlich, aber f�r alles, was meine Geburt f�r mich ist). - Wir k�nnen �brigens davon ausgehen, dass der so beschriebene Mensch das Ideal der Authentizit�t erreicht hat. Ich werde am Ende meines Textes auf dieses Ideal zur�ckkommen.

 Existentielle Psychoanalyse: Erkl�rung aus dem Grundentwurf

Zu Beginn seiner Behandlung der existentiellen Psychoanalyse - was das ist, werden wir gleich sehen - res�miert Sartre noch einmal die Differenz zwischen der in der Psychologie und Psychoanalyse seiner Zeit verbreiteten Interpretation der Begierden und seiner eigenen. Begierden werden �blicherweise als Erkl�rung f�r menschliches Verhalten benutzt, wobei man zwei Grundannahmen macht: Zum einen, dass Begierden eine Art seelischer Entit�ten darstellen, und als solche ausreichend beschrieben sind und zum anderen, dass die menschlichen Begierden nach bestimmten Gesetzm��igkeiten auseinander hervorgehen, n�mlich konkrete Begierden aus abstrakteren.

Wir k�nnen an einem Beispiel zeigen, wie eine solche Erkl�rung aussehen kann: X verdient mit legaler Arbeit mehr Geld, als er ausgeben kann, hinterzieht aber ausserdem noch Steuern - man erkl�rt das mit seiner �berm�ssigen Geldgier. Doch warum ist X so geldgierig, aber nicht Y, der genauso viel verdient wie X, seine Steuern aber zahlt? Das liegt sicherlich daran, dass X im Unterschied zu Y ein �bersteigertes Bed�rfnis nach Anerkennung hat (was nat�rlich voraussetzt, dass es Leute gibt, die das wahre Einkommen von X kennen und davon beeindruckt sind). Der Drang, Steuern zu hinterziehen wird also mit der Gier nach Geld erkl�rt, und diese wiederum mit der Begierde nach Anerkennung. - Was ist daran unbefriedigend? - Sartre f�hrt drei Argumente an: Zum einen kann die R�ckf�hrung des Konkreten auf das Abstrakte keine vollst�ndige Erkl�rung des Konkreten sein. Des weiteren ist der Punkt, an dem die Erkl�rung endet (im Beispiel bei dem Bed�rfnis nach Anerkennung, in der Freudschen Psychoanalyse bei der Libido) willk�rlich. Das dritte Argument bezieht sich auf das Bild der Begierde als einer psychischen Entit�t und legt dar, dass dieses Bild die Zweckbezogenheit einer Begierde ignoriert.

Das erste Argument wird verst�ndlich, wenn man sich vor Augen f�hrt, dass sich eine gegebene Geldgier von X keineswegs in einem Drang zur Steuerhinterziehung �u�ern muss. Es ist genauso gut denkbar, dass X sie durch viele bezahlte �berstunden befriedigt, oder dadurch, dass er sich eine Sturmhaube �berzieht und Banken �berf�llt. Die Individualit�t der konkreten Begierde f�llt bei der R�ckf�hrung auf das Abstrakte also unter den Tisch. Und je weiter die Erkl�rung ins Abstrakte aufsteigt, desto gr�sser wird der nicht erkl�rte Anteil des Konkreten! - Sartres zweites Argument gegen diese Art von Erkl�rungen fragt nach der Begr�ndung daf�r, dass ich in meiner Erkl�rung bei einer bestimmten abstrakten Begierde (hier die Begierde nach Anerkennung) stehenbleibe. Warum sollte es keine weitere, noch abstraktere Begierde geben?

Das Argument macht nat�rlich lediglich Sinn, wenn man in der Lage ist, einen plausiblen Endpunkt der psychologischen Erkl�rung anzubieten - anderenfalls k�nnte die Reaktion einfach in dem Verweis auf den gegenw�rtigen Stand der Forschung bestehen, die eben nur bis zu dieser Abstraktheitsebene vorgedrungen ist. Und in der Tat glaubt Sartre, einen solchen Endpunkt in seiner ph�nomenologisch-ontologischen Beschreibung des F�r-sich gefunden zu haben. - Erinnern wir uns daran, dass die Begierde schon Gegenstand einer Untersuchung war: Sartre hatte herausgestellt, dass Begierden nur durch andere Begierden erkl�rt werden k�nnen und dass die letzte, nicht mehr weiter r�ckf�hrbare Begierde auf den Seinsmangel des F�r-sich verweist - den fundamentalen Mangel des Bewu�tseins, das sich als unvollst�ndiges Sein erfasst und dessen grundlegender "Wert" daher in der An-sich-F�r-sich-Werdung besteht. Die Begierde nach dem "Wert" ist ontologisches Merkmal des Bewu�tseins und daher allen Menschen gemein.

Doch widerspricht der Umstand, dass alle Menschen den "Wert" anstreben, nicht der Wahlfreiheit? Denn offenbar gibt es dann mindestens einen Entwurf, der nicht frei gew�hlt wurde. - Sartre entgegnet auf diesen Einwand, dass der Entwurf, den "Wert" zu realisieren (nicht zu verwechseln mit dem Grundentwurf / Prim�rentwurf!) die konkreten Zwecke, die wir uns setzen, nicht etwa vorschreibt, sondern nur ihr "Sinn" ist. Es handelt sich, so k�nnte man sagen, um eine Metastruktur, die allen freien Entscheidungen zugrundeliegt, sie aber nicht determiniert. - Doch die Begierde nach dem "Wert" kann aufgrund ihrer Allgemeinmenschlichkeit nicht daf�r benutzt werden, konkrete Begierden und Verhaltensweisen eines Menschen zu erkl�ren: Es kann sich bei ihr nicht um den gesuchten Endpunkt der Erkl�rung handeln. Dieser Endpunkt ist zwar gleichfalls ein Entwurf, aber nicht der Entwurf hinter allen Entw�rfen, sondern sozusagen in der Hierarchie unmittelbar nachfolgende, der Grundentwurf.

Der Grundentwurf eines Individuums betrifft die allgemeinste Methode, mit der dieses Individuum den "Wert" zu verwirklichen sucht. Wir hatten gesehen, dass der Grundentwurf z. B. der Entwurf sein kann, das An-sich-F�r-sich dadurch zu erreichen, dass man mit dem An-sich zu verschmelzen versucht. Dieser Grundentwurf �u�ert sich dann vielleicht in einem Bed�rfnis nach sportlicher Bet�tigung, die das K�rpergef�hl steigert. Ein anderer Grundentwurf, den Sartre erw�hnt hatte, ist der Entwurf, das An-sich-f�r-sich durch Identifikation mit dem Sein-f�r-Andere zu erreichen: In diesem Falle wird der Betreffende keinen Wert auf sein K�rpergef�hl legen, aber starken Wert auf Kommunikation mit Anderen, da es deren Bild von ihm ist, mit dem er identisch werden will. - (Wenn man diese Beispiele betrachtet, dr�ngt sich der Gedanke auf, dass die Zahl der m�glichen Grundentw�rfe sehr klein sein muss. Doch Sartre geht im Gegenteil von einer Vielzahl aus.)

