888 gleich hitler

Die Socken von Adolf Hitler, die Unterhosen von Göring, Kleider von Eva Braun und Stricke von den Nürnberger Prozessen. Für rund 900 000 Euro wurden am Wochenende bei einer umstrittenen Auktion in München Nazi-Devotionalien versteigert. Ein Mann kaufte fast alles.

München – Bis 175 000 Euro sieht es so aus, als würde der Mann in Reihe zwei schlafen. Die Arme verschränkt, die Augen unter der Basecap halb geschlossen, lümmelt er auf seinem Stuhl und lauscht den Geboten.

Zum Ersten, zum Zweiten, dann steigt er ein. Schließlich bekommt er den Zuschlag: die letzte Uniformjacke von Adolf Hitler. Ersteigert für 275 000 Euro.

Es war die umstrittenste Versteigerung des Jahres

169 Nazi-Relikte aus der Sammlung von John K. Lattimer († 92) kamen im Auktionshaus „Hermann Historica“ in München unter den Hammer. Brillen, Socken, Unterwäsche: Dinge, die Lattimer zunächst als US-Arzt bei den Nürnberger Prozessen (1945-49) abgriff, später als Sammler hortete. Dinge, von denen nicht immer klar war, ob sie rechtmäßig in seinen Besitz gelangten. Dinge, die Massenmörder am Leib trugen. Kulturgüter? Oder kultische Verehrung von Nazi-Bestien?

21 000 Euro: Hitlers Schädel im Röntgenbild, „aufgenommen nach dem Attentat vom 20. Juli 1944“

Foto: coremedia

Der Zentralrat der Juden fand die Versteigerung „widerlich“. Münchens Oberbürgermeister bat, sie abzusagen. Die Medien empörten sich – also schloss das Auktionshaus sie einfach aus. Einlass zur Versteigerung nur nach Anmeldung, strenge Kontrollen am Eingang.

BILD war trotzdem drin.

BILD-Reporter Kai Feldhaus (41) mit Katalog und Bieternummer

Foto: coremedia

Etwa 50 Bieter drängen sich auf Plastikstühlen. Junge Paare und alte Männer, muskulöse Kahlköpfe mit Tribal-Tattoos. Der Mann in Reihe zwei: um die 40 Jahre, schwarze Kappe, Polohemd von Ralph Lauren. Dunkle Jeans und Stiefel. Er kaut Kaugummi und macht nicht den Eindruck, als würde er gleich eine halbe Million Euro ausgeben.

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Auktionator Wolfgang Hermann findet es in seinen einführenden Worten schade, dass die Versteigerung so negative Presse bekommen habe.

Auch Görings Unterhose habe historischen Wert, ja eine gewisse „Dokumentationskraft“. Schließlich sei sie ja aus Seide.

Dann beginnt die bizarre Show des Mannes in Reihe zwei. Hitlers Jacke ist nur eines von 56 Nazi-Stücken, die er an diesem Nachmittag ersteigert. Was er will, bekommt er. Wenn er steigert, dann gewinnt er. Gegen die Bieter im Saal, am Telefon, im Internet. Gegen Italiener, Amerikaner und Franzosen.

Er nickt kurz oder hebt kaum merklich seine Bieter-Karte mit der Nummer 888. Er bietet immer so lange, bis er den Zuschlag bekommt.

Geld spielt keine Rolle – bezahlt wird in bar. Hitlers Hose, 62 000 Euro. Hitlers Hundesteuerbescheid, 3800. Röntgenbilder von Hitlers Kopf (21 000 Euro), Hermann Görings Hut aus Biberfell (3400 Euro). Bei Görings Pilotenuhr steigt er erst bei 39 000 Euro ein, bekommt sie für 42 000. Das Döschen, in dem Göring seine todbringende Blausäure-Kapsel aufbewahrt haben soll, kauft er für 26 000 Euro. Fast ein Schnäppchen.

Der Mann mit der Kappe zückt sein Handy, tippt auf dem Taschenrechner herum, lacht. Nach fünf Stunden hat er mehr als 600 000 Euro ausgegeben.

Wer ist dieser Mann? Und wieso kann er so viel Geld für Nazi-Relikte ausgeben?

Nach der Auktion spricht BILD ihn an. Er antwortet auf Englisch mit spanischem Akzent.

