Geigenbögen und ihr Klanggeheimnis "Der Zauber kommt von der rechten Hand"
Welches Instrument ein Geiger spielt, steht in fast jeder Biografie. Was aber ist mit dem Bogen? Über ihn wird kaum gesprochen. Dabei ist der Geigenbogen ganz entscheidend für den Klang - viel wichtiger als allgemein angenommen. Was aber macht einen guten Bogen aus? Gibt es überhaupt den idealen Bogen für jeden Musiker? Und wie steht es um das Handwerk des Bogenbaus und seine Zukunft?
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"Der Bogen kann tatsächlich das Timbre des Instrumentes beeinflussen", erklärt Anne-Sophie Mutter. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass er "ein Instrument etwas heller, silbriger klingen lassen kann oder eben auch dunkler." Die weltberühmte Geigerin spielt eine ganze Reihe von Geigenbögen. Denn den perfekten Bogen für alle Situationen gibt es nicht.
Ein Geigenbogen wie ein Porsche
Ich will einen Chevy, aber mit der Schnelligkeit eines Porsche.
Anne-Sophie Mutter
Anne-Sophie Mutter vergleicht Geigenbögen gerne mit Autos. Sie spielt ausschließlich moderne Bögen, die sie ganz nach ihren Vorstellungen anfertigen lässt. Und ihr Bogenbauer weiß ganz genau, was sie sucht: "Ich will einen Chevy, aber mit der Schnelligkeit eines Porsche", sagt Anne-Sophie Mutter lachend: "Also einerseits die Weichheit, auf der anderen Seite die Spritzigkeit."
Rekordpreise für Tourte-Bögen
Viele Musiker bevorzugen historische Bögen wie etwa die von François Xavier Tourte. Der legendäre französische Bogenbauer entwickelte Ende des 18. Jahrhunderts ein Modell, das bis heute den modernen Bogenbau prägt. Aber: Für einen originalen Tourte-Bogen kann man ohne weiteres bis zu 50.000 Euro ausgeben.
Ich habe schon Bögen im Konzert zerbrochen.
Anne-Sophie Mutter
Anne-Sophie Mutter spielt keine historischen Bögen. Aus einem einfachen Grund: "Ich habe schon Bögen in der Vehemenz eines Konzerts zerbrochen", erzählt sie. "Da hätte ich bei einem Tourte ehrlich gesagt etwas Bauchschmerzen." Vor der revolutionären Entwicklung des modernen Bogenbaus gab es verschiedene Modelle - besonders in der Barockzeit. Grundsätzlich unterscheidet sich der Barockbogen vom modernen Bogen darin, dass er kürzer und leichter ist. Außerdem ist die Stange konvex gewölbt, hat also in der Mitte den größten Abstand zu den Haaren.
Barockbogen für perfekte Artikulation
Viele Musiker spielen auch heute Musik von Bach oder Händel am liebsten auf Barockbögen, ob historisch oder nachgebaut. "Der Barockbogen reagiert einfach viel schneller und überträgt kleine Feinheiten sehr schnell bei leichten Noten", erklärt der Bratschist Nils Mönkemeyer. "Da kann ich die Artikulation sehr schnell ändern." Das hängt damit zusammen, dass die Gewichtsverteilung beim Barockbogen eine andere ist. Er ist am Frosch sehr viel schwerer als an der Spitze. "Dadurch kann man viel besser artikulieren", sagt Mary Utiger, Professorin für Barockvioline an der Musikhochschule München. "Eigentlich ist die rechte Hand viel wichtiger als die linke", verrät sie. Natürlich sei die linke Hand verantwortlich für das saubere Greifen, aber Utiger betont: "Der Zauber kommt von der rechten Hand."
Zaubermaterial Fernambukholz - vom Aussterben bedroht
Für romantische Musik eignet sich der Barockbogen aufgrund seiner Leichtigkeit allerdings überhaupt nicht. Deshalb veränderte sich das Bogenmodell im Laufe der Zeit. François Xavier Tourte korrigierte die Biegung der Stange, den Schwerpunkt und etablierte das Fernambukholz im Bogenbau. Dieses Holz wächst nur in Brasilien und besitzt ganz besondere Eigenschaften: Es ist relativ leicht, zugleich aber sehr steif. Außerdem lässt sich die Bogenstange bei Erhitzung über einer Gasflamme dem Faserverlauf folgend biegen und behält diese Krümmung auch langfristig bei. Heute werden fast alle hochwertigen Geigenbögen aus diesem Holz gefertigt.
Carbon als Alternative?
Eine mögliche Alternative für die Zukunft könnten Geigenbögen aus Carbon sein. Bereits seit den 1980er-Jahren werden sie hergestellt, wobei sich seitdem viel in der Entwicklung getan hat. Heute gibt es eine breite Palette an Carbonbögen, die unterschiedliche Qualität aufweisen. Franz Scheuerer, Geiger im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, spielt im Orchester gerne mit seinem Carbonbogen: "Er ist insgesamt einige Gramm leichter als der Holzbogen. Die Stange bleibt vollkommen ruhig auf der Saite liegen, selbst bei großer Anspannung. Außerdem ist der Bogen am Frosch wendiger. Da genieße ich die unglaubliche Leichtigkeit und Präzision." Auf der anderen Seite aber muss Franz Scheuerer auch zugeben: "Ein Holzbogen hat natürlich wesentlich mehr klangliche Feinheiten und mehr Charme. Deshalb nehme ich, wenn es praktisch sein soll und sicher funktionieren muss, den Carbonbogen. Ansonsten, wenn es musikalisch wichtig ist, nehme ich mit größerer Vorliebe doch den Holzbogen."
Ein Holzbogen hat mehr klangliche Feinheiten und mehr Charme.
Franz Scheuerer, Musiker im BR-Symphonieorchester
Henry Raudales, Konzertmeister des Münchner Rundfunkorchesters, spielt seit vielen Jahren einen Carbonbogen aus Belgien und ist höchstzufrieden. Er spielt alles mit diesem Bogen - vom Solo-Konzert bis zum Orchesterrepertoire. "Er ist absolut zuverlässig", schwärmt Raudales. Er habe bereits viele alte französische Bögen wie etwa von Tourte oder Dominique Peccatte gespielt, bleibe aber lieber bei seinem Carbonbogen: "Ob es warm oder kalt ist, Heizung - das spielt alles keine Rolle. Man kann damit auch in Afrika spielen." Wichtig sei seiner Meinung nach vor allem eines: eine gute Behaarung.
Bogenhaare - eine Wissenschaft für sich
Ein Kolophonium für Bayreuth
Das Kolophonium besteht überwiegend aus Baumharz von Lärchen, Fichten oder Pinien, wobei oft auch verschiedene Metalle beigemischt werden. Mit dem Kolophonium werden die Bogenhaare eingerieben. Das hat ein bisschen den Effekt von Klebstoff. Die Bogenhaare bleiben dadurch an der Geigensaite haften und versetzen diese dann in Schwingung, so dass überhaupt ein Ton entstehen kann. Denn an der Stelle, wo der Bogen die Saite berührt, entsteht Hitze. Und dadurch schmilzt das Kolophonium. Der Schmelzpunkt sei aber bei jedem Kolophonium anders, sagt Wolfgang Romberg. Deshalb sei es wichtig, auf einer Behaarung nicht verschiedene Kolophonien zu mischen. "Dann kommt es nämlich zu etwas, was wir verglasen nennen. Das heißt, die Bogenhaare verbacken so miteinander, dass keine Tonansprache mehr richtig funktioniert."
Ein Bogen muss auch zur Geige passen.
Julia Fischer, Geigerin