Ist die R�ckf�hrung von konkreten Begierden auf den Grundentwurf frei von den drei M�ngeln, die Sartre der traditionellen Methode unterstellt? Dass nach Sartres Auffassung die Begierde keine psychische Entit�t ist, die keinen Bezug zur Welt hat, steht ausser Frage: Die Begierde definiert sich durch den angestrebten Zweck. Und man kann auch sagen, dass der Grundentwurf sich von den sonst zur Erkl�rung von konkreten Begierden angef�hrten Grundtrieben wie z. B. der Libido dadurch unterscheidet, dass er (wenn man Sartres Ontologie akzeptiert) notwendiger Endpunkt der Erkl�rung sein muss: Hinter dem Grundentwurf steht nur noch der Seinsmangel, der allen Menschen gemeinsam ist, so dass es sich bei ihm um den Ausgangspunkt aller individuellen Begierden handeln muss.

Doch wie steht es um den "Abstraktionsverlust", d. h. um die Tatsache, dass jede Erkl�rung des Konkreten aus dem Abstrakten unvollst�ndig ist, da sie die individuellen Merkmale des Konkreten ignoriert? Ist Sartres Grundentwurf nicht gleichfalls ein h�chst abstraktes Konzept - muss sich z. B. der Drang nach Verschmelzen mit dem An-sich unbedingt in einer Begierde nach Leibesert�chtigung �u�ern? - Doch Sartre meint folgendes: Der Grundentwurf befindet sich nicht in abstrakter Ferne zu den konkreten Handlungen der Menschen, sondern "dr�ckt sich in jeder von ihnen ganz aus". Wir erinnern uns, dass jede Handlung den Grundentwurf �ndern k�nnte (eine Entscheidung, die dem Grundentwurf widerspricht, bedeutet unmittelbar eine neue Urwahl). Die Urwahl ist keine erste Entscheidung, die allen konkreten Entscheidungen voranliegt, sondern jede Entscheidung will letztlich den Zweck der Urwahl realisieren und setzt diesen Zweck neu.

 Existentielle Psychoanalyse vs. klassische Psychoanalyse

Das Ziel der existentiellen Psychoanalyse besteht darin, aus den konkreten Handlungen / Begierden eines Menschen seine Urwahl zu ermitteln. Dieses Ziel kann sich die Psychoanalyse nicht selbst geben, sondern sie erh�lt es von der Ontologie (insofern Sartres Ontologie auch Ph�nomenologie ist, wird hier also das Husserlsche Programm einer ph�nomenologischen Grundlegung der Einzelwissenschaften realisiert). Der Ausdruck "Psychoanalyse" verweist auf Freud - wie verh�lt sich das Konzept zu Freuds Theorie? - Wie wir wissen, leugnet Sartre, dass es ein Unbewu�tes im Sinne Freuds gibt und bestreitet ausserdem die Existenz psychischer Entit�ten, wie der Triebe. Nichtsdestoweniger sieht sich Sartre ausdr�cklich in Freuds Nachfolge: Seine existentielle Psychoanalyse soll so etwas wie die ontologisch bereinigte Neuauflage der klassischen Psychoanalyse werden. - Aus diesem Grunde gibt Sartre einen �berblick �ber Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Konzepte:

Gemeinsam haben existentielle und klassische Psychoanalyse den Ansatz, konkrete psychische Tatsachen als Symbolisierungen grundlegender Strukturen zu deuten und anhand ihrer die grundlegende menschliche Haltung aufzudecken. Die "grundlegende Haltung", auf die Sartre abzielt, ist nat�rlich der Grundentwurf, wohingegen Freud den "Komplex" meint. (Ein Komplex ist ein unbewu�ter "Gedanken- und Interessenkreis", der das konkrete Verhalten eines Menschen bestimmt, wie z. B. der Minderwertigkeitskomplex oder der �dipuskomplex.) - Weiterhin sind sich beide Konzepte in der Annahme einig, dass der Mensch wesentlich geschichtlich ist - sein Handeln ist aus seiner Vergangenheit zu erkl�ren und nicht aus angeborenen Verhaltensmustern - und dass er als in der Welt handelnder Mensch gesehen werden muss ("in seiner Situation", wie Sartre es ausdr�ckt). Eine letzte �bereinstimmung liegt in der f�r das Existenzrecht von Analytikern wichtigen These, dass ein Mensch sich selbst nicht besser und vielleicht sogar schlechter analysieren kann, als es jemand anders (der Analytiker) tun kann.

Der zuletzt genannte Punkt markiert die entscheidende Differenz beider Ans�tze: Sie liegt in der jeweils angef�hrten Begr�ndung. - Was Freud angeht, ist sie naheliegend: Der Komplex ist nicht nur unbewu�t und daher durch Introspektion nicht erfassbar, sondern m�glicherweise auch eine Quelle des Widerstandes gegen die Erkenntnis seiner Existenz. Sartre kann es sich nicht so leicht machen, da der Grundentwurf bewu�t ist. Warum ist der Patient dennoch in keiner bevorrechteten Position, was seine Erkenntnis angeht?

Der Schl�ssel ist hier das Wort "Erkenntnis". Zwar ist sich jeder Mensch seines Grundentwurfs bewu�t, daraus folgt aber keineswegs, dass er ihn auch erkennt. - Wir k�nnten in Versuchung sein, f�r die Interpretation dieser Behauptung die alte Unterscheidung von pr�reflexiver und reflexiver Bewu�tseinsebene heranzuziehen, doch sollten wir ihr nicht nachgeben: Auch wenn ich auf meine Zwecke reflektiere, bedeutet das f�r Sartre noch keine Erkenntnis des von ihnen ausgedr�ckten Grundentwurfs. Zwar ist mir mein Grundentwurf in der Reflexion nie verborgen, "alles liegt offen da", aber diese Intuition liefert lediglich eine Art Rohmaterial, das begrifflich aufgearbeitet werden muss, um Erkenntnisse zu liefern. Der wesentliche Punkt ist, dass diese Aufarbeitung vom Standpunkt des "Blicks" aus erfolgt: Der Analysierte muss verobjektiviert werden, damit eine Analyse m�glich ist. Und insofern man sich selbst mit dem Blick eines Anderen betrachten kann, er�ffnet sich dadurch auch die M�glichkeit der Selbstanalyse.

