Jetzt wissen wir also, wer der „typische“ Pegida-Demonstrant ist: Er „entstammt der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig, verfügt über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteiverbundenheit aus und stammt aus Dresden oder Sachsen“. Das behauptet eine Studie der Technischen Universität Dresden auf der Grundlage einer Umfrage unter Teilnehmern der Demonstrationen. Zutreffender ist vermutlich eine andere Aussage: Der typische Pegida-Demonstrant nimmt ungern an Umfragen teil. Zwei Drittel derjenigen, die dafür angesprochen wurden, lehnten hier ab. Nun gibt es bei solchen Umfragen immer einen Anteil von Menschen, die keine Auskünfte geben. Das ist solange kein Problem, wie man davon ausgehen kann, dass diejenigen, die an der Umfrage teilnehmen, repräsentativ sind für alle. Dass es also keinen systematischen Unterschied gibt zwischen Antwortwilligen und Antwortunwilligen. Für einen solchen non-response bias spricht hier aber einiges. Man kann durchaus vermuten, dass zum Beispiel gerade Pegida-Teilnehmer mit extremeren Meinungen sich weigern, Auskunft zu geben. Der Ökonom Hannes Hemker schreibt im Blog „Politischer Spielraum“:
Das Drittel der Angesprochenen, das Auskunft gegeben hat, unterscheidet sich möglicherweise grundlegend von den zwei Dritteln, die keine Auskunft gegeben haben. Ich kann natürlich nicht beweisen, dass das stimmt. Der Punkt ist aber: Die Verantwortlichen der Studie können nicht beweisen, dass das nicht stimmt. Sie wissen nicht, ob die 35 Prozent, die mit ihnen gesprochen haben, wirklich „typische“ Pegida-Demonstranten sind. Sie tun aber so, als ob. Und veröffentlichen unter anderem solche Diagramme: 100 Prozent sind in dieser Darstellung die 400 Menschen, die bereit waren, sich bei einer Pegida-Demonstration befragen zu lassen. Vielleicht hilft es, sich anzusehen, wie sich das Diagramm verändert hätte, wenn man die rund 800 Demonstranten, die nicht mitmachen wollten, berücksichtigen würde: Anders gesagt: Es gibt allen Anlass, die Ergebnisse der Umfrage mit größter Vorsicht und Zurückhaltung zu interpretieren. Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Hans Vorländer, der die Studie durchgeführt hat, tut das nicht. Er hat für die Presse eine Präsentation zusammengestellt, die den Eindruck erweckt, er könne exakte Aussagen über den „typischen“ Pegida-Demonstranten treffen (bis hin zur Angabe: „48 Jahre alt“). Dass zwei Drittel der angesprochenen Demonstranten eine Mitwirkung ablehnten, geht aus der Präsentation nicht hervor. In der Pressemitteilung der TU Dresden wird es nur beiläufig erwähnt. In den Medien stießen Vorländers vermeintliche Erkenntnisse auf großes Interesse — und auf wenig Lust, sie wegen ihrer beschränkten Aussagekraft zurückhaltend zu interpretieren: Die große Zahl von angesprochenen Demonstranten, die nicht mitwirken wollte, wird in einigen Artikeln angesprochen, aber in den wenigsten problematisiert. „Spiegel Online“ immerhin äußert am Ende eines Artikels auf der Grundlage eigener Beobachtungen Zweifel:
Die „Leipziger Volkszeitung“ gibt in ihrem Bericht eine Ahnung davon, wie außergewöhnlich die Umstände waren:
Die ungewöhnliche Umfragesituation könnte die Antworten vielfältig verzerren, etwa auch, wenn die Befrager als staatlich finanzierte Wissenschaftler als Repräsentanten des „Mainstream“ wahrgenommen werden, der diese Demonstrationen täglich öffentlich verurteilt. Das würde womöglich auch erklären, warum so viele Befragte diffus eine „Unzufriedenheit mit der Politik“ nannten und sich nicht negativ über den Islam äußerten. Man weiß es einfach nicht genau. Auch wenn eine Studie und viele Medien den gegenteiligen Eindruck erwecken.
[mit Dank an Johannes Ost für den Hinweis] Nachtrag, 16. Januar. Die Agentur epd berichtet, dass Vorländer die Kritik an seiner Untersuchung zurückweist: „Ich habe nicht behauptet, dass die Erhebung repräsentativ im strengen Sinne des Wortes ist.“ Gleichwohl lasse die Zufallsauswahl der Befragten „einen validen Blick auf die soziodemografische Zusammensetzung und die Motivationen“ der «Pegida»-Anhänger zu:
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