Alle BeiträgeDie Texte unserer Radiosendungen in den Programmen des SWR können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen. SWR4 AbendgedankenAls Priester habe ich ein seltenes Privileg. Ich darf Menschen in bestimmten Situationen sehr nahe kommen. Momentan leider nicht. Wegen Corona. Ich merke, da fehlt etwas. Paaren die Hände aufzulegen, wenn ich ihre Partnerschaft segne. Wenn jemand sehr krank ist, seine Stirn und die Handinnenflächen mit Öl zu salben. Beim Empfang der Kommunion kommen mir Menschen mit geöffneten Händen entgegen und ich lege die Hostie darauf. Im Moment mit einer Zange. Trotzdem. Ich sehe dabei viele unterschiedliche Hände. Kleine Kinderhände, zarte von Frauen und solche von Männern, die hart arbeiten mussten. Ich sehe die Furchen und Narben und Verkrüppelungen, die manche mitbringen. Dann ist da aber noch etwas: In jede Hand lege ich das Gleiche. Ein kleines Stück Brot. Die Hostie. Für Katholiken ist es das Größte, was es in ihrem Glauben gibt. Der Leib Christi. Egal, ob der Betreffende hoch dekoriert mit Ehren ist oder ein unscheinbarer Mensch. In dieser Situation vor dem Altar sind alle gleich. Vor Gott gleich und voreinander. Manchmal denke ich mir: Ob das die einzige Situation ist, wo es so eine radikale Form der Gleichheit noch gibt? Sogar am Grab existieren Unterschiede, obwohl man sagt, dass im Tod alle gleich sind. Aber da, wenn Mensch um Mensch nach vorne geht und kommuniziert, herrscht völlige Gleichheit. Für einen einzigen Augenblick. Jeder öffnet die Hand. Jeder bekommt das Gleiche. Jeder antwortet mit einem einzigen Wort: „Amen.“ Alles, was wir sonst anführen, um uns voneinander zu unterscheiden, spielt dabei keine Rolle. Und dann ist der kleine Moment auch schon wieder vorbei. Nun bin ich mir schon darüber im klaren, dass diese Situation keine alltägliche mehr ist. Nur noch ein kleiner Teil der Christen nimmt regelmäßig an der Kommunion teil. Um so stärker ist für mich das Zeichen, das davon ausgeht. Es hat für mich eine aufwühlende Kraft nach innen, weil es sagt, dass auch in einer Kirche, die oft sehr auf die Unterschiede bedacht ist, im entscheidenden Augenblick Gleichheit herrscht. Und das Zeichen wirkt nach außen. Es erinnert daran, dass wir alle gleich sind: was unseren Ursprung angeht, was unsere Zukunft anbelangt und wenn es darum geht, was wir wirklich zum Leben brauchen. Titel, Besitz, Namen und Ämter - sie nützen alle nichts, und insgeheim wissen wir das auch. Ich meine, es ist wichtig, dass wir uns von Zeit zu Zeit daran erinnern. Das macht uns für den anderen besser verträglich und stärkt den Zusammenhalt. Und ich finde, dass Christen sich mehr für diese Gleichheit stark machen sollten. Weil gerade sie es wissen müssten, dass vor Gott all unsere menschlich allzu menschlichen Unterschiede keine Rolle spielen https://www.kirche-im-swr.de/?m=31432 Eine Familie mit ausländisch klingendem Namen erhält keinen Termin für eine Wohnungsbesichtigung. Ein Hotel verweigert einer sehbehinderten Frau, angeblich aus Sicherheitsgründen, die Übernachtung. Ein Schweizer mit dunkler Hautfarbe wird ständig von der Polizei kontrolliert. Ein gleichgeschlechtliches Paar darf kein Kind adoptieren oder Fortpflanzungsmedizin nutzen. Eine Transfrau wird tätlich angegriffen, die Tat jedoch nicht als Hassverbrechen registriert. Eine jüdische Familie wird auf offener Strasse beschimpft. Eine fahrende Roma-Gemeinschaft hat Mühe, in der Schweiz einen Stellplatz zu finden. Ein Mädchen mit Kopftuch wird an einer Ladenkasse übersehen«. Die Beispiele für Diskriminierung und Rassismus sind zahlreich. Wo steht die Schweiz, was den Schutz davor angeht? Auf dem Papier hat sie Fortschritte gemacht. Aber es gibt noch viele Lücken, auch wenn in der Bundesverfassung ein Gleichheitsgebot und ein Diskriminierungsverbot existieren. Letzteres fand mit der Verfassungsrevision von 