Der Grundentwurf ist mit dem grundlegenden Verh�ltnis des F�r-sich zur Welt identisch, �ber das es sich (Zirkel der Selbstheit) selbst bestimmt. Gem�� dieser Charakterisierung befindet er sich zwangsl�ufig ausserhalb der Erkenntnis, da Erkenntnis eine Haltung des F�r-sich zu Bestandteilen der Welt ist, die selbst durch den Grundentwurf bestimmt wird. Aus diesem Grunde h�lt Sartre die Verobjektivierung des F�r-sich f�r unbedingt notwendig. Das auf dieser Ebene gewonnene Wissen kann dann vom Analysierten benutzt werden, um das, was sich ihm in der Reflexion zeigt, richtig einzuordnen (wobei das Wissen f�r den Analysierten nach dem eben Gesagten kein wirkliches Wissen, sondern nur "Quasi-Wissen" sein kann).

 Praxis der existentiellen Psychoanalyse

Die Bewu�theit des Grundentwurfs kann - so Sartre - zur Erkl�rung eines Ph�nomens herangezogen werden, das in der Praxis des Psychoanalytikers h�ufig auftritt und mit den Annahmen der klassischen Psychoanalyse nicht vertr�glich ist: Es handelt sich um den Moment der Selbsterkenntnis des Analysierten, der mit einem pl�tzlichen Zusammenbrechen seiner Widerst�nde gegen die Analyse einhergeht. Der klassische Psychoanalytiker interpretiert dieses Ereignis als Signal, das seine Analyse ihr Ziel erreicht hat. Doch wie soll das - so Sartre - m�glich sein, wenn der aufgedeckte Komplex unbewu�t war?

Als solcher kann er n�mlich vom Patienten nicht mit dem Bild verglichen werden, das der Analytiker von ihm gemalt hat, die pl�tzliche Selbsterkenntnis muss also T�uschung sein. - F�r die existentielle Psychoanalyse entsteht das Problem nicht: Der Patient vergleicht die Beschreibung des Analytikers n�mlich nicht mit einer unbewu�ten Entit�t, sondern entdeckt ihre �bereinstimmung mit dem, was ihm ohne Erkenntnischarakter immer bewu�t gewesen ist. Das Signal, das der Patient im Augenblick des Zusammenbruchs gibt, kann vom existentiellen Analytiker ohne Widerspruch zu seiner Theorie ernstgenommen werden.

Ein wichtiges Mittel f�r die Praxis des klassischen Psychoanalytikers ist die Interpretation von �u�erungen und Handlungen des Patienten oder den Elementen seiner Traumerz�hlungen als Symbole. Im Rahmen der Freudschen Theorie gelangen unbewu�te Triebe zu einer Art Ersatzbefriedigung symbolischer Art, die von der seelischen Zensurinstanz nicht als solche erkannt wird (wir erinnern uns an Karl Mays Beschreibungen von Schluchten). - Welche Rolle Symbole dieser Art in der existentiellen Psychoanalyse spielen sollen, die ja keine unbewu�ten Triebe kennt, ist hier nicht recht klar, jedoch h�lt Sartre an der Methode der Symbolinterpretation fest. Oder symbolisiert eine konkrete Handlung oder �u�erung den Grundentwurf nur insofern, als sie auf ihn als h�chsten Zweck verweist?

Jedenfalls beschr�nkt sich Sartre darauf, allgemeine Symbole zu leugnen und besteht auf ihrer Individualit�t: Ein Symbolkatalog wie der Freudsche (l�ngliche Gegenst�nde = Phallussymbole usw.) ist unm�glich, weil die vom Analysierten benutzten Symbole lediglich im Rahmen seines individuellen Grundentwurfs interpretierbar sind. Ja, es besteht sogar die M�glichkeit, dass der Analysierte w�hrend der Analyse seine Urwahl revidiert und auf diese Weise alle bislang erkannten Symbolbedeutungen ung�ltig macht. - Generell sollte der existentielle Analytiker die Individualit�t seines Patienten viel st�rker ber�cksichtigen als der klassische, was bedeutet, dass die Methode auf jeden Patienten angepasst werden muss.

Das Ziel einer klassischen Psychoanalyse bestand nicht in erster Linie darin, den Patienten �ber seine Komplexe aufzukl�ren, sondern in der Beseitigung von Symptomen, unter denen der Patient oder seine Umgebung litt. Die Analyse war kein Selbstzweck, sondern Mittel zur Heilung. - Man kann nun fragen, ob Sartres Neuauflage ein �hnliches Ziel verfolgen kann: Ein gegebener Grundentwurf kann n�mlich - so Sartre - keine Motivation f�r seine �nderung liefern, da jedes Motiv immer Motiv im Rahmen des Grundentwurfes ist. Der Analytiker kann dem Patienten, der mit einem Minderwertigkeitskomplex in seine Praxis kommt, also keinerlei Hoffnung machen, dass die Analyse zu einer Befreiung von seinem fatalen Hang zum Scheitern f�hren wird. Der Patient kann seine Urwahl nur v�llig allein revidieren und keine Analyse kann diese Revision bewirken. - Wenn Sartre die Hoffnung ausspricht, dass die durch existentielle Analysen ermittelten letzten Ziele von Patienten miteinander verglichen, und so Grundlage f�r eine Klassifikation der Grundentw�rfe werden k�nnen, ist man versucht, das f�r den einzigen Zweck der Methode �berhaupt zu halten.

 Begierde nach Besitz

Alle Begierden lassen sich auf die grundlegende Begierde des Seins nach Selbstbegr�ndung zur�ckf�hren, wie Sartre ausgef�hrt hat. Diese grundlegende Begierde liegt der Entstehung des F�r-sich aus dem An-sich bereits zugrunde und ist daher eine Begierde ohne jemanden, der begehrt. Alle konkreten Begierden eines Menschen bezwecken die Erf�llung dieser urspr�nglichen Begierde, die das ist, was alle Menschen miteinander gemein haben, auch wenn die Grundentw�rfe, die angeben, wie der "Wert" realisiert werden soll, auf individuell unterschiedliche Wahlen verweisen. Es ist diese Gemeinsamkeit - so Sartre - die dem existentiellen Analytiker das Verstehen fremder Grundentw�rfe erm�glicht.