Dieser Mann ersteigerte 56 Nazi-Relikte, zahlte dafür mehr als 600 000 Euro

Foto: coremedia

BILD: Woher kommen Sie?

Er: „Aus Argentinien.“

BILD: Was machen Sie mit dem Zeug?

Er: „Ist für ein Museum.“

BILD: Wie heißen Sie?

Das verrät der Mann nicht, den Namen des Museums auch nicht. Ist er vielleicht ein Strohmann, der für einen privaten Sammler kauft? Argentinien war nach dem Zweiten Weltkrieg ja beliebter Rückzugsort für Alt-Nazis. Der Mann lächelt und nimmt dieses Geheimnis mit ins Taxi, das ihn davonfährt.

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Hitlers Socken hat er übrigens nicht gekauft: Die gingen für 18 000 Euro an einen telefonischen Bieter. Aber sind getragene Socken wirklich schlimmer als getragene Unterhosen?

Am Geburtstag gibt es im „Gasthaus Goldener Löwe" das Schnitzel für 8,88 Euro. Aber nur am Geburtstag des toten Führers am 20. April. Der gelernte Koch Tommy Frenck hat das Gasthaus im thüringischen Kloster Veßra 2014 für 80.000 Euro gekauft. Er hat vermutlich versucht, den Preis auf 88.000 Euro hochzuhandeln.

Denn diesen Zahlenwitz mag er, er hat ihn bereits im letzten Jahr gemacht. Tommy Frenck ist eine prominente Figur in der rechten Szene. Er ist wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft und hat sich nun in dieser kleinen Gemeinde mit 330 Einwohnern eingenistet. Der Gasthof ist weniger ein Ort für gutes Essen (Fett mit Fleisch und Ketchup) als eine Operationsbasis. Viele Neonazis reisen von weit her an, um hier zu essen oder Rechtsrock-Konzerte zu sehen. 2015 gab es gleich zehn davon, Michael Regener war schon da. Der war der Kopf der Band Landser, bis sie verboten wurde, heute nennt er sich Lunikoff. Er saß drei Jahre und vier Monate im Gefängnis: wegen Volksverhetzung, Verbreitung rechtsextremer Propaganda und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Tommy Frenck mag diese Konzerte: Er organisiert ein Festival im nahegelegenen Hildburghausen, 2016 kamen 3.500 Menschen. Auch dieses Jahr gibt es Planungen dafür.

Das isst die Burger-Bewegung aus dem Gasthaus. Screenshot: Facebook

Er ist auch bei „Thügida" aktiv. Die Bewegung versucht, „das System" zu überwinden: „Aus anfänglichen Protesten gegen Flüchtlinge ist längst ein Agitieren gegen Regierende, Establishment und die Demokratie geworden", schreibt „Blick nach Rechts", die die rechte Szene eng verfolgen.

Geld macht Frenck mit Rechtsrock, mit seinem Gasthof und seinem Versandhandel. Er betreibt „Druck 18", die Seite ist derzeit nicht zu erreichen. „Serverumzug", sagt Freck. Dort verkauft er nicht nur Armbrüste, SEK-Ausrüstung wie Brustpanzer, Schilde und Stahlhelme, sondern auch Kulinarisches. Er vertreibt natürlich Met, nur echt aus einem Horn, und einen Wein. Slogan: „Der Leibstandarte liebster Tropfen".

Den wird es heute vielleicht auch geben im „Gasthaus Goldener Löwe, um 11 Uhr ging es los. Seinen Gästen rät er, für den „Geburtstag" am 20.04. zu reservieren, es wird voll werden im Gasthof.

Update, 03.05.2017, 11.32 Uhr: Tommy Frenck, vertreten durch seinen Rechtsanwalt Andreas Wölfel, legt Wert auf die Feststellung, dass er wegen seiner im Beitrag erwähnten Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gegenwärtig nicht mehr als vorbestraft im juristischen („im bundeszentralregisterrechtlichen") Sinne gelte, da der entsprechende Eintrag zwischenzeitlich wieder aus dem Bundeszentralregister getilgt worden sei. Er beruft sich insofern auf den „Resozialisierungsgedanken" und auf „noch nicht abzuschätzen[de]" Nachteile, die er wegen der betreffenden Formulierung in unserem Beitrag „beruflich und in seinem sozialen Umfeld in nächster Zeit erleiden wird".

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