1999 Eingang und lautet: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.» Die Liste ist absichtlich nicht abschliessend, damit auf Veränderungen reagiert werden kann. Ebenfalls in der Verfassung festgehalten ist die Gleichstellung von Mann und Frau. Daneben existieren auf Bundesebene die Rassismus-Strafnorm und das Bundesgesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Gesetz gefordertWas aus Sicht von Menschenrechtsorganisationen aber eindeutig fehlt, ist ein allgemeines Anti-Diskriminierungsgesetz. Denn das in der Verfassung festgehaltene Diskriminierungsverbot ist vor Gericht bis jetzt erfahrungsgemäss schwierig durchzusetzen. Ein umfassendes Gesetz würde Betroffenen von Rassismus und Diskriminierung helfen, zu ihrem Recht zu kommen. Häufig findet die Ausgrenzung ja im Alltag statt, zum Beispiel bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche. Hier greift auch die Rassismus- Strafnorm nicht, ganz abgesehen davon, dass sie Benachteiligung aufgrund anderer Merkmale, zum Beispiel der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität, nicht abdeckt. Ein neues Gesetz könnte dafür sorgen, dass auch Benachteiligung durch Private geahndet werden kann. Der Bundesrat und die Bundesversammlung lehnen ein solches Gesetzprojekt bis jetzt allerdings ab. Problematischer DiskursWährend wir noch auf ein umfassendes Gesetz warten, traten in den letzten Jahren diskriminierende Vorstösse in Kraft: zum Beispiel das Verhüllungsverbot im Tessin oder das Minarettverbot. Sie schreiben sich ein in einen grösseren politischen Diskurs, der sich laut der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus immer wieder an der Grenze zu rassistischer Diskriminierung bewegt, wobei diese Grenze von Zeit zu Zeit auch überschritten wird. In trauriger Erinnerung ist das «Messerstecher-Inserat» der SVP, das eine ganze Volksgruppe verunglimpfte, was auch das Bundesgericht feststellte. Es ist geradezu paradox: Die Schweiz hat eine lange Tradition, verschiedene Minderheiten unter einen Hut zu bringen; das friedliche Zusammenleben von vier Sprachgemeinschaften wird auch im Ausland gelobt. Doch gibt es gegenüber anderen Gruppen immer wieder Ablehnung. Statt dass Politikerinnen und Politiker ihr Amt nutzen, um ganz klar zu zeigen, dass Ausgrenzung in der Schweiz keinen Platz hat, bedienen manche gewieft fremden- und islamfeindliche Vorurteile. So werden diese Ressentiments salonfähig und finden zum Beispiel in den sozialen Medien einen neuen Spielplatz. Dort scheint die Hemmschwelle tief, um rassistische oder diskriminierende Statements abzugeben. Das Strafrecht bietet zwar gewisse Handhabe gegen rassistische Äusserungen, stösst aber gerade bei anonymen Kommentaren an seine Grenzen. Bildung hilftWie weit Diskriminierung im Extremfall führen kann, hat uns der Zweite Weltkrieg in schrecklicher Weise vor Augen geführt. Nicht zufällig heisst es im ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die nach dem Schock des Zweiten Weltkriegs verabschiedet wurde: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« Die Bilder aus dem Konzentrationslager Auschwitz hatten die Weltgemeinschaft nachhaltig erschüttert. Der Holocaust begann aber nicht erst in Auschwitz, sondern Jahre zuvor mit alltäglichen Schikanen gegen «Sündenböcke» wie jüdische Menschen oder Roma. Gerade deshalb ist es so wichtig, der Diskriminierung ganz früh einen Riegel vorzuschieben. Nötig sind neben Gesetzen auch Prävention und Bildung. Sie können vermitteln, mit welchen Problemen Minderheiten überhaupt kämpfen. Für Angehörige der Mehrheit ist das oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich, und auch ohne bösen Willen kann es zu ausgrenzendem Verhalten kommen. Wir alle müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, was unsere Mitmenschen brauchen, damit sie sich gleichberechtigt fühlen und es auch sind. |