Die konkreten Begierden lassen sich nun gem�� ihrer Gegenst�nde klassifizieren. Sartre gelangt zu der Auffassung, dass es lediglich drei Klassen von Begierden gibt: Erstens die Begierde, etwas zu haben, zweitens die Begierde, etwas zu tun und drittens die Begierde, etwas zu sein. Die Begierde, etwas zu tun l�sst sich dabei als Begierde, zu haben, demaskieren, da jedes Tun (mit Ausnahme des echten Spielens, was Gegenstand des n�chsten Abschnitts sein wird) darauf abzielt, etwas zu besitzen: Das gilt auch f�r sportliches Tun, da Freiluftsport immer die Aneignung eines Teils der Welt bedeutet (z. B. die Aneignung der jungfr�ulichen Schneefl�che durch den Skifahrer). Wir k�nnen auch vermuten, dass ein Kraftsportler, der das Fitnessstudio nie verl�sst, sich durch die Aus�bung seiner T�tigkeit wenigstens in den Besitz von Muskeln setzen m�chte. - Es bleiben daher nur zwei Klassen �brig, die Begierde nach Besitz und die Begierde nach Sein. - Wo befindet sich in diesem Schema die Begierde nach Erkenntnis? Sartre erkl�rt sie ebenfalls als Begierde nach Besitz, wir werden gleich sehen, warum.

Inwiefern versucht der Drang, etwas zu besitzen, den "Wert" zu realisieren? Sartres Erkl�rung beruft sich auf eine Identit�t des Besitzers mit dem Besessenen, die das eigentliche Besitzideal darstellt. Der Besitzer ist mit den Gegenst�nden, die ihm geh�ren identisch, sie fungieren als eine "Emanation" (ein Ausstr�men) des Besitzers in das An-sich. Dass dieses Besitzideal allen juristisch definierten Eigentumsformen vorangeht, zeigt sich - so Sartre - an archaischen Begr�bnissitten: F�rsten wurden mit ihren Besitzt�mern - zu denen u. U. auch Pferde, Diener und Frauen geh�rten - beerdigt. (So enthalten, wie ich k�rzlich h�rte, die Urnen germanischer Krieger der V�lkerwanderungszeit meistens das zusammengebogene Schwert des Toten.) Diese historischen Tatsachen beweisen nach Sartres Meinung, dass die Vorstellung der Identit�t selbstverst�ndlich war. (In den Kriegstageb�chern heisst es dazu, dass die �blicherweise zur Erkl�rung herangezogene Annahme, dass der Verstorbene seine Besitzt�mer im Jenseits ben�tigt, nur eine sp�tere Rationalisierung darstelle - Belege daf�r werden aber nicht angef�hrt.)

Wer also etwas zu besitzen versucht, will mit einem St�ck An-sich identisch werden. Wenn man nun ber�cksichtigt, dass Besitz urspr�nglich nicht durch Kauf oder Tausch, sondern durch Herstellung erworben wurde, wird klar, worauf die Sache hinausl�uft: Das Besessene ist nicht nur An-sich und mit dem Besitzer identisch, sondern hat auch einen Seinsgrund - n�mlich den Besitzer selbst als seinen Hersteller. Der Gegenstand ist also sein Besitzer als Realisierung eines selbstbegr�ndeten An-sich-F�r-sich!

Da diese Realisierung des "Wertes" lediglich Schein ist - die Identit�t ist niemals wirklich vorhanden - kommt Sartre zu der Schlussfolgerung, dass es sich beim Besitzen um eine symbolische Befriedigung der urspr�nglichen Seinsbegierde handelt. (Im Unterschied zur Auffassung Freuds ist der Zweck der Symbolisierung hier nur die Ersatzbefriedigung und nicht zus�tzlich die Irref�hrung einer seelischen Zensurinstanz.) - In der neueren Zeit wird diese Symbolisierung �brigens durch eine weitere �berlagert, n�mlich durch den Ersatz der Herstellung eines Gegenstandes durch den Kauf des Gegenstandes. - Der Kauf vertritt symbolisch die Herstellung - woraus man schliessen kann, dass der Besitz eines selbst hergestellten Gegenstandes attraktiver ist, weil eine Ersetzungsebene wegf�llt. Sartre sieht das in dem Umstand best�tigt, dass Raucher selbstgefertigter Zigaretten behaupten, dass deren Geschmack besser sei (ich behaupte das auch).

Sartre bleibt hier nicht stehen, sondern entwickelt eine regelrechte Theorie des Rauchens, an der sich gewisse Aspekte des Besitzes exemplifizieren lassen. Zun�chst einmal f�llt auf, dass der Raucher seinen Besitz dadurch geniesst, dass er ihn vernichtet. Wie l�sst sich das erkl�ren? Schlie�lich sollte er doch - nach dem Verfertigen oder dem Kauf seiner Zigaretten - damit zufrieden sein, sich selbstbegr�ndet in der Gestalt eines tabakgef�llten Papierr�llchens wiederzufinden. - Doch wenn der Raucher die in seinem Besitz befindliche Zigarette n�her betrachtet, kommt er vielleicht auf den Gedanken, dass eigentlich kein wirklicher Bezug zwischen der Zigarette und ihm besteht - die T�uschung der Identit�t verschwindet und das Ding erscheint sinnlos. - Der Besitzer hat jetzt - so Sartre - zwei M�glichkeiten, die T�uschung zu verl�ngern bzw. wiederherzustellen. Die erste besteht im Gebrauch des Gegenstandes, der nur eine Art Fortsetzung der Herstellung bzw. Aneignung ist. (Das sich der Gegenstand durch den Gebrauch ver�ndert, verst�rkt nur sein Begr�ndetsein durch den Verwender.)

Die zweite M�glichkeit ergibt sich - so Sartre - aus der Entt�uschung dar�ber, dass letztlich alle Arten der Aneignung nicht zum wirklichen Genuss des Besessenen f�hren, da der "Wert" ja nicht wirklich erreicht werden kann. Der Besitzer kann jetzt auf den Gedanken kommen, den besessenen Gegenstand zu vernichten. Was f�r einen Nutzen hat er davon? Nun, die Vernichtung l�sst sich als Assimilation durch den Besitzer interpretieren. Der Gegenstand bleibt als vergangener Gegenstand an-sich, scheint aber durch seine Unsichtbarkeit eine Art F�r-sich-Charakter angenommen zu haben. Die Illusion der Identit�t ist so leichter aufrechtzuerhalten als durch den blossen Gebrauch! - Daher also pflegt ein Raucher seine teuer erworbenen Zigaretten dem Feuertod preiszugeben. Sartre fasst zusammen: "Die Zerst�rung ist also unter die aneignenden Verhaltensweisen einzuordnen." - Auch das Schenken ist f�r Sartre eine Form der Aneignung durch Zerst�ren, so dass die erste Frage des existentiellen Analytikers, wenn ein Patient durch besondere Grossz�gigkeit auff�llt, lauten muss, "warum das Subjekt das Aneignen durch Zerst�ren statt durch Schaffen gew�hlt hat." - Die Manipulation des Beschenkten durch das Geschenk (auf die man normalerweise zuerst st��t, wenn man �ber die Funktion des Schenkens nachdenkt) h�lt Sartre lediglich f�r einen Sekund�rnutzen des Schenkaktes.

