Wie endet Wir Kinder vom Bahnhof Zoo?

Die "Kinder vom Bahnhof Zoo" sind wieder da – als spektakuläre Serie. Die Drogen: böse und wunderbar zugleich. Die Junkies: so glamourös wie kaputt.

Diese Straßen sind ihre Straßen. Raus aus der U 1, Haltestelle Kurfürstenstraße, vorbei am Straßenstrich in Richtung Apostelkirche, rechts in die Genthiner rein, rüber auf die andere Seite, zum Haus mit dem schwarzen Klinker. Treppe runter, drei Mark Eintritt, dann tanzen und trinken. Und auch mal was nehmen. Was gerade so rumgereicht wird dort unten, LSD, Kokain, Amphetamine.

Ines Bohlmann, 54, ist den Weg ins "Sound" viele Hundert Mal gegangen. Anfang der 1980er Jahre stieg sie fast täglich hinab in diesen Keller in Berlin-Tiergarten. Die Diskothek war ihr Wohnzimmer, und die Leute auf der Tanzfläche waren ihre Familie, zumindest glaubte sie das.

An einem klirrend kalten Februartag steht Ines Bohlmann vor Haus Nummer 24 in der Genthiner Straße. Das "Sound" gibt es nicht mehr; heute wird der Keller vom "Pro Seniore Krankenheim" genutzt. Vor eineinhalb Jahren hat sich Bohlmann einmal reingeschlichen in den Keller. Auf den Bänken am Rand hat sie ihre Brüder Rainer und Mario sitzen sehen und auch ihre Freundin Carmen. "Alle waren plötzlich wieder da, jedenfalls in meinem Kopf", sagt Ines Bohlmann. "Für einen Augenblick war alles wieder gut." 

Als Erste starb damals Carmen, dahingerafft von einer Überdosis Heroin. Dann Rainer, auch er Stammgast im "Sound", auch er heroinabhängig. Weil er eine künstliche Herzklappe hatte, musste er Blutverdünner nehmen, vergaß das aber im Rausch und erstickte. Schließlich Mario. Zum Heroin gekommen durch seinen Bruder, gestorben an einer Leberzirrhose mit 24 in der Wohnung der Mutter. "Das 'Sound' hat mir eine Menge gegeben", sagt Ines Bohlmann, "aber auch viel genommen. War die Zeit schön? War sie schrecklich? Irgendwie beides." 

"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist mehr als eine Neuverfilmung

Dieser Zerrissenheit spürt nun die Streaming-Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (auf Amazon Prime) nach. Sie erzählt von Jugendlichen aus dem Berlin der 70er und 80er Jahre, die sich in ihren Cliquen geborgen fühlten und doch so verloren waren, dass sie es ohne Drogen nicht aushielten. Die Serie ist weitaus mehr als die Neuverfilmung des berühmten stern-Buches, das mehr als vier Millionen Mal verkauft wurde. Sie weitet den Blick, sie zeichnet nicht nur die Geschichte von Christiane Felscherinow nach, die als suchtkranke Christiane F. aus dem "Sound" weltbekannt wurde, sondern entwirft das Porträt einer Generation.

Auch die Schilderungen von Ines Bohlmann sind eingeflossen in die Serie. Die Drehbuchautorin Annette Hess und ihre Co-Autoren recherchierten monatelang und trafen ehemalige "Sound"-Gäste zum Gespräch. Viele Geschichten ähnelten sich: Ausbruch von zu Hause, fort von den überforderten, oftmals prügelnden Eltern. Flucht auf die Straße und in Höhlen wie das "Sound", die mit einer Wärme lockten, die die Jugendlichen woanders vergebens gesucht hatten.

Als 1978 die Geschichte von Christiane F. und ihren Freunden im stern erstmals veröffentlicht wurde, war das ein Ereignis. Der Reporter Kai Hermann und sein Kollege Horst Rieck erzählten eine unerhörte Geschichte: Jungs und Mädchen, die noch aussehen wie Kinder, stechen sich auf Berliner Bahnhofstoiletten Spritzen in die Unterarme. Heroin heißt das Zeug, das da durch die Venen fließt. Das Geld für ihren Rausch verdienen sie sich mit Prostitution. Die Jungs machen es mit Schwulen, die Mädchen mit meist älteren Männern.

Das Buch wurde Schullektüre

Die stern-Geschichte öffnete ein Fenster zu einer Welt, von der man nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. "Das ganze Land sprach plötzlich über die Kinder vom Bahnhof Zoo", sagt Horst Rieck, 79, der damals als freier Journalist für den stern arbeitete. Schon seine Reportage über den Kinderstrich in der Kurfürstenstraße hatte für Aufruhr gesorgt. Die damalige Berliner Senatorin für Jugend und Familie rief direkt bei stern-Chefredakteur Henri Nannen an und behauptete, die Geschichte sei komplett erfunden, Kinderprostitution gebe es nicht in Berlin. So erzählt es Rieck heute.

