Frauen im minirock und nichts darunter an

Jeder Zentimeter zählt: Je kürzer, desto besser. Was 1962, dem offiziellen Geburtsjahr des Minirocks, galt, ist in diesem Sommer wieder Gesetz. Zum Teil sind die Röcke so kurz, dass sie nur aus Saum zu bestehen scheinen oder wie ein breiter Gürtel wirken. Dagegen war das Urmodell eher sittsam.

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Die Geschichte des Minirocks ist unweigerlich mit der Geschichte der Frau verbunden, die allgemeinhin als seine Schöpferin gilt: Mary Quant. Denn es gibt zwar auch andere, die seine Erfindung für sich beanspruchen, darunter der Pariser Designer André Courrèges und der britische Designer John Bates. Doch nur Quant hat es geschafft, als „Mutter des Minirocks“ in die Modehistorie einzugehen. Im Jahr 1966 verlieh ihr die Queen für ihre Verdienste um die Mode sogar eigenhändig den Order of the British Empire.

Mary Quant beim Aussuchen von Stoffen für ihre Kollektionen.

© Quelle: Rolls Press/Popperfoto/Getty Images

Von einer Tagesdecke zur sexuellen Selbstbestimmung

Im Februar 1934 wurde Quant als Tochter eines Lehrerehepaars in England geboren und entwickelte schon früh eine große Begeisterung für Kleider. „Als ich ungefähr sechs Jahre alt war und mit Masern im Bett lag, verbrachte ich eine Nacht damit, die Tagesdecke – eine Art Familienerbstück, das einer Tante gehörte – mit einer Nagelschere aufzuschneiden“, schreibt die Designerin in ihrem ersten autobiografischen Werk „Quant by Quant“. „Schon in diesem Alter konnte ich sehen, dass die wilde Farbe der Tagesdecke ein super Kleid abgeben würde.“

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Bei der umgestalteten Tagesdecke blieb es nicht: Im Alter von 21 Jahren eröffnete Quant mit ihrem späteren Mann Alexander Plunket Greene und einem Freund die Boutique „Bazaar“ in London. Die Mode, die sie dort verkaufte, traf den Zeitgeist. „Gute Designer wissen, dass sie Schritt halten müssen mit allgemeinen Bedürfnissen“, schreibt sie in ihrem Buch, „und diesem unbestimmten Etwas, das in der Luft liegt.“ Dieses Etwas war aus Quants Sicht für die Frauen der Nachkriegsgeneration eine große Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit. Insbesondere wurde die sexuelle Selbstbestimmung der Frau zum großen Thema. „1960 kam die Pille auf den Markt. Es war der Beginn der sexuellen Revolution, der Beginn eines neues Lebensgefühls“, sagt Elisabeth Hackspiel-Mikosch, Professorin für Modetheorie und Modegeschichte an der AMD-Akademie Mode & Design in Düsseldorf. „Die jungen Frauen wollten ihre neu gewonnene Freiheit und ihre Jugend in Kleidern darstellen.“

Skandal versus Freiheit

Da kam Quant zur rechten Zeit – mit den richtigen Ideen. In ihrer Autobiografie schreibt sie, dass die jungen Frauen „müde davon waren, im Wesentlichen dasselbe wie ihre Mütter zu tragen“. Mode fungierte damit auch als Auseinandersetzung zwischen den Generationen. Die damenhafte, die Figur betonende Mode, enge Mieder und Röcke, die auf keinen Fall oberhalb der Knie enden durften, hemmten das Bestreben, sich frei zu entfalten. Mary Quants Antwort auf die Bedürfnisse der Jugend sei der Minirock gewesen, sagt Modeexpertin Hackspiel-Mikosch. Er bot jungen Frauen auch im übertragenen Sinne mehr Beinfreiheit: Mit den kurzen Röcken und Kleidern setzte man sich über damenhafte Zurückhaltung und tradierte Rollenmuster vom biederen Hausmütterchen hinweg. Das sorgte für Kontroversen: „Der Minirock war vor allem für die ältere Generation ein Skandal, galt als respektlos und provozierend“, sagt Hackspiel-Mikosch.

Designerin Mary Quant (Vierte von links) trägt den Minirock.

© Quelle: AP

Provokant ist der Minirock heute allenfalls noch, wenn er auf den Laufstegen von Männern getragen wird. Auch die Abgrenzung zur älteren Generation gelingt nicht mehr: „Der Kleiderstil von jungen und alten Menschen unterscheidet sich kaum. Die junge Generation hat kein Problem mehr damit, sich wie die ältere zu kleiden und umgekehrt“, erläutert Hackspiel-Mikosch.

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Noch heute auf zahlreichen Laufstegen

Richtig out war der Minirock seit seinem ersten Auftritt auf dem „Vogue“-Cover im Sommer 1962 nie. Passend zum runden Geburtstag taucht er in diesem Jahr in der Frühjahrs- und Sommermode aber in besonders vielfältiger Form auf den Laufstegen auf: etwa als gerade geschnittene Variante in Hellgrün, Weiß und Orange mit angedeutetem Animalprint bei Dior, aus fuchsiafarbenem Boucléstoff bei Chanel oder kaum breiter als ein Gürtel bei Miu Miu.

„In den letzten zwei, drei Jahren, in denen wir viel Zeit zu Hause verbracht haben, verlangten die Menschen gerne nach eher weiter, kuscheliger und verhüllender Mode“, sagt Hackspiel-Mikosch, die kurzen Röcke drückten ihr zufolge die Hoffnung aus, dass ab nun wieder mehr Freiheit und Fröhlichkeit in den Alltag einziehen. Zudem gebe es in der Mode einen „Trend der sexuellen Selbstermächtigung: Frauen machen ihre Kleiderwahl nicht mehr abhängig davon, wie sie auf den Mann wirkt. Sie haben das Selbstbewusstsein, sich für die Kleider zu entscheiden, die ihnen gefallen, und sich durchaus sexy zu stylen.“

Weniger ein Must-have, mehr eine persönliche Note

Das Tragen eines Minirocks unterliegt keinen Regeln: „Alles ist erlaubt“, betont Hackspiel-Mikosch. Sie meint, dass sich der Minirock durchaus auch für Männer eigne, hat aber Zweifel, dass sich das durchsetze, „da sich Frauen in Sachen Mode immer eher an Männern orientieren als umgekehrt“.

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Ein kompromissloses Kleidungsstück ist der Minirock indes nicht mehr. Vielmehr sei er nur einer von vielen Trends, sagt die AMD-Modeexpertin. Er ist also auch 2022 nicht unbedingt ein Must-have. Das Gegenteil wäre auch nicht im Sinne von Mary Quant: „Für mich ist eine modische Frau eine, die über aktuelle Strömungen erhaben ist. Sie muss einen persönlichen Stil haben, sich dessen bewusst sein und Kleider tragen, die das betonen … Sie weiß instinktiv, ob sie das Richtige trägt. Und wenn sie das tut, wird sie direkt souveräner, selbstsicherer und hat jede Situation mehr im Griff.“

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