Tinder mit beiden Beinen im Leben

Es gibt erschreckende Entwicklungen an der Tinder-Front. Nein, nicht die Tatsache, dass Weichzeichner-Filter inzwischen auch in der Männerwelt angekommen sind und so lange verwendet werden, bis aus einem Gesicht mit Ecken und Kanten ein konturloser Brei geworden ist. Auch nicht die Begeisterung vieler Herren für verschwommene Oberkörper-frei-Mirror-Selfies in Sepia-Tönen, gerne kombiniert mit bereits angesprochenen Weichzeichner-Orgien. Heieiei. Alles nicht so geil.

Richtig übel ist aber das, was mir seit einiger Zeit verstärkt unter die Augen kommt: Nöl-Messages.

Bitte keine „Creepy Boyfriend“-Nachrichten

Nachrichten, in denen sich Menschen, die man gematcht hat, beschweren. Zum Beispiel darüber, dass man nicht schnell genug antwortet. Gar nicht erst zurück schreibt, und das „obwohl du die GANZE ZEIT hier online bist!“ Puh, sorry, gar nicht gemerkt, dass wir die Kennenlern-Phase übersprungen haben und direkt im „Creepy Boyfriend“-Level gelandet sind. Menschen, die nach mehrtägiger Schreib-Abstinenz ihres Matches heulende Emojs verschicken, um auf sich aufmerksam zu machen. Oder aber Folgendes versenden: „Darf ich wenigstens noch deinen echten Namen erfahren, bevor du mich weiter ignorierst?“ Wow. Ein derart vorwurfsvoller Ton gepaart mit der Zurschaustellung eines zutiefst verletzten Egos macht mir natürlich richtig Bock auf weitere Konversation. Also so RICHTIG.

Vielleicht matchen Sie im echten Leben nicht

Nun fragen Sie mich an dieser Stelle – zu Recht – warum ich denn erst jemanden matche und dann nicht auf seine Nachrichten antworte. Dafür gibt es vielerlei mögliche Gründe.

Ein Grund könnte sein, dass Sie es schon vor dem Start vergeigt haben. Weil Ihre erste Mail mich nicht ansprach. Schreiben Sie mir zum Beispiel „Hey“ und sonst nichts, ist alles aus, bevor es angefangen hat. Was soll ich denn auf „Hey“ antworten? So viel Gedankenlosigkeit ist einfach frech. Vielleicht erhielt ich eine massenkompatible, beliebige Rundmail, die Sie der Zeitersparnis halber all Ihren Matches schicken, die ich Fuchs jedoch als solche entlarvt habe (erst gestern geschehen). Eventuell stelle ich auch im Laufe des Gesprächs fest, dass wir doch nicht zusammenpassen, Sie und ich. Dass Ihre Art zu schreiben mir zu unpersönlich/trocken/aufdringlich/albern/intellektuell/was auch immer ist. Oder ich habe nochmal durch Ihre Fotos gestöbert und dabei erkannt, dass Sie doch nicht so ganz mein Typ sind.

Ein Swipe nach rechts bedeutet noch lange nichts

Lassen Sie mich Letzteres kurz näher ausführen. Sie und ich wissen, dass ein Swipe nach rechts noch lange nicht bedeutet, dass ich in Ihnen meine große Liebe zu erkennen glaube. Oder meinen Realität gewordenen Sex-Traum auf zwei Beinen. Manchmal heißt es einfach: „Joa. Ganz okay.“ Ich meine, seien Sie doch ehrlich: An manchen Tagen finden sich in der Dating-App gleich zehn Traumfrauen, die Sie ALLE gerne flachlegen, heiraten oder einfach nur eine Nacht lang anschauen wollen. Und an manchen Tagen eben nicht. Dann matcht man auch mal Menschen, die nicht zu 100 Prozent dem eigenen Beuteschema entsprechen, die aber Potential haben könnten.

Beispiel: Sie stehen auf superschlanke, zurückhaltende Blondinen, erspähen dann aber mich: eine kurvige, tätowierte Brünette mit dem besten GIF- und Memes-Game jenseits von Bottrop-Kirchhellen, und sind auf einmal angefixt. Trotz Ihrer momentanen Faszination bewege ich mich als Kandidatin um Ihre Gunst, die Ihrem optischen Ideal nicht mal nahe kommt, auf dünnem Eis: Ich könnte, wenn ich es richtig anstelle, Ihre neue Freundin werden oder aber es genauso gut mit einer einzigen Äußerung – die ich witzig fand und Sie unmöglich – versauen.

Reißen Sie sich zusammen und nölen Sie nicht rum

Genau das passiert mir persönlich relativ häufig: Eine falsche Bemerkung schrottet den schönsten Flirt. Und ich stehe gleichermaßen auf beiden Seiten. Nun finde ich es nicht weiter schlimm, wenn mein Tinder-Flirt noch während unserer ersten unbeholfenen Schreibversuche feststellt, dass ich ihn zwar optisch reize, ihm aber meine Art auf den Keks geht – oder andersrum – und er deshalb unsere virtuelle Korrespondenz einstellt. Das muss er mir auch nicht in einem höflich formulierten Ablehnungsschreiben begründen. Verdammt, wir sind bei Tinder, und das hier ist das Internet, unpersönlich und schnelllebig, wie mein Sexleben während meinen Zwanzigern. LOL. Passiert mir so etwas, schreibt mir also der Mann, den ich spannend finde, nicht mehr, nehme ich das hin. Wird schon seinen Grund haben. Nie im Leben würde ich ihm eine Message mit einem Tränen weinenden Emoji schicken. Oder fragen, warum er mir nicht mehr antwortet. Ich meine, es genügt, dass ich mir ein solch demütigendes, selbst zerfetzendes Verhalten bei meinem Ex-Freund nicht verkneifen kann, dem ich noch immer nachweine, aber einem Wildfremden muss ich das nun wirklich nicht zumuten.

Was ich sagen möchte: Nölen Sie nicht rum. Bewahren Sie Haltung, wenn Ihr Tinder-Match den Kontakt abbricht. Entweder matchen Sie im echten Leben nicht, die Dame ist genervt von Ihren unpassenden GIFs oder sie hat einen anderen gefunden, der ihr besser gefällt. Das alles ist unschön und kann verletzen, doch ist es kein Beinbruch, sondern Dating-Realität.

Und wer weiß, vielleicht hatte die Frau einfach keine Zeit oder temporär genug von Tinder. Sollte sie sich wieder einloggen, bekommen Sie eventuell Ihre zweite Chance. Gilt natürlich nicht, wenn Ihre letzte Nachricht eine Rumheul-Message war. Reißen Sie sich also zusammen. Im Namen der Liebe.

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