Es stimmte natürlich, was Rieck und Hermann schrieben in ihren Sozialreportagen. Das Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" machte Karriere, es wurde Schullektüre, gern verschenkt auch von Eltern, die ihren Töchtern und Söhnen vor Augen führen wollten, wohin das führt, wenn man mit den falschen Leuten rumhängt.

Die Amazon-Serie hingegen ist frei von pädagogischen Ambitionen. Drogen gelten hier weder als eindeutig böse (wie in der US-Serie "Euphoria") noch als wunderbar (wie im Spielfilm "Trainspotting"), sondern werden in ihrer Ambivalenz gezeigt. Auch deshalb ist "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" eine zeitgemäße Serie: Sie transportiert keine simple Botschaft; wer sie sieht, möchte sofort Drogen nehmen und zugleich ganz und gar nicht.

Die Serie schwebt zwischen den Jahrzehnten hin und her

Zeitlich ist die Serie schwer zu verorten. Die Schalterhalle des Bahnhofs Zoo sieht aus wie in den Siebzigern, die Kostüme stammen eher aus den Achtzigern, und das "Sound" könnte auch ein Club aus dem Berlin der Gegenwart sein, jedenfalls als es noch ein Nachtleben gab. So schwebt die Serie zwischen den Jahrzehnten hin und her, und das ist eine kluge Entscheidung der Drehbuchautorin Annette Hess und des Produzenten Oliver Berben.

Der Blick des Zuschauers wird gelenkt auf das Wesentliche, nämlich die Geschichte von Jugendlichen, die verzweifelt nach ihrem Platz in der Welt suchen. Die sich gegenseitig helfen und stützen dabei, und deren Freundschaft wiederholt auf den Prüfstand gestellt wird: Droht das Heroin auszugehen, ist Schluss mit dem Gekuschel. Dann wird gekämpft um jedes halbe Gramm, wird die gemeinsame Wohnung zertrümmert im Streit. Jana McKinnon, geboren 1999 in Korneuburg, Österreich, Tochter eines Australiers, spielt die Christiane F. Es ist ihre erste große Rolle, aber McKinnon hat ein beachtliches Spektrum zu bieten: Sie kann blitzschnell wechseln von einem samtäugigen, puppenhaften Mädchen zu einem bissigen, raubtierartigen Junkie. Überhaupt ist der Cast von "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" eine Entdeckung. Lauter junge, unbekannte Gesichter.

Es wäre wohl ein Leichtes gewesen, die Rollen mit Hochbegabten von der Ernst-Busch-Schauspielschule zu besetzen, aber das wollte Produzent Berben nicht: "Meine Vorgabe lautete: Mir darf kein Name etwas sagen." Über 1000 Jugendliche wurden gecastet, bevor die Besetzung feststand. Präzision und Tiefenschärfe sind die großen Stärken der Serie. Dies ist nicht nur in der Figurenzeichnung zu spüren, sondern auch bei der filmischen Aufbereitung der Themen Sucht und Abhängigkeit. Einer der Berater der Serie ist Thomas Haustein, 55, gewesen. Er besitzt eine sehr besondere Verbindung zu Christiane F. und den Kindern vom Bahnhof Zoo.

Raus aus der Glitzerwelt

In der Verfilmung des Buches aus dem Jahr 1981, in der David Bowie einen Gastauftritt hatte, spielte Haustein die Rolle des Detlef, des Freunds von Christiane. Haustein war von einer Castingagentin in der Diskothek "Superfly" in Berlin- Charlottenburg angesprochen worden. "Ich war gerade 15 und hatte mit Schauspielerei noch nie etwas zu tun gehabt", sagt Haustein, "aber 'Christiane F.' kannte ich natürlich. Das war ein großes Buch und eine berührende Geschichte für mich, in meiner Generation damals bekannt wie die Bibel. Deshalb habe ich zugesagt für den Film."

Als "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" in den Kinos lief, wurde Thomas Haustein plötzlich ein Star. Er wurde nicht nur in seiner Heimatstadt Berlin von Fremden mit "Hallo, Detlef!" angesprochen, sondern auch im Griechenland-Urlaub am Strand. Haustein mochte das nicht. Er wollte schnell wieder raus aus dieser Glitzerwelt und wusste auch wohin. In Vorbereitung auf die Dreharbeiten hatte er viel über Drogen, Sucht und Entzug gelesen.

Er beschloss, nicht mehr nur einen Junkie spielen zu wollen, sondern ebendiesen zu helfen. Mittlerweile arbeitet Haustein mehr als 20 Jahre in der Suchthilfe. "Psychoanalytisch orientierter Sozialtherapeut" lautet seine Berufsbezeichnung. Den Drehbuchautorinnen um Annette Hess hat er von seinem Arbeitsalltag bei der Berliner Caritas erzählt und auch davon, wie sich das Drogenproblem verändert hat seit den Zeiten von Christiane F.

