Das große rennen von belleville film

„Das große Rennen von Belleville“ nimmt seinen Anfang in einem Dorf, in dem der kleine Champion nach dem Tod seiner Eltern mehr schlecht als recht von seiner Großmutter Madame Souza aufgezogen wird. Es ist nicht leicht, in den großen runden Kinderaugen des pummeligen Jungen Interesse oder gar Begeisterung zu entfachen; so bringt ein kleiner Hund als Geschenk kaum mehr als vorübergehende Abwechslung. Erst als Madame Souza die Sammlung von Zeitungsausschnitten unter Champions Bett findet, scheint der Bann gebrochen: Der Junge will ein Fahrrad! Jahre später ist aus ihm ein schlaksiger Modellathlet geworden und aus seiner Großmutter eine perfekte Fachfrau in Sachen Rennräder und Trainingspläne. Das Ziel: die erfolgreiche Teilnahme an der Tour de France. Doch am entscheidenden Tag verschwindet Champion. Eben erst kämpfte er sich noch im hinteren Drittel des Feldes durch die Berge, und nun bleibt nur das herrenlose Fahrrad als Spur. Madame Souza und Hund Bruno führt eine Fährte zum Hafen, in dem sie gerade noch ein Schiff in Richtung Übersee aufbrechen sehen. Bald finden sie sich in der glamourösen Metropole Belleville wieder, in der einst ein berühmter französischer Varieté-Exportschlager mit singenden und musizierenden Drillingsschwestern Erfolge feierte. Zufällig macht die Großmutter die Bekanntschaft der inzwischen alten, abgetakelten Damen und wird in ihr karges Domizil aufgenommen. Noch kann sie nicht wissen, dass deren augenblickliches Engagement in einem kleinen, französisch geprägten Nachtclub zu Champion führen könnte; denn im Kellergewölbe des Clubs veranstaltet der Besitzer, ein Weinschieber und Mafiosi, Wetten auf von Menschenkraft angetriebene Radrennfigurinen.

„Das große Rennen von Belleville“ ist sowohl formal als auch inhaltlich außergewöhnlich. Die tragikomische Geschichte um ein dem Radsport verpflichtetes Leben ist keine, die dem landläufigen Verständnis von Zeichentrickunterhaltung entspricht, und der mit absurder Situationskomik durchsetzte Neorealismus dürfte bei manchem eher Befremden als spontanes Vergnügen auslösen. Dennoch versprüht der Film in etlichen Details genug Charme und anarchischen Humor, um keinen vom Genuss auszuschließen – vorausgesetzt, man ist offen genug, um sich auf neue Erlebniswelten einzulassen. Denn Sylvain Chomets visuelles und narratives Konzept ist ebenso radikal wie genial, wobei seine Absage an den Naturalismus sein zeichnerisches Konzept viel näher an expressionistische Ausläufer der bildenden Kunst heranrückt als an aktuelle 3D-Animationen aus Hollywood oder Japan: Die Figuren haben in ihrer krassen Überzeichnung viel vom gesellschaftskritischen Realismus eines Otto Dix oder George Grosz. Schon die Eingangssequenz, in der sich fette Damen aus mächtigen Limousinen quetschen und ihre schmächtigen Ehemänner wie Handtaschen hinter sich her zur festlichen Cabaret-Premiere schleifen, ist symptomatisch für eine zur Karikatur überzeichneten Welt, in der die Dekadenz zur Leitkultur avanciert. Jede neue Szenerie strotzt nur so vor Spitzen und Seitenhieben, schwelgt in bissigen (Vor-)Urteilen gegenüber Franzosen oder Amerikanern und deren Heiligtümer, ohne dabei jedoch zu diskreditieren.

Der scheinbare Minimalismus des Films setzt sich auf der Ebene der Sprache fort: Es wird nicht viel geredet und wenn, dann geschieht es in einem fragmentarischen Französisch. Dadurch hat ein dieser Sprache mächtiges Publikum gewiss Vorteile und kann kleine Sprachspitzen besser goutieren; notwendig sind solche Kenntnisse aber nicht. Gleich einem Stummfilm erschließt sich die Geschichte über die Aktion, eine Kunst, die einst Jacques Tati im Tonfilm zur Meisterschaft brachte. So verwundert auch nicht, dass Chomet immer wieder dem großen Komiker seine Reverenz erweist, sei es mit Filmplakaten an der Wand, mit Tati-Filmen, die im Fernsehen laufen, mit einem diffizil ausbalancierten Filmton oder dem atemberaubenden Sinn für Timing auf der Ebene des Slapsticks – man kann sich kaum an dem Werk satt sehen. Immer wieder sind neue Bezüge zu entdecken, eröffnen sich neue narrative und interpretatorische Horizonte, erschließen sich unentdeckte Pointen. Mit dem Finale erfährt man dann ganz nebenbei eine Rahmenhandlung, die das Gesehene in ein neues Licht taucht. So wird „Das große Rennen von Belleville“ zum atemberaubenden Perpetuum Mobile, das aus sich selbst heraus immer wieder neue Kraft schöpft.

Eine Art Anti-Disney aus Frankreich: In grotesk karikierenden Bildern spult das verschrobene Abenteuer eines chronisch traurigen Radrennfahrers ab.

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Originaltitel

Les Triplettes de Belleville

Regie

Sylvian Chomet

Dauer

81 Min.

Kinostart

08.04.2004

Genre

Animation

FSK

6

Produktionsland

Frankreich

Redaktionskritik

Eine Art Anti-Disney aus Frankreich: In grotesk karikierenden Bildern
spult das verschrobene Abenteuer eines chronisch traurigen Radrennfahrers ab.

Wenn ihr Enkel Champion schlapp macht, wird Großmutter Souza garstig. Schließlich soll er eines Tages die Tour de France gewinnen. Und so strampelt er sich von früh bis spät unter Omas Knute ab, bis aus dem dicken, einsamen Waisenjungen ein dürrer, einsamer Schlacks mit monströsen Waden wird. Geht es in Jan Ullrichs Leben nur halb so deprimierend zu, dann gute Nacht. Champions bizarre Geschichte rief in den USA dennoch ungeteilte Begeisterung hervor. Waren die Kritiker froh, endlich mal einen Zeichentrickfilm ohne Niedlichkeitsfaktor zu sehen? <p> Denn der Franzose Sylvain Chomet stattete seine Helden mit freudloser Miene aus und zeichnete sie so spitzwinklig-scharfkantig, dass Verletzungsgefahr besteht. Wenn er erzählt, wie Champion von halslosen Mafiatypen entführt wird und Oma ihm über den großen Teich folgt, wo sie in einer von New York inspirierten Metropolis namens Belleville die Gangster platt macht, bietet Chomet nur bedingt das, was Disney-Zeichner "a good time" nennen würden, trotz origineller Details und Spuren von groteskem Humor. "Als ich klein war, habe ich viel Zeit allein verbracht", erzählt Chomet und fügt hinzu, er würde "die Gesellschaft anderer Menschen" trotzdem mögen. Sein eigenwilliger, misanthropischer Film sagt freilich etwas anderes. <p> <b>Fazit: Schwermütiger Animationsfilm ohne Dialoge – und für kleine Zuschauer kaum geeignet</b>

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Das große Rennen von Belleville (FR 2003)

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