Sartre stellt nun die Frage, warum es die Lebenslust eines Rauchers deutlich st�rt, wenn er das Rauchen aufgibt. Der blosse Verzicht auf das Zerst�ren von Zigaretten kann ja nicht erkl�ren, warum der Betreffende auch den Spass an vielen anderen Dingen verliert (der Suchtcharakter des Rauchens war Sartre entweder nicht bekannt, oder er ignorierte Substanzabh�ngigkeiten in seiner Philosophie, da der Begriff einer Abh�ngigkeit mit der Freiheit des Subjektes nicht gut vertr�glich ist). - Der Grund daf�r ist Sartres Ansicht nach, dass ein besessener Gegenstand f�r die ganze Welt steht - seine Aneignung ist die symbolische Aneignung der Welt, so dass der Entzug der Zigaretten wiederum symbolisch f�r den Verlust der ganzen Welt steht.

Nach dem Gesagten d�rfte auch klar sein, inwiefern die Erkenntnis eine Form des aneignenden Verhaltens ist. Die Aneignung ist hier die Aneignung eines Gedankens. Nehmen wir an, dass ich der erste bin, der auf die erkannte Wahrheit gestossen ist, so haben wir den Fall, dass die Erkenntnis einerseits ganz durch mich begr�ndet wurde und andererseits v�llig unabh�ngig von mir ist, da Wahrheiten bekanntlich auch dann Wahrheiten sind, wenn sie niemand kennt. Der Besitz einer Erkenntnis hat daher - so Sartre - Bez�ge zum Geschlechtsakt, w�hrend dem man im Frau "besitzt", obwohl sie ihre unabh�ngige Existenz beh�lt: "Der Forscher ist der J�ger, der eine wei�e Nacktheit �berrascht und sie mit seinem Blick vergewaltigt." - Sartre meint, dass die mit dem Besitzen verbundene (ideale) Identit�t des Besessenen mit dem Besitzer im Falle der Erkenntnis zu dem philosophischen Irrtum beitr�gt, dass Erkennen eine Assimilation des erkannten Gegenstandes sei, womit er offenbar auf idealistische franz�sische Philosophen anspielt.

Wir sollten uns �brigens daran erinnern, obwohl Sartre diesen Aspekt hier nicht erw�hnt, dass die Begierde noch in einem anderen Sinne die An-sich-f�r-sich-Werdung anstrebt: Am Beispiel des Durstes hatte Sartre uns erkl�rt, dass der Durst nicht seine Beseitigung zum Ziel hat, sondern seine An-sich-Werdung als Durst. Die Begierde ist also nicht nur Begierde nach einem Gegenstand, sondern immer auch Begierde nach Vervollst�ndigung des Seins der Begierde (das Sein des Bewu�tseins ist) als erf�llte Begierde.

 Seinsbegierde und Authentizit�t

Sartre wird manchmal "Philosoph der Authentizit�t" ("Authentizit�t" = Echtheit) genannt, so dass es bei der Lekt�re von "Das Sein und das Nichts" �berrascht, dass die Bemerkungen zum Authentizit�tsideal nur kurz und andeutend ausfallen. Das umso mehr, wenn man seine Kriegstageb�cher gelesen hat und weiss, dass Sartre pers�nlich ganz ernsthaft versuchte, Authentizit�t zu erreichen - und ausserdem seine Kameraden damit zu nerven pflegte, dass er ihnen Mangel an Authentizit�t vorwarf. - Und seine Romane dieser Zeit handeln von Menschen, die es schaffen, zur Authentizit�t durchzudringen oder daran scheitern.

Im Kapitel �ber Schlechten Glauben konstatierte Sartre, dass Ehrlichkeit gegen�ber sich selbst ein unm�gliches Ideal ist, weil es vom Menschen verlangt, zu sein, was er ist - was der grundlegenden Nichtidentit�t des Bewu�tseins mit sich selbst widerspricht. Er weist dann in einer Fu�note darauf hin, dass das Authentizit�tsideal nicht mit diesem unm�glichen Ideal gleichzusetzen ist, sondern auf etwas anderes hinausl�uft, n�mlich auf die "�bernahme des verdorbenen Seins durch sich selbst". Im Zusammenhang mit der reinen Reflexion waren wir dann pl�tzlich darauf gesto�en, dass es doch m�glich sein k�nnte, den Schlechten Glauben zu besiegen - n�mlich dadurch, dass man sich durch reine Reflexion als das erkennt, was man ist, n�mlich als F�r-sich. - Wir hatten weiter gesehen, dass Angst f�r Sartre das einzige Gef�hl ist, das keinen funktionalen Charakter hat, so dass man sie das einzige authentische Gef�hl nennen kann.

Sp�ter wies Sartre nach, dass alle menschlichen Haltungen zum Scheitern verurteilt sind, da alle den vergeblichen Versuch darstellen, den "Wert" zu realisieren. Auch diese Betrachtung scheint die Unm�glichkeit von Authentizit�t zu implizieren, und auch hier leugnet Sartre das mit einer dunklen Anmerkung: Eine radikale "Konversion", die zum Heil f�hren k�nne, sei dennoch m�glich. - Eine weitere Bemerkung aus der Diskussion der menschlichen Verantwortlichkeit, die man als Leser auf eine erreichte Authentizit�t beziehen muss, zitiere ich hier erneut: "Wer in der Angst seine Lage realisiert, in eine Verantwortlichkeit geworfen zu sein, die sich bis zu seiner Geworfenheit zur�ckwendet, kennt weder Gewissensbisse noch Bedauern, noch Entschuldigungen mehr; er ist nur noch eine Freiheit, die sich als v�llig sie selbst entdeckt und deren Sein auf eben dieser Entdeckung beruht. Aber, wir haben zu Beginn dieses Buchs darauf hingewiesen, die meiste Zeit fliehen wir vor der Angst in die Unaufrichtigkeit."