Vielschichtig wie ein Roman

"Drogen sind heute viel konsensfähiger geworden als früher", sagt Haustein, "Drogen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und nicht mehr nur ein Thema von Menschen, die sozial auffällig sind und am Rande stehen." Diese Verschiebung bildet auch die Serie ab. Die Figur Christiane F. stammt zwar aus schwierigen Verhältnissen, mit einem alkoholkranken, gewalttätigen Vater, nicht aber ihre Freundin Babsi (Lea Drinda). Sie wächst in einer Villa im Berliner Westen auf, entgleitet ihrer Familie früh und stirbt einen Drogentod.

Viele Handlungsstränge und Figuren der achtteiligen Serie finden sich nicht im alten Buch wieder. Die Macher haben eine ganz eigene, neue Welt um Christiane F. erschaffen. Sie haben die Serie angelegt wie einen Roman, vielschichtig und breit. Sie wollen erzählen – und nicht dokumentieren, wie das bei Uli Edels Verfilmung von 1981 noch der Fall gewesen war.

Nicht nur künstlerisch ist "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ein mutiges Projekt. Auch finanziell. Der Produktionsaufwand war enorm: Zwischen Juli 2019 und Februar 2020 drehte Regisseur Philipp Kadelbach ("Unsere Mütter, unsere Väter") an insgesamt 140 Tagen. Die alte Schalterhalle des Bahnhofs Zoo wurde detailgetreu nachgebaut und in eine ehemalige Großkantine in Prag verlegt.

Die teuerste deutsche Filmproduktion

Das "Sound" ist ein Neubau, eine gewaltige Kulisse. Und dann die Verhandlungen mit dem David Bowie Estate in New York, dem Nachlassverwalter des 2016 verstorbenen Musikers. Sie zogen sich über zweieinhalb Jahre, und letztlich mussten die Rechte für einige Bowie-Songs und Bildmaterial stattlich bezahlt werden. Mit einem Budget von etwa 25 Millionen Euro ist "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" nun die teuerste deutsche Filmproduktion. Selbst "Babylon Berlin", das in den prunkvollen 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielt, war mehr als eine halbe Million Euro günstiger pro Folge.

Die Chancen stehen gut, dass Berben, Vorstand der Constantin Film AG, die hohen Produktionskosten schnell wieder einspielen kann. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" besitzt die Wucht und die Qualität, ebenso wie "Babylon Berlin" ein Welterfolg zu werden. Die Geschichte der Christiane Felscherinow ist mit der Serie noch nicht auserzählt. Es gibt nämlich ein weiteres Buch, die Autobiografie "Christiane F. – mein zweites Leben", doch weder Oliver Berben noch Annette Hess denken derzeit an eine zweite Staffel. Hess hat andere Pläne. Mit ihrem Team, das das Drehbuch für "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" schrieb, hat sie sich bereits den nächsten großen Erzählstoff aus den 70er Jahren vorgenommen. Und der ist diesmal gar nicht düster. Aus der Sexfilm-Reihe "Schulmädchen Report" will Hess eine neue Serie machen. 

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Was ist mit den Kindern vom Bahnhof Zoo passiert?

1996 gebar sie ihr Kind Philipp in Berlin. 2008 wurde ihr das Sorgerecht aufgrund eines Rückfalls entzogen. Zwei Jahre später erlangte sie dieses zwar wieder zurück, ließ ihren Sohn jedoch bei seiner Pflegefamilie, um ihn nicht aus seinem neuen Umfeld zu reißen. 2013 veröffentlichte sie ihr zweites Buch "Christiane F.

Ist Wir Kinder vom Bahnhof Zoo wirklich passiert?

Neue Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ Die wahre Geschichte der Christiane F. schockte und prägte ganze Generationen: Nun wird "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" als Amazon-Serie neu erzählt. Das Wagnis gelingt - während die echte, mittlerweile 58-jährige Christiane F. zurück in der Berliner Drogenszene ist.

Was ist mit Stella von Christiane F passiert?

Demnach lebt sie zum damaligen Zeitpunkt außerhalb Berlins im Brandenburgischen. Trotz ihrer Leberzirrhose konsumiert sie Alkohol und Haschisch. Auch das Methadon macht ihr zu schaffen, das sie seit 20 Jahren in einem Drogenersatzprogramm bekommt. "Die einen lernen, damit zu leben, die anderen verrecken daran.

Wie ist Christiane F clean geworden?

Christiane bekommt Bewährung. Sie hat gerade ihren Hauptschulabschluss in der Tasche, ist seit fast einem Jahr „clean“. Wenige Wochen später, am 28. September 1978, entdeckt sie am Kiosk ihr Gesicht auf dem „Stern“.

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