Bei der Unterteilung der Begierden hatte Sartre von einer Begierde, zu sein gesprochen. Da alle Begierden das Streben nach dem Sein-an-sich-f�r-sich sind, heisst das, dass alle Klassen der Begierde letztlich auf die Begierde, zu sein, reduziert werden k�nnen. Doch Sartre erw�hnt noch eine Begierde zu sein, die etwas Anderes meint und starken Bezug zum Authentizit�tsideal hat: Diese Begierde �u�ert sich im Spiel. Sartre meint hier nat�rlich nicht Pokern um Geld oder Spiele, die auf den Sieg �ber einen Gegner abzielen. Man sollte hier m. E. eher an die Improvisation eines Jazz-Musikers denken. Das Spiel ist der Gebrauch der Freiheit, wobei die Freiheit nicht verleugnet, sondern als solche akzeptiert und gewollt wird. Nach welchem Sein strebt der in diesem Sinne Spielende? - Offenbar nicht nach dem "Wert" als dem totalisierten Sein des Subjekts, sondern nach dem Sein des F�r-sich, so unvollst�ndig, wie es ist!

Der Spielende steht damit im Gegensatz zu einer Haltung, die Sartre als "Geist der Ernsthaftigkeit" bezeichnet. Ein Mensch in dieser Haltung leugnet seine Freiheit und sieht sich in Schlechtem Glauben als Objekt, dessen Handeln festen Regeln folgt. Er h�lt es also f�r ganz unm�glich, etwas anders zu tun, als "man" es tut. - Bei dem Begriff "Ernsthaftigkeit" sollte man vielleicht an bestimmte d�stere Mahnungen denken, die man - wenigstens in meiner Generation - als Kind erhalten hat: Noch sei man ja sorgloses Kind, aber schon bald beginne der "Ernst des Lebens"! Wobei der Ernst des Lebens nat�rlich darin besteht, dass der Erwachsene in alle m�glichen Zw�nge eingebunden ist, von denen das Kind frei ist. - Wir wissen, dass diese Zw�nge f�r Sartre keine echten Zw�nge sind. Der Spielende ist derjenige, der sich dessen bewu�t ist, ohne vor diesem Bewu�tsein in den Schlechten Glauben zu fl�chten.

Wir k�nnen jetzt zusammenfassen, auf was das Authentizit�tsideal nach all diesen Andeutungen hinauszulaufen scheint: Es bedeutet Ehrlichkeit gegen�ber sich selbst, aber nicht in dem Sinne, dass man sich ehrlich f�r ein Objekt - f�r ein An-sich - h�lt, da eine solche Ehrlichkeit lediglich eine Variante des Schlechten Glaubens ist. Es bedeutet weiterhin, dass man sich der reinen Reflexion bedient hat, um den Schlechten Glauben als solchen zu entlarven und sich als freies F�r-sich zu erkennen. Und es bedeutet, dass man sein Sein-f�r-sich als solches akzeptiert. - Wir k�nnen noch hinzuf�gen, dass diese Haltung nicht nur ein Momentereignis sein kann, das z. B. beim Philosophieren auftreten kann, sondern eine Haltung, die das ganze Leben pr�gt und der eine Art Bekehrung vorausgeht.

Warum gibt uns Sartre keine ausf�hrliche Darstellung des Themas, sondern beschr�nkt sich auf sch�chterne Andeutungen? Der Grund daf�r liegt offenbar darin, dass Sartre noch nicht abschliessend wusste, inwieweit das Authentizit�tsideals mit seinem philosophischen System vertr�glich gemacht werden kann (diese Interpretation habe ich von Paul Vincent Spade). - Ich beschr�nke mich auf zwei Punkte: Zum einen ist es nach allem, was bisher gesagt wurde, unm�glich, etwas zu begehren, ohne dass diese Begierde auf den "Wert" abzielt. Das trifft auf das Authentizit�tsideal zu, wenn dieses Ideal begehrt wird, aber auch auf das spielerische Handeln des Menschen, der die Authentizit�t erreicht hat. Auch dieses Handeln muss - wenn es sich nicht um sinnlose Bewegungen handeln soll - auf irgendeinen Zweck bezogen sein, der begehrt wird. Und dass sich das Sein-f�r-sich als solches will, ist undenkbar, wenn das Sein-f�r-sich seiner ganzen Natur nach Begehren nach einer anderen Form des Seins ist.

Der zweite Punkt betrifft den ethischen Charakter des Authentizit�tsideals: Warum sollte man die Authentizit�t anstreben? Sartre ist - so scheint es jedenfalls - nicht der Ansicht, dass es sich dabei um seinen privaten Spleen handelt, sondern davon �berzeugt, dass es einen Wert f�r alle Menschen darstellt. Wie soll man aber eine Ethik im Rahmen einer Philosophie unterbringen, die das Bestehen objektiver Werte gerade leugnet und alle Werte auf die freie Setzung eines Individuums zur�ckf�hrt?

 Psychoanalyse der Dinge

Es geht hier um die psychoanalytische Erkl�rung der Vorlieben (und Abneigungen), die manche Menschen f�r Dinge mit bestimmten Qualit�ten haben, und die sich z. B. in einer Neigung zu bestimmten Speisen, aber auch in der Wahl bestimmter Motive durch einen bildenden K�nstler �u�ern kann. Der Begriff der "Qualit�t" bezieht sich hier auf Eigenschaften wie k�rnig, kompakt, fl�ssig, klebrig usw. - So zieht beispielsweise G�nter Grass, wie es im "Tagebuch einer Schnecke" und anderswo belegt ist, Speisen mit schleimiger Konsistenz (wie Innereien, Pilzgerichte, Aal) vor. - Obwohl man solche Vorlieben gew�hnlich als "Geschm�cker" bezeichnet und eingesteht, dass man "�ber Geschmack nicht streiten kann", entspricht es der Erfahrung, dass Menschen dazu tendieren, sie f�r allgemeing�ltig zu halten (und anzunehmen, dass Menschen mit anderem Geschmack irgendeiner T�uschung oder einem Vorurteil unterl�gen und sich so um den wahren Genu� br�chten). Wie l�sst sich dieses Ph�nomen erkl�ren?

Es liegt nahe, anzunehmen, dass sich Geschm�cker nicht zuf�llig ausbilden, sondern irgendeine Art von Bedeutung haben, die psychologisch aufgekl�rt werden kann. Um hier weiterzukommen, k�nnte man zuerst nach metaphorischen Verwendungsweisen der Ausdr�cke suchen, die eine bestimmte Qualit�t kennzeichnen. So nennen wir einen Menschen beispielsweise "schleimig", wenn seine Freundlichkeit und seine Schmeicheleien als �bertrieben empfunden werden, und er daher im Verdacht steht, mit ihrer Hilfe eine Manipulation oder T�uschung zu beabsichtigen. Soll man also die Erkl�rung daf�r, dass jemand Dinge mit schleimiger Qualit�t als "eklig" empfindet, darin suchen, dass dieser Mensch unangenehme Erfahrungen mit "schleimigen" Menschen gemacht hat und die Abneigung gegen sie auf die Dinge projiziert?

Sartre lehnt diese Interpretation ab: Sie setzt das voraus, was sie erkl�ren will. Die Ekligkeit des Schleimigen kann nicht auf Erfahrungen mit "schleimigen" Menschen zur�ckgef�hrt werden, da die Metapher "schleimig" ihren Ursprung in der (in diesem Falle h�ufigen) Ablehnung der Dingqualit�t hat. Abgesehen davon zeigt sich, dass ein Ekel vor schleimigen Dingen bereits bei Kindern vorkommt, die keine schlechten Erfahrungen mit schmeichlerischen Menschen gemacht haben k�nnen. Das Widrige schleimiger Dinge ist also nicht aus einer Projektion unangenehmer Gef�hle aus anderen Erfahrungsbereichen auf diese Dinge erkl�rbar, sondern unmittelbar mit diesen Dingen verkn�pft.

Wir wissen, dass die Beziehung zum Sein-an-sich auf der Handlungsebene grunds�tzlich in dem Wunsch nach Aneignung besteht: Der Mensch will sich das An-sich aneignen, um mit ihm identisch zu werden und so den "Wert" zu verwirklichen. Wie diese Aneignung aussehen soll, bestimmt sich durch seinen Grundentwurf. - Die Qualit�ten der Dinge symbolisieren nun - so Sartre - eine bestimmte Art dieser Aneignung: Die Qualit�t des Fl�ssigen z. B. verweist auf das Wasser, in das man zwar eintauchen kann, das vom Menschen aber auch wieder abgleitet - die Aneignung des Seins-an-sich ist in diesem Falle eine, die das Sein-f�r-sich unangetastet l�sst. Die Qualit�t des "Klebrigen" hingegen (ich nehme an, dass Sartre hier das "Schleimige", wie der Begriff im Deutschen gebraucht wird, mitmeint) verweist auf die M�glichkeit, vom An-sich eingesogen zu werden - d. h. auf die M�glichkeit des Ins-An-sich-Zur�ckfallens. - Ein Mensch, dessen Grundentwurf nun eine nur �u�erliche Aneignung des An-sich vorsieht, die seine Freiheit nicht zerst�rt, wird eine Neigung zu fl�ssigen Materien haben, wohingegen jemand, der sein An-sich-f�r-Sich durch Verschmelzung mit dem An-sich unter Aufgabe seiner Freiheit erreichen will, das Klebrige lieben wird. (G�nter Grass' Neigung zu schleimigen Nahrungsmitteln findet so eine einfache und nat�rliche Erkl�rung.)

Wesentlich an Sartres Konzept ist, dass die Symbolbedeutung der Qualit�ten nicht Gegenstand unserer freien Wahl ist. Der Grundentwurf entscheidet nicht �ber die Seinsbedeutung des Klebrigen, sondern allein dar�ber, ob man zu der Qualit�t ein positives oder negatives Verh�ltnis hat. Die Symbolbedeutung der Qualit�ten kann also aufgekl�rt werden, ohne dass ein bestimmter Mensch analysiert werden muss - aus diesem Grunde spricht Sartre hier von einer "Psychoanalyse der Dinge" ("Psychoanalyse der Sachen"). - Die Bedeutung ist nat�rlich subjektbezogen, aber dennoch objektiv, in dem Sinne, wie auch die Potentialit�t der Dinge objektiv ist, obwohl sie sich aus der subjektinduzierten Ding-Aufspaltung des Seins-an-sich ergibt (das als solches keine Potentialit�ten hat, weil diese Negativit�t voraussetzen).

Hier wie anderswo hat man den Eindruck, dass trotz der h�ufigen Versicherungen Sartres, dass es eine grosse Vielzahl m�glicher Grundentw�rfe gibt, sein ontologisches System eigentlich nur einige wenige erm�glicht, und dass sich dieser Mangel in der begrenzten Zahl von Beispielen �u�ert, die Sartre gibt. - Die Diskussion der psychoanalytischen Bedeutung des Lochs lasse ich aus, um das Risiko nicht noch zu vergr��ern, dass diese Webseite in Jugend- oder Beamtenschutz-Webfiltern h�ngenbleibt. Sie l�uft darauf hinaus, dass die Fasziniertheit von Kindern durch L�cher nicht auf die kindliche Sexualit�t, sondern ebenfalls auf eine Seinsbedeutung des Lochs im eben erkl�rten Sinne verweist.

 Metaphysische Schlussfolgerungen

Sartre beschlie�t "Das Sein und das Nichts" mit Schlussbetrachtungen zu den Themen Metaphysik und Moral. - Die "metaphysichen Aper�us" (unter einem Aper�u versteht man �blicherweise einen aphorismusartigen Sinnspruch, obwohl man dergleichen hier nicht findet - die urspr�ngliche Bedeutung "fl�chtiger Blick" ist hier erhellender) f�hren uns in den Kernbestand seiner Ontologie zur�ck. Seltsamerweise definiert Sartre Metaphysik als diachronische Wissenschaft, die sich zur Ontologie so verh�lt wie die Geschichtswissenschaft zur Soziologie: Die Metaphysik soll zeigen, wie die von der Ontologie beschriebenen Strukturen entstanden sind. - Er weicht damit vom �blichen Gebrauch ab, der nahelegt, dass Sartres ontologische Bem�hungen selbst metaphysischer Art sind.

Eine Frage, die Sartre an die Metaphysik in diesem Sinne weiterreicht, ist die Frage, warum es zu dem absoluten Ereignis, also der Entstehung des F�r-sich aus dem An-sich kommen konnte. Wir erinnern uns, dass Sartre das Ereignis so dargestellt hatte, als handle es sich um einen Versuch des nicht begr�ndeten An-sich, sich zu begr�nden. Hier nun gibt er zu, dass die Geschichte in dieser Form nicht haltbar ist, da das An-sich bereits Bewu�tsein sein m�sste, um eine Begierde nach Begr�ndung haben zu k�nnen. Sartre beschr�nkt sich daher jetzt auf die Behauptung, dass die Ontologie lediglich eine Als-ob-Darstellung liefern kann: Alles verh�lt sich so, als ob sich das An-sich in einem Entwurf zur Selbstbegr�ndung in F�r-sich verwandelt. Es obliegt nun der Metaphysik, Hypothesen zum tats�chlichen Geschehen zu liefern. (Eine weitere Aufgabe der Metaphysik sieht Sartre in der Kl�rung der Frage, ob die Bewegung - die ja ebenfalls die Nichtidentit�t eines Seins mit sich selbst impliziert - ein anderer Versuch des An-sich zur Selbstbegr�ndung ist.)

Sartre hatte, als er seine Unterscheidung der Seinsbereiche An-sich und F�r-sich pr�sentierte, nicht nur nach einer Verbindung beider Bereiche gefragt, sondern auch nach der Rechtfertigung daf�r, beide unter denselben Begriff "Sein" zu fassen. Die Verbindung zwischen ihnen hatte sich f�r Sartre gekl�rt - sie ergibt sich aus dem Umstand, dass das F�r-sich negiertes An-sich ist (das Nichts im F�r-sich muss relativ auf ein Sein sein, und dieses Sein ist das An-sich). Das F�r-sich entstand aus dem An-sich, und besteht nur fort, weil es sich als nicht das An-sich seiend definiert, was darauf hinausl�uft, dass ein Bewu�tsein ohne bewu�tseinsunabh�ngiges Sein, von dem es Bewu�tsein ist, nicht denkbar ist: Das Bewu�tsein ist interne Negation des An-sich. - Die Frage, ob die Subsumierung von An-sich und F�r-sich unter den Begriff "Sein" zu rechtfertigen ist, l�uft nun - so Sartre - auf die Frage hinaus, ob es eine Totalit�t gibt, von der Sein-an-sich und Sein-f�r-sich nur Momente sind. Wie haben wir das zu verstehen?

Das Bestehen einer solchen Totalit�t w�rde - so Sartre - voraussetzen, dass die beiden Momente, aus denen sie sich zusammensetzt, nicht alleine existieren k�nnen. Wir sollten daraus entnehmen, dass es hier um mehr geht als nur um das logische Vereinigen unter einem Oberbegriff aufgrund gemeinsamer Eigenschaften. (Tiger und Hase fallen unter den Oberbegriff "S�ugetier", bilden aber keine Totalit�t in diesem Sinne, da Tiger auch S�ugetiere w�ren, wenn es keine Hasen g�be.) Es handelt sich hier eher um die Frage, ob beide Seinsarten lediglich Aspekte ein und desselben Gegenstandes (desselben Seins) sind. - Nach Sartres Beschreibung ist die Sachlage klar: Zwar kann das F�r-sich nicht ohne das An-sich existieren, f�r das An-sich gilt aber keineswegs das Umgekehrte. Das An-sich ben�tigt kein Bewu�tsein, um zu existieren. Ein weiteres Gegenargument kann sich auf die logische Unvereinbarkeit der beiden Seinsbegriffe berufen: Der Begriff eines Seins, das mit sich selbst identisch ist, ist nicht vereinbar mit dem eines Seins, das nicht mit sich identisch ist. Wie sollen also beide Aspekte desselben sein? - Eine Totalit�t scheint also einerseits ausgeschlossen, w�hrend andererseits die einseitige Abh�ngigkeit des F�r-sich vom An-sich und das absolute Ereignis nahelegen, dass es irgendeinen Einheitspunkt geben muss.

Sartre versucht das Dilemma dadurch zu l�sen, dass er die Totalit�t als "detotalisiert" bezeichnet, was einfach darauf hinausl�uft, dass er bei dem Widerspruch stehenbleibt: Das Sein kann als Totalit�t oder als Nicht-Totalit�t betrachtet werden. Welche Betrachtungsweise vorzuziehen ist, ergibt sich nach Sartres Ansicht allein aus der jeweiligen N�tzlichkeit f�r den Fortgang der Erkenntnis. Die Annahme einer Totalit�t (oder einer Nicht-Totalit�t) w�re also eine Art "regulative Idee" im Sinne Kants. - Interessanterweise nimmt Sartre an, dass die Metaphysik (nachdem sie sich einmal f�r einen der beiden Ausgangspunkte entschieden hat) auch kl�ren k�nne, wie es m�glich ist, dass das F�r-sich, wenn es handelt, auf das An-sich einwirken kann (wir hatten gesehen, dass eine solche Einwirkung in Sartres System eigentlich unm�glich ist!).

 Ethik

Die Aussichten f�r die Entwicklung einer Ethik auf der Basis des in "Das Sein und das Nichts" entwickelten Systems sind ausserordentlich schlecht. Alle Werte, denen ein Mensch in seinem Handeln folgen kann, sind von ihm frei gesetzt, und verweisen ausserhalb der Freiheit nur auf das unm�gliche Ideal des "Wertes". - Wenn die Aufgabe einer Ethik darin besteht, allgemeing�ltige Werte zu ermitteln, die f�r jeden Menschen verpflichtend sind, ist sie als philosophische Disziplin sinnlos, da sie nach etwas sucht, das es nicht geben kann - wenn wir Sartre ernstnehmen.

Sartre sagt in seiner "Moralische Perspektiven" �bertitelten Abschlussbemerkung denn auch nichts anderes. Er stellt klar, dass er alle menschlichen T�tigkeiten f�r gleichwertig h�lt und sich die Handelnden bestenfalls durch gr��ere Klarheit �ber den ontologischen Hintergrund unterscheiden: "Wenn eine dieser T�tigkeiten die andere �bertrifft, so nicht wegen ihres realen Ziels, sondern wegen des Grades an Bewu�tsein, das sie von ihrem idealen Ziel hat; und in diesem Fall wird es geschehen, dass der Quietismus des einsamen Trinkers der m��igen Gesch�ftigkeit des Lenkers von V�lkern �berlegen ist."

Wir k�nnten erg�nzen, dass in diesem Sinne auch die T�tigkeit eines Jack the Ripper der T�tigkeit einer Mutter Theresa �berlegen ist, wenn sie mit gr��erer Klarheit �ber den eigentlich angestrebten "Wert" erfolgt und wir k�nnten nat�rlich auf den Gedanken kommen, dass mit der Klarheit ein allgemeing�ltiger Wert eingeschmuggelt wird. - In seiner drei Jahre danach entstandenen Vorlesung "Ist der Existentialismus ein Humanismus" wird sich Sartre um eine Verkleinerung des Abstandes zwischen seinem Ansatz und einer Einstellung, die auf moralisch begr�ndetes Engagement abzielt, bem�hen.

Am Ende stellt Sartre noch die Frage, ob es m�glich ist, dass Ziel der Selbstbegr�ndung aufzugeben und stattdessen die Freiheit und damit die uneindeutige Existenz als F�r-sich als Ideal zu w�hlen. Wir hatten schon erw�hnt, dass das Authentizit�tsideal eine solche M�glichkeit zu erfordern scheint und auch, dass diese M�glichkeit Sartres gesamte Ontologie in Frage stellt. Man k�nnte also sagen, dass Sartre sein Werk damit schliesst, dass er die darin pr�sentierte Theorie selbst bezweifelt.

 

ENDE